Justine Otto – 28. April - Der Kessener
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„Bisher äußerte nicht ein<br />
Einziger Bedauern“<br />
Professor Dr. Klaus Laubenthal ist seit zwei Jahren<br />
Missbrauchsbeauftragter<br />
Würzburg. Zehn Vorwürfe wegen sexuellem Missbrauch und<br />
Grenzüberschreitungen innerhalb eines Jahres erscheinen nicht<br />
eben zahlreich. „Doch hier ist jeder einzelne Fall einer zu viel“,<br />
sagt Professor Dr. Klaus Laubenthal. Seit März 2010 ist der<br />
Jurist von der Universität Würzburg externer Ansprechpartner<br />
für Opfer sexuellen Missbrauchs in der Diözese Würzburg.<br />
62 Menschen wandten sich seit Beginn seiner Amtszeit wegen<br />
Übergriffe an ihn. Darunter viele Opfer. Aber auch Mitarbeiter<br />
der Kirche.<br />
Wie erfolgsversprechend ist dies? „Kommt darauf an,<br />
was die Opfer mit der Anzeige erreichen wollen“, so<br />
Laubenthal. Vielen genügt es, zu wissen, dass ihr Fall<br />
dokumentiert wird. Andere sind erleichtert, dass sie<br />
überhaupt einmal mit jemanden über das, was sie<br />
Schlimmes erlebt haben, reden können. Ein eher kleinerer<br />
Teil wünscht sich eine strafrechtliche Verfolgung.<br />
Doch dieser Wunsch ging bisher in keinem einzigen Fall<br />
in Erfüllung. „Die Geschehnisse liegen ganz überwiegend<br />
längere Zeit zurück“, erläutert Laubenthal. Oft<br />
ereignete sich das, was die Betroffenen schildern, in den<br />
1950er Jahren. Damit ist die Tat nach aktueller Rechtslage<br />
längst verjährt.<br />
Viele Opfer empfinden es aber auch als furchtbar, wenn<br />
ihr Fall durch eine Gerichtsverhandlung noch einmal an<br />
die Öffentlichkeit gezerrt wird. Laubenthal: „Oft bedeutet<br />
dies eine sekundäre Traumatisierung.“ Und das will<br />
niemand, der oder die missbraucht worden ist. Wurden<br />
doch viele schon so gravierend primär traumatisiert,<br />
dass sie Jahre, wenn nicht Jahrzehnte benötigten, um<br />
die Kraft zu finden, mit jemanden über die schrecklichen<br />
Geschehnisse in ihrer Kindheit und Jugend zu<br />
reden. Dass sie, wegen des Faktums „Bewährung“, vom<br />
Gericht mit einem Schreiben abgefertigt werden, allein<br />
dies könne für eine sekundäre Traumatisierung sorgen,<br />
so Laubenthal<br />
Tabuthema Sexualität<br />
Dass die Betroffenen ihren Eltern oder Großeltern nichts<br />
von dem Missbrauch erzählt haben, lag vor allem daran,<br />
dass sie, wie sie sehr wohl wussten, auf Granit gebissen<br />
hätten. Laubenthal: „Sexuelles war in den 1950er und<br />
1960er Jahren, Sexualdelikte letztlich sogar bis in die<br />
1990er Jahre tabu.“ Niemand hätte dem Kind zugehört.<br />
Niemand hätte es ernst genommen, hätte es den Mut<br />
aufgebracht, den Übergriff den Eltern zu schildern.<br />
Die Täter brachten es Laubenthal zufolge im Gegenteil<br />
sogar häufig fertig, dass sich das Kind selbst schuldig<br />
fühlte für das, was da geschah zwischen ihm und dem<br />
Pfarrer. Sündig kamen sich der Ministrant oder das Mädchen<br />
aus der Nachbarschaft vor.<br />
Dass „Hochwürden“ etwas Schreckliches tun könnte,<br />
war zunächst einmal jenseits dessen, was man sich vorstellen<br />
konnte. „Es gab eine überhöhe Sicht auf geistliche<br />
Personen.“ Und die Täter? Wie reagieren sie heute,<br />
wenn sie mit dem Vorwurf konfrontiert werden, ein<br />
Kind oder Jugendlichen missbraucht zu haben? „Bisher<br />
habe ich noch keinen einzigen sagen hören, es tät ihm<br />
leid“, konstatiert der Missbrauchsbeauftragte. Im Gegenteil.<br />
Laubenthal bekommt eine Menge Selbstrechtfertigungen<br />
von Priestern und Ordensmännern zu hören.<br />
Mancher Beschuldigte geht so weit, zu behaupten,<br />
dass er mit dem, was er dem Opfer antat, nur dessen<br />
Bestes im Sinn gehabt hätte.<br />
www.der-kessener.de … mit umfangreichem Veranstaltungskalender<br />
WÜRZBURG<br />
Im Juni kommt Klaus Laubenthals Lehrbuch zum Thema „Sexualstraftaten“ in<br />
einer Neuauflage heraus. Foto: Pat Christ<br />
Spät, aber immerhin aktiv<br />
Die Kampfansage der katholischen Kirche gegen jede<br />
Form sexueller Gewalt findet der Missbrauchsbeauftragte<br />
richtig und wichtig: „Natürlich ist die Kirche spät<br />
aktiv geworden. Aber im Vergleich zu vielen anderen<br />
Institutionen wurde sie überhaupt aktiv!“ Dass die angezeigten<br />
Vorfälle binnen eines Jahres drastisch zurückgingen,<br />
mag darauf hindeuten, dass die systematischen<br />
Informationen und die präventiven Maßnahmen auf<br />
allen Ebenen der Institution Kirche greifen. Wobei nicht<br />
vergessen werden dürfe, dass Minderjährige, die jetzt<br />
Übergriffe durch Mitarbeiter der katholischen Kirche<br />
oder Geistliche erleben, womöglich erst in vielen Jahren<br />
über das Erlebte sprechen können.<br />
Oft gehen dem Sprechen über die Grenzverletzung<br />
langwierige und kostspielige Therapien voraus. Apropos<br />
Kosten: Mehrere Opfer beantragten inzwischen auch<br />
finanzielle Leistungen. Insgesamt zahlte die Diözese<br />
Würzburg bislang 36.000 Euro für Menschen, die in<br />
jungen Jahren im kirchlichen Kontext sexuelle Gewalt<br />
erlitten: „Die jeweilige Summe reichte bisher von 2.000<br />
bis 7.000 Euro.“ Eine echte Entschädigung für das angetane<br />
Leid ist dies natürlich in keinem Fall. Denn die Betroffenen<br />
tragen schwer an ihrem Schicksal: „Viele von<br />
ihnen haben Schwierigkeiten in der Partnerschaft.“ Und<br />
einige, sagt Laubenthal, seien psychisch kaputt.<br />
Pat Christ<br />
Hotline für Missbrauchsopfer<br />
wird verlängert<br />
Die im Bistum Trier eingerichtete, bundesweite Hotline für<br />
Missbrauchsopfer der katholischen Kirche wird noch bis<br />
Jahres ende erreichbar sein. Bislang wurden 8.200 Gespräche<br />
mit Opfern oder Angehörigen geführt. In Würzburg ist Klaus<br />
Laubenthal Ansprechpartner für Opfer. Das Thema „Prävention“<br />
wird hier außerdem von Sozialpädagogin Teresa Elbert<br />
von der Kirchlichen Jugendarbeit vorangetrieben. Zu den<br />
Aufgaben der Referentin für Prävention von sexualisierter<br />
Gewalt gehört die Schulung von Mitarbeitern, aber auch<br />
die Beratung von Betroffenen. Elbert ist erreichbar unter<br />
(0931)38663132 oder teresa.elbert@bistum-wuerzburg.de.<br />
pat<br />
<strong>Der</strong> <strong>Kessener</strong> 2/2012 7