physio-Journal I 1/2017
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TITELTHEMA<br />
Ziel ist es, die vorliegende Arbeitsform zu<br />
definieren sowie das Arbeitssystem mittels<br />
einer präzisen Arbeitssystemanalyse zu beschreiben.<br />
Belastungs-<br />
Beanspruchungs-Konzept<br />
Aufgaben der<br />
Ergonomie<br />
ANALYSIEREN<br />
MESSEN<br />
Theoriebezug der<br />
Ergonomie<br />
Arbeitssystem-Modell<br />
Belastungs-Beanspruchungs-Konzept<br />
Das Belastungs-Beanspruchungs-Konzept<br />
(siehe Abbildung 1) stellt einen theoretischen<br />
Ansatz dar, mit dem menschbezogene Phänomene<br />
eines Arbeitssystems in einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang<br />
gebracht<br />
werden können. Es ist ein Messkonzept,<br />
welches die Beurteilung der Auswirkungen<br />
verschiedener Tätigkeitsbedingungen auf<br />
den Menschen zulässt [Rohmert 1984]. Ziel<br />
dabei ist es, Belastungen, die sich aus der<br />
Arbeitsaufgabe und der Arbeitsumgebung<br />
ergeben, zu erkennen, außerdem zu beurteilen,<br />
wie stark der Mensch durch diese Belastungen<br />
beansprucht wird und resultierende<br />
Engpässe im Arbeitssystem zu identifizieren.<br />
In der Arbeitswissenschaft versteht man<br />
folglich unter Belastung äußere Merkmale<br />
der Arbeitssituation (z. B. Arbeitsaufgabe,<br />
physikalische, chemische, organisatorische<br />
und soziale Umgebungsbedingungen,<br />
besondere Tätigkeitsbedingungen wie<br />
Zeitdruck etc.). Die Beanspruchung bezeichnet<br />
die resultierenden Reaktionen (körperlich-<strong>physio</strong>logisch,<br />
erlebens- und verhaltensmäßig)<br />
des arbeitenden Menschen auf<br />
die einwirkenden Belastungen (Schlick et al.<br />
2010). Die Belastung ist also ein objektiver<br />
und personenunabhängiger Parameter. Im<br />
Gegensatz dazu beschreibt die Beanspruchung<br />
die subjektive Belastungsauswirkung<br />
auf den Menschen. Sie hängt von der individuellen<br />
Prädisposition ab und ist umso<br />
höher, je ungünstiger diese ist [Bokranz u.<br />
Landau 2006].<br />
Die auf den Menschen wirkenden Belastungen<br />
können sich aus verschiedenartigen<br />
Teilbelastungen zusammensetzen, die, obwohl<br />
sie gleichzeitig (simultan) oder nacheinander<br />
(sukzessiv) wirken können, nach<br />
Höhe und Dauer quantifiziert werden. Bezüglich<br />
der Belastungstypen wird zwischen<br />
situationsbezogenen (das heißt Teilbelastungen,<br />
die sich aus der Arbeitsumgebung<br />
ergeben) und aufgabenbezogenen (sich aus<br />
BEURTEILEN<br />
GESTALTEN<br />
der Arbeitsaufgabe ergebende Teilbelastungen)<br />
unterschieden [Schlick et al. 2010].<br />
Da die Beanspruchung nicht direkt<br />
messbar ist, wird für deren Messung auf<br />
Beanspruchungs-Kenngrößen wie z. B.<br />
die Herzschlagfrequenz als Kenngröße<br />
der Herz-Kreislauf-Beanspruchung oder<br />
EMG-Messungen (Elektromyographie) als<br />
Kenngröße der muskulären Beanspruchung<br />
zurückgegriffen [Bokranz u. Landau 2006].<br />
Teilbeanspruchungen können beispielsweise<br />
das Skelett, die Muskeln, die Sinnesorgane<br />
oder das Herz-Kreislauf-System betreffen.<br />
Bei der Betrachtung der Beanspruchungen<br />
wird zwischen objektiv beobachteten Beanspruchungen<br />
und von der Arbeitsperson<br />
erlebten Beanspruchungen unterschieden.<br />
Im sogenannten erweiterten Belastungs-<br />
Beanspruchungs-Modell werden zusätzlich<br />
die Handlungen des betrachteten Individu-<br />
4-Stufen-Hierarchie der Bewertung<br />
Harmonisieren von Humanität und Wirtschaftlichkeit<br />
Abbildung 1:<br />
Vorgehen in der ergonomischen Arbeitsgestaltung [in Anlehnung an Rohmert 1984]<br />
Belastung<br />
Einflüsse, die im<br />
Arbeitssystem<br />
auf den<br />
Menschen<br />
einwirken<br />
Der Mensch<br />
mit individuellen<br />
Eigenschaften,<br />
Fähigkeiten,<br />
Fertigkeiten<br />
und Bedürfnissen<br />
Beanspruchung<br />
individuelle<br />
Auswirkung<br />
der<br />
Belastung<br />
im Menschen<br />
Abbildung 2:<br />
Einfaches Belastungs-Beanspruchungs-Konzept [in Anlehnung an Rohmert 1984]<br />
ums explizit berücksichtigt. Zudem wirken<br />
Beanspruchungen im zeitlichen Verlauf<br />
kumulativ (z. B. Ermüdung, Schlaf) oder<br />
können kompensiert werden (z. B. Übung,<br />
Gewöhnung). Dabei hängt die Handlungsausführung<br />
nicht mehr nur von der Belastungssituation,<br />
sondern auch von der Handlungskompetenz<br />
der arbeitenden Person ab.<br />
Die Beanspruchung hängt folglich davon ab,<br />
wie eine Handlung ausgeführt wird sowie<br />
von den Eigenschaften, Fähigkeiten und<br />
Fertigkeiten der Arbeitsperson [Schlick et al.<br />
2010].<br />
Nach dem Messen müssen die Aufgaben<br />
hinsichtlich der Erfüllung der Ausführbarkeit<br />
(z. B. Sind Stellteile ohne Hilfsmittel<br />
erreichbar?) und Erträglichkeit (z. B. Ist die<br />
Belastung durch Lärm sicher unterhalb der<br />
schädigenden Grenze?) beurteilt werden.<br />
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<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 7