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34.4 Sex, Lügen und Youtube

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CYBERMOBBING<br />

23. Oktober 2015: Um 10 Uhr 30 wird Tiziana Cantone von der Gerichtspolizei<br />

angehört. Auf Anraten einer jungen Beamtin, so die Mutter,<br />

ändert sie ihre Aussage leicht ab, da die eindeutige Formulierung in der<br />

Anzeige – sie beschuldigt fünf Männer, die Videos veröffentlicht zu<br />

haben – aufgr<strong>und</strong> der mangelnden Beweise zu riskant sei.<br />

Tiziana Cantone, bis vor ein paar Monaten eine noch unbekannte<br />

Frau Anfang 30, ist in Italien mittlerweile ein grösserer Begriff als mancher<br />

Spitzenpolitiker, in Neapel kennt beinahe jedes Kind ihren Namen<br />

<strong>und</strong> den verhängnisvollen Satz. Am 4. November 2015 stellt sie daher<br />

einen Antrag auf Namensänderung. Cantone, den Nachnamen des unbekannten<br />

Vaters, möchte sie in Giglio, den Mädchennamen der Mutter,<br />

tauschen. Sie begründet den Antrag mit der kurzen Ehe der Eltern <strong>und</strong><br />

der nicht vorhandenen Beziehung zum Vater.<br />

24. Dezember 2015: Es ist Heiligabend, Tiziana <strong>und</strong> ihre Mutter<br />

haben den Christbaum geschmückt. Abends bei der Bescherung sitzt<br />

die Tochter unter dem Baum, sie trägt einen Pullover mit einer Schleife<br />

darauf. «In diesem Jahr bist du das schönste Geschenk», sagt die Mutter<br />

<strong>und</strong> macht ein Bild der Tochter, die sich nur noch ungern fotografieren<br />

lässt. Fünf Tage später kommt die Mutter gerade mit Einkäufen für Silvester<br />

nach Hause, als sie Tiziana regungslos auf dem Wohnzimmerboden<br />

vorfindet. Die Schwägerin wählt 118, die Notrufnummer. Tiziana<br />

kann vor Ort gerettet werden, hat offenbar zu viele der verschriebenen<br />

Pillen genommen.<br />

In den nächsten Wochen liegt Tiziana wie gelähmt auf dem<br />

Sofa. Sie verlässt nur noch selten das Haus, <strong>und</strong> wenn, dann am liebsten<br />

in Begleitung eines Familienangehörigen. Einmal wöchentlich, mittwochs<br />

von 16 bis 17 Uhr, besucht sie ihre Psychotherapeutin, die seit Oktober<br />

2015 von der Mutter bezahlt wird. Im Juni bricht Tiziana die Therapie ab.<br />

Mindestens einmal fährt sie noch zu den Fre<strong>und</strong>en di Palos, bei denen<br />

sie den Sommer 2015 verbracht hat. Im März 2016 ist sie für mindestens<br />

zehn Tage dort, wie Kassenzettel belegen.<br />

Mittlerweile ist ein Jahr vergangen, seit Tiziana Anzeige erstattet<br />

hat. Doch ihr Albtraum ist noch immer nicht vorbei. 8. Mai<br />

2016: Von Hand schreibt Tiziana eine Muttertagskarte: «Die Jugend verwelkt,<br />

die Liebschaften werden weniger, die Blätter der Fre<strong>und</strong>schaft<br />

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