EDUCATION 3.17
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Mittelschule/Berufsbildung | Ecoles moyennes/Formation professionnelle<br />
Wer das Potenzial für eine Matur hat, soll diese<br />
auch erlangen können. Doch: Wie geht das, wenn<br />
jemand ein Hörproblem hat, keine Landessprache<br />
spricht oder gleichzeitig eine Sportkarriere verfolgen<br />
möchte? Das Beispiel des Gymnasiums<br />
Burgdorf zeigt, wie Mittelschulen mit dieser Heterogenität<br />
umgehen.<br />
«Die durchschnittliche Gymnasiastin, den typischen Gymnasiasten<br />
gibt es nicht», sagt Christian Joos, Rektor am<br />
Gymnasium Burgdorf. «Jeder Mensch ist anders. Deshalb<br />
ist Heterogenität der normale Zustand am Gymnasium.»<br />
Trotzdem gebe es Schülerinnen und Schüler, die aufgrund<br />
ihrer Voraussetzungen oder Talente zusätzliche<br />
Aufmerksamkeit beanspruchten. «Wir unterscheiden drei<br />
Gruppen: Schülerinnen und Schüler in besonderen Situationen,<br />
Jugendliche mit besonderen Begabungen sowie<br />
Fremdsprachige.»<br />
Ein Gymnasium müsse den unterschiedlichen Ansprüchen<br />
dieser Schülerinnen und Schüler gerecht werden,<br />
findet Christian Joos. Dazu gebe es eine gesetzliche<br />
(Kasten) und eine moralische Verpflichtung. «Es darf nicht<br />
sein, dass einem jungen Menschen die Matur aufgrund<br />
unverschuldeter Erschwernisse verwehrt bleibt oder dass<br />
er zwischen Talentförderung und Matur wählen muss.<br />
Hier sind wir als Schule gefordert, indem wir für die Betroffenen<br />
individuelle Lösungen finden.»<br />
Technische Hilfsmittel und angepasste Lernsettings<br />
Wie sehen solche Lösungen aus? «Ganz unterschiedlich»,<br />
sagt Prorektorin Sylvia Klöti. Sie ist am Gymnasium Burgdorf<br />
für Schülerinnen und Schüler in besonderen Situationen<br />
zuständig. Dazu zählen beispielsweise Jugendliche<br />
mit einer körperlichen Einschränkung oder mit einer<br />
Wahrnehmungsstörung (Dyslexie, Dyskalkulie, ADHS, Autismus-Spektrum-Störung<br />
usw.). «Entscheidend ist, ob<br />
jemand Anrecht auf Nachteilsausgleich hat. Ist dieser Anspruch<br />
gegeben, suchen wir nach passenden Hilfsmitteln<br />
und/oder nach Möglichkeiten, das Lernsetting zu verändern.»<br />
Oft reichten technische Hilfsmittel, um den Nachteil<br />
zu kompensieren. «Benötigt ein Schüler ein Hörimplantat,<br />
unterrichtet die Lehrperson mit einem Mikrofon, welches<br />
das Signal ins Implantat überträgt; leidet eine Schülerin<br />
an Dyslexie, erhält sie bei einer Probe mehr Zeit.» Manchmal<br />
müssten auch die Lernmethoden modifiziert werden.<br />
«Das kann bedeuten, dass jemand einen Vortrag nicht vor<br />
der Klasse halten muss, sondern auf Video aufzeichnen<br />
darf.»<br />
Etwas anders präsentiert sich die Situation bei<br />
Schülerinnen mit persönlichen oder familiären Problemen,<br />
die ebenfalls in die genannte Gruppe gehören. Sylvia<br />
Klöti: «Muss jemand für längere Zeit ins Spital, suchen wir<br />
nach Möglichkeiten, dass der Stoff im Selbststudium erarbeitet<br />
werden kann. Lebt jemand in einem Umfeld, welches<br />
effektives Lernen verunmöglicht, schaffen wir am<br />
Gymnasium den benötigten Freiraum.»<br />
Berner Gymnasien berücksichtigen<br />
Heterogenität<br />
Für den Nachteilsausgleich von Schülerinnen und<br />
Schülern mit einer Behinderung, für die Integration<br />
Fremdsprachiger und die Begabtenförderung sind<br />
verschiedene Massnahmen bei den Aufnahme- und<br />
Maturitätsprüfungen sowie im Rahmen des Unterrichts<br />
vorgesehen. Die entsprechenden Rechtsgrundlagen<br />
sind in der Mittelschuldirektionsverordnung (MiSDV)<br />
festgelegt.<br />
Nachteilsausgleich<br />
Schülerinnen und Schüler mit einer Behinderung<br />
haben die gleichen fachlichen Anforderungen des<br />
Lehrplans wie die übrigen Schülerinnen und Schüler zu<br />
erbringen. Sie erhalten jedoch an ihre Beeinträchtigung<br />
angepasste Rahmenbedingungen. Besteht eine<br />
Beeinträchtigung, so kann die zuständige Schulleitung<br />
auch das Aufnahmeverfahren und die zuständige<br />
Prüfungskommission die Abschlussprüfung individuell<br />
anpassen.<br />
Integration Fremdsprachiger<br />
Neu zuziehenden fremdsprachigen Jugendlichen stehen<br />
bei einem Wechsel an ein Bernisches Gymnasium auf<br />
Gesuch hin jeweils maximal 40 Lektionen Stützunterricht<br />
in der neu zu erlernenden Erst- sowie Zweitsprache<br />
zu. Zusätzlich können sie im Unterricht mit individuellen<br />
Lernzielen in der Erst- und der Zweitsprache speziell<br />
gefördert werden. Wurde der Unterricht in der Erstbzw.<br />
Zweitsprache erst seit dem 6. Schuljahr oder später<br />
besucht, so wird das Aufnahmeverfahren angepasst.<br />
Begabtenförderung<br />
Die Begabtenförderung am Gymnasium sieht sowohl<br />
für intellektuell besonders Begabte als auch für<br />
besondere Begabungen im Bereich Sport, Musik oder<br />
Gestalten Massnahmen vor. So bestehen für die Bereiche<br />
Sport, Musik und Gestalten auf die besonderen<br />
Begabungen ausgerichtete gymnasiale Klassen, die den<br />
Unterricht auf ein zusätzliches Jahr verteilen. Die<br />
Schülerinnen und Schüler können zudem integriert in<br />
normalen Klassen gefördert werden. In beiden Fällen<br />
besteht die Möglichkeit, die Maturität in zwei Teilprüfungen<br />
abzulegen.<br />
Für intellektuell besonders Begabte in ordentlichen<br />
Bildungsgängen sind ausserdem verschiedene Fördermassnahmen<br />
vorgesehen: Teilnahme an speziellen<br />
Förderungsprojekten und Wettbewerben oder der<br />
Besuch von Vorlesungen an der Universität Bern.<br />
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