22.09.2017 Aufrufe

Risiko

Credit Suisse bulletin, 2000/01

Credit Suisse bulletin, 2000/01

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Klassengesellschaft abonniert, lassen den<br />

Puls chronisch mobiler Bürgerinnen und<br />

Bürger nicht schneller schlagen. Der Staat<br />

ist da und funktioniert leidlich, aber langsam.<br />

Die Wirtschaft trifft schnelle Entscheide und<br />

dominiert das Leben der <strong>Risiko</strong>gesellschaft.<br />

Sentimentale Bindungen an die Kultur einer<br />

Region, einer Gesellschaftsschicht oder<br />

eines Betriebes bremsen das Tempo. Ulrich<br />

Becks Thesen treffen ein Stück helvetischer<br />

Realität. Längst beklagen sich Gewerkschaften<br />

und Unternehmerverbände<br />

über epidemischen Mitgliederschwund.<br />

▪ Breite Bildung macht – ungeachtet der Herkunft und<br />

Klassenzugehörigkeit – Karriere für viele Beschäftigte<br />

möglich. Aber die schnelle Arbeitswelt ohne Vollbeschäftigung<br />

zeigt ihren Akteuren locker die rote Karte.<br />

Ein Misserfolg wird zum persönlichen Bankrott, auf<br />

Solidarität ist nicht zu hoffen. Vielmehr ist mit breiter<br />

Ächtung potenzieller Konkurrenten und Konkurrentinnen<br />

zu rechnen. Ein persönlicher Bankrott zeitigt schnell das<br />

<strong>Risiko</strong> einer unpersönlichen Beerdigung.<br />

▪ Verseuchtes Wasser und vergiftete Luft veröden ganze<br />

Landstriche und ruinieren die Gesundheit ihrer Bewohner.<br />

Die Bürgerinnen und Bürger der <strong>Risiko</strong>gesellschaft erleben<br />

diese Bedrohung als ohnmächtige Einzelpersonen.<br />

Solidarische Aktivitäten sind nicht ihr Stil, politische<br />

Parteien haben ihre Bedeutung verloren. Sie haben keine<br />

Handlungsmöglichkeit, nur Angst.<br />

grafische, sondern auch soziale Mobilität<br />

ist angesagt. Das hektische Hin und Her<br />

dünnt die Beziehungen zwischen Familie,<br />

Kollegen und Nachbarschaft aus. Die Mitgliedschaft<br />

im örtlichen Theaterverein oder<br />

im Kegelclub erübrigt sich für Frauen und<br />

Männer, weil sie zur Jubiläumsfeier ohnehin<br />

an einem andern Ort, an einem andern<br />

Arbeitsplatz ihre Tüchtigkeit unter Beweis<br />

stellen. Die Parteien, immer noch auf die<br />

Heimat definitiv verabschiedet<br />

Und die Parteien jammern über zunehmende<br />

Polit-Passivität potenzieller Wähler<br />

und Wählerinnen. Beck folgert: «Die Lebenswege<br />

der Menschen verselbständigen<br />

sich gegenüber den Bedingungen und<br />

Bindungen, aus denen sie stammen.»<br />

Wer in seiner Jugend materielle Entbehrungen<br />

und soziale Ausgrenzung erlebt<br />

hat, gewinnt die reale Chance, zum Global-<br />

Player zu avancieren. Wer allerdings in der<br />

Hektik der multinationalen Erwerbsgesellschaft<br />

scheitert, ist heimatlos. Wer sich<br />

lediglich als persönliche GmbH definiert,<br />

wird keine Haftung von einer aufgegebenen<br />

Gemeinschaft erwarten können<br />

und kein heimatliches Kraftfeld für einen<br />

Neustart finden.<br />

Zur Einsamkeit verdammt<br />

Während sich «Lebenswege» von Traditionen<br />

abkoppeln, vereinzeln die Menschen.<br />

Das weitere familiäre Umfeld hat seine<br />

Funktion als Schicksalsgemeinschaft eingebüsst.<br />

Männer und Frauen gewinnen<br />

Autonomie und können immer öfter ganz<br />

persönliche Liebhabereien pflegen, ohne<br />

die Partnerin oder den Partner einzubinden.<br />

Keine materiellen Abhängigkeiten<br />

zwingen zur Rücksichtsnahme. Dank Bildung<br />

und offenem Markt sind auch die<br />

Frauen der westlichen Industriegesellschaft<br />

immer öfter in der Lage, ihr Leben<br />

eigenständig zu verdienen. Die Figur des<br />

Ernährers ist überholt, die Duldsamkeit<br />

der Ehefrauen und Partnerinnen sinkt.<br />

Zwei Fünftel aller Ehepaare lösen ihre<br />

Gemeinschaft vor einem schweizerischen<br />

Gericht auf, und immer öfter sind es die<br />

Frauen, die amtlich Abschied von ihrem<br />

Mann nehmen. Lebenslange Partnerschaften<br />

werden zu beiläufigen Lebensabschnitts-Partnerschaften.<br />

Aber selbst materiell gesicherte Männer<br />

und Frauen sind offenbar nicht in der<br />

9<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |00

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!