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EDUCATION 3.17

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Thema | Dossier<br />

Depression und Suizidalität<br />

«Jugendliche sind nicht<br />

explizit eine Risikogruppe»<br />

Ruedi Lanz<br />

Das Care Team Kanton Bern wird bei etwa 500 Einsätzen<br />

pro Jahr rund 80 Mal aufgrund von Suizidfällen<br />

mit tödlichem Ausgang gerufen. Der Anteil<br />

Jugendlicher zwischen 13 und 19 Jahren liegt dabei<br />

unter fünf Prozent.<br />

«Jugendliche sind keine Risikogruppe, wir haben bedeutend<br />

mehr Interventionen bei Erwachsenen», erklärt<br />

Irmela Moser, stellvertretende Leiterin des Care Team<br />

Kanton Bern. Mit der Pubertät beginnt für Jugendliche<br />

eine Umbruchphase. In dieser Phase sind Jugendliche<br />

weniger stabilisiert, das Elternhaus verliert an Bedeutung,<br />

Kollegenkreise werden wichtiger. In der Schule müssen<br />

sie Leistung bringen, reüssieren, um in der Berufswahl erfolgreich<br />

zu sein. Um diesem Druck auszuweichen, kann<br />

es neben Rebellion, depressiver Verstimmung oder anderem<br />

im Extremfall auch zu Suizid kommen. Warum es zu<br />

Suizid kommt, ist zu vielschichtig, um es auf eine Ursache<br />

zurückführen zu wollen. Auch wenn die Schule selten als<br />

«Suizidtatort» gewählt wird – «ich habe es jedenfalls noch<br />

nie erlebt» –, kann das Schulumfeld natürlich eine Rolle<br />

spielen. «Anderseits erlebe ich es so, dass jugendliche<br />

Suizidopfer ihre Mitschüler nicht hineinziehen oder gar<br />

mitverantwortlich machen wollen. Und eigentlich auch<br />

ihre Familie nicht, obschon sie es ihnen letztlich doch zumuten.<br />

Ich denke da an den Jungen, der sich vergewisserte,<br />

dass niemand während seiner Tat zu Hause war.»<br />

Einsatz und Vorgehen<br />

«Wir werden bei einem Ereignis von der Blaulichtformation<br />

alarmiert und aufgeboten.» In der Regel rückt das<br />

Team mit einer oder zwei Personen aus. Vor Ort erfolgt<br />

die Zusammenarbeit mit der Polizei und mit der Sanität.<br />

Anwesend sind auch der Fahndungsdienst der Polizei, die<br />

Staatsanwaltschaft und jemand des Gerichtsmedizinischen<br />

Instituts. «Sie alle sind ein Grund für unsere Anwesenheit.»<br />

Es sind viele Fachpersonen auf Platz, was für<br />

die Betroffenen eine grosse Belastung darstellen kann.<br />

«Durch einen Suizid können starke Gefühle ausgelöst<br />

werden, in ihnen spiegelt sich auch die Zerstörungskraft,<br />

die sich bei Suizid zeigen kann. Dadurch kommen die Betroffenen<br />

oft in einen psychischen Ausnahmezustand.»<br />

Das Ziel der Betreuung ist, mit dem Betroffenen die Bedürfnisse<br />

zu klären und zu verstehen, was vorgefallen ist.<br />

Die Betreuungsperson erklärt dabei auch nochmal die Anwesenheit<br />

der Fachleute. «Man kann das Warum nicht begreifen,<br />

diese Frage begleitet die Angehörigen meistens<br />

über Jahre hinweg.» Aber was passiert ist, darüber lässt<br />

sich sprechen. Es kann hilfreich sein, wenn sie von ihren<br />

erlebten «Bildern» erzählen. «Sie müssen diese Bilder<br />

emotional einordnen und damit weiterleben können, ohne<br />

dass es zu einer permanenten Belastung kommt.» Die Reaktionen<br />

sind sehr unterschiedlich: Die einen reagieren<br />

eher ablehnend, verstehen die Anwesenheit der Betreuungsperson<br />

nicht und wollen nicht reden. Häufig jedoch<br />

besteht ein grosses Mitteilungsbedürfnis. «Indem wir<br />

sprechen, verschaffen wir Menschen uns Identität und<br />

«Durch einen Suizid<br />

können starke Gefühle<br />

ausgelöst werden. In ihnen<br />

spiegelt sich auch die<br />

Zerstörungskraft, die eine<br />

Selbsttötung verursachen<br />

kann.»<br />

einen Überblick zu Geschehnissen.» Das Care Team Kanton<br />

Bern arbeitet bei jedem Einsatz nach dem «Safer-Prinzip».<br />

Ihre erste Aufgabe ist es, den oder die Betroffenen<br />

sowohl örtlich als auch emotional in Sicherheit zu bringen.<br />

«Wir sind wirklich nur während der Akutphase tätig, da- ▶<br />

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