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Schwaben_Alpin_2-2017_Einzelseiten

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TOUREN<br />

Frauenpower – Bauen in Nagarkot<br />

Expeditionsgericht<br />

Das erste Mal wieder in den Alpen. Vier<br />

Stunden von Ehrwald auf die Zugspitze.<br />

Unterhalb des Gipfelgrates höre ich ein<br />

Surren. Was ich zu sehen bekomme, ist<br />

eine Drohne, die über mir im Himmel<br />

thront und deren Lärm und Kamera und<br />

bloßes Dasein instinktiv Bedrohung ist.<br />

Ich werfe Steine, was die Bedrohung<br />

nicht verschwinden, sondern steigen<br />

lässt. Zuhause schaue ich ins Flight ‐<br />

radar: Flugzeugklumpen über mir. Leere,<br />

Stille über dem Himalaya. Kein Flugzeug<br />

zwischen Kathmandu und Lhasa, kein<br />

Flugzeug über Tibet. Auf Tibet ruht eine<br />

der großen Stillen dieser Welt. Vom Lärm<br />

und Chaos in Nepal dringt wenig über<br />

den hohen Himalaya ins nördliche Nachbarland.<br />

Dort herrscht verordnete Ruhe.<br />

Vom fernen Peking richtet der von Chinas<br />

Gnaden göttliche Panchen Lama seine<br />

Augen auf sein Volk. Auch mancher<br />

staatsgöttliche Chinese richtet seine Augen<br />

auf dieses Land, von Plakaten oder<br />

anders; die Augen richtet er und mehr.<br />

Und bei jedem Marktgang schaut vom<br />

Geldschein aus der Marktfeind Mao zu.<br />

Was die Tibeter dürfen und was nicht,<br />

wie stark sie noch geknechtet werden,<br />

benachteiligt im eigenen Land – wir wissen<br />

und erfahren es nicht. Wir sehen nur<br />

den Berg, auch wenn er nicht zu sehen<br />

ist. Wir sehen nichts von dem, was ist,<br />

Torte für Gipfelhelden in 5700 m Höhe<br />

nur das in unseren Köpfen sehen wir. So<br />

viele Berge gibt es, so viele schöne, hohe,<br />

aber nur der eine, der höchste hier, wird<br />

gewürdigt, mit Füßen getreten zu werden.<br />

An diesem einen wird gekeucht, gekämpft,<br />

gelitten und gefroren. Auf ihn<br />

wird gekotzt und geschissen. Man steigt<br />

ihm auf den Kopf und bewirft ihn mit<br />

Müll. Wie gern wäre dieser hohe Berg<br />

einer von den niederen Bergen, die noch<br />

rein sind und unberührt vom Schmutz<br />

des Heldenstrebens. Wie gern würde<br />

dieser Berg einfach nur Berg sein und<br />

nicht Instrument und Mittel für den<br />

Menschen – auch für den Menschen, der<br />

denkt, ein Berg wäre oder würde gern.<br />

Höhenbergsteigen auf den Achttausender‐Normalwegen<br />

ist Klettersteigwandern<br />

in dünner Luft. Ein Bergsteiger,<br />

der gewohnt ist, Berge kletternd<br />

und nicht wandernd oder über Klettersteige<br />

zu ersteigen, fühlt sich in der Welt<br />

des Achttausendernormalweghöhenbergsteigens<br />

sehr fremd. Der Weg durch<br />

einen Geröllhang, auf dem man hinauf<br />

und hinab mit den Händen in den Hosentaschen<br />

gehen würde, wenn er in<br />

den Alpen wäre, wird zum Killerhang<br />

dramatisiert. Fast den gesamten Aufstiegsweg<br />

ab Lager 1 ist ein Seil gespannt.<br />

Ein Seil, weit über tausend Meter<br />

lang. Es beginnt auf 6100 m und endet<br />

nahe dem Gipfel auf über 8000 m. In<br />

dieses Seil klinkt man sich ein und folgt<br />

ihm wie ein Zug den Schienen. Die Füße<br />

gehen in der ausgetretenen Spur, die eine<br />

Hand am Stock, die andere zieht am<br />

Seil mich vorwärts. Anders als vom Klettern<br />

und von Hochtouren gewohnt geht<br />

man nicht miteinander, sondern jeder<br />

für sich am Seil. Das Klettersteigwandern<br />

in dünner Luft ist kein gemeinschaftliches<br />

Tun, sondern ein Jeder‐fürsich.<br />

Nur unterhalb der Seil‐Bahn gibt es<br />

etwas wie Gemeinschaft, oberhalb nur,<br />

wenn es dem Ich‐für‐mich nutzt.<br />

Wer hier unterwegs ist, lässt sein bisheriges<br />

Leben hinter sich. Frau, Kinder,<br />

Verantwortung, Kultur und Zivilisation,<br />

Umweltbewusstsein, soziale Einstellungen,<br />

Erziehung, ethische Prinzipien,<br />

Wissen und Gewissen – alles vergessen,<br />

zurückgelassen in einer anderen Welt,<br />

auf einem anderen Stern. Ohne Skrupel,<br />

vielleicht sogar mit Freuden, wird man<br />

zum Sir und Sahib, lässt andere für sich<br />

den Buckel krümmen. Wer nur leichte<br />

Lasten trägt, kann aufrechter gehen;<br />

schwere Lasten beugen den Menschen.<br />

Schon in der Bibel – in meiner Bibel –<br />

steht: der eine trage des anderen Last.<br />

Der von meiner Last in die Knie Gezwungene<br />

bindet mir die Schuhe und<br />

legt mir die Steigeisen an. Von der Leichtigkeit<br />

meines Lebens zu aufrecht und<br />

zu groß geworden ist mir ein solches<br />

Tun zu lästig und zu niedrig.<br />

Aus dem Himmel kommend, will ich<br />

in die Höhe steigen. Alles Schwere überlasse<br />

ich denen, die von unten kommen<br />

und unten bleiben, auch wenn sie mit<br />

mir in die Höhe steigen und nur wegen<br />

mir in die Höhe steigen. Mein leichtes<br />

Leben wird mich dereinst alt und lebenssatt<br />

sterben lassen. Die meine Last<br />

tragen, sind schon heute tot, jung und<br />

hungrig gestorben, unter die Erde gedrückt<br />

von der Last – von meiner Last.<br />

Eine Last, die mich beschwert, sind<br />

solcherlei Gedanken. Auf meinem Gang<br />

zum Gipfel sind sie meine einzigen Begleiter.<br />

Die mit mir gehen sollten, gehen<br />

ohne mich und ohne Denken unbeschwert,<br />

so denke ich. Und nur das Denken<br />

bleibt mir noch, allein in dunkel eisigkalter<br />

Höhe. Den Gipfel zu erreichen<br />

ist das zuviel an Last? Die andern, nur<br />

den Gipfel vor und in sich, tragen leichter.<br />

Vier Stunden auf die Zugspitze. Bevor<br />

ich zum Cho Oyu flog, war ich auf demselben<br />

Weg zwei Stunden schneller. Ich<br />

war so schnell, dass kein Gedanke folgen<br />

konnte. Jetzt bin ich langsam und kann<br />

den Gedanken nicht mehr entfliehen.<br />

Text: Harald Weiß, Fotos: Matthias Felsenstein<br />

und Teilnehmer<br />

<strong>Schwaben</strong> <strong>Alpin</strong> 2|<strong>2017</strong> 19

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