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Ausgabe 101, März 2012 - Sonnendeck

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ROMYs Gedächtnis und wir<br />

16 – BriSe<br />

Unter dem anspielungsreichen Titel memory-mash-motel-room verwandelt<br />

Jörg Mandernach (*1963) die Stuttgarter Galerie Anja Rumig in eine<br />

Erinnerungslandschaft. Zu sehen ist eine monumentale Raumzeichnung,<br />

die von Enkaustiken und Arbeiten auf Papier überlagert wird. Ende 2011<br />

interviewte Sebastian Borkhardt den Ludwigsburger Künstler über seine<br />

ars memoriae und erfuhr dabei vom Zusammenhang zwischen einem<br />

Festwertspeicher und einer deutschen Schauspielerinnenlegende.<br />

sonnendeck: Lass mich das Interview<br />

eröffnen mit einer Frage aus Max<br />

Frischs Fragebogen I: „Möchten Sie<br />

das absolute Gedächtnis?“<br />

Jörg Mandernach: Auf keinen Fall.<br />

Glückliches Vergessen!<br />

Welche Rolle spielt das Vergessen in<br />

deiner Arbeit?<br />

Das Vergessen ist ein integraler<br />

Bestandteil des Erinnerungsvorgangs.<br />

Von daher hat es genauso viel<br />

mit meiner Arbeit zu tun wie das<br />

Erinnern selbst.<br />

Das Thema „Erinnerung und Gedächtnis“<br />

steht in den Wissenschaften, in<br />

Politik und Kultur hoch im Kurs und ist<br />

entsprechend fein ausdifferenziert: Man<br />

spricht vom autobiografischen, vom kollektiven<br />

und vom kulturellen Gedächtnis.<br />

Es gibt das Gedächtnis, das wir in<br />

uns tragen, und das auf Papier oder<br />

Festplatten ausgelagerte Gedächtnis.<br />

Welche Aspekte treiben dich um?<br />

Ich meine, dass alle diese Aspekte<br />

generell ineinander greifen und auch<br />

Berührungspunkte mit meiner Arbeit<br />

aufweisen. Vor Jahren bin ich mal an<br />

einem Artikel in der ZEIT hängen<br />

geblieben, in dem es darum ging, dass<br />

Erinnerung ein dynamisches, subjektiv<br />

geformtes Konstrukt ist, also nicht<br />

deckungsgleich mit dem, was sich<br />

tatsächlich zugetragen hat. Ich kann<br />

der Vorstellung viel abgewinnen, dass<br />

wir beim Erinnern vergangene Situationen<br />

immer wieder neu rekonstruieren,<br />

und diese Rekonstruktionen<br />

der Erosion des Vergessens sowie<br />

der nachträglichen Sedimentation<br />

unterworfen sind. Darin besteht auch<br />

ein grundsätzlicher Unterschied zwischen<br />

dem menschlichen Gedächtnis<br />

und einem Computerspeicher: Die<br />

Daten, die beispielsweise auf einer<br />

CD-ROM abgelegt werden, sind<br />

statisch und sollen genau so wieder<br />

abgerufen werden können. Ich habe<br />

übrigens den schönen Imperativ aus<br />

CD-ROM: „Read Only Memory“ für<br />

den Titel einer meiner neueren Papierarbeiten<br />

mit dem Vornamen „Romy“<br />

kombiniert zu Read Only MemorY.<br />

Darauf ist unter anderem ein abstrahiertes<br />

Portrait von Romy Schneider<br />

zu sehen, das ich einer Memorabilie<br />

entnommen habe: einem Kinoaushangfoto<br />

aus den 60er Jahren.<br />

Versuchst du bei der Wahl deiner<br />

Mittel und bei der Gestaltung des Ausstellungsraums,<br />

den Erinnerungsvorgang<br />

nachzubilden?<br />

Nein, einfaches Nachbilden wäre<br />

mir zu langweilig. Selbst wenn ich<br />

es wollte, würde es mich in diesem<br />

Fall überfordern. Dazu müsste ich<br />

mich auch eingehender mit wissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen befassen.<br />

Letztendlich interessiert mich das<br />

Thema aber unter künstlerischen Fragestellungen.<br />

Zum Beispiel finde ich<br />

die Aspekte der autobiografischen Reund<br />

Neukonstruktion sehr vergleichbar<br />

mit dem, wie ich an das Bildermachen<br />

herangehe. Es ist daher gut möglich,<br />

dass jemand beim Anschauen der<br />

Ausstellung Analogien zum Vorgang<br />

des Erinnerns herstellen wird.<br />

Welche Bedeutung hat in diesem<br />

Zusammenhang die lange vergessene,<br />

aber umso beständigere Technik der<br />

Enkaustik für dich?<br />

Auf die Enkaustik bin ich eher zufällig<br />

gekommen, als ich noch zu Studentenzeiten<br />

im Württembergischen<br />

Landesmuseum auf ein ägyptisches<br />

Mumienportrait gestoßen bin. Das<br />

Sinnliche und das Objekthafte des<br />

Farbmaterials hat mich dabei besonders<br />

fasziniert. Später kam ich darauf,<br />

dass man Wachs auch als Konservierungsmittel<br />

einsetzt. Dieser Aspekt<br />

hat mir dann im Zusammenhang<br />

mit dem Thema „Gedächtnis“ natürlich<br />

gefallen.<br />

Anders als beim aufwendigen Verfahren<br />

der Enkaustik müssen wir beim<br />

Fotografieren, Bloggen oder Twittern<br />

nicht mehr lange darüber nachdenken,<br />

ob eine Information es wert ist,<br />

aufgezeichnet zu werden. Zumal in<br />

unseren postmodernen Zeiten grundsätzlich<br />

alles von Belang sein kann.<br />

Wir sehen uns konfrontiert mit einer<br />

Fülle von Informationen, die wir kaum<br />

schlucken, geschweige denn verdauen<br />

können. Ist das Erinnern dadurch<br />

schwieriger geworden?<br />

Ich glaube nicht. Das Erinnern ist nur<br />

anderen Einflüssen unterworfen wie<br />

zum Beispiel durch das Internet, das<br />

du ansprichst. Jeder kann nun gleichzeitig<br />

Empfänger und Sender sein<br />

und an gemeinschaftlichen Archiven<br />

basteln. Ich denke, in unseren postpostmodernen<br />

Zeiten ist es wichtiger<br />

denn je, feine Antennen dafür<br />

zu entwickeln, was für einen selbst<br />

von Belang ist. Das gilt auch für den<br />

Besuch meiner Ausstellung: Ähnlich<br />

wie bei der Maische, im Englischen:<br />

mash, soll auch die Collage aus Bildfragmenten,<br />

die ich miteinander<br />

verwebe, etwas im Betrachter zum<br />

Gären bringen. Ich verstehe das als<br />

Angebot, die Beziehungsgeflechte<br />

fortzuführen und sich zum „ungezogenen“<br />

Umherstreifen der Gedanken<br />

anregen zu lassen.<br />

In seiner Poetik des Raumes (La poétique<br />

de l’espace, Paris 1957) bezeichnete<br />

Gaston Bachelard das Gedächtnis<br />

als ein „Theater der Vergangenheit“,<br />

in dem „die Bühnenausstattung den<br />

handelnden Personen ihre Stichworte“<br />

gibt. Das heißt, die Erinnerung war<br />

Abb. links: o.T. (tannhäus. encore),<br />

2011, aus der Reihe Sedimente<br />

Enkaustik und C-Print auf Holz<br />

Jörg Mandernach:<br />

memory-mash-motel-room<br />

Galerie Anja Rumig, Stuttgart<br />

1. Februar bis 24. <strong>März</strong> <strong>2012</strong><br />

www.galerie-anjarumig.de<br />

www.joergmandernach.de<br />

BriSe – 17

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