EDUCATION 3.17
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Thema | Dossier<br />
Die Notrufnummer 147 ist eine beliebte Beratungsstelle.<br />
Täglich rufen bei ihr 400 Kinder und Jugendliche an, die<br />
bei ihr Orientierung und Hilfe suchen. Vielfach sind es<br />
verzweifelte junge Menschen, die sich überfordert fühlen.<br />
Immer mehr Kinder und Jugendliche suchen bei der Nummer<br />
147 Lösungen zu schwerwiegenden persönlichen<br />
Problemen, vornehmlich zu den Themen Sexualität, Familie,<br />
Liebe und Gewalt; aber am meisten (23 Prozent) sprechen<br />
die Anrufenden über ihre persönlichen Krisen, über<br />
Depressionen, Angst oder selbstverletzendes Verhalten<br />
wie Ritzen 1 . Jeden Tag sind Jugendliche darunter, die<br />
Suizidgedanken äussern.<br />
Suizide und Suizidversuche sind ein düsteres, emotional<br />
bewegendes Thema, das eine Schule zutiefst erschüttern<br />
kann. Das Wissen um diese Risiken kann helfen,<br />
vorbeugend zu handeln und auf Krisensituationen<br />
vorbereitet zu sein. Unserem Handeln und unserem Tun<br />
liegt oft ein unverbrüchliches Vertrauen zugrunde, dass<br />
das Leben einfach so weiterläuft. Dem ist nicht immer so.<br />
Das plötzliche Abschiednehmen von einem Menschen<br />
wirft die Frage nach dem Sinn unserer Existenz und nach<br />
den Werten in unserer Gesellschaft auf.<br />
Hohe Zahl an Suizidversuchen<br />
Neben Unfällen ist Suizid unter 15- bis 24-jährigen Jugendlichen<br />
und jungen Erwachsenen die häufigste Todesursache.<br />
2 Die Suizidrate ist vor allem unter jungen Männern<br />
sehr hoch: Acht von zehn Verstorbenen sind männ lich.<br />
Im Vergleich zu den Erwachsenen sticht in der Altersgruppe<br />
der bis 19-jährigen Jugendlichen die hohe Suizidversuchsrate<br />
heraus. In diesem Zusammenhang wird oft<br />
von Suizidalität gesprochen, weil der Begriff das ganze<br />
Spektrum vom Erwägen einer Suizidhandlung bis zur Umsetzung<br />
beschreibt. Wir wissen jedoch auch, dass die Suizidrate<br />
in fortgeschrittenem Alter zwischen 50 und 60 um<br />
ein Mehrfaches höher ist als im Jugendalter. So starben<br />
2009 bis 2013 in der Schweiz in der Altersklasse der 50-<br />
bis 60-Jährigen 215 Personen pro Jahr durch Suizid, bei<br />
den Jugendlichen waren es durchschnittlich 32, die vor<br />
ihrem 20. Geburtstag aus ihrem Leben schieden.<br />
1 Pro Juventute Jahresbericht (2015): https://www.projuventute.ch/fileadmin/fileablage/downloads/dokumente/jahresbericht/deutsch/Jahresbericht_2015.pdf<br />
2 Meister, Barbara, Böckelmann, Christine (2002): Suizid und<br />
Schule. Prävention, Früherkennung, Intervention. S.4.<br />
Bildungsdirektion des Kantons Zürich.<br />
3 Koch, Irene, Schweikhardt, Martin, Weber, Christina,<br />
Kupferschmid, Stephan (2017): Depressionen im Kindesund<br />
Jugendalter. S. 18. In: Schweizerische Zeitschrift für<br />
Heilpädagogik. Depressionen bei Kindern und Jugendlichen.<br />
Februar 2017.<br />
4 Groen, Günter (2017): Kognitive Verhaltenstherapie bei<br />
depressiven Jugendlichen. Praxis und Konzepte. S.6. In:<br />
Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik. Depressionen<br />
bei Kindern und Jugendlichen. Februar 2017.<br />
5 Reicher, Hannelore (2017): Depressive Kinder und Jugendliche<br />
im Schulkontext. Gefühlswelten verstehen und soziale<br />
Ausgrenzungsrisiken verringern. S.31. In: Schweizerische<br />
Zeitschrift für Heilpädagogik. Depressionen bei Kindern<br />
und Jugendlichen. Februar 2017.<br />
6 Ebenda, S. 34.<br />
«Typische Warnsignale, die<br />
auf eine Suizidgefährdung<br />
hinweisen, sind ein sozialer<br />
Rückzug, Veränderung der<br />
Ess- und Schlafgewohnheiten,<br />
Leistungsabfall,<br />
Konzentrationsschwierigkeiten.»<br />
Philipp Schmutz, Psychologe<br />
Depressive Störungen<br />
Hast du jetzt deine depressiven zehn Minuten? Fragen<br />
wie diese, die wir aus dem Alltag kennen, verharmlosen<br />
die Folgen und Risiken einer ernsthaften depressiven Erkrankung.<br />
Während hier die Ursache eine alltägliche Verstimmung<br />
oder Lustlosigkeit sein kann, gehen Depressionen<br />
bei Kindern und Jugendlichen auf Belastungen zurück<br />
wie eine konfliktreiche Elternbeziehung, Vernachlässigung,<br />
Misshandlung, psychische Erkrankung in der Familie. 3<br />
Die Signale einer depressiven Verstimmung richtig<br />
zu interpretieren, sind für die Prävention wichtig, weil die<br />
Krankheit ein Risikofaktor für Suizidversuche und Suizid<br />
ist. Die Gefahr besteht, dass diese Anzeichen im Jugendalter<br />
nicht frühzeitig erkannt werden. Depressive Störungen<br />
sind in diesem Alter keine Seltenheit, ganz im Gegenteil:<br />
So leidet jeder zehnte Jugendliche bis zum Eintritt ins<br />
Erwachsenenalter zumindest einmal unter einer depressiven<br />
Episode. 4 Im Grundschulalter treten die Krankheitssymptome<br />
bei zwei Prozent der Kinder auf. Die Zahl der<br />
Krankheitsfälle steigt dann ab der Pubertät und im Jugendalter<br />
signifikant an, und zwar auf drei bis zehn Prozent.<br />
Dabei leiden deutlich mehr Mädchen als Jungen<br />
unter depressiven Störungen.<br />
Die klassischen Symptome einer Depression sind<br />
über längere Zeit anhaltende (mindestens zwei Wochen)<br />
starke Stimmungsschwankungen, die sich in häufiger<br />
Traurigkeit und auch in erhöhter Reizbarkeit äussern.<br />
Hinzu kommen Antriebsmangel, Interessenverlust und erhöhte<br />
Ermüdbarkeit. Jüngere Kinder leiden unter Schlaf-,<br />
Essstörungen und Müdigkeit. Bei Jugendlichen treten Gefühle<br />
wie Pessimismus, Hoffnungslosigkeit, gestörtes<br />
Selbstbewusstsein und Todesgedanken auf 5 . Depressive<br />
Kinder haben grosse Mühe, sich den täglichen Anforderungen<br />
zu stellen und ihnen zu genügen. Schlaf- und Essprobleme<br />
führen bei ihnen zu Konzentrationsschwächen<br />
und eingeschränkter Denkfähigkeit, die einen massiven<br />
Leistungsabfall zur Folge haben können 6 .<br />
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