Hinz&Kunzt 297 November 2017
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Das Hamburger<br />
Straßenmagazin<br />
Seit 1993<br />
N O <strong>297</strong><br />
Nov.17<br />
2,20 Euro<br />
Davon 1,10 Euro<br />
für unsere Verkäufer<br />
Kakerlaken,<br />
Schimmel,<br />
Mietwucher<br />
Mitten in Hamburg leben<br />
Menschen unter den<br />
übelsten Bedingungen
FOTO: PHILIPP RATHMER<br />
„Ich lese , weil<br />
die einen besonderen Blick<br />
auf Hamburg haben.“<br />
Michel Abdollahi, Künstler<br />
Spendenkontonummer:<br />
IBAN: DE56 2005 0550 1280 1678 73, Haspa<br />
Das Original seit 1993
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Inhalt<br />
„Ich lese Hinz&<strong>Kunzt</strong>, weil …“<br />
Künstler Michel Abdollahi<br />
(links) ist einer der<br />
Prominenten, die bald<br />
großflächig für das Straßenmagazin<br />
werben. Sich ausgedacht<br />
und umgesetzt haben<br />
die Kampagne Sybille Arendt<br />
(Öffentlichkeitsarbeit),<br />
Fotograf Philipp Rathmer und<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Geschäftsführer<br />
Jens Ade (nicht im Bild).<br />
Fiese Kakerlaken, coole Kampagne<br />
So ein krasses Titelblatt wie das mit der Kakerlake<br />
hatten wir noch nie. Aber es ist ein Skandal, unter<br />
welchen Bedingungen Menschen in unserer Stadt<br />
leben müssen (ab S. 6). Da ist die Seehafenstraße<br />
kein Einzelfall. Wir wussten davon, wurden von<br />
Bewohnern aber darum gebeten, nichts darüber zu<br />
schreiben. Denn für viele ist die Seehafenstraße<br />
besser als nichts – und ein Sprungbrett in eine bessere<br />
Zukunft. Wie für Elena und ihre Familie (S. 8).<br />
Haben Sie den Mann auf Seite 2 und oben links<br />
im Bild erkannt? Künstler Michel Abdollahi ist seit<br />
Jahren Freund des Hauses – und einer der Prominenten,<br />
die bald auf riesigen Plakaten begründen,<br />
warum sie Hinz&<strong>Kunzt</strong> lesen. Mit dabei sind auch<br />
Fernsehmoderatorin Judith Rakers, die Miniaturwunderland-Gründer<br />
Gerrit und Frederik Braun,<br />
Koch Tim Mälzer und Stylist Jorge Gonzáles. Fotografiert<br />
wurde die Kampagne von Philipp Rathmer,<br />
auch Freund des Hauses, der findet, „dass viel zu<br />
wenig gegen Obdachlosigkeit getan wird“. Danke<br />
euch allen für diese tolle Unterstützung! •<br />
Ihre Birgit Müller Chefredakteurin<br />
(Schreiben Sie uns doch an info@hinzundkunzt.de)<br />
TITELBILD: NUWATPHOTO/ISTOCK<br />
Inhalt<br />
Stadtgespräch<br />
04 Gut&Schön<br />
14 Die Räumung<br />
Titelgeschichte: Kakerlaken,<br />
Schimmel und Mietwucher<br />
06 Der Skandal in der Seehafenstraße<br />
08 Sie haben es geschafft!<br />
Drei Familien erzählen, warum die<br />
Seehafenstraße für sie wichtig war<br />
12 Warum leben Menschen so?<br />
Antworten von Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer<br />
Geschafft! Elena sah<br />
die Seehafenstraße<br />
immer als Durchgangsstation.<br />
Jetzt<br />
hat sie zwei Jobs und<br />
eine Wohnung. S. 8<br />
Spurensuche: Olaf S. starb einsam<br />
auf einer Parkbank. Warum? S. 24<br />
Fotoreportage<br />
16 Zirkus im Ausnahmezustand<br />
Leben&Tod<br />
24 Was geschah in den letzten Jahren<br />
vor Olafs Tod? Eine Spurensuche<br />
30 Zahlen des Monats: Durchschnittlich<br />
starben Hinz&Künztler mit 51 Jahren<br />
32 Kairo: Leben auf dem Friedhof<br />
36 Anregungen zu Tod und Trauer<br />
Die Besser-Verdiener<br />
38 Goldeimer: Mit Komposttoiletten<br />
und Klopapier Gutes tun<br />
Freunde<br />
42 Was Leser und Spender für uns tun<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
46 Interview mit Gloria über Musik,<br />
Politik und ihr Engagement<br />
50 Illustratorin Jutta Bauer und ihr<br />
Jugendbuch über Armut<br />
52 Tipps für den <strong>November</strong><br />
56 Comic mit Dodo Dronte<br />
58 Momentaufnahme<br />
Rubriken<br />
05, 15 Kolumnen<br />
22, 37 Meldungen<br />
44 Leserbriefe<br />
57 Rätsel, Impressum<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk
Kunst<br />
Straße als Galerie<br />
Wer mit offenen Augen durch Hamburg geht,<br />
kennt die Tierbilder von Sven Rosé. Er malt auf<br />
Schallplatten, Jutesäcke und Obstkisten. Neu<br />
sind die Briefmarken-Bilder „Deutsche Rosé-<br />
Post“. Der 49-Jährige verkauft auf Hamburgs<br />
Straßen. Vor der Leinwand hat Sven Rosé zu<br />
sich selbst zurückgefunden. Schon mit 16 schlug<br />
er sich als fahrender Händler allein durch. Das<br />
hat Spuren hinterlassen, sagt er: Er entwickelte<br />
Wahnvorstellungen und landete in der Psychiatrie.<br />
Innere Ruhe fand er bei einer Maltherapie.<br />
Nun macht der Künstler „Straßenverkauf in<br />
großem Stil“, wie er sagt. Bis zum 17.11. stellt er<br />
im Kultur laden St. Georg aus. ATW<br />
•<br />
Info: liebersven.de
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Gut&Schön<br />
St. Georg<br />
Initiative für<br />
Wohnstifte<br />
Johannes Jörn ist Vorstand der<br />
Patriotischen Gesellschaft in Hamburg.<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE (S. 4), KATRIN REGELSKI (OBEN), DPA/AP/MARKBLINCH (UNTEN LINKS),<br />
DPA/CHRISTIAN CHARISIUS, KOLUMNE: HAMBURGER ABENDBLATT/HANNA KASTENDIECK<br />
Integration<br />
Fliesen kleben für die Freundschaft<br />
Flüchtlings- und Harburger Kinder haben sechs<br />
Monate lang die Fassade des Treffpunkthauses<br />
Heimfeld mit Mosaiken verschönert – und sich dabei<br />
über alle Sprachbarrieren hinweg kennengelernt.<br />
Auch Maya aus Syrien (rechts) und Tamy, beide<br />
zwölf Jahre alt, waren dabei. Jetzt ist das Kunstwerk<br />
zu besichtigen. ABI<br />
•<br />
Treffpunkthaus Heimfeld, Friedrich-Naumann-Str. 9–11<br />
Ehe für alle!<br />
Seit dem 1. Oktober dürfen homosexuelle<br />
Paare in Deutschland heiraten.<br />
Schwule und Lesben haben<br />
jahrzehntelang für Gleichberechtigung<br />
gekämpft. Bis 1994 galten<br />
„homosexuelle Handlungen“ noch<br />
als Straftat. Erst da wurde Paragraf<br />
175 gestrichen. Die Hamburger<br />
Ehe erlaubte gleichgeschlechtlichen<br />
Paaren seit 1999, ihre Beziehung<br />
bei Standesämtern eintragen zu lassen<br />
– Vorreiter für das Lebenspartnerschaftsgesetz<br />
des Bundes. ABI<br />
•<br />
Ehre für einen Straßenkehrer<br />
Rührend: Hamburg hat den Platz<br />
Ecke Jungfernstieg/Neuer Jungfernstieg<br />
an der Binnenalster nach<br />
Yüksel Mus benannt. Der Mitarbeiter<br />
der Hamburger Stadtreinigung<br />
verließ angeblich sogar die Hochzeit<br />
seiner Tochter, um „mit Besen,<br />
Schaufel und Kehrmaschine für<br />
Sauberkeit“ in seinem Bezirk zu<br />
sorgen. Nachdem Mus 2015 im<br />
Alter von 50 Jahren plötzlich verstorben<br />
war, setzten sich Kollegen<br />
für seine Würdigung ein. ABI<br />
•<br />
Mehr als 100 Wohnstifte gibt<br />
es heute noch in Hamburg.<br />
Dort leben etwa 5000 Menschen.<br />
Vor allem ältere, die<br />
sich andernorts die Mieten<br />
nicht mehr leisten können,<br />
erklärt Johannes Jörn. Das<br />
Vorstandsmitglied der Patriotischen<br />
Gesellschaft engagiert<br />
sich für den Erhalt. Zusammen<br />
mit Stattbau Hamburg<br />
und der Homann-Stiftung<br />
gründete er die Initiative<br />
„Perlen polieren“. Viele der<br />
eigentlich so wunderschönen<br />
Häuser müssen saniert werden,<br />
sagt Jörn. Doch kleinen<br />
Stiftungen fehlen die Mittel<br />
und das nötige Wissen. Jörn<br />
befürchtet, dass Stiftungen,<br />
wenn sie auf sich allein<br />
gestellt sind, gar über einen<br />
Verkauf ihrer Immobilien<br />
nachdenken. Dem will die<br />
Initiative entgegenwirken<br />
und bietet mit dem Projektentwickler<br />
Stattbau auch<br />
die nötige Expertise. Erste<br />
Erfolge: Im Stiftsviertel in<br />
St. Georg erneuern Amalie-<br />
Sieveking- und Hartwig-<br />
Hesse-Stiftung gemeinsam<br />
ihren Bestand. Ersatzwohnungen<br />
haben sie nicht, aber<br />
die Bewohner können durch<br />
die Kooperation während<br />
der Arbeiten von einem Stift<br />
in das andere umziehen. „Gemeinsam<br />
können wir auch<br />
künftig günstige Wohnungen<br />
anbieten“, sagt Jörn. JOF<br />
•<br />
Mehr Informationen unter:<br />
www.perlen-polieren.de<br />
5
Ende September kontrollierten<br />
die Behörden mithilfe der<br />
Polizei dieses Haus in Heimfeld.<br />
Titelgeschichte<br />
Der<br />
Skandal<br />
Mietwucher, Kakerlaken, Schimmel – für die Mieter in der<br />
Seehafenstraße 9 in Heimfeld sind die Zustände desaströs.<br />
Das hat eine groß angelegte Kontrolle der Immobilie gezeigt.<br />
Der Eigentümer muss jetzt Konsequenzen fürchten.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER<br />
FOTO: VOLKER SCHIMKUS/HAMBURGER MORGENPOST,<br />
NUWATPHOTO/ISTOCK<br />
MONTAGE: GRAFIKDEERNS<br />
6
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Titelgeschichte<br />
Sie zahlen Mietpreise, wie man<br />
sie sonst nur aus dem feinen<br />
Harvestehude oder Szenevierteln<br />
wie Ottensen und St. Pauli<br />
kennt. Tatsächlich aber leben die Mieter<br />
in der Seehafenstraße 9 beengt, ohne<br />
eigene Küche und Bad, am Rande<br />
des Harburger Industriehafens. Sie klagen<br />
über Schimmel, Kakerlaken und<br />
Ratten.<br />
Niemand käme auf die Idee, dort<br />
freiwillig hinzuziehen (siehe hierzu das<br />
Interview auf Seite 12). Wer allerdings<br />
auf dem Wohnungsmarkt keine Chance<br />
hat, der landet schnell in solch einer<br />
Schrottimmobilie wie in der Seehafenstraße.<br />
Für den Eigentümer ist das ein<br />
Segen. Er vermietet zimmerweise und<br />
kommt schlussendlich auf Mietpreise,<br />
die in keinerlei Verhältnis mehr zur<br />
Lage und dem Zustand der Wohnungen<br />
stehen.<br />
Den Vorwurf<br />
der Abzocke<br />
bestreitet der<br />
Eigentümer.<br />
In der Seehafenstraße 9 waren zuletzt<br />
99 Mieter behördlich gemeldet. Verteilt<br />
auf zehn Wohnungen. So viele Menschen<br />
konnten nur deshalb in dem<br />
maroden Altbau leben, weil sich bis zu<br />
vier Familien eine Wohnung teilen.<br />
Auf Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Nachfrage erklärt<br />
der Eigentümer, dass er nur mit 43 Erwachsenen<br />
Mietverträge abgeschlossen<br />
habe.<br />
Wirklich überrascht haben dürfte<br />
ihn trotzdem nicht, dass aktuell deutlich<br />
mehr Menschen in dem Haus wohnen.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> liegt ein Mietvertrag vor,<br />
den der Eigentümer im Frühjahr 2013<br />
für ein Zimmer mit vier Erwachsenen<br />
abgeschlossen hat.<br />
Sein Geschäftsgebaren hält der Eigentümer<br />
offenbar nicht für anstößig. Er<br />
kündigt „umfangreiche Renovierungsmaßnahmen“<br />
für das kommende Jahr<br />
an. Dass bei einer solch massiven Überbelegung<br />
die Anzahl der Mülltonnen<br />
nicht ausreichen könnte, kommt dem<br />
Eigentümer nicht in den Sinn. Dass sich<br />
inzwischen Kakerlaken und Ratten in<br />
den Häusern tummeln, hätten vielmehr<br />
die Mieter zu verantworten. Denen<br />
wirft er „nicht sachgemäße Müllentsorgung“<br />
vor.<br />
Mit dieser Haltung steht der Eigentümer<br />
inzwischen allein auf verlorenem<br />
Posten. Er hat Bezirk, Behörden und<br />
Zoll gegen sich aufgebracht. Ende September<br />
führten sie eine ausführliche<br />
Kontrolle in der Seehafenstraße 9 und<br />
dem Nachbarhaus durch. Es habe Hinweise<br />
bezüglich möglicher Überbelegung,<br />
Unbewohnbarkeit von Wohnraum<br />
sowie nicht korrekter Angaben in<br />
Mietverträgen gegeben, ließ die Sozialbehörde<br />
verlauten.<br />
Neu sind diese Hinweise eigentlich<br />
nicht. Bereits 2014 berichtete Spiegel<br />
TV über Wuchermieten, bauliche<br />
Mängel und eine Überbelegung. Doch<br />
nichts passierte. Dieses Mal allerdings<br />
müssen die Eigentümer beider Häuser<br />
laut Hamburger Morgenpost mit „ernsten<br />
Konsequenzen“ rechnen.<br />
Den Mietern wiederum will die Sozialbehörde<br />
helfen. Als etwa das Gesundheitsamt<br />
Schimmel im Bad feststellte,<br />
wurde eine zeitlich befristete<br />
alternative Unterbringung angeboten,<br />
damit der Vermieter den Schaden beseitigen<br />
konnte. 30 Bewohner zogen<br />
umgehend aus beiden Häusern aus. Sie<br />
fanden Platz in einem Containerdorf in<br />
Poppenbüttel.<br />
Welche Auflagen der Eigentümer<br />
am Ende tatsächlich erfüllen muss, ist<br />
noch unklar. Frühestens im <strong>November</strong><br />
sei mit einem Ergebnis der Überprüfungen<br />
zu rechnen, teilt Behördensprecher<br />
Marcel Schweitzer Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
mit. Ein zentraler Vorwurf lautet: Der<br />
7<br />
Eigentümer habe das Jobcenter abgezockt,<br />
da Mieten von Hilfeempfängern<br />
im Haus auf falschen Quadratmeterangaben<br />
basierten.<br />
Den Vorwurf der Abzocke bestreitet<br />
der Eigentümer allerdings. Ein Zimmer<br />
mit circa 27 Quadratmetern koste<br />
kalt lediglich 310 Euro. Die hohen<br />
Neben kosten von 265 Euro resultierten<br />
aus dem Umstand, dass Mieter „ohne<br />
Einverständnis“ weitere Bewohner in<br />
ihre Wohnungen geholt hätten.<br />
Der Eigentümer<br />
hat Bezirk,<br />
Behörden und<br />
Zoll gegen sich.<br />
Komisch nur, dass auch in Mietverträgen,<br />
die nur mit einer Person abgeschlossen<br />
wurden, solch hohe Nebenkostenzahlungen<br />
vereinbart wurden.<br />
Das zeigt ein aktueller Mietvertrag, der<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> vorliegt. So als habe der<br />
Eigentümer eingeplant, dass später<br />
weitere Menschen mit einziehen. Doch<br />
selbst wenn eine höhere Bewohnerzahl<br />
mehr Strom und Wasser verbraucht,<br />
bezweifelt der Mieterverein zu Hamburg<br />
die Rechtmäßigkeit der Nebenkosten.<br />
Allerdings müssten für eine<br />
Überprüfung erst einmal Abrechnungen<br />
des Vermieters vorliegen.<br />
Und was machen derweil die verbliebenen<br />
Mieter? Die sind längst verzweifelt<br />
auf der Suche nach neuen<br />
Wohnungen (siehe auch Seite 8). Sollte<br />
das nicht funktionieren, steht nach<br />
Angaben der Sozialbehörde der städtische<br />
Unterkunftsbetreiber fördern und<br />
wohnen bereit, der für alle Bewohner<br />
zumindest Platz in einem Wohncontainer<br />
bereithält. •<br />
Kontakt: jonas.fuellner@hinzundkunzt.de
Elena, Rebeca und<br />
Ionel sind glücklich: Das<br />
Leben in der Seehafenstraße<br />
haben sie hinter sich<br />
gelassen. Heute wohnen<br />
sie in einer richtigen<br />
Wohnung in Steilshoop.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Titelgeschichte<br />
Sie haben<br />
es geschafft<br />
Die Rumänen Elena, Ionel und Tochter Rebeca haben in der<br />
Seehafenstraße 9 gelebt. Kakerlaken, Ratten, Müll und Enge nahmen<br />
sie in Kauf, denn sie hatten die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.<br />
In ihrer neuen Wohnung in Steilshoop haben sie sie gefunden.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Ein Knopfdruck. Dann öffnet<br />
sich im Treppenhaus der<br />
Aufzug und fährt hinauf in<br />
den sechsten Stock. Hier<br />
oben wohnen Elena und Ionel mit<br />
Tochter Rebeca. In einer sauberen, großen<br />
Wohnung. An den Wänden hängen<br />
Fotos der Kinder, von gemeinsamen<br />
Ausflügen und Erinnerungen an die rumänische<br />
Heimat. Die Einrichtung ist<br />
schlicht und praktisch. Der Kühlschrank<br />
surrt leise, ansonsten herrscht<br />
Ruhe. Dabei ist ein Fenster im Esszimmer<br />
leicht geöffnet. Man sieht Hochhäuser,<br />
blickt über Bäume, einen Park,<br />
und weit in der Ferne kann man den<br />
Hamburger Flughafen erahnen.<br />
„Gott sei Dank wohnen wir jetzt<br />
hier in Steilshoop und nicht mehr in<br />
der Seehafenstraße“, sagt Elena. Die<br />
29-Jährige arbeitet als Reinigungskraft<br />
und verkauft zusätzlich Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Ihr Mann Ionel wiederum hat noch keine<br />
Arbeit gefunden. Bislang verkauft<br />
auch er Hinz&<strong>Kunzt</strong>. So kommt genug<br />
Geld zusammen, um die Miete zu<br />
bezahlen und der neunjährigen Tochter<br />
auch mal einen Wunsch erfüllen zu können.<br />
Rebeca sei ihr Ein und Alles, sagt<br />
Elena. „Sie soll es später besser haben.“<br />
Ein erster Schritt war ihr Umzug<br />
vor zwei Jahren. Weg von Kakerlaken,<br />
die über den Boden huschten. Weg von<br />
Ratten, die auf der Suche nach Essensresten<br />
durch das Treppenhaus hasteten.<br />
Weg von überquellenden Mülltonnen<br />
im Hinterhof und dem Ausblick auf die<br />
benachbarten Ölwerke im Harburger<br />
Industriehafen. „Es stank ganz hässlich<br />
hinter den Häusern“, erzählt die Neunjährige<br />
und hält sich bei der Erinnerung<br />
die Nase zu.<br />
Ein Jahr lang lebten die drei in der<br />
„Kaker laken-Hölle von Harburg“. So<br />
hat die Hamburger Morgenpost ihr altes<br />
Wohnhaus tituliert, als Bezirk und Sozialbehörde<br />
Ende September eine Kontrolle<br />
in der Seehafenstraße 7 und 9<br />
durchführten (siehe Seite 6). Anlass für die<br />
groß angelegte Kontrolle waren nach<br />
Angabe der Sozialbehörde Hinweise, die<br />
„darauf schließen lassen, dass die Notlage<br />
von Menschen aus genutzt wird“.<br />
Neu sind diese Hinweise nicht.<br />
Spiegel TV berichtete bereits 2014<br />
darüber, geändert hatte sich aber nichts.<br />
Die Ergebnisse der jetzt vollzogenen<br />
Kontrolle liegen noch nicht vor. Fest<br />
steht nur, dass man die Häuser nicht für<br />
unbewohnbar erklärte.<br />
Loredana und Izvoras (Foto Seite 11)<br />
sind ebenfalls Mieter in der Seehafenstraße<br />
– und erleichtert. Die beiden<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer wohnen mit ihren<br />
zwei Kindern und der Oma oben<br />
unter dem Dach im Haus Nummer 9.<br />
Im April sind sie dort eingezogen. Vater<br />
Izvoras tapezierte als Erstes alle Zimmer,<br />
dichtete den Boden ab und erneuerte<br />
poröse Dichtungen. „In unserer<br />
Wohnung gibt es keinen Dreck, keine<br />
Kakerlaken“, sagt der 33-Jährige nicht<br />
ohne Stolz.<br />
Ihre kleine, irgendwie heimelig eingerichtete<br />
Wohnung steht tatsächlich<br />
im krassen Kontrast zum verdreckten,<br />
9<br />
lärmigen Treppenhaus. Aber ihre<br />
„Wohnung“ ist nicht mehr als ein<br />
großes Zimmer. Für fünf Menschen viel<br />
zu klein. Das Bad und die Küche<br />
müssen sie sich zudem mit einer weiteren<br />
rumänischen Familie teilen, die im<br />
Nachbarzimmer lebt.<br />
Genauso lebte Elena mit ihrer Familie<br />
früher auch in der Seehafenstraße:<br />
Tagsüber wurden die Schlafsofas<br />
umgeklappt, damit überhaupt für alle<br />
Platz war. Ihre Wohnung war allerdings<br />
schlimmer als Loredanas und Izvoras’<br />
Zwei Familien unter einem Dach in einer<br />
großen Wohnung: Elena mit Rebeca und<br />
Ionel. Ihre Nichte Laura (hinten Mitte) mit<br />
ihrer Mutter und ihrer Schwester Andreea.
Titelgeschichte<br />
Zimmer. Sie lag im Erdgeschoss. Es gab<br />
viele Kakerlaken und sogar Ratten. Teilen<br />
mussten sie sich die Vierzimmerwohnung<br />
mit zwei fremden Paaren und<br />
der Familie ihres Bruders. Jedes Zimmer<br />
kostete warm etwa zwischen 450<br />
und 700 Euro. Kein Zimmer war größer<br />
als 30 Quadratmeter.<br />
Elenas Familie hat das hinter sich<br />
gelassen. In die neue Wohnung in<br />
Steilshoop zog sie zusammen mit ihrem<br />
Bruder, dessen Frau und den Töchtern<br />
Andreea und Laura (Foto Seite 9).<br />
Das haben die beiden Familien<br />
dem großen Unterstützerkreis von Elena<br />
zu verdanken. Kunden hatten der<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäuferin bereits bei<br />
der Suche nach einem Kita- und<br />
Grundschulplatz geholfen.<br />
Im Dezember 2015, kurz vor Weihnachten,<br />
gab es dann die große Überraschung:<br />
Eine Kundin bot Elena eine<br />
große Wohnung an, in der beide Familien<br />
leben können. Eine ehemalige Sozialwohnung<br />
für Großfamilien in Steilshoop.<br />
Jede Familie hat dort jetzt zwei<br />
Zimmer. Mit einer gemeinsamen<br />
Wohnküche und einem Bad für jede<br />
Familie. Und für Rebeca und ihre beiden<br />
Cousinen Laura und Andreea gibt<br />
„Meine Tochter<br />
Rebeca ist mein<br />
Ein und Alles“,<br />
sagt Elena. Mit<br />
ihren Jobs als<br />
Reinigungskraft<br />
und Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Verkäuferin<br />
vedient sie den<br />
Lebensunterhalt<br />
für die Familie.<br />
es drei Schreibtische, an denen sie nachmittags<br />
für die Schule lernen.<br />
In der Seehafenstraße hingegen hat<br />
Loredanas neunjährige Tochter nur<br />
dann Ruhe, wenn ihr kleiner Bruder ein<br />
Nickerchen hält. Das ist zu wenig. „Unsere<br />
Tochter will hier weg“, sagt die<br />
26-Jährige. „Aber wir finden keine<br />
Zweizimmerwohnung.“ Nicht einmal<br />
über das städtische Wohnungsunternehmen<br />
Saga.<br />
Sie wollen nicht<br />
auf der Straße<br />
schlafen. Nicht<br />
mit den Kindern.<br />
Die Kontrolle der Polizei und der Behörde<br />
hat Loredana nachhaltig verunsichert.<br />
Sie befürchtet, dass sie doch<br />
noch ihre Wohnung verlieren könnten.<br />
Sie sagt verzweifelt: „Mein Mann und<br />
ich, wir könnten ja zur Not auf der<br />
Straße schlafen. Aber mit Kindern<br />
10<br />
geht das nicht.“ Immerhin hat sich die<br />
Sozialbehörde um Ersatz für alle Bewohner<br />
bemüht. Unbefristet und unabhängig<br />
davon, ob die Mieter einen<br />
rechtlichen Anspruch auf eine Unterkunft<br />
haben, betont Behördensprecher<br />
Marcel Schweitzer.<br />
Tatsächlich zogen nach der Kontrolle<br />
umgehend etwa 30 Menschen aus.<br />
Viele allerdings blieben in den Häusern.<br />
Vor allem die rumänischen Familien.<br />
Als Alternative stehen keine Wohnungen,<br />
sondern Wohncontainer im<br />
weit entfernten Poppenbüttel bereit, erklärt<br />
Loredana. „Meine Tochter geht<br />
aber in Harburg zu Schule. Wie soll sie<br />
denn dann zum Unterricht kommen?“<br />
Trotzdem sind sie und ihr Mann<br />
hin- und hergerissen. Seit der Berichterstattung<br />
in der Hamburger Morgenpost<br />
geht ihre Tochter nicht mehr gerne<br />
in die Schule. Mitschüler hatten in der<br />
Zeitung ein Foto ihrer Eltern entdeckt.<br />
„Meine Tochter hat nie Freunde mitgebracht.<br />
Sie hat sich geschämt“, sagt<br />
Loredana. Jetzt würden Mitschüler sie<br />
hänseln und sagen: „Du schläfst mit<br />
Kakerlaken in einem Bett.“ Loredana<br />
ist empört: „Aber das stimmt nicht.“<br />
Es muss schrecklich sein für das<br />
Kind. Dabei war die Welt für die Familie<br />
auch vorher nicht in Ordnung. Die<br />
Wohnung war zu klein. Die Lage im Industriegebiet<br />
alles andere als ideal. Aber<br />
die Wohnung sollte ja auch nur eine<br />
Übergangslösung sein (siehe das Interview<br />
Seite 12). Und ihre Tochter hat viele<br />
Freunde hier. „Im Haus wohnen ja viele<br />
rumänische Kinder“, sagt Loredana.<br />
Wenn es etwas Schönes in der Seehafenstraße<br />
gab, dann der Zusammenhalt<br />
der Kinder. In Steilshoop denkt<br />
Laura (Foto Seite 9), die 14-jährige Nichte<br />
von Elena, deswegen gerne zurück<br />
an die Zeit mit den anderen rumänischen<br />
Kindern. Sie kannten sich alle<br />
noch aus der Heimat.<br />
Die rumänischen Bewohner der<br />
Seehafenstraße stammen aus einem<br />
kleinen Dorf – keine 100 Kilometer<br />
von der Grenze zu Moldawien entfernt.<br />
In der ländlichen Region gibt es praktisch<br />
keine Arbeit mehr. „Mein Vater<br />
konnte nur an ganz wenigen Tagen arbeiten“,<br />
erzählt Laura. Ansonsten<br />
herrschten Langeweile – und Armut. In<br />
ihrem Heimatdorf seien viele Eltern
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Titelgeschichte<br />
ausgewandert, sagt Laura. Während die<br />
Kinder bei den Großeltern zurückblieben,<br />
mussten die Erwachsenen ihr<br />
Glück in Spanien, Italien oder eben<br />
Deutschland suchen. Auch Laura und<br />
ihre Schwester blieben im Dorf zurück.<br />
„In Rumänien habe ich mir mit Oma<br />
das Bett geteilt“, sagt sie.<br />
In Hamburg fand ihr Vater eine<br />
Anstellung in einer Reinigungsfirma.<br />
Die Nächte verbrachten ihre Eltern in<br />
überfüllten Zimmern. Bezahlt wurde<br />
pro Bett. Erst als sie dann endlich ein eigenes<br />
Zimmer und einen echten Mietvertrag<br />
in der Seehafenstraße erhielten,<br />
holten sie ihre Töchter nach. Es klingt<br />
absurd, aber der Einzug in der Seehafenstraße<br />
war somit ein kleiner Aufstieg.<br />
„Und ich war natürlich froh, meine<br />
Eltern und Freunde wiederzusehen“,<br />
sagt Laura, die nach zwei Jahren in<br />
Deutschland bereits fließend Deutsch<br />
spricht und teilweise als Übersetzerin<br />
für die gesamte Familie fungiert. Darauf<br />
ist sie richtig stolz.<br />
So viel Glück hatten Loredana und<br />
Izvoras aus der Seehafenstraße bislang<br />
nicht. Abwechselnd begleiten sie morgens<br />
ihre Tochter zur Schule. Der Weg<br />
ist nicht weit, aber die Durchquerung<br />
„In Rumänien<br />
habe ich mir mit<br />
Oma das Bett<br />
geteilt.“ LAURA<br />
des Industriegebiets ist einfach zu gefährlich.<br />
Weil direkt vor der Haustür<br />
Autos und Lastwagen im Sekundentakt<br />
vorbeirauschen, dürfen die Kinder<br />
nicht mal am Wochenende vor dem<br />
Haus spielen.<br />
Damals in der Seehafenstraße hätte<br />
sie ihre Tochter auch nie alleine rausgelassen,<br />
erinnert sich Elena. Nicht nur<br />
wegen des Verkehrs. In den Häusern<br />
hätten zahlreiche Alkoholiker gelebt.<br />
Damit habe sie ihre Tochter nicht<br />
konfrontieren wollen.<br />
Während sie das erzählt, ertönt unten<br />
auf der Straße ein Klingeln. Aufgeregt<br />
bestürmt Rebeca ihre Mutter.<br />
„Mama, darf ich ein Eis haben?“, ruft<br />
sie. Elena verdreht die Augen, aber sie<br />
merkt, dass Gegenrede heute keine<br />
Chance hat. Sie kramt ein paar Euro<br />
aus der Tasche, drückt sie ihrer Tochter<br />
in die Hand, die in Windeseile zum<br />
Aufzug flitzt und verschwunden ist.<br />
Wenig später sitzen Rebeca, Andreea<br />
und Laura mit strahlenden Augen<br />
im Wohnzimmer. Die Besucher aus<br />
der Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Redaktion sind vergessen.<br />
Stattdessen startet ein Expertengespräch<br />
über Eissorten und Lieblingsstreusel.<br />
Die Welt ist gerade so was von<br />
in Ordnung. •<br />
Kontakt: jonas.fuellner@hinzundkunzt.de<br />
Loredana (Mitte) lebt<br />
mit ihrem Mann<br />
Izvo ras, ihren Kindern<br />
und ihrer Mutter in der<br />
See hafenstraße.<br />
Kakerlaken gebe es in<br />
ihrer Wohnung nicht,<br />
sagt Izvoras, denn nach<br />
dem Einzug<br />
hat er sie komplett<br />
renoviert.<br />
11
Stephan Karrenbauer ist<br />
Sozialarbeiter und Projektleiter<br />
bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Die Seehafenstraße<br />
und das Prinzip Hoffnung<br />
Auch Hinz&Künztler leben oder lebten unter übelsten Bedingungen<br />
in der Schrottimmobilie. Warum leben Menschen so? Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiter<br />
Stephan Karrenbauer beantwortet Fragen, die sich wohl jeder stellt.<br />
TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />
FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />
12
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Titelgeschichte<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Einige Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Verkäufer leben zwar nicht auf der Straße,<br />
aber unter miesen Wohnbedingungen.<br />
Das Haus in der Seehafenstraße beispielsweise<br />
ist heruntergekommen, es gibt<br />
Schimmel, Kakerlaken und Ratten – und die<br />
Miete ist horrend. Warum leben Menschen so?<br />
STEPHAN KARRENBAUER: Das ist natürlich<br />
grauenvoll. Hier wird ausgenutzt, dass<br />
Menschen in Not sind. Aber für viele<br />
Bewohner ist das leider immer noch<br />
besser als die Alternative: ein Leben im<br />
Elend und perspektivlos in Rumänien<br />
oder gar auf der Straße. Wir wissen ja,<br />
dass sie zu Hause keine Aussicht auf<br />
einen Job haben. Die Seehafenstraße ist<br />
deshalb für sie eine Durchgangsstation,<br />
bis sie es geschafft haben, hier Fuß zu<br />
fassen. So wie im Fall von Elena, die<br />
inzwischen zwei Putzjobs hat und eine<br />
richtige Wohnung (Seite 6). Und sie<br />
haben Kinder und wollen, dass sie in<br />
die Schule gehen. Vieles, was diese<br />
Familien machen, läuft unter dem<br />
Motto: Unseren Kindern soll es einmal<br />
besser gehen. Ehrlich gesagt: Ich würde<br />
es genauso handhaben, wenn ich in<br />
ihrer Situation wäre.<br />
„Ehrlich gesagt:<br />
Ich würde es<br />
auch so machen.“<br />
Auch Hinz&<strong>Kunzt</strong> hat von den<br />
Zuständen gewusst. Hätte man nicht<br />
längst einschreiten müssen?<br />
Verkäufer haben uns davon erzählt und<br />
gleichzeitig gesagt: Bitte tut nichts, wir<br />
wissen sonst nicht wohin! Wenn ich eine<br />
gute Alternative gewusst hätte, wäre ich<br />
der Erste, der gerne eingeschritten wäre.<br />
Ich würde einer Familie mit drei<br />
Kindern mindestens eine Zweizimmerwohnung<br />
wünschen. Aber die gibt es ja<br />
derzeit nicht. Als wir vor Jahren eine<br />
bulgarische Familie unter der Kennedybrücke<br />
kennengelernt haben, haben wir<br />
es zwar geschafft, sie in einer Kirchenkate<br />
unterzubringen. Aber wir haben<br />
drei Jahre gebraucht, um eine Wohnung<br />
für sie zu finden. 465 Euro für ein Zimmer<br />
von 15 Quadratmetern ist zwar<br />
auf den Quadratmeter umgerechnet<br />
Mietwucher. Aber das Schlimme ist<br />
doch: Knapp 500 Euro kostet inzwischen<br />
ja schon ein Studentenzimmer.<br />
Wie finanzieren sich denn die Bewohner?<br />
Bekommen die Hartz IV?<br />
Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt<br />
einige Familien, bei denen wenigstens<br />
ein Elternteil eine Arbeit hat. Einige<br />
Leute beziehen Arbeitslosengeld II,<br />
weil sie hier schon gearbeitet haben.<br />
Es gibt andere Familien, die sagen:<br />
Wir teilen uns die Miete: Der eine<br />
macht Musik, der andere geht betteln,<br />
wieder einer verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
und sammelt Flaschen.<br />
Nach der Kontrolle in der Seehafenstraße hat<br />
die Sozialbehörde den Bewohnern eine Alternativunterbringung<br />
angeboten. Viele haben<br />
das nicht angenommen. Warum nicht?<br />
Die Bewohner, die wir kennen, wollten<br />
es ihren Kindern nicht zumuten, aus<br />
der Klasse gerissen zu werden. Sie<br />
hatten es wegen ihrer Sprachschwierigkeiten<br />
anfangs sowieso schwer. Und<br />
jetzt, wo sie sich eingelebt und Freunde<br />
gefunden haben, sollten sie nicht schon<br />
wieder für ein neues Provisorium umziehen<br />
müssen.<br />
Es gibt ja viele Obdachlose aus Osteuropa,<br />
die hier auf der Straße schlafen. Sie haben<br />
oft keinen Rechtsanspruch auf Hilfe,<br />
und man kann zusehen, wie sie verelenden.<br />
Was müsste man tun, um das zu verhindern?<br />
Keiner hat das Patentrezept. Ich kann<br />
erst mal sagen, was nicht funktioniert:<br />
Es funktioniert nicht, auf Abschreckung<br />
zu setzen, die Leute zu verjagen<br />
und nicht ins Winternotprogramm zu<br />
lassen, in der Hoffnung, sie reisen alle<br />
wieder aus. Das hört sich so an, als<br />
hätten diese Menschen eine echte<br />
Alternative. Aber das haben sie nicht.<br />
Es müsste so eine Art Ankunftshäuser<br />
geben. Viele Jahrzehnte hatten wir<br />
Ankunftsviertel. Ein großes Ankunftsviertel<br />
war Ottensen, das kann sich<br />
heute niemand mehr vorstellen. Das<br />
letzte große Ankunftsviertel war Wilhelmsburg.<br />
Wo Portugiesen, Türken<br />
und Bulgaren lebten und leben. Und<br />
13<br />
viele von ihnen haben anfangs bestimmt<br />
auch zu überteuerten Preisen<br />
in echten Bruchbuden gelebt.<br />
„Es müsste eine<br />
Art Ankunftshäuser<br />
geben.“<br />
Aber man kann doch derartige<br />
Verhältnisse nicht hinnehmen. Auch dass so<br />
viele Menschen in einem Zimmer leben …<br />
Dass Menschen mit wenig Geld beengter<br />
leben als unsereins, ist klar. Da<br />
müsste es aber trotzdem Standards und<br />
Richtwerte geben. Gut fände ich, wenn<br />
es Häuser gäbe, wo Menschen erst mal<br />
ankommen und sich orientieren können.<br />
Solche Häuser könnten der Staat<br />
oder die Wohlfahrtsverbände betreiben.<br />
Immerhin darf sich jeder EU-<br />
Bürger mindestens drei Monate in<br />
einem Land aufhalten. Und wenn er<br />
dort Arbeit sucht, muss er über Rechte<br />
und Pflichten aufgeklärt werden und<br />
Deutsch lernen. Vielleicht gäbe es dort<br />
auch eine Jobbörse, womöglich in<br />
Kooperation mit der Handwerkskammer<br />
oder Landwirtschaftsbetrieben.<br />
Das Thema Wanderarbeiter und Ausbeutung<br />
ist ja uralt. Nur die Gruppe ist neu.<br />
Es gab schon immer Menschen in prekären<br />
Arbeitsverhältnissen, früher waren<br />
es die Wandergesellen. Und da ich<br />
katholisch bin, musste ich natürlich<br />
gleich an die Kolpinghäuser denken. Die<br />
hatte Adolph Kolping (1813–1865) gegründet.<br />
Die Gesellen hatten früher oft<br />
im Handwerks betrieb gewohnt, in dem<br />
sie gearbeitet hatten. Und oft wurden sie<br />
ausgebeutet und schikaniert. Sie konnten<br />
nichts machen, weil sie sonst alles<br />
verloren hätten: Arbeit und Unterkunft.<br />
Später gab es in jeder größeren Stadt<br />
solche Kolpinghäuser. Das hat den<br />
Gesellen die notwendige Freiheit gegeben<br />
– und die Arbeitgeber haben sich<br />
dann schon genau überlegt, wie sie ihre<br />
Gesellen behandeln. •<br />
Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>297</strong>/NOVEMBER <strong>2017</strong><br />
„Wo sollen wir<br />
schlafen?“<br />
Elena und Atonas packen<br />
ihre Sachen (Foto links).<br />
Cristi und Petr können<br />
das nicht mehr: Ihr Hab<br />
und Gut wurde entsorgt.<br />
Auch noch kurz vor Beginn des Winternotprogramms<br />
vertreibt die Stadt Obdachlose aus Grünanlagen. Im Bezirk<br />
Nord verlieren zehn Rumänen dabei ihren ganzen Besitz.<br />
TEXT: BENJAMIN LAUFER, SIMONE DECKNER<br />
FOTOS: BENJAMIN LAUFER, ANDREI SCHWARTZ<br />
Wenigstens bis zum Start des<br />
Winternotprogramms hätten<br />
sie warten können. Dann<br />
hätten die Obdachlosen, die der Bezirk<br />
Mitte im Oktober aus dem Park an der<br />
Kennedybrücke verscheucht hat, dorthin<br />
umziehen können. Jetzt stehen<br />
Elena und Atonas neben ihren gepackten<br />
Sachen. „Wo sollen wir die nächsten<br />
zwei Wochen schlafen?“, fragt<br />
Elena. „Ich habe keine Ahnung.“<br />
Männer in knallorangenen Anzügen<br />
schmeißen den Teil ihrer Sachen,<br />
den die beiden Obdachlosen nicht wegtragen<br />
können, in ein Fahrzeug der<br />
Stadtreinigung. Mehrere Zelte von Obdachlosen<br />
werden so entsorgt, andere<br />
lässt der Bezirk einlagern. Die Obdachlosen<br />
könnten sie abholen, heißt es. Der<br />
Grund für den Einsatz: Laut Grünanlagenverordnung<br />
ist Zelten in Parks verboten<br />
– und durch die Herbststürme<br />
noch gefährlicher als ohnehin.<br />
Auch die staubige Fläche unter einer<br />
Brücke am Rübenkamp ist nach<br />
Ansicht des Bezirksamts Nord eine<br />
Grünanlage. Deswegen ließ es Anfang<br />
Oktober den Schlafplatz von zehn Obdachlosen<br />
dort räumen. Rigoros wurde<br />
ihr Hab und Gut entsorgt: Matratzen,<br />
Kleidung, alles. „Wir haben gar nichts<br />
mehr anzuziehen, nur noch das, was<br />
wir gerade anhaben“, sagt ein 52-Jähriger.<br />
Die Obdachlosen hätten genug Zeit<br />
gehabt, ihre Sachen zu sichern, rechtfertigt<br />
sich das Bezirksamt. Schließlich<br />
seien sie zwei Mal vorgewarnt worden.<br />
Am Rübenkamp habe es Beschwerden<br />
über die Obdachlosen gegeben,<br />
auch über die an der Kennedybrücke<br />
14<br />
gab es Klagen. Dort hätten sich Passantinnen<br />
unsicher gefühlt, hieß es.<br />
Deswegen mussten auch die Obdachlosen,<br />
die ihre Zelte direkt am Alsterwasser<br />
aufgereiht hatten, umziehen.<br />
Obwohl der Bezirk sie eigentlich dort<br />
ganz offiziell duldet. Das soll jedoch<br />
nun nur noch für die direkt unter der<br />
Kennedybrücke Schlafenden gelten.<br />
„Vor ein paar Wochen hieß es noch:<br />
Unter der Brücke ist tabu“, ärgert sich<br />
der Obdachlose Raphael. „Jetzt kommen<br />
die und sagen das Gegenteil.“<br />
Obdachlose werden in Hamburg<br />
oft vertrieben. Eine Nachfrage beim Bezirk<br />
Altona ergab: Am Nobistor wurde<br />
zuletzt am 6. September geräumt. Sie<br />
kommen aber stets wieder. •<br />
Kontakt: benjamin.laufer@hinzundkunzt.de
Winternotprogramm<br />
„Zwei-Klassen-Prinzip“<br />
für Obdachlose<br />
Am 1. <strong>November</strong> startet die Sozialbehörde wieder<br />
das Winternotprogramm. Für die rund 2000<br />
Obdachlosen stellt sie bis März insgesamt 760<br />
Plätze in Mehrbettzimmern am Schaarsteinweg<br />
und in der Friesenstraße zur Verfügung. Allerdings<br />
befürchtet Dirk Ahrens, Diakoniechef und<br />
Herausgeber von Hinz&<strong>Kunzt</strong>, dass trotzdem<br />
„Menschen in der kalten Jahreszeit erfrieren“.<br />
Denn seit vergangenem Winter gebe es ein<br />
„Zwei-Klassen-Prinzip“.<br />
Obdachlose Polen, Rumänen oder Bulgaren,<br />
die im Herkunftsland eine Unterkunft haben,<br />
dürfen nämlich nicht mehr ins Winternotprogramm.<br />
Auch wenn sie monatelang in<br />
Hamburg Platte machen. Für sie bietet die Stadt<br />
nur noch eine Wärmestube an, in der sie die<br />
Nacht auf einem Stuhl verbringen können.<br />
Nach Erfahrung der Diakonie-Straßensozialarbeiter<br />
wird die Wärmestube deshalb kaum genutzt.<br />
Einige osteuropäische Obdachlose kehren<br />
in ihr Herkunftsland zurück. Aber die meisten<br />
kommen wieder zurück oder gehen gleich auf<br />
die Straße, weil sie zu Hause kein Geld verdienen<br />
und ihre Familien nicht ernähren können.<br />
Das Winternotprogramm ist jedes Jahr Anlass<br />
für Auseinandersetzungen zwischen der<br />
Sozialbehörde und Wohlfahrtsverbänden. In<br />
den beiden Großunterkünften dürfen die<br />
Obdach losen nur nachts bleiben und müssen<br />
tagsüber wieder raus. Egal wie kalt oder nass es<br />
ist. Und das, obwohl es nicht genug Plätze in<br />
Tagesaufenthaltsstätten gibt. Selbst eine Online-<br />
Petition von Hinz&<strong>Kunzt</strong> im Winter 2016 mit<br />
mehr als 55.000 Unterzeichnern änderte daran<br />
nichts.<br />
Anderer Kritikpunkt am Winternotprogramm:<br />
Jahrelang mussten im Frühling die meisten<br />
Obdachlosen wieder zurück auf die Straße.<br />
Hier wollen die Sozialbehörde und Unterkunftsbetreiber<br />
fördern und wohnen allerdings mehr<br />
tun. Im vergangenen Winter bekamen 278 Menschen<br />
eine Dauerunterkunft, deutlich mehr als<br />
in den Jahren zuvor.<br />
Zusätzlich zu den Großunterkünften stellen<br />
Kirchengemeinden im Winter insgesamt 113<br />
Wohncontainer auf ihrem Gelände zur Verfügung.<br />
Diese Schlafplätze sind bei Obdachlosen<br />
besonders beliebt, weil man dort maximal zu<br />
zweit untergebracht ist und tagsüber drinnen<br />
bleiben darf. Wermutstropfen: In diesem Jahr<br />
sind es deutlich weniger Container als in den<br />
Vorjahren. Immerhin: Eine Kirchengemeinde<br />
nimmt nicht mehr am Winternotprogramm teil,<br />
weil sie inzwischen Container aufgestellt hat, in<br />
denen Obdachlose ganzjährig wohnen. BIM<br />
•<br />
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Jonglieren zwischen<br />
zwei Welten<br />
Urlaub vom Ausnahmezustand: Die Berliner Fotografin Johanna-Maria Fritz<br />
dokumentiert das Zirkusleben im Nahen und Mittleren Osten.<br />
TEXT: ANNETTE WOYWODE<br />
Alltägliches Bild in Gaza Stadt:<br />
Ein Akrobat der Zirkusschule<br />
blickt bewaffneten<br />
Hamas-Kämpfern hinterher.
Fotoreportage<br />
Gerade noch rechtzeitig erwischen wir<br />
Johanna-Maria Fritz per Telefon auf dem<br />
Istanbuler Flughafen, bevor sie weiterfliegt<br />
nach Afghanistan. Dort, in Kabul, wird<br />
die 23-jährige Fotografin eine Zirkusschule besuchen.<br />
Seit Jahren reist sie an den Hindukusch und in<br />
den Nahen Osten, um das dortige Zirkusleben zu<br />
dokumentieren. Dabei entstehen Bilder, die von der<br />
Hoffnung auf Normalität in einem vom Ausnahmezustand<br />
geprägten Leben erzählen.<br />
Da steht zum Beispiel, mitten auf der staubigen<br />
Straße, ein bunt bekleideter Clown auf Stelzen. In der<br />
Hand hält er Jonglierkeulen. Gleich könnte er mit<br />
seinem Training für die Zirkusschule in Gaza Stadt<br />
beginnen, doch erst mal hält er inne – um einen mit<br />
vermummten und bewaffneten Hamas-Kämpfern voll<br />
besetzten Pick-up passieren zu lassen.<br />
Wo solche Szenen zum Alltag gehören, ist es<br />
logisch, dass Politik im Zirkus eine Rolle spielt. So auch<br />
in der Zirkusschule Bir Zaid im Westjordanland. Einer<br />
der Palästinenser, der Zirkuskünstler Mohammad<br />
Faisal Abu Sakha, saß zwei Jahre in israelischer Haft –<br />
laut Amnesty International ohne Anklage oder Gerichtsverfahren.<br />
Erst Ende August kam der 25-Jährige<br />
wieder frei. Bis dahin bauten die Artisten den abwesenden<br />
Kollegen so in ihr Programm ein, dass sein Fehlen<br />
für alle sichtbar war.<br />
Besonders beeindruckt ist Johanna-Maria Fritz immer<br />
wieder von dem starken Zusammenhalt, der im<br />
17
Kurz vor der Show in Kabul, Afghanistan: Das Mädchenteam des mobilen<br />
Kinderzirkus wärmt sich auf. Die Kinder zeigen auch vor<br />
männlichem Publikum, was sie draufhaben – und sind mächtig stolz darauf.<br />
Zirkus herrsche. „Egal was passiert oder wo man hingeht, die<br />
Leute helfen sich“, erzählt die Berlinerin. „Es ist eine kleine<br />
Welt. Und deshalb gibt es auch immer jemanden, der jemanden<br />
aus einem anderen Zirkus kennt.“ Dieser Umstand half<br />
ihr auch dabei, im traditionsreichen Iraner Zirkus Khalil<br />
Oghab fotografieren zu dürfen.<br />
Als junger Mann wurde der 1924 geborene Khalil Oghab<br />
„The Iron Man from Iran“ genannt. Vor Tausenden von<br />
Menschen schleuderte er riesige Metallkugeln durch die<br />
Manege. Er ließ sich von Lkws überrollen und konnte angeblich<br />
sogar Babyelefanten stemmen. Später trat Oghab in<br />
England auf, reiste nach Japan und Italien, bis er 1991 mit<br />
18
Die 21-jährige Basan arbeitet als eine von zwei Clowndoktoren<br />
in Gaza Stadt. Kinder glücklich zu sehen, ist ihr das Wichtigste – dabei<br />
würde sie eigentlich auch gerne Journalistin werden.<br />
seinem Sohn in den Iran zurückkehrte und dort eine eigene<br />
Zirkustruppe gründete. Noch heute, mit 94 Jahren, lebt<br />
Khalil Oghab im Zirkuswagen mitten unter den Artisten.<br />
Auftreten tut er auch noch, allerdings selten.<br />
Als Johanna-Maria Fritz in Teheran vor dem Zirkuszelt<br />
stand und ihr Vorhaben schilderte, hielt sich die Begeisterung<br />
der Künstler in Grenzen. Doch dann telefonierten die Iraner<br />
mit Zirkusdirektoren, bei denen die Fotografin vorher gearbeitet<br />
hatte. Die legten ein gutes Wort für sie ein, und so war<br />
das Eis gebrochen.<br />
Zwei Mal für jeweils einen Monat lebte Johanna-Maria<br />
Fritz im Iran in einem Zirkuswagen und dokumentierte die<br />
19
Nadia (13) und<br />
Rabia (14) trainieren<br />
für die Zirkusschule<br />
in Kabul (Foto oben).<br />
Die Jungs lassen<br />
sich die Gelegenheit<br />
nicht entgehen,<br />
den Mädels<br />
zuzuschauen.<br />
Osama Mkheimar<br />
(unten) bereitet<br />
sich auf seine<br />
Clownshow vor.<br />
Er tritt in einem<br />
Wasserpark für<br />
Kinder im Süden<br />
der Westbank auf.
Fotoreportage<br />
Arbeit der Artisten. Frauen ist es dort verboten aufzutreten.<br />
Während der Abendveranstaltungen, so Fritz,<br />
sei die Polizei vor Ort und schaue, dass die Zuschauerinnen<br />
Kopftücher tragen und es keinen Kontakt<br />
zwischen ihnen und den Männern gibt. Aber am Nachmittag,<br />
bei den Schülerveranstaltungen, „da rasten die<br />
Mädchen aus, schreien und kreischen – das ist schon<br />
toll“. Vor allem war die Fotografin aber davon fasziniert,<br />
dass bei Khalil Oghab „alle Leute, egal ob Perser,<br />
Aserbaidschaner oder Kurden, Leute aus dem Ausland,<br />
egal von welcher Religion, darauf hinarbeiten, am<br />
Abend ihre gemeinsame Show zu bestreiten“.<br />
Menschen aller<br />
Nationen und Religionen<br />
arbeiten für die<br />
gemeinsame Show.<br />
<br />
Museumsfrachter auf große Fahrt:<br />
Donnerstag, den 10. Mai 2018<br />
Einlaufparade zum<br />
829. Hafengeburtstag<br />
Freitag, den 15. Juni 2018<br />
Fahrt auf der Elbe:<br />
Hamburg — Cuxhaven<br />
Samstag, den 16. Juni 2018<br />
Fahrt auf der Elbe und dem<br />
Nord-Ostsee-Kanal:<br />
Cuxhaven — Rendsburg<br />
Sonntag, den 17. Juni 2018<br />
Fahrt auf dem Nord-Ostsee-<br />
Kanal und der Kieler Förde:<br />
Rendsburg — Kiel<br />
... unsere<br />
Gästefahrten<br />
unter Ihrem<br />
Weihnachtsbaum!<br />
Freitag, den 29. Juni 2018<br />
Fahrt auf der Kieler Förde und<br />
dem Nord-Ostsee-Kanal:<br />
Kiel — Rendsburg<br />
Samstag, den 30. Juni 2018<br />
Fahrt auf dem Nord-Ostsee-<br />
Kanal und der Elbe:<br />
Rendsburg — Cuxhaven<br />
Sonntag, den 01. Juli 2018<br />
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Im kommenden Jahr will Johanna-Maria Fritz noch<br />
mal in den Iran reisen. Doch nun erst mal nach Afghanistan.<br />
Dort ist es eine Nichtregierungsorganisation<br />
(NGO), die eine Zirkusschule betreibt. Ihr Stammsitz<br />
ist in Kabul, aber Zweigstellen liegen weit über das<br />
Land verstreut. „Da machen unfassbar viele Mädchen<br />
mit“, erzählt die Fotografin, „und die sind so stolz, in<br />
ihrer von Männern dominierten Welt zeigen zu dürfen,<br />
was sie alles können.“ Oft würden die Vorstellungen<br />
außerhalb Kabuls wegen der angespannten Sicherheitslage<br />
nicht lange vorher angekündigt. Doch wenn<br />
die Auftritte starten, gebe es vom „Kleinkind bis zum<br />
Ältesten im Dorf, der sich seinen eigenen Stuhl mitgebracht<br />
hat“, nur positive Reaktionen. Dass die NGO<br />
nach der Show noch Gesundheitsaufklärung und<br />
demokratische Bildung betreibt oder Eltern zu überreden<br />
versucht, ihre Kinder zur Schule zu schicken,<br />
nehmen die Zuschauer gern in Kauf. •<br />
Kontakt: annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />
Johanna-Maria Fritz, 23<br />
ist Absolventin der Ostkreuzschule<br />
für Fotografie in Berlin.<br />
Mehr Infos über ihre Arbeit stehen<br />
unter www.johannamariafritz.de<br />
21<br />
Ansichten einer Stadt<br />
um 1900<br />
BIS 21.01.2018<br />
www.hamburgmuseum.de
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>297</strong>/NOVEMBER <strong>2017</strong><br />
Meldungen (1)<br />
Politik & Soziales<br />
Mit einem „Cold Dinner“<br />
protestierten Ende Oktober<br />
Obdachlose und Sozialarbeiter<br />
am Fischmarkt – gegen<br />
Obdachlosigkeit. Der Einladung<br />
des Aktions bündnisses<br />
gegen Wohnungsnot folgten<br />
etwa 150 Menschen.<br />
Statistik<br />
Hamburg will Obdachlose zählen<br />
Endlich will die Stadt die Obdachlosen zählen, die auf Hamburgs Straßen leben.<br />
Nach der letzten Erhebung im Jahr 2009, bei der 1029 Obdachlose registriert<br />
wurden, waren Forderungen nach einer neuen Zählung in der Bürgerschaft<br />
regelmäßig von der Regierungsmehrheit abgeblockt worden. Nun bereitet die<br />
So zialbehörde eine Erhebung für kommenden März vor. Hinz&<strong>Kunzt</strong> fordert<br />
im Anschluss daran einen Hilfeplan für alle Obdachlosen: „Die Zählung könnte<br />
dabei helfen, Lösungen für die Menschen zu finden, die auf Hamburgs Straßen<br />
verelenden“, sagt Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer. BELA<br />
•<br />
2000 Euro Belohnung<br />
Polizei sucht Zeugen für Brandstiftung<br />
auf Obdachlose<br />
2000 Euro Belohnung hat die Staatsanwaltschaft<br />
für Hinweise ausgelobt,<br />
die zur Aufklärung der mutmaßlichen<br />
Brandstiftung auf den Schlafplatz<br />
eines Obdachlosen in St. Georg am<br />
19. September führen. Der Mann<br />
hatte sich dabei an der Hand verletzt.<br />
Am 11. Oktober brannte an den<br />
Landungsbrücken wieder die Matratze<br />
eines Obdachlosen, der unverletzt<br />
blieb. Die Polizei verdächtigt einen<br />
57-Jährigen der Brandstiftung. BELA<br />
•<br />
Mehr Informationen unter:<br />
www.hinzundkunzt.de/thema/feuer<br />
Bergedorf<br />
Mord unter Wohnungslosen?<br />
In einer Bergedorfer Wohnungslosenunterkunft<br />
ist vermutlich ein Mord<br />
geschehen. Die Polizei glaubt, eine<br />
Bewohnerin habe gemeinsam mit anderen<br />
ihre 65-jährige Nachbarin umgebracht.<br />
Verdächtig sind neben der<br />
37-Jährigen ihr 25-jähriger Partner,<br />
ihre 15-jährige Tochter sowie deren<br />
18-jähriger Freund. Zuvor hätten alle<br />
gemeinsam mit dem Opfer Alkohol<br />
getrunken, hieß es im Polizeibericht.<br />
Alle sind in U-Haft. BELA<br />
•<br />
FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />
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Für Mitarbeiter in der Wohnungslosenhilfe<br />
sind die Grenzen der<br />
Zumutbarkeit erreicht. Obdachlosen<br />
können sie oftmals nicht helfen, weil<br />
es für sie keine Wohnungen gibt. Und<br />
vor einem Jahr mussten Sozialarbeiter<br />
erstmals osteuropäische Obdachlose<br />
an den Türen des Winternotprogramms<br />
abweisen. Doch an<br />
wen sollen sie ihre Kritik richten?<br />
Und wie könnten Lösungen aussehen?<br />
Über diese Fragen diskutieren Sozialarbeiter<br />
gemeinsam mit Wissenschaftlern<br />
aus dem Bereich der sozialen<br />
Arbeit auf Einladung der Reihe<br />
„Hamburg. Gerechte Stadt“. JOF<br />
•<br />
Tagesaufenthaltsstätte, Bundesstraße<br />
101, Di, 21.11., 17.30 Uhr, Eintritt frei<br />
Veranstaltung<br />
Auf der Suche nach Antworten<br />
auf die Wohnungsnot<br />
Dass es zu wenige günstige Wohnungen<br />
in Hamburg gibt, ist hinlänglich<br />
bekannt. Was aber müsste passieren,<br />
damit Obdachlose eine Bleibe finden<br />
und Menschen – wie die Bewohner<br />
aus der Seehafenstraße (siehe Titelgeschichte)<br />
– nicht länger ausgebeutet<br />
werden? Über diese Frage diskutieren<br />
auf Einladung der Beratungsstelle<br />
verikom Vertreter der Wohnungslosenund<br />
Flüchtlingshilfe mit Mitarbeitern<br />
der Behörden und dem städtischen<br />
Wohnungsunternehmen Saga. JOF<br />
•<br />
Diakonisches Werk, Königstraße 54,<br />
Do, 9.11., 17 Uhr, Eintritt frei<br />
Veranstaltung<br />
Welttag der Armen in Hamburg<br />
Vor einem Jahr verkündete Papst Franziskus zum Abschluss des Heiligen Jahres<br />
der Barmherzigkeit, dass es „keine Gerechtigkeit noch sozialen Frieden geben<br />
kann, solange Lazarus vor der Tür unseres Hauses liegt“. Die Gestalt des<br />
obdachlosen Lazarus stammt aus dem Lukasevangelium (Lk 16,19–31 EU).<br />
Seiner und anderer Armen soll künftig am 19. <strong>November</strong> gedacht werden,<br />
dem neuen „Welttag der Armen“. Die Unterstützung, die Lazarus nicht erhielt,<br />
soll heutzutage Armen und Obdachlosen zukommen. Auch in Hamburg.<br />
Dort startet der Welttag der Armen in der Katholischen Akademie mit einem<br />
Mittagsimbiss. Anschließend bleibt Zeit für einen Austausch. „Wir hoffen, dass<br />
an diesem Tag möglichst viele Menschen aus unterschiedlichen Schichten<br />
miteinander ins Gespräch kommen“, sagt Pater Jan Roser, der im vergangenen<br />
Winter Obdachlose zum Papstbesuch nach Rom begleitete (siehe H&K 286). JOF<br />
•<br />
Katholische Akademie Hamburg, Herrengraben 4, So, 19.11., 11.30 Uhr, Eintritt frei<br />
Wachsende Stadt<br />
Geringe Spendenbereitschaft<br />
Augen ist das nur ein Zeichen der<br />
www.hinzundkunzt.de<br />
Ratlosigkeit der Politik.“ JOF<br />
•<br />
Senat plant Wohnungsbau Hamburger Tafel benötigt<br />
an Hauptverkehrsachsen<br />
dringend mehr Lebensmittel<br />
Auf Initiative von SPD und Grünen Kurz vor dem Start des Winternotprogramms<br />
hat die Bürgerschaft Mitte Oktober<br />
hat die Hamburger<br />
beschlossen, dass künftig auch an Tafel Alarm geschlagen. Das Lager<br />
Hauptverkehrsstraßen gebaut wird. in Barmbek sei erschreckend leer.<br />
Allein im Bezirk Altona könnten „Wir benötigen dringend Spenden“,<br />
dadurch 20.000 neue Wohnungen sagt Geschäftsführer Christian Tack.<br />
entstehen. Laut Olaf Duge, stadtpolitischer<br />
Viele Supermarktketten hätten<br />
Sprecher der Grünen, führen Abläufe optimiert. Dadurch lande<br />
Elektromobilität und Flüsterasphalt weniger Essen auf dem Müll und<br />
dazu, dass Wohnen und Leben an bei der Tafel. Tack hofft, mit seinem<br />
Verkehrsachsen attraktiver wird. Appell weitere Einzelhändler für<br />
Das sei bloß Zukunftsmusik, kritisiert die Zusammenarbeit mit der Tafel<br />
der Mieterverein zu Hamburg. Lärm gewinnen zu können. JOF<br />
und Abgase an Hauptstraßen seien Mehr Informationen unter:<br />
•<br />
aktuell für niemanden zumutbar, sagt www.hamburger-tafel.de<br />
der Vorsitzende Siegmund Chychla.<br />
Hamburg brauche zwar mehr Wohnungen.<br />
Aber nicht so. „In meinen<br />
Mehr Infos und Nachrichten unter:<br />
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Leben&Tod<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>297</strong>/NOVEMBER <strong>2017</strong><br />
24
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Leben&Tod<br />
„Wir hätten<br />
ihm so gerne<br />
geholfen“<br />
Der Obdachlose Olaf S. starb vor einem Jahr auf einer Parkbank<br />
beim Michel. Gemeinsam mit Hinz&<strong>Kunzt</strong> versuchen zwei alte Freunde,<br />
seinen Absturz zu begreifen. Eine Spurensuche in Hamburg.<br />
TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Die letzte Nachricht von Olaf<br />
S. kommt im Oktober 2013<br />
per Facebook-Chat. „Hab<br />
hier nen neuen tollen job<br />
und eine tolle frau, ein haus und endlich<br />
ein schönes leben“, schrieb er seiner<br />
Patentochter. „hamburg ist so anders<br />
und so geil. Und die arbeit ist einfach<br />
perfekt.“<br />
Die letzte Nachricht über Olaf S.<br />
erscheint im Dezember 2016 auf der<br />
Homepage von Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Sie war<br />
überschrieben mit „Obdachloser stirbt<br />
auf Parkbank“.<br />
Was ist in den drei Jahren dazwischen<br />
geschehen? Ute (57) und Klaus<br />
(58) Müller, die mit Olaf einst zur Schule<br />
gegangen sind, wollen das gemeinsam<br />
mit dem Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Reporter herausfinden.<br />
Jetzt stehen wir vor der Parkbank<br />
oberhalb des Portugiesenviertels, auf der<br />
Olaf gestorben ist. Durch die Bäume sehen<br />
wir die Turmspitze der Michaeliskirche.<br />
Wie war das hier vor einem Jahr?<br />
„Ein Spaziergänger mit Hund hatte<br />
eine leblose Person gemeldet“, erzählt<br />
Dirk Matthies. Er ist Polizist und saß in<br />
dem Streifenwagen, der daraufhin zum<br />
Venus berg gerufen wurde. Für die<br />
Müllers nimmt er sich die Zeit, noch einmal<br />
hierhin zurückzukommen. Er war<br />
sofort dazu bereit – weil es ihm wichtig<br />
ist, Olafs Freunden zu helfen.<br />
Es war der 20. <strong>November</strong> 2016,<br />
nachts um eins. Olaf, 58 Jahre alt, saß<br />
auf der Bank und war zur Seite umgekippt.<br />
Um ihn herum lagen einige kleine<br />
Schnapsflaschen. „Dort liegen sie ja<br />
Auf dem Friedhof<br />
in Öjendorf liegt<br />
Olaf begraben. Mit<br />
vielen Hundert<br />
anderen, die dort<br />
„von Amts wegen“<br />
bestattet sind,<br />
weil sie keine Angehörigen<br />
hatten.<br />
25
noch“, sagt Polizist Matthies und zeigt<br />
auf ein Boonekamp-Fläschchen im Gebüsch.<br />
Olafs Tod wird für seine Freunde<br />
greifbar, Ute Müller weint. „Wir hätten<br />
ihm so gerne geholfen“, sagt sie.<br />
Woran Olaf gestorben ist, weiß<br />
niemand so genau. „Es ist keine Obduktion<br />
erfolgt, weil keine Hinweise auf<br />
eine Straftat vorlagen“, erklärt ein Polizeisprecher.<br />
„Wahrscheinlich“ sei die<br />
Todes ursache multiples Organversagen<br />
ge wesen. Staatsanwältin Nana Frombach<br />
hatte vor einem Jahr noch andere<br />
Worte gefunden: „Mutmaßlich ist der<br />
Mann nach extremem Alkoholabusus<br />
verstorben“, schrieb sie Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Die Parkbank<br />
am Venusberg,<br />
auf der Olaf starb.<br />
Daneben liegen<br />
die kleinen<br />
Schnapsflaschen,<br />
die Polizist Dirk<br />
Matthies schon<br />
an Olafs<br />
Todestag dort<br />
gefunden hatte.<br />
Wahrscheinlich, mutmaßlich: So genau<br />
will man es nicht wissen, wieso ein Obdachloser<br />
auf offener Straße verstorben<br />
ist. Gerade im Winter ist es oft die verhängnisvolle<br />
Mischung aus Kälte und<br />
Alkohol, die Menschen auf der Straße<br />
das Leben kostet, nachdem sie durchs<br />
soziale Netz gefallen sind. „Er war wetterfest<br />
gekleidet, aber nicht ausreichend,<br />
um stundenlang draußen zu<br />
sein“, erinnert sich Dirk Matthies. War<br />
Olaf also ein Kältetoter? Ist das nicht<br />
von öffentlichem Interesse? Es gab keine<br />
Pressemitteilung der Polizei, niemand<br />
außer Hinz&<strong>Kunzt</strong> berichtete<br />
darüber. Olaf starb für sich allein.<br />
26<br />
Sein Leben begann im Juni 1958 in<br />
Osnabrück. Olafs Kindheit sei „ganz<br />
normal“ gewesen, erzählt Ute Müller:<br />
der Vater ziemlich streng, die Mutter<br />
dafür umso lieber. Seine Wünsche hätten<br />
sie ihm immer erfüllt.<br />
Die Müllers kannten Olaf seit den<br />
frühen 1970ern. Damals kam er in dieselbe<br />
Schule wie Ute und Klaus. Er war<br />
begeisterter Basketball-Spieler, die beiden<br />
gingen oft in die Sporthalle und<br />
schauten seine Spiele an. Anschließend<br />
feierten sie die Siege ausgiebig gemeinsam<br />
in der Kneipe. Die Aufmerksamkeit<br />
durch den Sport genoss Olaf: „Er<br />
wollte immer im Mittelpunkt stehen“,<br />
sagt Ute. „So war er immer schon.“<br />
Es war kein Leben, bei dem ein<br />
Ende auf einer Parkbank absehbar gewesen<br />
wäre. Nach seiner Schlosserlehre<br />
blieb Olaf noch eine Zeit lang bei<br />
seinen Eltern wohnen. 1983 lernte er<br />
Margarete kennen, seine große Liebe.<br />
Drei Jahre später heirateten die beiden.<br />
Finanziell war es anfangs knapp, denn<br />
als Schlosser verdiente Olaf nicht viel.<br />
„Aber sie haben sich durchgekämpft“,<br />
erzählt Ute Müller.<br />
Und es ging weiter bergauf, Olaf<br />
landete beim Theater. Ein Bekannter<br />
hatte ihm einen gut bezahlten Job als<br />
Bühnentechniker verschafft, später
„Er war immer<br />
sofort da, wenn<br />
man Hilfe<br />
brauchte.“ UTE MÜLLER<br />
war nur noch sich selber wichtig“, sagt<br />
Ute. Immer wieder habe er sich über<br />
Kontaktanzeigen und das Internet neue<br />
Frauen gesucht, doch die Beziehungen<br />
zerbrachen wieder. Und auch die<br />
Freundschaft zu Ute und Klaus zerbrach<br />
über die Jahre. Beruflich lief es<br />
letztlich auch schlecht für Olaf, er verlor<br />
seine Anstellung beim Theater.<br />
Dann der Neustart in Hamburg.<br />
Olafs neuer Job hier sollte im Januar<br />
2013 beginnen. Er schrieb, dass er eine<br />
Anstellung in der renommierten Staatsoper<br />
gefunden hätte: „Nur noch büro,<br />
keine schlepperei mit instrumenten.“<br />
Eine Spur. Vielleicht wissen seine früheren<br />
Kollegen, wieso Olaf auf der Straße<br />
gelandet ist. Michael Bellgardt, Pressesprecher<br />
der Staatsoper, schaut für<br />
uns in die Personalakten. Ergebnis: Olaf<br />
hat dort nie gearbeitet. „Vielleicht hat<br />
er etwas erzählt, das er sich wünschte,<br />
aber nicht der Realität entsprach“, sagt<br />
Bellgardt.<br />
Ein Schwindel also. Passt das zu<br />
Olaf ? Früher habe er zwar immer gerne<br />
dick aufgetragen: „Er wollte immer besser<br />
dastehen, als er war“, sagt Ute Müller.<br />
Einmal habe er sogar einen Kredit<br />
aufgenommen, um den Müllers zu zei-<br />
wurde er dort Orchesterwart. „Er<br />
brauchte Leute um sich, sonst wäre er<br />
zugrunde gegangen“, erzählt Ute. Deswegen<br />
habe er den Job am Theater so<br />
geliebt: wegen der vielen Menschen!<br />
„Das fand er richtig toll!“<br />
Die Freundschaft mit den Müllers<br />
war intensiv. Sie fuhren gemeinsam in<br />
den Urlaub und übernahmen gegenseitig<br />
Patenschaften für die Kinder. „Er<br />
war wirklich ein guter Freund“, sagt<br />
Ute. „Immer sofort da, wenn man Hilfe<br />
brauchte.“<br />
20 Jahre lang. „Und irgendwann<br />
ging das dann kaputt.“ 1995 starb Olafs<br />
Ehefrau Margarete. Die große Wende<br />
in seinem Leben. Danach fing er an,<br />
immer mehr zu trinken und seinen<br />
Freunden Geschichten zu erzählen, die<br />
sich später als unwahr erwiesen. „Er<br />
Regelmäßig<br />
besuchte Olaf<br />
die Alimaus am<br />
Nobistor (oben).<br />
Im Januar 2015<br />
hat er drei Wochen<br />
lang in der Notunterkunft<br />
Pik As<br />
übernachtet.<br />
27
gen, dass er auch in den Urlaub fliegen<br />
kann. „Aber Lügen? Nein!“, sagt sie.<br />
Vielleicht hat er sich geschämt, dass er<br />
keinen Job mehr hatte, vermuten seine<br />
Freunde. Vielleicht brach Olaf den<br />
Kontakt zu ihnen ab, weil sein Lügengebäude<br />
einzustürzen drohte. Denn seine<br />
Patentochter Nadine, die Tochter von<br />
Ute und Klaus, fragte Olaf, ob sie ihn in<br />
Hamburg besuchen könnten. Anfang<br />
2014 war das. Eine Antwort kam nie.<br />
Das Thermometer zeigte keine drei<br />
Grad, als Olaf im <strong>November</strong> 2016<br />
starb. Das Winternotprogramm kann<br />
man von der Bank am Venusberg fast<br />
sehen, so nah ist es. Hier hätte er ein<br />
„Er ist mal hier gewesen“:<br />
Im Cafée<br />
mit Herz (oben) war<br />
Olaf bekannt. An<br />
seinem Grab auf<br />
dem Öjen dorfer<br />
Friedhof<br />
kommen Ute und<br />
Klaus die Tränen.<br />
Bett für die kalte Nacht bekommen<br />
können. Manchmal hat er dort übernachtet.<br />
Auch in der Notunterkunft Pik<br />
As war er mal drei Wochen lang. Wieso<br />
in dieser <strong>November</strong>nacht nicht? Man<br />
kann nur spekulieren. „Vielleicht hat er<br />
nicht mehr klar gedacht und mitbekommen,<br />
wie gefährlich es war, draußen zu<br />
sein“, glaubt sein Freund Bruno, der<br />
mit ihm ein halbes Jahr lang Platte gemacht<br />
hat. Denn Alkohol hat Olaf<br />
auch in Hamburg viel getrunken.<br />
Inzwischen antwortet Olafs Freund<br />
nicht mehr auf Nachfragen, aber ein<br />
paar Informationen haben wir von ihm<br />
bekommen. Die beiden seien jeden Tag<br />
28<br />
in der Alimaus gewesen, einer Essensausgabe<br />
für Obdachlose nahe der<br />
Reeper bahn. „Vielleicht wissen sie dort<br />
ein wenig mehr“, schrieb Bruno.<br />
Und tatsächlich: Alimaus-Leiterin<br />
Christiane Hartkopf kann sich noch<br />
gut an Olaf erinnern und lädt die Müllers<br />
ans Nobistor ein. „Er war einer, der<br />
mit seinen Geschichten gerne mal einen<br />
ganzen Tisch unterhalten hat“, sagt sie.<br />
„Ja, Geschichten erzählen, das hat er<br />
gerne gemacht“, pflichtet ihr Klaus<br />
Müller bei. Früher schon, wenn sie mit<br />
den Basketballern in der Kneipe waren.<br />
Olaf konnte aber auch ganz anders:<br />
„Sobald wir draußen im Park gesessen<br />
haben, war er ein ganz ruhiger und<br />
ernsthafter Mensch“, erzählt Hartkopf.<br />
Dann habe er von seinem Alltag auf<br />
der Straße berichtet, „wie beschissen er<br />
das alles findet“.<br />
Manchmal habe er auch versucht,<br />
vor seinem Alltag zu fliehen. „Er war<br />
an guten Tagen bemüht, sich abzugrenzen“,<br />
sagt Hartkopf. Dann sei er in<br />
einen anderen Stadtteil gefahren, raus<br />
aus St. Pauli, weg von seinen Trinkerfreunden.<br />
Manchmal sei er aber auch<br />
so betrunken gewesen, dass er sich aus<br />
Scham nirgends habe blicken lassen.<br />
Olaf hatte Christiane Hartkopf<br />
auch eine Geschichte dazu erzählt, wie
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Leben&Tod<br />
ENGAGIEREN<br />
TAUFEN<br />
An den Magellan-<br />
Terrassen in der<br />
Hafencity hat Olaf<br />
angeblich Platte<br />
gemacht. „Wenn<br />
man vernünftig<br />
angezogen ist,<br />
fällt man hier nicht<br />
auf“, sagt Klaus.<br />
SINGEN<br />
PFLEGEN<br />
TRAUERN<br />
INFORMIEREN<br />
HEIRATEN<br />
Das Leben<br />
steckt voller<br />
Fragen.<br />
er angeblich auf der Straße gelandet ist:<br />
„Eine Frau hat ihn aus der Wohnung<br />
geschmissen und er kam dann an seine<br />
Sachen nicht mehr ran“, sagt sie. „Auch<br />
an seine Finanzen nicht.“ Seiner Patentochter<br />
hatte Olaf geschrieben, dass<br />
„sein Schatz“ Bankkauffrau sei und wisse,<br />
„was richtig ist“. Deswegen wolle er<br />
sein angelegtes Geld mit nach Hamburg<br />
nehmen. Gab es diese Frau wirklich?<br />
Hat sie ihn tatsächlich um sein Erspartes<br />
gebracht? „Das wäre ja Wahnsinn.<br />
Dann hätte er von heute auf morgen<br />
nichts mehr gehabt“, sagt Klaus. „Abgestürzt“,<br />
sagt Ute.<br />
„Es tut richtig<br />
gut, dass sich<br />
Leute an ihn<br />
erinnern.“ UTE MÜLLER<br />
Die beiden gehen über die Reeperbahn,<br />
vorbei an vielen Obdachlosen,<br />
die vor den Häusern liegen. Dass ihr<br />
Freund Olaf am Ende auch so gelebt<br />
hat, kann sich das Ehepaar kaum<br />
v orstellen. Beim Cafée mit Herz, einer<br />
Obdachloseneinrichtung am anderen<br />
Ende vom Kiez, fragen wir nach Olaf.<br />
Ein tätowierter Mann namens Locke<br />
erkennt ihn auf dem Foto, das wir dabeihaben.<br />
„Er ist mal hier gewesen,<br />
aber das ist lange her“, sagt Locke.<br />
Damals habe Olaf Hilfsangebote abgelehnt.<br />
Sogar eine Wohnung wollten sie<br />
ihm organisieren, doch Olaf habe das<br />
nicht gewollt: „Da hat er ’ne Mauer<br />
gemacht.“ Ute Müller wundert sich.<br />
„Das passt doch gar nicht“, sagt sie.<br />
Olafs Zuhause ist in den letzten<br />
Jahren offenbar die Hafencity gewesen.<br />
Hier hat die Polizei mal hier, mal<br />
dort seine Personalien überprüft, meist<br />
weil es Streit gab. Alimaus-Leiterin<br />
Hartkopf hat er erzählt, dass er an den<br />
Magellan-Terrassen Platte gemacht habe.<br />
Von dort blicken Ute und Klaus<br />
Müller nun auf die Elbphilharmonie,<br />
rechts und links die Luxuswohnungen<br />
der Hafencity. „Vielleicht ist Olaf hier<br />
hingegangen, um dahinten mal rauszukommen“,<br />
sagt Klaus. Und Ute vermutet:<br />
„Vielleicht brauchte er das Gefühl,<br />
nicht ganz unten angekommen zu sein.“<br />
Näher kommen wir an Olaf nicht<br />
heran. Gerne hätten die Müllers noch<br />
mehr über das Schicksal ihres Freundes<br />
erfahren. Zum Beispiel, was er in den<br />
letzten Monaten seines Lebens gemacht<br />
hat. Denn in der Alimaus wurde er<br />
zuletzt im Sommer 2016 gesehen. „Ein<br />
bisschen fehlt noch“, sagt Ute.<br />
Im <strong>November</strong> will sie mit ihrer<br />
Familie noch einmal nach Hamburg<br />
kommen, dann wird an Olafs Tod bei<br />
einem Gottesdienst für verstorbene<br />
Wohnungslose gedacht. „Es tut richtig<br />
gut, dass sich Leute an ihn erinnern können“,<br />
sagt Ute Müller. Olaf starb zwar<br />
allein, aber vergessen ist er nicht. •<br />
benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />
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29
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Zahlen des Monats<br />
Die Straße macht krank<br />
Obdachlose sterben<br />
viel früher<br />
Durchschnittlich<br />
51 Jahre<br />
waren die Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer alt, die in den vergangenen Jahren starben. Das ergibt sich aus<br />
einer internen Auswertung der Lebensdaten von 97 Hinz&Künztlern, die zwischen 2011<br />
und 2016 verstorben sind. Laut einer Studie des Hamburger Instituts für Rechtsmedizin<br />
von 2006 beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung Hamburger Obdachloser<br />
sogar nur 46,5 Jahre (aktuellere Daten liegen nicht vor). Zum Vergleich:<br />
Der Durchschnitts-Hamburger stirbt laut Statistischem Landesamt mit 78 Jahren.<br />
„Das Leben auf der Straße ist extrem ungesund“, sagt Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiter<br />
Stephan Karrenbauer. „Die Menschen sind permanent Wind, Regen, Kälte, Schmutz<br />
und der Gefahr von Überfällen ausgesetzt, haben keine Tiefschlafphasen.<br />
Manche konsumieren Drogen wie Alkohol, um das zu ertragen. Und vielen ist das<br />
Gefühl für den eigenen Körper komplett abhanden gekommen.“<br />
Etwa die Hälfte aller Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer lebt wieder in einer Wohnung,<br />
zudem bedeutet der Verkauf des Straßenmagazins soziale Anbindung. Beides dürfte die im<br />
Vergleich zu Obdachlosen etwas höhere Lebenserwartung erklären. „Auf der Straße können<br />
Krankheiten zum Tod führen, die eigentlich leicht behandelbar sind. Da wird aus einer<br />
harmlosen Erkältung schnell eine Lungenentzündung“, sagt Stanislaw Nawka. Der Allgemeinmediziner<br />
arbeitet seit mehr als 20 Jahren ehrenamtlich für das Krankenmobil der Caritas,<br />
eine rollenden Arztpraxis, die Obdachlosen kostenlose medizinische Grundversorgung anbietet.<br />
Zwar gibt es in Hamburg inzwischen sogenannte Schwerpunktpraxen, die sich speziell<br />
um Obdachlose kümmern. Das Kernproblem lösen können sie jedoch nicht,<br />
so Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiter Karrenbauer: „Auf der Straße kann eine Krankheit nicht<br />
auskuriert werden.“ Die 18 Betten, die die Caritas-Krankenstube speziell Obdachlosen anbietet,<br />
sind deshalb im Einzelfall Gold wert – reichen aber bei Weitem nicht aus und<br />
sind eben nur Akuthilfe. Karrenbauer fordert: „Obdachlose brauchen eine Wohnung,<br />
in der sie zur Ruhe kommen können – wie jeder andere Mensch auch.“ •<br />
TEXT: ULRICH JONAS<br />
ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />
Kontakt: ulrich.jonas@hinzundkunzt.de<br />
31
Leben&Tod<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>297</strong>/NOVEMBER <strong>2017</strong><br />
Leben auf<br />
dem Friedhof<br />
In einem riesigen Friedhofsviertel mitten in<br />
Kairo haben sich Tausende Menschen angesiedelt –<br />
um dort Seite an Seite mit den Toten zu leben.<br />
TEXT UND FOTOS: REUTERS/ASMAA WAGUIH<br />
Zu Hause in der Stadt der<br />
Toten: Eine Frau säubert<br />
eine Grabstelle. Ihre Küchenutensilien<br />
trocknen derweil<br />
an der frischen Luft.<br />
32
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Leben&Tod<br />
Stadt der Toten – so nennen die Ägypter<br />
den weitläufigen Friedhof inmitten<br />
der Hauptstadt Kairo. Dabei ist es eine<br />
Stadt der Lebenden: Tausende von Menschen<br />
haben sich zwischen den Gräbern<br />
angesiedelt. Denn es herrscht Wohnungsnot<br />
in Kairo. 22 Millionen Einwohner leben<br />
hier und in den Einzugsgebieten, Tendenz<br />
steigend. Und so ziehen auch immer mehr<br />
Menschen in die Nekropole.<br />
Vor rund 1000 Jahren wurde der Friedhof<br />
in der Nähe der Al-Azhar-Moschee gegründet.<br />
Er ist somit der älteste Friedhof der<br />
Einige Familien<br />
leben hier seit drei<br />
Generationen.<br />
Stadt. Heute bildet er für viele seiner Bewohner<br />
die Lebensgrundlage: Sie kümmern sich<br />
um die Gräber, heben neue Gräber aus oder<br />
verkaufen Blumen an die Besucher, die am<br />
Freitag den Toten ihre Referenz erweisen.<br />
Andere, die inmitten der Grabsteine leben,<br />
sind Kupferschmiede und Teppichweber, die<br />
ihr Kunsthandwerk auf dem Kairoer Touristenmarkt<br />
Chan el-Chalil verkaufen. Wieder<br />
andere verdienen ihr Geld damit, dass sie die<br />
Menschen in der Stadt der Toten versorgen.<br />
Wie der Barbier, der die männlichen Anwohner<br />
vor dem Freitagsgebet rasiert. Ein Mann<br />
verkauft frisches Gemüse von seinem Pferdewagen<br />
herunter, ein Motorradfahrer handelt<br />
mit Milch.<br />
33
34
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Leben&Tod<br />
Ein Barbier rasiert<br />
einem Nekropolis-<br />
Bewohner den Bart,<br />
und frisch gewaschene<br />
Wäsche trocknet<br />
auf der Leine, während<br />
in der Nähe ein<br />
Toter bestattet wird.<br />
Ein Mann schläft<br />
draußen zwischen den<br />
Grabsteinen. Dass die<br />
Toten direkt neben ihm<br />
ruhen, stört ihn nicht.<br />
Einige Familien leben hier, weitab von<br />
der Hektik der Hauptstadt, schon seit<br />
drei oder mehr Generationen. So wie<br />
„Ein Leben mit<br />
den Toten ist<br />
einfach und<br />
komfortabel.“<br />
NASSRA MUHAMED ALI<br />
Hisham, der vor 45 Jahren mit seiner<br />
Mutter in die Gegend zog. Er wohnt<br />
seither auf dem Friedhof und stellt<br />
Teppiche her, um seinen vier Söhnen<br />
35<br />
eine Ausbildung zu ermöglichen. Einer<br />
von ihnen hat inzwischen ein IT-Studium<br />
abgeschlossen.<br />
Nassra Muhamed Ali lebt seit ihrer<br />
Geburt in der Stadt der Toten. Ihre<br />
Eltern zogen nach der Hochzeit hierher,<br />
um als Friedhofspfleger zu arbeiten.<br />
Jetzt wohnt Nassra noch mit ihren<br />
zwei Brüdern und ihrer 16 Jahre alten<br />
Tochter zwischen den Gräbern. „Das<br />
Leben mit den Toten ist sehr einfach<br />
und komfortabel“, sagt die 47-Jährige.<br />
„Es sind die Lebenden, die einem Schaden<br />
zufügen.“<br />
Doch Nassra gibt zu, dass die relative<br />
Ruhe der Gegend auch ihre Schattenseiten<br />
hat. Einige von außerhalb des<br />
Viertels würden den Friedhof nutzen,<br />
um mit Drogen zu handeln. Auch Diebstahl<br />
sei hier ein Problem. Trotzdem<br />
beurteilen viele das Leben in der Stadt<br />
der Toten positiv: Eine Frau erzählt,<br />
dass sie ihre beiden Töchter besucht<br />
hat, die in den Elendsvierteln am Rand<br />
von Kairo wohnen. Seither wisse sie<br />
den Platz und die Ruhe erst richtig zu<br />
schätzen, hier, in ihrem Zuhause in der<br />
Nekropole.<br />
•<br />
Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Danke:<br />
Mit freundlicher Genehmigung von INSP<br />
News Service www.INSP.ngo / Reuters<br />
Übersetzt aus dem Englischen<br />
ins Deutsche von Brita Fiess, M.A.
Leben&Tod<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>297</strong>/NOVEMBER <strong>2017</strong><br />
1. D a de los Muertos<br />
Nicht nur in seinem Ursprungsland<br />
Mexiko, auch in Hamburg wird<br />
jedes Jahr der Día de los Muertos<br />
gefeiert: Am 4. und 5.11. kann man<br />
im Museum für Völkerkunde bei<br />
3. Buch Epuriel<br />
Wie kann man Kindern einfühlsam<br />
den Tod erklären? Die Autorin Marion<br />
Burs und die Illustratorin Angela<br />
Brandt-Migge wählen dafür in<br />
ihrem Buch „Epuriel“ einen kleinen<br />
Engel, der sich auf himmlische Mission<br />
begibt. Von jedem verkauften<br />
Buch geht 1 Euro als Spende an das<br />
Kinder-Hospiz Sternenbrücke.<br />
Mehr Infos: www.epuriel.de<br />
Unser Gedenkbaum<br />
auf dem<br />
Öjendorfer Friedhof.<br />
Traditionell werden<br />
am Día de los<br />
Muertos bunte<br />
Kostüme getragen …<br />
mexikanischem Essen nächtliche<br />
Totenwache feiern oder bunte<br />
Zuckertotenköpfe selbst herstellen.<br />
Mehr Infos: www.huklink.de/ddm<br />
2. Friedhofsf hrung<br />
Das Hamburger Bestattungsforum<br />
lädt am 6.11. zu einer kostenlosen<br />
Führung ein, bei der alle Fragen<br />
zum Thema letzte Ruhestätte<br />
beantwortet werden sollen. Gezeigt<br />
werden die Abschiedshallen und<br />
-räume, die Urnenkrypta und das<br />
Kolumbarium. Auch in das Krematorium<br />
kann man hineinschauen.<br />
Dauer: 1,5 Stunden. Anmeldung erbeten<br />
unter 59 38 87 04<br />
… und aus Zuckerwürfeln<br />
kleine Totenköpfe<br />
gebastelt.<br />
Trost &<br />
Trauer<br />
Anregungen für<br />
den Umgang mit einem<br />
schwierigen Thema.<br />
4. Beratungsstelle Charon<br />
Seit 1989 beraten hier sozialpädagogische<br />
Fachkräfte Menschen, die<br />
trauern oder Angehörige haben,<br />
die schwer krank sind. Das Angebot<br />
reicht vom „Letzte Hilfe Kurs“ über<br />
Trauerbegleitung am Arbeitsplatz<br />
bis zur Unterstützung bei individuellen<br />
Fragen.<br />
Mehr Infos: www.huklink.de/charon<br />
5. Friedhofsgefl ster<br />
Wie sind unsere Vorfahren mit den<br />
Themen Sterben, Tod und Trauer<br />
umgegangen? Warum musste man<br />
damals bis zur Beerdigung Wache<br />
am Toten halten? Solche Fragen<br />
klärt die Grabrednerin Anja<br />
Kretschmer bei ihren Führungen<br />
über den Ohsldorfer Friedhof<br />
in Hamburg oder über andere<br />
Fried höfe im ganzen Land.<br />
Erkenntnis gewinn garantiert.<br />
Termine: www.anja-kretschmer.de<br />
6. Trauern um Obdachlose<br />
Jedes Jahr an Totensonntag gedenken<br />
wir der Hinz&Künztler, die in<br />
diesem Jahr gestorben sind. Musik<br />
erklingt, eine kurze Andacht wird<br />
gehalten und die Namen aller Verstorbenen<br />
werden noch einmal laut<br />
vorgelesen. Treffpunkt ist am 26.11.<br />
um 14 Uhr am Feierraum Nord auf<br />
dem Öjendorfer Friedhof. Am selben<br />
Tag findet um 15 Uhr in der<br />
Hauptkirche St. Petri, Bei der Petrikirche<br />
2, ein Gottesdienst zum Gedenken<br />
an einsam Verstorbene statt.<br />
Um 18 Uhr wird in St. Bonifatius,<br />
Am Weiher 29, bei einem ökumenischen<br />
Gottesdienst Wohnungsloser<br />
gedacht, die <strong>2017</strong> verstorben sind.<br />
7. Death Caf<br />
Frei von der<br />
Leber weg<br />
über den Tod<br />
reden: Beim<br />
Death Café<br />
des Netzwerks<br />
Trauerkultur<br />
geht das.<br />
Bis zu fünf Mal<br />
jährlich findet es in<br />
Hamburg statt. Das nächste Death<br />
Café ist für Ende Januar 2018 geplant.<br />
Ort: siehe Website. Eintritt:<br />
kostenlos.<br />
Infos: www.netzwerk-trauerkultur.de<br />
36
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Meldungen (2)<br />
Politik & Soziales<br />
Bundesagentur für Arbeit<br />
Geflüchtete in Norddeutschland<br />
Immer mehr Menschen<br />
Hamburg lehnt deutlich<br />
haben Zweitjobs<br />
mehr Asylanträge ab<br />
Knapp 3,2 Millionen Menschen in Im Vergleich zu den benachbarten<br />
Deutschland reicht ein Job nicht Bundesländern gewährt Hamburg<br />
mehr zum Leben aus. Aktuelle Zahlen<br />
zeigen, dass so viele Menschen im teten aus Syrien, Afghanistan, Irak<br />
prozentual deutlich weniger Geflüch-<br />
März <strong>2017</strong> mindestens zwei Arbeitsplätze<br />
hatten. Das geht aus einer Ant-<br />
Im ersten Halbjahr <strong>2017</strong> wurden in<br />
und Eritrea Schutz in Deutschland.<br />
wort der Bundesagentur für Arbeit Hamburg nur 45,5 Prozent der<br />
auf eine Anfrage der Linken im Bundestag<br />
hervor. „Die scheidende Bun-<br />
entschieden. In Bremen wiederum<br />
Asylanträge von Afghanen positiv<br />
desregierung hinterlässt den Arbeitsmarkt<br />
in krasser Schieflage, mit 63,3 Prozent, in Schleswig-Holstein<br />
lag die Zahl im gleichen Zeitraum bei<br />
Millionen Menschen, die in prekären bei 54,5 Prozent. Deutlich höher als<br />
Verhältnissen leben müssen“, kritisiert in Hamburg ist die Ablehnungsquote<br />
die arbeitsmarktpolitische Sprecherin nur in Sachsen, Brandenburg, Bayern<br />
Sabine Zimmermann. Die Entwicklung<br />
sei dramatisch. Noch vor<br />
obwohl in ihrer Heimat Bürgerkrieg<br />
und Baden-Württemberg. Und<br />
zehn Jahren wäre etwa eine Million herrscht, wurde in diesem Jahr sogar<br />
Menschen weniger auf eine zweite sieben Syrern das Recht auf Asyl<br />
Arbeit angewiesen gewesen. JOF<br />
•<br />
abgesprochen. JOF<br />
•<br />
Die EZ-App<br />
FOTOS: MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE HAMBURG/STEFAN WIRBLAT, THIES IBOLD,<br />
MAURICIO BUSTAMANTE; LOGO: DEATH CAFÉ HAMBURG<br />
IG Metall<br />
Forderung nach<br />
28-Stunden-Woche<br />
Die Einführung einer 28-Stunden-<br />
Woche und sechs Prozent mehr<br />
Lohn. Nicht mehr und nicht weniger<br />
fordert die IG Metall in der anstehenden<br />
Tarifrunde in der Metall- und<br />
Elektroindustrie mit ihren 3,9 Millionen<br />
Beschäftigten. Die Arbeitgeber<br />
sind aufgebracht. Der Präsident des<br />
Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall,<br />
Rainer Dulger, bezeichnet die Forderung<br />
als „rückwärtsgewandt statt zukunftsorientiert“.<br />
Doch anders als in<br />
den Arbeitskämpfen um die 35-Stunden-Woche<br />
in den 1980er-Jahren<br />
geht es heutzutage nicht mehr um<br />
weniger Arbeit bei gleichem Lohn.<br />
Die IG Metall will lediglich erreichen,<br />
dass Arbeitnehmer bestimmen<br />
können, wann sie wie viel arbeiten.<br />
Wie viele Arbeitnehmer bei geringerem<br />
Verdienst tatsächlich auch weniger<br />
arbeiten würden, ist unklar. JOF<br />
•<br />
37<br />
Ombudsfrau<br />
Stoltenberg kritisiert Umgang<br />
mit jungen Geflüchteten<br />
Nach 100 Tagen im Amt hat die<br />
Ombudsfrau in der Flüchtlingsarbeit<br />
den Umgang der Stadt mit jungen<br />
Geflüchteten kritisiert. Sie würden<br />
ab ihrem 18. Geburtstag oft direkt<br />
als Erwachsene behandelt, obwohl<br />
eigent lich Übergangszeiten eingeräumt<br />
werden könnten, sagte die<br />
frühere Landespastorin und H&K-<br />
Herausgeberin Annegrethe Stoltenberg:<br />
„Es ist sehr schwierig, wenn ein<br />
junger Mensch dann aus seiner WG<br />
gerissen wird und in eine öffentlichrechtliche<br />
Unterkunft kommt.“ Sie<br />
kritisierte auch, dass viele Geflüchtete<br />
viel länger in engen Erstaufnahmen<br />
leben müssten als vorgesehen. BELA<br />
•<br />
Mehr Infos und Nachrichten unter:<br />
www.hinzundkunzt.de<br />
Genießen Sie die App<br />
der Evangelischen Zeitung.<br />
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WOCHEN<br />
GRATIS<br />
TESTEN<br />
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0431-55 77 99
Toiletten für alle!<br />
Die Leute von Goldeimer haben eine Mission: Sie kämpfen für<br />
eine bessere Welt – mithilfe von Komposttoiletten und Klopapier.<br />
TEXT: ULRICH JONAS<br />
FOTOS: LENA MAJA WÖHLER (S. 40) UND GOLDEIMER<br />
38
SERIE<br />
Die Besser-Verdiener<br />
Kleine, geile Firmen,<br />
die sozial wirtschaften<br />
Besser-Verdiener<br />
Jetzt kann man auf manchen Festivals<br />
Gutes tun, wenn man aufs Klo geht:<br />
Zwei Euro kostet der Gang auf<br />
die „Goldeimer“-Komposttoilette<br />
mit gleichnamigem Klopapier.<br />
Am Anfang steht ein fieser<br />
Durchfall im tiefsten Westafrika:<br />
Malte Schremmer,<br />
Geografiestudent aus Kiel,<br />
bekommt 2011 die Gelegenheit, vor<br />
Ort die Arbeit der Welthungerhilfe<br />
kennenzulernen. Seit Jahren engagiert<br />
er sich für deren Partner „Viva con<br />
Agua“, veranstaltet Benefizpartys für<br />
Trinkwasserprojekte. Nun lernt er einen<br />
Teil der Welt kennen, in dem Klos<br />
keine Selbstverständlichkeit sind, sondern<br />
eine Rarität. „Das war krass: Ich<br />
habe noch nie so viele Menschen öffentlich<br />
auf Toilette gehen sehen“, erinnert<br />
sich Schremmer. „Im Gebüsch, am<br />
Straßenrand, neben dem Bus …“ Als<br />
ihn ein heimtückischer Magen-Darm-<br />
Virus erwischt, erfährt der Student den<br />
Mangel am eigenen Leib, bricht die<br />
Reise vorzeitig ab – und beginnt, über<br />
Toiletten nachzudenken.<br />
39<br />
Sechs Jahre später sitzt der 30-Jährige<br />
auf einem Sofa in der „Alten Mu“ in<br />
Kiel – sein Arbeitsplatz, wenn er nicht<br />
in Hamburg ist – und lässt die Geschichte<br />
schmunzelnd Revue passieren. Ein<br />
paar Schritte weiter, in der Holzwerkstatt<br />
der ehemaligen Kunsthochschule,<br />
hat Schremmer mit Mitstreitern den<br />
ersten Prototyp einer mobilen Komposttoilette<br />
gebastelt – sozusagen die<br />
Geburtsstunde der Firma „Gold eimer“.
In dieser Serie<br />
bereits erschienen<br />
Bridge&Tunnel (Mai <strong>2017</strong>)<br />
LemonAid (Juni <strong>2017</strong>)<br />
tricargo (Juli <strong>2017</strong>)<br />
FahrradGarderobe (September <strong>2017</strong>)<br />
Weberei Hamburg (Oktober <strong>2017</strong>)<br />
Vom Geografiestudent zum Start-up-Unternehmer: Malte Schremmer<br />
hatte erst Durchfall und dann die Idee zu Goldeimer. Jetzt wollen er und seine<br />
Mitstreiter Komposttoiletten für den Katastrophenschutz entwickeln.<br />
Möglich machten das die 3000 Euro<br />
Preisgeld eines Uni-Ideenwett bewerbs<br />
und Schremmers Professor, der die Gedanken<br />
des Studenten zuvor in die richtigen<br />
Bahnen gelenkt hatte: „Schau mal,<br />
wo hier die Probleme liegen!“, meinte er<br />
trocken, als Schremmer erzählte, er wolle<br />
seine Bachelorarbeit über die Sanitärversorgung<br />
in Westafrika schreiben.<br />
Schremmer forscht also zum Potenzial<br />
von Komposttoiletten auf hiesigen<br />
Open-Air-Veranstaltungen – und stellt<br />
fest, dass „dort ganz schön viel Scheiße<br />
passiert“. Der Klassiker auf dem Festival<br />
ist die Dixie-Toilette: praktisch,<br />
hässlich und wegen der Chemikalien<br />
und der energieaufwendigen Entsorgung<br />
eine Umweltsünde. Die gute<br />
Alternative dazu, so die Erkenntnis des<br />
Studenten, sind eine Komposttoilette<br />
und ein Becher Sägespäne nach jedem<br />
Klogang – „so entsteht nicht der bissige<br />
Geruch des Ammoniaks“. Zwar ist die<br />
Entsorgung des Toiletteninhalts kein<br />
Selbstgänger – die deutsche Abfallverordnung<br />
hat dafür bis heute keine<br />
Bezeichnung – doch gibt es immerhin<br />
einige Verwertungsanlagen, die ihn abnehmen<br />
und daraus Kompost machen.<br />
Es geht Schremmer aber um mehr:<br />
„Goldeimer“ kompakt<br />
Standort: Hamburg<br />
Gründung: 2014 (als Social Business innerhalb von „Viva con Agua“)<br />
Motto: Toiletten für alle, alle für Toiletten!<br />
Mitarbeiter/Bezahlung: Zwei Vollzeit-Geschäftsführer mit 1330 Euro Bruttolohn<br />
monatlich, zwei Teilzeitkräfte, 25 Saisonarbeiter (Studenten) mit 11 Euro Stundenlohn,<br />
gut 200 Ehrenamtliche<br />
Finanzierung: Für den Bau von 80 Komposttoiletten bekam „Goldeimer“ über<br />
die Beteiligungsgesellschaft von „Viva con Agua“ 145.000 Euro Darlehen von Großspendern,<br />
die in Raten zurückgezahlt werden sollen. Jahresumsatz rund 200.000<br />
Euro, zuletzt schrieb „Goldeimer“ erstmals eine schwarze Null in der Bilanz.<br />
Internet: www.goldeimer.de und www.vivaconagua.org<br />
Er will „die Toilette aus der Schmuddelecke<br />
rausholen“, sagt: „Man muss jeden<br />
Tag aufs Klo gehen. Warum hat das<br />
dann so ein schlechtes Image?“<br />
Also basteln die Uni-Preisträger eine<br />
Prachttoilette aus Holz, kaufen sich<br />
einen alten VW-Transporter – und<br />
überreden Festival-Veranstalter, ihrer<br />
Idee eine Chance zu geben: eine Toilette,<br />
die nicht nur ökologisch, sondern<br />
angenehm ist. Die im Innern nach<br />
Lavendel duftet und von außen mit ausgewählter,<br />
selbst aufgelegter Musik bespielt<br />
wird. Die Veranstalter kostet das<br />
nichts, die Gäste sollen zwei Euro pro<br />
Toilettengang zahlen oder 15 Euro<br />
„Flatrate“ fürs gesamte Festival. Die<br />
ersten Reaktionen waren heftig, erzählt<br />
Schremmer: „Was? Zwei Euro? Das ist<br />
ja frech!“ Doch mit der Zeit änderte<br />
sich die Resonanz. Immer häufiger hieß<br />
es: „So geil hab ich noch nie gekackt!“<br />
Die „Wohlfühloase“ ist Mittel zum<br />
Zweck. So will Malte Schremmer mit<br />
Menschen ins Gespräch kommen über<br />
die Themen, die ihn bewegen, die er<br />
den „globalen Kontext“ nennt. Also<br />
klären „Goldeimer“-Aktivisten Festivalbesucher<br />
nach dem Klogang darüber<br />
auf, dass ein Drittel der Weltbevölkerung<br />
keine Toilette hat. Dass Durchfal-<br />
40
Besser-Verdiener<br />
lerkrankungen in Afrika bei Kindern unter vier Jahren<br />
die Todesursache Nummer eins sind. Und dass laut<br />
Weltbank jeder Dollar, der in Klos investiert wird, auf<br />
lange Sicht 20 Dollar einbringt. „Das Wichtigste ist, dass<br />
wir darüber reden“, sagt Schremmer. „Denn bei der<br />
Toilette fängt vieles an. Zum Beispiel Gesundheit.“ Kein<br />
Wunder, dass „Viva con Agua“ das Projekt 2014 unter<br />
seine Fittiche nahm: Ohne vernünftige Sanitärversorgung<br />
kann es kein sauberes Trinkwasser geben.<br />
Auf gut 20 Festivals sind sie diesen Sommer gewesen,<br />
haben mit Zehntausenden gesprochen. „Wenn nur<br />
jeder Zehnte sich erinnert, bleibt was hängen“, sagt<br />
Malte Schremmer. Um seine Botschaften noch breiter<br />
streuen zu können, hat „Goldeimer“ 2016 ein eigenes<br />
Toilettenpapier auf den Markt gebracht – erhältlich in<br />
jeder „Budni“-Filiale und im Internet. Zu 100 Prozent<br />
„Hier geht es darum,<br />
ob Menschen<br />
leben oder sterben.“<br />
MALTE SCHREMMER<br />
aus Recyclingpapier, klar, und 20 Cent pro verkaufter<br />
Packung fließen in den Bau von öffentlichen Toiletten<br />
in Ländern wie Äthiopien. Und weil die Nachfrage so<br />
groß ist, entwickelt die „Goldeimer“-Crew derzeit auch<br />
einen Toiletten-Prototypen speziell für Kleingärtner.<br />
Der ist „Testballon“ und gleichzeitig Teil eines<br />
ehrgeizigen Plans: Schremmer und Mitstreiter wollen<br />
Komposttoiletten entwickeln, die in der Katastrophenhilfe<br />
einsetzbar sind, etwa um den Ausbruch von Cholera-Epidemien<br />
zu verhindern. Der Weg ist noch weit,<br />
vor allem die Entsorgung bereitet Probleme, weil in<br />
Krisengebieten die Kooperationspartner fehlen. Eine<br />
selbst entwickelte, mobile Anlage, die den Toiletteninhalt<br />
vor Ort verarbeitet, könnte die Lösung sein.<br />
Doch was kann „der Motor“ der Anlage sein? Temperatur?<br />
Mikro-Organismen? „Wir sind am Recherchieren“,<br />
sagt Schremmer und weiß: Der Einsatz lohnt. „Hier<br />
geht es darum, ob Menschen leben oder sterben.“ •<br />
Kontakt: ulrich.jonas@hinzundkunzt.de<br />
Am 19.11. ist Welttoilettentag der UNO.<br />
Infos unter www.welthungerhilfe.de/welttoilettentag.html<br />
ZWEI SCHNAUZEN<br />
FÜR EIN HALLELUJA!<br />
Die Redaktionshunde Bronwyn und Barney saßen Modell für<br />
den Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Adventskalender. Auch wenn sich hinter den<br />
24 Türchen keine Leckerlis verbergen, sondern Schokolade.<br />
24 Türchen mit Bio-Fairtrade-Schokolade,<br />
ohne Plastik-Inlay, also komplett als Altpapier recycelbar.<br />
Von Postalo. Preis: 11,90 Euro. Schnell bestellen unter<br />
www.hinzundkunzt.de/shop<br />
41
Freunde<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>297</strong>/NOVEMBER <strong>2017</strong><br />
Im Jahr 2030 soll die<br />
Köhlbrandbrücke abgerissen<br />
werden. Bis dahin<br />
kann man noch ein Mal<br />
jährlich drüberjoggen.<br />
Sich selbst und<br />
anderen Gutes tun<br />
Immer wieder lassen sich Menschen Tolles einfallen, um die Arbeit von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> zu unterstützen. Dabei kann man sich sogar ganz gut amüsieren.<br />
Fest steht: Jeder noch so kleine Betrag hilft. Vier Beispiele.<br />
TEXT: ANNETTE WOYWODE<br />
FOTO: CHRISTOPH SEEMANN<br />
Auf die Brücke, fertig, los!<br />
Schietwetter, aber egal: Tausende Hamburger<br />
haben auch in diesem Jahr<br />
wieder beim Köhlbrandbrückenlauf<br />
mitgemacht. Beim Joggen konnten sie<br />
obendrein Gutes für andere tun, denn<br />
wer wollte, hat auf der Strecke ein<br />
Spendentor passiert. Es zu durchqueren<br />
bedeutete in diesem Jahr die automatische<br />
Einwilligung, zwei Euro an<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> zu spenden. Rund 5000<br />
Euro kamen so für das Projekt zusammen.<br />
Eine stolze Summe, die der Organisator<br />
des Laufs, die Marathon Hamburg<br />
Veranstaltungs GmbH, auf 6000<br />
Euro aufstockte.<br />
Warum Hinz&<strong>Kunzt</strong>? „Wir sind<br />
Hamburger“, so Jessica Hardtmann.<br />
Da habe das Straßenmagazin nahegelegen.<br />
Zwar gäbe es viele tolle Projekte,<br />
aber „wir wollen den Betrag lieber<br />
gezielt einsetzen und nicht in mehrere<br />
kleine Teile stückeln“.<br />
Für den sportlichen Einsatz bedanken<br />
wir uns sehr herzlich. •<br />
Infos zum Köhlbrandbrückenlauf 2018<br />
unter www.koehlbrandbrueckenlauf.de<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />
42
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Bücherschätze für wenig Geld<br />
In Büchern stöbern, hier und da mal<br />
reinlesen und für wenig Geld was zum<br />
Schmökern mit nach Hause nehmen:<br />
Das war möglich beim ersten Bücherflohmarkt<br />
von Hinz&<strong>Kunzt</strong> und der<br />
Rathauspassage. Das gemeinnützige<br />
Projekt wurde ebenfalls von Ex-Landespastor<br />
Stephan Reimers gegründet. Da<br />
die Rathauspassage im U- und S-Bahntunnel<br />
Jungfernstieg unter anderem ein<br />
Antiquariat betreibt, ist sie ein perfekter<br />
Partner für einen Bücherflohmarkt.<br />
Dass der ein Erfolg wurde, verdanken<br />
wir aber vor allem Ihnen – unseren<br />
Lesern! Sie haben so viel gut erhaltene<br />
und interessante Lektüre zum Verkauf<br />
beigesteuert, dass 240 Euro für die Rathauspassage<br />
und Hinz&<strong>Kunzt</strong> zusammengekommen<br />
sind. Danke auch an alle<br />
Helfer: unser Ehrenamtlichen-Team,<br />
die Mitarbeiter der Rathauspassage<br />
und Hinz&Künztler Uwe, der seit Jahren<br />
vor der Passage seinen Verkaufsplatz<br />
hat. •<br />
Eingelocht in Buxtehude<br />
Kleiner Club, großes Herz: 40 Sportler<br />
kamen Anfang Oktober zum Golfen<br />
Freunde<br />
auf Gut Immenbeck zusammen, um<br />
zugunsten von Hinz&<strong>Kunzt</strong> die Schläger<br />
zu schwingen. Das Benefizturnier<br />
wurde von Irmhild und Lutz Heller<br />
s owie dem Vorsitzenden des Buxtehuder<br />
Clubs, Heiko Schüßler, organisiert.<br />
Bestes Wetter, eine Extra-Tombola und<br />
top motivierte Teilnehmer brachten<br />
2280 Euro ein. Wir bedanken uns für<br />
das tolle Ergebnis!<br />
•<br />
Rebellion auf der Bühne<br />
Turid Müller ist zwar Diplompsychologin.<br />
Ihr Therapieansatz ist aber vor<br />
allem, Menschen zum Lachen zu<br />
bringen: mit Musikkabarett. In ihrem<br />
Programm „Teilzeitrebellin“ greift die<br />
ausgebildete Schauspielerin politische<br />
und gesellschaftliche Themen auf. Bei<br />
zwei Vorstellungen im Sprechwerk hatte<br />
sie obendrein Hinz&<strong>Kunzt</strong> auf dem<br />
Schirm: Nach jeder Show ging der<br />
Spendenhut für uns herum. Dabei wurden<br />
insgesamt 330 Euro gesammelt.<br />
Wir danken der Künstlerin, Stephan<br />
Sieveking am Klavier und dem Publikum<br />
für die Unterstützung! •<br />
Infos zu Turid Müller unter<br />
www.chanson-kabarett.de<br />
JA,<br />
ICH WERDE<br />
MITGLIED<br />
IM HINZ&KUNZT-<br />
FREUNDESKREIS.<br />
Damit unterstütze ich die<br />
Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Meine Jahresspende beträgt:<br />
60 Euro (Mindestbeitrag für<br />
Schüler/Studenten/Senioren)<br />
100 Euro<br />
Euro<br />
Datum; Unterschrift<br />
Ich möchte eine Bestätigung<br />
für meine Jahresspende erhalten.<br />
(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />
Meine Adresse:<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Nr.<br />
PLZ, Ort<br />
Telefon<br />
E-Mail<br />
Beruf<br />
Geburtsjahr<br />
Einzugsermächtigung:<br />
Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />
Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />
Dankeschön<br />
Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />
IBAN<br />
Wir danken allen, die im Oktober an<br />
uns gespendet haben, sowie allen Mitgliedern<br />
im Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
für die Unterstützung unserer Arbeit!<br />
DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />
• IPHH • wk it services<br />
• Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
• Hamburger Tafel • Axel Ruepp Rätselservice<br />
• Hamburger Kunsthalle<br />
• bildarchiv-hamburg.de<br />
• Tobias Freund und seinen Gästen anlässlich<br />
der Geburtstagsfeier zum 40.!<br />
• Unser neuer Kinospot kommt von der<br />
Werbeagentur Kolle Rebbe und dem<br />
Fotografen Sven Schrader.<br />
Außerdem waren das Studio Funk für die<br />
Vertonung/Mischung und Harvest Digital<br />
Agriculture GmbH für Grading und Erstellung<br />
der Kinokopie zuständig.<br />
NEUE FREUNDE:<br />
• Karl-Dieter Beer • Robin Drexler<br />
• Diana Hafemann • Dr. Marius Hoßbach<br />
• Lino Kolb • Harri Küchenmeister<br />
• Katja Losleben • Dagmar Mahlstedt<br />
• Georg Wenetiadis • Hetta Witt<br />
• Desirée Hansmeier<br />
BIC<br />
Bankinstitut<br />
Wir versichern, dass Ihre Angaben nur für interne<br />
Zwecke bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> verwendet werden. Ihre<br />
Mitgliedschaft im Freundeskreis ist jederzeit kündbar.<br />
Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />
Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />
Oder online im Freundeskreis anmelden unter<br />
www.hinzundkunzt.de/freundeskreis<br />
43<br />
HK <strong>297</strong>
Buh&Beifall<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>297</strong>/NOVEMBER <strong>2017</strong><br />
Was unsere Leser meinen<br />
„Es gibt Dinge, für die der Staat Geld ausgeben sollte.“<br />
Unsichtbare Zelte<br />
H&K Online und Seite 14, „Wo sollen wir<br />
schlafen?“<br />
Man muss leider davon ausgehen,<br />
dass die Zelte unter der Brücke toleriert<br />
werden, weil sie dort für die meisten<br />
Touristen und Hamburger unsichtbar<br />
sind. Das erinnert ein wenig an das Verhalten<br />
von Olaf Scholz nach dem G20-<br />
Gipfel, der ja auch als Einziger keine<br />
Polizeigewalt erkennen konnte. Wie ein<br />
Kind, das sich die Hand vor die Augen<br />
hält und dann denkt, nun könnte man<br />
es nicht mehr sehen. Die Probleme der<br />
„Kennedys“ zu lösen wäre vielleicht ein<br />
sinnvollerer Ansatz als Vertreibung und<br />
Repression.<br />
CLAUS<br />
In den Niederlanden ist Obdachlosigkeit<br />
verboten. Es sind falsche Gesetze,<br />
die die Menschen auf der Straße<br />
schlafen lassen. Die Wohncontainer<br />
könnten 365 Tage im Jahr Tag und<br />
Nacht für Obdachlose zur Verfügung<br />
gestellt werden. Sicherlich ist das teuer<br />
– keine Frage. Aber es gibt Dinge, für<br />
die der Staat Geld ausgeben kann und<br />
sollte.<br />
IRA KATJUSHA KIBERMANIS<br />
Ich habe gelesen, dass die Behörde<br />
Obdachlose vertreiben will. Können<br />
Sie nicht bei den Zelten gegen den Umgang<br />
mit den Obdachlosen protestieren?<br />
Dann dürfte doch erst mal nicht<br />
geräumt werden, wenn die Obdachlosen<br />
Protestschilder haben. Eine Demo<br />
ist in der Demokratie erlaubt, und das<br />
allgemeine Gleichbehandlungsgesetz<br />
würde vor der Räumung schützen. Der<br />
Umgang mit Obdachlosen in Deutschland<br />
ist eine Frechheit. Obdachlosigkeit<br />
ist weder ein Verbrechen noch eine<br />
Schande.<br />
DAVID HESSE<br />
Nur ein Erfrierungsschutz<br />
H&K online und Seite 15, „Zwei-Klassen-<br />
Prinzip für Obdachlose“<br />
Wenn ich das Wort Winternotprogramm<br />
lese, gehen bei mir die Alarmglocken<br />
an. Wir sollten es meiden, von<br />
einem Programm zu sprechen oder zu<br />
schreiben. Das ist nur ein Erfrierungsschutz,<br />
nicht mehr und nicht weniger.<br />
Politische Programme haben Hand und<br />
Fuß, ein Erfrierungsschutz nicht.<br />
ERICH HEEDER<br />
Viele Denkanstöße<br />
H&K 295 Dodo Dronte<br />
Als begeisterter Gelegenheitsleser<br />
Ihrer Zeitschrift fiel mir in obiger Ausgabe<br />
zum ersten Mal Dodo Dronte auf<br />
– eine tolle Idee. Comicseiten wie diese<br />
sind nicht selten, aber selten erlebe ich<br />
einen Comic, der nicht nur eine derartig<br />
überraschende Wendung nimmt,<br />
sondern mir dermaßen viele Denkanstöße<br />
gibt. Warum reagieren wir peinlich<br />
berührt auf Fragen von Kindern,<br />
warum verstellen wir uns, wenn wir jemanden<br />
mögen?<br />
SÖNKE JÄGER<br />
Leserbriefe geben die Meinung des<br />
Verfassers wieder, nicht die der Redaktion.<br />
Wir behalten uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />
DER ETWAS<br />
ANDERE STADTRUNDGANG<br />
MIT CHRIS UND HARALD<br />
Wir trauern um<br />
Enrico Cinque<br />
28. März 1957 – September <strong>2017</strong><br />
Enrico war seit 2005 Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer. Seit langer Zeit hatte<br />
er seinen Verkaufsplatz vor Erdkorn in der Sülldorfer Landstraße.<br />
Mitte September erlag er seiner schweren Krankheit.<br />
Die Verkäufer und das Team von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Hamburg hat viele Seiten – wir zeigen eine, die in keinem<br />
Reiseführer steht. Unsere Stadtführer zeigen Anlaufstellen<br />
für Obdachlose in der Hamburger Innenstadt. Die beiden<br />
Hinz&Künztler kennen das Leben auf der Straße aus eigener<br />
Erfahrung und geben bei der zweistündigen Tour authentische<br />
Einblicke in den Alltag von Wohnungslosen.<br />
Anmeldung: Bequem online unter<br />
www.hinzundkunzt.de oder<br />
Telefon: 040/32 10 83 11<br />
Kostenbeitrag: 10/5 Euro<br />
Nächste Termine:<br />
12. und 26.11.<strong>2017</strong>, 15 Uhr<br />
trostwerk<br />
andere bestattungen<br />
Tel: 040 / 43 44 27 11<br />
Osterstraße 149, HH Eimsbüttel
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Nachzuhören: Klaas Heufer-Umlauf und Mark Tavassol zeigen mit der Band Gloria klare Kante (S. 46).<br />
Nachzulesen: Jutta Bauer erklärt Jugendlichen in einem Buch, wieso es Armut gibt (S. 50).<br />
Nachzufühlen: Hinz&Künztler Adam hat sich beim Verkaufen verliebt – und ist Vater geworden (S. 58).<br />
Breakdancer aus ganz Europa treten<br />
am 18. <strong>November</strong> im Mojo Club an<br />
der Reeperbahn gegeneinander an.<br />
Wer sich traut, kann mitmachen:<br />
Der Wettbewerb ist offen für alle (S. 55).<br />
FOTO: SASCHA NIETHAMMER
„Nicht so die<br />
Rumhäng-Typen“:<br />
Wenn Klaas Heufer-<br />
Umlauf (links) und<br />
Mark Tavassol an<br />
Songs ihrer Band<br />
Gloria feilen, wird<br />
hart gearbeitet.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
IMMER<br />
NOCH DA!<br />
Als Klaas Heufer-Umlauf mit dem „Wir sind Helden“-Musiker Mark Tavassol<br />
eine Band gründete, dachten viele: Das wird ein kurzer Spaß. Nun hat<br />
„Gloria“ das dritte Album veröffentlicht. Ernst nehmen die Freunde auch ihr soziales<br />
Engagement abseits der Bühne. Zeit für Scherze bleibt trotzdem.<br />
TEXT: SIMONE DECKNER<br />
FOTO: ANDREAS HORNOFF<br />
Aufblende, das Video zu „Immer<br />
noch da“: Irgendein<br />
Gemeindesaal in irgendeinem<br />
Kaff irgendwo in<br />
Deutschland. Zwischen anderen Dorfbewohnern<br />
sitzen Klaas Heufer-Umlauf<br />
und Mark Tavassol an einem Holztisch,<br />
da rauf stehen zwei halbleere<br />
Gläser Bier, in ihrem Rücken klebt eine<br />
Raufasertapete mit Blumendruck an<br />
der Wand. Der bürgerliche Muff<br />
kriecht in der fiktiven Szene aus allen<br />
Ritzen.<br />
Vorn machen zwei Jugendliche<br />
Musik, sie tragen Masken. Ein Trick,<br />
aus der Not geboren: Der glatzköpfige,<br />
deutschlandfahnenliebende und bieraufoffenerdorfstraßesaufende<br />
Vater des<br />
einen hat etwas dagegen, dass sein<br />
Junge sich mit einem gleichaltrigen Geflüchteten<br />
abgibt. „Was soll der rechte<br />
Winkel in deinem Garten? Was haben<br />
die Quadrate auf unseren Karten nur<br />
verloren. Wir wurden doch anders geboren“,<br />
singt Gloria im Off. Als das<br />
Lied endet, ziehen die Jugendlichen<br />
langsam ihre Masken vom Kopf. Ihre<br />
Väter im Saal gucken sie an, fragend.<br />
Ist da ein Lächeln zu erkennen?<br />
Ortswechsel: ein Hinterhofbüro in<br />
einer ehemaligen Fabrik in Altona.<br />
Klaas Heufer-Umlauf und Mark Tavassol<br />
sitzen jetzt an einem Tisch, vermutlich<br />
Ikea. Statt Biergläsern stehen<br />
darauf Wasserflaschen von Viva con<br />
Agua, keine Raufasertapete, es riecht<br />
nach gar nichts.<br />
Sie wollen über ihr neues Album<br />
reden: „DA“ heißt es, in Großbuchstaben,<br />
damit auch jeder kapiert, dass die<br />
jetzt so schnell nicht mehr weggehen.<br />
Als erste Single haben sie „Immer noch<br />
da“ ausgekoppelt, mit diesem Video, in<br />
dem sie sich klar positionieren: gegen<br />
Rechts. „Die Aussage könne leider ja<br />
nicht aktueller sein“, sagt Klaas und<br />
schüttelt den Kopf, ganz so, als könnte<br />
er die negativen Gedanken damit loswerden.<br />
Gerade erst hat die AfD mit<br />
Parolen wie „Wir holen uns unser Land<br />
zurück“ Wahlkampf gemacht. Dass sie<br />
drittstärkste Kraft werden, steht erst<br />
nach dem Interview fest.<br />
Politisch war Gloria schon immer:<br />
In Liedern wie „Geister“ zeigen der<br />
34-jährige Heufer-Umlauf und Mark<br />
Tavassol (43), was sie von Neonazis und<br />
anderen Rechtsaußen halten. 2015<br />
brachten sie beim Bundesvision Song<br />
Contest mehrere als Rostock-Lichtenhagen-Nazis<br />
ausstaffierte Posaunisten in<br />
Nationalelf-Trikot und mit vollgepisster<br />
Jogginghose auf die Bühne.<br />
Als Klaas Anfang des Jahres in der<br />
NDR Talkshow eine spontane Brandrede<br />
über den drohenden Zerfall der<br />
47<br />
Europäischen Union hielt („Wir sind<br />
die dümmste Generation, wenn wir Europa<br />
kaputtmachen“), erntet er viel Zuspruch<br />
und Respekt von jenen, die den<br />
gelernten Friseur noch immer nur als<br />
durchgeknallte Type kannten, der sich<br />
aus Übermut schon mal Botox in Form<br />
eines Donuts unter die Stirn spritzen<br />
lässt oder auf einem aktiven Vulkankrater<br />
Ski fährt – alles geschehen für<br />
ENGAGIERT:<br />
GLORIA ZEIGT<br />
KLARE KANTE<br />
GEGEN RECHTS.<br />
seine Show „Duell um die Welt“ an der<br />
Seite von Joko Winterscheidt. Bei langen<br />
Autofahrten während der Dreharbeiten<br />
spielte Klaas ihm zuletzt die<br />
neuen Gloria-Songs vor.<br />
Klaas und Mark lernten sich auch<br />
durch den Job kennen (als Mark noch<br />
bei „Wir sind Helden“ spielte) und<br />
merkten schnell: Da verbindet uns<br />
noch mehr. Das Interesse für Politik,<br />
gesellschaftliche Veränderungen, die
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>297</strong>/NOVEMBER <strong>2017</strong><br />
Das Video zu Glorias Song „Immer noch da“<br />
spielt in der deutschen Provinz. Der Vater<br />
eines Jungen hat etwas dagegen, dass sein<br />
Sohn sich mit einem Geflüchteten abgibt.<br />
Deswegen machen die beiden heimlich Musik.<br />
Und lassen die Masken erst beim Konzert fallen.<br />
leisen Töne – dass sie über ähnliche<br />
Dinge lachen können, schadete auch<br />
nicht. Immer wieder werfen sie sich<br />
während des Interviews die Bälle zu,<br />
wie es nur Menschen machen, die sich<br />
blind verstehen. Sie reden viel, so entstehen<br />
auch ihre Texte. Da macht es<br />
auch nichts, dass Klaas mit seiner Familie<br />
in Berlin und Mark mit seiner in<br />
Hamburg lebt. Sie wissen ihre Zeit zu<br />
nutzen. „Wir sind beide nicht so die<br />
Rumhäng-Typen, dann fangen wir<br />
eben um 9 Uhr morgens an“, sagt<br />
Klaas. „Heute war er hier der Erste:<br />
eine halbe Stunde zu früh“, lobt Mark<br />
seinen Bandkollegen.<br />
„Alles, was ich brauche, ist deine<br />
Angst, komm schließ deine Augen und<br />
gib mir die Hand, denn jemand wird<br />
sich freu’n wenn ich mein böses Blut<br />
verbreite, meine Lügen sind die erste<br />
Wahl, und hinter meinem Rücken sind<br />
eure Tränen so egal“, heißt es in „Erste<br />
Wahl“, einem weiteren, neuen Song.<br />
„Wir spielen mit dem Begriff ,Erste<br />
Wahl‘“, sagt Mark Tavassol und nimmt<br />
einen Schluck aus der Wasserflasche.<br />
„Es geht dabei nicht nur um Erstwähler,<br />
es geht auch darum: Was ist die<br />
erste Wahl von Menschen? Wir haben<br />
ein enormes Defizit an politischer Bildung.<br />
Das spiegelt sich wider in einer<br />
absurden Entscheidung, wen man<br />
wählt, einer menschenverachtenden<br />
Entscheidung – und da kann man auch<br />
ganz klar AfD sagen.“<br />
Klaas konnte sich kürzlich sogar ein<br />
persönliches Bild von der AfD machen,<br />
genauer: von Spitzenkandidatin Alice<br />
Weidel. Vor der Wahl schickte ihn Pro<br />
Sieben für die Sendung „Ein Mann,<br />
eine Wahl“ zu Martin Schulz, Christian<br />
Lindner, Cem Özdemir – und zu Weidel.<br />
Doch die Begegnung machte den<br />
erklärten SPD-Anhänger nicht schlauer:<br />
„Frau Weidels Überzeugung und<br />
ihre Motivation sind mir weiterhin sehr<br />
unklar“, sagt er. Sie habe kontrolliert<br />
gewirkt, übervorsichtig. „Sie ist dafür<br />
FILMSTILLS: GRÖNLAND RECORDS / WWW.HUKLINK.DE/GLORIA<br />
48
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
angestellt, das Bürgerliche und Sympathische<br />
zu präsentieren“, sagt er. Das<br />
stehe jedoch im krassen Widerspruch<br />
zu ihren Reden, die eine Mischung aus<br />
„Ausländer raus!“ und „Wir rocken<br />
Deutschland!“ seien. „Ich habe den<br />
Eindruck, dass sie nicht echt ist.“<br />
Kein Fake ist hingegen, dass Mark<br />
und Klaas sich abseits der Bühne sozial<br />
engagieren. Mark, der noch während<br />
„WIR HABEN<br />
EIN GROSSES<br />
DEFIZIT AN<br />
POLITISCHER<br />
BILDUNG.“<br />
KLAAS HEUFER-UMLAUF<br />
der Anfänge von „Wir sind Helden“ als<br />
Arzt im Praktikum arbeitete, ist Gründungsstifter<br />
von Viva con Agua. Der<br />
Hamburger lernte die Non-Profit-<br />
Organisation um den Ex-St.-Pauli-Profi<br />
Benny Adrion kennen, als er bei einem<br />
Benefizspiel für sie kickte. Eine Begegnung,<br />
die ihn nachhaltig beeindruckte.<br />
Klaas unterstützt die Stiftung Deutsche<br />
Knochenmarkspende und machte Werbung<br />
für die Aktion „Freude fürs Leben“,<br />
die Suizidprävention stärker in<br />
die Öffentlichkeit bringen will. „Da<br />
geht es um Hilfe zur Selbsterkenntnis,<br />
für Freunde und Familienangehörige“,<br />
sagt Klaas, der seinen Prominentenstatus<br />
dazu nutzen möchte, „dieses Thema<br />
aus der dunklen Ecke zu holen“. Kaum<br />
jemand etwa wisse, dass jedes Jahr mehr<br />
Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle<br />
sterben.<br />
Seinen Freund Mark hält es bei<br />
diesen Sätzen kaum auf seinem Stuhl:<br />
„Wenn man im Internet in Foren zum<br />
49<br />
Thema herumstöbert, kommt immer<br />
schnell einer, der sagt: ,Selber schuld, so<br />
ein Lappen! Feige!‘ Man sieht es auch<br />
beim Fußball, wie der Mensch tickt. Einer<br />
bringt sich um, alle sind betroffen.<br />
Drei Wochen später werden wieder<br />
Leute auf dem Platz durchgehend beschimpft<br />
und ausgepfiffen, nur weil sie<br />
mal eine Schwalbe gemacht haben. Das<br />
ist so sinnbildlich für die Meise, die<br />
die meisten Leute haben: diese Unaufgeklärtheit!“<br />
Mark hat sich in Rage geredet.<br />
Klaas sitzt neben ihm, hört aufmerksam<br />
zu, nickt zustimmend. Über<br />
ihre Musik haben sie schon seit 20<br />
Minuten nicht mehr geredet.<br />
Das überlassen sie jetzt wieder den<br />
anderen. Im Dezember gehen sie auf<br />
große Deutschlandtour, machen auch<br />
in Hamburg halt. Hier hatten sie 2013<br />
ihren ersten Auftritt auf dem Reeperbahnfestival,<br />
kurze Zeit später traten sie<br />
beim 20. Geburtstag von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
auf. Spielten sie anfangs noch vor ein<br />
paar Hundert Neugierigen, buchen sie<br />
jetzt die größeren Hallen. „Das hätte<br />
auch ganz anders gehen können“, ist<br />
sich Mark jedoch bewusst. „Die erste<br />
Platte war die große Weiche. Die hat<br />
den Leuten gefallen, wobei das nicht<br />
heißt: eine fette, ausverkaufte Tour mit<br />
Goldstatus, sondern: hinten anstellen.“<br />
Klaas lacht: „Ich kann mich an ein<br />
Konzert erinnern in Stuttgart. Da war<br />
viel Platz und man konnte genau sehen,<br />
wer mit wem da ist, weil so Grüppchen<br />
zusammenstanden.“ Diese Zeit ist vorbei.<br />
Die Zeit von Gloria? Noch lange<br />
nicht, wenn man Mark und Klaas so<br />
reden hört.<br />
•<br />
Kontakt: simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />
Das Album DA ist bereits erschienen bei<br />
Grönland (Rough Trade). Konzert am<br />
Fr, 15.12., in der Großen Freiheit, Große<br />
Freiheit 36, 19 Uhr, Tickets ab 33,35 Euro<br />
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PVRIS<br />
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ROMANO<br />
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THE IRISH FOLK FESTIVAL<br />
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ÜBERJAZZ FESTIVAL<br />
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<br />
<br />
<br />
SEVEN<br />
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PUBLIC SERVICE BROADCASTING<br />
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MAGNUS LINDGREN<br />
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FIVE FINGER DEATH PUNCH / IN FLAMES<br />
<br />
IVY QUAINOO<br />
<br />
JOHANNES OERDING<br />
<br />
STONE SOUR<br />
<br />
ENTER SHIKARI<br />
<br />
ELTON JOHN & BAND<br />
<br />
TORFROCK<br />
<br />
JAKE BUGG<br />
<br />
STEREOPHONICS<br />
<br />
A-HA<br />
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GALANTIS<br />
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ERASURE<br />
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AT THE DRIVE IN<br />
<br />
JASON DERULO<br />
<br />
DEINE FREUNDE<br />
<br />
THE SCRIPT<br />
<br />
LUDOVICO EINAUDI<br />
<br />
MICHAEL PATRICK KELLY<br />
TICKETS: KJ.DE
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>297</strong>/NOVEMBER <strong>2017</strong><br />
Selbst schuld<br />
oder was?<br />
Öffentlich über Armut und Reichtum zu sprechen, ist zunächst eines: heikel. Und ein bisschen<br />
peinlich. Für ein Buchprojekt hat die Illustratorin Jutta Bauer Schüler gebeten, trotzdem unangenehme<br />
Fragen zu stellen – an Politiker, Promis, Wissenschaftler, Straßenkids oder Hinz&Künztler.<br />
TEXT: FRANK KEIL<br />
ILLUSTRATIONEN: JUTTA BAUER; FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />
Warum gibt es Armut?<br />
Wie wird man reich?<br />
Dürfen Arme klauen<br />
und sind sie selbst<br />
schuld an ihrer Lage? Lange trug sich<br />
die Illustratorin Jutta Bauer mit der<br />
Idee, mal ein schönes Frage-Antwort-<br />
Buch zum Thema Armut mit Jugendlichen<br />
für Jugendliche zu machen.<br />
Die Idee dazu kam ihr schon 2008.<br />
Damals plante sie mit der Kinder- und<br />
Jugendbuchautorin Kirsten Boie das<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Kinderbuch „Ein mittelschönes<br />
Leben“. Es erklärt, warum es<br />
Menschen gibt, die mitten unter uns<br />
auf der Straße leben.<br />
Nun wurde die Idee wieder wach:<br />
Jutta Bauer fand am Goethe-Gymnasium<br />
in Lurup Schüler, die sich Dutzende<br />
von Fragen ausdachten – schnörkellos<br />
und direkt. Schwieriger war es, unterschiedliche<br />
Antwortgeber aus Politik,<br />
Wirtschaft und Gesellschaft zu finden.<br />
Erst nach und nach<br />
trauten sich einige der<br />
Angeschriebenen aus<br />
der Deckung: Prominente<br />
wie der Musiker<br />
Samy Deluxe, Sozialsenatorin<br />
Melanie Leonhard<br />
oder die Politikerinnen<br />
Ulla Jelpke<br />
von der Linken und<br />
Katja Suding von der<br />
FDP schrieben den<br />
Schülern zurück. Ein<br />
Bischof antwortete,<br />
ein Armutsforscher,<br />
ein Wirtschaftswissenschaftler,<br />
eine Islamwissenschaftlerin.<br />
Und<br />
jemand, der sich mit<br />
dem Buddhismus bestens auskennt: wo<br />
es die Auffassung gibt, dass man arm<br />
wird, wenn man in seinem früheren Leben<br />
etwas falsch gemacht hat.<br />
„Wir hätten so<br />
gerne Antworten<br />
von richtig Reichen<br />
gehabt, auch von<br />
doofen Reichen; die<br />
sagen: ,Hauptsache,<br />
mir geht es gut.<br />
Und ich hätte gerne<br />
noch einen vierten<br />
Porsche!‘“, sagt Jutta<br />
Bauer. Besonders<br />
Auskünfte von Fußballprofis<br />
aus der<br />
Bundesliga hätten<br />
die Schüler sehr interessiert.<br />
Aber –<br />
nichts zu machen.<br />
Nur Absagen. „Vor<br />
allem Leute, die viel<br />
50<br />
Geld haben, möchten nicht darüber reden“,<br />
ergänzt sie.<br />
Immerhin ist es gelungen, Basketballstar<br />
Dirk Nowitzki als Antwortgeber<br />
zu gewinnen. Der in schöner Offenheit<br />
bekennt, er würde sich immer wieder<br />
wundern, dass man fürs Körbewerfen<br />
so viel Geld bekommt. Der aber auch<br />
viel von seinem Geld gleich wieder abgibt:<br />
für seine beiden Stiftungen, die er<br />
gegründet hat. So wie auch der Unternehmer<br />
Michael Horbach vom Erlös<br />
seiner verkauften Firma etwa Brunnen<br />
in Afghanistan bauen lässt. Die Reichen,<br />
die im Buch Auskunft geben,<br />
„sind alles die guten Reichen, die wohltätig<br />
sind“, lacht Jutta Bauer.<br />
Das Buch präsentiert aber nicht nur<br />
in leicht verständlicher Form verschiedene<br />
Meinungen, wie Armut entsteht<br />
und wie man sie abschaffen könnte.<br />
Vor allem im ersten Teil merkt man<br />
vielen Antworten an, dass man Beden-
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
ken hatte, etwas Falsches zu sagen!<br />
Öffentlich über Armut und Reichtum zu<br />
sprechen, ist zunächst eines: heikel. Und<br />
auch ein bisschen unangenehm.<br />
Im zweiten Teil wird es entschieden<br />
rauer. Jetzt kommen Hinz&Künztler zu<br />
Wort, Besucher des Cafée mit Herz<br />
oder die Straßenkinder, die beim Träger<br />
„Kids“ eine Anlaufstation gefunden<br />
haben. „Verkrachtes Elternhaus, Heim,<br />
Knast. Typische Karriere“, benennt etwa<br />
Hinz&Künztler Michael seinen bisherigen<br />
Lebensweg. Hinz&Künztlerin<br />
Sonny erzählt: „Ich habe früher einmal<br />
sehr viel geerbt. Eine halbe Million.<br />
Alles versoffen.“ Im Gegenzug haben<br />
sie genauso klare Wünsche, sollten sie<br />
zu Geld kommen: eine Badewanne, ein<br />
kleines Häuschen. Oder 30 Katzen oder<br />
abhauen nach Thailand ins Warme.<br />
„Manchmal haben wir kurz überlegt, ob<br />
wir die Antworten so abdrucken, wie sie<br />
kamen“, gibt Jutta Bauer zu. Wie bei<br />
der Antwort des einstigen Straßen kindes<br />
Hassan, der bekennt, er würde sein<br />
Gangsterleben vermissen: „Scheiße<br />
bauen, dealen, Leute erpressen.“ Das<br />
sei doch das spannendere Leben, auch<br />
wenn er damit abgeschlossen habe.<br />
Und wie so ein Buch bebildern?<br />
„Es wird schnell langweilig, wenn man<br />
einen Armen zeichnet, dann vielleicht<br />
einen Armen, der friert, dann einen<br />
dicken Reichen – wobei, so dick sind<br />
unsere Reichen ja gar nicht“, sagt sie.<br />
Also hat sie es bei wenigen Menschenabbildungen<br />
belassen, lässt lieber Tiere<br />
durch die Seiten wieseln. „Wenn man<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
51<br />
statt eines Menschen<br />
einen Hund zeichnet,<br />
dann kann man auch<br />
mal albern sein.“<br />
Das Buchdesign hat<br />
übrigens die Grafikerin<br />
Katharina J. Haines<br />
übernommen, mit der<br />
Jutta Bauer verwandt<br />
ist. Sie ist die Tochter<br />
einer ihrer Schwestern.<br />
„Wir kommen aus einem<br />
Nest, wir kennen<br />
uns gut, das war sehr<br />
hilfreich“, sagt sie. Und<br />
Katharina J. Haines<br />
sagt: „Ich habe bei der<br />
Arbeit an dem Buch gelernt,<br />
dass ich nicht<br />
peinlich berührt sein muss, wenn ich mal<br />
jemandem, der mich um Geld bittet,<br />
nichts gebe. Und dass ich überhaupt<br />
ganz vernünftig mit ihm reden kann, wie<br />
mit jedem anderen auch.“ •<br />
Kontakt: frank.keil@hinzundkunzt.de<br />
Ein gutes Team: Grafikerin Katharina J.<br />
Haines (links) und Illustratorin Jutta Bauer<br />
(rechts) mit Hinz&Künztlerin Elzbièta,<br />
die für das Buch auf viele Fragen der<br />
Schüler geantwortet hat.<br />
Jutta Bauer (Hrsg.): „Armut – Schüler<br />
fragen nach“, Carlsen Verlag,<br />
160 Seiten, 14,99 Euro.<br />
Buchpremiere: Montag, 13.11.,<br />
18 Uhr; Goldbekhaus, Moorfurthweg 9.<br />
Mit dabei: Jutta Bauer, Sozialarbeiter<br />
Stephan Karrenbauer (Hinz&<strong>Kunzt</strong>),<br />
Stifter Michael Horbach, Pastor Helmer-<br />
Christoph Lehmann, Hinz&Künztler,<br />
Schüler des Goethe-Gymnasiums und<br />
die Band „Rock die Straße“, Eintritt frei<br />
Die<br />
Großuhrwerkstatt<br />
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Kult<br />
Tipps für <strong>November</strong>:<br />
subjektiv und<br />
einladend<br />
Konzert<br />
Omer Klein spielt Jazz ohne Grenzen<br />
In seiner Heimat Israel ist der Jazzpianist<br />
Omer Klein längst ein Star, inzwischen<br />
wird er auch in der internationalen<br />
Szene als aufstrebendes Talent<br />
gefeiert. Mit beeindruckender Lässigkeit<br />
schlägt er den Bogen zwischen traditionellen<br />
Klängen seiner Kindheit im<br />
Nahen Osten und Modern Jazz. Als<br />
musikalischer Kosmopolit macht er sich<br />
einen Namen. Die meiste Zeit des Jahres<br />
tourt er durch die Welt, dazwischen<br />
sind sechs Alben entstanden – zuletzt<br />
„Sleepwalkers“ mit seinem Omer Klein<br />
Trio. Ausgewählte Stücke daraus spielt<br />
der Pianist nun live und solo in einem<br />
Altonaer Kirchenschiff. Außerdem darf<br />
52<br />
Groove und Romantik, Ost und West: Der Pianist<br />
Omer Klein ist in vielen Welten zu Hause.<br />
sich das Publikum beim Konzert in<br />
der Reihe „JazzAmen“ auf schillernde,<br />
federleicht gespielte Improvisationen<br />
und überraschende Neufassungen von<br />
Jazz-Klassikern freuen. •<br />
Kulturkirche Altona, Bei der Johanniskirche<br />
22, Di, 14.11., Einlass 19 Uhr,<br />
Eintritt 27/15 Euro, www.kulturkirche.de
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Ausstellung<br />
Das Tier und wir<br />
Fair sein zu Tieren – was heißt das?<br />
Das MK&G greift mit der Ausstellung<br />
„Tiere“ aktuelle Fragen auf und<br />
gibt Anregungen, über den Respekt<br />
gegenüber Mastvieh oder Schoßhündchen<br />
neu nachzudenken. •<br />
Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz,<br />
ab Fr, 3.11., Di–So, 10–18 Uhr,<br />
Do bis 21 Uhr, Eintritt 8–12 Euro,<br />
www.mkg-hamburg.de<br />
FOTOS: ALEXANDER HEIL, THE YES MEN, ANGERER KRAFFT<br />
Workshop<br />
Lernen von den „Yes Men“<br />
Wie verbessern wir die Welt? Mit List, Witz und Chuzpe versuchen es „The<br />
Yes Men“ – und sind dabei verdammt erfolgreich. Seit ihrem Coup gegen „Dow<br />
Chemicals“, bei dem sich die Aktivisten nach einem Umweltskandal als Konzernvertreter<br />
ausgaben und die verantwortliche Firma vor Millionenpublikum übertölpelten,<br />
gelten Andy Bichlbaum und Mike Bonanno (Pseudonyme) als Kommunikations-Guerilleros<br />
ersten Ranges. In einem Workshop zeigen The Yes Men,<br />
wie ihre Form von Protest funktioniert und was Kommunikationsguerilla in<br />
Krisenzeiten bewirken kann, wenn andere politische Strategien ins Leere laufen. •<br />
Kampnagel, Jarrestraße 20, Di, 7.11., 15 Uhr, Eintritt frei, Anmeldung unter<br />
kasse@kampnagel.de erforderlich, www.kampnagel.de<br />
Theater<br />
Die Rote Zora schlägt sich durch<br />
Auch Politik kann Spaß<br />
machen. Die „Yes Men“<br />
zeigen, wie’s geht.<br />
Wer zu lange nachdenkt,<br />
tut meistens gar<br />
nichts, sagt die Rote<br />
Zora. Auch die anderen<br />
Für die Rote<br />
Straßenkinder in ihrer<br />
Zora gilt nur<br />
Bande fackeln nicht<br />
ein Gesetz:<br />
lange: Sie klauen,<br />
Die Bande<br />
machen kaputt, was<br />
lässt keinen<br />
im Stich.<br />
ihnen im Weg ist, und<br />
reizen die Ordnungshüter<br />
des kroatischen<br />
Hafenstädtchens Senj<br />
bis aufs Blut. Branko<br />
Babi , der neue<br />
Waisenjunge in der<br />
Stadt, ist entsetzt. Doch<br />
schnell merkt er, dass auch er sich an das harte Straßenleben gewöhnen muss.<br />
Und dass Zoras anarchistische Bande seine Rettung sein kann – solange alle<br />
zusammenhalten. Das Thalia inszeniert die Geschichte für alle ab zehn Jahren.<br />
Thalia Theater, Alstertor, ab So, 5.11., 12 Uhr, Eintritt 29/6,50 Euro, www.thalia-theater.de<br />
•<br />
Aktion<br />
Tauschen statt Wegwerfen<br />
Nimm mit! Im temporären Tauschraum<br />
werden Gerümpelstücke zu<br />
gefundenen Schätzen. Während der<br />
Aktion darf jeder fünf Teile – vom<br />
Teppich bis zur Lampe – hinbringen<br />
und fünf für sich selbst aussuchen.<br />
Ein Güterkreislauf ohne Geld. •<br />
Tauschraum, Nordkanalstraße 23,<br />
Mo, 6.11., bis Sa, 18.11., Mo–Fr, 8.30–<br />
17.30 Uhr, Sa, 9–13 Uhr, Eintritt frei,<br />
www.myplace.de<br />
Literatur<br />
Katrin Seddig liest „Das Dorf“<br />
Von wegen ländliche Idylle: In Katrin<br />
Seddigs Buch „Das Dorf“ hat fast<br />
jeder eine Leiche im Keller. Mit<br />
ironischem Witz entlarvt die Autorin<br />
das Kaff als sozialen Brennpunkt.<br />
Zur NDR-Aktion „Der Norden liest“<br />
tritt sie in Hamburg auf. •<br />
Literaturhaus, Schwanenwik 38,<br />
Di, 14.11., 19.30 Uhr, Eintritt 10 Euro VVK,<br />
www.huklink.de/dorf<br />
Unter allen, die bis zum 10.11. eine Mail<br />
an info@hinzundkunzt.de schicken<br />
(Stichwort „Dorf“), verlosen wir zwei mal<br />
zwei Karten.<br />
Konzert<br />
Rockmusik für Freigeister<br />
„Traveller“ heißt die erste Platte der<br />
neuen Hamburger Band „Fheels“,<br />
und so klingt sie auch. Jetzt gibt es die<br />
melancholischen Rockstücke live. •<br />
Hebebühne, Barnerstraße 30, Fr, 10.11.,<br />
Einlass 19 Uhr, Eintritt 10 Euro,<br />
www.fheels.de<br />
53
Kunst<br />
Starthilfe für Künstler und Sammler<br />
„Kunst für alle“ verspricht die Affordable<br />
Art Fair in den Messehallen: 80<br />
Galerien aus Deutschland und anderen<br />
Ländern stellen eine große Bandbreite<br />
an Kunstwerken aus und bieten sie für<br />
„kleines“ Geld zum Kauf an. Starthilfe<br />
gibt die Messe aber nicht nur Sammlern<br />
und solchen, die es werden wollen<br />
– auch aufstrebende Nachwuchskünstler,<br />
teils Studierende, sollen von dem<br />
niedrigschwelligen Zugang zum Kunstmarkt<br />
profitieren. In der Ausstellung<br />
„Emerging Artists“ zeigen drei von<br />
ihnen ihre Werke: Lorenz Goldstein<br />
inszeniert Kommunikationspannen<br />
zwischen einem Wohnungssuchenden<br />
54<br />
Erschwinglich ist relativ: Die Kunst werke bei der<br />
„Affordable Art Fair“ kosten zwischen 100 und 7500 Euro.<br />
und dem vermeintlichen Ver mieter,<br />
Suse Itzel erweckt in einer Videoinstallation<br />
Tapeten und Betten zum Leben,<br />
und Daniel Vier spielt mit der<br />
Sehnsucht nach weiten Landschaften. •<br />
Affordable Art Fair, Messeplatz 1,<br />
16.–19.11., ab 11 Uhr, Eintritt 13–20 Euro,<br />
affordableartfair.com
BILD: TIMO VON EICKEN; FOTOS: EISISDOKU, PRIVAT<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Film<br />
Doku über Obdachlose in Ottensen<br />
„Ein Indianer stirbt im Sitzen“, sagt Lutz, ein Obdachloser vom Hamburger<br />
Kemal-Altun-Platz. Mitten im Winter 1991 beschließt er zu sterben – im Sitzen.<br />
Aber dann bekommt er Hunger und lebt halt weiter. „Ich bin eben kein Indianer“,<br />
sagt Lutz und muss dann doch lachen. So erzählt es der Dokumentarfilm von<br />
Thorsten Siefert, Frank Uphus und Martin Zeschke, bei dem auch ein<br />
Bürgernaher Beamter, der damalige Sozialdezernent und Anwohner zu<br />
Wort kommen. Bei der Vorführung im Lichtmess-Kino sind die Filmemacher<br />
dabei und können erzählen, wie sie damals bei minus sieben Grad auf dem<br />
Kemal-Altun-Platz übernachtet haben. •<br />
Lichtmess-Kino, Gaußstraße 25, Fr, 17.11., 19.30 Uhr, Eintritt 5 Euro, www.eisis-doku.de<br />
Ausstellung<br />
Kunst gegen das Verdrängen<br />
„Kunst trotz(t) Armut“ heißt eine<br />
Wanderausstellung, die im doppelten<br />
Sinn Bilder von Menschen ohne Wohnung<br />
zeigt: Hier hängen die Werke<br />
renommierter Künstler wie Joseph<br />
Beuys und Sigmar Polke gleichberechtigt<br />
neben den Bildern von Künstlern,<br />
die selbst keine Bleibe haben. Gemeinsam<br />
ist ihnen der Anspruch, Armut<br />
und Ausgrenzung der Öffentlichkeit<br />
vor Augen zu führen und Impulse<br />
dagegen zu setzen. Nach jahrelanger<br />
erfolgreicher Tournee – unter anderem<br />
wurde die Ausstellung auf der<br />
Documenta 2012 gezeigt – feiert nun<br />
die Jacobikirche die Vernissage in<br />
Hamburg. Kurator Andreas Pitz führt<br />
durch die Ausstellung. •<br />
St. Jacobi, Jakobikirchhof 22,<br />
ab Do, 23.11. 15 Uhr, Eintritt frei,<br />
www.kunst-trotzt-armut.de<br />
Die Doku „Ein<br />
Indianer stirbt<br />
im Sitzen“ zeigt<br />
das Leben von<br />
Obdachlosen<br />
ohne falsche<br />
Scheu.<br />
Bühne<br />
Starke Moves von der Straße<br />
B-Boys und B-Girls, dies ist euer<br />
Gipfeltreffen: Bei „Enter The Circle“<br />
treten internationale Breakdance-<br />
Combos an, um die Schwerkraft<br />
für ungültig zu erklären. Dass es für<br />
Headspins und Freezes kein Mindestalter<br />
gibt, zeigen die U16-Tänzer<br />
beim 2vs2-Junior.Battle. Beim 3vs3-<br />
Bboy-Battle gehört die Tanzfläche<br />
den Älteren. Bis zum 17. <strong>November</strong><br />
können sich Teams anmelden. •<br />
Mojo Club, Reeperbahn 1, Sa, 18.11.,<br />
15 Uhr, Eintritt 10 Euro (unter 14 Jahren<br />
7 Euro), Anmeldung: enterthecircle@<br />
gmx.de, www.huklink.de/breakdance<br />
Über Veranstaltungstipps bis zum<br />
10. <strong>November</strong> freut sich Annabel<br />
Trautwein: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Kinofilm des Monats<br />
Schlaumeier<br />
ante portas<br />
Der Spruch, man wachse im<br />
Scheitern am besten, ist wie<br />
die Teilnehmerurkunde nach<br />
den Bundesjugendspielen:<br />
ein Trostpflaster. Der Türsteher<br />
des Erfolgs: „Heute nur<br />
mit Clubkarte.“ Auch der<br />
Autor dieser Kolumne kennt<br />
das. Nach meiner Ausbildung<br />
sagte ein Berufsschullehrer<br />
auf die Information,<br />
ich wolle doch gern studieren:<br />
„Nun ja, ich sag es mal<br />
so: Ein Nobelpreisträger wird<br />
nicht aus dir werden.“ Jetzt<br />
erst recht! Ich werde zurückkommen<br />
und mit dem Examen<br />
wedeln! Habe ich gedacht.<br />
Aber nie gemacht.<br />
Was passiert, wenn man<br />
den Gedanken doch in die<br />
Tat umsetzt, zeigt der spanisch-argentinische<br />
Film<br />
„Der Nobelpreisträger“. Als<br />
solcher reist der Autor Daniel<br />
Mantovani in seinen Heimatort,<br />
um die Ehrenbürgerschaft<br />
anzunehmen. Es gibt<br />
Ego-Schnittchen und Seelen-<br />
Balsam, eine Büste wird enthüllt.<br />
Doch nach und nach<br />
zeigt sich, dass nicht jeder im<br />
Ort Mantovani feiert – am<br />
wenigsten die, die sich in seinen<br />
Geschichten wiederzuerkennen<br />
glauben.<br />
Zynisch, teils urkomisch<br />
und mit Gespür für Entfremdung<br />
spielt das Regieduo<br />
Gastón Duprat und Mariano<br />
Cohn die emotionale Polka.<br />
Dafür und für das grandiose<br />
Spiel von Hauptdarsteller<br />
Oscar Martínez gab es mehr<br />
Auszeichnungen als Orden<br />
an der Brust nordkoreanischer<br />
Generäle. Respekt! •<br />
André Schmidt<br />
geht seit vielen<br />
Jahren für<br />
uns ins Kino.<br />
Er arbeitet in der<br />
PR-Branche.<br />
55
<strong>Kunzt</strong>&Comic<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>297</strong>/NOVEMBER <strong>2017</strong><br />
56
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Rätsel<br />
ILLUSTRATION (BLEISTIFT IM IMPRESSUM): BERND MÖLCK-TASSEL<br />
Symbol<br />
der bischöfl.<br />
Würde<br />
jetzt<br />
(altes<br />
Wort)<br />
Gewicht<br />
der Hülle<br />
oder Verpackung<br />
Redekünstler<br />
österreichisch:<br />
Kneipe<br />
vernünftig<br />
9<br />
6<br />
3<br />
1<br />
plötzlich<br />
auftretend<br />
(Krankh.)<br />
5<br />
9<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
asiatische<br />
Völkergruppe<br />
zärtl.<br />
Beisammensein<br />
(franz.)<br />
3<br />
4<br />
4<br />
9<br />
1<br />
5<br />
2<br />
nicht<br />
konzentriert,<br />
abgelenkt<br />
Internat.<br />
Bankkontonummer<br />
(Abk.)<br />
2<br />
4<br />
8<br />
4<br />
5<br />
trockene<br />
Getreidehalme<br />
erschütterndes<br />
Geschehen<br />
englisch:<br />
elf<br />
8<br />
7<br />
2<br />
1<br />
3<br />
Schande<br />
5<br />
2<br />
7<br />
völlig,<br />
vollständig<br />
unechter<br />
Schmuck<br />
Gottheit<br />
der Germanen<br />
englischer<br />
Artikel<br />
geistige<br />
Wesensart,<br />
Gesinnung<br />
Anfängerin<br />
auf<br />
einem<br />
Gebiet<br />
6<br />
Flugnavigator<br />
Stadt in<br />
Österr.<br />
(... an<br />
der Thaya)<br />
griechischer<br />
Buchstabe<br />
Ureinwohner<br />
Japans<br />
Dreschboden<br />
Naumburger<br />
Domfigur<br />
süddeutsch:<br />
schneefrei<br />
Fingerschmuck,<br />
Reif<br />
Kurzform<br />
abscheulich<br />
von:<br />
Maria<br />
aromatisches<br />
Getränk<br />
frühere<br />
Einheit<br />
d. Druckes<br />
(Abk.)<br />
Teil<br />
eines<br />
Schlafmöbels<br />
schweizerisch:<br />
Lohn,<br />
Gehalt<br />
Kosename<br />
eines<br />
Elternteils<br />
ältester<br />
Sohn<br />
Noahs<br />
(A. T.)<br />
dt. Hochgeschwindigkeitszug<br />
(Abk.)<br />
ein<br />
Schiff<br />
erobern<br />
Sohn<br />
des Agamemnon<br />
Kunstkniff,<br />
Dreh<br />
Ausruf<br />
des Erstaunens<br />
früher:<br />
Nebenfrau<br />
Geröllwüste<br />
(hamit.)<br />
Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
per Fax an 040 32 10 83 50 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />
Einsendeschluss: 27. <strong>November</strong> <strong>2017</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />
Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />
zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle gewinnen oder eines von drei<br />
Büchern „Ich bin mal eben wieder tot“ von Nicholas Müller (Knaur Verlag).<br />
Das Lösungswort beim Kreuzworträtsel war: Geldschein.<br />
Die Sudoku-Zahlenreihe war: 416 287 539.<br />
9<br />
4<br />
7<br />
5<br />
1<br />
2<br />
7<br />
7<br />
6<br />
8<br />
7<br />
9<br />
8<br />
1<br />
10<br />
10<br />
AR1115-0617_4<br />
Füllen Sie das Gitter so<br />
aus, dass die Zahlen von<br />
1 bis 9 nur je einmal in<br />
jeder Reihe, in jeder<br />
Spalte und in jedem<br />
Neun-Kästchen-Block<br />
vorkommen.<br />
Als Lösung schicken<br />
Sie uns bitte die<br />
unterste, farbig gerahmte<br />
Zahlenreihe.<br />
Impressum<br />
Redaktion und Verlag<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />
Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />
Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 32 10 83 50<br />
Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />
E-Mail info@hinzundkunzt.de, www.hinzundkunzt.de<br />
Herausgeber<br />
Landespastor Dirk Ahrens, Diakonisches Werk Hamburg<br />
Externer Beirat<br />
Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />
Mathias Bach (Kaufmann), Dr. Marius Hoßbach (Rechtsanwalt),<br />
Rüdiger Knott (ehem. NDR 90,3-Programmchef),<br />
Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />
Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />
Beate Behn (Lawaetz-Service GmbH), Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung),<br />
Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds),<br />
Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />
Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />
Redaktion Birgit Müller (bim; v.i.S.d.P.),<br />
Annette Woywode (abi; Stellv., CvD),<br />
Mitarbeit Simone Deckner (sim), Jonas Füllner (jof), Ulrich Jonas (ujo),<br />
Frank Keil (fk), Benjamin Laufer (bela), Annabel Trautwein (atw),<br />
Uta Sternsdorff und Kerstin Weber<br />
Redaktionsassistenz Sonja Conrad, Dina Fedossova<br />
Online-Redaktion Simone Deckner, Jonas Füllner, Benjamin Laufer<br />
Artdirektion grafikdeerns.de<br />
Öffentlichkeitsarbeit Sybille Arendt, Friederike Steiffert<br />
Anzeigenleitung Sybille Arendt<br />
Anzeigenvertretung Christoph Wahring,<br />
Wahring & Company, Tel. 040 284 09 40, info@wahring.de<br />
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 20 vom 1. Januar 2015<br />
Vertrieb Christian Hagen (Leitung), Marcus Chomse,<br />
Sigi Pachan, Jürgen Jobsen, Meike Lehmann, Sergej Machov,<br />
Frank Nawatzki, Elena Pacuraru, Reiner Rümke, Cristina Stanculescu,<br />
Marcel Stein, Cornelia Tanase, Silvia Zahn<br />
Rechnungswesen/Systemadministration Frank Belchhaus<br />
Spendenmarketing Gabriele Koch<br />
Spendenverwaltung Susanne Wehde<br />
Sozialarbeit Stephan Karrenbauer (Leitung), Ana-Maria Ilisiu, Isabel Kohler<br />
Das Stadtrundgang-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />
Chris Schlapp, Harald Buchinger<br />
Das BrotRetter-Team Stephan Karrenbauer (Leitung), Stefan Calin,<br />
Adam Csizmadia, Gogan Dorel, Alexa Ionut, Ionel Lupu<br />
Das Team von Spende Dein Pfand am Airport Hamburg<br />
Stephan Karrenbauer (Leitung), Uwe Tröger, Jonas Gengnagel,<br />
Klaus Petersdorfer, Herbert Kosecki<br />
Litho PX2@ Medien GmbH & Co. KG<br />
Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />
Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />
Umschlag-Druck Neef+Stumme premium printing GmbH & Co. KG<br />
Verarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei<br />
und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />
Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
IBAN: DE56 200505501280167873<br />
BIC: HASPDEHHXXX<br />
Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />
Freistellungsbescheid des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer<br />
17/414/00797, vom 15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />
des Körperschaftssteuergesetzes von der Körperschaftssteuer und nach<br />
§3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />
Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als<br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH im Handelsregister<br />
beim Amtsgericht Hamburg HRB 59669 eingetragen. Wir bestätigen,<br />
dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> einsetzen.<br />
Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.<br />
Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf www.hinzundkunzt.de.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das obdachlosen und<br />
ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />
Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose und<br />
ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter<br />
unterstützen die Verkäufer.<br />
Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />
Gesellschafter<br />
Durchschnittliche monatliche<br />
Druckauflage 3. Quartal <strong>2017</strong>:<br />
65.000 Exemplare<br />
57
Momentaufnahme<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>297</strong>/NOVEMBER <strong>2017</strong><br />
Schwer verknallt: Adam hat<br />
seine große Liebe auf seinem<br />
Verkaufsplatz kennengelernt.<br />
Jetzt wurde der 26-Jährige Papa.<br />
Pures Glück<br />
für ein paar Tage<br />
Adam, 26, verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> vor Penny in der Friedensallee.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Es waren einmal ein junger Obdachloser<br />
und eine junge Supermarkt-Verkäuferin.<br />
Während sie hinter der Kasse saß,<br />
verkaufte er draußen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Erst<br />
trafen sich nur ihre Blicke. Später wurde<br />
es Liebe. Jetzt haben sie ein Baby<br />
bekommen.<br />
Klingt wie ein modernes Märchen?<br />
Ist es aber nicht. Es ist die Geschichte<br />
unseres Verkäufers Adam und seiner<br />
Freundin Amanda. „Er kam immer mal<br />
wieder zum Einkaufen rein und hat sich<br />
nur an meiner Kasse angestellt“, erzählt<br />
die 22-Jährige und muss ein wenig<br />
kichern. „Ja, das stimmt“, pflichtet<br />
Adam ihr bei und läuft bei der Erinnerung<br />
rot an. Er sei einfach „geflasht“<br />
gewesen, schiebt der gutaussehende<br />
26-Jährige mit einem Grinsen hinterher.<br />
Trotzdem vergingen Wochen. „Erst<br />
als er mitbekommen hat, dass ich auch<br />
Polnisch kann, hat er mich angesprochen“,<br />
führt die gebürtige Polin, die mit<br />
zehn Jahren nach Hamburg kam, für<br />
ihren Freund aus.<br />
Das war im August 2016. Es folgte<br />
ein erstes Date in einem Café. In den<br />
Tagen danach zahlreiche gemeinsame<br />
Raucherpausen und schließlich der erste<br />
Kuss. Wäre ihre Liebesgeschichte ein<br />
Märchen, dann wäre es so weitergegangen.<br />
In Wirklichkeit aber fingen Amandas<br />
Kolleginnen hinter ihrem Rücken<br />
an zu tuscheln. Und ihre Chefin machte<br />
Druck. Am liebsten hätte sie wohl die<br />
Treffen der beiden verboten. Adam<br />
wechselte sogar extra mehrfach seinen<br />
Verkaufsplatz. Er steht jetzt in der<br />
Friedensallee in Ottensen. Abends verkauft<br />
er zusätzlich in der Gastronomie<br />
im Eppendorfer Weg. Dort hat er keine<br />
Pro bleme. Aber Amanda wurde der<br />
Druck auf der Arbeit zu viel. Schließlich<br />
kündigte die 22-Jährige.<br />
Amanda verlor allerdings nicht nur<br />
ihre Arbeit, sondern auch ihren Schlafplatz.<br />
Zuletzt hatte sie bei ihrem Vater<br />
gelebt. Doch der setzte sie vor die Tür,<br />
als er von der Beziehung und der Kündigung<br />
erfuhr. Amanda hat das nicht<br />
überrascht. Ihr Verhältnis zum Vater sei<br />
immer schon schwierig gewesen. „Aber<br />
wir zwei finden keine Wohnung“, klagt<br />
Amanda. Und Adam keine Arbeit. Er<br />
spricht nur gebrochen Deutsch.<br />
Als Amanda dann auch noch<br />
schwanger war, wurde die Situation kritisch.<br />
Etwa 500 Euro hat Adam zuletzt<br />
monatlich für ein Bett in einem Hostel<br />
gezahlt. Eine normale Mietwohnung<br />
wäre kaum teurer. Aber ohne Arbeitsvertrag<br />
und ohne ausreichende Sprachkenntnisse<br />
hat Adam mit seiner Freundin<br />
auf dem Wohnungsmarkt ohne<br />
Hilfe keine Chance.<br />
Hilfe wiederum erhielt schließlich<br />
Amanda. In der letzten Phase ihrer<br />
Schwangerschaft durfte sie in eine Mutter-Kind-Einrichtung<br />
ziehen. Auch<br />
wenn Adam sie dort nur gelegentlich<br />
besuchen durfte, war der werdende Vater<br />
froh, seine Freundin in Sicherheit zu<br />
wissen. Als Amanda Ende September<br />
ihr gemeinsames Kind gesund zur Welt<br />
brachte, war ihr Glück perfekt. Für ein<br />
paar Tage.<br />
Denn die Probleme sind die alten.<br />
Sie benötigen eine Wohnung. Dringender<br />
als zuvor. Und Adam braucht eigentlich<br />
eine reguläre Arbeit, damit<br />
auch er versichert ist. Gearbeitet hat er<br />
schließlich schon viel in Hamburg. Nur<br />
selten habe er aber auch Geld ausgezahlt<br />
bekommen, erzählt er. „Oft betrogen“,<br />
sagt Adam bedrückt. Doch dann<br />
bekommt er wieder ein Leuchten in<br />
den Augen: „Amanda ist Rettung für<br />
mich“, sagt er in seinem gebrochenen<br />
Deutsch. Sie spreche ja Polnisch und<br />
Deutsch. Gemeinsam könnten sie es<br />
schaffen. Auch zu dritt. Da ist Adam<br />
zuversichtlich. •<br />
58
KUNZT-<br />
KOLLEKTION<br />
BESTELLEN SIE DIESE UND WEITERE PRODUKTE BEI: Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH,<br />
www.hinzundkunzt.de/shop, shop@hinzundkunzt.de, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
Tel. 32 10 83 11. Preise zzgl. Versandkostenpauschale von 2,50 Euro bis 4 Euro,<br />
Ausland auf Anfrage. Versand ab 100 Euro Warenwert kostenlos.<br />
1. „Gegens Abstempeln“<br />
Zehn selbstklebende 70-Cent-Briefmarken mit<br />
Porträts von Hinz&Künztlern im DIN-A5-Heftchen.<br />
Konzeption: Agentur Lukas Lindemann Rosinski.<br />
Preis: 12 Euro<br />
4.<br />
2. „Mein Hamburg“<br />
Zwölf Hinz&Künztler waren unter Anleitung<br />
von Fotografi n Lena Maja Wöhler<br />
auf Fotosafari in Hamburg.<br />
Die besten Motive haben wir in einem<br />
DIN-A4-Wandkalender zusammengefasst.<br />
Preis: 4,80 Euro<br />
5.<br />
1.<br />
2.<br />
3. Frühstücksbrettchen<br />
Exklusiv für Hinz&<strong>Kunzt</strong> aus der<br />
Serie „Schöne Aussichten“, Pension<br />
für Produkte Hamburg.<br />
Design: Wolfgang Vogler,<br />
Material: Esche geölt (aus heimischen Wäldern),<br />
lasergraviert. Jedes Brett ist ein Unikat,<br />
in Deutschland gefertigt.<br />
Preis: 15,90 Euro<br />
4. Mütze „Kopf hoch!“<br />
Farbe: Anthrazit,<br />
hergestellt in Norddeutschland,<br />
100 % Merinowolle.<br />
Preis: 19,90 Euro<br />
6.<br />
3.<br />
5. „Heiße Hilfe“<br />
Bio-Rotbuschtee, aromatisiert mit<br />
Kakao-Orangen-Note. Zutaten: Rotbuschtee<br />
(k. b. A.), Kakaoschalen, Zimt, Orangenschalen,<br />
natürliches Orangenaroma<br />
mit anderen natürlichen Aromen.<br />
Dose, 75 g, abgefüllt<br />
von Dethlefsen&Balk, Hamburg.<br />
Preis: 7,50 Euro<br />
6. Tasse „Fischkopp“<br />
Sonderedition für Hinz&<strong>Kunzt</strong> von der<br />
Hamburger Firma AHOI MARIE.<br />
Qualitätsporzellan von Kahla aus Thüringen.<br />
Design: Jan-Hendrik Holst.<br />
Keramischer Siebdruck.<br />
Maße: D: 9 cm, H: 9 cm,<br />
mikrowellen- und spülmaschinentauglich.<br />
Preis: 13,90 Euro<br />
7. „Ein mittelschönes Leben“<br />
Eine Geschichte für Kinder<br />
über Obdachlosigkeit von Kirsten Boie,<br />
illustriert von Jutta Bauer.<br />
Preis: 4,80 Euro<br />
7.
Eine der wichtigsten<br />
Wärmequellen für Hamburg<br />
Am Guten soll man festhalten. So halten wir es auch mit unserem<br />
Einsatz für Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Seit April 2000 unterstützt E.ON Hanse das<br />
Hamburger Straßenmagazin. Und daran wird sich nichts ändern.<br />
Auch als HanseWerk werden wir unser Engagement fortsetzen. Mehr<br />
menschliche Wärme – eine der wichtigsten Energien für den Norden.<br />
Energielösungen für den Norden