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04/2017

Fritz + Fränzi

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Fr. 7.50 4/April <strong>2017</strong><br />

Monatsinterview<br />

Wie Kinder von<br />

psychisch kranken<br />

Eltern leiden<br />

Hochbegabt<br />

Woran man schlaue<br />

Kinder erkennt –<br />

und wie sie<br />

gefördert werden<br />

Sinnvoll oder ungerecht?<br />

Hausaufgaben


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ganze Familie.<br />

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30. April <strong>2017</strong><br />

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Editorial<br />

Bild: Geri Born<br />

Nik Niethammer<br />

Chefredaktor<br />

Liebe Leserin, lieber Leser<br />

Nach 44 Jahren lüfte ich ein Geheimnis. Einige der Deutschaufsätze in der<br />

Primarschulzeit («Mein schönstes Ferienerlebnis», «Ein Tag bei meinem Grossvater»)<br />

habe ich nicht allein geschrieben. Meine Mutter, eine frühere Journalistin,<br />

hat mir dabei geholfen. Wir haben so lange an jedem Satz geschraubt, bis es passte.<br />

Meine Mutter hat ganze Arbeit geleistet: Für die meisten Aufsätze erhielt ich<br />

von Lehrer Niederer eine glatte 6 und durfte sie ins goldene Buch übertragen.<br />

Ich erwähne das deshalb, weil wir uns bei den Arbeiten am vorliegenden Dossier<br />

«Hausaufgaben» intensiv mit diesen Fragen beschäftigt haben. Sollen Eltern ihre<br />

Kinder bei den Hausaufgaben unterstützen? Und wenn ja – wie? Die Experten<br />

sind sich uneins: Hausaufgaben sind für die Schüler, nicht für die Eltern, lautet<br />

eine Botschaft. Eine andere: Eltern müssen ihre Kinder davon abhalten, zu lange<br />

an den Hausaufgaben zu sitzen. Eine dritte These lautet: Hausaufgaben sind ein<br />

Bindeglied zwischen Schule und Elternhaus. Wenn Eltern sich bei den Hausaufgaben<br />

ihrer Kinder engagieren, zeigen sie Interesse. Und wissen, was ihr Kind<br />

in der Schule so treibt.<br />

«Wissenschaftlich gesehen<br />

wären die wichtigsten<br />

Schulfächer Musik, Sport,<br />

Theaterspielen, Kunst<br />

und Handarbeiten.»<br />

Manfred Spitzer, deutscher Hirnforscher,<br />

Psychologe und Buchautor<br />

Die Frage, wie viel Hausaufgaben sinnvoll sind oder ob sie<br />

nicht besser abgeschafft werden sollten, wird seit Jahren<br />

leidenschaftlich debattiert. «Es gibt kein einziges Argument<br />

für Hausaufgaben in den ersten sechs Schuljahren», sagt<br />

Kinderarzt und Buchautor Remo Largo. «Mit Auswendiglernen,<br />

Prüfungen und Noten wird in unseren Schulen eine<br />

Treibjagd veranstaltet, die nichts bringt.» Largo wünscht<br />

sich mehr Individualität im Unterricht und eben auch beim<br />

Lernen. «Es ist die Herausforderung für Eltern und Lehrpersonen,<br />

herauszufinden, wie das Kind mit welchen<br />

Lernerfahrungen in seiner Entwicklung unterstützt werden<br />

kann.»<br />

Persönlich halte ich eine Verlagerung der Hausaufgaben in die Schule als geeignetste<br />

Massnahme, um Schule und Freizeit besser zu trennen und die Chancenungleichheiten<br />

nicht weiter zu verstärken. Es ist leider eine Tatsache, dass Kinder<br />

aus bildungsferneren Schichten selten Unterstützung bei den Hausaufgaben<br />

erhalten. Dasselbe gilt für Schüler mit Vollzeit arbeitenden Eltern.<br />

Die Hilfe meiner Mutter habe ich damals gerne angenommen. Trotzdem: Aus<br />

einiger Distanz und mit dem heutigen Wissen sehe ich ihr Engagement kritisch.<br />

Als zweifacher Vater interessiere ich mich selbstverständlich für die Hausaufgaben<br />

meiner Kinder – aber ich werde mich hüten, diese für sie zu erledigen.<br />

Sind Hausaufgaben sinnvoll oder ungerecht? – ab Seite 12.<br />

Herzlichst – Ihr Nik Niethammer<br />

850 Lehrstellen in 25 Berufen | www.login.org


Inhalt<br />

Ausgabe 4 / April <strong>2017</strong><br />

Viele nützliche Informationen finden Sie auch auf<br />

fritzundfraenzi.ch und<br />

facebook.com/fritzundfraenzi.<br />

Augmented Reality<br />

Dieses Zeichen im Heft bedeutet, dass Sie digitalen Mehrwert<br />

erhalten. Hinter dem ar-Logo verbergen sich Videos und<br />

Zusatzinformationen zu den Artikeln.<br />

Psychologie & Gesellschaft<br />

38 Adipositas<br />

Kinder, die mehr wiegen, als Mediziner<br />

empfehlen, haben es schwer. Wie kann<br />

ihnen geholfen werden?<br />

42 Geschwister – Verbündete und<br />

Rivalen<br />

Kronprinz, Nästhäkchen oder Sandwichkind?<br />

Die Geschwisterkonstellation<br />

ist nicht unwichtig – und sollte<br />

von Eltern berücksichtigt werden.<br />

10<br />

Dossier: Hausaufgaben<br />

10 Hausaufgaben: Lust und Frust<br />

Kinder erhalten einen Verweis, wenn sie die<br />

Hausaufgaben nicht erledigen. Das drängt<br />

die Eltern in die Ermahner-Rolle. Wie nötig<br />

und sinnvoll sind Hausaufgaben wirklich?<br />

Bild: Désirée Good / 13 Photo<br />

18 So vermeidet man Knatsch um Ufzgi<br />

Neun Tipps für Eltern.<br />

32 «Hausaufgaben sind reine<br />

Zeitverschwendung!»<br />

Der deutsche Bildungsjournalist und<br />

Buchautor Armin Himmelrath im Interview.<br />

36 «Was habe ich da nur angerichtet?»<br />

Eine Seklehrer berichtet aus der Praxis.<br />

Cover<br />

Ufzgi sind in jeder<br />

Familie ein Thema –<br />

und häufig Grund für<br />

Konflikte.<br />

Hausaufgaben, unser<br />

Dossier-Thema im April.<br />

Bilder: Désirée Good / 13 Photo, Filipa Peixeiro / 13 Photo, Sandra Lutz Hochreutener, Gabi Vogt / 13 Photo<br />

4


44<br />

52<br />

62<br />

Kurt Albermann, woran erkennt man<br />

Kinder, deren Mutter depressiv ist?<br />

Die Kraft der Klänge – wenn Musik zu<br />

Therapiezwecken eingesetzt wird.<br />

Hochbegabte Kinder brauchen mehr Input,<br />

als in der Regelschule gegeben wird.<br />

Erziehung & Schule<br />

52 Musiktherapie<br />

Mit Klängen, Tonfolgen und<br />

Rhythmen einen Zugang zu<br />

kleinen Patienten finden.<br />

59 Schreiben – ein Kinderspiel!<br />

Schreib- und Kritzelübungen<br />

verbessern die Schreibmotorik.<br />

62 Schlaue Köpfe<br />

Hochbegabte Kinder sollen im<br />

Programm «Atelier Plus» speziell<br />

gefördert werden. Eine Reportage.<br />

Ernährung & Gesundheit<br />

70 Verhütung<br />

Die Pille ist bei Mädchen das<br />

beliebteste Verhütungsmittel. Seit<br />

diesem Jahr ist ein neues Präparat auf<br />

dem Markt – für Teenager geeignet.<br />

Digital & Medial<br />

74 Facebook-Mamis<br />

Sich mit Gleichgesinnten zu<br />

vernetzen, ist wichtig. Besonders für<br />

Mütter. Die «Basler Mamis 2.0»<br />

stehen sich mit Rat und Tat zur Seite,<br />

im Internet.<br />

78 Digitale Kommunikation<br />

Wie funktioniert Snapchat?<br />

79 Mixed Media<br />

Rubriken<br />

03 Editorial<br />

06 Entdecken<br />

43 Stiftung Elternsein<br />

Ellen Ringier über das Privileg der<br />

freien Meinungsäusserung.<br />

44 Monatsinterview<br />

Kinder, deren Mutter oder Vater<br />

psychisch erkrankt, geraten schnell<br />

in die Erwachsenenrolle, sagt<br />

Kinderpsychiater Kurt Albermann.<br />

50 Jesper Juul<br />

Der Familientherapeut über<br />

Wahrhaftigkeit und die Frage, wann<br />

sich Eltern in die Beziehungen ihrer<br />

Kinder einmischen dürfen.<br />

56 Fabian Grolimund<br />

Wie können wir die Zeit mit unseren<br />

Kindern geniessen – trotz prall<br />

gefüllter To-do-Liste?<br />

58 Michèle Binswanger<br />

Unsere Kolumnistin über das<br />

Heranreifen zur Frau und das Recht,<br />

seine Grenzen zu verteidigen.<br />

60 Leserbriefe<br />

Service<br />

76 Verlosung<br />

80 Sponsoren/Impressum<br />

80 Abo<br />

81 Buchtipps<br />

82 Eine Frage – drei Meinungen<br />

Der Freund des Sohnes bezeichnet<br />

alles und jeden als «schwul». Müssen<br />

Eltern so etwas dulden?<br />

Die nächste Ausgabe erscheint<br />

am 4. Mai <strong>2017</strong>.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>5


Entdecken<br />

Kinder halten jung!<br />

Grosseltern, die sich um ihre Enkel<br />

kümmern, leben länger. Dies fanden<br />

Forscher der Max-Planck-Gesellschaft<br />

in München heraus. In einer Studie<br />

wurden 500 Menschen im Alter zwischen<br />

70 und 103 Jahren untersucht.<br />

Aber Achtung: Wer es übertreibt mit<br />

dem Hüten, bekommt Stress – und<br />

der schadet der Gesundheit.<br />

www.kescha.ch<br />

3 FRAGEN<br />

an Walter Bircher, Jury-Präsident des Schweizer Schulpreises<br />

«Schüler sollten gerne in diese Schule gehen»<br />

Zum dritten Mal wird in diesem Jahr der Schweizer Schulpreis verliehen.<br />

Bis zum 15. Juni können sich Schulen um die Teilnahme bewerben. Walter<br />

Bircher weiss, welche Schulen gute Chancen haben.<br />

Interview: Evelin Hartmann<br />

Herr Bircher, was zeichnet eine gute Schule aus?<br />

Um dies festzustellen, sollte man sich drei Ebenen von Schule genauer<br />

anschauen. Zum einen die Schule als Organisation, System. Nimmt sie die<br />

gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen wahr und passt sie<br />

sich, wo es sinnvoll ist, durch Neuerungen an? Zum anderen die Lehrpersonen.<br />

Sind sie bereit und fähig, Schule als Lern- und Lebensort aktiv<br />

mitzugestalten? Sie müssen sich also immer mitverantwortlich für die<br />

Profession und ihr Umfeld sehen. Und sie sollten einen guten Unterricht<br />

gestalten mit viel Lernzeit, klaren Strukturen und individueller Förderung.<br />

Welches ist die dritte Ebene?<br />

Diese betrifft die Schüler selbst. Wie werden sie in ihrer Individualität<br />

wahrgenommen und gefördert, inwieweit wird ihre Kreativität, ihr<br />

Sozialverhalten entwickelt? Grundsätzlich gilt: Schüler sollten gerne in<br />

diese Schule gehen.<br />

Kann eine Schule auch in einem dieser Bereiche besonders<br />

herausstechen?<br />

Ja, aber ohne die anderen dabei zu vernachlässigen. Um sich bewerben zu<br />

können, sind sechs Kriterien zu erfüllen, die auf unserer Website einsehbar<br />

sind.<br />

Infos auf www.schweizerschulpreis.ch und wwww.canisi-edition.com<br />

Bei 94 % aller Befragten einer Umfrage zum<br />

Thema Heimat lösen Landschaften Heimatgefühle<br />

aus, meistens sind es Berge. In den Traditionen<br />

finden 91 Prozent der Befragten eine Heimat.<br />

Im Vordergrund stehen dabei die individuellen<br />

Rituale in der eigenen Familie.<br />

(Quelle: Das Stapferhaus Lenzburg hat 1000 Menschen zum Thema Heimat befragt.<br />

Aufhänger ist die Ausstellung «Heimat. Eine Grenzerfahrung».)<br />

Du hast Recht!<br />

«Welche Rechte haben eigentlich wir<br />

Kinder?» Das wird sich der eine oder<br />

andere Junge oder das eine oder<br />

andere Mädchen fragen und bekommt<br />

jetzt von Gleichaltrigen eine Antwort …<br />

Denn um für das Thema Kinderrechte<br />

ein Bewusstsein zu schaffen, hat die<br />

Kinderlobby Schweiz ein bunt<br />

illustriertes Buch herausgegeben –<br />

aus Kindersicht geschrieben.<br />

«Kinder kennen ihre Rechte. Kinder erklären die Kinderrechte»<br />

Fr. 26.80<br />

Zu bestellen auf www.kinderlobby.ch > Shop<br />

Bilder: fotolia, ZVG<br />

6 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


UBS Kids Cup<br />

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© UBS <strong>2017</strong>. Alle Rechte vorbehalten.<br />

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mehr als den Sieg.<br />

Grosse Emotionen am UBS Kids Cup erleben.<br />

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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>7


Entdecken<br />

«Junge Frauen, findet den<br />

richtigen Mann! Es ist<br />

entscheidend, dass man die<br />

wichtigen Fragen früh klärt:<br />

Wer schaut wann zu den Kindern,<br />

wer arbeitet wie viel?»<br />

Claudine Esseivas Ratschlag an junge Frauen, die Familie und<br />

Karriere anstreben, in einem Interview auf www.cash.ch<br />

Claudine Esseiva<br />

ist FDP-Politikerin<br />

und Beraterin.<br />

Nina, äh, Emma, äh, Katja<br />

Wer Geschwister hat, kennt das vermutlich nur<br />

zu gut: Eltern bringen die Namen ihrer Kinder<br />

gerne durcheinander. Ein Ausdruck mangelnder<br />

Zuneigung sei das aber nicht. Tatsächlich<br />

scheinen wir Informationen zu unserem<br />

näheren sozialen Umfeld im Gedächtnis unter<br />

einer einzigen Beziehungskategorie<br />

abzuspeichern und ebenso abzurufen. Dieses<br />

Fazit ziehen Forscher der amerikanischen<br />

Duke University. Sie befragten mehr als<br />

1800 Probanden unter anderem, ob und wenn ja<br />

von wem sie schon einmal falsch angesprochen<br />

worden seien. Typischerweise waren die<br />

Verwechsler Familienmitglieder und oft wurde<br />

statt des echten Namens der des Bruders oder<br />

der Schwester genannt.<br />

Mach<br />

doch nicht<br />

so einen<br />

Lärm!<br />

Am 26. April <strong>2017</strong> findet der<br />

Internationale Tag gegen Lärm<br />

unter dem Motto «Ruhe fördert»<br />

statt. Im Mittelpunkt steht dabei,<br />

wie sich der Lärm auf Kinder<br />

auswirkt. Julia Dratva, die<br />

Leiterin der Forschungsstelle<br />

Gesundheitswissenschaften an<br />

der Hochschule für Angewandte<br />

Wissenschaften ZHAW in<br />

Winterthur, sagt, was Eltern<br />

zum Thema Lärm und Gehör<br />

interessieren könnte ...<br />

Ob Lärm schädlich ist oder nicht,<br />

hängt von der Frequenz, dem<br />

Schallpegel und der Dauer eines<br />

Geräuschs ab. Ein kurzer, einmaliger,<br />

aber sehr lauter Knall kann<br />

schädigend für das Gehör sein,<br />

ebenso wie ein weniger hohes<br />

Geräusch direkt am Ohr, dafür aber<br />

über längere Zeit. Entscheidend ist<br />

die Gesamtbelastung.<br />

Grundsätzlich gilt: Ab einem<br />

Dauerschallpegel von 60 Dezibel<br />

(Surren einer Näh m aschine)<br />

können Stress reaktionen im<br />

Schlaf auftreten, ab 90 Dezibel<br />

(schwerer LKW) können das<br />

Gehör und die Gesundheit<br />

Schaden nehmen. Die<br />

Schmerzgrenze liegt bei 120<br />

Dezibel (Düsenjäger), dann hält<br />

sich ein Mensch automatisch die<br />

Ohren zu. Auch Kinder.<br />

Kognitive Leistungen können<br />

unter hoher Lärm belastung leiden.<br />

Studien belegen bei Kindern eine<br />

geringere Lernleistung durch<br />

Lärmbelastung.<br />

Wir nehmen ständig Geräusche<br />

wahr. Doch eine Dauerbeschallung<br />

mit hohen Dezibel schränkt die<br />

Regeneration der Haarzellen des Ohrs,<br />

sprich die Abnehmer und Weiterleiter<br />

der Schallwellen, ein. Also öfter<br />

für weniger Lärm sorgen.<br />

Einen Knopf im Ohr haben ist cool! Das<br />

Wissen, ab wann Musikhören schädlich<br />

sein kann, erlaubt es Jugendlichen aber,<br />

einen guten Umgang damit zu finden.<br />

Grundsätzlich gilt: die Lautstärke der<br />

Geräte nicht ausreizen und bei zusätzlichen<br />

Lärmquellen nicht aufdrehen.<br />

Eltern sind dabei Vorbilder, von Anfang an.<br />

Infos zum Tag gegen Lärm auf www.laerm.ch<br />

8 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Publireportage<br />

Frühlingserwachen.<br />

Familien-Kombi-Angebote<br />

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sbb.ch/familien<br />

Foto: Verkehrshaus der Schweiz, Luzern<br />

Verkehrshaus der<br />

Schweiz, Luzern.<br />

Offen für Entdecker.<br />

Chocolat Frey.<br />

Unvergessliche<br />

Schokoladenmomente.<br />

Alpamare Zürichsee.<br />

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Walter Zoo, Gossau SG.<br />

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Familie.<br />

Spass, Unterhaltung und<br />

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Familie. 3000 Zeitzeugen der<br />

Verkehrsgeschichte ganz<br />

nah, TV- und Videostudio,<br />

verschiedene Bahn- und<br />

Flugsimulatoren, Multimediashows<br />

und die Swissarena<br />

machen das Verkehrshaus<br />

zum Erlebnispark und einem<br />

der beliebtesten Museen der<br />

Schweiz.<br />

sbb.ch/verkehrshaus<br />

In den beliebten Schoggi-<br />

Giesskursen können Sie<br />

nach Herzenslust mischen,<br />

dekorieren und gestalten.<br />

Auf dem Schokoladenweg<br />

entdecken Sie die Welt der<br />

Kakaobohne vom Anbau<br />

bis zur genussvollen Schokolade.<br />

Sie schulen Ihre Spürnase<br />

im Duftlabor und finden<br />

im Schokotank heraus, wer<br />

die schwerste Tafel kreiert.<br />

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Elf Rutschbahnen mit einer<br />

Gesamtlänge von über 1800<br />

Meter warten auf Abenteurer,<br />

die den Adrenalinkick suchen.<br />

Im Rio Mare lässt man sich<br />

an fantastischer Lage von<br />

der Flussströmung treiben,<br />

taucht im Indoor-Wellenbad<br />

in die Meeresbrandung oder<br />

entspannt sich in der Alpa-<br />

Therme. Erwachsene relaxen<br />

und geniessen die 36 Grad<br />

warme Jod-Sole-Therme, die<br />

Saunas oder eine Massage.<br />

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tauchen Sie ein in die exotische<br />

Tier- und Pflanzenwelt des<br />

Dschungels und geniessen Sie<br />

das Treiben der Schimpansen.<br />

Inmitten grosszügiger Weiden<br />

mit Kamelen, Lamas, Ponys<br />

und Yaks laden romantische<br />

Grillstellen zum Verweilen ein.<br />

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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi April <strong>2017</strong>9


Nie mehr<br />

Hausaufgaben?<br />

Sie sorgen in vielen Familien regelmässig für Frust und Ärger:<br />

Hausaufgaben. Sind Hausaufgaben wirklich nötig? Warum schafft<br />

man sie nicht einfach ab? Und mit welchen Tricks geht das Lernen<br />

leichter? Eine Annäherung an ein hoch emotionales Thema.<br />

Text: Claudia Landolt Bilder: Désirée Good / 13 Photo<br />

Lehrer und<br />

Schüler sind<br />

uneins, wie viel<br />

das Büffeln nach<br />

der Schule bringt.<br />

10 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>11


Dossier<br />

Dienstagnachmittag,<br />

15 Uhr 15. Fernando,<br />

12 Jahre alt, kommt<br />

nach Hause und setzt<br />

sich gleich an den<br />

Schreibtisch in seinem Zimmer. Er<br />

hat Hausaufgaben. Mathe, eines seiner<br />

Lieblingsfächer. Fernando soll<br />

Bruchteile in Quadraten benennen.<br />

Das fällt ihm leicht. Nach 20 Minuten<br />

ist er fertig. «Hausaufgaben<br />

stressen mich selten», sagt Fernando.<br />

«Ich mache sie immer sofort<br />

nach der Schule.» Seine Mutter würde<br />

liebend gerne einmal einen Blick<br />

auf seine Arbeiten werfen, doch<br />

Fernando will das nicht. «Ich lerne<br />

ja für mich selbst, nicht für meine<br />

Mutter», sagt er.<br />

Hach. Es gibt sie also, jene Kinder,<br />

für die Hausaufgaben eine Fingerübung<br />

sind, nicht mehr als ein<br />

Zeitvertreib. Für alle anderen sind<br />

Hausaufgaben alles andere: ein lästiges<br />

Übel, ein Quell des Unverständnisses,<br />

eine pädagogische Gängelei,<br />

ein Reizthema.<br />

Seit einigen Monaten ist die<br />

Debatte um Sinn und Unsinn von<br />

Hausaufgaben neu entfacht. Die<br />

Vizepräsidentin des Schweizer<br />

Schulleiterverbands, Lisa Lehner,<br />

plädierte in diesem Magazin für eine<br />

Schule ohne Hausaufgaben. Auch<br />

ihr Kollege, der Verbandspräsident<br />

Bernard Gertsch, sprach sich für<br />

Änderungen aus. Hausaufgaben, so<br />

fordert er, sollten im Sinne der<br />

Chancengleichheit zu Schulaufgaben<br />

werden. Schüler, die sich zu<br />

Hause an niemanden wenden könnten,<br />

seien nämlich durch klassische<br />

Hausaufgaben benachteiligt.<br />

Auch in anderen Ländern wird<br />

heftig über den Wert von Hausaufgaben<br />

gestritten. In Spanien werden<br />

sie bestreikt und in Israel will man<br />

sie ganz abschaffen. Das Video einer<br />

Lehrerin aus Texas, USA, in dem sie<br />

erklärt, warum sie Hausaufgaben<br />

ablehnt, wurde zum Youtube-Hit.<br />

Und in Deutschland erreicht das<br />

Thema politische Dimensionen: Die<br />

Grünen wollen zusammen mit der<br />

Landesschülervertretung Hausaufgaben<br />

gleich flächendeckend ab -<br />

schaffen.<br />

Ist es tatsächlich sinnvoll, auf<br />

Hausaufgaben zu verzichten? Was<br />

bringen Kindern Hausaufgaben und<br />

was nicht? Was wäre eine Alternative?<br />

Und was meinen Lehrpersonen<br />

dazu, was wünschen sich Kinder<br />

und deren Eltern? Diesen Fragen<br />

geht dieses Dossier nach.<br />

Die Schule ohne Hausaufgaben<br />

ist kein Hirngespinst. Es gab sie<br />

schon mal – nämlich im Kanton<br />

Schwyz. 1993 entschloss sich das<br />

Bildungsdepartement, alle Hausaufgaben<br />

abzuschaffen. Die Lerninhalte<br />

seien fortan in die Unterrichtszeit<br />

zu integrieren, die Wochenstundenzahl<br />

wurde um eine Stunde erhöht.<br />

Das machte die Kinder glücklich,<br />

nicht aber deren Eltern. Nach nur<br />

vier Jahren wurde der Versuch beerdigt<br />

– auf Druck der Eltern. Die<br />

Regierung hob die Regelung 1997<br />

wieder auf.<br />

Hausaufgaben als Kontrollmittel<br />

Eltern sind tatsächlich weniger<br />

hausaufgabenkritisch als erwartet.<br />

Viele der für dieses Dossier be -<br />

fragten Eltern gaben an, Hausaufgaben<br />

im Sinne eines Kontrollinstrumentes<br />

zu befürworten. «So<br />

1993 schaffte der Kanton<br />

Schwyz die Hausaufgaben ab;<br />

1997 führte er sie wieder ein –<br />

auf Druck der Eltern. >>><br />

12


Dossier<br />

Aus Ufzgi sollen<br />

Schulaufgaben<br />

werden, fordern<br />

Experten.<br />

13


Dossier<br />

Viele Eltern<br />

fühlen sich<br />

verpflichtet, bei<br />

Hausaufgaben<br />

zu helfen.<br />

14


Dossier<br />

Eltern helfen bei den<br />

Hausaufgaben aus Sorge,<br />

das Kind komme nicht mit<br />

im Bildungswettbewerb.<br />

«Früher hatte ich<br />

weniger Ufzgi»<br />

Die Drittklässlerin Elin, 9, fand Hausaufgaben<br />

früher einfacher: Es gab weniger. An die<br />

Umstellung musste sie sich erst gewöhnen.<br />

«Ich fand Ufzgi früher besser, da waren es weniger.<br />

Heute habe ich manchmal vier Sachen auf. Daran<br />

musste ich mich zuerst gewöhnen. Am besten kann ich<br />

Gedichte auswendig lernen. Nach den Aufgaben gehe<br />

ich am liebsten in mein Zimmer und male. Eine Schule<br />

ohne Hausaufgaben könnte ich mir sehr gut vorstellen.<br />

Meine frühere Lehrerin sagte uns oft, geht raus, eure<br />

Aufgabe heisst: Wasserschlacht! Das fand ich natürlich<br />

toll. Ich frage mich aber, ob man ganz ohne Hausaufgaben<br />

auch so schnell vorwärtskommen würde.»<br />

Das sagt ihre Mutter: «Kommen meine Kinder heim,<br />

frage ich sie oft: Habt ihr Ufzgi? Ich tue das, weil ich<br />

es sinnvoll finde, dass sie lernen, ihre Zeit einzuteilen<br />

und sich zu organisieren. Das Priorisieren von Arbeiten<br />

lernen die Kinder in der Schule nämlich nicht. So ist<br />

es schon mal vorgekommen, dass es dann plötzlich<br />

am Freitagnachmittag einen regelrechten Hausaufgabenstau<br />

gab – was zu Frust bei allen Beteiligten<br />

führte. Das möchte ich natürlich verhindern. Elin<br />

erledigt viel selbständig. Ihr älterer Bruder auch, vor<br />

allem seit er einen neuen Lehrer hat. Dank Wochenplänen<br />

hat er gelernt, seine Aufgaben zu strukturieren.<br />

Früher gab es deswegen oft ein Gstürm.»<br />

>>> weiss ich ungefähr, wo mein<br />

Sohn steht», sagt eine Mutter. Hausaufgaben<br />

stellen eine Verbindung<br />

zwischen der Schule und dem<br />

Elternhaus her. Oder wie es in einem<br />

Merkblatt des Kantons Luzern<br />

heisst: «Hausaufgaben sind ein<br />

Fenster zur Schule und geben den<br />

Eltern Einblick, was dort läuft.»<br />

Manche Mütter und Väter belassen<br />

es nicht dabei. Eine Studie des<br />

deutschen Pädagogen Thomas<br />

Hardt zeigt, dass Eltern ihren Kindern<br />

regelmässig bei den Hausaufgaben<br />

helfen. Sie wollen, dass diese<br />

gut erledigt werden. Sie tun das aus<br />

Sorge, ihr Kind könnte im Bildungswettbewerb<br />

nicht bestehen. So be ­<br />

werten 56 Prozent der Eltern die<br />

Tatsache, dass ein Kind pro Tag<br />

weniger als eine Stunde Hausaufgaben<br />

erledigen muss, als Indiz dafür,<br />

dass dieses Kind von der Schule<br />

nicht ausreichend gefordert wird.<br />

Eltern wuchsen mit Ufzgi auf<br />

Das nur der elterlichen Bildungsbeflissenheit<br />

zuzuschreiben, wäre aber<br />

falsch, meint der Bildungsjournalist<br />

und Buchautor Armin Himmelrath.<br />

«Schliesslich wird Eltern seit Jahrzehnten<br />

eingetrichtert, dass das<br />

häusliche Pauken am Nachmittag, in<br />

den Abendstunden und am Wochenende<br />

irgendwie der Reifung und<br />

Bildung der Kinder dient.» (Siehe<br />

auch Interview auf Seite 32.)<br />

Tatsächlich sind Hausaufgaben<br />

schon lange ein pädagogisches In ­<br />

strument. Bereits in Schulordnungen<br />

aus dem 15. Jahrhundert werden<br />

diese Arbeitspflichten erwähnt und<br />

>>><br />

geregelt. Hausaufgaben dien­<br />

15


Dossier<br />

Elterliche Einmischung ist<br />

leider schlecht, weil sie das<br />

Selbstbewusstsein untergräbt.<br />

>>> ten schon damals dazu, Kindern<br />

das selbständige Arbeiten einzuüben<br />

und den in der Schule<br />

behandelten Stoff eigenständig<br />

nachzuarbeiten und zu vertiefen.<br />

Daran hat sich wenig geändert.<br />

Nahezu der gleiche Wortlaut findet<br />

sich fast zwei Jahrhunderte später in<br />

einem Merkblatt des Kantons Zürich<br />

zur Volksschule: «Kinder lernen<br />

durch Hausaufgaben selbständig zu<br />

lernen, sich die Arbeitszeit einzuteilen<br />

und Verantwortung für das Lernen<br />

zu übernehmen.»<br />

Grosses Konfliktpotenzial<br />

Doch die Gesellschaft hat sich radikal<br />

verändert. Die Grossfamilie existiert<br />

kaum mehr, Alleinerziehende<br />

oder Patchworkfamilien haben sich<br />

etabliert, und Mütter und Väter<br />

gehen beide ihren Berufen nach.<br />

Solche Formulierungen zu den<br />

Hausaufgaben gehen jedoch von<br />

einem optimalen Zustand aus, der<br />

mit der heutigen Realität oft wenig<br />

zu tun hat. So kritisiert Jürg Brühlmann<br />

von der Pädagogischen Ar ­<br />

beitsstelle des Dachverbands Schweizer<br />

Lehrerinnen und Lehrer LCH in<br />

der «NZZ»: «Viele Kinder können<br />

die Aufgaben zu Hause kaum erledigen,<br />

weil sie kein eigenes Zimmer<br />

haben, der Fern seher läuft oder die<br />

Geschwister stören.»<br />

Klassische Hausaufgaben bergen<br />

viel Konfliktpotenzial: zum einen,<br />

weil sie zeitaufwendig sind und<br />

nicht alle Kinder verstehen, was<br />

genau sie zu erledigen haben; zum<br />

anderen, weil niemand da ist, der<br />

ihnen helfen könnte, oder die Lernatmosphäre<br />

für sie nicht stimmt.<br />

Und dort, wo jemand zu Hause ist,<br />

kommt es womöglich zu Konflikten,<br />

weil Eltern unweigerlich in die Rolle<br />

des Hilfslehrers schlüpfen. Sie<br />

kontrollieren oder versuchen, die<br />

Hausaufgaben zu verstehen, mahnen,<br />

drohen und sanktionieren mit<br />

Fernseh- oder Handyentzug aus<br />

Sorge, das Kind könnte die Aufgaben<br />

nicht machen oder vergessen,<br />

was vielerorts einen Verweis oder<br />

mindestens einen Eintrag im Pflichtenheft<br />

zur Folge hat.<br />

Diese elterliche Einmischung ist<br />

grundsätzlich schlecht. Zu diesem<br />

Schluss kommt eine Studie, in der<br />

1700 Eltern und Schüler über einen<br />

längeren Zeitraum befragt wurden.<br />

Das Resultat – erschienen im «Journal<br />

of Educational Research» >>><br />

Wann sind Hausaufgaben verboten?<br />

In der Schweiz sind Hausaufgaben vom<br />

Vormittag auf den Nachmittag, vom Vortag<br />

eines Feiertags auf den nächsten Schultag<br />

und über die Ferien nicht erlaubt. Ob sie<br />

übers Wochenende und über einen freien<br />

Nachmittag beispielsweise zulässig sind,<br />

ist strittig. So sieht das Schulreglement des<br />

Kantons Zug etwa vor, dass sie vom Freitag<br />

auf den Montag verboten sind, während<br />

der Kanton Zürich dies lascher handhabt.<br />

Experten sind sich einig, dass sie über einen<br />

freien Nachmittag nicht erteilt werden<br />

sollten, weil dies dem Anspruch der Kinder<br />

auf Erholung und Freizeit entgegensteht.<br />

«Auch Kinder haben den Feierabend verdient»,<br />

sagt etwa Gabriel Romano, Erziehungswissenschaftler,<br />

in einem Interview.<br />

Umso mehr, als die Lektionenzahl derart<br />

zugenommen hat, dass sich Hausaufgaben<br />

erübrigt hätten, weil die Schüler tagsüber<br />

genug lernten: «Die Volksschule ist ein<br />

Fulltime-Job.»<br />

16


Dossier<br />

Hausaufgaben<br />

sind seit<br />

Einführung der<br />

Schulpflicht<br />

Standard.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>17


Dossier<br />

«Knatsch bei den<br />

Hausaufgaben –<br />

das muss nicht sein»<br />

Die neun besten Tipps, wenn<br />

Hausaufgaben ein Reizthema sind –<br />

von STEP-Kursleiterin Liselotte Braun.<br />

1 Machtkämpfe um Ufzgi<br />

Hausaufgaben sind in erster Linie eine<br />

Sache zwischen Kind und Lehrperson. Viele<br />

Eltern fühlen sich jedoch voll dafür verantwortlich.<br />

Aus Angst um die beruflichen<br />

Chancen ihrer Kinder üben sie bewusst<br />

oder unbewusst Druck aus. Dies bewirkt<br />

meist Widerstand, und es entsteht ein<br />

Machtkampf. Wenn Eltern Verantwortung<br />

abgeben und das Kind ermutigen, selbstverantwortlich<br />

die Ufzgi zu machen, ist<br />

das Kind kooperativer. Es wird in seinem<br />

Selbstbewusstsein gestärkt und lernt für<br />

die Zukunft.<br />

2 Was tun, wenn es eskaliert?<br />

Bei Konflikten gilt erst einmal: sich<br />

beruhigen, durchatmen, das Kind nicht<br />

anschreien. Das Bewusstsein, dass Hausaufgaben<br />

nicht in der Verantwortung der<br />

Eltern sind, hilft, dem Kind in Ruhe zu<br />

begegnen. So können Eltern die Unlust<br />

oder die Wut des Kindes akzeptieren: «Es<br />

sieht so aus, als hättest du überhaupt<br />

keinen Bock, die Ufzgi zu machen – weil es<br />

so viele oder weil sie so schwierig sind?»<br />

Dadurch fühlt sich das Kind verstanden.<br />

Vielleicht äussert es dann plötzlich, was<br />

eigentlich der Hintergrund seiner Unlust<br />

ist. Oder die Lösung besteht darin, die<br />

Hausaufgaben auf später zu verschieben.<br />

Mit der respektvoll ausgesprochenen<br />

Aussage «Du kannst die Ufzgi machen,<br />

dann hast du alles erledigt, oder du machst<br />

sie nicht und riskierst einen Eintrag – du<br />

entscheidest», übertragen die Eltern dem<br />

Kind die Verantwortung, und es lernt aus<br />

den Folgen seiner Entscheidung.<br />

3 Angst vor einem Verweis<br />

Viele Eltern wollen das Kind vor einem<br />

negativen Erlebnis wie z. B. einem Verweis<br />

bewahren. Sie nehmen ihm aber damit<br />

die Erfahrung, welche Folgen seine Entscheidung<br />

hat. Eine solche Erfahrung darf<br />

man dem Kind zutrauen. Wichtig ist, dass<br />

Eltern bei einem negativen Erlebnis nicht<br />

moralisieren und sagen: «Siehst du, ich<br />

habs dir ja gesagt!»<br />

4 Hausaufgaben dauern lang<br />

Dafür gibt es verschiedene Gründe.<br />

Manchmal macht das Kind zu viele Hausaufgaben,<br />

weil ihm der Auftrag nicht klar<br />

ist oder es etwas falsch verstanden hat. Oft<br />

erlebe ich auch, dass das Kind mit diesem<br />

Verhalten die Aufmerksamkeit der Eltern<br />

sucht. Es denkt: «Wenn ich Probleme habe,<br />

sind meine Eltern da und haben Zeit für<br />

mich.» Oder aber seine Erfahrung lehrt es,<br />

dass die Eltern schliesslich die Aufgaben<br />

lösen. Es gibt aber auch Kinder, die überfordert<br />

und sehr entmutigt sind, weil sie die<br />

erwartete Leistung nicht erbringen können.<br />

Weiter überschätzen Eltern oft die Konzentrationsfähigkeit<br />

des Kindes. Hilfreich<br />

ist es, immer wieder mal eine kurze Pause<br />

einzuschieben.<br />

5 Elterliche Hilfe – ja oder nein?<br />

Eltern helfen manchmal, damit das Kind<br />

schneller fertig ist. Doch so lernt es nicht,<br />

auch mal an etwas dranzubleiben. Andere<br />

Eltern helfen, um bei der Lehrperson einen<br />

guten Eindruck zu machen. Die Lehrperson<br />

weiss dann aber nicht, was das Kind<br />

18 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

Laut Studien<br />

sind Qualität und<br />

Menge der Ufzgi<br />

entscheidend für<br />

die Motivation.<br />

Hausaufgaben sind schlicht<br />

und einfach «Hausfriedensbruch»,<br />

schreibt «Der Spiegel».<br />

>>> – besagt, dass sowohl die Leistungsentwicklung<br />

im Lesen als auch<br />

die Deutschnoten bei Kindern,<br />

deren Eltern häufig bei den Hausaufgaben<br />

halfen, schlechter ausfallen.<br />

Ausserdem untergraben diese<br />

Einmischungsversuche die Selbständigkeit<br />

der Schüler.<br />

Eingriff in den Familienalltag<br />

Den Eltern werde zu viel pädagogische<br />

Verantwortung übertragen,<br />

lautet ein weiterer Vorwurf der<br />

Hausaufgabengegner. Armin Himmelrath<br />

sagt, mit Hausaufgaben bürdeten<br />

Lehrpersonen den «Eltern die<br />

Verantwortung für das Gelingen der<br />

kindlichen Schullaufbahn in einem<br />

Mass auf, wie das aus schulpädagogischer<br />

Sicht zwar seit Jahrhunderten<br />

praktiziert wird, erziehungswissenschaftlich<br />

aber kaum seriös zu<br />

begründen ist». Das sei, um das<br />

berühmte Bonmot des Nachrichtenmagazins<br />

«Der Spiegel» zu zitieren,<br />

schlicht und einfach «Hausfriedensbruch».<br />

Dass Eltern die Hausaufgaben<br />

überwachen, miterledigen und<br />

sich für die schulische Heimarbeit<br />

ihrer Kinder verantwortlich fühlen,<br />

ist nicht erst seit <strong>2017</strong> Alltag.<br />

Wenn Hausaufgaben Bestandteil<br />

der Erziehung sind, kann das in vielen<br />

Familien ein tägliches Ärgernis<br />

darstellen. Das Kind hat keine >>><br />

effektiv verstanden hat. Sinnvoller ist es,<br />

bei andauernden Problemen das Gespräch<br />

mit der Lehrperson zu suchen.<br />

6 Danebensitzen – ja oder nein?<br />

Keinesfalls sollten Eltern die ganze Zeit<br />

neben dem Kind sitzen. Das vermittelt<br />

dem Kind das Gefühl: «Ich kann es nicht<br />

allein.» Wenn das Kind die Hausaufgaben<br />

noch nicht selbständig erledigt, können<br />

die Eltern fragen, was an Hausaufgaben<br />

ansteht, und das Kind entscheidet, womit<br />

es beginnen will. Bei konkreten Fragen<br />

können Eltern natürlich Hilfe bieten. Die<br />

Initiative muss jedoch vom Kind kommen.<br />

Viele Kinder mögen es, die Aufgaben dort<br />

zu erledigen, wo sich die Mutter, der Vater<br />

oder die Geschwister aufhalten. Oft ist das<br />

der Küchen- oder Wohnzimmertisch.<br />

7 Ufzgi gehen vergessen, die Lust fehlt<br />

Dann kann man fragen: Was würde dir<br />

helfen, dran zu denken? Was macht dir<br />

denn genau keine Lust? Oder man schreibt<br />

zusammen mit dem Kind eine To-do-Liste<br />

mit den verschiedenen Hausaufgaben,<br />

inklusive Pausenzeiten. Manche Kinder<br />

spornt es an, die erledigten Sachen<br />

abhaken zu können.<br />

8 Das kapier ich ja doch nicht!<br />

Entmutigte Kinder benötigen viel Ermutigung,<br />

schon die kleinste Bemühung sollte<br />

beachtet und positiv bestätigt werden. Mit<br />

der Zeit sind die Eltern manchmal selber<br />

entmutigt oder hilflos. Das spürt das Kind<br />

und wird noch entmutigter. Oft ist da eine<br />

externe Aufgabenhilfe sinnvoll. Wichtig ist<br />

auch, dass sich Eltern Hilfe holen. Oft sind<br />

Hausaufgaben auch ein möglicher Punkt,<br />

um bestehende Spannungen auszutragen.<br />

Wenn es etwa Krach in der Schule gab, oder<br />

das Kind sich von einer Lehrperson oder<br />

den Eltern nicht verstanden fühlt. Dann<br />

ist es wichtig, dass die Eltern dem Kind<br />

zuhören und seine Gefühle ernst nehmen.<br />

9 Feste Zeiten – ja ode nein?<br />

Es ist sicher hilfreich, wenn es eine<br />

gewisse Routine gibt. Kinder sind jedoch<br />

unterschiedlich. Manche brauchen Unterstützung,<br />

wie z. B. einen Arbeitsplan.<br />

Andere sind sehr selbständig, da reicht<br />

es zu fragen: «Wann machst du die Hausaufgaben,<br />

vor oder nach dem Spielen? Du<br />

entscheidest.» Die Abmachung sollte dann<br />

auch eingehalten werden.<br />

Die wichtigsten Tipps<br />

zusammengefasst<br />

Bei Konflikten sich nicht in einen Machtkampf<br />

einlassen, dem Kind etwas zutrauen<br />

und ihm die Verantwortung übergeben. Nur<br />

Unterstützung geben, wo es wirklich nötig<br />

ist. Die Gefühle des Kindes ernst nehmen<br />

und auch kleine Fortschritte bemerken.<br />

STEP<br />

Das Systematische Training für Eltern<br />

und Pädagogen (STEP) basiert auf<br />

liebevoll-konsequenter Erziehung,<br />

Anerkennung und Ermutigung. Ziel ist,<br />

das Selbstvertrauen von Eltern und<br />

Kindern zu stärken, sodass Eltern lernen,<br />

dem Entwicklungsprozess der Kinder zu<br />

vertrauen und sie dabei zu begleiten, zu<br />

fordern und zu fördern. Grundlage von<br />

STEP ist die Individualpsychologie nach<br />

Alfred Adler und Rudolf Dreikurs.<br />

www.instep-online.ch<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>19


Dossier<br />

Besonders für Mütter und<br />

Väter von schulmüden<br />

Kindern sind Hausaufgaben<br />

ein ständiges Reizthema.<br />

>>> Lust, nach sieben Lektionen<br />

noch Wörter abzuschreiben. Es ist<br />

ihm nicht ganz klar, wie viel wirklich<br />

zu erledigen ist, und es telefoniert<br />

bei seinen Freunden herum. Es<br />

kriegt die Krise, wenn es die Aufgaben<br />

in der Schule vergessen hat.<br />

Oder es schafft es einfach nicht, diese<br />

in einer angemessenen Zeit zu<br />

erledigen.<br />

Eine Mutter klagt, dass Hausaufgaben<br />

zu Hause ein ständiger Reibungspunkt<br />

seien. Wenn sie nicht<br />

ständig nachfrage, ob ihr Sohn<br />

Hausaufgaben erledigen müsse,<br />

«läuft da nur wenig». Hausaufgaben<br />

seien etwas, was man immer im<br />

Auge behalten müsse, auch am<br />

Wochenende. Das dränge sie in die<br />

Rolle der Ermahnerin und führe zu<br />

Unwohlsein. Eine andere Mutter<br />

klagt, ihr 13-jähriges Kind habe mit<br />

den täglichen Hausaufgaben und<br />

dem Büffeln für Tests sowie dem<br />

Sporttraining und Musikunterricht<br />

in der 6. Klasse ein «sehr, sehr» grosses<br />

Pensum.<br />

Wie viel ist erlaubt?<br />

Wie viele Hausaufgaben erlaubt sind,<br />

entscheiden die Kantone. Diese sind<br />

laut Bundesverfassung für die Schulrechte<br />

zuständig. Sie nehmen ihre<br />

Kompetenz aber unterschiedlich<br />

wahr und haben das Schulwesen oft<br />

nicht bis ins letzte Detail geregelt. Es<br />

existiert kein Bundesgesetz, das bei<br />

Hausaufgaben eine zeitliche Begrenzung<br />

vorsieht. Fehlen auch im kantonalen<br />

Schulrecht Richtlinien zur<br />

maximalen Belastung der Schülerinnen<br />

und Schüler, kommt das Arbeitsgesetz<br />

zur Anwendung. Es schreibt<br />

für Jugendliche ab 15 Jahren >>><br />

«Wörtli lerne<br />

ich gern»<br />

Emilia, 10, und ihr Bruder Giacomo,<br />

8, erledigen die Ufzgi am liebsten<br />

mit ihren Freunden.<br />

Emilia: «Wörtlilernen mache ich lieber<br />

als Matheaufgaben, denn da habe<br />

ich oft noch Fragen. Ich arbeite nach<br />

Wochenplan, das finde ich anstrengend,<br />

weil es oft nach Stress aussieht. Andererseits<br />

hilft es mir, die Aufgaben einzuteilen.<br />

Es stört mich aber, wenn eine Fachlehrerin<br />

dann noch Ufzgi auf den Wochenplan<br />

der Hauptlehrerin dazugibt. Am liebsten<br />

mache ich sie mit meinen Freundinnen.»<br />

Giacomo: «Lesen ist meine liebste<br />

Hausaufgabe, Arbeitsblätter in Mathe<br />

mache ich am wenigsten gern, nur<br />

Logicals finde ich cool. Ich vergesse die<br />

Ufzgi höchstens, wenn ich Fussballtraining<br />

habe. Sowieso erledige ich alles in der<br />

Aufgabenstunde im Hort, damit ich<br />

nachher frei habe und spielen kann.»<br />

Das sagt ihr Vater: «Hausaufgaben<br />

abschaffen? So weit würde ich nicht<br />

gehen. Was ich als Problem erachte, ist die<br />

Menge. Zweit- und Viertklässler haben ein<br />

Mengengerüst zu bewältigen, das ihnen<br />

jegliche Freizeit raubt, den guten wie<br />

den weniger guten Schülerinnen, reinste<br />

Fleissarbeit. Viele haben ja noch das<br />

eine oder andere Hobby. Und so sitzen<br />

sie dann bis spät oder am Wochenende<br />

hinter den Büchern, anstatt zu schlafen<br />

oder mit anderen Kindern ihre Freizeit<br />

zu verbringen. Oft braucht es auch die<br />

Hilfe der Eltern. Es darf aber nicht davon<br />

ausgegangen werden, dass Eltern ihren<br />

Kindern dabei dunter die Arme greifen<br />

müssen. Das ist nicht der Job der Eltern.<br />

Zudem tun sich hier gesellschaftliche<br />

Ungleichheiten auf.»<br />

20


Dossier<br />

Auch bei den Ufzgi<br />

helfen ältere<br />

Geschwister oft<br />

den jüngeren, sagt<br />

die Forschung.<br />

21


Dossier<br />

Im Schnitt<br />

wenden<br />

Schweizer Kinder<br />

vier Stunden pr o<br />

Woche für Ufzgi<br />

auf.<br />

22 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


eine Höchstarbeitszeit von<br />

täglich 9 Stunden vor, die innerhalb<br />

eines Zeitraumes von 12 Stunden<br />

liegen soll. Bei 14-Jährigen liegt die<br />

Höchstarbeitszeit bei 40 Stunden.<br />

Für jüngere Kinder muss dieser Wert<br />

entsprechend tiefer liegen. Im Schulalltag<br />

eingebürgert hat sich folgende<br />

Praxis: 10 Minuten pro Klassenstufe<br />

und pro Tag. Ein Erstklässler sollte<br />

also nicht mehr als 10 Minuten pro<br />

Tag, ein Sechstklässler höchstens 60<br />

Minuten pro Tag an den Hausaufgaben<br />

sitzen (Prüfungsvorbereitung<br />

inklusive).<br />

Das entspricht den Zahlen der<br />

OECD-Studie aus dem Jahr 2012.<br />

Sie untersuchte in 38 Ländern der<br />

Welt, wie viel Zeit pro Woche für<br />

Hausaufgaben aufgewendet wird.<br />

Das Ergebnis: in der Schweiz 4 Stunden<br />

pro Woche, in Finnland 3, in<br />

Russland 9, in Deutschland und<br />

Frankreich knapp 5 Stunden.<br />

Geringe Wirksamkeit<br />

Ob Hausaufgaben etwas bringen, ist<br />

umstritten. Neue Studien zeigen:<br />

Manchen schaden sie sogar. Der<br />

neuseeländische Pädagoge John Hattie<br />

gilt als Referenz auf diesem Ge -<br />

biet. In seinem Buch «Lernen sichtbar<br />

machen» trug er Befunde aus<br />

über 50 000 Studien mit mehr als 80<br />

Millionen Schülern zusammen. Er<br />

wollte herausfinden, welche Voraussetzungen<br />

und Bedingungen Kindern<br />

beim Lernen helfen.<br />

Faktoren, die den Lernerfolg fördern,<br />

sind beispielsweise eine gute<br />

Schüler-Lehrer-Beziehung oder<br />

bestimmte Lerntechniken wie wiederholendes<br />

Lesen. Hausaufgaben<br />

fördern den Lernerfolg dagegen nur<br />

sehr wenig. Und selbst dieser >>><br />

Studien zeigen:<br />

Hausaufgaben haben nicht<br />

den erhofften Lerneffekt.<br />

23


Dossier<br />

Hausaufgaben machen<br />

Schüler nicht klüger und<br />

auch nicht dümmer.<br />

>>> geringe Nutzen ist mit Vorsicht<br />

zu betrachten. Denn er hängt vom Zeitaufwand<br />

ab, den die Schülerinnen und<br />

Schüler in ihre Hausarbeiten investieren<br />

müssen. Je mehr Aufwand, desto<br />

geringer sei der Profit, lautet Hatties<br />

Fazit. Profitieren würden im Durchschnitt<br />

vor allem ältere und leistungsstärkere<br />

Schüler.<br />

Auch Armin Himmelrath hat für<br />

sein Buch «Hausaufgaben, nein danke»<br />

unzählige Studien untersucht. «Aus<br />

wissenschaftlicher Sicht gibt es keine<br />

einzige Studie, die belegt, dass Leistung<br />

oder Wissen durch das systematische<br />

Erledigen von Hausaufgaben gesteigert<br />

werden kann», fasst er zusammen. «Im<br />

Gegenteil: Selbstwirksamkeitserfahrungen,<br />

Motivationssteigerungen,<br />

Selbststrukturierung bleiben in aller<br />

Regel auf der Strecke.»<br />

«Ohne Ufzgi wäre mein<br />

Thek leichter»<br />

Die beiden Fünftklässlerinnen Simin, knapp 11,<br />

und Marilu, 11, würden die Hausaufgaben lieber<br />

in einer zusätzlichen Stunde in der Schule<br />

erledigen.<br />

Simin: «Ich frage mich, wer Hausaufgaben erfunden<br />

hat. Ich fände es viel besser, wenn man alle Ufzgi in der<br />

Schule machen könnte. Dann hätte ich mehr Zeit für<br />

mich, zum Musikmachen, Spielen oder um mich mit<br />

Freundinnen zu treffen. Ausserdem wäre dann mein<br />

Thek nicht so schwer. Ich mache Hausaufgaben nicht<br />

allzu gern und bin froh, dass wir nicht so viele haben.<br />

Dass es einen Eintrag gibt, wenn man sie vergessen hat,<br />

finde ich nicht gut. Auch regt es mich auf, wenn Eltern<br />

sich immer in die Hausaufgaben einmischen.»<br />

Marilu: «Ich mache sehr gern Hausaufgaben, aber<br />

manchmal finde ich es sehr anstrengend, neben dem<br />

vielen Training nicht nur den Schulstoff nachzuholen,<br />

sondern auch noch Hausaufgaben zu machen. Dann<br />

denke ich wieder, ohne das alles wäre mir doch recht<br />

langweilig! Um meine Zeit gut einzuteilen, mache ich<br />

Ufzgi auf dem Weg ins Training, im Zug oder im Auto. Ich<br />

will mindestens zwei Tage die Woche ohne Aufgaben und<br />

Training sein. Meistens mache ich meine Ufzgi allein.<br />

Nacharbeiten erledige ich mit Mama. Manchmal geht es<br />

besser mit meinem Papa oder mit meinem Gotti.»<br />

Hausaufgaben abschaffen?<br />

Pädagogen an den Hochschulen plädieren<br />

schon lange für die Abschaffung der<br />

Hausaufgaben. Als eine «heilige Kuh»,<br />

an der nicht gerüttelt werden darf, als<br />

eine «Pille mit fast ausschliesslich negativen<br />

Nebenwirkungen» bezeichnet sie<br />

ein Dozent einer Fachhochschule. Er<br />

möchte aus Angst vor Repressionen<br />

anonym bleiben. Hausaufgaben brauche<br />

es nicht, sagt er, man könne sie<br />

getrost weglassen. Denn: Die Schüler<br />

würden nicht klüger und auch nicht<br />

dümmer.<br />

Auch Lehrpersonen, Pädagogen an<br />

der Front, stellen die klassischen Hausaufgaben<br />

infrage. In der Recherche zu<br />

diesem Dossier sprachen wir mit<br />

unzähligen Lehrpersonen, die Hausaufgaben<br />

in neuen Formen zu >>><br />

24


Dossier<br />

Erwachsene<br />

überschätzen<br />

die Fähigkeit der<br />

Kinder, sich zu<br />

konzentrieren.<br />

Pausen sind<br />

notwendig.<br />

25


Dossier<br />

26 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

>>> integrieren versuchen. Einige<br />

Beispiele:<br />

• Eine Mittelstufenlehrerin unterwandert<br />

das System, indem sie<br />

ihren Schülern nur noch selten<br />

Hausaufgaben erteilt. Stattdessen<br />

sagt sie: Geht raus, spielt!<br />

• Ein Oberstufenlehrer unterrichtet<br />

in Arbeitseinheiten, in<br />

denen Aufgaben integriert sind.<br />

Seine Teamkollegen halten auf<br />

einer grossen Tafel alle Aufgaben<br />

fest. Das verhindert, dass<br />

Kinder an manchen Tagen<br />

gleich dreifach Hausaufgaben<br />

Hausaufgaben abschaffen<br />

bedeutet, den Unterricht<br />

grundlegend zu ändern.<br />

Dazu sind nicht alle bereit.<br />

zu erledigen haben, an anderen<br />

Tagen hingegen gar keine.<br />

• Ein Lehrer glaubt, das Thema<br />

sei deshalb nicht totzukriegen,<br />

weil Lehrpersonen mittels<br />

Hausaufgaben die unterschiedlichen<br />

Arbeitsgeschwindigkeiten<br />

der Schüler ausgleichen<br />

könnten. Wenn Kinder zu Hause<br />

den Stoff aufholen, kann die<br />

Lehrperson anderntags in der<br />

gesamten Lerngruppe dieselbe<br />

Geschwindigkeit und dasselbe<br />

Niveau an den Tag legen. Die<br />

Hausaufgaben abzu­ >>><br />

Hausaufgaben in der Schule –<br />

welche Alternativen gibt<br />

es bereits?<br />

In der Gemeinde Neuheim ZG wurde<br />

schon vor einigen Jahren eine Eltern-<br />

Lehrer-Gruppe gegründet, die unter<br />

anderem zwei Mal pro Woche kostenlose<br />

Hausaufgaben betreuung für<br />

Primarschulkinder anbietet. Das<br />

Gymnasium Bäumlihof in Basel hat<br />

2010 begonnen, ganze Klassen ohne<br />

Stundenplan zu unterrichten, und<br />

Hausaufgaben durch Schulaufgaben<br />

ersetzt. Diese werden in der sogenannten<br />

individuellen Lernzeit erledigt. Bereits<br />

etabliert hat sich an vielen Schulen die<br />

sogenannte Aufgabenhilfe oder<br />

Aufgabenstunde im Hort. Dabei können<br />

Kinder nach dem regulären Unterricht<br />

oder als Freifach Aufgaben und Prüfungsvorbereitungen<br />

mit qualifiziertem<br />

Personal erledigen. Die Aufgabenhilfe<br />

ist aber nicht überall kostenfrei.<br />

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Dossier<br />

Sind Kinder ohne<br />

Hausaufgaben<br />

motivierter und<br />

glücklicher? Das<br />

ist die zentrale<br />

Frage.<br />

28


Dossier<br />

«Ufzgi stressen<br />

mich selten»<br />

Der Sechstklässler Fernando, 12,<br />

erledigt seine Hausaufgaben<br />

immer gleich nach Schulschluss.<br />

«Ich habe eine sehr nette Lehrerin. Sie<br />

gibt uns nicht viele Hausaufgaben. Einen<br />

Teil davon können wir bereits in der<br />

Schulstunde erledigen. Meine erledige<br />

ich immer sofort nach der Schule und<br />

brauche dafür maximal eine halbe<br />

Stunde. Meine liebsten Fächer sind<br />

Deutsch und Mathe. Nur am Montag, da<br />

stressen mich Hausaufgaben. Da habe<br />

ich bis 17 Uhr Schule und anschliessend<br />

noch Fussballtraining. Da bin ich müde<br />

und habe sie deswegen auch schon<br />

vergessen, das gibt dann ein Strichli.<br />

Hat man sechs, wird man sanktioniert.<br />

Notendoping durch Nachhilfe<br />

Ein weiterer Aspekt der Hausaufgabendiskussion<br />

ist, dass eine ganze Branche<br />

von den Arbeiten lebt, welche Lehrerinnen<br />

und Lehrer delegieren: der Nachhilfemarkt.<br />

Er würde ohne Hausaufgaben<br />

erheblich schrumpfen. In der Schweiz<br />

braucht jeder dritte Schüler Nachhilfe,<br />

um die Hausaufgaben und Prüfungen zu<br />

schaffen. Die Nachhilfequote in der 8. und<br />

9. Klasse ist innerhalb von drei Jahren von<br />

knapp 30 auf 34 Prozent angestiegen,<br />

wie der Bildungsforscher Stefan Wolter<br />

in einem Interview mit der «Sonntags­<br />

Zeitung» sagte. Insgesamt 63 000<br />

Jugendliche müssen nach Unterrichtsschluss<br />

die Schulbank drücken. Das<br />

schaffen aber nur Gutverdienende: Für<br />

das Notendoping auf der Oberstufe<br />

blättern Eltern in der Schweiz pro Jahr<br />

«100 bis 300 Millionen Franken» hin,<br />

schätzt Bildungsexperte Wolter.<br />

Das möchte ich natürlich vermeiden.<br />

Ich habe aber Kollegen, die arbeiten viel<br />

länger an den Aufgaben als ich. Eine<br />

Schule ohne Aufgaben fänd ich natürlich<br />

klasse, obwohl ich damit keine Probleme<br />

habe.»<br />

Das sagt seine Mutter: «Ich bin<br />

unglaublich stolz, wie selbständig<br />

Fernando seine Hausaufgaben erledigt.<br />

Er will auf keinen Fall, dass ich mich einmische<br />

oder ihn gar kontrolliere. Daran<br />

halte ich mich. Nur wenn er zwei oder<br />

drei Wochen mal gar nichts von Aufgaben<br />

oder einem Test erzählt, hake ich nach.<br />

Und Französischwörter, die darf ich ihn<br />

auch abfragen. Wenn ich so zurückdenke,<br />

habe ich eigentlich nie kontrolliert. Als<br />

er jünger war, fragte ich dann und wann<br />

mal nach, aber nie extrem und schon<br />

gar nicht täglich. Ich finde auch, dass er<br />

genug Zeit hat, um zu spielen und rauszugehen.»<br />

>>> schaffen, hiesse folglich, den<br />

Unterricht grundlegend zu<br />

ändern. Dazu seien viele nicht<br />

bereit.<br />

Personalisierte Hausaufgaben<br />

Entscheidend ist auch die Qualität.<br />

Laut Ulrich Trautwein von der Universität<br />

Tübingen ist sie ein entscheidender<br />

Faktor für die Lern- und<br />

Schulkarriere. In Mathematik etwa<br />

falle der Lernerfolg höher aus, wenn<br />

die Lehrpersonen sich auch für den<br />

Lösungsweg interessierten, selbst<br />

wenn dieser Fehler aufweise. Denselben<br />

Effekt erzielt man, wenn<br />

Schüler bei Hausaufgaben über<br />

etwas Neues nachdenken müssen.<br />

Und Schüler gaben an, vom Nutzen<br />

der Hausaufgaben überzeugt zu sein,<br />

wenn diese ihrer Meinung nach gut<br />

vorbereitet und in den Unterricht<br />

integriert sind. Das bedeutet in der<br />

heutigen Schülerwelt vor allem eins:<br />

Individualisierung. «Hausaufgaben<br />

müssten personalisiert werden. Die<br />

Lehrer sollen die Schüler dort abholen,<br />

wo sie gerade sind», sagt Christoph<br />

Schmid, Professor an der Pädagogischen<br />

Hochschule Zürich.<br />

Denn Schüler würden manchmal in<br />

Sachen Selbständigkeit und -disziplin<br />

überschätzt. «Dabei ist der Sinn<br />

der Hausaufgaben ja, dass die Kinder<br />

Vertrauen in ihr Können gewinnen<br />

und Erfolgserlebnisse haben.»<br />

Das ist in manchen Schulen<br />

schon Alltag. Die deutsche Gesamtschule<br />

Barmen in Wuppertal erhielt<br />

2015 den Deutschen Schulpreis, weil<br />

sie möglich macht, «dass alle an ihr<br />

Ziel kommen», wie es in der Laudatio<br />

hiess. Dort dauert die Schulstunde<br />

60 statt 45 Minuten. Haus- >>><br />

Der Sinn von Hausaufgaben<br />

ist, dass Kinder Vertrauen<br />

in ihr Können gewinnen.<br />

29


Dossier<br />

Aufgaben in den<br />

Unterricht<br />

einbauen hiesse,<br />

dass daheim nur<br />

noch für Tests<br />

gelernt würde.<br />

3 Fragen<br />

an Achim Arn, der in Wil SG mit<br />

seiner Kollegin Darinka Egli eine<br />

altersgemischte, integrative<br />

Unterstufen klasse unterrichtet. Bei<br />

ihnen bestimmen die Schülerinnen<br />

und Schüler die Menge und das<br />

Niveau der Hausaufgaben selbst.<br />

«Hausaufgaben<br />

sollen Freude<br />

machen»<br />

Herr Arn, wie sieht das Hausaufgabenkonzept<br />

Ihrer Klasse aus?<br />

Erstens: Das Kind muss die Hausaufgabe<br />

wollen! Die Motivation liegt also beim<br />

Kind. Zweitens: Es muss sich darin kompetent<br />

fühlen, es muss sich das, was es<br />

zu Hause arbeiten soll, vorstellen können<br />

und sich darin sicher fühlen. Drittens: Die<br />

Hausaufgaben entstehen aus dem, was<br />

im Unterricht entsteht, und fliessen auch<br />

da wieder hinein. Viertens soll das Kind<br />

Anerkennung erhalten. Es bekommt ein<br />

Feedback zu dem, was es erarbeitet hat.<br />

Die Schüler erhalten von uns also nichts<br />

aufgebrummt, sondern das Angebot, etwas<br />

Sinnvolles für sich zu arbeiten. Die Hausaufgaben<br />

sollen ihnen Freude machen!<br />

Wie sieht das in der Praxis aus?<br />

Um jedem Kind in seiner Einzigartigkeit<br />

gerecht zu werden, arbeiten wir ohne<br />

Lehrmittel und Arbeitsblätter. Die Kinder<br />

haben dafür leere Hefte, die sie selbst mit<br />

ihren Arbeiten füllen. Jedes Heft ist so<br />

einmalig, wie die Kinder es selbst sind. In<br />

diese Hefte kommen auch die Hausaufgaben.<br />

Natürlich sollen und müssen diese<br />

zum einzelnen Kind passen. Das heisst zum<br />

Beispiel, dass sie uns nach dem gemeinsamen<br />

Plus-Rechnen fragen, ob wir ihnen<br />

noch Aufgaben ins Heft schreiben könnten.<br />

Meist sagen sie uns auch genau, wie diese<br />

auszusehen haben und wie viele sie wollen.<br />

Das ist zwar aufwendig, lohnt sich aber. Wir<br />

sind gerade dabei, die «vier Elemente» zu<br />

erforschen. Da liegt es nahe, die Kinder zu<br />

ermutigen, die Experimente aus der Schule<br />

mit ihren Eltern zu Hause zu wiederholen<br />

und ihnen alles zu erklären. Das macht<br />

allen Spass und alle lernen etwas dabei!<br />

Wie gehen die Eltern damit um?<br />

Ich glaube, alle finden es gut! Natürlich ist<br />

es für die Eltern am Anfang etwas ungewohnt.<br />

Doch das ändert sich rasch: Sie<br />

sehen, wie fleissig ihre Kinder in der Schule<br />

und je nach Situation auch zu Hause<br />

arbeiten. Dazu sehen sie die Lernerfolge<br />

der Kinder. So wächst das Vertrauen, dass<br />

man mit Freude mehr lernt als mit Angst<br />

und Druck. Viele Eltern finden es auch sehr<br />

entlastend, weil unsere Hausaufgaben<br />

keinen Familienstress produzieren. Denn<br />

die Kinder wählen ihre Hausaufgaben sehr<br />

bewusst. Hat ein Kind an einem Abend noch<br />

Training oder sonst Programm, hält es sich<br />

zurück. An einem regnerischen Mittwoch<br />

nehmen dann deutlich mehr Kinder etwas<br />

zum Arbeiten nach Hause. Auf jeden Fall<br />

erzählen uns die Eltern immer wieder, dass<br />

die Kinder ihre Hausaufgaben von sich aus<br />

anpacken und sie sehr selbständig lösen<br />

können. Das muss auch so sein, denn wir<br />

schreiben und entwickeln die Aufgaben ja<br />

nicht für die Eltern!<br />

Weitere Informationen über Darinka Eglis<br />

und Achim Arns Klasse, das Schulhaus<br />

Prisma und dessen Schulkonzept:<br />

www.prisma-wil.ch<br />

30 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

>>> aufgaben sind Arbeitsstunden,<br />

nicht drangehängt an den Unterricht,<br />

sondern um 10.30 Uhr, zweibis<br />

dreimal pro Woche. Die Aufgaben,<br />

die die Schüler lösen müssen,<br />

sind massgeschneidert. Sind sie<br />

erledigt, gibts ein Kreuz ins Schülerlogbuch.<br />

Die Eltern unterschreiben<br />

dieses Büchlein jede Woche und<br />

erfahren so, welche Fortschritte ihr<br />

Kind macht.<br />

In einer Schule im Aargau haben<br />

Lehrpersonen klassendurchmischte<br />

Unterrichtseinheiten und fix in den<br />

Stundenplan integrierte Lernatelierstunden<br />

eingebaut, in denen Schüler<br />

an ihren Aufträgen arbeiten. Zu<br />

Hause sollte nur Zeit für die Prüfungsvorbereitung<br />

bleiben.<br />

Und in einer Primarschule in Wil<br />

SG hat ein Klassenteam gar ein eigenes<br />

Hausaufgabenkonzept erarbeitet.<br />

Die Lehrpersonen geben den<br />

Schülern nur Aufgaben, wenn diese<br />

es wollen; zudem nur solche, die in<br />

den Unterricht integriert sind, und<br />

nur solche, in denen sich der Schüler<br />

kompetent fühlt. Will das Kind keine<br />

Hausaufgaben, bekommt es auch<br />

keine. Das Resultat: Sehr viele Kinder<br />

kommen und fragen selbst nach<br />

zusätzlichen Aufgaben.<br />

>>><br />

Claudia Landolt<br />

ist mit pflichtbewussten Kindern gesegnet,<br />

zumindest in Sachen Hausaufgaben. Dass<br />

es auch anders sein kann, bekommt sie mit,<br />

wenn ihre Kids mit ihren Kollegen Facetime-<br />

Konferenzen und Chatorgien betreiben oder<br />

sich über Ufzgi-Jobsharing unterhalten.<br />

Buchtipps<br />

Don Dinkmeyer, Gary D. McKay: STEP –<br />

Das Elternbuch. Beltz-Verlag, 2012,<br />

um 18 Fr.<br />

Armin Himmelrath: Hausaufgaben, nein<br />

danke! Warum wir uns so bald wie möglich<br />

von den Hausaufgaben verabschieden<br />

sollten. hep-Verlag, 2015, um 16 Fr.<br />

Links<br />

• www.step-online.ch<br />

• www.schuelerrechte.ch<br />

• www.sgb.ch > Lehrlings- und<br />

Jugendrechte<br />

Veranstaltungen<br />

Hausaufgaben, ein alter Zopf, der<br />

abgeschnitten gehört? Podiumsdiskussion<br />

am Campus PH Zürich, 12. Juni <strong>2017</strong>, 18 bis<br />

20 Uhr, u. a. mit Fabian Grolimund,<br />

Akademie für Lerncoaching.<br />

www.phzh.ch > Weiterbildung<br />

Damit die Natur ihre Freiräume<br />

behält: Wir unterstützen<br />

den Wildnispark Zürich.<br />

Spezial-Waggon<br />

«Wildnispark Zürich»<br />

in der Sihltalbahn.<br />

Mehr unter zkb.ch/wildnispark<br />

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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi April <strong>2017</strong>31


Dossier<br />

«Hausaufgaben sind reine<br />

Zeitverschwendung»<br />

Der deutsche Lehrer und Journalist Armin Himmelrath hat sich jahrelang mit<br />

dem Thema Hausaufgaben beschäftigt und wissenschaftliche Grundlagen aus<br />

über 500 Jahren untersucht. Seine Bilanz ist vernichtend. Interview: Claudia Landolt<br />

«Die Studienlage<br />

ist eindeutig:<br />

Hausaufgaben haben<br />

keinen Bildungswert.»<br />

Herr Himmelrath, Sie lehnen Hausaufgaben<br />

ab. Warum?<br />

Es gibt über 500 Jahre alte Schulverordnungen,<br />

die sich mit dem Thema<br />

Privatarbeit befassen, denn so hiessen<br />

Hausaufgaben damals. In diesen<br />

wird davon ausgegangen, dass zusätzliches<br />

Lernen etwas bringt. Also<br />

habe ich mir die Wissenschaft angeschaut,<br />

die sich in den vergangenen<br />

130 Jahren mit dem Thema auseinandergesetzt<br />

hat. Dabei habe ich<br />

etwas Erstaunliches festgestellt: Es<br />

gibt keine einzige Studie, welche die<br />

Wirksamkeit von Hausaufgaben<br />

belegt.<br />

Keine einzige? Kaum zu glauben.<br />

Dachte ich auch. Also hab ich weitergeforscht,<br />

auch international.<br />

Und herausgefunden: Es gibt wirklich<br />

nur ganz, ganz dünne Zusammenhänge<br />

zwischen Hausaufgaben<br />

und Lernerfolg, die manchmal hergestellt<br />

werden. Aber diese sind<br />

keinesfalls so zu bewerten, dass<br />

Hausaufgaben per se einen Bildungswert<br />

oder einen Zuwachs an<br />

Kenntnissen bei Schülern bewirkten.<br />

Bereits in den 1960er-Jahren<br />

belegte der Erziehungswissenschaftler<br />

Bernhard Wittmann, dass nach<br />

einem viermonatigen Versuch bei<br />

Drittklässlern, Hausaufgaben wegzulassen,<br />

diese nicht schlechter<br />

waren im Rechtschreiben als solche,<br />

die Aufgaben erhalten hatten. Dasselbe<br />

galt für das Fach Mathematik.<br />

Dennoch sind Hausaufgaben in der<br />

Schule Standard. Woran liegt das?<br />

Nun ja, Eltern wird seit Jahrhunderten<br />

eingetrichtert – und die meisten<br />

von ihnen haben es selbst auch so<br />

erlebt –, dass das häusliche Lernen<br />

am Nachmittag und Abend irgendwie<br />

der Reifung und Bildung der<br />

Kinder dient. Wir alle sind mit<br />

Hausaufgaben sozialisiert worden.<br />

Auch wird geglaubt, dass Hausaufgaben<br />

irgendwie eine erzieherische<br />

Wirkung haben. Nur der Nachweis<br />

dazu fehlt.<br />

Eltern hören immer wieder, wie wichtig<br />

Hausaufgaben seien als Repeti tion<br />

des behandelten Stoffes oder auch<br />

zur Entwicklung der Selbständigkeit.<br />

Ja, bloss fehlen die Beweise dazu.<br />

Beim genaueren Hinsehen merkt<br />

man, wie schwammig diese Formulierungen<br />

letztlich sind. Sie beschwören<br />

nichts anderes als die Festigung<br />

des Erlernten, ohne dass es Belege<br />

dafür gibt. Dennoch gehören für<br />

sehr viele Menschen unter uns<br />

Hausaufgaben einfach irgendwie<br />

dazu. Sie sind im kollektiven<br />

Gedächtnis der Menschen so verankert,<br />

dass jeder denkt, das müsse so<br />

sein. Und auch Eltern gingen mal<br />

zur Schule, und die sagen dann, die<br />

eigene Hausaufgabenzeit habe ja<br />

wohl niemandem geschadet. Das ist<br />

dann so etwas wie ein Totschlagargument.<br />

Um es noch drastischer<br />

auszudrücken: Ein Mediziner oder<br />

ein Physiker, der stolz sagt, er benutze<br />

noch die Methoden von vor 50<br />

oder 100 Jahren, hätte sich sofort<br />

selbst disqualifiziert. In der Pädagogik<br />

aber, beim Thema Hausaufgaben,<br />

ist das ein ganz normales Argument.<br />

Wie sind Sie denn überhaupt auf das<br />

Thema gekommen?<br />

Irgendwann in meiner Zeit als Bildungsjournalist<br />

habe ich festgestellt,<br />

dass es eben nicht so ist, dass zusätzliche<br />

Lernzeit in Form von Hausaufgaben<br />

auch zusätzlichen Lernerfolg<br />

bringt. Und wenn man dann wirklich<br />

genauer hinguckt und Studien<br />

anschaut, wo Kinder, die mehrere<br />

Jahre keine Hausaufgaben hatten,<br />

mit Kindern verglichen wurden, die<br />

mehrere Jahre Hausaufgaben ma ­<br />

chen mussten, so stellt man fest: Es<br />

gibt keine Lernunterschiede. Der<br />

einzige Unterschied ist: Die Kinder<br />

ohne Hausaufgaben waren motivierter.<br />

Hausaufgaben sind oft Stoff für Konflikte<br />

in der Familie.<br />

Absolut. Hausaufgaben verursachen<br />

mehr Probleme als Lösungen, das<br />

sagen sogar Lehrer und Studenten<br />

im Lehramt in Internetforen. Schon<br />

1982 urteilte ein deutscher Lehrer<br />

aus Flensburg, Hausaufgaben seien<br />

bloss mit einem «Riesenaufwand<br />

32 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


etriebene, sinnlose Handgelenksübungen<br />

der Kinder». Sehr, sehr<br />

viele Eltern beklagen die Belastung<br />

durch die Hausaufgaben und beschreiben<br />

den Streit, der ins Familienleben<br />

hineingetragen wird.<br />

Eltern ärgern sich auch über die<br />

Disziplinierungsmassnahmen, zu<br />

denen sie sich gezwungen fühlen,<br />

damit die Kinder die Aufgaben erledigen.<br />

Das einzig Positive, das sie<br />

den Hausaufgaben abgewinnen<br />

können, ist, dass sie den Eindruck<br />

haben, damit noch ein wenig im<br />

Bilde zu sein, was ihr Kind in der<br />

Schule gerade so lernt.<br />

Wie war das bei Ihnen? Sie haben drei<br />

Kinder zwischen 17 und 21 Jahren,<br />

also reiche Hausaufgabenerfahrung.<br />

Anfangs war ich total unkritisch. Ich<br />

dachte, Hausaufgaben seien einfach<br />

ein Teil der Schulperformance. Und<br />

anfänglich machen die Kinder die<br />

Hausaufgaben ja auch sehr gern,<br />

freuen sich darauf. Hausaufgaben<br />

zu haben, macht sie auch ein bisschen<br />

stolz. Aber Kinder sind sehr<br />

unterschiedlich. Mein ältester Sohn<br />

ist sehr zielorientiert, bei ihm gab es<br />

wegen Hausaufgaben nie viel Stress.<br />

Ganz anders mein zweiter Sohn, bei<br />

dem funktionierte die logische<br />

Argumentationskette ganz und gar<br />

nicht. Er ist der Typ, der gern das<br />

lernt, was ihn interessiert, ist also<br />

intrinsisch motiviert. Alles andere<br />

ist schwierig, und Druck erzeugt bei<br />

ihm nur das Gegenteil. Ich verbrachte<br />

insgesamt Jahre, in denen meine<br />

Kinder widerwillig am Küchentisch<br />

sassen und mich mit ihrer Lustlosigkeit<br />

zur Verzweiflung brachten.<br />

Irgendwann begann ich zu zweifeln:<br />

Muss das denn sein? So begann ich<br />

zu recherchieren.<br />

Immer häufiger liest man von Schulen,<br />

die Hausaufgaben bestreiken<br />

oder ganz abgeschafft wollen. Kommt<br />

jetzt die Wende?<br />

Wir befinden uns in einem vielfältigen<br />

Transformationsprozess. Es ist<br />

gut, dass Debatten darüber laufen.<br />

Die Gesellschaft, in der wir uns<br />

bewegen, ist individualistisch, die<br />

Arbeitswelt setzt auf Diversität, und<br />

in der Schule hat individuelles Lernen<br />

längst Einzug gehalten. Doch<br />

können wir in diesen individualistischen<br />

Zeiten mit heterogenen<br />

Klassen wirklich 25 Kindern dieselben<br />

Hausaufgaben geben, dieselben<br />

Prüfungsfragen stellen, die gleichen<br />

Lernziele setzen? Darüber müssen<br />

sich Pädagogen Gedanken machen.<br />

Die Politik nicht?<br />

Das erachte ich zumindest in<br />

Deutschland als aussichtslos, denn<br />

hier ist Schulpolitik Länderpolitik<br />

und ein letztes Feld für Eigenständigkeit,<br />

da mischt sich der Bund<br />

nicht ein. Aber ich bin überzeugt,<br />

dass man dieses System unterwandern<br />

und eine kleine Revolte anzetteln<br />

kann, ohne dass gleich die Politik<br />

mitmischt.<br />

Sie fordern, dass Lehrer der Hausaufgabendoktrin<br />

entgegentreten?<br />

Ja. Viele Lehrer sind sich bewusst,<br />

dass die eigene Hausaufgabenpraxis<br />

zwar nicht den Worten, wohl aber<br />

dem Sinn der gesetzlichen Vorgaben<br />

widerspricht. Das ist oft der Anlass,<br />

über kleinere Veränderungen im<br />

Schulalltag nachzudenken.<br />

Wie könnten solche Veränderungen<br />

aussehen?<br />

In einem ersten Schritt mit dem<br />

Lehrerkollegium schauen, wer wann<br />

wie viele Hausaufgaben erteilt. Oder<br />

mit den Schülern darüber diskutieren,<br />

wie sie das Thema Hausaufgaben<br />

empfinden. In einem zweiten<br />

Schritt die Hausaufgaben reduzieren.<br />

Das kann sein, nur noch an<br />

einem oder zwei Tagen Hausaufgaben<br />

vorzusehen. In einem dritten<br />

Schritt könnten Lehrer aus Hausaufgaben<br />

Schulaufgaben machen.<br />

Also individuelle Lernzeiten in den<br />

Schulstunden einplanen. Manche<br />

nennen diese auch Trainings- oder<br />

Arbeitsstunden. Darin werden<br />

Schülern gemäss ihrem Leistungsniveau<br />

individuelle Aufgaben gegeben,<br />

die sie im Unterricht erledigen<br />

– selbständig, aber eben unter professioneller<br />

Supervision der anwesenden<br />

Pädagogen.<br />

«Es ist nie zu spät für<br />

eine besssere Schule.<br />

Das Ende der Hausaufgaben<br />

könnte ein Anfang sein.»<br />

Wie könnten solche Aufgabenstunden<br />

aussehen?<br />

Es könnte einen Aufgabenpool<br />

geben, aus dem sich die Schüler<br />

bedienen. Sie können diese Aufgaben<br />

dann in der Klasse so lösen, wie<br />

es ihrer Lernstruktur entspricht:<br />

manche alleine in Stillarbeit, andere<br />

im Team mit anderen Kindern, wieder<br />

andere holen sich vielleicht Hilfe<br />

beim Lehrer. Der zweite wichtige<br />

Punkt ist ein gutes Feedback – und<br />

das muss individuell sein, also wirklich<br />

auf jeden einzelnen Schüler<br />

eingehen. Man merkt schon: Das<br />

kostet richtig viel Zeit, da müssen<br />

der Unterricht und die ganze Schule<br />

komplett neu organisiert werden.<br />

Das bedingt ein radikales Umdenken.<br />

Ja, aber es ist auch eine grosse Chance.<br />

Es ist nie zu spät für eine bessere<br />

Schule. Das Ende der Hausaufgaben<br />

könnte ein Anfang sein. Das Ende<br />

der Hausaufgaben würde nicht nur<br />

zu glücklicheren Schülern führen,<br />

es gäbe auch stressfreiere Lehrer und<br />

Eltern.<br />

Zur Person<br />

Armin Himmelrath, 50, ist freier<br />

Bildungs- und Wissenschaftsjournalist und<br />

Moderator. Nach seinem Lehramtsstudium<br />

in Deutschland arbeitet er heute u. a. für den<br />

«Spiegel», SpiegelOnline, Deutschlandradio<br />

und den WDR. Ausserdem unterrichtet<br />

er als Lehrbeauftragter an mehreren<br />

Universitäten und hat zahlreiche Bücher<br />

zu Bildungsthemen verfasst. Er hat drei<br />

Kinder und lebt in Köln.<br />

Fortsetzung des Dossiers auf Seite 36 >>><br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>33


Liebe Mütter,<br />

wünscht euch das perfekte<br />

Muttertagsgeschenk!<br />

Machen Sie es Ihren Liebsten dieses Jahr einfach und wünschen<br />

Sie sich zum Muttertag etwas wirklich Sinnvolles: Eine Spende<br />

in Ihrem Namen ermöglicht es der Stiftung Elternsein, Familien<br />

in der Schweiz gezielt zu unterstützen.<br />

Am 14. Mai ist Muttertag. Zeit für<br />

eine ernst gemeinte Liebeserklärung<br />

an den «Fels in der Brandung des<br />

Familienalltags» – und Zeit, dem<br />

besten Mami der Welt Danke zu<br />

sagen. Wünschen Sie sich von Ihren<br />

Liebsten dieses Jahr ein Geschenk,<br />

das nicht nur Ihnen Freude macht,<br />

sondern auch wichtig und sinnvoll<br />

ist – eine Spende an die Stiftung<br />

Elternsein. Die finanzielle Zuwendung<br />

in Ihrem Namen erlaubt es der<br />

Stiftung, die vielfältigen Aktivitäten<br />

zur Unterstützung von Eltern schulpflichtiger<br />

Kinder fortzuführen und<br />

weiter auszubauen. Zum Beispiel<br />

mit einer Kampagne gegen Cybermobbing,<br />

die in den kommenden<br />

Wochen lanciert wird. Wir finden,<br />

ein schöneres Geschenk kann man<br />

einer Mutter gar nicht machen!


Liebe Mutter<br />

Stiftung Elternsein<br />

Die Stiftung Elternsein begleitet Eltern<br />

von schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen.<br />

Ziel der unabhängigen Stiftung<br />

ist es, zu sensibilisieren, aufzuklären und<br />

zu informieren – mit aktuellen Beiträgen<br />

aus den Themenkreisen Familie, Erziehung<br />

und Schule.<br />

Weil es für den anspruchsvollsten Job der Welt keine<br />

Ausbildung gibt, unterstützt die 2001 gegründete<br />

Stiftung Eltern mit lösungsorientierten, praktisch<br />

anwendbaren Antworten auf Erziehungs- und Bildungsfragen.<br />

Die Stiftung Elternsein nimmt sich<br />

der Sorgen und Unsicherheiten von Eltern an und<br />

fördert gleichzeitig den gesellschaftlichen Dialog.<br />

Als Herausgeberin des «Schweizer ElternMagazins<br />

Fritz+Fränzi» führt die Stiftung Informations- und<br />

Sensibilisierungskampagnen durch und bietet ratsuchenden<br />

Eltern zudem zahlreiche Kurzfilme zu<br />

relevanten Themen wie Konfliktlösung, Medienkonsum,<br />

Schulangst, Depression und der Stärkung der<br />

Sozialkompetenzen.<br />

www.elternsein.ch<br />

Unser «Dankeschön» für jede Spende:<br />

eine Karte für die beste Mutter der Welt.<br />

Danke für alles,<br />

liebe Mutter!<br />

Mit Ihrer Spende zeigen Sie der besten Mutter der Welt, dass<br />

Ihnen auch das Wohlergehen anderer Familien am Herzen liegt.<br />

Nutzen Sie den freien Platz für eine persönliche Widmung!<br />

Versand nach Spendeneingang. Wenns pressiert, kann die Karte auch<br />

per E-Mail (katja.schaffner@elternsein.ch) angefordert werden.<br />

Die Spende in Deinem Namen an die Stiftung Elternsein kommt<br />

Müttern, Vätern – vor allem aber Kindern in der Schweiz zugute.<br />

Sie alle danken Dir dafür von ganzem Herzen!


Dossier<br />

«Was habe ich als Lehrer<br />

nur angerichtet?»<br />

Hausaufgaben sorgen in vielen Familien regelmässig für Streit und rote Köpfe.<br />

Unser Kolumnist ist Seklehrer und weiss, wie eine gute Hausaufgabenpraxis<br />

aussieht. Und wie Dramen abgewendet werden können. Text: Samuel Zingg<br />

Ich bin perplex. Wieso hält<br />

sich der Schüler nicht an<br />

meine Anweisungen? Was<br />

habe ich nur angerichtet?<br />

Es ist Montagvormittag,<br />

ich sitze in einem Elterngespräch,<br />

nach vier Lektionen Unterricht. Am<br />

Tag zuvor, am Sonntagabend, er ­<br />

reichte mich um 17 Uhr der Anruf<br />

einer aufgebrachten Mutter: «Das<br />

kann so nicht weitergehen!», teilte<br />

sie mir am Telefon mit. Sie habe<br />

nach dreieinhalb Stunden Mathehausaufgaben<br />

die «Reissleine» gezogen<br />

und dem Sohn die Mathematiksachen<br />

weggenommen.<br />

Dramen wegen Hausaufgaben<br />

kommen leider viel zu oft vor.<br />

Eltern streiten mit ihren Kindern,<br />

drohen ihnen mit Fernsehverbot<br />

und Handyentzug. Oder die ganze<br />

Familie brütet stundenlang über<br />

scheinbar unlösbaren Hausaufgaben.<br />

Auch das Gegenteil gibt es:<br />

«Niemand» interessiert sich daheim<br />

für die Hausaufgaben – da meldet<br />

sich dann die Schule bei den Erziehungsberechtigten.<br />

Wir Lehrpersonen<br />

erfahren von diesen Dramen<br />

oft erst, wenn die Situation bereits<br />

verfahren ist. Oftmals weitet sich<br />

dann das Drama von zu Hause am<br />

Familientisch zu einem Streitgespräch<br />

mit den zuständigen Lehrpersonen<br />

aus.<br />

Nun sitze ich also mit Mutter<br />

und Sohn an diesem Gespräch. Die<br />

Mutter schildert, dass ihr Sohn in<br />

der vergangenen Woche «nur für<br />

Ihre Matheaufgaben, Herr Zingg»,<br />

zehn Stunden aufgewendet habe.<br />

Sie ist sehr erbost, und ich verstehe<br />

die Welt nicht mehr. Ich war der<br />

Ansicht, ich hätte Hausaufgaben für<br />

etwa 20 Minuten gegeben. Was<br />

stimmt hier nicht?<br />

Als Lehrperson auf der Sekundarstufe<br />

I mache ich mir sehr wohl<br />

Gedanken, wie viele und vor allem<br />

welche Art Hausaufgaben ich den<br />

Lernenden erteile. Aus meiner eigenen<br />

Schulzeit kenne ich noch das<br />

«Fertigmachen» von Aufgaben, das<br />

«Aufholen». Heute weiss man aus<br />

verschiedenen Forschungsarbeiten,<br />

dass diese Hausaufgaben keinen<br />

Gute Hausaufgaben sind<br />

abwechslungsreich, attraktiv und<br />

können selbständig gelöst werden.<br />

Lernzuwachs bewirken, sondern<br />

die Schüler und Schülerinnen eher<br />

demotivieren.<br />

Eine gute Hausaufgabenpraxis<br />

sieht wie folgt aus:<br />

• Hausaufgaben sollen von den<br />

Jugendlichen selbständig gelöst<br />

werden können.<br />

• Übungsaufgaben dürfen vorkommen,<br />

sollten aber eher die<br />

Ausnahme bilden.<br />

• Kluge Aufgaben sind abwechslungsreich,<br />

attraktiv, handlungsorientiert<br />

und werden selbständig<br />

verstanden. Dann braucht es<br />

weniger, um den gleichen Lernzuwachs<br />

zu erreichen.<br />

• Quantitativ sollte man lieber re ­<br />

gelmässig wenige als punktuell<br />

viele Hausaufgaben geben.<br />

• Damit Hausaufgaben bedeutsam<br />

und lernwirksam werden können,<br />

soll regelmässig individuelles,<br />

förderorientiertes Feedback<br />

zu den Hausaufgaben erfolgen.<br />

Um auf das Elterngespräch zurückzukommen:<br />

Welcher Art waren die<br />

besagten Hausaufgaben, die das<br />

Drama ausgelöst haben?<br />

Bei mir sollen die Schülerinnen<br />

und Schüler nicht mehr als 20<br />

Minuten Hausaufgaben pro Tag für<br />

Mathe ma chen. Trotzdem hat dieser<br />

Schüler länger daran gearbeitet.<br />

Wieso? Weil er ehrgeizig ist und es<br />

unbedingt perfekt machen will. Das<br />

ist lobenswert, aber ich möchte das<br />

nicht.<br />

36 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Ich habe also der Mutter den Auftrag<br />

gegeben, die Hausaufgaben nach<br />

spätestens 30 Minuten abzubrechen.<br />

Wenn die Aufgaben in dieser Zeit<br />

nicht erledigt werden können, liegt<br />

der Fehler bei mir, weil ich mich<br />

unklar ausgedrückt oder eine für<br />

den Schüler zurzeit noch nicht lösbare<br />

Hausaufgabe aufgegeben habe.<br />

Die Mutter war erleichtert. Weitere<br />

Dramen konnten abgewendet werden.<br />

Zwar macht der Schüler noch<br />

heute manchmal während mehr als<br />

30 Minuten Hausaufgaben, aber die<br />

Situation hat sich deutlich gebessert.<br />

Dann und wann ist er sogar bereits<br />

nach 15 Minuten fertig.<br />

Was erwarte ich als Lehrperson<br />

generell von den Eltern in Sachen<br />

Hausaufgaben? Es hat sich gezeigt,<br />

dass Interesse ohne dauernde Kontrolle<br />

förderlich ist. Ich wünsche<br />

mir, dass Eltern bei ihren Sprösslingen<br />

nachfragen, auch mal in ein<br />

Heft schauen und mit ihrem Kind<br />

darüber sprechen, woran es gerade<br />

arbeitet. Sie sollen ihre Hilfe anbieten,<br />

nicht fachliche, sondern organisatorische<br />

Hilfe, und vor allem ein<br />

ruhiges Umfeld schaffen, sodass ihr<br />

Kind konzentriert und somit speditiv<br />

lernen und arbeiten kann. Und<br />

nicht zuletzt erwarte ich von den<br />

Eltern, dass sie mich kontaktieren,<br />

wenn es Probleme mit den Hausaufgaben<br />

oder der Schule gibt.<br />

Man stelle sich vor, die Mutter<br />

hätte sich nicht gemeldet. Der Schüler<br />

wäre in der Folge immer frustrierter<br />

geworden, seine Leistungen<br />

wären wahrscheinlich gesunken.<br />

Als Lehrperson hätte ich dann<br />

immer mehr nachgefragt und<br />

schliesslich, nach einem Monat<br />

oder zwei, die Eltern zu einem<br />

Gespräch eingeladen, weil ihr Sohn<br />

ungenügende Leistungen erbracht<br />

hätte. Dieses Elterngespräch wäre<br />

dann mit Sicherheit für alle unangenehmer<br />

ausgefallen. Da bin ich<br />

gerne bereit, mehrere Elterngespräche<br />

wie das eben geschilderte zu<br />

führen. Deshalb, liebe Eltern, kontaktieren<br />

Sie uns Lehrpersonen bei<br />

Fragen oder Problemen frühzeitig<br />

– es hilft allen Beteiligten.<br />

Als Lehrperson habe ich aber<br />

nicht nur Erwartungen an Eltern,<br />

sondern auch an Schulen und<br />

Gemeinden. Es gibt Schülerinnen<br />

und Schüler, welche nach der<br />

Unterrichtszeit alleine zu Hause<br />

sind. Ihre Betreuungspersonen<br />

arbeiten noch oder schlafen, da sie<br />

in einem Schichtbetrieb arbeiten.<br />

Diese Jugendlichen können die<br />

Hausaufgabensituation oftmals<br />

nicht alleine bewältigen. Für diese<br />

Kindern, die nach der<br />

Schule allein zu Hause sind,<br />

sollte nach dem Unterricht<br />

eine kostenlose Betreuung<br />

zur Verfügung stehen.<br />

Fälle soll die Schule eine kostenlose<br />

Betreuung nach Unterrichtsschluss<br />

zur Verfügung stellen. So können<br />

die Kompetenzen, welche wir mit<br />

den Hausaufgaben fördern möchten,<br />

erfolgreich trainiert werden,<br />

und die Chancengleichheit ist bestmöglich<br />

gewährt.<br />

Samuel Zingg<br />

ist Lehrperson an der Sekundarstufe I in<br />

Buchholz GL und Mitglied der<br />

Geschäftsleitung des LCH. Der Vater einer<br />

vierjährigen Tochter und eines zweijährigen<br />

Sohnes wohnt in Mollis GL.<br />

Im nächsten Heft:<br />

Väter<br />

Bild: iStockphoto<br />

Bin ich ein guter Vater? Welche Werte möchte ich<br />

meinem Kind vermitteln? Und werde ich den grossen<br />

Erwartungen an mich gerecht? Warum Väter<br />

für die Kindsentwicklung so wichtig sind. Und was<br />

sie so besonders macht – unser Dossier im Mai.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>37


Psychologie & Gesellschaft<br />

Übergewicht –<br />

wenn Essen krank macht<br />

Warum werden Kinder wie der zehnjährige Luca übergewichtig? Welches sind die Folgen einer<br />

Adipositas? Und was könnte Luca helfen? Text: Nadine Messerli-Bürgy und Simone Munsch<br />

Luca ist 10 Jahre alt und<br />

übergewichtig. Er leidet<br />

unter seinen Gewichtsproblemen<br />

und hat schon<br />

oft versucht, abzunehmen.<br />

Bisher ohne Erfolg. Oft wird er<br />

von seinen Mitschülern wegen seiner<br />

Gewichtsprobleme gehänselt.<br />

Der Bub fühlt sich daher häufig<br />

wertlos und wirkt traurig.<br />

Luca ist mit seinen Gewichtsproblemen<br />

nicht alleine. Nahezu jedes<br />

fünfte Kind in der Schweiz ist übergewichtig<br />

oder erreicht ein Gewicht,<br />

das im Verhältnis zu seiner Körpergrösse<br />

deutlich erhöht ist und damit<br />

für Fachpersonen in den Bereich der<br />

Adipositas fällt.<br />

Adipöse Kinder leiden häufig an<br />

depressiven Stimmungen und an<br />

vermehrten Ängsten. Angststörungen<br />

wie soziale Phobien, Trennungsängste,<br />

aber auch Depressionen sind<br />

keine Seltenheit. Fachpersonen<br />

gehen davon aus, dass sich Depressionen<br />

und Angstprobleme aufgrund<br />

der erhöhten psychischen<br />

Belastung durch die Adipositas und<br />

die damit einhergehende Stigmatisierung<br />

entwickeln können.<br />

Die Körperfülle macht das Ge ­<br />

wichtsproblem für die Mitmenschen<br />

sichtbar. So führen Hänseleien in<br />

der Schule, Ausgrenzung durch Mitschüler,<br />

Ausschluss von bestimmten<br />

Freizeitaktivitäten wie Sport, aber<br />

auch Einschränkungen im Alltag für<br />

das Kind zu einer ständigen Auseinandersetzung<br />

mit der Gewichtsproblematik.<br />

Die Sitze im Bus sind zu<br />

klein, die Schulbänke zu eng.<br />

Sich als Versager fühlen<br />

Diese Auseinandersetzung ist für ein<br />

adipöses Kind sehr belastend. Im<br />

Vergleich zu gleichaltrigen Normalgewichtigen<br />

sind solche negativen<br />

Erlebnisse bei übergewichtigen Kindern<br />

weitaus häufiger zu beobachten<br />

und damit die psychische Belastung<br />

höher. Die Folgen dieser Belastung<br />

sind ein geringer Selbstwert und ein<br />

negatives Bild der eigenen Person<br />

und des Körpers. Nicht selten entwickeln<br />

Kinder in der Folge Ängste<br />

oder depressive Verstimmungen.<br />

Stress und negative Gefühle<br />

bewältigen adipöse Kinder mit<br />

emotionalem Essen, was das<br />

Problem zusätzlich verstärkt.<br />

Kinder mit Ge wichtsproblemen<br />

nehmen sich oft als Versager wahr.<br />

Diäten beinhalten meist rigide Einschränkungen<br />

und sind somit selten<br />

über längere Zeit von Erfolg gekrönt.<br />

Solche wiederholten erfolglosen<br />

Diätversuche führen häufig dazu,<br />

dass adipöse Kinder sich als willenlos<br />

einschätzen und den Mut verlieren,<br />

sich mit ihren Gewichtsproblemen<br />

auseinanderzusetzen. Als Folge<br />

werten sich adipöse Kinder selbst ab,<br />

sind frustriert und haben Angst, sich<br />

mit Gleichaltrigen zu treffen.<br />

Dieser Rückzug begünstigt den<br />

«Teufelskreis», indem Frust und<br />

Enttäuschung zu emotionalem<br />

38 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Bild: iStockphoto<br />

Über essen führen. Emotionales<br />

Essen bei adipösen Kindern dient<br />

dazu, Stress oder negative Gefühle<br />

mit Essen zu bewältigen, was das<br />

Gewichtsproblem zusätzlich verstärkt.<br />

Einige adipöse Kinder neigen<br />

auch zu erhöhter Impulsivität und<br />

Hyperaktivität und haben Schwierigkeiten,<br />

zu kontrollieren, was und<br />

wie viel sie essen. Die Folge davon<br />

kann eine übermässige Kalorienzufuhr<br />

sein. Treten solche Essanfälle<br />

regelmässig auf und werden von<br />

Gefühlen des Kontrollverlusts sowie<br />

von starken Schuld- und Schamgefühlen<br />

begleitet, sollten weitere Hinweise<br />

auf eine zusätzliche Essstörung,<br />

die Binge-Eating-Störung BES,<br />

abgeklärt werden. BES ist eine Essstörung,<br />

bei der es immer wieder zu<br />

Heisshungeranfällen kommt.<br />

Die Gründe für Übergewicht sind<br />

vielschichtig<br />

Übergewicht und Adipositas entstehen<br />

durch eine erhöhte Energiezufuhr<br />

im Vergleich zum Energiever-<br />

brauch. Die überschüssige Energie,<br />

zugeführt durch Nahrungsmittel,<br />

wird im Körper in Fettdepots umgewandelt<br />

und gespeichert. Nebst der<br />

genetischen Veranlagung zur Fettspeicherung<br />

sowie einer erhöhten<br />

Ansprechbarkeit auf Nahrungsreize,<br />

die dadurch als besonders positiv<br />

empfunden werden, spielen Lernmechanismen<br />

im Umfeld und in der<br />

Familie der Kinder eine wichtige<br />

Rolle.<br />

So lernt ein Kind bereits von früh<br />

an am Modell der Bezugspersonen,<br />

welche Nahrungsmittel bevorzugt<br />

werden, welche Portionengrössen<br />

geschöpft werden oder wie schnell<br />

gegessen wird. Auch der Umgang<br />

der Eltern mit ihrem eigenen Körper<br />

und Gewicht spielt eine Rolle bei der<br />

Entwicklung und Aufrechterhaltung<br />

von Gewichtsproblemen der Kinder.<br />

So können stetige Gewichtssorgen<br />

der Eltern die Gewichtsprobleme<br />

von Kindern beeinflussen.<br />

Die ständige Beschäftigung mit<br />

Gewicht und Diät kann dazu führen,<br />

dass Kinder den natürlichen >>><br />

Welches Behandlungsprogramm<br />

ist bei Kindern erfolgreich?<br />

In der Schweiz bietet unter anderem der Schweizer<br />

Fachverband Adipositas im Kindes- und Jugenalter<br />

Informationen über Behandlungsprogramme für<br />

unterschiedliche Altersgruppen an, www.akj-ch.ch. Ein<br />

weiteres, auf seine fünfjährige Wirksamkeit geprüftes<br />

Behandlungsprogramm, Training für adipöse Kinder<br />

und deren Eltern, TAKE, liegt von Roth und Munsch<br />

(2010) vor. Es richtet sich an Kinder im Alter von<br />

acht bis zwölf Jahren und deren Eltern. Dabei werden<br />

die Eltern zu verschiedenen Themen der Gewichtsproblematik<br />

geschult.<br />

Ziel ist, den Eltern Informationen und Strategien<br />

zu vermitteln, um ihre Kinder bei der gesunden<br />

Ernährung und gutem Essverhalten sowie bei der<br />

Bewegungsförderung zu unterstützen. Des Weiteren<br />

sollen Eltern als wichtigste Trainer ihrer Kinder ausgebildet<br />

werden, wenn es darum geht, die psychische<br />

Belastung des Kindes zu vermindern. Themenbeispiele<br />

sind Umgang mit Hänseleien, Aufbauen des<br />

Selbstwertgefühls, bessere Akzeptanz des eigenen<br />

Körpers. Im Zentrum für Psychotherapie an der Universität<br />

Freiburg (www.unifr.ch/psychotherapie/de)<br />

wird TAKE je nach Alter des Kindes nur mit Eltern oder<br />

als Eltern-Kind-Programm durchgeführt. Bei älteren<br />

Kindern oder Jugendlichen werden entsprechende<br />

Inhalte direkt mit dem Jugendlichen erarbeitet.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>39


Psychologie & Gesellschaft<br />

Wenn Eltern sich zu wenig<br />

bewegen, tragen sie dazu bei,<br />

dass ihr Kind an Gewicht<br />

zunimmt.<br />

>>> Zugang zu Nahrungsmitteln<br />

verlieren.<br />

Weiter beeinflussen Stress in der<br />

Familie, wie beispielsweise die<br />

Krankheit eines Elternteils oder<br />

schwere Lebensereignisse, aber auch<br />

finanzielle Sorgen der Eltern den<br />

Umgang des Kindes mit Nahrung,<br />

Körper und Gewicht. Zudem spielt<br />

eine eingeschränkte Bewegungsaktivität<br />

eine wichtige Rolle bei der<br />

Entwicklung von Übergewicht und<br />

Adipositas.<br />

Geringe Möglichkeiten, sich frei<br />

zu bewegen, ein fehlender Zugang<br />

zu einem Spielplatz, Sportplatz oder<br />

offenem Gelände und bewegungsarme<br />

Freizeitaktivitäten der Eltern<br />

beeinflussen die Gewichtsproblematik<br />

des Kindes. Häufige sitzende<br />

Tätigkeiten wie Fernsehen, Lesen,<br />

Computerspiele und so weiter be ­<br />

günstigen die Gewichtszunahme<br />

ebenfalls.<br />

Unbehandeltes Übergewicht hat<br />

gesundheitliche Folgen<br />

Werden Übergewicht oder Adipositas<br />

nicht behandelt, kann das zu<br />

Beeinträchtigungen im psychischen<br />

und auch im körperlichen Bereich<br />

führen. Adipöse Kinder haben aufgrund<br />

häufiger Ausgrenzung ein<br />

höheres Risiko, Verhaltensauffällig­<br />

Praktische Ausbildung<br />

Kleinkinderbetreuung<br />

Infos unter www.ibk-berufsbildung.ch<br />

Unsere<br />

Mediadaten:<br />

www.fritzundfraenzi.ch<br />

So lernen wir.<br />

– 5./6. Primarstufe<br />

– Sekundarstufe<br />

– 10. Schuljahr<br />

– Fachmittelschule<br />

Mitten<br />

in<br />

Zürich<br />

www.fesz.ch | <strong>04</strong>3 268 84 84<br />

Waldmannstr. 9 | 8001 Zürich


keiten zu entwickeln. Zudem weisen<br />

adipöse Kinder im Verlauf häufiger<br />

Depressionen und Angststörungen<br />

auf.<br />

Weiter steigt mit dem Gewichtsproblem<br />

das körperliche Gesundheitsrisiko.<br />

Adipöse Kinder leiden<br />

häufiger an Fettstoffwechselstörungen,<br />

Bluthochdruck, Diabetes Typ II<br />

oder am Schlaf-Apnoe-Syndrom<br />

(Beschwerdebild, das durch Atemstillstände,<br />

Apnoen, während des<br />

Schlafs verursacht wird).<br />

Die schweren psychischen und<br />

körperlichen Folgen machen deutlich,<br />

wie wichtig die Früherkennung<br />

und die Behandlung sind. Bisherige<br />

Untersuchungen haben gezeigt, dass<br />

etablierte Behandlungsprogramme<br />

eine kurzfristige und langfristige<br />

Gewichtsreduktion des Kindes be ­<br />

wirken und damit Gesundheitsfolgen<br />

verhindern können.<br />

>>><br />

Nadine Messerli-Bürgy<br />

PD Dr. phil., Mutter von zwei Kindern, arbeitet<br />

seit 2014 als Senior Researcher in der Abteilung<br />

für Klinische Psychologie und Psychotherapie<br />

am Departement für Psychologie sowie am<br />

Institut für Familienforschung und -beratung<br />

der Universität Freiburg. Sie ist klinische<br />

Psychologin und wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin der Schweizer Kinderstudie «Swiss<br />

Preschooler’s Health Study» (SPLASHY) .<br />

Simone Munsch<br />

Prof. Dr. phil., Mutter von drei Kindern, ist seit<br />

2011 Ordinaria für Klinische Psychologie und<br />

Psychotherapie am Departement für<br />

Psychologie der Universität Freiburg. Sie ist<br />

Präsidentin des Instituts für Familienforschung<br />

und -beratung und Co-Leiterin der Akademie<br />

für Verhaltenstherapie bei Kindern und<br />

Jugendlichen. Simone Munsch ist klinische<br />

Psychologin, Psychotherapeutin BAG und<br />

Supervisorin.<br />

Wann spricht man bei einem Kind<br />

von Übergewicht oder Adipositas?<br />

Das Vorliegen von Übergewicht oder<br />

Adipositas wird durch die Berechnung des<br />

Body-Mass-Indexes (Körpergewicht geteilt<br />

durch Körpergrösse im Quadrat) festgestellt.<br />

Bei Kindern und Jugendlichen werden das<br />

Alter und das Geschlecht in der Beurteilung<br />

berücksichtigt. Gemäss Arbeitsgemeinschaft<br />

Adipositas im Kindes- und Jugendalter gelten<br />

Kinder ab der 90. Perzentile (Gewichtskurve)<br />

als übergewichtig, ab der 97. Perzentile als<br />

adipös.<br />

BMI-Rechner: www.akj-ch.ch/de > Familien<br />

> BMI-Rechner<br />

Vorteil Volg :<br />

Nah & einfach.<br />

Mit dem<br />

Velo auf<br />

Einkaufs-<br />

tour.<br />

«<br />

Besorgungen im Dorf mache<br />

ich am bequemsten mit dem<br />

Velo. Auch das Einkaufen im<br />

nahen Volg-Laden.<br />

»<br />

Barbara Ries, Velofahrerin und<br />

seit jeher Volg-Kundin<br />

brandinghouse<br />

Einkaufen im Dorf ist bequem, umweltfreundlich<br />

und zeit sparend. Nähe bedeutet bei Volg persönlicher<br />

Kontakt zwischen Kunden, Ladenpersonal und<br />

lokalen Produzenten. Wer das schätzt, weiss: Gäbe<br />

es den Dorfladen nicht, man müsste ihn erfinden!<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Volg .Im Dorf daheim.<br />

In Eiken AG zuhause.<br />

April <strong>2017</strong>41


Psychologie & Gesellschaft<br />

Geschwister –<br />

Verbündete und Rivalen<br />

Geschwister kann man sich nicht aussuchen, und so liegt es nahe, dass<br />

sich Brüder und Schwestern nicht einfach so vertragen. Ein entspanntes<br />

Miteinander und mehr Gelassenheit helfen, Konflikte zu entschärfen.<br />

Text: Susan Edthofer<br />

Um den Alltag zu meistern, müssen Familien<br />

mit unterschiedlichen Persönlichkeiten<br />

und Reibereien innerhalb der<br />

Geschwisterreihe zurechtkommen. Hilfreich<br />

sind dabei eine Portion Gelassenheit<br />

und ein gewisses Grundvertrauen, dass Kinder ihre<br />

Auseinandersetzungen selber regeln. Doch Geschwister<br />

spielen auch zusammen, gehen gemeinsam auf Entdeckungsreisen,<br />

lernen von- oder miteinander. Und sie<br />

treten als Verbündete gegenüber ihren Eltern, anderen<br />

Kindern oder Erwachsenen auf.<br />

Jedem Kind seine Art von Zuwendung<br />

Geschwisterbeziehungen prägen die individuelle Entwicklung<br />

des Kindes. Oft wundern sich Eltern, dass ihre<br />

Kinder so unterschiedlich sind. Gerade weil sie verschieden<br />

sind und nie die gleichen Erfahrungen machen, ist<br />

es auch unmöglich, sie genau gleich zu erziehen. Um<br />

sich angenommen zu fühlen, braucht jedes Kind eine<br />

andere Art von Zuwendung. Wichtig ist, dass Eltern<br />

reagieren, wenn ein zu grosses Ungleichgewicht zwischen<br />

den Geschwistern besteht, wenn zum Beispiel die<br />

grosse Schwester stark dominiert und sich die kleine<br />

Schwester stets unterwirft. Beansprucht der ältere Bruder<br />

durch sein auffälliges Verhalten viel Aufmerksamkeit,<br />

sollte darauf geachtet werden, dass das ruhigere<br />

Geschwister nicht untergeht.<br />

Geschwister beeinflussen das Verhalten<br />

Zwar haben Kinder persönliche Veranlagungen, doch<br />

ob sie als Einzelkind oder mit Geschwistern aufwachsen,<br />

ist nicht bedeutungslos. Etwas über Geschwisterkonstellationen<br />

zu wissen, ist hilfreich.<br />

Dass das erste Kind sehr viel Aufmerksamkeit von<br />

Eltern und Grosseltern erfährt, liegt in der Natur der<br />

Sache. Beim Erstgeborenen wird jeder Lernschritt mit<br />

Bewunderung oder allenfalls mit Besorgnis quittiert.<br />

Mit der Ankunft eines Geschwisters gerät der Status des<br />

Kronprinzen, der Kronprinzessin ins Wanken. Kaum<br />

verwunderlich also, wenn Rivalitätsgefühle auftauchen.<br />

«Geschwister sind<br />

verschieden. Sie<br />

gleich zu erziehen,<br />

ist unmöglich.»<br />

Susan Edthofer ist Redaktorin<br />

im Bereich Kommunikation<br />

von Pro Juventute.<br />

Für das mittlere Kind ist die Situation ebenfalls<br />

nicht einfach. Es muss sich mit einem<br />

älteren und wahrscheinlich überlegenen Geschwister<br />

arrangieren und steht gleichzeitig im Schatten des Nesthäkchens.<br />

Weil sie eher um ihre Position buhlen müssen,<br />

verhalten sich mittlere Kinder oft provokativer, fordernder<br />

oder gar aggressiver.<br />

Da innerhalb der Familie die Rollen verteilt sind,<br />

wird das jüngste Kind in ein bestehendes Gefüge hineingeboren.<br />

Von allen umsorgt und entsprechend verwöhnt,<br />

gelingt es ihm meist mit Leichtigkeit, alle um<br />

den Finger zu wickeln. Trotz mehr Nachsicht fühlen sich<br />

Nesthäkchen manchmal ungerecht behandelt. Einmal<br />

mehr zeigt sich, dass Fingerspitzengefühl bei der Kindererziehung<br />

unentbehrlich ist.<br />

Was Eltern tun können – vier Tipps<br />

• Üben Sie sich im Umgang mit Streitereien unter Geschwistern in<br />

Gelassenheit.<br />

• Vertrauen Sie auch darauf, dass Kinder ihre Auseinandersetzung<br />

selber regeln. Statt einen Streit durch ein Machtwort zu beenden,<br />

können Sie Möglichkeiten zur Lösungsfindung aufzeigen.<br />

• Ihre Kinder sind verschieden, und es ist unmöglich, sie genau gleich<br />

zu erziehen. Setzen Sie ähnliche, aber nicht die gleichen Massstäbe<br />

und geben Sie jedem Kind die Zuwendung, die es braucht.<br />

• Reagieren Sie, wenn ein zu grosses Ungleichgewicht zwischen den<br />

Geschwistern besteht. Achten Sie darauf, dass kein Kind zu stark<br />

dominiert und das andere sich unterwerfen muss.<br />

Pro Juventute Elternberatung<br />

Bei Pro Juventute Elternberatung können Eltern und Bezugspersonen von<br />

Kindern und Jugendlichen jederzeit telefonisch (058 261 61 61) oder online<br />

(www.projuventute-elternberatung.ch) Fragen zum Familienalltag und zur<br />

Erziehung stellen. Ausser den normalen Telefongebühren fallen keine Kosten<br />

an. In den Elternbriefen und Extrabriefen finden Eltern Informationen für<br />

den Erziehungsalltag. Mehr Infos: www.projuventute.ch<br />

42 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Stiftung Elternsein<br />

«Lassen Sie uns NEIN sagen!»<br />

Ellen Ringier über das Privileg, in einer Gesellschaft zu leben, in der jede und jeder seine<br />

Meinung frei äussern darf – und sollte.<br />

Bild: Maurice Haas / 13 Photo<br />

Dr. Ellen Ringier präsidiert<br />

die Stiftung Elternsein.<br />

Sie ist Mutter zweier Töchter.<br />

Täglich begegnen mir in den Medien Meldungen,<br />

die mich unsäglich wütend<br />

machen. Und das sind alles andere als Fake<br />

News! Umso dankbarer bin ich, das Glück<br />

zu haben, in einer Gesellschaft zu leben,<br />

die sich nicht einfach alles bieten lassen<br />

muss. Was für eine Erleichterung, Ereignissen<br />

wie den folgenden, zufällig zitierten<br />

mit einem NO, einem leidenschaftlichen<br />

NEIN, entgegentreten zu können, ohne<br />

dafür im Gefängnis zu landen!<br />

Nehmen wir die folgenden Beispiele:<br />

• Eine Burka-Kollektion präsentiert von Topmodels auf<br />

dem Laufsteg soll ein Zeichen der Toleranz sein? Burka<br />

(Ganzkörperschleier) und Hidschab (Kopftuch)<br />

sind Zeichen der Unterdrückung der Frau. Ist es zulässig<br />

oder nicht eher verantwortungslos, diese durch<br />

einen Modetrend zu verharmlosen? NO zu einer Toleranz,<br />

die keine ist, sondern bloss eine neue Geschäftsidee!<br />

• Täglich ringen Eltern in allen Berufen darum, ihre<br />

Arbeitspflichten korrekt zu erfüllen. Täglich passiert<br />

es jedoch, dass Kinder krank werden, dass eine Betreuung<br />

auf die Schnelle nicht organisiert werden kann,<br />

dass Eltern mit den Kindern zum Arzt oder ins Krankenhaus<br />

fahren müssen. Darf da der Arbeitgeberverband<br />

sinngemäss fordern, dass sich berufstätige Eltern<br />

besser zu organisieren hätten, Hauptsache, sie erschienen<br />

rechtzeitig zur Arbeit? NO, Pünktlichkeit am<br />

Arbeitsplatz ist mit Sicherheit nicht die «Hauptsache»!<br />

Es geht ganz und gar nicht, dass der Arbeitgeberverband<br />

seine Mitglieder sozusagen dazu auffordert, Härte<br />

zu zeigen, wo Mitgefühl angezeigt wäre.<br />

• Ausgerechnet die Partei, die vorgibt, sich ganz besonders<br />

für die Interessen aller Bürger stark zu machen,<br />

fordert nun die Abschaffung der Öffentlichkeit im<br />

eidgenössischen Beschaffungswesen! Endlich haben<br />

wir ein Öffentlichkeitsgesetz, das es den Medien<br />

ermöglicht, an Dokumente zu gelangen, die beispielsweise<br />

korrupte Vergaben von Aufträgen im SECO, im<br />

Staatssekretariat für Wirtschaft, belegten. Soll die<br />

Deckung von Beamten, die ihre privaten Interessen in<br />

den «Dienst» der Öffentlichkeit stellen, wieder aufgehoben<br />

werden? NO!<br />

• In den letzten Jahren ist es zusehends Mode geworden,<br />

die Aufgabe und Tätigkeit der Schweizerischen Radiound<br />

Fernsehgesellschaft SRG zu hinterfragen. Die No-<br />

Billag-Initiative will die SRG finanziell zurückbinden.<br />

Angeblich der gleich langen Spiesse mit den privaten<br />

Sendern zuliebe. Die Arbeit der öffentlich-rechtlichen<br />

(Schweizer) Fernsehanstalt ist reglementiert, die SRG<br />

ist per Konzessionsbedingungen dazu verpflichtet, uns<br />

einen Service public zu liefern. Auch wenn dies durch<br />

Einnahmen von Gebühren und Werbegeldern allein<br />

nicht kostendeckend geleistet werden kann. Wollen<br />

wir wirklich eine Schwächung der SRG? NO, wenn<br />

man wie ich daran glaubt, dass die SRG zu den effizientesten<br />

Vertretern der «Vierten Gewalt» gehört!<br />

Die Liste der Unsinnigkeiten liesse sich beliebig verlängern!<br />

Wie schön, dass wir hierzulande weder Trump<br />

noch Orban, weder Le Pen noch Wilders und auch keine<br />

AfD brauchen:<br />

• Wir haben eine aufmerksame Medienlandschaft, welche<br />

diese Themen zur Diskussion bringt.<br />

• Wir haben funktionierende Parlamente, welche diese<br />

Probleme aufnehmen und zu einer Lösung bringen.<br />

• Und wir haben das Instrument der Volksbefragung,<br />

bei dem wir alle einfach unsere Stimm- und Wahlzettel<br />

ausfüllen, um den Verrücktheiten mit einem «nein<br />

danke» ein Ende zu machen!<br />

Make NO great again! Lassen Sie uns NEIN sagen!<br />

STIFTUNG ELTERNSEIN<br />

«Eltern werden ist nicht schwer,<br />

Eltern sein dagegen sehr.» Frei nach Wilhelm Busch<br />

Oft fühlen sich Eltern alleingelassen in ihren Unsicherheiten,<br />

Fragen, Sorgen. Hier setzt die Stiftung Elternsein<br />

an. Sie richtet sich an Eltern von schulpflichtigen Kindern<br />

und Jugendlichen. Sie fördert den Dialog zwischen<br />

Eltern, Kindern, Lehrern und die Vernetzung der elternund<br />

erziehungsrelevanten Organisationen in der<br />

deutschs prachigen Schweiz. Die Stiftung Elternsein<br />

gibt das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi heraus.<br />

www.elternsein.ch<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>43


Kurt Albermann<br />

ist ärztlicher<br />

Leiter des<br />

Instituts<br />

Kinderseele<br />

Schweiz iks.


Monatsinterview<br />

«Viele Kinder schämen sich<br />

für die Krankheit ihrer Eltern –<br />

und fühlen sich schuldig»<br />

Kinder, deren Mutter oder Vater psychisch erkrankt, werden oft in eine Erwachsenenrolle<br />

gedrängt. Der Kinderpsychiater Kurt Albermann erklärt, warum sie häufig übersehen<br />

werden, worunter sie am meisten leiden und wie es Betroffenen gelingt, zu einem<br />

harmonischen Familienleben zurückzufinden. Interview: Sandra Casalini Bilder: Filipa Peixeiro / 13 Photo<br />

Sozialpädiatrisches Zentrum<br />

Winterthur, erster Stock. Kurt<br />

Albermanns Händedruck zur<br />

Begrüssung ist fest, sein Lächeln<br />

charmant. Mit einer einladenden<br />

Geste weist er den Weg in ein<br />

Sitzungszimmer und offeriert Kaffee.<br />

Während des Gesprächs haut er<br />

mehrmals so fest auf den Tisch, dass<br />

das Getränk aus der Tasse zu<br />

schwappen droht. «Ich bin<br />

manchmal ein bisschen lebhaft»,<br />

sagt er dann und lächelt.<br />

spielsweise Kinder mit einer depressiven<br />

Mutter oder einem Vater leiden?<br />

Ich erinnere mich an eine Vierzehnjährige<br />

mit zwei jüngeren Geschwistern,<br />

die sich an unsere Beratungsstelle<br />

gewandt hat. Seit sie denken<br />

konnte, kümmerte sie sich um die<br />

Mutter und um ihre Ge schwister.<br />

«Ich gehe in der<br />

Schweiz von bis zu<br />

300 000 betroffenen<br />

Kindern aus.»<br />

Und was erwartete den Teenager nach<br />

der Schule?<br />

Im besten Fall eine «funktionierende»<br />

Mutter. Es kam aber auch vor,<br />

dass die Tochter die Sanität rufen<br />

musste, weil sich die Mutter nicht<br />

wecken liess. Auf dem Nachttisch<br />

lagen Tablettenpackungen. Die ständige<br />

Unsicherheit und Sorge um die<br />

Mutter veränderte die Hierarchie zu<br />

Hause. Die Vierzehnjährige übernahm<br />

die Rolle der Erwachsenen. Sie<br />

musste schon früh ihre eigenen Bedürfnisse<br />

hintanstellen. Oft war sie<br />

selbst traurig. Und wütend.<br />

Mit welchen Folgen?<br />

Sie hatte kaum Kolleginnen, schämte<br />

sich, jemanden mit nach Hause zu<br />

bringen. In der Klasse wurde sie ausgegrenzt,<br />

weil sie nie Zeit hatte und<br />

manchmal komisch war. Sie ging<br />

auch nicht zum Sport. Von den Problemen<br />

ihrer Mutter wusste niemand<br />

etwas, ihr wäre es peinlich gewesen,<br />

darüber zu sprechen. Die Leistungen<br />

in der Schule waren gut, obwohl sie<br />

sich oft unendlich müde fühlte.<br />

Man schätzt, dass in der Schweiz<br />

20 000 bis 50 000 Kinder mit einem<br />

psychisch erkrankten Elternteil leben.<br />

Woher kommt diese Zahl?<br />

Herr Albermann, Sie nennen Kinder,<br />

die mit einem psychisch erkrankten<br />

Elternteil aufwachsen, in einer Studie<br />

«vergessene Kinder». Warum?<br />

Weil diese Kinder häufig nicht auffallen.<br />

Sie sprechen nicht darüber,<br />

wie es ihnen geht und dass die Eltern<br />

ein Problem haben. So übersieht<br />

man ihre Bedürfnisse in der Situation,<br />

in der sie leben.<br />

Ist es nicht eher so, dass gerade diese<br />

Kinder oft auffällig sind in ihrem Verhalten?<br />

Manchmal schon. Aber der Zusammenhang,<br />

dass ein Elternteil eine<br />

psychische Erkrankung hat, wird<br />

übersehen.<br />

Können Sie einen Fall nennen, der<br />

Wie sah ihr Tag konkret aus?<br />

Sie überlegte bereits am Vortag, was<br />

es morgen zu Mittag geben sollte,<br />

und kaufte dafür ein. Ihre Eltern<br />

waren geschieden. Die Mutter kam<br />

phasenweise vor Müdigkeit kaum<br />

aus dem Bett. Deshalb weckte das<br />

Mädchen morgens die jüngeren<br />

Geschwister, half beim Ankleiden,<br />

machte Zmorge und Znüni. Sie<br />

schaffte es kaum zum Unterricht,<br />

weil sie die Schwester noch in den<br />

Kindergarten und den Bruder zu den Sie stammt aus einer Umfrage, die<br />

zeigt, unter welchen Belastungen bei- Nachbarn bringen musste.<br />

wir in Winterthur bereits vor >>><br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>45


zehn Jahren gemeinsam mit<br />

der Hochschule für Soziale Arbeit<br />

und der Integrierten Psychiatrie<br />

Winterthur – Zürcher Unterland ipw<br />

gemacht haben. Ich persönlich halte<br />

diese Zahlen für eher konservativ. In<br />

Deutschland rechnet man mit gut<br />

«Jedes dritte Kind<br />

von Eltern mit<br />

psychischen<br />

Störungen erkrankt<br />

ebenfalls.»<br />

drei Millionen betroffenen Kindern<br />

und Jugendlichen. Auf die Schweiz<br />

heruntergerechnet wären das etwa<br />

300 000.<br />

Wie wirkt sich eine psychische<br />

Störung von Vater oder Mutter auf<br />

die Gesundheit der Kinder aus?<br />

Etwa ein Drittel erkrankt ebenfalls,<br />

ein Drittel hat immer wieder mal<br />

psychische Probleme und ein Drittel<br />

schafft es, gesund zu bleiben.<br />

Eine elterliche psychische Belastung<br />

ist also ein Risikofaktor, ebenfalls zu<br />

erkranken?<br />

Ja, bei den einen Erkrankungen mehr<br />

als bei anderen – und es lässt sich<br />

nicht voraussagen, ob ein Kind tatsächlich<br />

erkranken wird. Aber die<br />

Gefahr, an einer Depression zu erkranken,<br />

ist zum Beispiel bis zu sieben<br />

Mal höher, wenn man einen de ­<br />

pressiven Elternteil hat.<br />

Also können tiefgreifende oder chronische<br />

Stresserlebnisse der Eltern an die<br />

nächste Generation «vererbt» werden.<br />

Das ist möglich und liegt unter anderem<br />

an den sogenannten epigenetischen<br />

Einflüssen: Unsere Zellen verändern<br />

sich, wenn wir unter<br />

chronischem Stress stehen. Diese<br />

gespeicherten Informationen können<br />

auf zellulärer Ebene an nachfolgende<br />

Generationen weitergegeben<br />

werden.<br />

Ohne dass betroffene Eltern dagegen<br />

etwas tun können?<br />

Es gibt auch gesund erhaltende Faktoren.<br />

Wenn die Mutter trotz psychischer<br />

Erkrankung in der Lage ist, die<br />

Bedürfnisse des Kindes wahrzunehmen<br />

und altersangemessen auf es<br />

einzugehen, ist die Gefahr, dass es<br />

erkrankt, viel geringer, als wenn es<br />

vernachlässigt wird.<br />

Mit welchen Störungen sind Sie in<br />

ihrem Arbeitsalltag am häufigsten<br />

konfrontiert?<br />

Bei Müttern sind es depressive Störungen,<br />

bei Vätern Suchterkrankungen.<br />

Häufig sind es auch Ängste oder<br />

traumatische Belastungsstörungen,<br />

zum Beispiel nach einer Scheidung.<br />

Das ist für Kinder doppelt schwierig,<br />

da sie selbst auch unter der Trennung<br />

leiden.<br />

Kommt es oft vor, dass sich Kinder<br />

von psychisch erkrankten Eltern<br />

selbst bei Betreuungsstellen melden?<br />

Nein. Je nach Krankheit und Situation<br />

wächst ein Kind ja schon in so<br />

einer gewissermassen «ver-rückten»,<br />

also veränderten Umgebung auf und<br />

kennt gar nichts anderes. Es ist<br />

alters abhängig und schon eher die<br />

Ausnahme, dass ein Kind erkennt,<br />

dass der Vater oder die Mutter ein<br />

Problem hat.<br />

Trotzdem leidet ein solches Kind unter<br />

dem Verhalten des kranken Elternteils.<br />

Ja. Kinder schämen sich oder fühlen<br />

sich gar schuldig am Verhalten der<br />

Mutter oder des Vaters. So reden sie<br />

nicht darüber, dass es sie belastet,<br />

wenn zum Beispiel ihr Mami tagelang<br />

im Bett liegt. Psychische Krankheiten<br />

werden in unserer Gesellschaft<br />

tabuisiert, deshalb verbieten<br />

Eltern ihren Kindern auch oft, darüber<br />

zu sprechen.<br />

Auch weil man befürchtet, dass einem<br />

die Kinder weggenommen werden.<br />

Wenn ein Elternteil psychisch angeschlagen<br />

ist, wird ihm nicht automatisch<br />

das Kind weggenommen. Es<br />

gibt viele Unterstützungsmöglichkeiten<br />

zu Hause oder Einrichtungen,<br />

in denen Kinder nur für eine gewisse<br />

Zeit platziert werden. Hier in<br />

Winterthur haben Christine Gäumann<br />

und ich mit Partnerorganisationen<br />

unter dem Namen wikip solche<br />

Angebote initiiert: SOS-Kinderbetreuung,<br />

Patenfamilien oder<br />

Elterngruppen. Andernorts gibt es<br />

ähnliche Angebote. Bei einer Beratung<br />

schaut man gemeinsam, welche<br />

Unterstützung es braucht.<br />

Verstehen Kinder überhaupt, was mit<br />

Mama oder Papa los ist?<br />

Kleine Kinder empfinden das Verhalten<br />

oft als normal – sie haben ja<br />

keinen Vergleich. Spätestens wenn<br />

sie in den Kindergarten kommen,<br />

realisieren sie aber, dass es in anderen<br />

Familien anders läuft. Dann wird<br />

der Leidensdruck grösser. Man kann<br />

nicht, wie die anderen, Gspänli mit<br />

nach Hause nehmen. Weil der schizophrene<br />

Vater alle Fenster mit Brettern<br />

zugenagelt hat. Oder weil die<br />

Mutter eine Zwangsstörung hat und<br />

den fremden Dreck fürchtet.<br />

Es gibt aber noch einen anderen<br />

Elternteil.<br />

Oftmals handelt es sich bei betroffenen<br />

Müttern um Alleinerziehende.<br />

Wenn es einen präsenten anderen<br />

Elternteil gibt, der die Kinder unterstützt,<br />

kann dieser die Belastung<br />

kompensieren. Es kommt übrigens<br />

auch ab und zu vor, dass Kinder die<br />

Krankheit des Elternteils gar nicht<br />

als so extreme Belastung empfinden,<br />

sondern sie zu gewissen Zeiten sogar<br />

gut finden.<br />

«Kleine Kinder<br />

empfinden das<br />

Verhalten ihrer<br />

Eltern als normal –<br />

Vergleiche fehlen.»<br />

Wie bitte?<br />

Ein Kollege von mir hat ein Buch<br />

über seine Kindheit mit einem Vater<br />

mit bipolarer Störung geschrieben,<br />

bei der Stimmung und Verhalten<br />

unkontrollierbar zwischen manischen<br />

und depressiven Phasen hinund<br />

herschwanken. Er fand das als<br />

46


Monatsinterview<br />

Kind zeitweise toll. In guten Phasen<br />

hatte er den besten Vater überhaupt,<br />

der mit seinem Sohn Ausflüge unternahm,<br />

ihn mit Geschenken überhäufte.<br />

In depressiven Phasen lag der<br />

im Bett und trank, und der Sohn<br />

hielt sich einfach vom Vater fern.<br />

Das klingt, als ob es manchmal gar<br />

nicht so schlimm ist, einen psychisch<br />

kranken Elternteil zu haben.<br />

Das stimmt so natürlich nicht. Gerade<br />

bei bipolaren Störungen kommt<br />

es immer wieder zu gefährlichen<br />

Situationen. Man braust in einer<br />

manischen Phase mit dem Kind auf<br />

dem Nebensitz mit 200 Sachen über<br />

die Autobahn. Oder verschuldet sich<br />

total, weil man dem Kind ein Pferd<br />

gekauft hat.<br />

Sprechen Sie von Fällen aus Ihrer<br />

eigenen Praxis?<br />

Nicht aus meiner, aber eine Kollegin<br />

hatte eine Patientin, die plötzlich mit<br />

einem Pferd auftauchte und das auf<br />

der Veranda «deponierte». Solche<br />

Anekdoten sind witzig zum Erzählen,<br />

aber im Alltag sind sie für die<br />

Familien nicht lustig. >>><br />

Kurt Albermann<br />

hilft betroffenen<br />

Eltern und Kindern,<br />

ein normales<br />

Familienleben zu<br />

führen.


Was soll ich denn zum Beispiel<br />

als Nachbarin machen, wenn ich das<br />

Gefühl habe, nebenan leben Kinder<br />

mit einer psychisch kranken Mutter?<br />

Erst mal die betroffene Person an ­<br />

sprechen. Wenn ich mir nach einem<br />

«Eine Meldung an<br />

die KESB ist heikel.<br />

Doch wir haben<br />

auch die Pflicht,<br />

aufeinander<br />

zu schauen.»<br />

Gespräch immer noch grosse Sorgen<br />

mache, kann ich eine Gefährdungsmeldung<br />

bei der KESB machen. Das<br />

ist zwar heikel und ein Eingriff in die<br />

Privatsphäre. Aber wir leben in einer<br />

Gemeinschaft und haben auch die<br />

Pflicht, aufeinander zu schauen.<br />

Wenn eine solche Mutter in psychiatrische<br />

Behandlung kommt – was<br />

passiert dann mit den Kindern?<br />

Ich setze mich dafür ein, dass Eltern<br />

in solchen Fällen automatisch kompetent<br />

und professionell beraten und<br />

unterstützt werden, was leider noch<br />

lange nicht überall der Fall ist. Wichtig<br />

ist, dass man einen Notfallplan<br />

macht: Was soll das Kind im Falle<br />

eines Zusammenbruchs der Mutter<br />

tun? An wen kann es sich wenden?<br />

Das setzt voraus, als Vater oder Mutter<br />

mit den Kindern über die eigene<br />

psychische Störung zu reden.<br />

Das ist extrem wichtig. Man muss<br />

sich als Erwachsener trauen, den<br />

Kindern einzugestehen, dass es<br />

einem gerade nicht gut geht. Man<br />

soll fragen, wie es den Kindern geht,<br />

und ihre Fragen beantworten. Das<br />

klappt am besten in einem beratenden<br />

Umfeld, zum Beispiel gemeinsam<br />

mit einem Psychologen.<br />

Soll man eine psychische Krankheit<br />

im Umfeld der Kinder – Schule, Eltern<br />

der Freunde – kommunizieren?<br />

Grundsätzlich muss das nicht sein.<br />

Wenn es für das Verständnis wichtig<br />

ist, zum Beispiel weil das Kind sich<br />

in der Schule nicht konzentrieren<br />

kann, kann man in einem Gespräch<br />

mit der Lehrperson auch sagen, dass<br />

man gerade in einer schwierigen<br />

Situation ist, ohne auf die konkrete<br />

Diagnose einzugehen. Wenn ein<br />

Vertrauensverhältnis besteht, kann<br />

eine offene Kommunikation aber<br />

auch hilfreich sein und zum Verständnis<br />

beitragen.<br />

Was passiert, wenn der betroffene<br />

Elternteil nicht fähig ist, für seine<br />

Kinder zu sorgen?<br />

Dann wird versucht, zu einer gemeinsamen<br />

Lösung zu kommen. Ist<br />

er oder sie nicht einsichtig, erfolgt<br />

im Notfall eine Gefährdungsmeldung<br />

an die KESB. Sie hat die<br />

Aufgabe, nach den aktuellen Belastungen<br />

und nach Unterstützungsmöglichkeiten<br />

zu schauen.<br />

Falls es zu einem Entzug kommt – wie<br />

erklärt man das einem Kind?<br />

Bei kleineren Kindern machen wir<br />

das gern mit Bilderbüchern. Es gibt<br />

«Wichtig ist, dass<br />

Kinder wissen, dass<br />

sie nicht schuld sind<br />

am Verhalten von<br />

Mami oder Papi.»<br />

zum Beispiel eines über eine Fuchsfamilie.<br />

Immer, wenn Vater Fuchs<br />

den grünen Mantel anhat, ist er<br />

komisch. Dann kann er nicht für<br />

Kurt Albermann mit Fritz+Fränzi-Autorin Sandra Casalini.<br />

Zur Person<br />

Dr. med. Kurt Albermann ist Facharzt für<br />

Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,<br />

Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Chefarzt<br />

am Sozialpädiatrischen Zentrum SPZ Winterthur. Der<br />

Buchautor («Wenn Kinder aus der Reihe tanzen»)<br />

ist ärztlicher Leiter des Instituts Kinderseele Schweiz<br />

(iks) der Schweizerischen Stiftung zur Förderung<br />

der psychischen Gesundheit von Kindern und<br />

Jugendlichen, das Fachpersonen berät und<br />

betroffene Familien unterstützt. Albermann ist<br />

Vater von vier erwachsenen Kindern.<br />

48 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Monatsinterview<br />

seine Kinder sorgen. Aber er ist<br />

immer noch der Papi. Jugendlichen<br />

kann man die Sachverhalte natürlich<br />

anders erklären. Wichtig ist, dass die<br />

Kinder wissen, dass sie nicht schuld<br />

sind am Verhalten oder an der<br />

Krankheit von Mami oder Papi.<br />

Es gibt aber auch psychisch kranke<br />

Eltern, die ihre Kinder konkret gefährden.<br />

Ja. Ich habe Kinder gesehen, die von<br />

der stark überlasteten Mutter buchstäblich<br />

an die Wand geknallt wurden.<br />

Oder einen Jungen, dem von<br />

der Mutter in einem schweren schizophrenen<br />

Schub die Pulsadern aufgeschnitten<br />

wurden. Da darf nicht<br />

lange gefackelt werden, die Kinder<br />

müssen sofort weg von den Eltern.<br />

Später kann man die Situation analysieren<br />

und schauen, wie die Beziehung<br />

weiter gestaltet werden kann.<br />

Mit Verlaub – aber eine Mutter, die<br />

ihrem Sohn die Pulsadern aufschneidet,<br />

darf diesen nie wieder sehen ...<br />

Der Fall liegt zehn Jahre zurück. Die<br />

Psychiater der Mutter meinten, sie<br />

brauche den Kontakt zu ihrem Sohn,<br />

um gesund zu werden. Der Junge<br />

hatte Angst, ein Wiedersehen mit der<br />

Mutter nicht zu überleben! Das zeigt,<br />

dass auch Fachleute immer wieder<br />

überfordert sind. Ich kenne einen<br />

psychisch erkrankten Vater, der seine<br />

kleinen Kinder in einer Extremsituation<br />

aus dem Fenster warf. Der Mann<br />

war in Therapie, nimmt weiterhin<br />

Medikamente und hat heute ein herzliches<br />

Verhältnis zu den Kindern.<br />

Ist es auch möglich, als betroffene<br />

Familie ein normales Familienleben zu<br />

führen?<br />

Wenn man davon ausgeht, dass jeder<br />

zweite Mensch im Laufe seines<br />

Lebens irgendwann psychisch erkrankt<br />

und etwa jeder zehnte eine<br />

psychische Störung hat, muss es<br />

möglich sein.<br />

Wie gestaltet sich das Familienleben<br />

nach einer Erkrankung und einer Therapie?<br />

Das ist von der Krankheit und den<br />

möglichen Folgen abhängig. Nicht<br />

selten plagen die Eltern Schuldgefühle.<br />

Das ist nachvollziehbar, aber<br />

wenig hilfreich. Wenn es gelingt, als<br />

Familie die Entstehungsgeschichte<br />

zu verstehen und die Rahmenbedingungen<br />

anzupassen – ausreichende<br />

Entlastung und notwendige Unterstützung<br />

zu ermöglichen –, kann das<br />

Familienleben harmonischer sein als<br />

vor der Erkrankung.<br />

>>><br />

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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>49


Kolumne<br />

Redet ehrlich, aber liebevoll miteinander<br />

Eine Mutter hört einem Gespräch ihrer Tochter mit ihren Freundinnen zu. «Wann sollte<br />

ich mich als Erwachsene in die Beziehung der Kinder einmischen?», fragt sie Jesper<br />

Juul.<br />

Jesper Juul<br />

ist Familientherapeut und Autor<br />

zahlreicher internationaler Bestseller<br />

zum Thema Erziehung und Familien.<br />

1948 in Dänemark geboren, fuhr er<br />

nach dem Schulabschluss zur See, war<br />

später Betonarbeiter, Tellerwäscher<br />

und Barkeeper. Nach der<br />

Lehrerausbildung arbeitete er als<br />

Heimerzieher und Sozialarbeiter<br />

und bildete sich in den Niederlanden<br />

und den USA bei Walter Kempler zum<br />

Familientherapeuten weiter. Seit 2012<br />

leidet Juul an einer Entzündung der<br />

Rückenmarksflüssigkeit und sitzt im<br />

Rollstuhl.<br />

Jesper Juul hat einen erwachsenen<br />

Sohn aus erster Ehe und ist in zweiter<br />

Ehe geschieden.<br />

Eine Mutter erzählt in<br />

einem Brief an Jesper<br />

Juul von ihrer siebenjährigen<br />

Tochter Lena und<br />

einem Gespräch, das sie<br />

mit ihren Freundinnen Julia und<br />

Kim geführt hat. Julia durfte zu<br />

ihrem Geburtstag zwei Freundinnen<br />

für ein Wochenende zu sich nach<br />

Hause einladen. Zu unserer Tochter<br />

Lena sagte Julia: «Du bist eingeladen!»<br />

Lena fragte, ob denn Kim<br />

nicht auch eingeladen sei. Julia:<br />

«Nein, nur du und eine andere<br />

Freundin.»<br />

Daraufhin sagte unsere Tochter,<br />

dass Julia ja nicht unbedingt vor Kim<br />

über dieses Thema reden müsse,<br />

wenn sie nicht eingeladen sei! Julia<br />

erwiderte, dass Kim an die «normale»<br />

Party, die sie auch noch mache,<br />

kommen könne. Unsere Tochter hatte<br />

plötzlich keine Lust auf das<br />

Wochenende und sagte dies ihrer<br />

Freundin, die darauf erwiderte:<br />

«Dann kann ich ja jetzt Kim einladen.»<br />

Kim antwortete, dass sie keine<br />

Lust habe.<br />

Beim Zuhören kamen viele<br />

Gefühle in mir hoch. Ich überlegte,<br />

wie das für mich wäre, wenn jemand<br />

so mit mir reden und mich mal ein-<br />

Verbote lähmen. Gleichwürdige<br />

Dialoge dagegen aktivieren und<br />

entwickeln das Gehirn.<br />

und mal ausladen würde. Wie ist das<br />

unter Kindern? Sprechen sie die<br />

Dinge direkt an und halten so etwas<br />

besser aus als wir Erwachsenen?<br />

Während des Gesprächs habe ich<br />

mich mehrmals gefragt, ob ich etwas<br />

sagen soll und, wenn ja, was. Ich<br />

konnte sowohl mit Julia wie auch<br />

mit unserer Tochter mitfühlen. Julia<br />

wollte unsere Tochter aufrichtig einladen.<br />

Die Antwort unserer Tochter<br />

fand ich ehrlich und stark, weil sie<br />

einfach keine Lust hatte, ohne Kim<br />

an die Party zu gehen.<br />

Inwieweit sollte ich mich als<br />

Erwachsene in die Beziehung zwischen<br />

Kindern einmischen?<br />

Jesper Juul antwortet<br />

Das ist ein wunderbares Beispiel<br />

dafür, wie Kinder Erwachsene in spirieren<br />

und ihre Normen und soziale<br />

Spielregeln in Frage stellen. Kurz<br />

gesagt: Als Elternteil können Sie zwei<br />

Wege gehen: Entweder gehen Sie den<br />

erziehenden und moralisierenden<br />

Weg oder den fragestellenden und<br />

beziehungsaufbauenden Weg. Den<br />

ersten Weg kennen wir alle. Wenn<br />

wir diesen gehen, fühlen sich die<br />

Kinder «falsch» – ganz unabhängig<br />

davon, wie nett und pädagogisch die<br />

Botschaft vermittelt wird – und die<br />

Erwachsenen «richtig». Ende der<br />

Geschichte!<br />

Ich empfehle den anderen, beziehungsaufbauenden<br />

Weg. Das bedeutet<br />

in der Praxis, dass Sie einige<br />

Stunden später zu Ihrer Tochter zum<br />

Beispiel sagen: «Erinnerst du dich an<br />

Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren<br />

50 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Kinder sollten lernen, über ihre<br />

eigenen Gedanken, Gefühle,<br />

Erlebnisse und Werte zu sprechen<br />

statt über die anderer Menschen.<br />

das Gespräch, das du mit deinen<br />

Freundinnen heute hattest? Es ging<br />

darum, wer zur Party eingeladen ist<br />

und wer nicht. Obwohl ich Ehrlichkeit<br />

für wichtig halte, war ich ein<br />

bisschen schockiert, als ich mitbekommen<br />

habe, wie ehrlich ihr zu ­<br />

ein ander wart. Ich frage mich, ob ihr<br />

euch gegenseitig verletzt habt. Ich<br />

weiss es nicht. Ich weiss nur, dass es<br />

mich verletzt hätte. Wie war es für<br />

dich?»<br />

Diese Fragen können zu einem<br />

spannenden Dialog zwischen Mutter<br />

und Tochter führen, in dem beide<br />

einander besser kennenlernen.<br />

Der Dialog wird auch sicher bewirken,<br />

dass Ihre Tochter über ihre<br />

Beziehung zu ihren Freundinnen zu<br />

philosophieren beginnt. Vielleicht<br />

hat die Aussage der Freundin auch<br />

Ihre Tochter verletzt – oder sie hat<br />

das Gefühl, dass die Freundinnen<br />

sich gegenseitig verletzt haben. Dieses<br />

Gespräch eröffnet Ihnen die<br />

Möglichkeit, Ihre Erfahrung und<br />

Werte mit Ihrer Tochter zu teilen.<br />

Kinder und Jugendliche brauchen<br />

stets die Inspiration der Erwachsenen,<br />

um über ihr eigenes Verhalten<br />

und die eigenen Meinungen nachdenken<br />

und reflektieren zu können.<br />

Sie brauchen ganz selten Richter.<br />

Kritik und Verbote lähmen, gleichwürdige<br />

Dialoge dagegen aktivieren<br />

und entwickeln das Gehirn.<br />

Eine verbale Botschaft kann erst<br />

wirklich verstanden werden, wenn<br />

wir auch den Tonfall und die Körpersprache<br />

dazu kennen. Die drei<br />

Mädchen bei Ihnen zu Hause scheinen<br />

miteinander so «cool» gewesen<br />

zu sein, dass sie sich ganz ohne Wut<br />

und Scham mit Tatsachen konfrontieren<br />

konnten. Bei dieser Gelegenheit<br />

möchte ich den Eltern dieser<br />

drei Mädchen mein Kompliment<br />

dafür aussprechen, dass es ihnen<br />

gelungen ist, ihren Kindern die Entwicklung<br />

der persönlichen Sprache<br />

zu ermöglichen.<br />

In weiterer Folge lernen wir<br />

immer mehr die soziale Sprache<br />

dazu. Diese kann vielleicht als oberflächlich<br />

bezeichnet werden, allerdings<br />

hilft sie uns dabei, unsere eigenen<br />

Grenzen und die von anderen<br />

zu schützen. Es ist sehr wertvoll,<br />

neben der persönlichen Sprache<br />

auch über die soziale Sprache zu verfügen.<br />

Kinder lernen sie am besten<br />

und am schnellsten, wenn sie Er ­<br />

wachsene untereinander beobachten.<br />

Erwachsene haben oft das Be ­<br />

dürfnis, den Kindern beizubringen,<br />

wie sie «nett» miteinander reden.<br />

Dies fördert den Lernprozess der<br />

Kinder selten. Die wichtigste Ur ­<br />

sache dafür ist wahrscheinlich, dass<br />

Belehrung und Kritik von den Er ­<br />

wachsenen eben nicht «nett» ist, und<br />

genau dieses Verhalten macht sie<br />

unglaubwürdig.<br />

Sich ausgeschlossen zu fühlen<br />

oder auch nur die Angst davor sitzt<br />

tief in vielen von uns. Deswegen<br />

wollen wir auch unsere Kinder<br />

davor schützen. Es ist ein schöner<br />

Gedanke, der sich aber nur auf einer<br />

oberflächlichen und sozialen Ebene<br />

abspielt – also in der Beziehung zu<br />

Menschen, die uns nicht speziell<br />

wichtig sind. In Freundschaften und<br />

Liebesbeziehungen funktioniert es<br />

nicht, immer «nett» zu sein. Hier<br />

müssen wir früher oder später lernen,<br />

uns zu zeigen und auch in kleinen<br />

Dingen Nein zu sagen, wenn<br />

wir nicht wollen, dass die Beziehung<br />

in die Brüche geht oder zur totalen<br />

Selbstverleugnung führt.<br />

Ehrlichkeit als meine authentische<br />

Aussage über mich selbst ist für<br />

meine persönlichen Beziehungen<br />

immer konstruktiv. Ehrlichkeit hingegen<br />

als meine Meinung über dich<br />

ist fast nie ehrlich. Wenn wir ab und<br />

zu in Bezug auf unsere Gefühle und<br />

Meinungen über andere Menschen<br />

ehrlich sein müssen, sollte die Ehr­<br />

lichkeit immer mit der Liebe Hand<br />

in Hand gehen.<br />

In diesem Punkt brauchen Kinder<br />

Inspiration und Begleitung von<br />

Erwachsenen. Kinder sollten lernen,<br />

über ihre eigenen Gedanken, Gefühle,<br />

Erlebnisse und Werte zu sprechen<br />

statt über die anderer Menschen.<br />

Dieses Lernen fängt zum Beispiel<br />

damit an, wenn die Tochter der<br />

Nachbarn läutet und Ihre Tochter<br />

fragt, ob sie mit ihr spielen mag.<br />

Wenn Sie merken, dass Ihre Tochter<br />

Ja sagt, aber Nein meint, braucht sie<br />

Ihre Hilfe, um herauszufinden, wie<br />

sie am besten ihre eigenen Bedürfnisse<br />

und Grenzen wahren kann,<br />

ohne den anderen zu kränken oder<br />

zu verletzen.<br />

Das ist eine Kunst, die nur wenige<br />

von uns Erwachsenen beherrschen.<br />

Deshalb entscheiden wir uns<br />

oft für die einfachste Lösung: Wir<br />

lehren Kinder, auf eine «nette» Art<br />

(also unantastbar) zu lügen. Das verletzt<br />

den anderen auch, aber wir<br />

haben dabei ein Alibi, und nach vielen<br />

Jahren Praxis verschwindet der<br />

bittere Beigeschmack – fast!<br />

Haben auch Sie eine Frage an Jesper Juul,<br />

die er persönlich beantworten soll?<br />

Dann schreiben Sie uns eine E-Mail an<br />

redaktion@fritzundfraenzi.ch oder<br />

einen Brief an: Schweizer ElternMagazin<br />

Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97,<br />

8008 Zürich<br />

Die Kolumnen von Jesper Juul entstehen<br />

in Zusammenarbeit mit<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>51


Erziehung & Schule<br />

Mit Musik ausdrücken,<br />

was unaussprechlich ist<br />

Klänge, Rhythmen, Tonfolgen – über die Mittel der Musik versuchen Therapeuten einen Zugang<br />

zu ihren jungen Patienten zu finden. Ein wichtiges Element der Musiktherapie ist dabei der Safe Place,<br />

ein sicherer Raum, der es den Kindern ermöglichen soll, sich mitzuteilen.<br />

Text: Sibylle Dubs<br />

Safe Place – ein<br />

Kind in Therpaie soll<br />

sich hier sicher und<br />

geborgen fühlen.<br />

52 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Bild: Sandra Lutz Hochreutener<br />

Ein Raum voller Musikinstrumente.<br />

Darin be ­<br />

wegt sich Nadia. Die<br />

Zehnjährige schlägt auf<br />

Trommeln, Becken und<br />

Gong ein. Dazu stösst sie Schreie<br />

aus. Ihre Musiktherapeutin steht am<br />

Rand, begleitet sie auf dem Xylofon.<br />

Sie spielt kleine Antworten auf<br />

Nadias wildes Spiel und gibt musikalische<br />

Impulse. Doch das Mädchen<br />

scheint diesen Versuch einer<br />

Kontaktaufnahme nicht zu beachten.<br />

Als Betrachter stellt man sich<br />

das hyperaktive Kind im Alltag vor,<br />

wie Nadia aneckt, wie sie aufgefordert<br />

wird, still zu sein, wie ihr<br />

Umfeld vielleicht leidet. Man fragt<br />

sich, wie die Therapeutin dieses<br />

stürmische Mädchen, das gerade<br />

mit unglaublicher Kraft gegen die<br />

Rahmentrommel knallt, stoppen<br />

kann.<br />

Bei dieser Szene handelt es sich<br />

um eine Videosequenz, entstanden<br />

im Rahmen der Musiktherapeuten-<br />

Ausbildung an der Zürcher Hochschule<br />

der Künste ZHdK. Sandra<br />

Lutz Hochreutener schaut auf den<br />

Bildschirm. Sie ist die Leiterin des<br />

Masters of Advanced Studies für klinische<br />

Musiktherapie an der ZHdK<br />

und praktiziert selbst seit 36 Jahren.<br />

«Die Therapeutin hält das aus»,<br />

kommentiert sie die Sequenz mit<br />

Nadia.<br />

Ein Therapieraum ist nicht der<br />

Ort für Kritik und Kontrolle. Im<br />

Gegenteil: Wenn sich das Verhalten<br />

des Kindes verändern soll, muss für<br />

das Mädchen ein sogenannter Safe<br />

Place, ein sicherer Raum, geschaffen<br />

werden. «Ein Kind muss sich so<br />

angenommen und geschützt fühlen,<br />

dass es alle Seiten von sich zeigen<br />

kann: die wilden, harmonischen<br />

oder die bösen.»<br />

Dann kommt im Film ein wichtiger<br />

Moment. Nadia nimmt wahr,<br />

dass die Therapeutin ihren Schlag<br />

auf das Becken auf dem Xylofon wiederholt.<br />

Das Mädchen hält inne,<br />

nimmt Blickkontakt auf, schlägt<br />

erneut auf das Becken und stoppt<br />

sogleich den Nachhall, um zu hören,<br />

ob ihr Spiel wieder eine Antwort<br />

erhält. Als der Xylofonton erklingt,<br />

gibt Nadia einen freudigen Jauchzer<br />

von sich. Ein kleiner Schritt ist<br />

getan, der Beginn einer Beziehung<br />

zwischen Nadia und ihrer Therapeutin,<br />

ein erstes Ankommen in einem<br />

Im Safe Place<br />

lernt ein Kind,<br />

seine Gefühle auch<br />

ausserhalb des<br />

Therapieraums zu<br />

regulieren.<br />

Raum, der zum Safe Place des Mädchens<br />

werden soll. Ziel wird sein,<br />

dass das Mädchen den Safe Place<br />

verinnerlicht. Dann wird sie auch<br />

ausserhalb des Therapieraums besser<br />

fähig sein, ihre Gefühle zu regulieren<br />

und Kontakte zu knüpfen. So<br />

ein Prozess kann lange dauern.<br />

Kommunikation durch<br />

verschlossene Türen<br />

Der Safe Place bildet die Grundlage<br />

für die therapeutische Arbeit, sagt<br />

Sandra Lutz Hochreutener und<br />

erzählt von einem Mädchen aus ihrer<br />

Praxis. Wegen eines frühkindlichen<br />

Traumas beherrschte Angst ihr<br />

Leben. Das war auch im Therapieraum<br />

nicht anders. «Ich sagte, okay,<br />

du kannst dir eine Hütte bauen und<br />

dich drin verstecken, und du >>><br />

Ein Tanz im Park<br />

Musiktherapie ist ein psycho -<br />

therapeu tisches Therapieverfahren, das<br />

für Menschen jeden Alters als Einzeloder<br />

Gruppentherapie angeboten wird.<br />

Die rund 300 Musiktherapeutinnen und<br />

Therapeuten in der Schweiz arbeiten in<br />

Kliniken oder Praxen. Häufige Indikationen<br />

für Musiktherapien bei Kindern sind<br />

Mutismus und andere Kommunikationsstörungen,<br />

Depressionen, psychosomatische<br />

Erscheinungsformen wie<br />

Kopf- oder Bauchweh, Essstörungen oder<br />

Autismus. Die Behandlungen erfolgen<br />

nach Überweisung von Sozialdiensten<br />

oder Ärzten oder auf private Empfehlung.<br />

Die Kosten werden von den Zusatzversicherungen<br />

der Krankenkassen<br />

oder von der IV übernommen.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>53


Erziehung & Schule<br />

>>> kannst auch ein Stofftier mitnehmen.»<br />

wir uns nicht anschauen», sagt Sandra<br />

eröffnet sich ein «schöpferischer<br />

Wochenlang versteckte sich das<br />

Mädchen die ganze Therapie hindurch<br />

in ihrem Haus aus Stühlen,<br />

Decken und Kissen. «Mit der Zeit<br />

gab es Kontakt von innen nach<br />

aussen: Das Mädchen hat auf der<br />

Flöte Töne gespielt, und ich habe<br />

von aussen mit einer anderen Flöte<br />

geantwortet. So hat sich langsam<br />

Kontakt angebahnt.» Daraus entwickelten<br />

Lutz Hochreutener. «Deshalb ist<br />

es auch bei verschlossenen Menschen<br />

ein effizientes Mittel. Die<br />

Schale, die rundherum ist, wird mit<br />

der Musik sanft durchbrochen.»<br />

Wie in jeder Psychotherapie gibt<br />

es auch bei der Musiktherapie eine<br />

Vielzahl von Methoden, die bei den<br />

Patienten individuell eingesetzt werden.<br />

Raum, in welchem Wandlung und<br />

Erneuerung stattfinden kann»,<br />

schreibt Sandra Lutz Hochreutener<br />

in ihrem Buch «Spiel-Musik-Therapie».<br />

Das Buch basiert auf 540 Tonprotokollen<br />

aus ihrer Praxisarbeit,<br />

welche sie analysierte. Die Fallbeispiele<br />

zeigen eindrücklich die Vielfalt<br />

und Möglichkeiten der Musiktherapie.<br />

sich instrumentale «Gesprä­<br />

Mit einem Lied in die Sprache<br />

Anders als Reden<br />

che». Es folgten gegenseitige Besuche,<br />

bis eines Tages das Mädchen berührt und Auch Lieder spielen – gerade in<br />

kommen<br />

statt der Hütte einen Platz für sie<br />

Kombination mit der Improvisation<br />

stimuliert Musik<br />

beide einrichtete. Das Dach «brauche<br />

sie nicht mehr», hätte sie beiläu­<br />

gleichzeitig te «spontane Singen mit Text» ist<br />

– eine wichtige Rolle. Das sogenannfig<br />

gesagt.<br />

eine lustvolle Form, die es Kindern<br />

mehrere Sinne.<br />

Musik hat gegenüber dem Reden<br />

erleichtert, Worte zu finden, um sich<br />

den Vorteil, dass sie mehrere Sinne<br />

gleichzeitig berührt und stimuliert.<br />

Man hört den Klang, spürt die Vi ­<br />

bration, sieht und fühlt die Instrumente<br />

in ihren unterschiedlichen<br />

Grössen und Materialien. Und<br />

Musik spricht sowohl körperlich wie<br />

auch auf der Gefühlsebene an.<br />

«Wenn ich hinten in der Ecke einen<br />

kleinen Ton spiele, ist der andere im<br />

Raum davon beeinflusst, auch wenn<br />

Zentral ist die Improvisation:<br />

das Spielen jenseits von Richtig oder<br />

Falsch. Improvisation kann helfen,<br />

Spannungen abzubauen oder Hindernisse<br />

zu überwinden. Sie wird<br />

auch eingesetzt, um sich in der Therapie<br />

einem Thema zu nähern. Oft<br />

folgen ihr auch Rollenspiele oder<br />

Gespräche. Bei der Improvisation<br />

auszudrücken.<br />

Eine Videoaufnahme zeigt ein<br />

Mädchen, welches gegenüber ihrer<br />

Therapeutin sitzt. Beide haben eine<br />

Gitarre. Die Siebenjährige schlägt<br />

rhythmisch über die Saiten. Die<br />

Therapeutin übernimmt die Bewegung<br />

genau und lässt dabei ihre<br />

Gitarre in harmonischer Abfolge<br />

klingen. Dies gibt einen musikalischen<br />

Boden. Das Mädchen singt<br />

Musiktherapie als Gewaltprävention:<br />

«TrommelPower» in Schulen<br />

Die «TrommelPower»-Methode ist ein spezifisches<br />

Konzept für die präventive Arbeit<br />

in Schulhäusern. Musiktherapeutisch geschulte<br />

Trainer besuchen Klassen, bei denen<br />

Ausgrenzung, Verweigerung, Konflikte,<br />

Unsicherheit oder Angst ein Thema<br />

sind.<br />

Entwickelt wurde die Methode von<br />

einem Team um den Münchner Kinderund<br />

Jugendpsychotherapeuten Andreas<br />

Wölfl: «Die Trommel kann sowohl Kraft<br />

und Stärke als auch Ärger und Wut ausdrücken.<br />

Im Trommelspiel können die verschiedenen<br />

Qualitäten erfahren werden<br />

und die Kinder lernen beides zu unterscheiden.»<br />

Die Grundlagen der Methode stammen<br />

aus der klinischen Arbeit mit aggressiven<br />

Jugendlichen. «In der Analyse der Biografien<br />

gewaltbereiter Jugendlicher wurde<br />

schnell deutlich, dass eine frühzeitigere<br />

Auseinandersetzung mit dem Thema bei<br />

vielen eine negative Gewaltkarriere hätte<br />

verhindern können», stellt Wölfl fest.<br />

«TrommelPower» will mit den Ressourcen<br />

und der Spielfreude der Schüler ihre Kompetenzen<br />

im Umgang mit Stress, Spannungen,<br />

Angst und Konflikten fördern.<br />

Durch das gemeinsame musikalisch-kreative<br />

Erleben entsteht häufig auch ein anderer<br />

Kontakt zwischen Lehrperson und<br />

den Schülern, der die Beziehung offener<br />

und vertrauter macht.<br />

Das Projekt wird auch in der Schweiz angeboten.<br />

Infos: www.trommelpower.org.<br />

54 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


dazu in ein Mikrofon: «Hallo liebe<br />

Freunde, ich bin so alleine.»<br />

Das Mädchen findet Worte, die<br />

ihre eigenen Gefühle ausdrücken.<br />

Dabei zeigt es körperlich kaum<br />

Emotionen. In seinem spontan<br />

erfundenen Lied trifft es einen<br />

Hund, einen Husky. «Hallo, liebe<br />

Freunde, ich bin so alleine» wird<br />

zum Refrain. Schliesslich geht das<br />

Das sogenannte<br />

«spontane Singen»<br />

hilft Kindern,<br />

Worte zu finden,<br />

um sich<br />

auszudrücken.<br />

Mädchen mit dem Hund in den<br />

Wald. Da steht ein böser Räuber.<br />

Der Singfluss ist auf einmal unterbrochen.<br />

Die Situation steht offensichtlich<br />

für ein Trauma. Die Therapeutin<br />

bricht nicht ab, sondern<br />

macht auf der Gitarre ein Zwischenspiel.<br />

«Wenn die Sprache versiegt,<br />

trägt die Melodie weiter», schreibt<br />

Lutz Hochreutener dazu in ihrem<br />

Buch.<br />

Tatsächlich findet das Mädchen<br />

während des musikalischen Intermezzos<br />

zu einer Lösung: «Husky, ich<br />

setze mich auf dich drauf und dann<br />

rennen wir schnell weg.» Und die<br />

Therapeutin stärkt die Lösung: «Wir<br />

rennen, rennen, rennen, rennen,<br />

rennen weg.» Nach dem Lied schreit<br />

das sonst scheue Mädchen, so laut<br />

es kann, «Hallo!» in das Mikrofon.<br />

Es bemerkt, wie die Instrumente im<br />

Raum widerhallen. Dann schreit es<br />

nochmals und nochmals.<br />

Zurück zu Nadia. Drei Monate<br />

sind seit ihrer wilden ersten Therapiesitzung<br />

vergangen. Eine neue<br />

Filmaufnahme zeigt den gleichen<br />

Ort. Nach zehn Therapiesitzungen<br />

scheint er ein Safe Place für Nadia<br />

geworden zu sein. Sie spielt rhythmisch<br />

auf der Lotusflöte, und die<br />

Therapeutin stützt den Rhythmus<br />

mit der Trommel. Nadia versucht,<br />

gleichzeitig zur Flöte auch andere<br />

Instrumente zu spielen. Es gelingt<br />

ihr.<br />

Doch dann verliert sie den<br />

Rhythmus, den sie so lange wiederholte.<br />

Sie geht zur Therapeutin, die<br />

sanft weiterspielt. Nadia hält das<br />

Ohr an die Trommel und stimmt<br />

wieder mit ein. Es ist eine neue Qualität<br />

von Beziehung, welche das<br />

Mädchen hier erlebt. «Die verstehen<br />

sich», denkt der Betrachter und ist<br />

berührt.<br />

>>><br />

Sibylle Dubs<br />

ist Musiklehrerin an der Musikschule<br />

Konservatorium Zürich. Daneben macht sie einen<br />

Master in elementarer Musikpädagogik an der<br />

Zürcher Hochschule der Künste. Die Mutter von zwei<br />

Kindern ist Juristin und hat viele Jahre als<br />

Fernsehjournalistin gearbeitet, bevor sie ihre Liebe<br />

zur Musik und zu Kindern zu ihrem Beruf machte.<br />

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Elterncoaching<br />

Die To-do-Liste kommt<br />

auch mal ohne Sie klar<br />

Es gibt nichts Spannenderes, als mit einem Kind an der Hand die Welt zu<br />

entdecken. Unser Kolumnist weiss, wie es auch vielbeschäftigten Eltern<br />

gelingt, Dinge bewusster zu erleben und zu geniessen.<br />

Fabian Grolimund<br />

ist Psychologe und Autor («Mit<br />

Kindern lernen»). In der Rubrik<br />

«Elterncoaching» beantwortet<br />

er Fragen aus dem Familienalltag.<br />

Der 37-Jährige ist verheiratet<br />

und Vater eines Sohnes, 4,<br />

und einer Tochter, 1. Er lebt<br />

mit seiner Familie in Freiburg.<br />

www.mit-kindern-lernen.ch<br />

www.biber-blog.com<br />

Als Eltern fragen wir<br />

uns, was wir unseren<br />

Kindern für ihr Le ­<br />

ben mitgeben möchten.<br />

Dazu gehören<br />

Liebe, ein gesundes Selbstwertgefühl<br />

und vielleicht eine gute Ausbildung.<br />

Wir können uns aber auch fragen,<br />

was unsere Kinder sich möglichst<br />

lange bewahren sollen und<br />

was wir von ihnen lernen möchten.<br />

Dazu gehört für mich die Fähigkeit,<br />

zu geniessen und zu staunen. Denn<br />

darin sind kleine Kinder wahre<br />

Meister.<br />

Zeit und Raum für Genuss<br />

Um etwas geniessen zu können,<br />

müssen wir uns darauf einlassen<br />

können. Und wir müssen es uns gönnen.<br />

Als vielbeschäftigte Eltern ist<br />

das nicht so einfach. Vor allem dann<br />

nicht, wenn man die Redewendung<br />

«Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen!»<br />

verinnerlicht hat.<br />

In Zeiten von Internet und<br />

E-Mail ist es schwierig geworden,<br />

die Arbeit nach Feierabend ganz<br />

hinter sich zu lassen – und zu Hause<br />

Warten Sie nicht darauf,<br />

bis Sie Zeit finden,<br />

das Leben zu geniessen.<br />

Beginnen Sie gleich jetzt damit.<br />

erwartet die meisten von uns wieder<br />

eine prall gefüllte To-do-Liste. Viele<br />

von uns hätten rund um die Uhr<br />

etwas zu tun. Wenn wir erst Pause<br />

machen, wenn wir zu erschöpft sind,<br />

um weiterzumachen, schaffen wir<br />

keine guten Voraussetzungen für<br />

den Genuss.<br />

Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn<br />

wir diese Philosophie hinterfragen<br />

und da und dort Momente des<br />

Genusses in unseren Alltag einstreuen,<br />

ohne dass wir uns diese zuerst<br />

durch das Abarbeiten aller Aufgaben<br />

verdienen müssen. Es wäre<br />

wahrscheinlich auch für unsere Kinder<br />

hilfreich, wenn sie lernen, dass<br />

Arbeit und Vergnügen sich abwechseln<br />

dürfen – oder dass Arbeit und<br />

Vergnügen gar keine Gegensätze<br />

sind, sondern Arbeit auch ein Vergnügen<br />

sein kann.<br />

Sogar bei Arbeiten, die wir nur<br />

un gern machen, können wir uns<br />

fragen, wie wir sie vergnüglicher ge ­<br />

stalten könnten. Machen diese vielleicht<br />

zu zweit mehr Spass? Oder an<br />

einem schönen Ort?<br />

Warten Sie nicht darauf, bis Sie<br />

Zeit finden, das Leben zu geniessen.<br />

Gönnen Sie sich solche Phasen<br />

gleich jetzt und lassen Sie die To-do-<br />

Liste mal warten. Das Schöne an der<br />

Arbeit ist, dass sie uns nicht davonläuft<br />

und sie uns meist auch niemand<br />

wegnimmt, wenn wir uns<br />

zeitweise nicht darum kümmern.<br />

Nach einem schönen Erlebnis kann<br />

Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />

56 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


man den Elan gleich mitnehmen und<br />

in guter Stimmung wieder loslegen.<br />

Sich auf Alltägliches einlassen<br />

Genuss hat viel mit einer bestimmten<br />

Haltung und Hingabe zu tun.<br />

Wenn wir es uns vornehmen, können<br />

wir fast alles geniessen: eine<br />

Auto- oder Zugfahrt, einen Tee oder<br />

Kaffee, eine kleine Runde Extraschlaf<br />

am Morgen, wenn wir den<br />

Wecker etwas früher stellen, damit<br />

wir noch ein wenig dösen dürfen,<br />

die Sonne oder den Regen. Wenn wir<br />

uns und anderen Zeit schenken,<br />

können wir andere Menschen<br />

geniessen: den Partner, die Kinder,<br />

Freunde.<br />

Dazu müssen wir nichts weiter<br />

tun, als uns zu überlegen, was wir in<br />

den nächsten Stunden mit Genuss<br />

angehen möchten. Diese Frage hilft<br />

dabei, den Moment bewusster zu<br />

erleben und da und dort eine kleine<br />

Portion Extragenuss einzustreuen:<br />

Die Autofahrt wird schöner, wenn<br />

wir uns entweder ganz auf das Fahrerlebnis<br />

konzentrieren oder es mit<br />

unserer Lieblingsmusik oder einem<br />

mitreissenden Hörspiel anreichern.<br />

Der Spaziergang mit dem Kind wird<br />

interessanter, wenn wir unseren<br />

Blick für die Natur öffnen und<br />

gemeinsam Pflanzen, Tiere und<br />

schöne Steine entdecken.<br />

Mut zum Blödsinn<br />

Viele von uns Erwachsenen sind<br />

durchdrungen vom Gedanken, sich<br />

stets nützlich zu machen. «Mach<br />

etwas Sinnvolles!», rufen wir unseren<br />

Kindern zu. Sich und sein Leben<br />

ständig zu optimieren und dauernd<br />

irgendwelchen Zielen oder Pflichten<br />

nachzujagen, kann uns jedoch ermüden.<br />

Ab und zu sollten wir den Mut<br />

haben, unsere Zeit zu verschwenden<br />

und in irgendwelchem Blödsinn zu<br />

schwelgen.<br />

Denn der Genuss liegt oft in den<br />

Dingen, die weder gesund noch<br />

sinnvoll sind: ein gutes Glas Wein,<br />

Süssigkeiten, fettiges Essen. Wenn<br />

wir uns diese Sachen gönnen, ohne<br />

ein schlechtes Gewissen zu haben,<br />

essen und trinken wir nicht mehr<br />

davon – aber wir geniessen sie stärker.<br />

Das Gleiche gilt für die etwas<br />

bescheuerten Hobbys, die wir gerne<br />

vor anderen geheim halten. Wenn<br />

ich morgens müde bin, dann liegt<br />

das oft daran, dass meine Kinder<br />

mich in der Nacht mehrmals ge -<br />

weckt haben. Manchmal trägt<br />

je doch Geralt die Schuld – mein<br />

Hexer, mit dem ich durch die wunderschön<br />

gestaltete Welt von «The<br />

Witcher 3» streife, mit Silber- und<br />

Stahlschwert gegen Monster und<br />

Banditen kämpfe und dabei das eine<br />

oder andere Herz schöner Zauberinnen<br />

erobere. So ein Abenteuer kann<br />

auch mal bis 2 Uhr morgens dauern.<br />

Peinlich? Ja. Aber spannend! Und<br />

die prachtvoll animierten Landschaften<br />

dieses Spiels «tun meinen<br />

Augen so gut».<br />

Viele von uns geniessen von Zeit<br />

zu Zeit etwas, das sie als peinlich<br />

empfinden. Die Amerikaner kennen<br />

dafür den Begriff «guilty pleasures»<br />

und umschreiben damit die Dinge,<br />

die wir gerne mögen – und von<br />

denen wir gleichzeitig das Gefühl<br />

haben, sie nicht mögen zu sollen.<br />

Die Playstation habe ich so platziert,<br />

dass meine Eltern sie nicht sehen,<br />

wenn sie zu Besuch kommen. Den<br />

Satz «ich hatte gehofft, diese Phase<br />

hättest du durch!» will ich nicht<br />

unbedingt hören. Dafür weiss ich,<br />

warum meine Mutter beim Telefonieren<br />

unruhig wird: Im Hintergrund<br />

läuft «Rosamunde Pilcher»,<br />

und sie mag es nicht so recht zugeben.<br />

Meine Frau liebt Vampirromane<br />

und meine Kollegin schaut in der<br />

Freizeit den Bachelor und «Zwischen<br />

Tüll und Tränen».<br />

Wenn wir diese Hobbys und Vorlieben<br />

schon vor anderen verheimlichen:<br />

Zumindest uns selbst könnten<br />

wir sie zugestehen und uns<br />

ihnen mit ganzer Wonne und roten<br />

Ohren hingeben. Und vielleicht<br />

gönnen wir diese Momente in<br />

Fragen Sie Ihre Kinder, wenn<br />

sie von der Schule nach Hause<br />

kommen: «Was möchtest du<br />

heute gerne noch machen?»<br />

gesundem Mass unseren Kindern<br />

und Jugendlichen, ohne ihnen mit<br />

dem Satz «Mach etwas Sinnvolles!»<br />

in den Ohren zu liegen.<br />

Kurztipps zum Thema «Geniessen»<br />

• Starten Sie den Tag mit der Frage:<br />

Was habe ich heute Schönes vor?<br />

• Fragen Sie Ihre Kinder, wenn sie<br />

von der Schule nach Hause kommen:<br />

«Was möchtest du heute<br />

gerne noch machen?»<br />

• Gönnen Sie sich entspannende<br />

Momente – auch wenn noch<br />

nicht alles erledigt ist. Ihre Todo-Liste<br />

kommt auch mal ohne<br />

Sie klar.<br />

• Planen Sie den Genuss. Suchen<br />

Sie sich bereits am Mittag den<br />

Film aus, den Sie gerne sehen<br />

möchten – anstatt am Abend einfach<br />

reinzuzappen. Fragen Sie<br />

sich, wie Sie sich die Zug- oder<br />

Autofahrt zur Arbeit und zurück<br />

versüssen könnten.<br />

• Vermiesen Sie sich selbst und<br />

Ihren Kindern lustvolle Momente<br />

nicht, indem sie scheinbar<br />

sinnlose Vergnügen als kindisch,<br />

nutzlos oder peinlich abwerten.<br />

Halten Sie sich stattdessen an das<br />

Zitat von Will Ferrell: «Kindisch<br />

ist ein Wort, das langweilige<br />

Menschen verwenden, um lustige<br />

Menschen zu beschreiben.»<br />

In der nächsten Ausgabe:<br />

Kinder unter Druck<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>57


Kolumne<br />

Kräftig in<br />

die Eier treten<br />

Michèle Binswanger<br />

Die studierte Philosophin<br />

ist Journalistin und Buchautorin.<br />

Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen,<br />

ist Mutter zweier Kinder<br />

und lebt in Basel.<br />

Erinnere ich mich daran zurück, wann ich mich zum ersten<br />

Mal als Frau fühlte, gibt es diesen einen Moment. Es war nicht<br />

der unvermeidliche rote Fleck in der Unterhose, nicht die<br />

schamvoll umklammerte Packung Tampons, sondern ein<br />

Auto. Mit quietschenden Reifen nahm es die Kurve, ein Mann<br />

beugte sich heraus und brüllte mir hinterher: «Geiler Arsch, du Stute!»<br />

Ich zeigte ihm den Finger – meinen heimlichen Stolz, solches Interesse<br />

zu erwecken, beschloss ich zu ignorieren.<br />

Meine Tochter ist ebenfalls fünfzehn, bald eine Frau. Neulich erzählte<br />

sie mir vom Ausgang. Sie war auf einer Party ihres Gymnasiums, eine<br />

öffentliche Veranstaltung in einer städtischen Halle. Die Musik war<br />

schrecklich, die Jungs peinlich, aber sie hatten grossen Spass. Oh, und<br />

ihre Gruppe von Mädchen sei übel begrabscht worden, erzählte sie beiläufig.<br />

Offensichtlich war da ein Mann, ein Erwachsener, der sich ihrer Gruppe<br />

näherte, die Kolleginnen an den Hintern fasste und meine Tochter, als<br />

sie sich schützend davor stellte, in die Brust kniff. Ich meinte mich verhört<br />

zu haben. «So ein Schwein!», rief ich: Wer das gewesen sei, jemand,<br />

den sie kenne? Hatte ihn sonst jemand gekannt? Sie lächelte unsicher,<br />

überrascht von meiner Reaktion: «Chill, Mama, so schlimm war es<br />

nicht.» Chill? Kommentarlos in die Eier treten sollte man so einen.<br />

Was meine Tochter mir signalisierte, ist beruhigend. Dass ich mir keine<br />

Sorgen machen muss, dass das ein Idiot war und sie mit der Erfahrung<br />

klarkommt. Ob meine Tochter aber auch wusste, was ich meine, bezweifle<br />

ich. Nämlich, dass sich kein Mann solch niederträchtige Übergriffe<br />

erlauben darf. Und keine Frau und schon gar kein Mädchen sich das<br />

gefallen lassen muss. Ganz egal, wie schlimm der Übergriff empfunden<br />

wird oder eben nicht.<br />

Die Pubertät ist eine Zeit der körperlichen Revolutionen. Haare<br />

spries sen, Brüste knospen, Hüften wachsen. Und die Blicke auf der Strasse<br />

verändern sich, wenn man als sexuelles Wesen wahrgenommen wird.<br />

Die Verwandlung wird oft von psychische Krisen begleitet, die sich in<br />

dieser Zeit in Form von Essstörungen oder Selbstverletzungen zeigen<br />

können. Dahinter steckt das Bedürfnis, die Kontrolle zurückzugewinnen,<br />

seine physischen und psychischen Grenzen zu manifestieren.<br />

Was braucht es, um sich in einer Wohnung, einer neuen Stadt, mit<br />

einem neuen Menschen heimisch zu fühlen? Es braucht Erfahrungen.<br />

Man holt Brot aus der Bäckerei zwei Strassen weiter, erlebt, wie der Park<br />

nebenan sich mit den Jahreszeiten verändert. Und genau so funktioniert<br />

es mit der Sexualität. Es geht darum, sich diesen neuen Körper und diese<br />

neue Persönlichkeit zu entdecken. Und vor allem zu erkennen, wo die<br />

Grenzen liegen und wie man sie schützt.<br />

Meine Tochter wird ihren eigenen Weg finden. Ich habe sie derweil für<br />

einen Krav-Maga-Kurs angemeldet. Dort lernt man effektive und gnadenlose<br />

Selbstverteidigungstechniken. Damit sie den nächsten Täter<br />

kräftig in die Eier treten kann.<br />

Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren<br />

58 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Post<br />

Erziehung & Schule<br />

Kritzeln – Krakeln – Kleckern:<br />

Spiele zur Schreibmotorik<br />

Gut ausgebildete motorische Fertigkeiten erleichtern den späteren<br />

Handschrifterwerb in der Schule. Hier folgen drei spielerische Schreib- und<br />

Kritzelideen für den geübten Umgang mit Stift und Papier. Text: Johanna Oeschger<br />

Allerlei zum Schreiben<br />

«Wie schreibt man das?» Viele Kinder<br />

werden neugierig auf die Schreibweise<br />

von Wörtern, wenn sie einmal die ersten<br />

Buchstaben entdeckt haben. Eltern können<br />

die Wörter vorschreiben – oder<br />

helfen, sie aus Papier auszuschneiden,<br />

aus Teig- oder Knetwürsten zu formen,<br />

mit Schaum auf den Spiegel zu schreiben,<br />

mit dem Finger im Sand oder einem<br />

Zweig im Schlamm. Kinder freuen sich<br />

über die Spuren ihres Schreibens.<br />

Blind zeichnen<br />

Kinder können beim Malen oder Schreiben<br />

die Augen schliessen, verbinden<br />

oder ein Blatt vor das Gesicht halten.<br />

Fehlt plötzlich die visuelle Kontrolle<br />

beim Zeichnen oder Schreiben, werden<br />

die Bewegungen der Hand stärker wahrgenommen<br />

und prägen sich intensiver<br />

ein.<br />

Hintergrund<br />

Schreiben ist anstrengend und<br />

fordert Anfänger ganz speziell:<br />

Sie müssen nicht nur den Textinhalt<br />

planen, ordnen und ausformulieren,<br />

sondern auch viel Konzentration<br />

für das Formen der<br />

Buchstaben auf dem Papier aufwenden.<br />

Ist diese Grundfähigkeit<br />

erst einmal automatisiert, wird<br />

das Arbeitsgedächtnis entlastet<br />

und kann sich mit den übrigen<br />

Aufgaben des Schreibprozesses<br />

befassen. Ab der Primarstufe<br />

wird die flüssige und leserliche<br />

Handschrift deshalb systematisch<br />

geübt. Beim Basteln, Malen<br />

und Kritzeln verbessern Kinder<br />

ihre motorischen Fähigkeiten<br />

und lernen so schneller, von<br />

Hand zu schreiben.<br />

Katz und Maus<br />

Zwei Spieler halten je einen Stift im Dreipunktgriff<br />

(Stift zwischen Daumen,<br />

Zeig- und Mittelfinger) und führen ihn<br />

über ein Blatt. Spieler 1 spielt die «Katze»,<br />

Spieler 2 die «Maus». Wenn sich die<br />

Stiftspitzen berühren, ist die Maus<br />

gefangen.<br />

App-Tipp<br />

Bild: Plainpicture<br />

Kids Paint<br />

Eine App speziell für Kinder mit verschiedenen<br />

Utensilien zum Kritzeln, Zeichnen, Ausmalen<br />

oder Verzieren von Fotos. Für Tablet oder<br />

Smartphone (iOS und Android). Kosten: Fr. 1.–.<br />

Johanna Oeschger<br />

ist Literatur- und Sprachwissenschaftlerin,<br />

unterrichtet Deutsch und Englisch<br />

auf der Sekundarstufe II und arbeitet als<br />

Mediendidaktikerin bei LerNetz.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>59


Der Weg zu Franz Ziegler führt vorbei<br />

am Kindergarten und der Dorfschule.<br />

Kindergeschrei, da n wieder Sti le.<br />

Noch schne l die Dorfstra se<br />

überqueren, und man steht vor<br />

einem schn ewei sen Haus, dahinter<br />

grasen Kühe und Schafe. «Sie haben<br />

es aber schön hier!», sage ich, als die<br />

Tür aufgeht. Franz Ziegler lächelt:<br />

«Nicht wahr? In Zäziwil scheint seit<br />

Monaten die Sonne.»<br />

He r Ziegler, eine Mu ter, total<br />

gestre st, sagt im Zorn zu ihrer<br />

kleinen Tochter: «Manchmal würde<br />

ich dich am liebsten verkaufen!»<br />

Da hat die Mu ter ihre Tochter ge ­<br />

schlagen, würde ich sagen.<br />

Geschlagen?<br />

Ja, mit Worten. Verbale Gewalt ist<br />

die typischste Form von psychischer<br />

Gewalt. Deshalb spricht man auch<br />

Wie definiert man genere l psychische<br />

oder s elische Gewalt an Kindern?<br />

Monatsinterview<br />

von Wortschlägen.<br />

Das ist ein sehr komplexes und weites<br />

Thema. Psychische Gewalt ka n<br />

von einem einfachen Nebensatz wie<br />

«Kapierst du das eigentlich nie?» bis<br />

zum verbalen Treiben in den Selbst­<br />

Auf jeden Fa l. In dem Moment, in<br />

mord führen: «Ich wünschte, du<br />

Erpre sen, Lächerlichmachen, De­<br />

wärst tot.» Das wichtigste Merkmal Selbstvertrauens und das Vertrauen<br />

Mit dem Kind nicht mehr zu reden<br />

beziehungsweise ihm zu vermitteln,<br />

mütigen, Isolieren, Ignorieren oder<br />

auch permanente Schuldzuweisungen.<br />

dir, ist eine Form von Erpre sung.<br />

von psychischer Gewalt ist, da s<br />

vermi teln, sei es durch Drohen,<br />

Eltern ihrem Kind das Gefühl von<br />

Minderwertigkeit oder Wertlosigkeit<br />

Ein Fünfjähriger wi l sein Zimmer nicht<br />

aufräumen, die Mu ter redet auf ihn<br />

ein, nichts pa siert. Irgendwa n sagt<br />

sie gar nichts mehr. Auch auf die verunsicherte<br />

Nachfrage des Kindes hin,<br />

«Mama, was ist de n?», schweigt sie<br />

beharrlich. Ka n man in diesem Fa l<br />

von seelischer Gewalt sprechen?<br />

in andere zu untergraben anfange,<br />

reden wir von psychischer Gewalt.<br />

ich lieb dich nur, we n dein Zimmer<br />

aufgeräumt ist, und trete auch erst<br />

da n wieder in sozialen Kontakt mit<br />

Und we n sich die Mu ter nur zurückzieht,<br />

um am Ende nicht die Fa sung<br />

zu verlieren?<br />

Das ist eine andere Situation. Es ist<br />

ein Unterschied, ob sich eine Mu ter<br />

ein Timeout von zehn Minuten<br />

nimmt, dieses auch al solches deklariert,<br />

um da n wiede ruhiger mit<br />

dem Kind sprechen zu kö nen, oder<br />

ob sie beha rlich schweigt und jeden<br />

Versuch des Kindes, wieder mit ihr<br />

in Kontakt zu treten, boykottiert.<br />

Nehmen wir ein anderes Beispiel. Eine<br />

13-Jährige kommt wiederholt mit<br />

schlechten Noten nach Hause, am<br />

Nachmi tag möchte sie mit ihren<br />

Freundi nen reiten gehen. «Lern du<br />

erst einmal vernünftig rechnen, so<br />

blöd wie du ka n man doch gar nicht<br />

sein», macht ihr Vater ihren Freizeitplan<br />

zunichte. Was tut er mit diesem<br />

Satz seiner Tochter an?<br />

Franz Ziegler<br />

beschäftigt sich<br />

schon seit über<br />

25 Jahren mit<br />

Kinderschutz.<br />

Er studierte<br />

Heilpädagogik<br />

und Psychologie.<br />

3<br />

Entspa nung.<br />

«Jeder verdient<br />

eine Chance»<br />

Erziehung & Schule<br />

Erziehung & Schule<br />

« Eltern, holt euch Hilfe!»<br />

Drohen, Erpressen, Demütigen – im Familiena ltag können nicht nur Ohrfeigen Kinder<br />

verletzen. Psychische Gewalt ist die häufigste Form von Gewalt gegen Minderjährige,<br />

sagt der Psychologe und Heilpädagoge Franz Ziegler. Der Kinderschutzexperte über<br />

ein Phänomen, das schwer einzugrenzen ist, aber quasi jede Familie betri ft.<br />

Interview: Evelin Hartma n Bilder: Ruben Wy tenbach / 13 Photo<br />

«Mit dem Kind<br />

nicht mehr zu<br />

reden, ist eine<br />

Form der<br />

Erpressung.»<br />

dem ich die Entwicklung seines ><br />

32 März <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

«Wie kann man nur so<br />

ausländerfeindlich sein?!»<br />

Eine Chance<br />

für Mohamed<br />

Ob man ans Gymnasium kommt oder nicht, entscheidet die Herkunft. Das ist leider<br />

auch in der Schweiz noch immer so. Das Programm ChagALL so l für mehr<br />

Chancengleichheit sorgen. Junge, begabte Migrantinnen und Migranten werden<br />

dabei für eine höhere Schu laufbahn fit gemacht. Eine Erfolgsgeschichte.<br />

Text: Evelin Hartma n Bilder: Roshan Adihe ty / 13 Photo<br />

52<br />

Februar <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

(Konterleserbrief zum Leserbrief von Marco Specker<br />

zum Artikel «Eine Chance für Mohamed», Heft 3/<strong>2017</strong>)<br />

Für eine be sere<br />

Konzentration:<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Februar <strong>2017</strong> 53<br />

Mohamed (rechts)<br />

und die anderen<br />

Teilnehmer lernen<br />

Übungen zur<br />

«Worte können einen ein halbes<br />

Leben lang verfolgen»<br />

(Monatsinterview zum Thema psychische<br />

Gewalt, Heft 3/<strong>2017</strong>)<br />

Ein äusserst wertvoller Artikel, der bewusst macht, wie<br />

mächtig Sprache ist. Besonders prägend entfalten sich<br />

negative, kühle und gezielt eingesetzte Worte, die einen<br />

ein halbes Leben lang verfolgen können.<br />

Ein Beispiel: Meine erste Handarbeitslehrerin war<br />

sich politisch mit meinem Vater nicht einig und liess<br />

ihren Unmut über seine Haltung an mir aus mit der<br />

Bemerkung: «Jetzt kommst wieder du mit deinen zwei<br />

linken Händen.» Es gelang ihr in drei Jahren, mein<br />

Selbstbewusstsein in allem, was Handarbeit betraf, für<br />

Jahre zu zerstören, so dass ich immer zitterte, wenn ich<br />

etwas vorzeigen wollte. Als ich die Prüfung für die<br />

Bezirksschule Aarau mühelos bestand, fragte sie: «Wie<br />

kann jemand, der keinen geraden Saum hinbringt, so<br />

etwas erreichen?»<br />

Ich wurde später Lehrerin und unterrichtete gern,<br />

aber erst die eigenen Kinder brachten mich von der<br />

fixen Idee ab, ich hätte zwei linke Hände, indem sie mich<br />

einfach immer wieder voller Vertrauen fragten und<br />

baten: Mami, bitte hilf mir. Mami, kannst du das wieder<br />

flicken? Mami, wie geht das? Ich hüte mit meinem<br />

Mann regelmässig unsere Enkelbuben, und wie Sie<br />

sehen, ist mir dieser despektierliche Satz, diese<br />

Beurteilung oder Verurteilung durch die Handarbeitslehrerin<br />

immer noch bewusst.<br />

Ursula Fehr, Eglisau (auf www.fritzundfraenzi.ch)<br />

Ich bin auch geschockt, aber auch fassungslos und traurig! Und zwar<br />

ob des von Fremdenhass triefenden Leserbriefs von Marco Specker.<br />

Was bringt Menschen wie ihn dazu, so ausländerfeindlich zu sein und<br />

zu glauben, etwas Besseres zu sein? Nur weil wir das grosse Glück<br />

haben, in einem verhältnismässig sicheren und schönen Land leben zu<br />

dürfen, haben wir nicht das Recht, andere, die zudem Krieg und Gewalt<br />

miterleben müssen, zu diskriminieren. Niemand kann etwas für seine<br />

Hautfarbe, seine Herkunft und seine Wurzeln. Statt Hetze zu betreiben,<br />

Angst zu schüren, Ausländer vorzuverurteilen, auszugrenzen besser<br />

integrieren, etwas mehr Dankbarkeit zeigen – dafür, auf der sonnigen<br />

Seite des Lebens leben zu dürfen, fernab von Krieg, Gewalt, Terror und<br />

Menschenrechtsverletzungen. Im Gegensatz zu Herrn Specker lehren<br />

wir unseren Kindern, dass es weder auf die Herkunft, Hautfarbe,<br />

Religion noch auf die Sprache ankommt, sondern allein auf den<br />

Menschen, dessen innere Werte und Charakter. Jeder hat eine Chance<br />

verdient! Herr Specker: In rund 195 Ländern sind auch Sie Ausländer!<br />

Andrea Mordasini, Bern (per Mail)<br />

«Mit Herzblut und<br />

Kompetenz produziert»<br />

(Spezialheft Gesundheit, Heft 3/<strong>2017</strong>)<br />

Das haut auch einen alten Mediengaul aus den<br />

Socken: Eure neue Nummer mit der Gesundheits-<br />

Beilage ist bewundernswert. Ich weiss und bedaure<br />

es, dass ein solches Medium, das mit viel Herzblut<br />

und grosser Kompetenz produziert wird, im Tsunami<br />

des Internets zu wenig Beachtung findet. Leider zählt<br />

heute der geile Reiz mehr als wahre Werte und Inhalte.<br />

Hans Jürg Deutsch, Ringier AG, Projekte/Beratung<br />

(per Mail)<br />

60 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Jesper J ul<br />

ist Familientherapeut und Autor<br />

zahlreicher internationaler Bestse ler<br />

zum Thema Erziehung und Familien.<br />

1948 in Dänemark geboren, fuhr er<br />

nach dem Schulabschlu s zur S e, war<br />

später Betonarbeiter, Te lerwäscher<br />

und Bark eper. Nach der<br />

Lehrerausbildung arbeitete er als<br />

Heimerzieher und Sozialarbeiter<br />

und bildete sich in den Niederlanden<br />

und den USA bei Walter Kempler zum<br />

Familientherapeuten weiter. Seit 2012<br />

leidet J ul an einer Entzündung der<br />

Rückenmarksflüssigkeit und sitzt im<br />

Ro lstuhl.<br />

Jesper J ul hat einen erwachsenen<br />

Sohn aus erster Ehe und ist in zweiter<br />

Ehe geschieden.<br />

Kolumne<br />

ein Ma n und ich<br />

sind seit acht Jahchen<br />

ha te.<br />

ren verheiratet<br />

und haben eine<br />

über Selbstmordgedanken gespro-<br />

Ich arbeite, habe promoviert und<br />

bin total erschöpft. Wir haben auch<br />

siebenjährige,<br />

wunderbare Tochter. Als ich ihn<br />

ich im A leingang. Unterstützung<br />

ten Gewohnheit. Alkohol war ein<br />

ke nenlernte, hat er oft getrunken.<br />

finanzie le Probleme. Und a les, was<br />

mit unserer Tochter zu tun hat, re gle<br />

Begleiter jeder Auseinandersetzung.<br />

Das wurde mit der Zeit zu einer fes-<br />

bekomme ich gar keine – und zwar<br />

Er arbeitet vorwiegend nachmit-<br />

momentan auf ein Telefongespräch<br />

reduziert.<br />

tags und abends. Seine Präsen zu<br />

Hause beschränkt sich meist auf den<br />

So ntag. Erst we n sein Schlafbedürfnis<br />

gedeckt ist, hat er für die<br />

Tochter etwas Zeit, die er am liebsten<br />

in der Wohnung verbringt. Ich mu s<br />

seit Anfang an. Die Kommunikation<br />

zwischen mir und meinem Ma n ist<br />

Unsere Tochter spürt die Frustration<br />

und Nervosität meinerseits und<br />

ist unglücklich, da sie wenig von<br />

ihrem Papa hat. Sie vermi st seine<br />

oft intervenieren, damit es zu einer<br />

gemeinsamen Aktivität kommt.<br />

Sie hat keine Strategi entwickelt,<br />

sendung, oder wir e sen zusammen.<br />

Die Ro lenaufteilung in der Familie<br />

ist kla sisch: Der Ma n bringt das<br />

Geld nach Hause, die Frau steht hinterm<br />

Herd und erzieht die Kinder.<br />

Damit bin ich nicht einverstanden.<br />

Ich bin anders erzogen worden, füg-<br />

A lerdings ka n sie nicht diploma-<br />

te mich aber zum Wohl des Kindes. tisch sein.<br />

Nach Jahren mu ste ich feststellen,<br />

da s mein Ma n depre siv ist. Er<br />

hat das auch zugegeben, nachdem er<br />

Aufmerksamkeit und leidet darunter.<br />

Seit einem Jahr ist sie sehr wei-<br />

Dann schaut er mit ihr eine Kinder-<br />

ausgeschlo sen, sagt öfters, sie habe<br />

um nach einem Ersatz oder Ausweg<br />

zu suchen, we n sie ausgeschlo sen<br />

nerlich, fühlt sich oft von Kindern<br />

einen schlechten Tag und sei traurig.<br />

wird. Sonst gibt sie gern den Ton an,<br />

das liegt in ihrem Temperament.<br />

Eigentlich fühlen wir uns beide<br />

ausgeschlo sen, nicht wahrgenommen.<br />

Unsere Bedürfni se werden<br />

gar nicht erkannt. Ich bewege mich<br />

in einem Teufelskreis.<br />

Ich habe Hilfe gesucht, gehe zur<br />

Kindertherapeutin meiner Tochter<br />

und ka n in Gesprächen etwas von<br />

und verstehen. Auch das Verhalten<br />

meinem Frust erke nen, begründen<br />

meiner Tochter spreche ich an, da<br />

I lustration: Petra Dufkova/Die I lustratoren<br />

sie mir gegenüber seit Jahren grob<br />

ist. Und ich habe vor, mit meinem<br />

Ma n bei unserem Hausarzt seine<br />

Depre sion und Behandlungsmöglichkeiten<br />

zu besprechen.<br />

Ic habe über eine Trennung<br />

nachgedacht. Aber ich befürchte,<br />

da s es da n gar keinen Austausch<br />

mehr zwischen Tochter und Vater<br />

gibt. Anderseits bietet eine glückliche<br />

Mu ter wohl mehr Halt als eine<br />

überforderte und unglückliche, die<br />

keinen Ausweg sieht. Wie sehen Sie<br />

das, He r J ul?<br />

Antwort von Jesper J ul<br />

Vielen Dank für Ihr Vertrauen und<br />

di ehrliche, direkte Art, mit welcher<br />

Sie Ihre Familiensituation schildern;<br />

das ist für mich und auch für viele<br />

andere Familien, die mit ähnlichen<br />

Problemen kämpfen, hilfreich. Es<br />

gibt aber eine wesentliche Information,<br />

die ich Ihrem Brief nicht entnehmen<br />

kann: Lieben Sie Ihren<br />

Ma n? Ich frage das deshalb: So lten<br />

Si es nicht tun, ist es für mich<br />

schwer vorste lbar, woher Sie die<br />

Energie und das Durc haltevermögen<br />

nehmen werden, um die nächsten<br />

drei bis fünf Jahre zu überstehen,<br />

unabhängig davon, welche Entscheidung<br />

Sie treffen.<br />

Ich bin überzeugt davon, da s der<br />

Schmerz Ihrer Tochter Ihnen schon<br />

gezeigt hat, da s Sie ihr keinen<br />

Gefa len damit getan haben, die<br />

L ere Ihrer Ehe über so viele Jahre<br />

hinweg zu erdulden. Sie beide sind<br />

der Dynamik zum Opfer gefa len,<br />

welche vom inkompetentesten Mitglied<br />

der Familie, Ihrem Ma n, definiert<br />

wird.<br />

Es braucht immer zwei Personen,<br />

um eine destruktive Beziehung zu<br />

schaffen, und in Ihrem Fa l haben<br />

Sie Ihrem Ma n die Macht gegeben,<br />

die er jetzt hat. Es ist, als ob Sie ihm<br />

die Autoschlü sel in die Hand drücken<br />

und ihn darum bitten würden,<br />

mit Ihnen a len betrunken zu fahren.<br />

Vor einem moralischen Richter<br />

verliert der Alkoholisierte immer,<br />

aber im richtigen Leben sind Sie beide<br />

gleicherma sen verantwortlich,<br />

und nur Ihre Tochter ist das Opfer.<br />

Ic hebe dies in der Hoffnung<br />

hervor, da s Sie damit anfangen werden,<br />

Ihre wertvo le Energie dafür zu<br />

verwenden, für sich selber zu kämpfen<br />

und nicht gegen ihn. Je länger Sie<br />

so weitermachen wie bisher, je<br />

schuldiger wird er sich fühlen, und<br />

Schuld macht ihn durstig. Wenn es<br />

Ihnen gelingt, die Verantwortung<br />

für sich selber und Ihre Tochter zu<br />

übernehmen, kö nt es ihn dazu<br />

inspirieren, die Verantwortung für<br />

sein Leben zu übernehmen.<br />

We n es wahr ist, da s er seit vielen<br />

Jahren unter einer starken De ­<br />

pre sion leidet, hat er den de struktivsten<br />

Weg, damit umzugehen,<br />

gewählt, nämlich zu einem introvertierten,<br />

unverantwortlichen, selbstzerstörerischen<br />

Ma n und Vater zu<br />

werden. Ich sage bewu st «gewählt»,<br />

weil es andere Möglichkeiten gab,<br />

zum Beispiel den Schmerz mit<br />

Ihnen zu teilen oder profe sione le<br />

Hilfe in Anspruch zu nehmen.<br />

Diese schlechte Wahl war in der<br />

Hinsicht ansteckend, als Sie und<br />

Ihre Tochter seine Strategie kopiert<br />

haben. Ihnen und der Zu kunft Ihrer<br />

Tochter zuliebe und um möglicherweise<br />

eine si nvo le Partnerschaft zu<br />

schaffen, mü sen Sie jetzt verantwortlich<br />

werden und eine der folgenden<br />

Entscheidungen treffen:<br />

1. We n Ihre Liebe für ihn erschöpft<br />

ist, schulden Sie es Ihnen beiden,<br />

sich von ihm scheiden zu la sen.<br />

Di ersten Monate, nachdem Sie<br />

und Ihre Tochter ausgezogen sind,<br />

werden zeigen, ob er sich emotional<br />

als Teilzeitvater qualifizieren<br />

möchte. Der erste Schri t ist, mit<br />

dem Trinken aufzuhören.<br />

2. We n Sie ihn immer noch lieben,<br />

so wie er ist, mü sen Sie von ihm<br />

verlangen, da s er zur Kur geht<br />

und trocken wiederkommt. Solang<br />

er an einem Programm teilnimmt,<br />

geben Sie ihm alle Unterstützung,<br />

welche sein Betreuer<br />

vorschlägt. Denken Sie nie, da s<br />

Ihre Liebe ihn heilen ka n. Nur er<br />

selber ka n sich heilen, und Sie<br />

können ihn in den folgenden<br />

Monaten und Jahren dabei unterstützen.<br />

We n Ihr Hausarzt ihn<br />

als klinisch depre siv diagnostiziert<br />

und ihm Antidepre siva verschreibt,<br />

mu s er am selben Tag<br />

mit dem Trinken aufhören und<br />

nicht warten, bis er sich weniger<br />

depre siv fühlt. Sie und Ihre Tochter<br />

mü sen in Bezug auf Ihren<br />

Umgang miteinande realistische<br />

Erwartungen haben. Sehr oft<br />

erzeugen Antidepre siva ein mattes<br />

Gefühlsleben.<br />

Ganz gleich, welche Entscheidung<br />

Sie treffen, für Ihre Tochter wird es<br />

das Geschenk ihres Lebens sein.<br />

Nicht nur die Beziehung zu ihrem<br />

Vater wird viel klarer, Sie bekommt<br />

auch in Ihnen ein weibliches Vorbild,<br />

da sich weigert, ein Opfer zu sein.<br />

Sie mu s da sehr bald lernen.<br />

Die Kolumnen von Jesper J ul entstehen<br />

in Zusammenarbeit mit<br />

Leserbriefe<br />

«Bleibt nur die Trennung?»<br />

(«Kämpfen Sie für sich selbst, nicht<br />

gegen Ihren Mann», Heft 2/<strong>2017</strong>)<br />

Kämpfen Sie für sich selbst,<br />

nicht gegen Ihren Mann!<br />

Ein Familienvater trinkt, zieht sich zurück, wirkt depressiv. Seine Familie leidet darunter.<br />

Die siebenjährige Tochter fühlt sich allein und ausgeschlo sen. Seine Frau bi tet Jesper Juul<br />

um Rat – und bekommt eine Antwort, die sie vor eine grundlegende Entscheidung ste lt.<br />

M<br />

Es braucht immer zwei<br />

Personen, um eine destruktive<br />

Beziehung zu scha fen.<br />

Werden Sie für Ihre Tochter ein<br />

weibliches Vorbild, da sich weigert,<br />

ein Opfer zu sein. Sie muss das<br />

sehr bald lernen.<br />

36 Februar <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Februar <strong>2017</strong> 37<br />

«Diese Familie braucht echte Hilfe»<br />

(«Kämpfen Sie für sich selbst, nicht gegen Ihren<br />

Mann», Heft 2/<strong>2017</strong>)<br />

Mir erscheint Jesper Juuls Antwort aufgrund der vorliegend geschilderten<br />

Lage nachvollziehbar. Beim Lesen empfinde ich die Anfrage der Mutter als<br />

Bitte um Rechtfertigung einer Trennung. Nachvollziehbar, und aus meiner<br />

Sicht sehr verständlich.<br />

Mein Mann trinkt ebenfalls viel und regelmässig Alkohol. Er ist ein<br />

liebevoller Papa und Ehemann, aufmerksam, fürsorglich. Er wirkt<br />

praktisch nie betrunken. Alles läuft, der Job, der Haushalt (den grösstenteils<br />

er schmeisst), die Familie. Für ihn gibt es keinen Grund, etwas zu<br />

ändern. Aber ich möchte nicht, dass unsere beiden Kinder in einem<br />

Umfeld aufwachsen, in dem solche Mengen Alkohol «normal» sind.<br />

Auch ich habe an eine Trennung gedacht. Doch der Psychologe in der<br />

Suchtberatung hat mir andere Sichtweisen aufgezeigt. Dass z. B. das<br />

Suchtproblem für die Kinder durch die Trennung nicht gelöst wird. Dass<br />

ihr Papa in die «Jetzt erst recht»-Position gehen könnte und ich weniger<br />

mitbekäme, was laufe. Er sagte, dass eine Trennung zu einer Therapie<br />

führen könnte oder auch nicht. Dass das weder in meiner Macht noch in<br />

meiner Verantwortung stehe. Dass es vielmehr meine Erwartung sei, dass<br />

mein Mann meine Sicht übernehme und sich dieser unterordne, statt dass<br />

ich ihm die Verantwortung eines selbständigen Erwachsenen überlasse,<br />

seinen eigenen Umgang und Ausweg aus der Situation zu finden.<br />

So frage ich mich bei der Antwortmöglichkeit zwei, die Jesper Juul<br />

gegeben hat: Was ist die Konsequenz, wenn sich der Mann gegen eine<br />

Entwöhnungskur entscheidet? Es würde mich unheimlich interessieren,<br />

ob er wirklich nur den Weg der Trennung sieht.<br />

Madeleine (per Mail)<br />

Jesper Juul mag eine grosse Ahnung von vielem haben, doch mit<br />

der Psychiatrie scheint er sich nicht auszukennen. Dieser<br />

Dampfhammer-Text ist brandgefährlich. Er kann eine sehr rasche<br />

und sehr gravierende Dynamik auslösen. Dass der alkoholkranke<br />

Vater für eine Therapie aus dem System genommen wird, ist<br />

sicher sinnvoll. Aber ohne peitschenden Mahnfinger in der Luft.<br />

Das ist 100 Prozent kontraproduktiv. Es gibt Probleme, die sich<br />

nicht mit einem markigen Textchen lösen lassen. Diese Familie<br />

benötigt echte Hilfe. Die Mutter wird leider noch viel Geduld und<br />

Energie aufbringen müssen, es gibt keine Blitzwunder.<br />

Ich kenne Menschen, die Angehörige durch Suizid verloren<br />

haben. Das ist für alle Hinterbliebenen die schlimmstmögliche<br />

Wendung.<br />

Markus Urs Leutwyler (via Facebook)<br />

Schreiben Sie uns!<br />

Ihre Meinung ist uns wichtig! Was machen wir gut?<br />

Was könnten wir besser machen? Lassen Sie es uns<br />

wissen! Sie erreichen uns über: leserbriefe@fritzundfraenzi.ch<br />

oder Redaktion Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich.<br />

Und natürlich auch über Twitter: @fritzundfraenzi<br />

oder Facebook: www.facebook.com/fritzundfraenzi.<br />

Kürzungen behält sich die Redaktion vor.<br />

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richtigen Zeitpunkt kann aufgehen, wenn sich kaufen in der Börsenhausse weniger (teure),<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi April <strong>2017</strong>61<br />

die Finanzmärkte nach der Investition positiv ent­<br />

bei tiefen Kursen dafür mehr (günstige) Anteile.


Hochbegabt –<br />

na und?<br />

Im Atelier Plus in Arth-Goldau SZ<br />

werden hochbegabte Schüler<br />

unterrichtet. Sie sind intelligent,<br />

wissbegierig und kontaktfreudig –<br />

aber vor allem sind sie ganz normale<br />

Kinder. Ein Unterrichtsbesuch.<br />

Text: Matthias von Wartburg Fotos: Gabi Vogt / 13 Photo<br />

Schulhaus Sonnegg, erster<br />

Stock. An der Tür des Ateliers<br />

Plus streckt einem<br />

Albert Einstein die Zunge<br />

entgegen. «Er er forschte<br />

die Zeit und den Raum», steht unter<br />

der Bleistiftzeichnung geschrieben.<br />

Wer den Raum betritt, sieht acht<br />

weisse Labormäntelchen an einer<br />

Kleiderstange. Auf dem Labortisch<br />

stehen Re agenzgläser, Trichter, Flaschen,<br />

Pipetten und Petri schalen.<br />

Im hinteren Bereich des Zimmers<br />

steht ein Aquarium. Die Schülerpulte<br />

sind zu vier Arbeitsstationen<br />

zusammengestellt. Darauf Laptops,<br />

Mikroskope und Lupen.<br />

Hier im Atelier Plus werden<br />

hochbegabte Kinder gefördert. Jede<br />

Woche verlassen sie an einem Vormittag<br />

ihre Regelklasse, streifen die<br />

Labormäntel über und werden zu<br />

kleinen Forscherinnen und Forschern.<br />

Das Förderprogramm be ­<br />

steht seit zehn Jahren. Es ist ein Pionierprojekt.<br />

>>><br />

Die<br />

hochbegabten<br />

Kinder<br />

werden einmal<br />

in der Woche<br />

im Atelier Plus<br />

gefördert.<br />

62 <br />

April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Erziehung & Schule<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>63


Erziehung & Schule<br />

>>> 08.01 Uhr, die ersten Schüler<br />

betreten den Raum. Jonas, elf Jahre<br />

alt, packt seinen Zauberwürfel mit<br />

den verschiedenfarbigen Flächen<br />

aus, drehen, schrauben, drehen,<br />

schrauben, kurzes Innehalten – drehen,<br />

schrauben. «Ich kann ihn in 38<br />

Sekunden lösen. Der Weltrekord<br />

liegt bei 4 Sekunden.» Jonas will<br />

einen neuen Zauberwürfel entwickeln.<br />

«Dafür werde ich das System<br />

eines älteren Würfels mit dem<br />

Innenleben des neusten Exemplars<br />

kombinieren.»<br />

Hochbegabte Kinder als solche<br />

überhaupt zu erkennen, ist die grosse<br />

Herausforderung. Noch vor zehn<br />

Jahren galt die Prämisse: Ab einem<br />

IQ von 130 gilt ein Kind als hochbegabt.<br />

«Von dieser Definition sind<br />

wir längst abgekommen», sagt Victor<br />

Müller-Oppliger. Der Schweizer<br />

Experten schätzen, dass in der<br />

Schweiz 10 bis 15 Prozent der<br />

Kinder hochbegabt sind<br />

und gefördert werden sollten.<br />

Experte in Sachen Hochbegabung<br />

leitet den Masterstudiengang Begabungsförderung<br />

an der Fachhochschule<br />

Nordwestschweiz, bei dem<br />

sich aktive Lehrkräfte zum Thema<br />

Hochbegabung weiterbilden.<br />

«Der klassische IQ-Test greift viel<br />

zu kurz. Er verengt die Hochbegabung<br />

auf eine akademische Intelligenz.<br />

Dabei gibt es zum Beispiel<br />

auch musikalische, gestaltende,<br />

sozia le und kreative Begabungen,<br />

die sich mit IQ-Tests nicht erfassen<br />

lassen», sagt Müller-Oppliger.<br />

Die derzeit in der Wissenschaft<br />

anerkannte Definition der Hochbegabung<br />

bestehe aus verschiedenen<br />

Aspekten: «Hochbegabung wird<br />

definiert als Möglichkeit zu Hochleistungen,<br />

die im Vergleich zu<br />

Gleichaltrigen durch Exzellenz, Seltenheit,<br />

Produktivität, Demonstrierbarkeit<br />

und besonderen Wert auffallen.»<br />

Im Atelier Plus bittet Thomas<br />

Berset die Schüler an den Konferenztisch.<br />

Als Beobachter erhält<br />

man den Eindruck, die Lehrperson<br />

spreche zu einer Gymnasialklasse<br />

und nicht zu Zweit- bis Fünftklässlern.<br />

«Wir sind heute etwas dezimiert.<br />

Minus drei. Ein Junge ist<br />

krank, zwei sind am Skitag.» Die<br />

morgendliche Konferenz beginnt,<br />

die Kinder sprechen über den Stand<br />

Der grösste<br />

Unterschied zum<br />

Unterricht in der<br />

Regelschule: Im<br />

Atelier Plus<br />

haben die Kinder<br />

viel mehr Zeit.<br />

>>><br />

64 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


ihrer Forschung. Der neunjjährige<br />

Jeremia untersucht momentan den<br />

Körper von Salzwasserkrebsen. Die<br />

Tierchen sind nur wenige Millimeter<br />

lang. Sie zu untersuchen, braucht<br />

Geduld und technische Hilfsmittel.<br />

Jeremia präsentiert ein stark vergrössertes<br />

Foto. «Ich habe diese Härchen<br />

hier entdeckt. Die haben wir vorher<br />

noch nie gesehen. Wir vermuten,<br />

dass nur die Männchen solche Härchen<br />

am Körperende haben.» – «Das<br />

wäre natürlich spannend», sagt<br />

Karol, 11 Jahre, «das wäre ein weiteres<br />

Merkmal für die Geschlechterunterscheidung.»<br />

Solche Förderprogramme gibt es<br />

längst nicht an jeder Schweizer Schule.<br />

Hochbegabte Kinder gibt es aber<br />

überall. Der Experte Victor Müller-<br />

Oppliger sagt: «Wir gehen davon<br />

aus, dass 10 bis 15 Prozent der Kinder<br />

das Potenzial hätten, mehr zu<br />

leisten. Und diese Kinder sollte man<br />

unbedingt fördern.»<br />

Dabei sei die Förderung von<br />

Hochbegabten in der Schweiz nach<br />

wie vor keine Selbstverständlichkeit.<br />

«Es ist grobfahrlässig, dass wir nicht<br />

besser hinschauen. Es ist problematisch<br />

für hochbegabte Kinder, die<br />

sich nicht verstanden fühlen und<br />

leiden. Und es ist ein Problem für die<br />

Volkswirtschaft, denn wir verpassen<br />

die Chance, Begabungen zu fördern,<br />

auf die unsere Gesellschaft zum<br />

Erhalt ihrer Wohlfahrt dringend<br />

angewiesen ist.»<br />

Im Atelier Plus meldet sich der<br />

neunjährige Noel zu Wort: «Wir<br />

fragten uns: Können die Salzwasserkrebse<br />

riechen? Wir haben einen<br />

Versuch gemacht, in dem wir acht<br />

Krebse und Algenfutter in eine Petrischale<br />

gegeben haben. Unsere Vermutung<br />

war, dass alle acht zum Futter<br />

schwimmen. Das war dann aber<br />

nicht der Fall. Wir fanden heraus,<br />

dass das Licht einen Einfluss hat. Die<br />

Salzwasserkrebse schwimmen weg<br />

vom Sonnenlicht.» Noel erhält den<br />

Auftrag, das Experiment mit der<br />

doppelten Versuchszeit zu wiederholen.<br />

«Die Schüler sollen lernen, sich<br />

in andere Projekte hineinzudenken<br />

und konstruktive Kritik anzubringen.<br />

Gleichzeitig lernen die Kinder<br />

so, andere Ideen anzunehmen und<br />

Kritik zu ertragen. Heute war es<br />

diesbezüglich noch harmlos», sagt<br />

Thomas Berset.<br />

Berset war ursprünglich Primarlehrer,<br />

promovierte später in Biologie<br />

und war lange in der Forschung<br />

tätig. Warum er beim Atelier Plus<br />

arbeitet? «Ich wollte den hochbegabten<br />

Kindern die Möglichkeit geben,<br />

das naturwissenschaftliche Forschen<br />

zu entdecken. Ausserdem betreibe<br />

ich Lernforschung und entwickle<br />

Lernmittel. Die hochbegabten Kinder<br />

sind sozusagen Teil meines Forschungsprojektes.<br />

Habe ich eine<br />

neue Idee für ein Lernmittel, teste<br />

ich sie hier bei meinen Schülern.»<br />

Thomas Berset schaut zu, wie<br />

Noel mit einer Pipette acht Salzwasserkrebse<br />

aus dem Aquarium fischt,<br />

um sie später für seinen Test in die<br />

Petrischale zu geben. «Ich gebe<br />

ihnen Strukturen vor, aber innerhalb<br />

dieser Strukturen haben sie alle<br />

Freiheiten», sagt die Lehrperson.<br />

«Der grösste Unterschied zum<br />

Unterricht in der Regelklasse ist,<br />

dass wir hier viel mehr Zeit haben.<br />

Wir können uns viel länger einem<br />

Thema widmen. Dieses Setting lässt<br />

es auch zu, dass die Kinder Misserfolge<br />

haben, dass sie mit ihrer Forschung<br />

in eine Sackgasse geraten.<br />

Solche Prozesse brauchen Zeit, sind<br />

aber enorm lehrreich.» Hinter all<br />

dem steht für Thomas Berset ein<br />

Ziel: «Im Grunde geht es darum, die<br />

hochbegabten Kinder anzustacheln<br />

und für die Welt der Wissenschaft<br />

zu begeistern.»<br />

Derweil werkeln die Schüler im<br />

Atelier Plus in Zweierteams an ihren<br />

Aufgaben. Es sind ausschliesslich<br />

Knaben. Das einzige Mädchen ist<br />

heute am Skitag. Der elfjährige Karol<br />

programmiert eine Webseite. Zu ­<br />

sammen mit einem anderen Schüler<br />

hat er im Tierpark stundenlang die<br />

Fütterung von Steinböcken beobachtet<br />

und verhaltensbiolo­ >>><br />

«Hochbegabte Kinder<br />

gibt es überall»<br />

Vor zehn Jahren gründete Rektor Adrian<br />

Dummermuth das Förderprogramm Atelier<br />

Plus, eines der ersten Angebote dieser Art.<br />

Adrian Dummermuth, warum haben Sie damals<br />

mit der Hochbegabtenförderung begonnen?<br />

An fast jeder Schule gab es sonderpädagogische<br />

Konzepte mit dem Ziel, lernbehinderte beziehungsweise<br />

lernschwache Schülerinnen und Schüler im<br />

Regelklassenverband zu integrieren. Auch unsere<br />

Schule hat schon sehr früh viel Geld und Zeit in ein<br />

solches Programm investiert – und macht es heute<br />

noch. Aber auf der Gegenseite des Spektrums gab<br />

es nichts. Für mich ist es eine Frage der Chancengerechtigkeit,<br />

dass man auch hochbegabten Kindern ein<br />

Angebot bereitstellt.<br />

Die Finanzierung war nie ein Problem?<br />

Nie. Die lokale Politik sah und sieht dieses Angebot als<br />

Bestandteil des Profils unserer Schule. Und die Kosten<br />

sind überschaubar. An unserer Schule haben wir ein<br />

Budget von 12 Millionen Franken. Das Atelier Plus kostet<br />

uns rund 40 000 Franken im Jahr.<br />

Wird in der Schweiz genug unternommen in<br />

Sachen Hochbegabtenförderung?<br />

Nein, die Spitzenförderung wird in der Schweiz noch<br />

immer stiefmütterlich behandelt. Hochbegabte Kinder<br />

gibt es überall, aber nicht überall werden sie gefördert.<br />

In der Gemeinde Arth mit den Schulstandorten Arth<br />

und Goldau haben wir rund 900 Primarschulkinder.<br />

Darunter hatte es all die Jahre genug Hochbegabte,<br />

um ein Förderprogramm zu betreiben.<br />

Hochbegabtes Kind?<br />

Was Eltern wissen müssen<br />

• Interessiert sich Ihr Kind auffällig früh für die<br />

verschiedensten Themen oder ist es den anderen<br />

Kindern allgemein weit voraus, könnte es<br />

hochbegabt sein.<br />

• Im Zweifelsfall kann eine Abklärung helfen. Solche<br />

Abklärungen macht zum Beispiel der<br />

schulpsychologische Dienst.<br />

• Ist Ihr Kind hochbegabt, informieren Sie die Schule<br />

und suchen Sie gemeinsam nach Möglichkeiten,<br />

Ihr Kind zu fördern.<br />

• Geben Sie Ihrem hochbegabten Kind die Chance,<br />

Kind zu bleiben. Unterstützen Sie auch Interessen<br />

des Kindes, die nicht die Schule betreffen.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>65


Erziehung & Schule<br />

>>> gisch untersucht. Wer darf<br />

zuerst zum Futter? Wer hat am meisten<br />

Rechte in der Gruppe? Aus den<br />

Erkenntnissen haben die Schüler<br />

einen Fragebogen erstellt. Künftig<br />

können Schüler im Tierpark via<br />

Smartphone die Webseite von Karol<br />

aufrufen und so ein interaktives<br />

Lehrmittel nützen. Für die Schüler<br />

sei es enorm wichtig, dass ihre Forschung<br />

produktorientiert sei, sagt<br />

Thomas Berset: «Forschung kann<br />

man nicht im kleinen Kämmerlein<br />

machen. Letztes Jahr hielten meine<br />

Schüler zum Beispiel einen grossen<br />

Vortrag an der Uni Freiburg.»<br />

Aber auch Berset selbst hat den<br />

Anspruch, dass sein Unterricht Produkte<br />

erzeugt. Aus den Experimenten<br />

seiner Schüler entstehen immer<br />

wieder ganze Forschungskisten für<br />

Regelklassen. «Es braucht zum Beispiel<br />

sehr viel Aufwand, bis man für<br />

die ganze Klasse Salzwasserkrebse<br />

züchten kann, das wäre für eine<br />

Lehrperson in der Regelklasse nicht<br />

zumutbar. Indem ich diese Projekte<br />

samt Beschrieb und Material an<br />

Regelklassen verteile, können auch<br />

diese von der Hochbegabtenförderung<br />

profitieren.»<br />

Aber was genau unterscheidet<br />

hochbegabte Schüler von Schülern<br />

seiner Regelklasse – neben der<br />

hohen Begabung? «In erster Linie<br />

sind es ganz normale Kinder. Was<br />

mir aber auffällt: Sie sind alle enorm<br />

selbstbewusst. Ich hatte noch nie ein<br />

Kind, das sagte: Das traue ich mir<br />

jetzt nicht zu. Dazu kommt, dass alle<br />

sehr interessiert sind. Einmal hat ein<br />

Schüler ein Vogelnest vom Schulweg<br />

mitgebracht. Das haben wir dann<br />

während vier Stunden untersucht.<br />

Da hat keiner gesagt, dass es ihn<br />

anöde.»<br />

«Den Satz ‹Das trau ich mir<br />

nicht zu› hab ich von einem<br />

hochbegabten Kind noch nie<br />

gehört», sagt Lehrer Berset.<br />

11.30 Uhr, der Unterricht ist aus, die<br />

Kinder gehen nach Hause. Noel<br />

wohnt mit seinen Eltern und seinem<br />

Bruder in einem Einfamilienhaus in<br />

Arth. Cornelia Hohl, Noels Mutter,<br />

steht in der Küche. «Noel war schon<br />

immer sehr interessiert, in den verschiedensten<br />

Bereichen. Wir mussten<br />

ihm viel erklären.» Noel sei den<br />

anderen Kindern stets weit voraus<br />

gewesen. Noch vor dem Kindergarten<br />

konnte er rechnen und schreiben<br />

oder das Alphabet aufsagen. Das sei<br />

schön – und anstrengend, ergänzt<br />

Christoph Hohl: «Nicola, sein kleiner<br />

Bruder, kann sich gut selbst<br />

beschäftigen, Noel fällt das schwerer.»<br />

Ausserdem sei Noel schon<br />

immer sehr kontaktfreudig >>><br />

«In erster Linie<br />

sind es ganz<br />

normale Kinder.»<br />

Thomas Berset<br />

mit Schülern<br />

vom Atelier Plus.<br />

«Die meisten Eltern<br />

fürchten sich vor<br />

der Diagnose»<br />

Das Thema Hochbegabung ist in der<br />

Schweiz noch immer ein Tabu.<br />

Darunter leiden Eltern und Kinder,<br />

sagt Giselle Reimann. Sie führt<br />

an der Uni Basel Abklärungen von<br />

Hochbegabten durch.<br />

Interview: Sandra Casalini<br />

Frau Reimann, wie merke ich, dass mein<br />

Kind hochbegabt ist?<br />

Sehr häufig haben hochbegabte Kinder einen<br />

enormen Wissensdurst. Sie interessieren sich<br />

sehr stark für verschiedene Themen. Sie haben<br />

auch eine sehr gute Auffassungsgabe und können<br />

erstaunlich schnell Schlüsse ziehen. Es<br />

gibt aber auch hochbegabte Kinder, die nach<br />

aussen sehr langsam wirken. Weil sie sehr viel<br />

denken und viel überlegen, bevor sie überhaupt<br />

etwas sagen.<br />

Es ist also gar nicht so einfach, Hochbegabung<br />

zweifelsfrei zu erkennen?<br />

Nein, gerade bei den sogenannten Minderleistern,<br />

bei Kindern, die ihr Potenzial nicht zeigen,<br />

keine guten Noten schreiben, sich im Unterricht<br />

nicht melden, ist es teilweise nicht auf den<br />

ersten Blick erkennbar, dass sie hochbegabt<br />

sind.<br />

Wie schlimm ist es, wenn hochbegabte<br />

Kinder nicht als solche erkannt werden?<br />

Das kann problematisch sein. Bei uns landen<br />

häufig Familien, bei denen dies zu Schwierigkeiten<br />

geführt hat. Wenn ein Kind permanent<br />

auf einem Niveau arbeitet, das eigentlich viel<br />

zu tief ist, kann es überhaupt nicht stolz sein<br />

auf das, was es macht, dann ist es einfach gelangweilt<br />

und auch enttäuscht von den eigenen<br />

Leistungen. Das kann sich negativ auf den<br />

Selbstwert auswirken, und in den schlimmen<br />

Fällen können ernsthafte psychische Probleme<br />

oder Verhaltensauffälligkeiten entstehen.<br />

Sollen Kinder also im Zweifelsfall immer<br />

abgeklärt werden?<br />

Es braucht nicht immer eine Abklärung. Aber<br />

wenn ein Leidensdruck da ist, würde ich das<br />

sehr empfehlen. Eine sorgfältige Abklärung<br />

kann viele Fragen der Eltern beantworten und<br />

vor allem dann auch Lösungsmöglichkeiten<br />

aufzeigen, um die Situation zu entschärfen.<br />

Wie reagieren Eltern auf die Diagnose<br />

«hochbegabt»?<br />

Viele glauben, dass Eltern zu einer Abklärung<br />

kommen und beweisen wollen, dass ihr Kind<br />

hochbegabt ist, und dann ganz stolz sind. Tatsächlich<br />

fürchten sich aber die allermeisten vor<br />

dieser Diagnose. Sie haben Angst vor dem Stigma,<br />

das sie als Eltern bekommen könnten,<br />

66 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Erziehung & Schule<br />

wenn sie zum Beispiel an die Schule gelangen<br />

und sagen: «Mein Kind hat eine hohe Begabung<br />

und braucht eine spezielle Förderung.»<br />

Es ist wirklich immer noch ein Tabu. Einzelne<br />

Eltern halten die Diagnose dann auch geheim.<br />

Sie machen zwar eine Abklärung, behalten das<br />

Resultat aber für sich.<br />

So etwas machen Eltern?<br />

Ja, das passiert. Ich bedauere das sehr. Bei einer<br />

Abklärung geht es schliesslich nicht nur<br />

darum, die Hochbegabung festzustellen, sondern<br />

vor allem darum, herauszufinden, wie der<br />

Alltag des Kindes verbessert werden kann. Es<br />

wird geschaut, welche individuellen Lösungen<br />

es gibt, die zur Familie passen. Die müssen<br />

dann aber umgesetzt werden, sonst bringt<br />

eine Abklärung wenig. Auch muss man aufpassen,<br />

dass bei der Familie kein «fixed mindset»<br />

entsteht, also kein Glaube, dass die hohen Begabungen<br />

sich nun ohne jede Anstrengung in<br />

hohen Leistungen zeigen müssen.<br />

Haben wir Schweizer ein Problem mit herausragenden<br />

Leistungen? Sind wir lieber<br />

Durchschnitt?<br />

Durchaus. Viel Forschung zum Thema Hochbegabung<br />

kommt aus dem amerikanischen<br />

Raum, und dort ist es viel selbstverständlicher,<br />

dass Leistungen nach oben ausschlagen. Bei<br />

uns sieht man das halt nicht so gerne. In der<br />

Schweiz möchte man, dass alle gleich behandelt<br />

werden. Das ist im Prinzip ja auch ein<br />

schöner Gedanke, aber so wird man nicht allen<br />

gerecht.<br />

Es gibt den Mythos, dass Hochbegabte<br />

intellektuell stark, jedoch sozial schwach<br />

sind. Was spielen solche Vorurteile für eine<br />

Rolle im Umgang mit dem Thema?<br />

Die spielen eine grosse Rolle. Gerade dieser<br />

Mythos hält sich tatsächlich sehr hartnäckig.<br />

Den höre ich immer wieder von Eltern, von<br />

Lehrpersonen und auch von Kindern selber.<br />

Aber das ist wissenschaftlich widerlegt. Es hat<br />

sich gezeigt, dass hochbegabte Kinder sozial<br />

und emotional meist sehr gut zurechtkommen.<br />

Es ist aber so, dass ein Kind, das lange in<br />

einer unpassenden Umgebung ist, emotionale<br />

Probleme entwickeln kann. Das kann zum Beispiel<br />

passieren, wenn es nicht gut gefördert<br />

wird oder wenn es von anderen Kindern wegen<br />

der Hochbegabung abgewiesen wird.<br />

Zur Person<br />

Giselle Reimann ist stellvertretende<br />

Leiterin des Zentrums für Entwicklungsund<br />

Persönlichkeitspsychologie an der<br />

Universität Basel. Sie ist unter anderem<br />

auf die Abklärung und Beratung von<br />

Hochbegabten spezialisiert.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>67


Erziehung & Schule<br />

Jeremia, 9 Jahre alt:<br />

«Am liebsten schreibe ich<br />

an meiner Geschichte»<br />

>>> gewesen, gehe selbstsicher auf<br />

andere Menschen zu. «Als er etwa<br />

fünf Jahre alt war, besuchte er zusammen<br />

mit einem Kind aus dem Dorf<br />

einen Schnuppernachmittag eines<br />

Bewegungs- und Musikkurses. Er<br />

hat dort sofort mitgemacht, während<br />

das andere Kind nur bei seiner Mutter<br />

sass. Am Schluss sagte Noel, es<br />

habe ihm nicht so gefallen, er wolle<br />

nicht wieder hingehen. Sogar wenn<br />

für ihn nicht alles hundertprozentig<br />

passt, hat er kein Problem, sich sofort<br />

in einer neuen Gruppe zurechtzufinden.»<br />

Cornelia Hohl arbeitet als Flight-<br />

Attendant und ist immer wieder<br />

über längere Zeit zu Hause. Christoph<br />

Hohl ist Hausmann, daneben<br />

betreibt er von zu Hause aus eine<br />

kleine Handelsfirma. Beide haben<br />

somit Zeit, ihren Sohn zu fördern<br />

und seinen Wissensdurst zu stillen.<br />

Vor der Einschulung wurde Noel<br />

abgeklärt. Ergebnis: hochbegabt.<br />

Noel geht seit der ersten Klasse ins<br />

Atelier Plus.<br />

Wie reagierte das Umfeld? «Was<br />

Noels Hochbegabung betrifft, haben<br />

wir noch nie negative Erfahrungen<br />

gemacht. Wir machen auch keine<br />

grosse Sache daraus», sagt Cornelia<br />

Hohl. Trotzdem wollen Hohls ihren<br />

Sohn bestmöglich fördern.<br />

Der Vater büffelt mit ihm Mathematik<br />

auf hohem Niveau oder übt<br />

für die Tests in den anderen Fächern.<br />

«Es ist ja nicht so, dass Noel sich die<br />

Jeremia, was machst du in deiner<br />

Freizeit?<br />

Am liebsten schreibe ich an meiner<br />

Geschichte. Es geht um vier Jugendliche<br />

und um Monster. Die Jugendlichen haben<br />

Elementarkräfte, damit müssen sie die<br />

Monster besiegen.<br />

Welches ist dein Lieblingsfach?<br />

Mensch und Umwelt gefällt mir am besten.<br />

Oder auch Deutsch, je nachdem, was<br />

für ein Thema wir gerade haben. Einmal<br />

hatten wir Abenteuergeschichten, das<br />

fand ich cool.<br />

Wie hat man gemerkt, dass du hochbegabt<br />

bist?<br />

In der ersten Klasse war ich einfach<br />

immer viel schneller als die anderen.<br />

Wie ist es, hochbegabt zu sein?<br />

Mir gefällt das gut. Man ist anders als die<br />

anderen und darf ins Atelier Plus gehen.<br />

Was gefällt dir besonders gut im<br />

Atelier Plus?<br />

Am besten gefällt mir, wenn ich beim Forschen<br />

einen Fortschritt erziele.<br />

Was möchtest du einmal werden?<br />

Autor oder Schauspieler.<br />

Nicht Forscher?<br />

Vielleicht, mal schauen.<br />

Karol, 11 Jahre alt:<br />

«Ich will später<br />

Millionär werden»<br />

Karol, was machst du in deiner<br />

Freizeit?<br />

Ich spiele Tennis und gehe ins Karatetraining.<br />

Und ich nehme Gitarrenunterricht.<br />

In der Freizeit spiele ich auf dem<br />

Computer oder gehe raus mit Freunden.<br />

Welches ist dein Lieblingsfach?<br />

Sport, es ist eine gute Abwechslung<br />

zum vielen Sitzen in der Schule.<br />

Wie hat man gemerkt, dass du<br />

hochbegabt bist?<br />

In der ersten Klasse war ich einfach<br />

etwas besser, war immer schneller mit<br />

den Arbeitsblättern.<br />

Wie ist es, hochbegabt zu sein?<br />

In den Filmen werden die Hochbegabten<br />

immer ausgeschlossen, aber bei mir ist<br />

das nicht so. Ich habe viele Freunde und<br />

mir gefällt es, ins Atelier Plus zu gehen.<br />

Was gefällt dir besonders gut im<br />

Atelier Plus?<br />

Mir gefällt, dass der Lehrer die Antwort<br />

auf unsere Fragen manchmal selber<br />

nicht weiss, dann können wir etwas<br />

Neues erforschen.<br />

Was möchtest du einmal werden?<br />

Anwalt oder Bankdirektor. Am liebsten<br />

aber Millionär.<br />

Nicht Forscher?<br />

Vielleicht, aber eher nicht.<br />

68 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Sachen einmal anschaut und sofort<br />

alles kann. Er versteht vielleicht die<br />

Zusammenhänge besser, aber auch<br />

er muss lernen. Manchmal ist das<br />

auch ein ziemlicher Knorz», sagt<br />

Christoph Hohl. Es sei schon wichtig,<br />

dass man dranbleibe, ergänzt<br />

seine Frau: «Wenn er jetzt nicht<br />

lernt zu lernen, dann wird es für ihn<br />

später schwierig.»<br />

«Hochbegabte müssen nicht nur<br />

lernen zu lernen, sondern auch lernen<br />

zu scheitern», sagt Victor Müller-Oppliger.<br />

Früher oder später<br />

kommt auch ein hochbegabtes Kind<br />

an einen Punkt, an dem es nicht so -<br />

fort weitergeht. «Irgendwann kann<br />

hohe Leistung nur mit harter Arbeit<br />

erreicht werden. Dazu gehören auch<br />

immer Misserfolge. Nur wenn ein<br />

Kind genug früh auf seinem Niveau<br />

herausgefordert wird, lernt es, dass<br />

Scheitern dazugehört.»<br />

Kann Noel überhaupt noch Kind<br />

sein? «Definitiv, zum Kindsein<br />

braucht er keine Förderung. Er liebt<br />

Sport oder blödelt rum, was Kinder<br />

halt so machen», sagt Cornelia Hohl.<br />

«Uns ist aber auch wichtig, dass er<br />

sich auch neben der Schule engagiert<br />

und Kinder trifft. Im Chor oder im<br />

Fussball.»<br />

Noel, der bis jetzt zugehört hat,<br />

schaltet sich ein: «Im letzten Fussballmatch<br />

gewann unser Team acht<br />

zu eins. Ich habe sieben Tore ge -<br />

schossen!»


Ernährung & Gesundheit<br />

Bild: iStockphoto<br />

«Mama, ich will die Pille»<br />

Die Pille ist das beliebteste Verhütungsmittel bei Teenagern. Seit diesem Jahr ist ein Präparat<br />

auf dem Markt, das den weiblichen Zyklus verlängert und die Blutungen auf vier im Jahr reduziert.<br />

Darin sehen viele Frauen Vorteile. Aber birgt es auch Risiken? Text: Susanna Steimer Miller<br />

Linda nimmt die Pille, seit<br />

sie 16 ist und einen festen<br />

Freund hat. Schwanger<br />

zu werden, käme für die<br />

Gymnasiastin zurzeit<br />

nicht in Frage. Zudem litt die<br />

17-Jährige während ihrer Menstruation<br />

unter starken Unterleibsschmerzen.<br />

Sie könnte auf die<br />

monatlichen Blutungen gut und<br />

gerne verzichten. Eine neue Pille<br />

könnte der Schülerin jetzt helfen.<br />

Seit diesem Jahr ist in der Schweiz<br />

erst mals eine Pille mit Langzyklus<br />

erhältlich, die ohne Unterbruch eingenommen<br />

wird und nur noch zu<br />

vier Blutungen pro Jahr führt. Ihr<br />

Name: Seasonique.<br />

Stellt sich die Frage, wie geeignet<br />

diese Pille für junge Frauen ist. Ga -<br />

briele Merki leitet an der Frauenklinik<br />

am Universitätsspital Zürich die<br />

Sprechstunde Schwangerschaftsverhütung.<br />

In einer Studie, die die<br />

70 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Medizinerin 2014 durchgeführt hat,<br />

gaben 57 Prozent der Mädchen zwischen<br />

15 und 19 Jahren an, dass sie<br />

ihre Periode als beschwerlich empfinden.<br />

Rund 80 Prozent der befragten<br />

Mädchen hätten die Blutung<br />

lieber weniger als monatlich oder<br />

gar nicht.<br />

«Aus medizinischer Sicht<br />

sind die regelmässigen<br />

Blutungen nicht nötig.»<br />

Menstruation gestern und heute<br />

Braucht es überhaupt eine monatliche<br />

Hormonentzugs- oder Abbruchblutung,<br />

wie sie bei herkömmlichen<br />

Pillen herbeigeführt wird? Sibil<br />

Tschudin, Leitende Ärztin an der<br />

Frauenklinik des Universitätsspitals<br />

Basel, erklärt: «Aus medizinischer<br />

Sicht sind die regelmässigen Blutungen<br />

unter Pilleneinnahme für die<br />

Gesundheit nicht notwendig.» Heute<br />

haben Frauen die Wahl, die Zahl<br />

ihrer Blutungen neben der Pille auch<br />

mit einem Pflaster oder Hormonring<br />

zu reduzieren.<br />

Häufige Blutungen sind eine<br />

Erscheinung der modernen Zeit.<br />

Noch vor etwa 100 Jahren hatten<br />

Frauen im Lauf ihres Lebens durchschnittlich<br />

nur zirka 160 Blutungen,<br />

weil sie zum einen die Periode später<br />

bekamen, zum anderen 10 bis 15<br />

Mal schwanger wurden, 10 Kinder<br />

zur Welt brachten und die 7 oder 8<br />

Überlebenden jeweils während etwa<br />

zwei Jahren gestillt haben.<br />

Die Menstruation wurde früher<br />

also während längerer Zeit durch<br />

zahlreiche Schwangerschaften und<br />

lange Stillzeiten unterbunden. Heute<br />

haben Frauen im Schnitt 450 Mal<br />

in ihrem Leben ihre Blutung, weil sie<br />

nur noch 1 bis 2 Kinder gebären und<br />

die Hälfte der Mütter bereits nach<br />

3 Monaten abstillt.<br />

Junge Frauen setzen auf die Pille<br />

Gemäss der letzten Gesundheitsbefragung<br />

des Bundesamtes für Statistik<br />

aus dem Jahr 2012 verhüten junge<br />

Frauen zwischen 15 und 24 Jahren<br />

am häufigsten mit der Pille. In dieser<br />

Altersgruppe verlassen sich rund 64<br />

Prozent der Frauen auf den zuverlässigen<br />

Schutz.<br />

Auch in Lindas Klasse nehmen drei<br />

Viertel der Mädchen die Pille. Die<br />

meisten versprechen sich neben dem<br />

Empfängnisschutz weitere Vorteile.<br />

Sarah, 16, schätzt die Tatsache, dass<br />

sie ihre Periode dank der Pille regelmässig<br />

bekommt und schwächer hat.<br />

Pia, 16, nimmt die Pille, weil sie seit<br />

Beginn der Pubertät an starker Akne<br />

litt. «Seit ich die Pille nehme, hat sich<br />

mein Hautbild deutlich verbessert»,<br />

sagt sie.<br />

Sibil Tschudin vom Universitätsspital<br />

Basel weiss: «Diese positiven<br />

Begleiterscheinungen machen sich<br />

nicht bei allen Jugendlichen gleich<br />

stark bemerkbar. Die Pille ist kein<br />

Wundermittel, und Mädchen müssen<br />

sich bewusst sein, dass sie ein<br />

Medikament ist.»<br />

Pillen mit niedrigem Risiko<br />

Frühestens mit 14 Jahren dürfen sich<br />

junge Frauen die Pille ohne Einwilligung<br />

ihrer Eltern verschreiben lassen.<br />

Gabriele Merki erklärt: «Einem<br />

vierzehnjährigen Mädchen, das<br />

allein in die Sprechstunde kommt<br />

und mit der Pille verhüten will, verschreiben<br />

wir diese nur dann, wenn<br />

es reif genug ist, eine solche Entscheidung<br />

treffen zu können.» Ein<br />

ausführliches Beratungsgespräch sei<br />

bei jeder Erstverschreibung äusserst<br />

wichtig (siehe Box in der Spalte<br />

rechts).<br />

Seit der Einführung der ersten<br />

Pille in den 1960er-Jahren sind<br />

unzählige Präparate auf den Markt<br />

gekommen. Doch welche Pillen eignen<br />

sich für Mädchen, die >>><br />

Was der Gynäkologe Ihre Tochter<br />

fragen sollte<br />

• Fühlst du dich für den Geschlechtsverkehr<br />

bereit oder kommt der Wunsch von<br />

deinem Freund? Wie alt ist dein Freund?<br />

• Bist du dir bewusst, dass die Pille bei<br />

korrekter Einnahme zuverlässig vor<br />

einer Schwangerschaft, aber nicht vor<br />

Geschlechtskrankheiten schützt? Vor<br />

Geschlechtskrankheiten schützt nur das<br />

Kondom.<br />

• Weisst du, dass die Pille von den meisten<br />

Frauen gut vertragen wird, aber auch<br />

Komplikationen und Nebenwirkungen<br />

auftreten können?<br />

• Zum Thrombose-Risiko:<br />

– Hat jemand in deiner Familie je eine<br />

Thrombose, eine Lungenembolie,<br />

einen Herzinfarkt oder einen<br />

Hirnschlag erlitten?<br />

– Rauchst du?<br />

– Leidest du oder jemand in deiner<br />

Familie an Bluthochdruck, Diabetes,<br />

einer Fettstoffwechselstörung,<br />

Bluterkrankungen, Lebererkrankung,<br />

einem östrogenabhängigen<br />

Karzinom?<br />

– Leidest du an neurologischen<br />

Krankheiten, Epilepsie oder Migräne?<br />

– Weisst du, dass Übergewicht das<br />

Thromboserisiko erhöht?<br />

– Was musst du wissen, wenn du die<br />

Pille mal vergessen oder zu spät<br />

eingenommen hast oder wenn du<br />

Durchfall hattest? Falls du trotz<br />

vergessener Pille Geschlechtsverkehr<br />

gehabt hast, kann die «Pille danach»<br />

vor einer Schwangerschaft schützen.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>71


Ernährung & Gesundheit<br />

Komplikationen sind selten,<br />

Nebenwirkungen wie depressive<br />

Verstimmungen möglich.<br />

>>> zum ersten Mal damit verhüten<br />

wollen? «Jungen Frauen verschreibe<br />

ich am häufigsten Präparate<br />

der zweiten Generation, da sie<br />

über das beste Nutzen-Risiko-Profil<br />

verfügen», erklärt Gabriele Merki.<br />

Diese Kombinationspräparate,<br />

die das Gestagen Levonorgestrel<br />

und das Östrogen Ethinylestradiol<br />

enthalten, haben das kleinste<br />

Thromboserisiko. In Zahlen ausgedrückt,<br />

bedeutet dies: Während zwei<br />

bis drei gesunde Frauen von 10 000,<br />

die keine Pille einnehmen, an einer<br />

Thrombose erkranken, sind es bei<br />

Kombipillen der zweiten Generation<br />

vier bis sechs Frauen während eines<br />

Anwendungsjahres. Das Risiko wird<br />

insbesondere durch die Familiengeschichte,<br />

aber auch durch Übergewicht,<br />

Rauchen und das Alter beeinflusst.<br />

Bei Pillen der dritten und<br />

vierten Generation liegt das Risiko<br />

bei sechs bis zehn zu 10 000.<br />

Auch wenn die Pille von der<br />

gros sen Mehrheit der Frauen gut<br />

vertragen wird und Komplikationen<br />

wie Thrombosen selten auftreten,<br />

sind Nebenwirkungen möglich,<br />

zum Beispiel depressive Verstimmungen,<br />

Gewichtszunahme, Libidoverlust.<br />

Meist machen sich unerwünschte<br />

Wirkungen in den drei Monaten<br />

nach der erstmaligen Einnahme der<br />

Pille bemerkbar. Gabriele Merki<br />

empfiehlt deshalb, nach Ablauf dieser<br />

Zeit eine erste Kontrolle zu ver-<br />

einbaren. Wenn Nebenwirkungen<br />

auftreten, kann ein Wechsel auf ein<br />

anderes Präparat sinnvoll sein.<br />

Neue Pille verlängert Zyklus<br />

Aber wie geeignet ist die neue Pille<br />

für Teenager? In der Zusammensetzung<br />

unterscheidet sie sich nicht von<br />

den herkömmlichen Pillen der zweiten<br />

Generation. In den USA erschien<br />

die Pille bereits 2006, in Österreich<br />

ist sie seit zwei Jahren erhältlich, von<br />

Swissmedic wurde sie sowohl für<br />

junge Mädchen als auch Frauen<br />

zugelassen.<br />

Nachteile gegenüber herkömmlichen<br />

Präparaten der zweiten Generation<br />

sehen Experten nicht. Da -<br />

durch, dass die Pillenpause durch<br />

die kontinuierliche Einnahme wegfällt,<br />

verringert sich die Gefahr, dass<br />

die Frau die nächste Packung verspätet<br />

anbricht und damit einer un -<br />

gewollten Schwangerschaft. Zudem<br />

verkürzt sich die Zeit der Blutung<br />

auf etwa drei Tage, worüber sich<br />

ebenfalls viele Anwenderinnen freuen<br />

dürften. Andererseits könnte<br />

eine Langzeitpille das Gewöhnen an<br />

die monatliche natürliche Menstruation<br />

nach Absetzen erschweren.<br />

Zeichen für Komplikationen<br />

Die Schweizerische Gesellschaft für<br />

Gynäkologie und Geburtshilfe hat eine<br />

Checkliste zusammengestellt, die dabei<br />

helfen soll, Zeichen für Komplikationen<br />

frühzeitig zu erkennen. Eine Frau sollte<br />

mit ihrer Gynäkologin oder ihrem Gynäkologen<br />

Kontakt aufnehmen, wenn:<br />

• sie unter Pilleneinnahme erstmalig<br />

Migräne hat, diese stärker auftritt<br />

oder sie häufig an ungewohnt starken<br />

Kopfschmerzen leidet;<br />

• sie plötzliche Seh-, Hör- oder<br />

sonstige Wahrnehmungsstörungen<br />

hat;<br />

• sie erste Anzeichen thrombo -<br />

em bolischer Erscheinungen hat,<br />

insbesondere Atemnot, unklare<br />

Thoraxschmerzen oder Husten<br />

unklarer Ursache;<br />

• sie unklare Schmerzen in einer<br />

Extremität und/oder Schwellung<br />

eines Beines hat, vor allem nach<br />

Flug- und Busreisen;<br />

• sie sich einer geplanten Operation<br />

unterziehen muss (mindestens vier<br />

Wochen im Voraus) oder sich nach<br />

einem Unfall oder einer Operation<br />

kaum bewegen kann – falls dies nicht<br />

möglich ist, ist eine gezielte Thromboseprophylaxe<br />

notwendig;<br />

• ihr Blutdruck plötzlich erhöht ist<br />

(bei wiederholter Messung);<br />

• Verdacht auf Herzinfarkt oder<br />

koronare Herzkrankheit besteht;<br />

• Verdacht auf Schlaganfall besteht;<br />

• sie an Gelbsucht, Hepatitis oder<br />

Juckreiz am ganzen Körper leidet;<br />

• starke Oberbauchschmerzen oder<br />

Lebervergrösserung auftreten;<br />

• sie schwanger ist oder Verdacht<br />

auf Schwangerschaft besteht.<br />

72 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Urlaub auf Familisch<br />

Mit der Nr. 1 für Familienferien<br />

Wenn die Tochter die Pille will,<br />

machen sich manche Eltern Gedanken,<br />

ob dadurch die Fruchtbarkeit<br />

langfristig beeinträchtigt wird. Sibil<br />

Tschudin: «Die Fortpflanzungsfähigkeit<br />

wird durch die Pilleneinnahme<br />

nicht beeinträchtigt, auch<br />

wenn diese im Langzyklus eingenommen<br />

wird.» Nach Absetzen der<br />

Kombinationspille, unabhängig<br />

davon, ob diese im Monats- oder<br />

Langzyklus eingenommen wurde,<br />

kommt der Zyklus in der Regel<br />

umgehend wieder in Gang.<br />

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Susanna<br />

Steimer Miller<br />

ist Chefredaktorin des Elternratgebers<br />

«Baby & Kleinkind» und schreibt als Autorin<br />

über Gesundheits- und Ernährungsthemen.<br />

Die Einnahme der Pille<br />

Die Reifung des Eibläschens und der Eisprung<br />

werden nur dann zuverlässig unterbunden, wenn<br />

die Pille regelmässig eingenommen wird. Manchen<br />

hilft eine App, um die Einnahme nicht zu vergessen<br />

(z. B. Lady Pill Reminder, myPill Erinnerung). Bei der<br />

Kombina tionspille der zweiten Generation ist die<br />

Verhütung bei einer verspäteten Einnahme bis<br />

maximal 12 Stunden gewährleistet. Danach besteht<br />

kein zuverlässiger Schutz mehr. Bei Pillen im<br />

Monatszyklus erfolgt nach 21- bzw. 24-tägiger<br />

Einnahme eine Pause von 7 bzw. 4 Tagen. Bei<br />

der Pille im Langzyklus wird die Pille ohne Pause<br />

während 91 Tagen eingenommen. 84 Tabletten<br />

enthalten die Kombination Gestagen-Östrogen, die<br />

letzten 7 Tabletten eine niedrige Dosis Östrogen.<br />

Nach Beendigung der Packung erfolgt<br />

keine Pillenpause.<br />

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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>73<br />

Familotel AG I Vorstand: Michael Albert<br />

Halfinger Strasse 4 I D-83123 Amerang I Tel. +49 8075 9149-0


Digital & Medial<br />

Nicht allein, sondern online<br />

In der Facebookgruppe Basler Mamis 2.0 leisten sich Mütter gegenseitig moderne<br />

Nachbarschaftshilfe und bieten moralische Unterstützung. Dabei scheinen<br />

sie manchmal zu vergessen, dass man im Netz nie anonym ist. Text: Bianca Fritz<br />

Es ist in der Schweiz kein<br />

seltenes Bild: Die frischgebackene<br />

Mama sitzt<br />

allein mit einem Baby<br />

und vielen neuen Fragen<br />

zu Hause. «Ist dieser Ausschlag normal?»,<br />

«Warum weint das Kleine die<br />

ganze Zeit?», und wenn das Kind<br />

dann grösser ist: «Wie löst man nur<br />

diese Matheaufgabe?», «Wie krieg<br />

ich meinen Teenager vom Handy<br />

weg?» oder auch einfach nur «Es<br />

regnet! Was sollen wir mit diesem<br />

Tag anfangen?». Manche dieser Fragen<br />

drängen. Man kann nicht warten,<br />

bis man eine Mama mit Kindern<br />

im ähnlichen Alter trifft.<br />

Genau für solche Situationen<br />

gebe es Facebookgruppen wie die<br />

Basler Mamis 2.0, wie deren Gründerin<br />

erklärt. Hier antwortet nicht<br />

nur eine, hier stehen fast 3800 erfahrene<br />

Mamis bereit. «Wir sind besser<br />

Besser als Google: Die<br />

Mamis bekommen auf jede<br />

Frage eine Antwort, und das<br />

mit geballter Erfahrung.<br />

als Google», behauptet Sandra Hofstetter<br />

und führt aus: «Bei uns be ­<br />

kommen die Mamis eine Antwort<br />

auf jede Frage. Und wir bringen<br />

unsere geballte Erfahrung mit ein.»<br />

Die 36-Jährige hat die aktivste regionale<br />

Facebookgruppe für Eltern in<br />

der Schweiz (siehe Box Seite 75) vor<br />

sieben Jahren ins Leben gerufen.<br />

Heute wird die Gruppe von fünf<br />

Administratorinnen betreut. Jede<br />

steckt täglich ein bis zwei Stunden<br />

Arbeit in diese ehrenamtliche Aufgabe<br />

– oft noch neben Berufstätigkeit<br />

und Kindererziehung.<br />

Die Administratorinnen sollen<br />

die Frauen wieder zur Ordnung<br />

rufen, wenn der Ton in der Gruppe<br />

zu rau wird. Bei über 50 neuen Posts<br />

pro Tag und noch mehr Kommentaren<br />

ist das eine Menge Arbeit.<br />

Doch die Admins wissen, bei welchen<br />

Themen sie besonders auf der<br />

Hut sein und wirklich jeden Kommentar<br />

mitlesen müssen.<br />

Impfen und Stillen zum Beispiel<br />

sind typische Reizthemen, bei denen<br />

gerne mal «Zickenkrieg» ausbricht,<br />

wie Sandra Hofstetter sagt. Aber<br />

auch bei Fragen, wann man den<br />

Nuggi abgewöhnen sollte (und ob es<br />

überhaupt einen geben darf) und ob<br />

Kleinkinder schon an die Fasnacht<br />

dürfen – und wenn ja, mit welchem<br />

Gehörschutz. «Da kochen die Emotionen<br />

hoch, weil jede eine Meinung<br />

hat und sie für die einzig richtige<br />

hält und dann gegenüber den anderen<br />

Mamis beleidigend wird», sagt<br />

Hofstetter.<br />

«Frag nicht hier! Geh zum Arzt!»<br />

Die Administratorinnen schreiten<br />

auch ein, wenn ein Thema nicht in<br />

die Gruppe passt, wenn es zum Beispiel<br />

zu medizinisch wird. «Wir<br />

haben zwar auch Ärztinnen und<br />

Psychologinnen in unserer Gruppe,<br />

aber all die anderen Frauen geben<br />

gut gemeinte Ratschläge, die manchmal<br />

alles schlimmer machen», be ­<br />

richtet Hofstetter. Ein Beispiel: Eine<br />

Mutter postete ein Bild vom Hautausschlag<br />

ihres Kindes. «Die anderen<br />

Mamis haben sie völlig verrückt<br />

gemacht, eine meinte sogar, dies<br />

könnte Leukämie sein!» Seither steht<br />

in den Gruppenregeln der Basler<br />

Mamis: Fragt hier nicht nach medizinischen<br />

Ratschlägen, sondern geht<br />

zum Arzt!<br />

Zickenkrieg und gegenseitiges<br />

Reinsteigern in Probleme sind nur<br />

die eine Seite. Die andere Seite –<br />

und wohl auch der Grund, warum<br />

so viele Mamis an der Gruppe hängen<br />

– ist die ungewöhnlich grosse<br />

Hilfsbereitschaft der Frauen unter­<br />

74 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Bild: Alexander Preobrajenski<br />

Sandra<br />

Hofstetter (links)<br />

und Basler Mami<br />

Nicole Thomann<br />

zeigen den<br />

Erkennungspin.<br />

einander. Die Medienwissenschaftlerin<br />

Sarah Bizzarri hat für ihre<br />

Masterarbeit ein halbes Jahr lang die<br />

Kommunikation in der Facebookgruppe<br />

untersucht und Mitglieder<br />

und Administratorinnen interviewt.<br />

Ihr Forschungsschwerpunkt lag auf<br />

der Frage, inwiefern die Mütter eine<br />

Gemeinschaft bilden, die über ein<br />

paar Kommentare bei Facebook<br />

hinausgeht.<br />

Ich komme vorbei und helfe dir<br />

Bizzarris Ergebnis: «Wenn eine ein<br />

Problem hat, sind die anderen sofort<br />

da.» So habe sie zum Beispiel beobachtet,<br />

wie Mütter sich gegenseitig<br />

anboten, Kleider und Essen vorbeizubringen,<br />

Hilfe oder einfach Gesellschaft<br />

zu leisten, wenn ein Mami<br />

im Krankenhaus lag oder zu Hause<br />

mit den Kindern überfordert war.<br />

Dabei entstünden feste Freundschaften,<br />

aber auch lose Verbindungen,<br />

die man immer wieder aktivieren<br />

könne, wenn man gerade etwas wissen<br />

oder einfach nicht allein im Park<br />

spazieren gehen wolle.<br />

Treffen im realen Leben seien<br />

keine Seltenheit, würden aber nicht<br />

erwartet. «Das ist einzigartig: Mütter,<br />

die in unserer Gesellschaft oft<br />

isoliert sind, finden echte Hilfe,<br />

ohne sich selbst zu sehr verpflichten<br />

zu müssen», beschreibt Bizzarri ihr<br />

Ergebnis. Und fügt im Hinblick auf<br />

den manchmal sehr rauen Ton hinzu:<br />

«Ein bisschen ist das wie in einer<br />

Familie: Man streitet sich heftig.<br />

Aber man hilft sich auch, wenn es<br />

darauf ankommt.»<br />

Bizzarri schreibt in ihrem Fazit,<br />

dass sich die Trennung zwischen<br />

Online- und Offlinebeziehungen<br />

heute nicht mehr aufrechterhalten<br />

liesse. In Bezug auf Jugendliche hat<br />

man das schon häufiger gehört, in<br />

Be zug auf ihre Eltern oder in diesem<br />

Falle die Mütter selten.<br />

Sind wir normal?<br />

Neben der handfesten Unterstützung<br />

– der modernen Nachbarschaftshilfe<br />

– bietet die Facebookgruppe vor<br />

allem emotionalen Beistand. Mehrmals<br />

täglich findet man hier die Frage,<br />

ob das, was man als Mami fühlt,<br />

oder das, was das Kind macht, denn<br />

normal sei. «Die gegenseitige Rückversicherung,<br />

dass man nicht >>><br />

Die Basler Mamis 2.0 und andere<br />

Facebookgruppen<br />

Die Facebookgruppe Basler Mamis 2.0 wurde<br />

erstmals 2010 von Sandra Hofstetter und ihrer<br />

Cousine ins Leben gerufen. Die Idee war, eine<br />

regionale Verkaufsplattform für Kindersachen<br />

anzubieten. Da der Verkauf oft für Streit sorgte,<br />

schlossen die Frauen die Gruppe wieder und<br />

gründeten 2015 die Basler Mamis 2.0 als reine<br />

Diskussionsplattform. Mit rund 3800 Mitgliedern ist<br />

sie die grösste und aktivste ortsgebundene<br />

Facebookgruppe für Mütter in der Schweiz. Der<br />

Verkauf ist jetzt ausdrücklich verboten.<br />

Sarah Bizzarri untersuchte in ihrer Masterarbeit<br />

auch andere Gruppen wie die Mamis usem Berner<br />

Oberland, Mamis usem Kanton Luzern und<br />

Umgäbig, Solothurner und Aargauer Mamis, die<br />

Thurgauer Mamis und die Mamis vom Kanton<br />

Züri. Sie alle haben weit weniger Mitglieder und<br />

Diskussionsbeiträge pro Tag als die Basler<br />

Mamis 2.0. In keiner anderen Gruppe fand die<br />

Wissenschaftlerin ausserdem einen solchen<br />

Zusammenhalt und eine solche Offenheit wie bei<br />

den Basler Mamis. Die Medienwissenschaftlerin<br />

führt dies vor allem auf die sehr aktiven und<br />

engagierten Administratorinnen in Basel zurück.<br />

Auch die Gruppe der Basler Papis, die ein Partner<br />

einer Administratorin der Basler Mamis gründete,<br />

ist eher eine stille Gruppe mit 200 Mitgliedern.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>75


Warum geben die Mamis<br />

so viel von sich preis?<br />

Viele können es selbst<br />

nicht erklären.<br />

>>> allein ist, hat einen hohen<br />

Stellenwert», sagt Bizzarri.<br />

Wie intim darf es denn sein?<br />

Zudem wollen sich die Frauen<br />

manchmal auch einfach auskotzen.<br />

Über das Restaurant um die Ecke,<br />

das für Kinder kein Hahnenwasser<br />

servieren will, aber auch über den<br />

fünfjährigen Sohn, der sich partout<br />

weigert, selber Socken und Schuhe<br />

anzuziehen.<br />

Ja, und manchmal fallen auch<br />

böse Sätze über den Partner, von<br />

dem sich die Frauen mehr Unterstützung<br />

wünschen. Über den Partner<br />

und das eigene Kind im Internet<br />

schimpfen? Das Anmeldeprozedere<br />

bei den Basler Mamis vermittelt das<br />

Gefühl, dass man unter sich ist: Mitlesen<br />

können in der geschlossenen<br />

Facebookgruppe nur Mitglieder der<br />

Basler Mamis 2.0. Und Mitglied der<br />

Gruppe wird nur, wer von den<br />

Administratorinnen bestätigt wird.<br />

«Dafür prüfen wir, ob die Frau<br />

wirklich aus Basel kommt und ein<br />

realistisches Profil mit einigen<br />

Angaben und Fotos von sich hat»,<br />

sagt Hofstetter.<br />

Dennoch sieht auch die Gründerin<br />

der Basler Mamis die Offenheit<br />

der Frauen kritisch. «Wir hatten<br />

schon mehrfach die Frage: ‹Wie oft<br />

habt ihr noch Sex?›, und viele haben<br />

eine Zahl genannt. Ich glaube, diese<br />

Frauen vergessen einfach, wie viele<br />

wir sind und über welche Ecken<br />

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Digital & Medial<br />

man sich kennen könnte», sagt<br />

Hofstetter. Zudem bleibt die Gefahr,<br />

dass einer, der einem Böses will,<br />

jederzeit einen Screenshot machen<br />

und ausserhalb der Gruppe verbreiten<br />

könnte.<br />

Auch Sarah Bizzarri hat in ihrer<br />

Masterarbeit festgestellt, dass die<br />

Frauen ins Straucheln kommen,<br />

wenn sie erklären sollen, warum sie<br />

in der Facebookgruppe so offenherzig<br />

sind. «Man ist halt ein Stück weit<br />

anonym», sagen sie, obwohl viele<br />

mit Profilbild und echtem Namen<br />

bei Facebook registriert sind.<br />

Und dann gibt es natürlich auch<br />

noch jene, die gar nicht unbedingt<br />

anonym bleiben wollen. Sie kaufen<br />

Buttons, Schlüsselanhänger und<br />

Ta schen mit dem Logo der Basler<br />

Mamis, damit sie einander auf der<br />

Strasse erkennen können. Manchmal<br />

braucht es dafür aber gar keine<br />

Accessoires. Hofstetter: «Ich sass in<br />

einem Internetcafé in Ägypten, und<br />

neben mir hatte eine Frau unsere<br />

Seite am PC offen. Sie postete liebe<br />

Grüsse und dass sie in Ägypten sei.<br />

Und ich antwortete ‹Ich weiss, denn<br />

ich sitze neben dir›. Das verdutzte<br />

Gesicht war grossartig.» Spätestens<br />

in diesem Moment muss der anderen<br />

Mami klargeworden sein: «Ich<br />

bin nicht nur nicht allein, sondern<br />

auch nicht anonym.»<br />

>>><br />

Bianca Fritz<br />

Leiterin Online-Redaktion, liebt<br />

Facebookgruppen. Sie holt dort Rat zu<br />

Hundepflege, kauft und verkauft<br />

Gebrauchtes. Bei persönlichen Themen<br />

vertraut sie lieber auf Freunde und Familie.<br />

ERLEB WAS. UND HILF DAMIT<br />

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Mit der spannenden Schnitzeljagd durch<br />

deine Stadt unterstützt du Hilfsprojekte.<br />

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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>77


Digital & Medial<br />

Ich snap dir!<br />

Teenager sind begeistert, Erwachsene<br />

verstehen es nicht. Snapchat ist der<br />

digitale Hype der jugendlichen Stunde.<br />

Wieso eigentlich? Text: Michael In Albon<br />

Bild:Swisscom<br />

Für Teenager scheint die<br />

App mit dem niedlichen<br />

Geist auf gelbem Grund<br />

unverzichtbar. Das Spezielle:<br />

Die versendeten<br />

Bilder können nur für ganz kurze<br />

Zeit angeschaut werden, dann verschwinden<br />

sie wieder. Laut der<br />

JAMES-Studie 2016 zum Mediennutzungsverhalten<br />

von Jugendlichen<br />

hat Snapchat bei den Jüngeren<br />

inzwischen Facebook hinter sich<br />

gelassen. Die Anwendung zählt bei<br />

den Befragten zwischen 12 und 19<br />

Jahren mit Instagram und Whats­<br />

App zu den drei meistgenutzten<br />

Social-Media-Apps. 80 Prozent<br />

haben ein Konto bei Snapchat.<br />

Mit Snapchat haben Jugendliche<br />

einen digitalen Ort gefunden, an<br />

dem sie sich ausleben können, weil<br />

diese Plattform noch weitgehend<br />

frei von Eltern und anderen Erwachsenen<br />

scheint. Viele Teenager nutzen<br />

die App für Schnappschüsse,<br />

sogenannte Snaps. Sie schiessen<br />

Fotos und legen Filter drauf – etwa<br />

fürs Gesicht oder die Umgebung.<br />

Damit können sie sich, dem Freund<br />

oder der Freundin einen Blumenkranz<br />

oder einen Schnauz verpassen.<br />

Sticker, Malereien, Texte, Uhrzeit,<br />

Datum, Temperatur und Ort<br />

hinzufügen. Und besonders spannend<br />

für die Jugendlichen: Sitzen<br />

zwei Personen nebeneinander, können<br />

sie mittels der Funktion Swap-<br />

Face die Gesichter vertauschen.<br />

Die Bilder oder kurzen Videosequenzen<br />

werden anschliessend<br />

direkt an Freunde verschickt oder in<br />

die sogenannte «Story» gepackt. In<br />

dieser können die Nutzer im Laufe<br />

des Tages Inhalte sammeln und so<br />

eine Geschichte erzählen, die sich<br />

die Freunde ansehen können.<br />

Snap und weg?<br />

Viele Teenager sind auf Snapchat ein<br />

wenig mutiger als etwa auf Instagram,<br />

denn sie wissen: Die Videos<br />

verschwinden wieder – 24 Stunden<br />

bleiben die Bilder oder Videoschnipsel<br />

online. Und der Empfänger kann<br />

die Snaps maximal zehn Sekunden<br />

ansehen. Die Kommunikation mit<br />

den Snaps funktioniert schnell,<br />

intensiv, bunt, heftig und irgendwie<br />

schrill. Ein Abbild des Alltags von<br />

Teenagern eben: Man muss ständig<br />

präsent sein, um Aufmerksamkeit<br />

buhlen, darf nichts verpassen.<br />

Wie sicher ist die App? Dass der<br />

Empfänger einen Screenshot eines<br />

Snaps machen kann, daran denken<br />

geübte Snaper sehr wohl. Sie kennen<br />

auch die Apps, die Snapchat-Bilder<br />

speichern, SnapSave etwa. Trotzdem<br />

bleibt es für Sie als Eltern wichtig,<br />

mit Ihren Kindern genau solche<br />

Sicherheitslücken zu besprechen.<br />

Indem Sie sich über die Anwendungen<br />

Ihrer Kinder schlau machen<br />

und ihnen etwa bei Snapchat aufzeigen:<br />

Das Versprechen, die Bilder<br />

nach spätestens zehn Sekunden<br />

nicht mehr einsehbar zu machen,<br />

kann Snapchat nicht halten. Technik<br />

hin oder her: Jede Einschränkung ist<br />

umgehbar. Deshalb braucht es eine<br />

kritische Haltung, die uns Eltern<br />

und unsere Kinder Schritt für Schritt<br />

zu medienkompetenten Nutzern<br />

macht.<br />

Michael In Albon<br />

Michael In Albon ist Beauftragter<br />

Jugendmedienschutz und Experte<br />

Medienkompetenz von Swisscom.<br />

Auf Medienstark finden Sie Tipps und interaktive<br />

Lernmodule für den kompetenten Umgang mit<br />

digitalen Medien im Familienalltag.<br />

swisscom.ch/medienstark<br />

78 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Bling – Sie haben soeben zum 50 000. Mal<br />

«Iss über dem Teller» gesagt.<br />

Sie gewinnen den goldenen Elternpapagei.<br />

Tweet von @ninubinu<br />

Dick, schlaflos und<br />

schlecht entwickelt –<br />

sind die Medien schuld?<br />

Buchtipp: Von Forscherinnen<br />

und Vierbeinern<br />

Emma will Verhaltensforscherin für Tiere werden. Aber ihr Start ist<br />

harzig. Denn weder die Echsen ihrer Zwillingsbrüder, die die Namen der<br />

Minions tragen, noch die Schildkröte Herkules sind besonders spannende<br />

Forschungsobjekte. Eigentlich sitzen sie nur herum, manchmal fressen sie<br />

vielleicht noch. Kein Wunder, dass Emma völlig ausflippt vor Freude,<br />

als ein Hund in die Familie kommen soll. Blöd nur, dass Krümel gar<br />

nichts mit Emma zu tun haben will, sondern die grantige Oma sehr viel<br />

spannender findet. Und dann auch noch verschwindet … Mit ganz viel<br />

Witz und Liebe kreiert Autorin Kirsten John Charaktere, die Kindern<br />

ab neun Jahren grosse Freude machen.<br />

Kirsten John: Das Krümel-Projekt. Ein Hund auf Glücksmission.<br />

Arena, <strong>2017</strong>. 165 Seiten mit einigen Illustrationen, rund 15 Franken.<br />

Bilder: fotolia, ZVG<br />

Beim deutschen Jugendmedizinkongress im März<br />

haben Ärzte Alarm geschlagen. Denn die erste Auswertung<br />

der BLIKK-Medien-Studie legt nahe, dass die<br />

Mediennutzung von Kindern starken Einfluss auf<br />

weitere Lebensbereiche hat. BLIKK steht für «Bewältigung,<br />

Lernverhalten, Intelligenz, Kompetenz und<br />

Kommunikation», und im Rahmen einer Querschnittsstudie<br />

wurden in 84 Arztpraxen insgesamt 5650<br />

Patienten bis 14 Jahre befragt. Die bisherigen Ergebnisse<br />

nach 3200 Auswertungen:<br />

• Im Alter bis zu sechs Jahren hängen Ausmass und<br />

Intensität des Medienkonsums eindeutig mit den<br />

von Ärzten vermehrt festgestellten Sprachentwicklungsstörungen<br />

zusammen.<br />

• Ab dem siebten Lebensjahr gibt es klare Zusammenhänge<br />

zwischen den schulischen Leistungen, ADHS<br />

sowie sozial bedingten Störungen und der Dauer der<br />

Nutzung digitaler Medien.<br />

• Im Schul- und Jugendalter treten vermehrt Schlafstörungen<br />

und auch Angststörungen auf.<br />

• Übergewicht im Kindes- und Jugendalter korreliert<br />

mit extremem Medienkonsum und insbesondere<br />

mit der dabei eingenommenen Menge an Süssigkeiten<br />

und Süssgetränken.<br />

Quelle: aerztezeitung.de. In den kommenden Monaten sollen weitere<br />

Ergebnisse veröffentlicht werden – wir behalten das für Sie im Blick.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

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SOUALEM<br />

EIN FILM VON<br />

MARIE-CASTILLE MENTION-SCHAAR<br />

Jetzt im Kino<br />

Junge Frauen im Bannkreis religiöser Fundamentalisten. Ein<br />

starker Film über ein aktuelles gesellschaftliches Phänomen.<br />

April <strong>2017</strong>79<br />

PHOTO GUY FERRANDIS


Service<br />

Vielen Dank<br />

an die Partner und Sponsoren der Stiftung Elternsein:<br />

Finanzpartner Hauptsponsoren Heftsponsoren<br />

Dr. iur. Ellen Ringier<br />

Walter Haefner Stiftung<br />

Credit Suisse AG<br />

Rozalia Stiftung<br />

UBS AG<br />

Mirjam und Martin Bisang Staub<br />

Impressum<br />

17. Jahrgang. Erscheint 10-mal jährlich<br />

Herausgeber<br />

Stiftung Elternsein,<br />

Seehofstrasse 6, 8008 Zürich<br />

www.elternsein.ch<br />

Präsidentin des Stiftungsrates:<br />

Dr. Ellen Ringier, ellen@ringier.ch,<br />

Tel. <strong>04</strong>4 400 33 11<br />

(Stiftung Elternsein)<br />

Geschäftsführer: Thomas Schlickenrieder,<br />

ts@fritzundfraenzi.ch, Tel. <strong>04</strong>4 261 01 01<br />

Redaktion<br />

redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />

Chefredaktor: Nik Niethammer,<br />

n.niethammer@fritzundfraenzi.ch<br />

Verlag<br />

Fritz+Fränzi,<br />

Dufourstrasse 97, 8008 Zürich,<br />

Tel. <strong>04</strong>4 277 72 62,<br />

info@fritzundfraenzi.ch,<br />

verlag@fritzundfraenzi.ch,<br />

www.fritzundfraenzi.ch<br />

Business Development & Marketing<br />

Leiter: Tobias Winterberg,<br />

t.winterberg@fritzundfraenzi.ch<br />

Anzeigen<br />

Administration: Dominique Binder,<br />

d.binder@fritzundfraenzi.ch,<br />

Tel. <strong>04</strong>4 277 72 62<br />

Art Direction/Produktion<br />

Partner & Partner, Winterthur<br />

Bildredaktion<br />

13 Photo AG, Zürich<br />

Korrektorat<br />

Brunner Medien AG, Kriens<br />

Auflage<br />

(WEMF/SW-beglaubigt 2016)<br />

total verbreitet 101 725<br />

davon verkauft 18 572<br />

Preis<br />

Jahresabonnement Fr. 68.–<br />

Einzelausgabe Fr. 7.50<br />

iPad pro Ausgabe Fr. 3.–<br />

Abo-Service<br />

Galledia Verlag AG Berneck<br />

Tel. 0800 814 813, Fax 058 344 92 54<br />

abo.fritzundfraenzi@galledia.ch<br />

Für Spenden<br />

Stiftung Elternsein, 8008 Zürich<br />

Postkonto 87-4470<strong>04</strong>-3<br />

IBAN: CH40 0900 0000 8744 70<strong>04</strong> 3<br />

Inhaltspartner<br />

Institut für Familienforschung und -beratung<br />

der Universität Freiburg / Dachverband Lehrerinnen<br />

und Lehrer Schweiz / Verband Schulleiterinnen und<br />

Schulleiter Schweiz / Jacobs Foundation /<br />

Elternnotruf / Pro Juventute / Interkantonale<br />

Hochschule für Heilpädagogik Zürich /<br />

Schweizerisches Institut für Kinder- und<br />

Jugendmedien<br />

Stiftungspartner<br />

Pro Familia Schweiz / Pädagogische Hochschule<br />

Zürich / Elternbildung CH / Marie-Meierhofer-<br />

Institut für das Kind / Schule und Elternhaus<br />

Schweiz / Schweizerischer Verband<br />

alleinerziehender Mütter und Väter SVAMV /<br />

Kinderlobby Schweiz / kibesuisse Verband<br />

Kinderbetreuung Schweiz<br />

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www.fritzundfraenzi.ch > Service<br />

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80 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Buchtipps<br />

Fischer KJB,<br />

<strong>2017</strong>, Fr. 17.90,<br />

ab 8 Jahren<br />

Weg mit Knut!<br />

Bester Freund hin<br />

oder her – Knut<br />

muss weg, nur<br />

dann kann William<br />

gesund werden.<br />

Autor Jesper<br />

Wung-Sung lässt<br />

den unsichtbaren Freund zur<br />

Metapher einer Krebskrankheit<br />

werden.<br />

Hanser, <strong>2017</strong>, Fr. 22.90,<br />

ab 12 Jahren<br />

Sie sind immer da, hören einem zu oder<br />

spenden in schwierigen Situationen Trost:<br />

die imaginären Freunde. Als Kater,<br />

Kind oder Löwe treiben sie sich auch<br />

gerne in Kinderbüchern herum.<br />

Beste Freunde aus der Fantasie<br />

Aus dem Leben eines Unsichtbaren<br />

Crenshaw. Einmal<br />

schwarzer Kater<br />

Jacksons Familie<br />

plagen schon<br />

wieder Geldsorgen.<br />

Mit den<br />

Eltern kann<br />

Jackson nicht<br />

über seine Ängste reden – aber mit<br />

Crenshaw, dem schwarzen Kater, der<br />

jetzt für ihn da ist.<br />

Fischer Sauerländer, 2016,<br />

Fr. 17.90, ab 8 Jahren<br />

Bilder: ZVG<br />

Karlsson vom Dach ist<br />

wohl der bekannteste<br />

Vertreter seiner Gattung.<br />

Der schöne,<br />

gescheite und gerade<br />

richtig dicke Mann in seinen besten<br />

Jahren – wie er sich selbst unbescheiden<br />

bezeichnet – unterhält in<br />

drei Büchern von Astrid Lindgren<br />

den kleinen Lillebror und hilft ihm,<br />

mutiger und selbstsicherer zu werden.<br />

Ob es Karlsson wirklich gibt? So<br />

genau lässt sich das nicht sagen. Die<br />

erwachsenen Leserinnen und Leser<br />

jedenfalls sehen in ihm gerne einen<br />

imaginären Freund – eine Figur, wie<br />

viele Kinder in einem gewissen<br />

Alter sie sich erschaffen. Imaginäre<br />

Freunde sind in der Kinderliteratur<br />

beliebt. Sie ermöglichen es, ein Alter<br />

Ego des Kindes darzustellen, seine<br />

Gedanken mit jemandem teilen zu<br />

lassen.<br />

Kasimir Karton, zeit seines<br />

Lebens unsichtbarer Freund, erzählt<br />

nun selbst aus der misslichen Situation,<br />

in der er sich befindet. Schon<br />

immer hat er damit gelebt, dass die<br />

Bustüre vor seiner Nase zugeht, er<br />

im Turnen nie in die Mannschaft<br />

gewählt wird und die Eltern schon<br />

mal vergessen, ihm einen Gutenachtkuss<br />

zu geben. Aber als es<br />

traurige Gewissheit wird, dass er<br />

nur in der Fantasie seiner «Schwester»<br />

Fleur existiert, fällt für Kasimir<br />

eine Welt zusammen. Trost erhält er<br />

in der Selbsthilfegruppe der Anonymen<br />

Eingebildeten – und bald findet<br />

er auch wieder einen Freund,<br />

der ihn wirklich braucht.<br />

Michelle Cuevas,<br />

1982 in den USA<br />

geboren,<br />

studierte Kunst<br />

und Kreatives<br />

Schreiben.<br />

Marta & ich<br />

Der Löwe, den<br />

Marta gemalt hat,<br />

steigt einfach aus<br />

dem Bild!<br />

Zusammen<br />

erleben die zwei in<br />

diesem fantasievollen<br />

Bilderbuch des Schweizer<br />

Illustratorinnenduos It’s Raining<br />

Elephants wilde Abenteuer.<br />

Atlantis, <strong>2017</strong>, Fr. 29.90,<br />

ab 4 Jahren<br />

Verfasst von Elisabeth Eggenberger,<br />

Mitarbeiterin des Schweizerischen<br />

Instituts für Kinder- und<br />

Jugendmedien SIKJM.<br />

Auf www.sikjm.ch/rezensionen sind<br />

weitere B uch empfehlungen zu finden.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

April <strong>2017</strong>81


Eine Frage – drei Meinungen<br />

Der beste Freund unseres Sohnes, 13, betitelt alle möglichen Personen<br />

als «schwul». Wie sollen wir eingreifen, wenn fremde Kinder<br />

Schimpfwörter benutzen? Claudia, 37, und Marc, 38, Suhr AG<br />

Nicole Althaus<br />

Der Junge ist alt genug, um<br />

eine klare Ansage zu hören:<br />

dass «schwul» kein Schimpfwort<br />

ist, sondern eine sexuelle<br />

Ausrichtung. Dass es genau<br />

so falsch und sexistisch ist,<br />

«schwul» als Schimpfwort zu<br />

gebrauchen, wie «Nigger»<br />

rassistisch ist und dass Sie<br />

deshalb das in ihrem Haus nicht dulden.<br />

Tonia von Gunten<br />

Greifen Sie ein, und zwar so:<br />

«Du bezeichnest andere Menschen<br />

als schwul. Darüber<br />

möchte ich mit dir reden.<br />

Mich stört, dass du das sagst,<br />

und ich weiss nicht, was daran<br />

lustig sein soll. Ich wünsche<br />

mir, dass du deinen<br />

Umgang mit Leuten überdenkst<br />

und damit aufhörst, Mitmenschen aufgrund<br />

ihres Aussehens oder ihrer sexuellen Präferenz zu beleidigen.<br />

Wie siehst du das?»<br />

Peter Schneider<br />

Wenn der Freund Ihres Sohnes<br />

einen gewissen Sinn für<br />

paradoxe Ironie hätte, könnten<br />

Sie ihm sagen, sie fänden<br />

den Gebrauch des Wortes<br />

«schwul» als Schimpfwort<br />

«total behindert» und wollten<br />

das Wort daher in Ihrer<br />

Gegenwart nicht mehr hören.<br />

Andererseits müssen sie auch nicht allzu hysterisch<br />

reagieren, denn ein Schwulenhasser wird man kaum<br />

deshalb, weil man in seiner unbedarften Jugend un ­<br />

angemessenen Schimpfwörtern ausgesetzt war. Man<br />

wird auch keine Nymphomanin, weil die Freundin<br />

alles «geil» findet.<br />

Nicole Althaus, 48, ist Kolumnistin, Autorin<br />

und Mitglied der Chefredaktion der «NZZ am<br />

Sonntag». Zuvor war sie Chefredaktorin von «wir<br />

eltern» und hat den Mamablog auf «Tagesanzeiger.<br />

ch» initiiert und geleitet. Nicole Althaus ist Mutter<br />

von zwei Kindern, 16 und 12.<br />

Tonia von Gunten, 43, ist Elterncoach, Pädagogin<br />

und Buchautorin. Sie leitet elternpower.ch, ein<br />

Programm, das frische Energie in die Familien<br />

bringen und Eltern in ihrer Beziehungskompetenz<br />

stärken möchte. Tonia von Gunten ist verheiratet<br />

und Mutter von zwei Kindern, 10 und 7.<br />

Peter Schneider, 59, ist praktizierender<br />

Psychoanalytiker, Autor und SRF-Satiriker («Die<br />

andere Presseschau»). Er lehrt als Privatdozent<br />

für klinische Psychologie an der Uni Zürich und<br />

ist Professor für Entwicklungspsychologie an<br />

der Uni Bremen. Peter Schneider ist Vater eines<br />

erwachsenen Sohnes.<br />

Haben Sie auch eine Frage?<br />

Schreiben Sie eine E-Mail an:<br />

redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />

Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Pino Stranieri, HO<br />

82 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


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