Hintergrund - Anduin
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AUS DEM NASSEN<br />
GRAB HERAUS<br />
- EINE KURZGESCHICHTE VON JOACHIM A. HAGEN -<br />
Ich bin tot. Ich weiß, dass ich tot bin. Ich wusste<br />
es von dem Moment an, als ich in den Spiegel blickte<br />
und den klaffenden, blutleeren Schnitt an meinem<br />
Hals erblickte; als ich nach meinem Puls fühlte und<br />
keinen fand. Eigentlich hätte es mir schon früher klar<br />
werden müssen, in dem Augenblick, als ich im Dunkeln<br />
erwachte und mich in einem Plastiksack auf dem Grund<br />
den Flusses wieder fand. Ich zerriss die zähe Hülle, und<br />
die dunklen Fluten umspülten mich. Den ganzen langen<br />
Weg nach oben ohne Brennen in den Lungen, ohne<br />
gieriges Einatmen an der Oberfläche. Da hätte es mir<br />
bereits klar sein müssen. Seltsam, wie der Verstand das<br />
Offensichtliche ignoriert. Aber ich war damals zu froh,<br />
noch am Leben zu sein. Am Leben. Ich muss lachen. Es<br />
klingt hohl in meinen Ohren.<br />
Ich erinnere mich an den Keller. An die Schläge,<br />
die Elektroschocks in die Genitalien, die brennenden<br />
Zigaretten, die auf meiner Haut ausgedrückt wurden.<br />
Ich erinnere mich an die Stimmen hinter dem<br />
blendenden Licht. Fragende Stimmen. Fragen, die<br />
nach Antwort verlangten. Nach der Formel. Nach<br />
meinen Kurieren. Dann Schmerzen. Ein Universum aus<br />
Schmerz. Schreie. Meine Schreie. Meine Stimme, die<br />
alles hervor stammelt, was sie wissen wollen, die fleht,<br />
bettelt, beschwört. Vergebens. Das Kitzeln des kalten<br />
Stahls an meiner Kehle. Dann nichts mehr.<br />
Fliegen. Ich hasse sie. Selbst dieses Zeug gegen<br />
Mücken hält sie nicht ab. Schutz für Stunden, heißt es<br />
auf der Packung. Lachhaft.<br />
Sie wissen, dass ich tot bin, verrottendes Fleisch,<br />
ideale Brutstätte für ihre Eier, Nahrung für ihre Maden.<br />
Die Sommerhitze macht mir zu schaffen. Bald werde<br />
ich meinen Zustand nicht mehr mit Kleidung, Schminke<br />
und Parfüm verbergen können. Die Zeit rennt mir<br />
davon.<br />
Wie lange könnte ich wohl existieren? Würde ich<br />
noch erleben, wie mir das faulende Fleisch von den<br />
Knochen fällt? Würde ich als Gerippe weiter wandeln,<br />
von zerfallenden Sehnen und Bändern gehalten, bis<br />
auch diese letze Stütze dem Verrotten zum Opfer<br />
fällt? Würde ich bis zuletzt bei klarem Verstand sein<br />
oder vorher in brüllendem Wahnsinn versinken?<br />
Die Dokumentation meines Zerfalls wäre klinisch<br />
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sicherlich sehr interessant. Für Außenstehende. Aber<br />
ich werde den Rest meiner Zeit nicht als monströses<br />
Studienobjekt für großkotzige Akademiker verbringen.<br />
Oh nein.<br />
Vorgestern fand ich ihn. Reiner Zufall. Ich erkannte<br />
seine Stimme in einer Bar wieder. Eine der Stimmen<br />
aus dem Keller. Ein Vorteil: Wenn man tot ist, kann<br />
man saufen wie ein Loch. Hat keinerlei Wirkung mehr.<br />
Ich beobachtete den Besitzer der Stimme aufmerksam,<br />
stellte dem Barmann vorsichtig ein paar Fragen und<br />
erfuhr, dass der Kerl häufiger hierher kam.<br />
Gestern war ich wieder dort, wartete. Meine Geduld<br />
wurde belohnt. Ich blieb bis kurz vor Mitternacht und<br />
folgte ihm, ließ zu, dass er mich in eine abgelegene<br />
Gasse lockte. Sein Erschrecken, als er mich erkannte,<br />
war köstlich. Dann fühlte ich sein Messer in meinem<br />
Leib. Doch ich bin über Schmerzen hinaus. Tote leiden<br />
nicht. Nicht körperlich.<br />
Ich zerschlug sein Gesicht, trat ihm ein paar Rippen<br />
ein, als er zu Boden ging. Nachdem ich seine Hoden<br />
mit einem Hammer behandelt hatte, erzählte er mir<br />
alles, was ich wissen wollte. Dann schenkte ich ihm<br />
die Gnade der Bewusstlosigkeit. Er bekam nicht mehr<br />
mit, wie ich ihn mit Feuerzeugbenzin übergoss und<br />
anzündete. Dabei verbrannte ich mir die Hand. Ich<br />
beobachtete die Flammen, wie sie an meinem toten<br />
Fleisch leckten, die kleinen Härchen verbrannten, die<br />
Haut schmoren ließen. Dann schlug ich sie aus.<br />
In jener Nacht besuchte ich auch Stimme Nummer<br />
Zwo, die jetzt einen Namen hatte. Auch ihm stellte ich<br />
ein paar Fragen mit Hilfe eines Schlagbohrers und einer<br />
kleinen Säge. Er war sehr kooperativ. Wirklich. Ich<br />
bemitleide denjenigen, der seine Reste findet.<br />
Es ist nicht gut, zu brillant zu sein. Ich weiß es, denn<br />
ich war brillant. Noch nicht einmal Doktor der Chemie<br />
und bereits Entwickler meiner eigenen Designerdroge.<br />
Gut, dass mein Doktorvater nie herausbekam, was ich<br />
in meinen Versuchreihen so ablaufen ließ. Hatte sein<br />
Vertrauen und den Schlüssel zum Labor. „Schön, dass<br />
sie sich so engagieren, aber übertreiben Sie es nicht.“<br />
Idiot.<br />
Ich dealte mit dem Zeug auf dem Campus, zuerst<br />
nur an ein paar Auserwählte, doch bald schon hatte