Pas de Deux für einen Sozialstaat
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Während dieser Zeit erlebte ich <strong>de</strong>n Gang eines an<strong>de</strong>ren Freun<strong>de</strong>s zu <strong>de</strong>n Ämtern mit. Aus Not,<br />
und in Not. Mein Freund litt unter durchaus schweren, ihn einschränken<strong>de</strong>n psychischen<br />
Problemen. Hat, auf Anraten seines Arztes, seine Arbeitsstelle aufgeben. Aber genau dafür ist<br />
unser System ja, so sagt man, da: Es fängt die auf, die Hilfe brauchen. Stütze. Um wie<strong>de</strong>r hoch zu<br />
kommen. Wirklich? Trotz <strong>de</strong>s Anspruchs auf ALG 1, trotz <strong>de</strong>utscher Geburt (die oft als Vorteil bei<br />
<strong>de</strong>r Hilfevergabe angeführt wur<strong>de</strong>) und trotz eines bestehen<strong>de</strong>n Attests wur<strong>de</strong> die… nennen wir es:<br />
Hilfswürdigkeit meines Freun<strong>de</strong>s immer wie<strong>de</strong>r angezweifelt, unter ein Mikroskop gestellt. Erst von<br />
<strong>de</strong>r Agentur für Arbeit, dann vom zweiten Jobcenter. Trotz ständiger freundlicher Beteuerung von<br />
<strong>de</strong>n menschlichen Sachbearbeitern, das wäre ja alles klar, da ist ja das Attest. Doch dann kam,<br />
immer wie<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r kalte Schrieb. Sie haben ihre Notlage selbst verschul<strong>de</strong>t. Wir müssen ihre<br />
Interessen gegen die <strong>de</strong>r Allgemeinheit abwägen. Sie müssen nun dies und jenes anbringen und<br />
sind gesperrt, sie warten ja schon mehrere Monate auf unsere Entscheidung, auch ihre Schuld,<br />
Rückzahlung gibt es nicht. Sie haben sich Geld geliehen? Ihre Schuld. Sie hätten zum Jobcenter<br />
gehen müssen. Ich war Zeuge, wie aus zähneknirschen<strong>de</strong>m Optimismus Rückzug wur<strong>de</strong>. Klar war<br />
aber auch, dass hier die Amtsbeamten einfach überfor<strong>de</strong>rt waren. Es war ja nicht wirklich ihre<br />
Entscheidung, und sie kannten sich mit diesen Dingen ja nicht aus.<br />
An<strong>de</strong>rs einige <strong>de</strong>r Menschen, mit <strong>de</strong>nen ich darüber sprach. Man müsse eben so und so mit <strong>de</strong>n<br />
Ämtern umgehen. Dann klappt das auch mit <strong>de</strong>m Antrag. So und so darf man nicht sein. Plötzlich<br />
stand das Bild <strong>de</strong>s erfolgreichen Bittstellers vor mir. Ein frankensteinsches Monster aus<br />
Überzeugungskraft, Willensstärke und Organisationstalent. Schlimm nur, dass manche Menschen<br />
dieser Schablone nicht entsprechen können. Irgendwie sah ich in meiner inneren Glotze die<br />
beliebte Sendung DSDS - Deutschland such <strong>de</strong>n Sozialstar - in <strong>de</strong>r ein blon<strong>de</strong>r Beamter breit<br />
grinsend überzeugen<strong>de</strong>n Antragstellern verkün<strong>de</strong>te, sie seien ein Traum, während die an<strong>de</strong>ren, die<br />
nicht Paradiesvögel und Antragskünstler waren, ohne Aben<strong>de</strong>ssen ins Bootcamp <strong>de</strong>r Versager<br />
mussten.<br />
Ich beschloss, mich irgendwie zu beschweren. Ganz einfach zu sagen: So könnt ihr jeman<strong>de</strong>n mit<br />
einem entsprechen<strong>de</strong>n Attest doch nicht abschmettern, etc. Auch hier war die Erfahrung nicht<br />
positiv. Ich wur<strong>de</strong> abgewimmelt, verwiesen. Am En<strong>de</strong> wur<strong>de</strong> mir gesagt, ich könne mich ja lei<strong>de</strong>r<br />
nicht beschweren, da ich nicht betroffen sei. Ich sei ja nicht <strong>de</strong>r Fall. Das aber stimmt nicht. Wir<br />
alle, die wir <strong>de</strong>n Staat ausmachen, als Empfänger, Einzahler o<strong>de</strong>r Mitexistierer, sind betroffen.<br />
Denn ein Teil unseres Wesen ist es, wie wir Menschen behan<strong>de</strong>ln. Uns behan<strong>de</strong>ln. Frem<strong>de</strong><br />
behan<strong>de</strong>ln. Menschen, die kein monströses Selbstbewusstsein haben. Menschen, die fliehen.<br />
Menschen, die nicht schick sind wie Un<strong>de</strong>rdogs, son<strong>de</strong>rn vielleicht eher langweilig, und einfach<br />
schlecht dran. Uns.<br />
Auch das sei gesagt, nicht überall waren die Türen völlig zu. Es gab durchaus positive Reaktionen.<br />
Klar wur<strong>de</strong> aber, das hier ein System - man erinnert sich an die alten Diskussionen aus <strong>de</strong>n 80ern<br />
- statt die Menschlichkeit herrscht.<br />
Der Text unseres Textkonvoluts hatte inzwischen mehr Gestalt angenommen. Er fügte sich in<br />
Abschnitte, leicht thematisch angeordnet, aus <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>en und Statistiken kamen Elemente<br />
hinzu. Tanz und Musik nahmen gemeinsam Gestalt an; beispielsweise wur<strong>de</strong> aus einer fast<br />
spontanen 45-Sekun<strong>de</strong>n-I<strong>de</strong>e durch Wie<strong>de</strong>rholung im Probenprozess eine brauchbare<br />
Untermalung für <strong>einen</strong> Tanz De <strong>Deux</strong> über das Warten. Das existenzialistisch-sozialabhängige<br />
Dahingesetztsein. Ein Chor kam dazu, irgendwie. Die Unsicherheit <strong>de</strong>s Wir wollte im Konvolut<br />
gehört wer<strong>de</strong>n, löste sich. Braucht eigenen Text, hat eine abweichen<strong>de</strong> Meinung o<strong>de</strong>r Haltung.<br />
Auch <strong>de</strong>r Chor zitiert und oszilliert. Und zittert dabei. Weil er nicht wirklich weiß, was er will.<br />
Und was er <strong>de</strong>nken soll. Zuweilen kam <strong>de</strong>r Traum vom Auswan<strong>de</strong>rn, vom besseren Leben in<br />
Übersee auf. Weil man da eben erfolgreich sein wür<strong>de</strong>. Weil die Gesellschaft dort durchlässiger<br />
wäre. Deutschland, <strong>de</strong>r <strong>Sozialstaat</strong>, ist eben auch ein Status Quo-Staat. Was du mit Abschluss <strong>de</strong>r<br />
Ausbildung erreicht hast ist <strong>de</strong>r Stein, auf <strong>de</strong>m du baust. Quereinstiege, nicht in <strong>de</strong>r Disziplin<br />
gewachsene I<strong>de</strong>en sind nicht erwünscht. Ist das so? Wahrscheinlich, <strong>de</strong>nn das ist Teil <strong>de</strong>s