Der Punsch, der aus dem Norden kommt ... - ENRW ...
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16 INTERVIEW<br />
ZUKUNFT<br />
Wie unser Leben<br />
weiter geht<br />
In seinem neuesten Buch sagt Matthias Horx vor<strong>aus</strong>, wie wir in 100 Jahren leben,<br />
arbeiten und lieben werden. Am Ende winkt uns sogar ewiges Leben – als virtuelle Urahnen.<br />
Ein Gespräch mit Deutschlands gefragtestem Zukunftsforscher.<br />
Fotos: Imko Woltersmann<br />
Herr Horx, freuen Sie sich auf die Zu-<br />
kunft?<br />
Ja natürlich – ich kann mir gar keine an<strong>der</strong>e<br />
Lebenshaltung vorstellen. Wir Menschen<br />
gründen Familien, wir bauen Häuser, wir<br />
haben Hoffnungen, dass es uns besser geht.<br />
Man kann sagen, dass <strong>der</strong> Mensch biologisch<br />
ein Zukunftswesen ist.<br />
Mögen Sie auch Science-Fiction-Romane?<br />
Ich komme <strong>aus</strong> einer Zeit, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> Zukunftsbegriff<br />
ganz stark mit Science<br />
Fiction verbunden war. In den sechziger<br />
Jahren war es völlig klar, dass wir alle bald<br />
unser Privatflugauto haben, auf <strong>dem</strong> Mond<br />
Urlaub machen werden und dass Krebs besiegt<br />
sein wird. Ich glaube, ich habe meine<br />
ganze Kindheit Science Fiction gelesen.<br />
Was haben Sie gelesen?<br />
<strong>Der</strong> zentrale Einfluss meiner Kindheit war<br />
Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“.<br />
Ich habe in den achtziger Jahren<br />
zwei apokalyptische Science-Fiction-Bücher<br />
geschrieben. Heute ist das Genre Science<br />
Fiction nicht mehr so hip wie es mal war.<br />
Wie erklären Sie sich das?<br />
Viele Menschen in Deutschland und im<br />
südlicheren Europa sind sehr pessimistisch<br />
eingestellt. Sie lassen sich, wie ich das immer<br />
sage, ins apokalyptische Bockshorn jagen<br />
und möchten nicht so viel zu tun haben<br />
mit <strong>der</strong> Zukunft.<br />
Gibt es regionale Unterschiede?<br />
Ja, man kann sehen, dass überall da, wo es<br />
eine starke alte Industriekultur gab – Stichwort<br />
Ruhrgebiet –, die Ängste sehr viel größer<br />
sind als in einem Land wie Baden-Württemberg,<br />
das sich schon sehr viel mehr<br />
Richtung Wissensökonomie verän<strong>der</strong>t hat.<br />
Die Angst vor <strong>der</strong> Zukunft ist aber auch eine<br />
typisch deutsche Eigenschaft. Das hat<br />
mit <strong>der</strong> deutschen Romantik zu tun, mit einer<br />
tiefen Grübeligkeit und Dunkelheit unserer<br />
Seele, die mindestens 250 Jahre alt ist<br />
und immer wie<strong>der</strong> neu befüllt worden ist<br />
durch die großen Katastrophen unserer Geschichte.<br />
Wir trauen <strong>dem</strong> Frieden nicht, wir<br />
trauen <strong>dem</strong> Fortschritt nicht.<br />
Trotz ihrer Ängste haben die Deutschen<br />
viel bewegt.<br />
Wir haben gerade deshalb viele Technologien<br />
erfunden: Vermeidungstechnologien, Sicherheitstechnologien.<br />
Die Deutschen haben<br />
den Airbag perfektioniert. Das Problem<br />
ist nur, dass die Leute in das absinken, was<br />
man eine chronische Depression nennt. Es<br />
gibt ein Depressionsbarometer in Deutschland,<br />
das kurz vor pathologischen Zuständen<br />
steht, so dass man eigentlich Glückspillen<br />
ins Trinkwasser füllen müsste.<br />
Sehen Sie Ansätze, wie man eine Genesung<br />
herbeiführen kann?<br />
Aus einer Depression <strong>kommt</strong> man nicht so<br />
einfach her<strong>aus</strong>. Aber ich glaube, dass in unserer<br />
Gesellschaft schon jetzt viel mehr positiv<br />
läuft, als wir wahrnehmen. Zum Beispiel<br />
an den Schulen, die aufholen in <strong>der</strong><br />
Pisa-Frage.<br />
In Ihrem neuen Buch schreiben Sie:<br />
je höher die Bildung, desto höher das<br />
Bruttosozialprodukt. Ist Bildung <strong>der</strong><br />
Schlüssel zur Lösung unser wirtschaftlichen<br />
Probleme?<br />
<strong>Der</strong> <strong>aus</strong>schließliche Schlüssel. In <strong>der</strong><br />
Globalisierung wan<strong>der</strong>n industrielle Arbeitsplätze<br />
an Maschinen o<strong>der</strong> in ferne Län<strong>der</strong><br />
ab. Wir können unser Geld nur mit<br />
geistigen Arbeiten verdienen.<br />
Welche Rolle spielt künftig lebenslanges<br />
Lernen?<br />
Es gibt zwei Arten von Lernen: Das verschulte<br />
Lernen, wo <strong>der</strong> Lateinlehrer vorne<br />
steht und wir müssen alle still sitzen und<br />
zuhören. Und das spielerische Lernen, was<br />
wir Menschen so gerne machen. Wir schütten<br />
jedes Mal Glückshormone <strong>aus</strong>, wenn<br />
wir etwas Neues gelernt haben. Diese Art<br />
von glücklichem Lernen erleben alle Menschen,<br />
denen ihr Beruf Spaß macht. So<br />
wird lebenslanges Lernen nicht mehr eine<br />
Drohung, son<strong>der</strong>n ein natürlicher Lebenszustand.<br />
Wenn Sie von Zukunft reden – in welchen<br />
Zeiträumen denken Sie?<br />
100 Jahre ist die Spanne, die ich in meinem<br />
neuen Buch versuche zu antizipieren. Das<br />
ist ein überschaubarer Zeitraum, in <strong>dem</strong><br />
nicht viel Essenzielles passieren wird: Wir<br />
werden unsere Hirne noch nicht in Nähr-<br />
ZUR PERSON:<br />
INTERVIEW<br />
ZUKUNFT<br />
Matthias Horx, Jahrgang 1955,<br />
gilt als führen<strong>der</strong> Trend- und Zukunftsforscher<br />
im deutschsprachigen Raum.<br />
<strong>Der</strong> gebürtige Düsseldorfer lebt mit<br />
seiner Frau – einer englischen Journalistin<br />
– und zwei Söhnen in Wien. Seit<br />
1996 leitet Horx das von ihm gegründete<br />
Zukunftsinstitut in Kelkheim<br />
bei Frankfurt. Darüber hin<strong>aus</strong> hat Horx<br />
zahlreiche Bücher veröffentlicht.<br />
Sein neuestes Werk:<br />
Matthias Horx:<br />
„Wie wir leben werden“<br />
Verlag: Campus<br />
Preis: 24,90 Euro.<br />
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