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ADAC Urlaub September-Ausgabe 2017, Nordrhein

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Bayern Inspiration<br />

F<br />

reitagvormittag, 11.30 Uhr<br />

in Uffing. Es ist noch nicht<br />

viel los im Biergarten. Vor<br />

den Tischen liegt der Staffelsee,<br />

sanfte Wellen plätschern<br />

ans Ufer. Das Wettersteingebirge<br />

spiegelt sich blau auf dem<br />

Wasser. Unter den Bänken sucht<br />

eine Ente nach Brezenstücken.<br />

Vier junge Männer aus Schweden<br />

sitzen vor Maßkrügen. Sie kichern, bestaunen<br />

ihr Getränk, murmeln etwas<br />

und gucken sich um. Nur um zu überprüfen,<br />

ob das hier wirklich normal<br />

ist, um diese Tageszeit schon so große<br />

Biere zu trinken. „Des is was Schönes,<br />

so ein frisch gezapftes Helles“, ruft ein<br />

älterer Mann ein paar Tische weiter<br />

und hebt sein Glas. „Prost, Buam.“<br />

Bayern – da hat jeder sofort die<br />

Bilder vor Augen: das Bier – vorzugsweise<br />

in Maßkrügen – die Dirndl<br />

und Lederhosen, die Lüftlmalereien<br />

an den Häusern, die prächtigen Königsschlösser,<br />

Zwiebeltürme, Weißwürste,<br />

Kruzifixe und, klar, die Berge<br />

und wohlgenährten Kühe. Wer nach<br />

Bayern reist, will meist genau das im<br />

<strong>Urlaub</strong> erleben. So wie die vier Jungs<br />

vor ihren mächtigen Bierkrügen.<br />

Natürlich kann man hier auch anderes<br />

unternehmen: auf Kamelen reiten<br />

(in Valley) oder eine Whisky-Destillerie<br />

besuchen (am Schliersee). Aber<br />

die Sehnsucht der meisten Touristen<br />

richtet sich auf die oberbayerischen<br />

Klassiker zwischen Neuschwanstein,<br />

Biergarten und Bergseen. Wo Sie das<br />

typische Bayern finden? Begeben wir<br />

uns auf eine Rundreise weiß-blau …<br />

Die Natur: zwischen Seen,<br />

Bergen und Kuhglocken<br />

Los geht es gleich weit oben, auf der<br />

Staffelalm am Rabenkopf. Es ist ein<br />

ruhiger Platz in den Alpen, jenseits<br />

von Deutschlands höchstem Berg,<br />

der Zugspitze mit Gletscher und jeder<br />

Menge Touristen. Hier begegnet man<br />

Wanderern, die vor der Hütte eine<br />

Jause einlegen und Buttermilch trinken.<br />

Kühe dösen in der Mittagssonne<br />

oder kauen stoisch das saftige Gras.<br />

Ab und zu bimmeln ihre Glocken.<br />

Beim Aufstieg über den Gipfel ist<br />

all das zu sehen, wofür Oberbayern<br />

steht: Der Kochelsee glitzert in der<br />

Morgensonne, ein Ausflugsschiff<br />

kreist auf dem tiefblauen Gebirgssee.<br />

Manchmal dringt das Kirchenläuten<br />

Malerisch<br />

Hinter dem<br />

berühmten<br />

Königssee<br />

versteckt sich<br />

der glasklare<br />

Obersee im<br />

Nationalpark<br />

Berchtesgaden<br />

aus den Dörfern bis auf den Berg. Im<br />

Norden sieht man die Zwiebeltürme<br />

des Klosters Benediktbeuern hinter<br />

den Moorwiesen. Man ahnt das<br />

Klingen der Krüge im Klosterbiergarten.<br />

Natur, Glaube, Brauchtum<br />

und Genuss sind hier auf einzigartige<br />

Weise miteinander verwoben.<br />

Die oberbayerische Landschaft<br />

ist lieblich, sanft, meist eingebettet<br />

in Berge. Oft üppig und manchmal<br />

herrlich pompös. Bei Föhn bläst warmer<br />

Wind von den Alpen her, schiebt<br />

die Schlechtwetterfront Richtung<br />

Norden zurück. Er sorgt für milde<br />

Tage. So mild, dass mitten im Februar<br />

die Menschen in den Straßencafés<br />

sitzen. Die Luft ist dann so klar, dass<br />

man meint, jede Felsspalte in den<br />

Bergen zu erkennen.<br />

Es gibt viele Möglichkeiten und<br />

viele Orte, wo man diese Landschaft<br />

genießen kann: auf Radtouren durch<br />

das wellige Voralpenland, etwa auf<br />

dem Bodensee-Königssee-Radweg.<br />

Per Auto oder Wohnmobil lassen<br />

sich die 450 Kilometer auf der traumhaft<br />

kurvigen Deutschen Alpenstraße<br />

fahren. Wer gerne wandert, steigt<br />

ab Pessenbach in gut zwei Stunden<br />

zur besagten Staffelalm auf, umrundet<br />

den Schliersee oder genießt<br />

die Gebirgspanoramen im Nationalpark<br />

Berchtesgaden mit Watzmann<br />

und Königssee. Eine herrliche<br />

Aussicht auf beide bietet sich vom<br />

Grünstein, den man auf einer leichten<br />

Tour in anderthalb Stunden erklimmen<br />

kann (ab Parkplatz Hammerstiel<br />

bei Schöngau). Mit etwas Glück<br />

beobachtet man hier Steinadler und<br />

den Alpensteinbock, der inzwischen<br />

wieder heimisch ist. Sie möchten<br />

lieber baden oder paddeln? Seen und<br />

Flüsse vor prächtiger Alpenkulisse<br />

gibt es genug, viele so schön, als würde<br />

man in einer Postkarte schwimmen.<br />

Der weite, große Chiemsee etwa, der<br />

schicke Starnberger See, der schon<br />

im Frühsommer warme Staffelsee,<br />

der Forggensee oder der türkisblaue,<br />

eiskalte Walchensee im Gebirge.<br />

Der „Kini“ und der bayerische<br />

Hang zur barocken Opulenz<br />

In Schwangau im Allgäu ist es dann<br />

erst mal vorbei mit der stillen Bergidylle.<br />

1,4 Millionen Touristen strömen<br />

jedes Jahr in den Ort, um auf<br />

den Spuren des weltweit wohl berühmtesten<br />

Bayern zu wandeln: Auf<br />

einem Hügel vor der Bergkulisse<br />

thront Neuschwanstein, das Schloss<br />

des Märchenkönigs Ludwig II. mit<br />

Türmchen, Erkern und Thronsaal.<br />

Postkartenidyll<br />

Sanfte Hügel<br />

ziehen sich um<br />

Murnau bis hin<br />

zum Wettersteingebirge<br />

Gelebte<br />

Tradition<br />

Lederhose und<br />

Dirndl gehören<br />

in Bayern zu<br />

jedem Dorffest<br />

Vor dem Ticketschalter: eine lange<br />

Schlange. Souvenirstände verkaufen<br />

Filzhüte, asiatische Brautpaare posieren<br />

vor der Kamera. Zwei Koreanerinnen<br />

machen auf einer Wiese ein<br />

Picknick mit Blick auf den Tegelberg.<br />

„Wir müssen drei Stunden<br />

warten, bis wir reindürfen“, murren<br />

sie. Aber Neuschwanstein gehöre eben<br />

einfach zu einer Deutschland-Reise<br />

dazu. „Das ist so typisch.“<br />

Und das, obwohl es sicher kunsthistorisch<br />

bedeutendere Bauten in<br />

Bayern gibt. Neuschwanstein wurde<br />

als Reminiszenz an das Mittelalter<br />

gebaut – rund 400 Jahre nach<br />

dessen Ende.<br />

Doch andere Burgen und Kirchen<br />

können keine derart tragische<br />

Geschichte aufweisen: Der Erbauer,<br />

Ludwig II., zog sich als König immer<br />

mehr in die Kunst zurück, machte<br />

enorme Schulden, um sich Fantasie-<br />

Schlösser zu bauen. Er ließ nicht nur<br />

Neuschwanstein errichten. Auf der<br />

Herreninsel im Chiemsee entwarf<br />

er ein Anwesen nach dem Vorbild<br />

des französischen Versailles: Schloss<br />

Herrenchiemsee. Auf Linderhof in<br />

den Ammergauer Alpen soll er in der<br />

künstlichen Tropfsteinhöhle im Muschelboot<br />

übers Wasser geschaukelt<br />

sein, um Wagner-Opern zu lauschen.<br />

Schließlich erklärte ihn der Ministerrat<br />

am 7. Juni 1886 für geisteskrank.<br />

Sechs Tage später starb Ludwig.<br />

Mit gerade mal 40 Jahren. Man fand<br />

seine Leiche im Starnberger See. Es<br />

war wohl Selbstmord. Aber schnell<br />

verbreiteten sich die Gerüchte – ob<br />

nicht gar der preußische Geheimdienst<br />

dahintersteckte? Ein wunderbarer<br />

Stoff für Legenden und Mythen.<br />

Damals belächelt, ist Ludwig heute<br />

fast so etwas wie ein Nationalheiliger.<br />

Obwohl das Königtum Bayern unter<br />

seiner Herrschaft seine Unabhängigkeit<br />

aufgab und 1870 dem Deutschen<br />

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