Risiko
Credit Suisse bulletin, 2000/01
Credit Suisse bulletin, 2000/01
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Klassengesellschaft abonniert, lassen den<br />
Puls chronisch mobiler Bürgerinnen und<br />
Bürger nicht schneller schlagen. Der Staat<br />
ist da und funktioniert leidlich, aber langsam.<br />
Die Wirtschaft trifft schnelle Entscheide und<br />
dominiert das Leben der <strong>Risiko</strong>gesellschaft.<br />
Sentimentale Bindungen an die Kultur einer<br />
Region, einer Gesellschaftsschicht oder<br />
eines Betriebes bremsen das Tempo. Ulrich<br />
Becks Thesen treffen ein Stück helvetischer<br />
Realität. Längst beklagen sich Gewerkschaften<br />
und Unternehmerverbände<br />
über epidemischen Mitgliederschwund.<br />
▪ Breite Bildung macht – ungeachtet der Herkunft und<br />
Klassenzugehörigkeit – Karriere für viele Beschäftigte<br />
möglich. Aber die schnelle Arbeitswelt ohne Vollbeschäftigung<br />
zeigt ihren Akteuren locker die rote Karte.<br />
Ein Misserfolg wird zum persönlichen Bankrott, auf<br />
Solidarität ist nicht zu hoffen. Vielmehr ist mit breiter<br />
Ächtung potenzieller Konkurrenten und Konkurrentinnen<br />
zu rechnen. Ein persönlicher Bankrott zeitigt schnell das<br />
<strong>Risiko</strong> einer unpersönlichen Beerdigung.<br />
▪ Verseuchtes Wasser und vergiftete Luft veröden ganze<br />
Landstriche und ruinieren die Gesundheit ihrer Bewohner.<br />
Die Bürgerinnen und Bürger der <strong>Risiko</strong>gesellschaft erleben<br />
diese Bedrohung als ohnmächtige Einzelpersonen.<br />
Solidarische Aktivitäten sind nicht ihr Stil, politische<br />
Parteien haben ihre Bedeutung verloren. Sie haben keine<br />
Handlungsmöglichkeit, nur Angst.<br />
grafische, sondern auch soziale Mobilität<br />
ist angesagt. Das hektische Hin und Her<br />
dünnt die Beziehungen zwischen Familie,<br />
Kollegen und Nachbarschaft aus. Die Mitgliedschaft<br />
im örtlichen Theaterverein oder<br />
im Kegelclub erübrigt sich für Frauen und<br />
Männer, weil sie zur Jubiläumsfeier ohnehin<br />
an einem andern Ort, an einem andern<br />
Arbeitsplatz ihre Tüchtigkeit unter Beweis<br />
stellen. Die Parteien, immer noch auf die<br />
Heimat definitiv verabschiedet<br />
Und die Parteien jammern über zunehmende<br />
Polit-Passivität potenzieller Wähler<br />
und Wählerinnen. Beck folgert: «Die Lebenswege<br />
der Menschen verselbständigen<br />
sich gegenüber den Bedingungen und<br />
Bindungen, aus denen sie stammen.»<br />
Wer in seiner Jugend materielle Entbehrungen<br />
und soziale Ausgrenzung erlebt<br />
hat, gewinnt die reale Chance, zum Global-<br />
Player zu avancieren. Wer allerdings in der<br />
Hektik der multinationalen Erwerbsgesellschaft<br />
scheitert, ist heimatlos. Wer sich<br />
lediglich als persönliche GmbH definiert,<br />
wird keine Haftung von einer aufgegebenen<br />
Gemeinschaft erwarten können<br />
und kein heimatliches Kraftfeld für einen<br />
Neustart finden.<br />
Zur Einsamkeit verdammt<br />
Während sich «Lebenswege» von Traditionen<br />
abkoppeln, vereinzeln die Menschen.<br />
Das weitere familiäre Umfeld hat seine<br />
Funktion als Schicksalsgemeinschaft eingebüsst.<br />
Männer und Frauen gewinnen<br />
Autonomie und können immer öfter ganz<br />
persönliche Liebhabereien pflegen, ohne<br />
die Partnerin oder den Partner einzubinden.<br />
Keine materiellen Abhängigkeiten<br />
zwingen zur Rücksichtsnahme. Dank Bildung<br />
und offenem Markt sind auch die<br />
Frauen der westlichen Industriegesellschaft<br />
immer öfter in der Lage, ihr Leben<br />
eigenständig zu verdienen. Die Figur des<br />
Ernährers ist überholt, die Duldsamkeit<br />
der Ehefrauen und Partnerinnen sinkt.<br />
Zwei Fünftel aller Ehepaare lösen ihre<br />
Gemeinschaft vor einem schweizerischen<br />
Gericht auf, und immer öfter sind es die<br />
Frauen, die amtlich Abschied von ihrem<br />
Mann nehmen. Lebenslange Partnerschaften<br />
werden zu beiläufigen Lebensabschnitts-Partnerschaften.<br />
Aber selbst materiell gesicherte Männer<br />
und Frauen sind offenbar nicht in der<br />
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