Neue-Szene-Augsburg 2017-04

Tag&Nacht
17
Knapp 1000 Euro Spende
Augsburgs
1000 Meisterwerke
Geistreiche Blicke auf eine verkannte Stadt
von Professor Dr. Spätzle
Halb belustigt, halb besorgt blickte ich kürzlich auf den Ticketautomaten
vor mir. Nicht weil es ein technisches Problem gab,
ich hatte auch genug Kleingeld fürs Parkhaus dabei, nein, es
war eine kleine Nachricht,
oder vielleicht doch auch
ein Aufschrei, womöglich
eine Klage, die mich aufmerken
ließ: „Mein Katze
hat Durchfall!“
„War das Kunst?“, überlegte
ich. Ja, tatsächlich, lieber
Leser, so vollkommen
abwegig ist die Vermutung
nicht, denn in diesem kleinen
Satz steckt womöglich
eine subtile Gesellschaftskritik.
Womöglich ist sie
so subtil, dass sie dem
Schreiber nicht einmal bewusst
war. Denn was sagt
der Satz denn aus? Außer,
dass eine uns unbekannte
Katze unter einer Durchfallerkrankung
leidet -
was eine für alle Mitbewohner der Katze sehr unangenehme
Geschichte ist. Dieser Satz konfrontiert uns an völlig unpassender
Stelle mit einer eigentlich völlig privaten Information,
die uns eigentlich völlig gleichgültig sein müsste. Es ist
diese Nachricht Ausdruck des allgegenwärtigen Terrors der
Selbstdarstellung (wir können die Katze ja durchaus zum privaten
Leben des Schreibers
rechnen.) Im Prinzip ist es
nichts anderes als das, was
uns täglich millionenfach
bei Facebook, Twitter, Instagram
etc. an banalem
Unrat, Unwichtigem und
Eitlen entgegengepostet
wird. Was folgt als nächstes?
Teilt der Katzenbesitzer
mit, dass es der Katze
wieder gut geht? Dass sie
gestern eine Maus gefangen
hat?
Der Verfasser des Satzes
hat diesen Terror des Intimen
lediglich aus dem Digitalen
herausgelöst und
ihn auf einer absolut ungewohnten
Fläche präsentiert.
Er zeigt uns gerade
dadurch, wie nichtig und unpassend Posts dieser Art sind. Das
ist analoge Kritik der klügsten Sorte und damit auch Kunst.