MTD_DDG_2017_11+Diatec_2017_03
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12 Kongress aktuell<br />
diabeteszeitung · 2. Jahrgang · Nr. 11 · 22. November <strong>2017</strong><br />
Grußwort<br />
Liebe Kolleginnen<br />
und liebe Kollegen,<br />
Es ist mir eine besondere Freude, über die diesjährige<br />
Jahrestagung der Deutschen Adipositas-Gesellschaft<br />
in Potsdam berichten zu dürfen. Das Organisationsteam<br />
um Frau Prof. Dr. Warschburger und Frau<br />
PD Dr. Wiegand hat ein sehr gelungenes Programm<br />
zusammengestellt.<br />
Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) e.V. ist<br />
die Fachgesellschaft, in der über 20 verschiedene Berufsgruppen<br />
mit dem Ziel zusammenarbeiten, die<br />
Ursachen und Folgen der Adipositas zu erforschen<br />
und eine optimale Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen<br />
mit Adipositas in Deutschland zu gewährleisten. Diese Vielfalt mit all<br />
ihren Chancen, aber auch Herausforderungen spiegelte sich im Kongressprogramm<br />
wider.<br />
Unter dem Motto: „Adipositas – mehr (als) Gewicht. verstehen – vorbeugen –<br />
gemeinsam behandeln“ wurde neben den wissenschaftlichen Vorträgen und<br />
Postersitzungen auch viel Raum für politische Diskussionen und Gespräche<br />
über die Zukunft unserer Fachgesellschaft gegeben. Im Rahmen einer „Zukunftswerkstatt“<br />
haben wir mit Mitgliedern und interessierten Akteuren über<br />
die Ausrichtung unserer Fachgesellschaft diskutiert. Das Motto der Tagung<br />
bezieht sich auf die vielfältigen Herausforderungen und offenen Fragen<br />
im Zusammenhang mit der Prävention, den ursächlichen Mechanismen,<br />
einer effektiven Therapie der Adipositas, aber auch der Stigmatisierung von<br />
Menschen mit Adipositas. Wir sehen als wesentlichen Grund für die häufig<br />
langfristig erfolglosen Therapieversuche ein unzureichendes Verständnis der<br />
genauen Mechanismen der Adipositas-Entstehung und damit ein Fehlen<br />
ätiologiebasierter Therapiestrategien an. Unsere Jahrestagung widmete sich<br />
deshalb auch bewusst Fragen, die weit über das medizinische Verständnis<br />
einer Gewichtszunahme hinausgehen, und berücksichtigte soziokulturelle<br />
und psychologische Faktoren sowie soziale Auswirkungen von Adipositas.<br />
Selbstverständlich hatte unsere Jahrestagung zum Ziel, die Ergebnisse der<br />
wissenschaftlichen Aktivitäten auf dem Gebiet der Adipositasforschung in<br />
Deutschland vorzustellen und zu diskutieren. Durch zielgerichtete Förderung<br />
von BMBF und DFG in den letzten Jahren ist die Adipositasforschung in<br />
Deutschland international noch sichtbarer geworden – eine Errungenschaft,<br />
die Sie auch daran messen können, dass der wissenschaftliche Nachwuchs<br />
auf unserer Jahrestagung stark vertreten war.<br />
Ihr<br />
Matthias Blüher<br />
Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) e.V.<br />
Prof. Dr.<br />
Matthias Blüher<br />
Präsident<br />
Deutsche Adipositas-<br />
Gesellschaft<br />
(DAG) e.V.<br />
Foto: zVg<br />
Neue Anti-Adiposita<br />
in Entwicklung<br />
Wirkstoffe aus mehreren stoffwechselaktiven Substanzen<br />
POTSDAM. Zur Behandlung der Adipositas stehen bisher nur wenige<br />
Medikamente zur Verfügung, die mitunter nur zu einer moderaten<br />
Gewichtsreduktion führen. Wissenschaftler arbeiten unter<br />
Hochdruck an der Entwicklung neuer Substanzkombinationen.<br />
Einige davon stellte Dr. Timo<br />
Müller vom Helmholtz Zentrum<br />
München, einem Partner<br />
im DZD, vor: „Ein Wirkstoff allein ist<br />
nicht in der Lage, eine so ausgeprägte<br />
Gewichtsreduktion wie die Adi-<br />
positas-Chirurgie zu erzielen. Daher<br />
entwickeln wir neue Zweifach- und<br />
Dreifach-Agonisten des Inkretinsystems.“<br />
Ein Beispiel ist ein<br />
GLP1/Glukagon-Co-Agonist.<br />
GLP1 bewirkt u.a. ein tigungsgefühl und bremst<br />
Sätdie<br />
Nahrungsaufnahme,<br />
Glukagon steigert die<br />
Thermogenese. Bringt<br />
man beide Komponenten<br />
in einem Molekül<br />
zusammen, führt dieser<br />
Co-Agonist im Tiermodell<br />
zu einer ausgeprägten<br />
Gewichtsabnahme, zu einer<br />
Verringerung der Leberfettmasse<br />
und weiteren positiven<br />
Wirkungen auf den Stoffwechsel.<br />
Durch Kopplung mehr<br />
Spezifität erreichen<br />
Ein weiterer Co-Agonist besteht aus<br />
den beiden insulinstimulierenden<br />
Darmhormonen GLP1 und GIP<br />
(Glucose-dependent Insulinotropic<br />
Polypeptide). Dieser duale Wirkstoff<br />
senkt das Gewicht effektiv und beeinflusst<br />
den Glukose- und Lipidstoffwechsel<br />
positiv, wie eine aktuelle<br />
Phase-IIa-Studie belegt.<br />
Relativ neu ist die Idee, durch ein natürliches<br />
Hormon ein anderes gezielt<br />
in bestimmte Zellen einzuschleusen.<br />
Seit Langem ist bekannt, dass das<br />
Effektive<br />
Gewichtsreduktion<br />
aus dem Labor.<br />
Foto: iStock/anyaivanova<br />
»Ein Wirkstoff<br />
alleine<br />
reicht nicht aus«<br />
Schilddrüsenhormon T3 eine Gewichtsreduktion<br />
begünstigt, doch<br />
konnte es wegen seiner unerwünschten<br />
Wirkungen an Herz und am<br />
Knochen nicht medizinisch eingesetzt<br />
werden. Koppelt man T3 an<br />
Glukagon, gelangt das Schilddrüsenhormon<br />
nur in Zellen, die den<br />
Glukagonrezeptor aufweisen – also<br />
überwiegend in Leberzellen. Im<br />
Versuchsmodell verbesserte dieses<br />
Doppelhormon den Cholesterinstoffwechsel<br />
und reduzierte Körpergewicht<br />
und Leberverfettung.<br />
Tiermodell: Einschleusung in<br />
den Hypothalamus<br />
Ein weiterer Hoffnungsträger<br />
ist die GLP1-gesteuerte<br />
Einschleusung von methason in hypotha-<br />
Dexalamische<br />
Zellen. Dieser<br />
Ansatz basiert auf der<br />
Beobachtung, dass Mäuse<br />
unter hochkalorischer<br />
Ernährung eine Astrozytose<br />
und Inflammation im<br />
Hypothalamus entwickeln;<br />
dies scheint das metabolische<br />
Syndrom mit Übergewicht und<br />
Diabetes zu begünstigen. Behandelt<br />
man die Tiere mit einem GLP1-<br />
Dexamethason-Konjugat, verlieren<br />
sie an Gewicht und ihre leranz bessert sich. Da Dexamethason<br />
Glukosetonur<br />
in Zellen abgegeben wird, die den<br />
GLP1-Rezeptor exprimieren, werden<br />
unerwünschte Dexamethason-Effekte<br />
z.B. auf den Glukosestoffwechsel oder<br />
die Knochenintegrität im Tiermodell<br />
umgangen. Dr. Andrea Wülker<br />
33. Jahrestagung der Deutschen<br />
Adipositas-Gesellschaft e.V.<br />
Umsetzung der Adipositas-Leitlinien in die Praxis<br />
Kindern und Jugendlichen Zugang zu adäquatem Therapieprogramm ermöglichen<br />
POTSDAM. Wer adipöse Kinder und Jugendliche<br />
behandelt, kann sich dabei auf zwei deutsche Leitlinien stützen.<br />
Aber wie klappt es mit der Umsetzung der Empfehlungen<br />
in der täglichen Praxis?<br />
Derzeit leben in Deutschland<br />
etwas mehr als 1,5 Mio. übergewichtige<br />
und rund 625 000<br />
adipöse Kinder. Laut S3-Leitlinie der<br />
AG Adipositas im Kindes- und Jugendalter<br />
(AGA) sollte jedem adipösen<br />
bzw. übergewichtigen Kind<br />
und Jugendlichen mit Komorbidität<br />
der Zugang zu einem kombinierten<br />
multidisziplinären Therapieprogramm<br />
ermöglicht werden, betonte<br />
Professor Dr. Reinhard Holl, Universität<br />
Ulm. Wie die Daten aus dem<br />
Adipositas-Patienten-Verlaufsprogramm<br />
(APV) zeigen, werden jedes<br />
Jahr nur etwa 6000–8000 Patienten<br />
in den Behandlungszentren neu<br />
vorgestellt – mit fallender Tendenz.<br />
Und auch die Zahl der<br />
aktiven Behandlungszentren ist<br />
in den letzten fünf Jahren zurückgegangen.<br />
Extreme Adipositas wird laut<br />
S3-Leitlinie der AGA über einen<br />
BMI > 99,5. Perzentile definiert. Der<br />
»Extreme<br />
Adipositas«<br />
APV – Adipositas<br />
Patienten Verlaufsprogramm<br />
APV ist ein PC-basiertes Dokumentationsprogramm<br />
für Kinder und Jugendliche mit<br />
Übergewicht und Adipositas. Im Sinne einer<br />
elektronischen Krankenakte werden adipositasrelevante<br />
Daten erfasst und stehen<br />
dann für verschiedene Funktionen<br />
zur Verfügung (z.B. für Arztbriefe,<br />
Verlaufsdarstellungen, Qualitätssicherung).<br />
Derzeit<br />
nehmen an der APV-<br />
Initiative 207 Zentren<br />
teil und es wurden<br />
Daten von fast<br />
111 200 Patienten<br />
erfasst.<br />
Anteil extrem adipöser Kinder und<br />
Jugendlicher nimmt zu und liegt unter<br />
den neu vorgestellten Patienten<br />
inzwischen bei fast 50 %. Häufig<br />
weisen sie Komorbiditäten auf –<br />
fließt das in die Diagnostik ein?<br />
Zwar wird bei ca. 90 % der neu<br />
vorgestellten Patienten mit extremer<br />
Adipositas der Blutdruck gemessen.<br />
Blutabnahmen erfolgen<br />
aber bei nur ca. 70 % . „Die Diagnostik<br />
vaskulärer Risikofaktoren<br />
wird selbst bei diesen Patienten nur<br />
teilweise durchgeführt. Das Screening<br />
auf nicht-alkoholische Fettlebererkrankung<br />
ist noch am wenigsten<br />
etabliert“, kritisierte Prof. Holl.<br />
Bei denjenigen Patienten, die einer<br />
entsprechenden Diagnostik unterzogen<br />
wurden, fanden sich u.a.<br />
Hypertonie, Dyslipidämie, NAFLD-<br />
Verdacht und pathologische Glukosewerte.<br />
Aber nur ca. 1–2 % der jungen<br />
Patienten bekamen ein Antihypertensivum,<br />
Lipidsenker wurden sehr selten<br />
verordnet.<br />
Wie sieht es mit der eigentlichen<br />
Adipositas-Behandlung aus? 60–70 %<br />
der Patienten erhalten eine multidisziplinäre<br />
Therapie, wobei die Zahlen<br />
rückläufig sind. Am schlechtesten<br />
schneidet das Bewegungsangebot<br />
ab. Laut S2-Leitlinie der AGA ist bei<br />
hochgradiger Adipositas mit drohenden<br />
bzw. bestehenden Komorbiditäten<br />
eine bariatrische OP zu<br />
überlegen, wenn konservative Therapieversuche<br />
erfolglos waren. Wurden<br />
in den Jahren bis 2010 nur vereinzelt<br />
Kinder und Jugendliche chirurgisch<br />
behandelt, so steigen die Zahlen seit<br />
2011 deutlich an. AW<br />
33. Jahrestagung der Deutschen<br />
Adipositas-Gesellschaft e.V.