Hinz&Kunzt 298 Dezember 2017
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Das Hamburger<br />
Straßenmagazin<br />
Seit 1993<br />
N O <strong>298</strong><br />
Dez .17<br />
2,20 Euro<br />
Davon 1,10 Euro<br />
für unsere Verkäufer<br />
Weißt<br />
Du noch?<br />
Bilderserie: Liebeserklärung<br />
an das alte Hamburg
Noch kein<br />
Geschenk?<br />
Legen Sie doch eins unserer Sonderhefte unter den Weihnachtsbaum!<br />
Zu beziehen beim Hinz&Künztler Ihres Vertrauens oder<br />
online unter www.hinzundkunzt.de/shop.<br />
„Tierisch gute Freunde“ und „Lecker auf die Hand“<br />
kosten je 6,80 Euro.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Inhalt<br />
Der Traum von<br />
Wohnungen für<br />
Obdachlose verbindet:<br />
Sozialarbeiter Stephan<br />
Karrenbauer (links) mit<br />
dem Architekten<br />
Alexander Hagner aus<br />
Österreich, der auch<br />
eine Stiftungspro fessur<br />
für Soziales Bauen<br />
an der Fachhochschule<br />
Kärnten innehat.<br />
Mehr Mut im neuen Jahr!<br />
Unsere Verkäufer Bonnie und Clyde haben ein Pärchenzimmer<br />
im Winternotprogramm ergattert. Immerhin.<br />
Leider müssen sie tagsüber wieder raus.<br />
Trotz Erkältung. Ionut aus Rumänien dagegen kriegt<br />
dort kein Bett. Er schläft bei Kälte und Nässe weiter<br />
draußen. Wo finden die vielen Obdachlosen Ruhe?<br />
Treffen wie das mit Alexander Hagner motivieren<br />
uns. Der Wiener Architekt besuchte uns nach<br />
Redaktionsschluss. Seit 15 Jahren baut er auch<br />
Wohnungen für Obdachlose. Genial ist etwa das<br />
Projekt VinziRast-mittendrin: Obdachlose leben<br />
dort zusammen mit Studis in WGs – mitten in Wien.<br />
Das Café im Erdgeschoss nutzen sogar Banker als<br />
Kantine. Die Anschubfinanzierung kam von einer<br />
Stiftung, der laufende Betrieb wird von der Stadt<br />
unterstützt. Das ist gelungene Integration: Man<br />
merkt sie gar nicht, denn VinziRast ist akzeptiert<br />
und auch noch cool! Neues Projekt: ein Bauernhof,<br />
auf dem Obdachlose fern der Stadt leben können.<br />
So mutige Projekte wünschen wir uns auch für<br />
Hamburg. Ihnen allen frohe Weihnachten! •<br />
Ihre Birgit Müller Chefredakteurin<br />
(Schreiben Sie uns doch an info@hinzundkunzt.de)<br />
Inhalt<br />
Winternotprogramm: Pawel (links) und<br />
Mirko sind untergekommen. S. 12<br />
TITELBILD: DEUTSCHE FOTOTHEK/GERMIN<br />
Stadtgespräch<br />
04 Gut&Schön<br />
06 Weihnachten: Hinz&Künztler<br />
erzählen vom Fest<br />
12 Start des Winternotprogramms<br />
16 Was darf die Ausländerbehörde?<br />
EU-Rechtsexperte Heiko Habbe im<br />
Gespräch<br />
18 Zahlen des Monats: Bangladesch<br />
28 Ein Israeli und ein Palästinenser<br />
werben für den Frieden<br />
Exquisit: Früher<br />
kochte Marcus<br />
Scherer im Hotel<br />
Vier Jahreszeiten,<br />
heute für<br />
Patienten. S. 34<br />
32 Ausstellung: Auf Spurensuche mit<br />
Künstler Rüdiger Knott<br />
34 Er revolutioniert die Krankenhausküche:<br />
Gourmetkoch Marcus Scherer<br />
Fotoreportage<br />
20 Hamburg nach dem Krieg: Neuer<br />
Fotoband mit alten Schätzen<br />
Freunde<br />
38 Hinz&<strong>Kunzt</strong> Strassen<strong>Kunzt</strong>Edition:<br />
der Streetartist 1010<br />
42 Was Leser und Spender für uns tun<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
46 „Das Theater hat mich gerettet!“<br />
Interview mit Boy-Gobert-<br />
Preisträger Steffen Siegmund<br />
50 Preise fürs B-Movie und Metropolis<br />
52 Tipps für den <strong>Dezember</strong><br />
56 Comic mit Dodo Dronte<br />
58 Momentaufnahme<br />
Rubriken<br />
05 Kolumne<br />
11, 17 Meldungen<br />
44 Leserbriefe<br />
57 Rätsel, Impressum<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk
Nikolaus<br />
Er kommt!<br />
Ganz schön warm, so ein Nikolausmantel.<br />
Hinz&Künztler Peter trägt das Kostüm trotzdem<br />
gerne: Jedes Jahr am 6. <strong>Dezember</strong> verwandelt<br />
er sich. Dann verwöhnt er die Kinder<br />
seiner Kundschaft am S-Bahnhof Krupunder.<br />
In seinem Nikolaussack bringt er vor allem<br />
Stofftiere in vielen Größen und Farben mit.<br />
„Die sind fast alle vom Dom“, erzählt der<br />
59-Jährige. „Da angel ich die mit dem<br />
Greifer.“ Auch bei der Verkäufer-Weihnachtsfeier<br />
wird Peter wieder den Nikolaus geben.<br />
Nach getaner Arbeit entstand dort vergangenes<br />
Jahr das Foto. ABI<br />
•
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Gut&Schön<br />
Kirchenkreis<br />
Ein „Dorf“ für<br />
Obdachlose<br />
Michael Benthack wirbt um<br />
Unterstützung für das Projekt.<br />
FOTOS: LENA MAJA WÖHLER (S. 4), FRANK MOLTER (OBEN), ANGELIKA WARMUTH/<br />
DPA (UNTEN LINKS), DMITRIJ LELTSCHUK, MONIKA RULFS (KOLUMNE)<br />
Integration<br />
Holger-Cassens-Preis für Sportverein<br />
Hinsehen, wo andere wegsehen – das ist schon<br />
seit Langem das Motto des Sportvereins TV Fischbek<br />
von 1921. Ein vielfältiges Angebot für Geflüchtete<br />
hat sich mittlerweile fest etabliert. Das Projekt<br />
„Integra tion durch Sport – Engagement macht<br />
kompetent“ funktioniert so gut, dass der Sportverein<br />
dafür jetzt mit dem mit 10.000 Euro dotierten<br />
Holger-Cassens-Preis geehrt wurde. LEU<br />
•<br />
Ein Barmbeker kehrt heim<br />
Gleich um die Ecke ist der Autor<br />
und Filmemacher Ralph Giordano<br />
groß geworden: Am Barmbeker<br />
Bahnhof wurde jetzt die Piazzetta-<br />
Ralph-Giordano nach dem im<br />
<strong>Dezember</strong> 2014 verstorbenen<br />
Hamburger benannt. Bekannt<br />
wurde Giordano mit seinem<br />
Roman „Die Bertinis“, der die Geschichte<br />
seiner jüdisch-italienischen<br />
Familie erzählt. Von den Nazis<br />
verfolgt, überlebte sie nur knapp im<br />
Versteck. LEU<br />
•<br />
Spielzeug spenden<br />
Die Lütten sind zu groß geworden<br />
für Matchbox-Autos oder Barbie-<br />
Puppen? Dann her damit: Bis<br />
zum 15. <strong>Dezember</strong> nimmt die<br />
Stadtreinigung Hamburg an den<br />
Recyclinghöfen gebrauchtes Spielzeug<br />
an, das zu Weihnachten kostenlos<br />
an bedürftige Familien verteilt<br />
wird. Vorher wird es bei der<br />
Hamburger Toys Company von<br />
arbeitslosen Hamburgern aufgearbeitet.<br />
Besonders begehrt sind<br />
Legosteine, Playmobil-Figuren,<br />
Inlineskates, Fußbälle, Puppen,<br />
Puppenhäuser – und natürlich<br />
Matchbox-Autos. LEU<br />
•<br />
Man stelle sich vor: Im Herzen<br />
Hamburgs entstünden<br />
keine neuen Bürotürme oder<br />
Luxuswohnungen, sondern<br />
Sozialwohnungen, eine Kindertagesstätte,<br />
nebenan eine<br />
Pilgerherberge und zu alledem<br />
noch Wohnungen speziell<br />
für Obdachlose.<br />
Was wie ein Hirngespinst<br />
klingt, soll allerdings unweit<br />
der Reeperbahn und des<br />
Fischmarkts tatsächlich umgesetzt<br />
werden: In Altona<br />
plant der Kirchenkreis-West<br />
ein kleines „Dorf“ mit fünf<br />
Häusern rund um die Kirche<br />
St. Trinitatis. Mit Wohnungen<br />
für insgesamt 18 Obdachlose.<br />
15 Millionen Euro<br />
soll das Projekt kosten. Eine<br />
Investition, die auch der<br />
Verankerung der Gemeinde<br />
im Stadtteil dient. „Noch<br />
fehlen notwendige Gelder<br />
durch Sponsoren oder andere<br />
Unterstützer“, sagt Michael<br />
Benthack. Der Bauexperte<br />
des Kirchenkreises ist allerdings<br />
guter Dinge, das Projekt<br />
auch zu verwirklichen.<br />
Seit fünf Jahren laufen<br />
die Planungen für die Bebauung<br />
des Areals. In engem<br />
Austausch mit den Nachbarn,<br />
bei denen Benthack um<br />
Verständnis wirbt. Es sei leider<br />
immer noch nicht alltäglich,<br />
dass in Neubauten auch<br />
Obdachlose Platz finden.<br />
Baubeginn ist für 2019 oder<br />
2020 geplant. Nach zwei Jahren<br />
Bauzeit könnten die Gebäude<br />
bezogen werden. JOF<br />
•<br />
5
Im September<br />
konnten Sebastian<br />
und Maria ihre beiden<br />
Kinder zu sich holen.<br />
So wird Weihnachten<br />
dieses Jahr ein ganz<br />
besonderes Fest.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Weihnachten<br />
Wunschzettel:<br />
ein ganz<br />
normales Fest<br />
Feiern mit den Kindern, etwas Leckeres für den Hund, der Besuch von<br />
der Freundin – zu Weihnachten muss es keine Berge von Geschenken geben<br />
und kein Fünf-Gänge-Menü. Hinz&Künztler erzählen von Heiligabend.<br />
TEXTE: ANNABEL TRAUTWEIN, BIRGIT MÜLLER<br />
FOTOS: LENA MAJA WÖHLER;<br />
ILLUSTRATIONEN: GRAFIKDEERNS.DE<br />
SPEISEN AUF DEM SCHLAFSOFA<br />
Für Maria und Sebastian wird Weihnachten dieses<br />
Jahr ganz besonders: „Fünf Jahre haben wir<br />
nicht mit unseren Kindern gefeiert“, erzählt<br />
Maria. „Dieses Jahr sind wir zum ersten Mal<br />
wieder zusammen.“ Sie freut sich schon: Endlich<br />
wieder für alle kochen und zusammen essen.<br />
Es soll Hackrouladen geben, Kartoffelsalat und<br />
Picente, mit Käse gefüllte Teigtaschen – so wie<br />
es Tradition ist in ihrer Heimat Rumänien.<br />
Früher war es auch immer schön, erzählen<br />
die beiden. Die Familie kam zusammen, es gab<br />
Kuchen, gutes Essen, Spaziergänge. „Nur: kein<br />
Geld“, sagt Maria. Deshalb brachen sie und ihr<br />
Mann 2012 auf nach Deutschland, um Arbeit<br />
zu suchen. Die beiden Kinder, damals sieben<br />
und zwölf Jahre alt, blieben zurück bei der<br />
Oma. Zu Weihnachten riefen die Eltern sie an<br />
– ein Luxus, den sich Maria und Sebastian<br />
nicht jeden Tag leisten konnten. „Mit dem<br />
Handy kostet viel Geld“, sagt Sebastian.<br />
Damals teilte sich das Paar eine Wohnung<br />
mit einer Familie aus dem ehemaligen Jugoslawien.<br />
Als Schlafstätte reichte es. Aber es war<br />
kein Zuhause, in das man die Kinder hätte<br />
nachholen können. Die meiste Zeit verbrachten<br />
sie draußen und verkauften Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
„Manchmal war schwer“, sagt Sebastian. Etwa<br />
wenn Familien mit Kindern vorbeikamen. „Da<br />
kamen auch mal die Tränen.“<br />
„Da kamen auch<br />
mal die Tränen.“<br />
Umso größer die Freude, als sie umziehen und<br />
die Kinder zu sich holen konnten. Seit Schulbeginn<br />
im September sind alle wieder vereint.<br />
Weihnachten <strong>2017</strong> wird das schönste Fest seit<br />
Langem, da sind sich die Eltern<br />
sicher. Gegenseitig wollen sie sich<br />
nichts schenken, aber für die Kinder<br />
soll es etwas Kleines geben. Das<br />
muss drin sein, auch wenn sie<br />
noch immer keine richtige Wohnung<br />
haben: Die vierköpfige Familie teilt sich<br />
ein Zimmer von zwölf Quadratmetern. Die Küche,<br />
in der Maria das Weihnachtsessen kochen<br />
will, benutzen andere mit. Gegessen wird nicht<br />
an gedeckter Tafel, sondern im Zimmer auf<br />
dem Schlafsofa. Auch einen Weihnachtsbaum<br />
werden sie dieses Jahr noch nicht haben. Sebastian<br />
und Maria lachen: „Kein Platz.“ •<br />
Maria (32) verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> beim Famila Markt<br />
in der Flensburger Straße in Pinneberg.<br />
Sebastian (39) fährt dagegen nach Norderstedt und<br />
steht dort vor Aldi Kohfurth.<br />
7
„Ich liebe<br />
Weihnachten!<br />
Das war schon<br />
immer so.“<br />
ROCKY IST IMMER DABEI<br />
„Ich liebe Weihnachten! Das war schon<br />
immer so, auch als ich noch in meiner<br />
Heimat Ungarn gelebt habe.<br />
Ich bin im Kinderheim aufgewachsen,<br />
das war kein schönes Leben. Meine<br />
Familie war sehr arm. Zu sechst haben<br />
wir auf zwölf Quadratmetern gewohnt.<br />
Ohne Bad. Deshalb hat mich das Sozialamt<br />
aus der Familie genommen und<br />
ins Heim gesteckt. Nur zu Weihnachten<br />
durften mich meine Eltern nach Hause<br />
holen. Das war gut! Für das Fest waren<br />
wir dann zusammen, zum Mittagessen<br />
und für den Gottesdienst. Es war der<br />
einzige Tag im Jahr, an dem ich Zeit<br />
mit meiner Familie verbringen konnte.<br />
Nach der Kirche haben sie mich wieder<br />
ins Kinderheim gebracht. Das war<br />
schlimm. Aber wenn sie sich geweigert<br />
hätten, wäre die Polizei gekommen.<br />
Als ich später auf der Straße oder<br />
mit meinem Hund Rocky im Auto gelebt<br />
habe, bin ich auch immer in die<br />
Kirche gegangen. Nur in einem Jahr<br />
nicht: Da habe ich den Winter in Kopenhagen<br />
verbracht, wo es kein Winternotprogramm<br />
und keine Unterkunft für<br />
Leute wie mich gab. Da habe ich an<br />
den Weihnachtstagen auf meiner Platte<br />
8<br />
geschlafen. Ich konnte mich nicht richtig<br />
duschen und habe deshalb ein bisschen<br />
gestunken. So wollte ich nicht in den<br />
Gottesdienst gehen.<br />
Heute geht es mir etwas besser. Für<br />
den Winter habe ich einen Wohncontainer<br />
in einer Kirchengemeinde bekommen.<br />
Zusammen mit Rocky. Er<br />
bekommt von mir zu Weihnachten auch<br />
immer ein Geschenk, zum Beispiel<br />
einen Pullover. Und etwas besonders<br />
Leckeres zu essen. •<br />
Ferenc (37) kommt aus Ungarn und verkauft<br />
bei der Europa-Passage in der Innenstadt.
„Meine Mutter<br />
hat sogar noch<br />
’ne Schleife<br />
drum gemacht.“<br />
WEIHNACHTEN SIND DIE MEISTEN LEUTE NETT<br />
Ein Weihnachtsfest habe ich noch ganz genau in Erinnerung:<br />
Ich war fünf oder sechs Jahre alt, da habe ich mein erstes<br />
Fahrrad gekriegt. Ein Klapprad, die waren damals „in“. Das<br />
war so grün-bläulich und nagelneu! Meine Mutter hat sogar<br />
noch ’ne Schleife drum gemacht. Da waren wir noch eine<br />
große Familie. Das Rad hatte ich auf den Wunschzettel<br />
geschrieben. Habe aber nicht damit gerechnet, dass ich es<br />
kriege. Das war wirklich ’ne Überraschung.<br />
Bis ich 17 war, habe ich bei meinen Eltern gewohnt.<br />
Danach bin ich leider durchgestartet. Meine Eltern hatten<br />
sich getrennt, meine Mutter wurde Alkoholikerin. Und ich<br />
habe mitgetrunken, so nach und nach. Als ich angefangen habe,<br />
war ich noch ein Kind. Und dann habe ich immer wieder<br />
Probleme gehabt, vor allem wegen meinem Alkohol. Ich war<br />
auch schon in Haft, weil ich ausgerastet bin oder Mist gebaut<br />
habe. Nachdem meine Ehe in die Brüche gegangen ist, bin<br />
ich irgendwann auf der Straße gelandet. Hab Platte gemacht,<br />
zuletzt bei Anson’s in der Mönckebergstraße und<br />
vorher bei Saturn, in den Nischen oder hinten bei der<br />
Tiefgarage, mit ein paar anderen Leuten. Da haben wir<br />
es uns auch Weihnachten auf der Platte richtig schön<br />
gemacht. Mit Kerzen und Lichtern, Tannenzweigen<br />
und so. Wie man das halt so macht. An Heiligabend haben<br />
wir Glühwein getrunken oder auf der Platte gegrillt.<br />
Wir haben auch viel bekommen: Jacken, Thermohosen,<br />
Pullover oder richtig schöne dicke Schlafsäcke. Die Leute<br />
waren richtig lieb zu uns. An Weihnachten sind sowieso die<br />
meisten sehr großzügig und nett. Viele fragen nach, wieso<br />
man draußen ist. Finde ich auch gut, dass sie fragen! Weihnachten<br />
ist aber nicht immer einfach. Da hab ich schon ab<br />
und zu ’nen Moralischen gekriegt. Wenn ich beschenkt wurde<br />
von fremden Leuten … oder von einem Kind! Dann ist bei<br />
mir alles vorbei, da laufen die Tränen.<br />
Jetzt muss ich zum Glück keine Platte mehr machen. Ich<br />
hab ’ne Entgifung und ’ne Therapie gemacht wegen meinem<br />
Alkohol, und seit ein paar Monaten habe ich ein Zimmer im<br />
Jakob-Junker-Haus. Ich habe einen richtigen Haushalt bei mir,<br />
mit Küche, Töpfen und Bügeleisen. Hätt’ ich nie gedacht, dass<br />
ich so weit komm! •<br />
Markus (48) hat uns im Frühjahr (H&K 290) von seinem Leben in der<br />
Mönckebergstraße erzählt und davon, wie er seine Platte sauber hält.<br />
9
„Meine Familie<br />
hat es mir<br />
von Herzen<br />
geschenkt.“<br />
MIT DER ERINNERUNG KOMMEN DIE TRÄNEN<br />
„Mein schönstes Weihnachtsfest war 2010. Ich war zu Besuch<br />
in Polen bei meinem Vater, meiner Schwester und meinem<br />
Schwager. Meine Nichte und mein Neffe waren damals<br />
noch ziemlich klein. Und da haben die zwei mir Geschenke<br />
überreicht: ,Für dich, Onkel!‘ Und mich dabei so lieb<br />
angeguckt, dass mir die Tränen kamen.“ Es waren<br />
ein paar Socken und Unterwäsche, aber „meine<br />
Familie hat es mir von Herzen geschenkt, und sie<br />
waren so glücklich, dass ich da war“.<br />
In diesem Jahr hat Jaro sein Weihnachten<br />
schon hinter sich. „Als der Sturm Xavier<br />
wütete, war ich im Gefängnis-Krankenhaus.<br />
Ich machte das Fenster auf und spürte, wie<br />
stark der Wind wehte.“ Seine Freundin<br />
aber schlief draußen. Ihr gemeinsames<br />
Zelt stand an der A7 unter Bäumen, die<br />
normalerweise Schutz bieten. Aber der<br />
Sturm war so stark, dass sich die Bäume bogen, Äste abbrachen<br />
und auf die Straße krachten. „Ich bekam richtig Panik“,<br />
sagt er. „Ich dachte: Wo ist sie? Ist sie in Sicherheit?“ Tagelang<br />
dann diese Ungewissheit. „Ich habe sie so sehr vermisst“, sagt<br />
er. „Und dann sagte ein Vollzugsbeamter: ,Jaro, du hast Besuch.‘<br />
Und dann stand sie in der Tür.“ Jaro kommen allein von<br />
der Erinnerung die Tränen. „Ich konnte es gar nicht glauben,<br />
dass sie unverletzt war.“ Ach ja, es ging ja um Weihnachten!<br />
„Das brauche ich nicht mehr. Ich hatte mein Weihnachtsgeschenk<br />
schon.“ •<br />
Jaro (40) ist langjähriger Hinz&Künztler und hat bei<br />
„Spende dein Pfand“ am Flughafen gearbeitet, bis er aus<br />
gesundheitlichen Gründen ausschied.<br />
10
Stadtgespräch<br />
Meldungen (1)<br />
Politik & Soziales<br />
Forderung an die Wohnungspolitik<br />
Jede zweite Wohnung sollte Sozialwohnung werden<br />
Die Wohnungspolitik des Senats ist nicht ausreichend auf<br />
Menschen in Not ausgerichtet, kritisiert ein Zusammenschluss<br />
von Diakonie, Caritas, Stattbau und Mieter helfen<br />
Mietern. Nach Angaben des Bündnisses für eine soziale<br />
Wohnungspolitik gab es Ende 2016 knapp 9500 Haushalte,<br />
die keinen Platz in einer Sozialwohnung fanden, obwohl sie<br />
sogar einen Dringlichkeitsschein besaßen. Das sind 1502<br />
Haushalte mehr als noch im Jahr zuvor. Das Kernproblem<br />
sei, dass es zu wenige Sozialwohnungen gebe. „52 Prozent<br />
der Hamburger haben Anspruch auf eine Sozialwohnung“,<br />
sagt Tobias Behrens von Stattbau Hamburg. „Daher müssten<br />
bei Neubauten nicht nur zu einem Drittel, sondern<br />
mindestens zur Hälfte Sozialwohnungen entstehen.“ JOF<br />
•<br />
Alkoholvergiftung<br />
Spendenparlament<br />
Tote Obdachlose auf<br />
der Reeperbahn<br />
Ende Oktober verstarben<br />
innerhalb weniger Stunden<br />
zwei Obdachlose auf der<br />
Reeperbahn. Der gerufene<br />
Notarzt konnte nur noch<br />
den Tod feststellen. Am<br />
frühen Abend hatte ein<br />
Obdachloser auf seiner<br />
Platte vor dem ehemaligen<br />
„Lido“ bemerkt, dass sein<br />
46-jähriger Kumpel plötzlich<br />
nicht mehr ansprechbar<br />
war. Gut acht Stunden<br />
später, um 4.50 Uhr, fand<br />
der Mann einen weiteren<br />
Plattenbewohner tot auf.<br />
Weil beide Obdachlosen<br />
nur wenige Meter voneinander<br />
entfernt verstarben,<br />
ließ die Polizei prüfen, ob<br />
in der Nachbarschaft giftige<br />
Gase ausgetreten waren.<br />
Die Staatsanwaltschaft teilte<br />
auf Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Nachfrage<br />
mit, dass die<br />
Todesursache allerdings<br />
übermäßiger Alkoholkonsum<br />
sei. Das habe eine Obduktion<br />
ergeben. BELA/JOF<br />
•<br />
11<br />
Windkraft in<br />
Ihr Badezimmer.<br />
So kommt die<br />
Wenn Strom fließt,<br />
steckt Kupfer von<br />
Aurubis drin.<br />
Mehr über die Welt des Kupfers<br />
erfahren Sie auf www.aurubis.com<br />
Hilfe für Obdachlose<br />
jetzt auch in Harburg<br />
Südlich der Elbe gab es bislang<br />
kaum Hilfsangebote<br />
für Obdachlose. Das soll<br />
sich ändern. Am Rande des<br />
Harburger Phoenix-Viertels<br />
richtet das Deutsche<br />
Rote Kreuz (DRK) Anfang<br />
2018 am Außenmühlenweg<br />
die Tagesaufenthaltsstätte<br />
Harburg Huus ein. Mit zusätzlich<br />
15 Schlafplätzen –<br />
auch für Obdachlose mit<br />
Hund. Da keine öffentlichen<br />
Mittel bereitgestellt<br />
werden, stemmt das DRK<br />
das Vorhaben selber. Die<br />
anfallenden Umbau-Kosten<br />
von rund 280.000 Euro<br />
trägt teilweise das Spendenparlament.<br />
Am 20. November<br />
bewilligten die Parlamentarier<br />
102.000 Euro<br />
Fördergelder. JOF<br />
•<br />
Mehr Infos und<br />
Nachrichten unter:<br />
www.hinzundkunzt.de<br />
ANKER<br />
DES LEBENS<br />
Wünschen Sie<br />
ein persönliches<br />
Gespräch?<br />
Kontaktieren Sie<br />
den Geschäftsführer<br />
Dr. Jens Ade.<br />
Tel.: 040/32 10 84 03<br />
oder Mail: jens.ade@<br />
hinzundkunzt.de<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> bietet obdachlosen Menschen Halt. Eine Art Anker<br />
für diejenigen, deren Leben aus dem Ruder gelaufen ist. Möchten<br />
Sie uns dabei unterstützen und gleichzeitig den Menschen, die<br />
bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> Heimat und Arbeit gefunden haben, helfen? Dann<br />
hinterlassen Sie etwas Bleibendes – berücksichtigen Sie uns<br />
in Ihrem Testament! Als Testamentsspender wird Ihr Name auf<br />
Wunsch auf unserem Gedenk-Anker in der Hafencity graviert. Ein<br />
maritimes Symbol für den Halt, den Sie den sozial Benachteiligten<br />
mit Ihrer Spende geben.
Winter. Not.<br />
Programm?<br />
Seit dem 1. November hat das städtische Winternotprogramm für Obdachlose<br />
geöffnet. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich manches verbessert, bestätigen einige Nutzer.<br />
Ein Grundproblem bleibt aber bestehen: Tagsüber müssen alle zurück auf die Straße.<br />
Doch das Schlimmste ist: Mit aller Macht vertreibt Hamburg rumänische Bettler aus der<br />
Stadt. Sie dürfen nicht unter Brücken schlafen und auch nicht im Winternotprogramm.<br />
Die Ausländerbehörde schickt sie zurück nach Osteuropa.<br />
TEXTE: JONAS FÜLLNER UND BENJAMIN LAUFER<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE UND BENJAMIN LAUFER (1)<br />
12
Stadtgespräch<br />
geordnet ab. Wohl auch deswegen, weil<br />
der Andrang geringer ist als noch ein<br />
Jahr zuvor vor der Notunterkunft in der<br />
Münzstraße.<br />
Die Unterkunft in der Friesenstraße<br />
ist neu. Sie ersetzt die alte Notschlafstätte<br />
in der Münzstraße. Darüber hinaus<br />
wurde wieder ein ehemaliges Verlagshaus<br />
im Schaarsteinweg angemietet.<br />
In den Büroräumen wurden insgesamt<br />
360 Betten aufgestellt.<br />
Jeden Morgen<br />
müssen sie raus in<br />
die Kälte.<br />
Mit ihrem Hab und Gut<br />
warten Bonnie & Clyde<br />
auf den Einlass zum<br />
Winternotprogramm.<br />
„Ich habe durchgeschlafen“<br />
1. November. Friesenstraße 22. Auf<br />
dem Boden vor dem Eingang zu dem<br />
Bürogebäude haben es sich Pawel, Miro<br />
und Robert gemütlich gemacht. Drinnen,<br />
dort wo es warm ist, sieht man Mitarbeiter<br />
den Flur entlanghuschen. Die<br />
letzten Vorbereitungen für die Eröffnung<br />
des Winternotprogramms laufen.<br />
Draußen hingegen herrscht weniger<br />
Hektik. Pawel albert noch mit anderen<br />
wartenden Obdachlosen. Das geht<br />
nur mit Händen und Füßen, aber irgendwie<br />
einigt man sich trotz Sprachschwierigkeiten<br />
darauf, dass 17 Uhr ist:<br />
Zeit für den Einlass.<br />
Tatsächlich öffnet sich in diesem<br />
Moment die Tür. Anders als in den<br />
Vorjahren bricht kein Gedränge aus.<br />
Der städtische Unterkunftsbetreiber<br />
fördern und wohnen (f&w) setzt zum<br />
Start deutlich mehr Mitarbeiter ein.<br />
Und das macht sich bezahlt.<br />
Nach und nach werden die Taschen<br />
der Eingelassenen kontrolliert<br />
und jedem eins der insgesamt 400 Betten<br />
zugewiesen. Das läuft weitgehend<br />
Die Unterkunft in der Friesenstraße ist<br />
komfortabler. Es gibt neue Duschen,<br />
und Aufzüge führen auf die jeweiligen<br />
Etagen. Eine Neuerung im Vergleich zu<br />
den Vorjahren gibt es wiederum in beiden<br />
Unterkünften: Zu jedem Bett gehört<br />
ein Schrank, der ausreichend Platz<br />
für Kleidung und Wertsachen bietet.<br />
Ein paar Tage später. Bonnie und<br />
Clyde trinken Kaffee im Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Vertriebsraum. Ein bisschen müde sehen<br />
sie aus, doch Clyde widerspricht vehement:<br />
„Ich habe zum ersten Mal seit<br />
Jahren eine ganze Nacht durchgeschlafen.“<br />
Das Pärchen ist angetan von der<br />
Unterkunft in der Friesenstraße. „Richtig<br />
sauber. Jeden Tag wird gut geputzt“,<br />
sagen Bonnie und Clyde unisono. Erstmals<br />
haben Pärchen ein Zimmer für<br />
sich alleine. „Da hört man nachts Geräusche,<br />
die hätte man sonst nicht gehört“,<br />
erzählt Clyde augenzwinkernd.<br />
Auch Pawel, Miro und Robert sind<br />
weiterhin frohen Mutes. Sie haben ein<br />
Zimmer – gemeinsam. Zwar zusammen<br />
mit drei weiteren Polen, aber das<br />
stört sie nicht so sehr. Sie sind Schlimmeres<br />
gewohnt. Vor drei Jahren gab es<br />
Feldbetten und zehn oder mehr Obdachlose<br />
teilten sich ein Zimmer.<br />
Tatsächlich begeistert ist Miro vom<br />
Sicherheitsdienst. Mit einer Handbewegung<br />
zeigt der 51-Jährige, wie noch im<br />
Vorjahr an den Betten gerüttelt und<br />
„Aufstehen“ gebrüllt wurde. Dieses Jahr<br />
hingegen heiße es auf einmal: „Aufstehen,<br />
bitte!“<br />
13
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />
Hier geht’s rein: Die beiden<br />
Obdachlosen Pawel (links)<br />
und Miro präsentieren in der<br />
Friesenstraße ihre Bleibe für<br />
die kommenden Monate.<br />
20. November. In den vergangenen Tagen<br />
gab es Bodenfrost. Waren in der<br />
Nacht nach der Eröffnung gerade einmal<br />
122 der insgesamt 400 Betten belegt,<br />
sind diese Nacht bereits 302 Betten<br />
in der Friesenstraße vergeben. Notfalls<br />
gäbe es Platz für weitere 65 Betten, teilt<br />
die Sozialbehörde auf eine Kleine Anfrage<br />
der CDU mit. Dafür müssten die<br />
Obdachlosen dann aber wie in den<br />
Vorjahren eng zusammenrücken.<br />
Tatsächlich vernimmt man jetzt<br />
erste Klagen. Bonnie und Clyde berichten,<br />
dass sie beim Abendbrot leer ausgingen.<br />
„Zappzarapp“, sagt ein Pole<br />
und verdeutlicht mit einer Handbewegung<br />
Richtung Hosentasche, dass es<br />
Diebstähle in der Notunterkunft gibt.<br />
Diese Probleme hätte er in einem<br />
Wohncontainer nicht, sagt Pawel. Jeden<br />
Winter lassen einige Kirchengemeinden<br />
solche Container aufstellen. Mit<br />
einem wesentlichen Unterschied zu den<br />
Notunterkünften: Jeder Obdachlose erhält<br />
einen eigenen Schlüssel und kann<br />
kommen und gehen, wann er will. Aber<br />
nur 113 Plätze gab es dieses Jahr.<br />
Die Tagesaufenthaltsstätte in der<br />
Bundesstraße wählte aus, wer einen<br />
Platz bekommen könnte. Die Plätze waren<br />
schnell vergeben. Wer leer ausging,<br />
kann nur in einer der Notunterkünfte<br />
Schutz suchen. Geöffnet von 17 bis<br />
9.30 Uhr. Dann müssen alle raus. Unter<br />
Dächern, in Einkaufzentren und den<br />
Tagesaufenthaltsstätten suchen Hunderte<br />
Obdachlose anschließend Schutz.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> und andere Einrichtungen<br />
der Wohnungslosenhilfe kritisieren<br />
diese Regelung seit Jahren. „Obdachlo-<br />
Schlichte Zimmer. Einfache Betten. Aber im<br />
Unterschied zum Vorjahr gibt es für alle<br />
Obdachlosen einen abschließbaren Schrank.<br />
se müssen zur Ruhe kommen und sich<br />
erholen können“, sagt Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer.<br />
Draußen kriecht die Feuchtigkeit<br />
schnell in die Kleidung. „Ich schleppe<br />
seit einer Woche eine Erkältung mit mir<br />
rum“, klagt beispielsweise Bonnie. Sich<br />
mal auskurieren, das ist im Winternotprogramm<br />
leider nicht möglich. Da<br />
hilft auch kein Paarzimmer. •<br />
Rumäne? Go home!<br />
Ein Bett und ein Dach über dem Kopf,<br />
wenigstens in der Nacht – davon können<br />
Ionut, Petre, Marian und ihre<br />
Freunde gerade nur träumen, denn ins<br />
Winternotprogramm dürfen sie nicht<br />
rein. Die Rumänen haben ihre Heimat<br />
wegen der bitteren Armut verlassen.<br />
„In Rumänien haben wir keine Arbeit<br />
und bekommen auch keine Sozialhilfe“,<br />
klagt Marian. Deshalb sind sie zum Betteln<br />
nach Hamburg gekommen. Ionut<br />
verkauft inzwischen Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Doch die Stadt macht den Rumänen<br />
das Leben schwer, wo sie nur kann.<br />
Im Bezirk Nord werden die Männer<br />
und Frauen, die dort unter Brücken<br />
leben, immer wieder von Ordnungsamt<br />
und Polizei vertrieben. Im Oktober ließ<br />
14<br />
der Bezirk sogar in ihrer Abwesenheit<br />
all ihr Hab und Gut entsorgen – darunter<br />
Geschenke für Ionuts Sohn, die er<br />
von einer Kundin bekommen hatte. Die<br />
Aufbewahrung wäre „mit unverhältnismäßig<br />
hohen Kosten oder Schwierigkeiten“<br />
verbunden gewesen, rechtfertigte<br />
Bezirksamtsleiter Harald Rösler (SPD)<br />
das Vorgehen. Den Obdachlosen blieb
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Ionut darf<br />
nicht mal in die<br />
Notunterkunft.<br />
nur, unter eine andere Brücke zu ziehen.<br />
Bis sie dort auch wieder vertrieben<br />
wurden.<br />
Am 1. November hat die Gruppe<br />
dann Schutz vor Wind und Wetter im<br />
Winternotprogramm in der Friesenstraße<br />
gesucht – und war auch hier nicht erwünscht.<br />
„Ich war mit meiner Frau<br />
schon im Zimmer“, erzählt Petre. Doch<br />
die Freude war von kurzer Dauer, berichtet<br />
der 45-Jährige: Er sei kurz nach<br />
23 Uhr nach draußen gegangen, um eine<br />
Zigarette zu rauchen. „Dann haben<br />
sie gesagt, dass ich nicht wieder reindarf.“<br />
Der städtische Betreiber fördern<br />
und wohnen (f&w) bestätigt, dass einige<br />
Rumänen zunächst in der neuen Unterkunft<br />
aufgenommen worden waren und<br />
dann rausgeschmissen wurden. „Erst<br />
nach der Aufnahme war aufgefallen,<br />
dass die Personen die Zugangsvoraussetzungen<br />
nicht erfüllen“, rechtfer tigt dies<br />
Sprecherin Susanne Schwendtke.<br />
Niemand wird vom Erfrierungsschutz<br />
abgewiesen – dieser frühere<br />
Grundsatz des Winternotprogramms<br />
gilt seit vergangenem Jahr nicht mehr.<br />
Ausländer, die im Herkunftsland eine<br />
Unterkunft haben, dürfen nicht mehr<br />
rein. Auch, wenn sie de facto in Hamburg<br />
auf der Straße leben. Von einem<br />
„Zwei-Klassen-Prinzip“ spricht deswegen<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Herausgeber und Diakonie-Chef<br />
Dirk Ahrens – und warnt<br />
vor Kältetoten als Folge dieser Politik.<br />
Eigentlich hatte f&w angekündigt,<br />
dass zunächst alle Obdachlosen Zugang<br />
zu den Unterkünften des Winternotprogramms<br />
bekommen würden – auch die<br />
aus dem EU-Ausland. „Grundsätzlich<br />
ist es so: Wir nehmen alle auf“, behauptete<br />
Katrin Wollberg, Leiterin des Winternotprogramms,<br />
bei einer Pressekonferenz<br />
Ende Oktober. Erst wenn sich in<br />
Beratungsgesprächen herausstelle, dass<br />
sie anderswo eine Unterkunft hätten,<br />
würden sie fortgeschickt und in die<br />
Wärmestube in der Hinrichsenstraße<br />
verwiesen – einen kargen Raum, in dem<br />
es nicht mal Betten gibt. In der ersten<br />
Novemberwoche sind laut f&w 26 Menschen<br />
dort hingeschickt worden.<br />
Ionut, Petre und Marian wurden in<br />
der Friesenstraße schon nach ein paar<br />
Stunden von f&w vor die Tür gesetzt.<br />
Und zwar noch am späten Abend. Erfahrene<br />
Mitarbeiter hätten sie wiedererkannt,<br />
heißt es. Das war aber noch<br />
nicht alles: Sie dürften nicht wieder<br />
nach Deutschland einreisen, wenn sie<br />
nicht binnen drei Wochen die Stadt<br />
verlassen, habe man ihnen gesagt. f&w<br />
bestreitet das auf Nachfrage nicht.<br />
Eine leere Drohung, denn darüber<br />
hat f&w nicht zu entscheiden. Die Rumänen<br />
sind allerdings dennoch verängstigt.<br />
Von städtischen Einrichtungen halten<br />
sie sich seitdem fern, erzählt der<br />
25-jährige Ionut. Auch von der Wärmestube<br />
in der Hinrichsenstraße, in der sie<br />
nachts wenigstens nicht frieren müssten.<br />
Trotzdem lässt die Stadt sie nicht in<br />
Ruhe. Am Abend des 13. November<br />
tauchten Polizisten an ihrem Schlafplatz<br />
am Rübenkamp auf und forderten<br />
ihre Ausweise ein. „Sie waren sehr<br />
aggressiv“, sagt Marian. Zwei Stunden<br />
später kamen sie erneut und stellten<br />
den Obdachlosen ein amtliches Schreiben<br />
zu: Aufforderung zur Vorsprache in<br />
der Ausländerbehörde.<br />
Die Behörde hat vor einiger Zeit<br />
damit begonnen, gezielt bei Obdachlosen<br />
aus Osteuropa das sogenannte Freizügigkeitsrecht<br />
zu überprüfen. Unter<br />
bestimmten Umständen kann sie nämlich<br />
EU-Bürger zum Verlassen des Landes<br />
auffordern (siehe Seite 16). Und seit<br />
immer mehr von ihnen in Hamburg auf<br />
der Straße leben, macht sie von dieser<br />
Möglichkeit umfassend Gebrauch.<br />
Marian wird nicht zur Ausländerbehörde<br />
gehen. Er kehrt mit seiner Frau<br />
zum Überwintern nach Rumänien zurück.<br />
„Wir dürfen ja hier nirgendwo<br />
mehr schlafen“, sagt er. Und wovon<br />
wollen sie in Rumänien leben? Er zuckt<br />
mit den Schultern. Wenigstens für die<br />
Rückreise bekommt er Unterstützung<br />
von der Stadt, sie finanziert das Busticket<br />
in die Heimat. Doch seine Probleme<br />
sind dadurch nicht gelöst. Im Frühjahr<br />
will er wieder nach Hamburg<br />
kommen – zurück auf die Straße. •<br />
Kontakt: jonas.fuellner@hinzundkunzt.de<br />
und benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />
Hinz&Künztler Ionut (links) und seine Freunde Marian und Petre dürfen nicht im<br />
Winternot programm übernachten. Fördern und wohnen hat sie vor die Tür gesetzt.<br />
15
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />
Wann die Stadt<br />
EU-Bürger<br />
ausweisen darf<br />
Die Ausländerbehörde fordert immer<br />
mehr Obdachlose aus Osteuropa zur<br />
Ausreise auf. Unter welchen Umständen<br />
das erlaubt ist, erklärt Anwalt<br />
und EU-Rechtsexperte Heiko Habbe.<br />
TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />
FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Seit der EU-Osterweiterung<br />
dürfen Rumänen, Bulgaren und Polen doch<br />
hier sein, oder nicht?<br />
HEIKO HABBE: Grundsätzlich ja. Das sogenannte<br />
Freizügigkeitsrecht ist aber nach<br />
den ersten drei Monaten an die Voraussetzung<br />
geknüpft, dass man am Arbeitsleben<br />
teilnimmt. Etwa als Angestellter,<br />
Selbstständiger, Dienstleistungserbringer<br />
oder für sechs Monate als Arbeitsuchender.<br />
Nach einem unfreiwilligen Jobverlust<br />
bleibt der Arbeitnehmerstatus noch<br />
mindestens sechs Monate erhalten.<br />
Viele Arbeitsmigranten werden von<br />
Hamburger Arbeitgebern entweder schwarz<br />
beschäftigt oder um den Lohn geprellt.<br />
Sind sie Arbeitnehmer?<br />
Nach europäischem Recht sind das eigentlich<br />
ganz klar Arbeitnehmer. Für<br />
diese Menschen ist es aber ein großes<br />
Problem, dass sie das nicht beweisen<br />
können. Und darauf kommt es bei der<br />
Ausländerbehörde an.<br />
Wie sieht es mit Bettlern, Flaschensammlern<br />
oder Straßenzeitungsverkäufern aus?<br />
Man könnte sie als Selbstständige betrachten,<br />
doch das lehnt die Rechtsprechung<br />
ab. Und es ist so gut wie nicht zu<br />
schaffen, mit Betteln oder Pfandsammeln<br />
„ausreichende Existenzmittel“ zu<br />
verdienen, die ebenfalls ein Freizügigkeitsrecht<br />
begründen könnten. Man<br />
müsste auf den Hartz-IV-Regelsatz<br />
kommen und sich zusätzlich noch<br />
krankenversichern.<br />
Wie geht die Ausländerbehörde vor?<br />
Wenn die Ausländerbehörde einen Anfangsverdacht<br />
hat, darf sie EU-Bürger<br />
auffordern, einen Freizügigkeitsgrund<br />
nachzuweisen. In Hamburg lässt sie<br />
Obdachlosen über die Polizei einen<br />
„Die Behörde<br />
macht es<br />
den Betroffenen<br />
schwer.“<br />
Brief mit dieser Aufforderung zukommen.<br />
Wenn keine Gründe nachgewiesen<br />
werden, darf die Behörde den Verlust<br />
der Freizügigkeit feststellen und<br />
dann auch einen EU-Bürger zur Ausreise<br />
auffordern. Wenn er das nicht freiwillig<br />
tut, kann er auch abgeschoben<br />
werden. Wer ein solches Schreiben von<br />
der Behörde bekommt, sollte deswegen<br />
damit zu einer Beratungsstelle, zum<br />
Anwalt oder zur öffentlichen Rechtsauskunft<br />
gehen.<br />
Reicht eine kurzzeitige Ausreise aus?<br />
In den ersten drei Monaten nach der<br />
16<br />
Einreise in Deutschland haben alle EU-<br />
Bürger hier ein Freizügigkeitsrecht.<br />
Diese Frist beginnt nach einer Wiedereinreise<br />
wieder bei null. Man kann also<br />
schon nach einem Tag wieder zurückkommen.<br />
Wer jedoch abgeschoben<br />
wird, erhält eine Wiedereinreisesperre.<br />
Das sollte man nicht riskieren.<br />
Macht die Behörde alles richtig?<br />
Es gehört zu den Aufgaben der Ausländerbehörde,<br />
das Freizügigkeitsrecht<br />
zu überprüfen. Systematische Kontrollen<br />
von Obdachlosen, wie sie in Hamburg<br />
gemacht werden, sind aber eigentlich<br />
nicht zulässig. Außerdem<br />
werden die Bescheide über den Verlust<br />
der Freizügigkeit öffentlich ausgehängt<br />
und gelten damit als zugestellt. Faktisch<br />
erfahren die Betroffenen das allerdings<br />
nicht. Die Ausländerbehörde<br />
macht es ihnen also überdurchschnittlich<br />
schwer, das Verfahren nachzuvollziehen<br />
und sich rechtlich dagegen<br />
wehren zu können. •<br />
Kontakt: benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />
Heiko Habbe (45) ist Experte für<br />
Aufenthalts-, Asyl- und Migrationssozialrecht.<br />
Der Anwalt berät die kirchliche<br />
Hilfsstelle „fluchtpunkt“ in Asyl -<br />
verfahren und die Hamburger Diakonie.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Meldungen (2)<br />
Politik & Soziales<br />
Freizügigkeitsrecht<br />
Ausländerbehörde geht gezielt gegen Obdachlose vor<br />
Seit März dieses Jahres überprüft die Ausländerbehörde verstärkt das sogenannte<br />
Freizügigkeitsrecht von Obdachlosen aus Osteuropa, die in Hamburg auf der<br />
Straße leben (siehe Interview links). Von März bis Oktober hat die Behörde nach<br />
eigenen Angaben aus diesem Grund 489 EU-Bürger zur Vorsprache aufgefordert.<br />
Nur 16 folgten dieser Aufforderung. Ignorieren die Betroffenen die Aufforderung,<br />
fällt die Behörde trotzdem eine Entscheidung – schlimmstenfalls droht ihnen dann<br />
eine Abschiebung ins Herkunftsland und eine Wiedereinreisesperre. Insgesamt<br />
80 Osteuropäer hat die Ausländerbehörde bis Ende Oktober bereits zur Ausreise<br />
aufgefordert, weil sie keine Freizügigkeitsgründe nachgewiesen hätten.<br />
Die meisten Verfahren laufen nach Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Informationen allerdings noch.<br />
Hintergrund der verstärkten Kontrollen sei eine „politische Entscheidung“<br />
gewesen, sagte ein Behördensprecher gegenüber Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Zuvor habe eine<br />
Arbeitsgruppe mit Teilnehmern aus mehreren Behörden über den Umgang mit<br />
Obdachlosen beraten. BELA<br />
•<br />
Mehr Infos und Nachrichten unter:<br />
Arbeitslosengeld im Supermarkt Dramatischer Anstieg<br />
Nationale Armutskonferenz 52.000 Obdachlose in<br />
befürchtet Stigmatisierung Deutschland<br />
Leistungen wie das Arbeitslosengeld Die Anzahl der Menschen, die in<br />
sollen künftig bar an Kassen einiger Deutschland auf der Straße leben,<br />
Supermärkte und Drogerien ausgezahlt<br />
werden. Die Umstellung soll im ner aktuellen Hochrechnung der Bun-<br />
wächst unvermindert weiter. Nach ei-<br />
zweiten Quartal 2018 starten. Für desarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe<br />
(BAG W) stieg sie innerhalb<br />
Erwerbslose, die über kein eigenes<br />
Konto verfügen, standen dafür bislang<br />
Kassenautomaten in Jobcentern 52.000 im Jahr 2016. 2014 waren es<br />
von zwei Jahren um 33 Prozent auf<br />
und Arbeitsagenturen zur Verfügung. noch rund 39.000 gewesen. Insgesamt<br />
Allerdings nicht abends und am haben nach der Statistik in Deutschland<br />
860.000 Menschen keine eigene<br />
Wochenende. Diese Automaten sollen<br />
jetzt aus Kostengründen abgebaut Wohnung und leben etwa in staatlichen<br />
Unterkünften oder bei Freun-<br />
werden. Kritik an den Plänen der<br />
Bundesagentur für Arbeit kommt von den. 440.000 davon sind Geflüchtete.<br />
der Nationalen Armutskonferenz. „Die Zuwanderung wirkt zwar verstärkend“,<br />
erklärt der Geschäftsführer<br />
„Ein solches Verfahren trägt zur weiteren<br />
Stigmatisierung von Leistungsberechtigten<br />
bei, die sich vor den die wesentlichen Ursachen für Woh-<br />
der BAG W, Thomas Specht. „Aber<br />
Augen von Kundinnen und Kassierern nungsnot und Wohnungslosigkeit liegen<br />
in einer seit Jahrzehnten verfehl-<br />
als Erwerbslose outen müssten“, sagt<br />
Sprecherin Barbara Eschen. Häufig ten Wohnungspolitik in Deutschland,<br />
handelt es sich um Obdachlose, die in Verbindung mit der unzureichenden<br />
Armutsbekämpfung.“ BELA<br />
staatliche Hilfe erhalten, aber kein<br />
eigenes Konto besitzen. Auch sie hätten<br />
ein Recht auf Diskretion. „Diese<br />
•<br />
zu gewährleisten ist eine staatliche<br />
Aufgabe – und nicht die von Drogeriemärkten<br />
oder Discountern.“ JOF<br />
www.hinzundkunzt.de<br />
•<br />
17<br />
Jetzt für kurze zeit auch<br />
in den Harburg Arcaden!<br />
stilbruch.de
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Zahlen des Monats<br />
Textilarbeiterinnen in Bangladesch<br />
Langer Kampf<br />
um faire Löhne<br />
54 Euro<br />
monatlich verdienen Textilarbeiterinnen in Bangladesch umgerechnet. Als Ende<br />
vergangenen Jahres Tausende von ihnen auf die Straße gingen und eine Anhebung des<br />
Mindestlohns auf 152 Euro (in der Währung Bangladeschs sind das 15.000 Taka) forderten,<br />
antworteten Fabrikbesitzer und Regierung mit extremer Härte:<br />
Mehr als 1600 Frauen wurden entlassen, mindestens 34 Gewerkschafter verhaftet.<br />
Ein Jahr später ist der Kampf noch nicht gewonnen. Zwar haben die meisten Arbeiterinnen<br />
nach nationalen und internationalen Protesten wieder ihren alten Job bekommen oder<br />
einen neuen gefunden, so Gisela Burckhardt von der Frauenrechtsorganisation Femnet.<br />
Doch laufen noch mindestens sieben Prozesse gegen Gewerkschafter.<br />
Und das Kernproblem ist weiter ungelöst: „Die Regierung will nicht über einen<br />
höheren Textil-Mindestlohn verhandeln. Dabei sind angesichts der stark gestiegenen<br />
Lebenshaltungs kosten in Bangladesch nicht mal 150 Euro existenzsichernd.“<br />
Gewerkschafter und Bündnisse wie die Kampagne für Saubere Kleidung fordern von den<br />
Modekonzernen mehr Druck – immerhin lassen sie mehr oder weniger alle in Bangladesch<br />
Ware herstellen. Handeln muss nun aber auch die Europäische Union, meint Femnet-Chefin<br />
Burckhardt: Sie verzichtet gegenüber Bangladesch auf Einfuhrzölle, weil die Regierung<br />
schon vor Jahren bessere Sozialstandards zugesichert hat. „Dieses Versprechen ist nicht gehalten<br />
worden.“ Deshalb müsse die EU nun die Situation vor Ort untersuchen.<br />
Wer grundsätzlich Textilarbeiterinnen helfen will, hat laut Burckhardt<br />
zwei Möglichkeiten: „Faire Kleidung kaufen. Und in Geschäften nachfragen,<br />
unter welchen Bedingungen Kleidung hergestellt worden ist.“ •<br />
TEXT: ULRICH JONAS<br />
ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />
Mehr Infos und Einkaufstipps unter www.saubere-kleidung.de und www.femnet-ev.de<br />
19
Die Lombardsbrücke, wie sie der<br />
Fotograf Germin im Jahr 1952 sah:<br />
Auf der Straße fährt ein VW-Käfer, auf<br />
den Gleisen eine Dampflok. Bis heute<br />
sind geblieben: die verschnörkelten,<br />
gusseisernen Straßenlaternen nach<br />
einem Entwurf von Carl Börner.
Auferstanden<br />
aus Ruinen<br />
Hamburg nach dem Zweiten Weltkrieg: Langsam, aber stetig erwacht<br />
die Stadt aus Trümmern zu neuem Leben. Der opulente<br />
Bildband Hamburg, meine Perle nimmt den Leser mit in die Zeit<br />
der 1940er- bis 1960er-Jahre. Wir haben mit dem Fotografen<br />
Günter Zint, einem der Herausgeber, gesprochen.<br />
TEXT: SIMONE DECKNER
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Fotoreportage<br />
Zwei Gesellschaftsschichten, abgelichtet von Germin: ein Arbeiter<br />
bei der Nietenproduktion in der Wilhelmsburger Reiherstiegwerft 1949 (links).<br />
Am Jungfernstieg sind die Bänke von Zeitungslesern besetzt.<br />
Wenn eins von uns Kindern<br />
Geburtstag hatte,<br />
hat meine Mutter braunen<br />
Zucker in der Pfanne<br />
aufgelöst. Das gab es dann aufs Brot,<br />
statt Geburtstagstorte“, erinnert sich<br />
Günter Zint. Heute kann der 1941 geborene<br />
Fotograf darüber schmunzeln,<br />
mit wie wenig er und seine sieben Geschwister<br />
in der Zeit nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg zufriedenzustellen waren.<br />
Früher war eben nicht alles besser.<br />
Aber wie es war und vor allem, wie es<br />
aussah im Hamburg der Nachkriegszeit<br />
23<br />
Zum Geburtstag<br />
gab es braunen<br />
Zucker aufs Brot.<br />
von den 1940er- bis zu den 1960er-Jahren,<br />
das zeigt ein neuer, opulenter Bildband,<br />
den Fotograf Zint gemeinsam<br />
mit dem Historiker Dr. Jens Bove von<br />
der Deutschen Fotothek Dresden herausgegeben<br />
hat.<br />
Der programmatische Titel des 320<br />
Seiten starken Buches: „Hamburg,<br />
meine Perle“. Lotto King Karl gefällt<br />
das? „Den Spruch gibt es ja schon viel<br />
länger“, klärt Zint die zu spät geborene<br />
Autorin auf, „meine Mitarbeiterin Eva<br />
Decker hat das im Vorwort sehr schön<br />
formuliert: ,Perlen altern nicht. Manchmal<br />
büßen sie etwas Glanz ein und bekommen<br />
Flecken, aber ihr Alter sieht<br />
man ihnen nicht an. Gibt es ein treffenderes<br />
Bild für Hamburg?‘“<br />
„Hamburg, meine Perle“ zeigt auf<br />
300 teils bisher unveröffentlichten<br />
Schwarzweiß- und Farbfotos, wie sich
Fotoreportage<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />
Lange Haare und keinen Bock aufs Establishment: Die Jungen begehrten auf gegen den Muff der Eltern generation.<br />
Günter Zint fotografierte 1967 seinen Kommunen-Mitbewohner in der Davidstraße (oben).<br />
Das kleine Mädchen auf der Treppe vor dem Kino in der Großen Freiheit, aufgenommen 1956 von Wolfgang<br />
G. Schröter, ist eines von Zints Lieblingsmotiven: „Ich habe fünf Kinder auf St. Pauli großgezogen, Angst hatten wir nie.“<br />
die halb zerbombte Stadt wieder aufraffte,<br />
die Asche abstreifte und neu zu<br />
glänzen begann. Ein Großteil der Bilder<br />
stammt von dem Fotoreporter<br />
Gerd Mingram alias Germin (1910–<br />
2001), auch Erich Andres (1905–1992),<br />
Wolfgang G. Schröter und Zint geben<br />
Einblicke in eine Stadt, die sich in der<br />
Nachkriegszeit neu erfinden musste.<br />
Es sind Bilder zwischen Verwüstung<br />
und Hoffnung, zu sehen sind zerstörte<br />
Häuser und adrette Vorgärten in<br />
den Wirtschaftswunderjahren, auch die<br />
politische und musikalische Rebellion<br />
der 1960er-Jahre kommt nicht zu kurz.<br />
Die Bilder zeigen den Älteren, woran<br />
sie sich erinnern können und den<br />
Jungen, was sie nur vom Hörensagen<br />
kennen: Eine Zeit, in der Dampflokomotiven<br />
statt moderner U-Bahnen mit<br />
Sitzplatzampeln fuhren, als im Reiherstiegviertel<br />
Arbeiter noch Nieten erhitzten<br />
und keine Studenten wohnten,<br />
als das Licht von Gaslaternen die Straßen<br />
erhellte und Laternenwärter diese<br />
regelmäßig putzten – Letzteres ist Titelbild<br />
dieser Ausgabe. Germins Foto<br />
ist eines von Zints Favoriten. Es erinnert<br />
ihn an Erich Mühsams Gedicht<br />
„Der Revoluzzer/Lampenputzer“ aus<br />
dem Jahr 1907 – eine Satire über die<br />
deutsche Sozialdemokratie.<br />
In den 1950er- und 1960er-Jahren<br />
änderte sich das Bild Hamburgs deutlich:<br />
Die sechsspurige Ost-West-Straße<br />
entstand, Komplexe wie die Esso-Häuser<br />
oder die Grindel-Hochhäuser waren<br />
Zeugnisse der damals als hochmodern<br />
geltenden Architektur. Es war auch die<br />
Zeit, in der Günter Zint, der bis dahin<br />
24<br />
als freier Fotograf in Schweden und<br />
England gearbeitet hatte, nach Hamburg<br />
kam. Hier wurde er mit seinen<br />
Fotos von den Beatles aus dem „Star-<br />
„Ich wohnte<br />
in ’ner Kommune<br />
und trug die<br />
Haare lang.“<br />
Club“ bekannt. „Das war für mich<br />
natürlich das spannendste Jahrzehnt“,<br />
sagt der heute 76-Jährige. „Ich wohnte<br />
in ’ner Kommune, trug die Haare, die<br />
ich damals noch hatte, lang und protes-
Fotoreportage<br />
Fischdampfer am Kai des Fischereihafens 1948 (oben), ein<br />
Kran auf dem Gelände der Deutschen Werft in Finkenwerder<br />
bei Nacht, 1951. Ein Streckenläufer kontrolliert 1949 die<br />
Bahnschienen. Alle Bilder wurden von Germin fotografiert.<br />
tierte gegen die Gesellschaft. Meine Eltern waren<br />
entsetzt.“ Die Elterngeneration schalt die Jungen<br />
„Gammler“, weil die auf deren „Schaffe, schaffe<br />
Häusle baue“-Lebenseinstellung pfiffen und lieber<br />
taten, was ihnen Spaß machte. „Ich war auch einer<br />
von denen“, sagt Zint, „wobei wir uns ,Exis‘ nannten,<br />
nach den Existenzialisten. Unser Motto war:<br />
,Arbeite nur so viel, dass es dich nicht kaputt macht.‘“<br />
„Unser Motto war:<br />
,Arbeite nur so viel,<br />
dass es dich<br />
nicht kaputt macht.‘“<br />
Das gilt bis heute. „Ich arbeite nicht, das ist mein<br />
Hobby“, stellt der umtriebige Fotograf sein Licht unter<br />
den Scheffel. „Hamburg, meine Perle“ ist bereits<br />
sein 75. Buch, viele Fotografennachlässe verwaltet er<br />
mit seiner Agentur Panfoto. Das Archiv von Germin<br />
hat er bereits an die Deutsche Fotothek verkauft, andere<br />
werden folgen. „Meine Kinder wollen nur meinen<br />
Nachlass aufheben“, sagt Zint.<br />
Er freut sich daher sehr, dass die historischen<br />
Bilderschätze in der Deutschen Fotothek, dem Archiv<br />
der Fotografen, gut aufgehoben sind. Mehr als elf<br />
Millionen Bilder sind schon archiviert, rund zwei<br />
Millionen sind bereits digital abrufbar. Damit Geschichte,<br />
wie die von Hamburgs Wiederaufbau, nicht<br />
vergessen wird. •<br />
Kontakt: simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />
ZINT-PORTRÄT: CECILE ASH<br />
Günter Zint (76)<br />
Fünf Mark bekam er 1958 für sein<br />
erstes Pressefoto. Seither hält er<br />
die Kamera drauf: Ob Beatles oder<br />
Hafenstraße – Zint war dabei.<br />
Seiner Wahlheimat hat er mit dem<br />
Sankt Pauli Museum und jetzt mit<br />
dem Bildband ein Denkmal gesetzt.<br />
Hamburg, meine Perle:<br />
Jens Bove/Günter Zint (Hrsg.): Emons Verlag,<br />
320 Seiten, 49,90 Euro. Deutsche Fotothek:<br />
www.deutschefotothek.de<br />
27
Der Israeli: Sozialarbeiter<br />
Nir verlor<br />
seine Mutter durch ein<br />
Selbstmordattentat.<br />
„Es ist nicht leicht,<br />
nicht zu hassen“<br />
Im palästinensisch-israelischen Konflikt haben Nir und Wajeh Verwandte<br />
verloren. Trotzdem kämpfen sie jetzt gemeinsam für Frieden in der Region.<br />
TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />
FOTOS: ANDREAS HORNOFF<br />
28
Der Palästinenser:<br />
Wajehs Bruder<br />
wurde als Kind<br />
von israelischen<br />
Soldaten erschossen.<br />
Israel, Tel Aviv. Nirs Mutter, eine<br />
lebenslustige Frau, war gerade<br />
pensioniert worden und wollte<br />
Freundinnen treffen. Sie stieg in<br />
den Bus. Ein junger Palästinenser stieg<br />
ebenfalls ein. Etwas später zündete er<br />
die Bombe. Er selbst und fünf Fahrgäste<br />
starben. Nirs Mutter war sofort tot.<br />
Ein Dorf bei Hebron, in den besetzten<br />
Gebieten. Wajehs kleiner Bruder<br />
kam nicht vom Spielen wieder,<br />
dabei wartete die Familie schon mit<br />
dem Essen. Dann kam die Nachricht:<br />
Der Junge war von israelischen Soldaten<br />
erschossen worden.<br />
Beide Taten sind jetzt Jahrzehnte<br />
her. Die Wunden bei Nir, dem Israeli,<br />
und Wajeh, dem Palästinenser, sind bis<br />
heute nicht verheilt – und werden es<br />
wohl nie sein. Beide hatten damals<br />
denselben Impuls: Rache. Zumal Wajeh<br />
noch mehr Verwandte verlor: drei<br />
junge Cousins. Einer von ihnen war gerade<br />
Vater geworden, auch ein Baby<br />
wurde von einem israelischen Soldaten<br />
erschossen.<br />
29<br />
„Es ist nicht leicht, nicht zu hassen“,<br />
sagt Wajeh. Aber es gibt da so einen<br />
Spruch, dessen Wahrheit beide empfinden,<br />
Nir und Wajeh: „Wenn du Rache<br />
willst, dann hebe am besten zwei Gräber<br />
aus, eins für deinen Feind – und<br />
eins für dich.“ Deshalb sitzt jetzt auch<br />
Wajeh (58) ausgerechnet mit Nir (57) in<br />
einem Hamburger Garten. Friedlich.<br />
Die beiden sind zusammen auf einer<br />
besonderen Art von Tournee, mit<br />
einer besonderen Botschaft. Sie wollen,<br />
dass dieser Konflikt endlich aufhört.
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />
Wajeh und Nir wollen<br />
die Grenzen in den<br />
Köpfen der Menschen<br />
überwinden: „Nur dann<br />
wird sich etwas ändern.“<br />
„Vielleicht können wir das Blutvergießen<br />
stoppen“, sagt Wajeh. Sie werden<br />
in Hamburg eine Moschee besuchen<br />
und mit Muslimen reden, sie werden in<br />
einer Kirche von ihrem Schmerz und<br />
ihrer Hoffnung sprechen. Sie suchen<br />
weltweit Verbündete in einem schier<br />
aussichtslosen Kampf.<br />
Parents Circle heißt ihre Organisation.<br />
Aktiv mitmachen darf nur, wer in<br />
den israelisch-palästinensischen Auseinandersetzungen<br />
ein Familienmitglied<br />
verloren hat. „Wir sind wahrscheinlich<br />
die einzige Organisation in der Welt, die<br />
nicht größer werden will“, sagt Wajeh.<br />
Wajeh ist Geschäftsmann, er vertreibt<br />
Hühnerkäfige. Viele seiner Kunden<br />
sind Israelis. Insofern hatte er keine<br />
Berührungsängste mit „den anderen“.<br />
Aber Nir kannte keine Palästinenser. Bis<br />
er zu Parents Circle kam. Sein Sohn<br />
hatte dort bei einer Jugendfreizeit mitgemacht.<br />
Das war acht Jahre nach dem<br />
Bombenattentat, 2003, mitten in der<br />
zweiten Intifada.<br />
„Und es war unglaublich: Menschen<br />
von der anderen Seite vergossen<br />
Tränen, als ich meine Geschichte erzählte“,<br />
sagt der Sozialarbeiter. Aber<br />
natürlich erzählten die Palästinenser<br />
auch ihre Geschichte, in der ein Israeli<br />
„Vielleicht<br />
können wir das<br />
Blutvergießen<br />
stoppen.“ WAJEH<br />
der Täter war: „Es war nicht leicht für<br />
mich, sie anzuhören“, sagt Nir. „Aber<br />
plötzlich spürte ich diesen gemeinsamen,<br />
grenzenlosen Schmerz. Es war<br />
überwältigend.“<br />
Genau das ist die Hauptaktivität<br />
von Parents Circle: Die Menschen beider<br />
Seiten zusammenzubringen – in ihrer<br />
Trauer, in ihrem Schmerz. Es gibt<br />
gemischte Gruppen, die zuerst das<br />
jüdische Mahnmal Yad Vashem besuchen,<br />
in dem an die Opfer des Holocaust<br />
erinnert wird – und danach ein<br />
palästinensisches Dorf, das von den Israelis<br />
zerstört wurde. Das schafft Verständnis,<br />
Nähe.<br />
Eine Nähe, die es vorher so nicht<br />
gab. „Viele Palästinenser kennen nur<br />
israelische Soldaten – und viele Israelis<br />
30<br />
sehen Palästinenser nur als potenzielle<br />
Gewalttäter“, sagt Nir. „Bei mir war es<br />
genauso, für mich war es ein Kulturschock,<br />
mit Palästinensern zu sprechen,<br />
und das auch noch über persönliche<br />
Dinge.“<br />
„Das ist kein religiöser Konflikt“,<br />
erklärt Wajeh. „Der Konflikt, das sind<br />
die Grenzen. Wenn ein Israeli die Landkarte<br />
unseres Landes zeichnet, zeichnet<br />
er sie anders als ein Palästinenser. Wir<br />
sind alle Opfer der Besetzung. Das ist<br />
der Grund, warum mein Bruder und<br />
meine Cousins getötet wurden – und<br />
das ist auch der Grund, warum Nirs<br />
Mutter getötet wurde.“<br />
Am deutlichsten wird der Konflikt<br />
tatsächlich an den Checkpoints und<br />
dem Zaun zwischen Israel und den besetzten<br />
Gebieten. „Wir haben Angst vor<br />
Attentaten“, sagt Nir. Deswegen werden<br />
die Grenzen geöffnet und geschlossen,<br />
Ausgangssperren verhängt und wieder<br />
aufgehoben, Menschen kontrolliert und<br />
dann wieder nicht. „Dieser unerträgliche<br />
Alltag schürt neuen Hass und neue<br />
Gewalt“, da ist sich Nir sicher. Und das<br />
wiederum steigert die Angst der Israelis.<br />
„Die Palästinenser müssen mehr<br />
aushalten als wir“, sagt Nir. Manche<br />
Geschichten hören sich an wie Szenen
Stadtgespräch<br />
„Wenn wir weiter<br />
in Angst leben, werden<br />
wir Opfer bleiben.“ NIR<br />
aus einer schwarzen Komödie: Wajeh fuhr abends<br />
langsam an den Grenzposten heran, hatte das Licht<br />
an. Da bekam er plötzlich das Gewehr an den Kopf.<br />
„Willst du uns umbringen? Sofort das Licht aus!“,<br />
rief der Soldat. Gehorsam fuhr er ohne Licht an den<br />
nächsten Checkpoint. Wieder hatte er das Gewehr<br />
vor der Nase. „Willst du uns umbringen? Mach sofort<br />
das Licht an!“ Wajeh lacht. „Wir lachen viel“, sagt er.<br />
Anders hält man es wohl nicht aus.<br />
„Diese Grenzen, Kontrollen und ständigen Abriegelungen<br />
sollen für unsere Sicherheit sorgen“, sagt<br />
Nir. „Aber all das bewirkt genau das Gegenteil.“ Zumal<br />
diese Grenzen oft durchlässig sind. „Wer sie<br />
überwinden will, der schafft das“, sagt Wajeh. Und<br />
Nir erzählt, dass es bei einem ganz bekannten Checkpoint<br />
ein Loch gebe. „Du musst einfach ein paar<br />
Kilometer fahren und überquerst ohne Probleme die<br />
Grenze.“<br />
Trotz dieser Absurdität: Beide Gesellschaften<br />
sind derzeit nicht in der Lage, die Grenzen zu überwinden.<br />
Das müsste im Kopf anfangen. Nir sagt,<br />
dass es bei ihm ein langer Weg war. Als junger Mann<br />
war er Soldat in einem Kibbuz auf dem Sinai. Als<br />
der Friedensvertrag mit Ägypten geschlossen wurde,<br />
war er strikt dagegen. „Ich dachte, dass die Ägypter<br />
sich binnen zwei Wochen ein paar Städte zurückerobern,<br />
wenn wir nicht wachsam sind“, sagt er. Aber<br />
im Laufe der Jahre habe er gemerkt: „Wenn wir nicht<br />
lernen, Vertrauen zu haben und immer weiter in<br />
Angst leben, werden wir immer Opfer bleiben.“ Das<br />
sei die große Gefahr: „Wir haben gute Gründe, uns<br />
als Opfer zu fühlen. Aber ein Opfer kann nicht seine<br />
eigenen Anteile sehen, seine Fehler. Du bist Opfer –<br />
und kannst deswegen machen, was du willst.“<br />
Nir und Wajeh sind sich einig: „Wenn wir nicht<br />
lernen, diese Opferhaltung zu überwinden, wird sich<br />
nie etwas ändern.“ Und für diese Veränderung in<br />
den Köpfen wollen sie kämpfen. „Trotz allem habe<br />
ich etwas, was ich früher nicht mehr hatte“, sagt Nir.<br />
„Hoffnung.“ Und Wajeh fügt hinzu: „Wir können es<br />
uns auch nicht leisten, die Hoffnung zu verlieren.“ •<br />
abasto<br />
ökologische Energietechnik<br />
Für mehr soziale Wärme<br />
und eine klimaschonende<br />
Strom- und Wärmeversorgung.<br />
www.abasto.de<br />
Mieterhöhungsmigräne?<br />
Unser Rat zählt.<br />
Beim Strohhause 20<br />
mieterverein-hamburg.de<br />
im Deutschen Mieterbund<br />
879 79-0<br />
Freude schenken ...<br />
Jetzt<br />
Mitglied<br />
werden<br />
20079 Hamburg<br />
... mit Produkten aus fairem Handel<br />
• Kaffee, Tee, Schokolade ...<br />
• Geschenke, Körbe, Musikinstrumente, Bücher, Lederwaren,<br />
Spielzeug - aus Afrika, Asien und Lateinamerika ...<br />
Fairhandelszentrum Groß- und Einzelhandel<br />
Fachbuchhandlung • Stresemannstr. 374 • 22761 Hamburg<br />
Tel.: 040 / 890 61 33 • Fax: 040 / 899 74 52<br />
www.sued-nord-kontor.de<br />
Öffnungszeiten: Dienstag - Freitag 10.00 - 19.00 Uhr<br />
Samstag 10.00 - 14.00 Uhr<br />
Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />
Parents Circle: www.nordkirche-weltweit.de und<br />
www.theparentscircle.com (auf Englisch)<br />
31
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />
1.<br />
Spuren sichern<br />
Auf Schatzsuche mit dem Künstler Rüdiger Knott – dessen Werke<br />
wir in diesem Monat in den Räumen von Hinz&<strong>Kunzt</strong> ausstellen.<br />
TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />
FOTOS: HENNING ALBERTI,<br />
LENA MAJA WÖHLER (S. 32, OBEN)<br />
2.<br />
Zugegeben: Wir<br />
sind Fans. Insofern<br />
war die Einladung<br />
von Rüdiger<br />
Knott, Werke<br />
für eine Ausstellung<br />
direkt mit<br />
ihm vor Ort auszusuchen,<br />
wie das<br />
Angebot zu einer<br />
Schatzsuche. Sein Atelier ist vollgestopft<br />
und vollgehängt mit Collagen, Materialbildern,<br />
Installationen, Fundstücken<br />
und Treibgut. Alles neu geordnet und<br />
zusammengesetzt.<br />
Der 73-Jährige ist nicht nur Künstler,<br />
sondern seit Jahren Mitglied im<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Beirat. Wichtig war ihm<br />
dabei, bestimmte Projekte in der Redaktion<br />
zu unterstützen. Deshalb berät<br />
er uns nicht nur, sondern organisiert<br />
seit Jahren Ausstellungen mit seinen<br />
Bildern zu unseren Gunsten. Premiere:<br />
Zum ersten Mal werden seine Bilder in<br />
unseren Räumen präsentiert.<br />
Bis 2004 war Rüdiger Knott selbst<br />
Journalist. Erst bei der Deutschen Presseagentur<br />
dpa im Rheinland,<br />
später beim NDR,<br />
jahrelang war er Programmchef<br />
bei NDR<br />
90,3. Aber schon in den<br />
1970er-Jahren hatte er<br />
ein Schlüsselerlebnis. Er<br />
lernte einen Professor an<br />
der Kunstakademie in<br />
32<br />
Düsseldorf kennen, Joseph Beuys. Ging<br />
zu dessen Vorlesungen, wurde süchtig<br />
nach Kunst. Aber erst 1998 wurde er<br />
vom Beobachter der Kunstszene zu einem,<br />
der selbst mitmachte. Er wurde<br />
ein moderner Schatzsucher: Seine Collagen<br />
und Materialbilder gestaltet er<br />
aus Schrott, Holzresten, Wrackstücken,<br />
Plastikmüll und allerlei Verrostetem.<br />
„Wie verrückt“ sammelt<br />
er. Am liebsten in<br />
Wassernähe. „Man könnte<br />
mich auch einen<br />
Kunst-Messie nennen“,<br />
kokettiert er manchmal.<br />
Seine Materialien findet<br />
er im Hamburger Hafen<br />
oder auf seinen Reisen.<br />
3.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
„Cap Trafalgar“ heißt ein<br />
Werk, das wir sofort einpacken.<br />
Ein Malerbrett, gefunden<br />
in Spanien am Strand,<br />
mit einem verrosteten Schild<br />
drauf, das „Durchgang verboten“<br />
anzeigt, sowie eine<br />
alte Anode. Soweit die sachliche Beschreibung.<br />
Aber die Collage aus diesen<br />
drei profanen Teilen ergibt etwas Viertes,<br />
etwas Rätselhaftes. So geht es uns<br />
mit vielen seiner Materialbilder und<br />
Objekte. In einem alten Hummer käfig<br />
lagern irgendwelche Kugeln. Man assoziiert<br />
vielleicht Kartoffeln, Armut<br />
5.<br />
4.<br />
und den Hunger in der<br />
Nachkriegszeit. Dabei<br />
sind es Posidonias. Der<br />
starke Wind hat das Neptungras<br />
zu Kugeln geformt.<br />
Das Wissen darum<br />
verrückt wieder das<br />
fertige Bild im Kopf.<br />
Oder „Krieger“, ein anderes Objekt:<br />
Der Speer ist eine rot-weiß gestreifte<br />
Pegellatte, das Schild ist ein<br />
Stück Dachhaut aus Walzblei. Solche<br />
Stücke verwendet Knott gerne. „Das<br />
Material haben die Dachdecker zusammengenietet<br />
und gelötet, und dabei sind<br />
wundervolle Formen entstanden. Das<br />
würde ich ja gar nicht hinkriegen.“<br />
Aber die Bleidächer sind auch schon<br />
Vergangenheit, sie sind zu schwer und<br />
zu teuer. Knott kennt aber ein paar<br />
Dachdecker, von denen er Stücke abkaufen<br />
konnte.<br />
Vielleicht ist es auch das, was den<br />
Reiz von Rüdiger Knotts Werken ausmacht.<br />
Dass mit allen Fundstücken so<br />
viel Vergangenes erzählt wird und so<br />
viel gelebtes Leben.<br />
Rüdiger Knott bei<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>:<br />
Vernissage: 7. <strong>Dezember</strong> um 18 Uhr.<br />
Die Bilder sind bis zum 23. Januar in<br />
der Altstädter Twiete 1–5 zu sehen,<br />
Mo–Fr, 10–13.30 Uhr, 15–18 Uhr<br />
und nach Vereinbarung.<br />
Eintritt frei, www.knottkunst.de<br />
„Fragil“ heißt eines seiner Bilder, das er<br />
uns ans Herz legt. Er nimmt das Holzstück<br />
mit dem verwitterten Schild in die<br />
Hand. „Da ist was Unvorhergesehenes<br />
passiert, und etwas ganz anderes ist<br />
draus geworden.“ Aber was war, was<br />
sollte sein? Wir betrachten gemeinsam<br />
die Collage. Es ist viel Farbe abgeblättert.<br />
Genau deshalb kann man viel<br />
mehr erkennen als nur eine glatte Oberfläche<br />
– wieder einmal. •<br />
Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />
1. Durch alle Welt<br />
2. Schlusslicht<br />
3. Alles hat seine Zeit<br />
4. Auf den Kopf gehängt<br />
5. Gesperrt<br />
Rüdiger Knott: Früher Programmchef<br />
bei NDR 90,3, heute Beiratsmitglied<br />
von Hinz&<strong>Kunzt</strong> und Künstler.
Seit vier Jahren leitet<br />
Marcus Scherer die Küche im<br />
Israelitischen Krankenhaus.<br />
Den Patienten schmeckt’s!
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
„Ich will etwas<br />
bewegen“<br />
Früher war Marcus Scherer Gourmetkoch.<br />
Jetzt revolutioniert er die Krankenhausküche.<br />
TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />
FOTOS: LENA MAJA WÖHLER<br />
Neulich hat Marcus Scherer,<br />
Küchenchef im Israelitischen<br />
Krankenhaus, einen<br />
Brief von einem Mann bekommen,<br />
dessen Frau im angegliederten<br />
Hospiz gestorben war. Der Witwer bedankte<br />
sich bei Scherer: Seine Frau habe<br />
in ihren letzten Wochen noch mit Appetit<br />
gegessen und sogar wieder zugenommen.<br />
Das sind Reaktionen, die dem<br />
ehemaligen Gourmetkoch viel bedeuten.<br />
„Ich kann einen Patienten damit<br />
glücklich machen, wenn er wieder etwas<br />
verträgt und wenn es ihm schmeckt“,<br />
sagt der 48-Jährige. „Noch nie ging es<br />
um so viel beim Kochen wie hier.“<br />
Früher hat Scherer im Vier Jahreszeiten<br />
gekocht oder im Louis C. Jacob,<br />
in der Eventgastronomie und bei<br />
Caterern. Das Israelitische Krankenhaus<br />
ist aber vielleicht seine bislang<br />
wichtigste Station. Die dortige Küche<br />
hat er in den vergangenen vier Jahren<br />
zu einer vergleichsweisen Gourmetküche<br />
revolutioniert.<br />
Kochen spielte bei ihm schon als<br />
Junge eine große Rolle. „Ich habe<br />
meiner Mutter schon immer über die<br />
Schulter gekocht“, erzählt Scherer. Ein<br />
witziger, aber treffender Versprecher. In<br />
seiner Lehre klebte er seinen Chefs<br />
quasi am Rockzipfel und galt bei den anderen<br />
Auszubildenden als Streber. „Dabei<br />
war ich einfach nur begeistert“, sagt<br />
er. „Ohne all diese Erfahrungen würde<br />
ich das hier auch gar nicht wuppen.“<br />
Sein Credo: „Ich will etwas bewegen.<br />
Egal, ob ich für einen Restaurantbesucher,<br />
meine Familie oder einen Patienten<br />
koche – die Qualität und der Anspruch<br />
sollten immer dieselben sein.“<br />
Und das heißt für ihn: „Man kann fast<br />
alles frisch zubereiten.“ Und das auch<br />
in einer Küche, in der 300 Mittagessen<br />
rausgehen. Deswegen gab er auch nur<br />
„Noch nie<br />
ging es um so<br />
viel beim Kochen<br />
wie hier.“<br />
35<br />
ein kurzes Gastspiel in einem anderen<br />
Krankenhaus. „Die wollten nichts verändern.“<br />
Im Israelitischen Krankenhaus<br />
musste er sich gegen 15 andere<br />
Bewerber durchsetzen. „Aber das passte<br />
wie Topf auf Deckel.“<br />
„Wir haben fast alle Fertigprodukte<br />
rausgeschmissen“, sagt er. „Wir kaufen<br />
zwar die Bohnen schon geputzt und<br />
den Salat gewaschen, aber jede Suppe,<br />
jeden Obstsalat machen wir selbst.<br />
Wir nehmen nur frische Kräuter und<br />
keine Gewürzmischungen, nichts aus<br />
der Dose.“ Auf dem Speiseplan stehen<br />
dann Gerichte wie Tofu im Sesammantel,<br />
Hähnchenkeule mit Zucchini-Rhabarber-Ragout<br />
oder Feta im Blätterteig.<br />
Trotzdem müssen die Gerichte ja<br />
möglichst verträglich sein. Scherer hat<br />
ein Baukastensystem entwickelt: Die<br />
Patienten können nun zwischen 25<br />
untereinander kombinierbaren Kostformen<br />
wählen, beispielsweise vegan,<br />
kalorienarm, laktose- oder glutenfrei.<br />
Aber eben abwechslungsreich und<br />
lecker. Immer wieder wird das Team<br />
von Patienten nach den Rezepten gefragt.<br />
Deswegen schrieb Scherer jetzt<br />
auch ein Kochbuch.<br />
Seine Mitarbeiter waren am Anfang<br />
allerdings eher verschreckt. Aus<br />
Angst, die Arbeit dann nicht zu schaffen.<br />
Scherer trat wie in einer Kochshow<br />
den Beweis an: „Du machst jetzt eine<br />
Fertigsuppe und ich koche eine frische“,<br />
kündigte er beispielsweise an. Und tatsächlich:<br />
Er wurde fast gleichzeitig<br />
fertig – und seine Crew räumte ein: Es<br />
schmeckte einfach besser.<br />
Gemeinsam mit seinem Team analysierte<br />
er alle Arbeitsschritte: Wo sind<br />
zeitliche Puffer? „Wenn ihr es nicht<br />
schafft und ihr seht, ich sitz in meinem<br />
Büro, dann klopft, dann mach ich<br />
mit.“ Ein paar Monate habe die Umstellung<br />
gedauert. „Dann haben alle<br />
gestrahlt, weil sie gesehen haben: Es<br />
klappt und macht Spaß.“<br />
Auch das erinnert an die TV-Shows:<br />
Jeden Tag testen ein Koch, eine Mitarbeiterin<br />
aus dem Ernährungsteam und
Laktose- oder glutenfrei, Diät oder<br />
vegetarisch? Kein Problem. Gewürzmischungen<br />
oder Zutaten aus der<br />
Dose kommen nicht auf den Tisch.<br />
ein Dritter die Gerichte und bewerten<br />
sie nach Schulnoten „Alles, was schlechter<br />
ist als 3, geht nicht raus.“ Aber so<br />
etwas passiert kaum noch. Der Druck,<br />
der auf seinem Team liegt, ist dadurch<br />
„natürlich etwas erhöht“ worden.<br />
Findet Marcus Scherer aber in<br />
Ordnung, denn es geht um Qualität<br />
und Zuverlässigkeit. Inzwischen ist die<br />
Arbeit, wenn keiner ausfällt, trotz allem<br />
so organisiert, dass die Crew – wenn<br />
alles rund läuft – auch mal früher als<br />
um 15 Uhr gehen kann. Das motiviert.<br />
Nicht zuletzt den Chef selbst. Der<br />
legt nämlich Wert auf ein Familienleben.<br />
Seine Zwillinge sind inzwischen<br />
Rezepte für eine<br />
schöne Weihnachtszeit<br />
von Marcus Scherer – für 4 Personen<br />
ENTE UND GRÜNKOHL<br />
CAPPUCCINO VON BIRNE<br />
UND SELLERIE<br />
MIT MAISHÄHNCHENBRUST<br />
IM MOHNMANTEL<br />
ZUTATEN<br />
1 Maispoularden-Brust à 160 g<br />
1 EL schwarzer Mohn<br />
1 Zwiebel, 1 Knollensellerie<br />
4 Birnen, ¼ l Milch, ½ l Sahne<br />
½ l Brühe, 1 Limette, Salz, Pfeffer<br />
Zucker, Cayennepfefferffer<br />
ZUBEREITUNG<br />
Das Gemüse und Obst waschen,<br />
schälen und in kleine Würfel schneiden.<br />
Die Zwiebel in einem Topf in etwas Öl<br />
andünsten. Sellerie und Birne hinzufügen<br />
und ebenfalls andünsten. Mit Sahne<br />
und Brühe ablöschen und etwa<br />
20 Minuten köcheln lassen. Aufmixen<br />
und mit Salz, Pfeffer, Cayenne und<br />
Limette abschmecken.<br />
Die Maispoularden-Brust ohne Haut<br />
würzen, anbraten und im Ofen<br />
auf 160 °C etwa 12 Minuten garen.<br />
Herausnehmen und durch den<br />
Mohn wälzen. Dann noch<br />
circa 5 Minuten ruhen lassen und in<br />
12 dünne Scheiben schneiden.<br />
Milch in einem kleinen Topf zum<br />
Kochen bringen, abschmecken und mit<br />
dem Milchschäumer aufschäumen.<br />
Suppe in einer Milchkaffeetasse anrichten.<br />
Den Milchschaum obenauf geben,<br />
mit ein paar frischen Kräutern garnieren.<br />
Die gebratene Poularde auf<br />
einem Suppenlöffel anrichten<br />
und an die Tasse anlegen.<br />
ZUTATEN<br />
1 Ente<br />
2 Zwiebeln, 1 Karotte<br />
500 g Sellerie, 1 EL Tomatenmark<br />
½ l Rotwein<br />
1 l Gemüsebrühe<br />
1 Orange, 1 Apfel<br />
Salz, Pfeffer, Liebstöckel<br />
1,5 kg Grünkohl gewaschen<br />
200 g Bauchfleisch<br />
ZUBEREITUNG<br />
Gemüse in nussgroße Stücke schneiden. Im<br />
Bräter anbraten. Tomatenmark dazugeben<br />
und anrösten. Mit Rotwein und ¼ l Brühe<br />
ablöschen. Ente mit Salz und Pfeffer würzen.<br />
Apfel und Orange in Stücke schneiden,<br />
Liebstöckel dazugeben und die Ente damit<br />
füllen. Auf das Gemüse setzen. Bei 170 °C<br />
Heißluft für 1,5 bis 2 Stunden in den<br />
Ofen schieben. Alle 15 Minuten mit dem<br />
Bratensatz übergießen.<br />
Für den Grünkohl: Zwiebel und Speck in<br />
Würfel schneiden und anbraten. Grünkohl<br />
dazugeben. ½ l Brühe hinzufügen<br />
und langsam für circa 1 bis 1,5 Stunden<br />
36
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
neun Jahre alt. Und er will ein Vater<br />
sein, der seine Kinder auch aufwachsen<br />
sieht. So etwas ist in der Gastronomie<br />
selten, ob Sterneküche oder nicht. Meist<br />
beginnt der Job am späten Vormittag<br />
und endet nicht vor 22 Uhr. In seinem<br />
früheren Leben wollte Scherer mal am<br />
Geburtstag der Kinder freihaben. „Das<br />
gab eine richtige Diskussion“, sagt er,<br />
„da gerät man dann schon ins Grübeln.“<br />
Und ständig habe der Chef dann<br />
auch noch in der Freizeit bei ihm zu<br />
Hause angerufen und ihn gefragt, ob er<br />
nicht doch noch eine Schicht schieben<br />
könnte. Heute, sagt Marcus Scherer zufrieden,<br />
„da ist Feierabend, wenn wir<br />
hier abschließen.“ Natürlich habe auch<br />
sein heutiger Chef mal bei ihm zu<br />
Hause angerufen, räumt Scherer ein<br />
und grinst. „Aber nur, um mir zum Geburtstag<br />
zu gratulieren.“ •<br />
Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />
Ich koche: 90 leckere Rezepte aus<br />
der Gourmet-Küche – einfach selber<br />
zubereiten und genießen;<br />
Israelitisches Krankenhaus in Hamburg<br />
(Herausgeber); CEP Europäische<br />
Verlagsanstalt/Die Hanse, 19,90 Euro<br />
MOUSSE AU CHOCOLAT<br />
Innere Kraft - für dich & andere<br />
Qigong<br />
Taijiquan Meditation<br />
Barmbek, Bahrenfeld, Eimsbüttel, Langenhorn<br />
040-205129<br />
www.tai-chi-lebenskunst.de<br />
köcheln lassen. Mit Salz, Zucker, Senf und<br />
Pfeffer würzen. Um den Grünkohl zu binden,<br />
2 dicke rohe Kartoffeln fein reiben und in<br />
den heißen Grünkohl geben. Der Kohl<br />
muss dann noch etwa 20 Minuten köcheln,<br />
damit die Bindung entsteht.<br />
Wenn die Ente fertig ist, nehmen Sie diese<br />
aus dem Ofen und stellen sie warm.<br />
Das Gemüse und den Fond, der im Bräter<br />
ist, aufmixen, aufkochen, abschmecken und<br />
eventuell abbinden.<br />
ZUTATEN<br />
4 Eier, 8 Eigelb<br />
150 g Zucker<br />
400 g Kuvertüre<br />
750 g Sahne<br />
4 Orangen kernlos<br />
ZUBEREITUNG<br />
Eigelb, Vollei und Zucker<br />
schaumig aufschlagen.<br />
Kuvertüre im Wasserbad bei circa<br />
60 °C schmelzen lassen. Sahne<br />
steif schlagen. Zerlassene Kuvertüre<br />
vorsichtig unter die Ei-Masse heben.<br />
Wenn alles verrührt ist, die geschlagene<br />
Sahne unterheben, sodass die<br />
Masse luftig bleibt. Abfüllen und<br />
mindestens 2 Stunden kalt stellen.<br />
Orangen schälen, in circa 0,5 Zentimeter<br />
dicke Scheiben schneiden. Scheiben auf<br />
vier Tellern verteilen, Mousse mit einem<br />
Löffel (geht am besten, wenn man ihn<br />
kurz in warmes Wasser taucht) in Nocken<br />
ausstechen und an die Orangen legen.<br />
Eventuell mit Minze und ein paar frischen<br />
Beeren dekorieren.<br />
REZEPTFOTOS: PIXABAY<br />
ENGAGIEREN<br />
TAUFEN<br />
SINGEN<br />
PFLEGEN<br />
TRAUERN<br />
INFORMIEREN<br />
HEIRATEN<br />
Das Leben<br />
steckt voller<br />
Fragen.<br />
37<br />
Wie können wir Ihnen helfen?
Rubrik<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />
Sch pfer des Abgrunds<br />
Er ist einer der angesagtesten Urban-Art-Künstler Deutschlands.<br />
Jetzt hat Streetartist 1010 für die Hinz&<strong>Kunzt</strong> Strassen<strong>Kunzt</strong>Edition ein Motiv entworfen –<br />
und zum ersten Mal so offen über seine Herangehensweise gesprochen.<br />
TEXT: ANNETTE WOYWODE<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE (OBEN), 1010<br />
38
Der Künstler bleibt am<br />
liebsten unerkannt: 1010<br />
als Schattenriss in seinem<br />
Atelier auf St. Pauli.<br />
1010 will am liebsten niemanden in<br />
sein Atelier lassen. „Ich hab’ mich<br />
schon geärgert, dass wir uns hier verabredet<br />
haben“, sagt er zur Begrüßung<br />
– und will gerade die Tür abschließen.<br />
Von außen. Zu viel Konkretes, zu viel<br />
Privates gäbe es da zu sehen. Nach leisem<br />
Protest schließt er wieder auf.<br />
Schließlich ist sein Gast extra nach St.<br />
Pauli geradelt. Um herauszufinden, wer<br />
oder was 1010 ist. Diese Nummer, dieser<br />
Binärcode. Total unpersönlich klingt<br />
das, austauschbar, kalt, leblos. Und wie<br />
spricht man das überhaupt aus? Eins<br />
null eins null? Oder eintausendzehn?<br />
Oder ten ten? Alles ist möglich.<br />
Genau so gefällt es dem Menschen<br />
hinter diesem Kürzel. Raum geben für<br />
Interpretationen – das ist es, was das gesamte<br />
Werk des Streetartisten prägt.<br />
Herauszutreten aus der Anonymität<br />
kommt daher für den 38-Jährigen auch<br />
39<br />
Freunde<br />
nicht in Frage. Dabei ist er aktuell einer<br />
der angesagtesten Urban-Art-Künstler<br />
Deutschlands – der jetzt extra für die<br />
Strassen<strong>Kunzt</strong>Edition von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
ein Werk gestaltet hat. Und der im Gespräch<br />
alles andere als leblos rüberkommt.<br />
Herzlich ist er und sehr bescheiden.<br />
Das merkt man, wenn man<br />
sich eine Weile mit ihm unterhält.<br />
„Warum<br />
muss man alles<br />
labeln?“<br />
Zunächst entspinnt sich eine heiße Diskussion:<br />
„Warum braucht man immer<br />
eine Person, um an der alles festzumachen?“,<br />
fragt er. „Warum muss man alles<br />
labeln?“ Schon das Wort „ich“ findet<br />
er schwierig. „Es grenzt dich von<br />
allen anderen ab“, findet der gebürtige<br />
Pole. „Das ist aber unsere westliche<br />
Weltsicht auf die Dinge.“<br />
Auch die Anerkennung für sein<br />
Werk reklamiert er nicht für sich selbst:<br />
„Die Idee hinter Künstlern ist ja, dass<br />
wir alles alleine machen“, sagt er. „Aber<br />
in Wahrheit saugen wir alles um uns herum<br />
auf wie ein Schwamm und denken<br />
später: ,Boah, da hatte ich ja ’ne geile<br />
Idee‘, dabei hatte ich das vorher in ’ner<br />
Tierdoku gesehen und es nur vergessen.“<br />
Berühmte Künstler hätten zum<br />
Teil 100 Assistenten, meint er. So weit<br />
ist es bei 1010 zwar nicht, aber auch er<br />
brauche Menschen, die ihn bei seiner<br />
Kunst unterstützen. „Wenn die, die helfen,<br />
gute Ideen haben, dann fließen die<br />
natürlich auch in die Arbeit mit ein.“<br />
Die Arbeit von 1010 hat sich in den<br />
vergangenen Jahren stark gewandelt.<br />
Vor rund zwölf Jahren malte er noch<br />
Männchen auf Zeitungspapier. Damit<br />
plakatierte er den öffentlichen Raum.<br />
Wichtig war ihm schon damals, Namen<br />
keinen Raum zu geben. Um seine<br />
Männchen trotzdem zu kennzeichnen,<br />
versah er sie mit einer Eins oder einer<br />
Null, wie bei der Computer-Grundsprache.<br />
Computerspiele und Internet,<br />
erzählt der Künstler, hätten ihn von Anfang<br />
an begeistert und inspiriert. „Weil<br />
man da losgelöst sein kann von dem,
Freunde<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />
1010 ist weltweit gefragt, seine<br />
Abgründe klaffen an den Wänden<br />
einer Galerie in Marseille (oben)<br />
oder in einer Straße in Warschau.<br />
wer und was man ist. Sogar eine andere<br />
Identität kann man annehmen. Das ist<br />
eine super Freiheit“, findet er. Aus diesen<br />
kodierten Figuren ergab sich der<br />
Künstlername 1010.<br />
Später entstanden dünnbeinige<br />
Kreaturen und sich windende Würmer<br />
mit Vogelschnabel in Schwarz, Weiß<br />
und Pink, die oft bedrohlich und düster<br />
wirkten. Dem Künstler ging es dabei<br />
darum, animalische Triebe zu visualisieren,<br />
die das Verhalten der Menschen<br />
dominieren. Da schleicht sich eine<br />
Figur wie ein Dieb auf der Flucht mit<br />
der Sonne unterm Arm davon (die<br />
Gier). Eine andere hat sich dick und<br />
rund gefressen, bis sie aufplatzt und dadurch<br />
neue Würmer ausscheidet (die<br />
Maßlosigkeit).<br />
Im Jahr 2012 begann 1010 schließlich,<br />
mit Tiefeneffekten zu experimentieren<br />
– und mit Farben. Das funktionierte<br />
verdammt gut. Trotzdem musste er sich<br />
ein halbes Jahr lang dazu überreden,<br />
auf der ästhetischen Schiene weiterzuarbeiten.<br />
„Ich kann doch nicht einfach<br />
was nur fürs Auge machen! Ich will ja<br />
nicht nur Design machen und einfach<br />
was verschönern“, erinnert sich der studierte<br />
Illustrator an seine inneren<br />
Kämpfe. Andererseits eröffnete sich<br />
hier eine neue Möglichkeit, Strukturen<br />
zu erforschen, die unsere Wahrnehmung<br />
und unser Verhalten unbewusst<br />
steuern. In der Evolution hat der<br />
Mensch zum Beispiel gelernt zu unterscheiden,<br />
welche Farbe Gift signalisiert,<br />
welche nicht. Was also läuft unter-<br />
40
Farbenknall im tristen Trümmerschick:<br />
Gleich mit mehreren<br />
Kunstwerken ist 1010 im<br />
Berliner Stadtbild vertreten.<br />
schwellig beim Betrachter ab, wenn er<br />
vor einem vielfarbigen Werk steht?<br />
Nicht zuletzt reizte es 1010 auch, etwas<br />
so ansprechend zu erschaffen, dass man<br />
hinschauen muss – egal, ob der Betrachter<br />
auf Street Art steht oder nicht.<br />
Ästhetik hin oder her: Unpolitisch<br />
sind 1010s Werke nie, wie auch seine<br />
„Abyss“-Murals beweisen. Mit der Serie,<br />
die 2015/2016 entstand, wurde<br />
1010 international bekannt. Seitdem<br />
kann er von seiner Kunst leben – womit<br />
er nie gerechnet hätte. Zu sehen sind<br />
riesige abstrakte Formen, raumgreifend<br />
über ganze Häuserfassaden gesprüht.<br />
Die Wände wirken dadurch so, als wären<br />
sie von überirdischen Kräften aufgebrochen<br />
worden. Der Blick des Betrachters<br />
fällt in riesige Schlünde und<br />
Abgründe, unergründlich, wo und ob<br />
sie jemals enden. Geführt wird das Auge<br />
von vielfarbigen Abstufungen, die<br />
die Form mehrdimensional wirken lassen.<br />
Und wieder ist dem Betrachter die<br />
Deutung selbst überlassen: Warum tut<br />
sich hier ein Abgrund auf ? Endet er in<br />
etwas Gutem oder Bösem? Oder nie?<br />
Was heißt „das Ende“ überhaupt? Für<br />
die Abyss-Serie reiste 1010 um den halben<br />
Globus. In Großbritannien war er,<br />
in Panama, in den USA … Warum?<br />
Inzwischen hat sich der Künstler<br />
warm geredet – und hilft bei der Interpretation:<br />
Eine Liste von Steueroasen<br />
arbeitete er ab. Obwohl die Serie abgeschlossen<br />
ist, ist sein Werk also aktueller<br />
denn je, wie der Skandal um die Paradise<br />
Papers im vergangenen Monat gezeigt<br />
hat. „Die Länder haben Gesetzeslücken,<br />
die es den Reichen und Schlauen<br />
ermöglichen, Steuern zu hinterziehen.<br />
„Ich will nicht<br />
einfach nur was<br />
versch nern.“<br />
Und das sogar halbwegs legal“, ärgert<br />
sich 1010. Geld, das in Abgründen verschwindet,<br />
anstatt es für Bildung, Kultur<br />
oder alternative Lebensmodelle einzusetzen.<br />
Auch Deutschland steht, glaubt<br />
man dem unabhängigen Tax Justice<br />
Network, weit vorn auf der Liste der<br />
Steueroasen. Deshalb hat 1010 für die<br />
41<br />
Strassen<strong>Kunzt</strong> Edition die Form von<br />
Deutschland im Stil der Abyss-Serie auf<br />
Fine Art Papier gedruckt.<br />
Überhaupt, Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Ein super<br />
Projekt, findet 1010. Obwohl: „Eigentlich<br />
müsste man mal den Reichen<br />
helfen“, überlegt er. Dazu würde aber<br />
zunächst gehören, den Begriff „reich“<br />
zu definieren. Schließlich sei es erst mal<br />
völlig in Ordnung, dass Menschen, die<br />
viel leisten oder über besondere Begabungen<br />
verfügen, dafür belohnt werden<br />
– auch finanziell. Problematisch findet<br />
er „übernationale riesige Konzerne,<br />
Multimilliardäre und andere super konzentrierte<br />
Megavermögen“, die die Geschicke<br />
ganzer Länder bestimmen.<br />
„Ich will immer wieder einen neuen<br />
Blick auf scheinbar bekannte Themen“,<br />
sagt der Streetartist. Dafür kann<br />
es allerdings auch sehr weltliche Gründe<br />
geben: „Eigentlich will ich gerade<br />
gar nicht mehr malen. Du hast keine<br />
Klamotten mehr, weil die versaut sind;<br />
es dauert ewig, bis die Farbe trocken ist<br />
…“ Dann lacht 1010. Das allein ist zu<br />
banal. Die wahren Gründe menschlichen<br />
Denkens und Handelns liegen tief<br />
verborgen. An sie heranzukommen ist<br />
schwer, auch bei sich selbst. Was hilft?<br />
Computersprache. Binärcodes. Eine<br />
Reise in sich selbst. „Man sollte sich die<br />
ganze Zeit selber hacken.“ •<br />
Kontakt: annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />
Jetzt neu in der<br />
Strassen<strong>Kunzt</strong>Edition:<br />
„Abyss_092“ von 1010,<br />
36cm x 50cm,<br />
Fine Art Druck auf<br />
300 g Hahnemühle Papier<br />
In der Edition sind auch weiterhin die<br />
Werke von Victor Ash, ecb, DAIM,<br />
Daniel Man und Zevs erhältlich.<br />
Alles limitierte Auflagen:<br />
99 Stück zum Preis von je 99 Euro.<br />
Der Erlös geht zur Hälfte an die Künstler,<br />
zur Hälfte an Hinz&<strong>Kunzt</strong>.
Ulrike Fischer (links) und Tina<br />
Schneeweiß organisieren das<br />
Konzert in der St.-Pauli-Kirche.<br />
Hundert Stimmen<br />
für Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Kirche, St. Pauli und Hinz&<strong>Kunzt</strong>? „Passt“, finden Tina Schneeweiß<br />
und Ulrike Fischer. Deshalb veranstalten sie im Advent ein großes<br />
Benefiz-Chorkonzert zugunsten von Hinz&<strong>Kunzt</strong> in der St.-Pauli-Kirche.<br />
Aber wie kriegt man drei Chöre mit völlig unterschiedlichen<br />
Programmen für ein Konzert unter einen Hut?<br />
TEXT: MISHA LEUSCHEN<br />
FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Singen vereint“, findet Tina<br />
Schneeweiß. Wenn die Kirchenmusikerin<br />
den Takt angibt,<br />
dann kommen sie alle:<br />
Junge und Alte, Hartz-IV-Empfänger<br />
und Millionäre, Handwerker und Hipster<br />
singen gemeinsam im Kammerchor<br />
und im Projektchor der St.-Pauli-<br />
Kirche. „Hier kann jeder Mensch so<br />
sein, wie er ist, man muss sich nicht<br />
dauernd beweisen“, findet sie. Doch ein<br />
Benefizkonzert mit 100 Mitwirkenden<br />
zu stemmen ist eine andere Hausnummer,<br />
weiß die 41-Jährige: „Allein könnte<br />
ich das nicht.“ Dafür braucht<br />
es eine leidenschaftliche Netzwerkerin.<br />
Eine wie Ulrike Fischer, die die Idee<br />
für das Weihnachtskonzert hatte. Die<br />
Journalistin denkt gern größer und liebt<br />
es, Menschen für eine gute Sache zusammen<br />
zubringen.<br />
Zum Gespräch sitzen die beiden<br />
Frauen in der kalten St.-Pauli-Kirche<br />
am Pinnasberg. Draußen im wildromantischen<br />
Garten mit Elbblick hängt<br />
noch ein verblichenes Transparent mit<br />
der Aufschrift „Welcome to heaven“ als<br />
Antwort auf die G20-Demo „Welcome<br />
to hell“: Hier bezieht man Stellung. Die<br />
schlichte alte Kirche hat für alle Platz –<br />
auch für die sogenannten Lampedusa-<br />
Flüchtlinge, eine Gruppe von afrikanischen<br />
Geflüchteten, die hier 2013 für<br />
eine Zeitlang Obdach fanden. „Damals<br />
war eine große Sehnsucht bei den Menschen<br />
in der Stadt zu spüren, helfen zu<br />
können“, erinnert sich Tina Schneeweiß<br />
an die bewegte Zeit.<br />
Das soziale Engagement der St.-<br />
Pauli-Kirche hat auch Ulrike Fischer<br />
sehr beeindruckt. Als ihr die Idee für ein<br />
Benefizkonzert für Hinz&<strong>Kunzt</strong> kam,<br />
war diese Kirche deshalb ihre erste<br />
Wahl. Dabei singt sie gar nicht in einem<br />
der beiden Chöre der Kirche, sondern<br />
im Projektchor Global Vocal. „Wir wollen<br />
die Welt singend begreifen“, erklärt<br />
sie dessen Konzept. Menschen mit Musik<br />
zu berühren hat für Ulrike Fischer<br />
eine große Kraft: „Man merkt, wie wirkmächtig<br />
man sein kann“, sagt die<br />
53-Jährige.<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />
42
FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Freunde<br />
Kaffee und Herzlichkeit<br />
Dankeschön<br />
Tina Schneeweiß hat nun die anspruchsvolle<br />
Aufgabe, drei ganz verschiedene<br />
Chöre und das ebenfalls beteiligte<br />
Jazzduo San Glaser und Arnd<br />
Geise zum gemeinsamen Klingen zu<br />
bringen. „Jeder Chor wird beim Konzert<br />
ein eigenes Programm vorstellen,<br />
es wird aber auch gemeinsame Lieder<br />
geben“, so die Chorleiterin. Stolz ist Tina<br />
Schneeweiß darauf, dass es ihr gelungen<br />
ist, mit dem Kammerchor ein<br />
Gesangsensemble zu etablieren, das<br />
sich auch an komplexe Werke der Kirchenmusik<br />
wagt. „Dafür ist die Kirche<br />
mit ihrer tollen Akustik ein Geschenk“,<br />
findet sie. Im Projektchor, ihrem zweiten<br />
Musikangebot für Erwachsene,<br />
muss man nicht toll singen oder Noten<br />
von Blatt lesen können. Mitmachen<br />
kann jeder, der Zeit und Lust hat, an<br />
sechs Terminen ein Programm zu erarbeiten,<br />
das nur ein einziges Mal zur<br />
Aufführung kommt – diesmal beim<br />
Benefizkonzert.<br />
Beim Hinausgehen schaut sich<br />
Tina Schnee weiß zufrieden in der<br />
Kirche um. „Am Ende sind wir alle<br />
Menschen. Die St.-Pauli-Kirche ist ein<br />
guter Ort dafür.“ •<br />
Chorkonzert: Sonntag, 17.12.,<br />
19 Uhr, St.-Pauli-Kirche, Pinnasberg 80,<br />
Spende erbeten<br />
Söhne Hamburgs? Ja, so heißt nicht nur eine Band, sondern<br />
auch der Coffee Shop von Ramin und Feroz Attai.<br />
Seit sechs Jahren liefern die beiden Brüder zum guten Kaffee<br />
immer auch eine Portion Herzlichkeit und gute Laune.<br />
Neu ist, dass die Jungs den Kaffee selbst rösten und in Tüten<br />
à 100 Gramm, 250 Gramm und 1 Kilo abfüllen. „Söhne<br />
HamburgRöstbohne“ heißt der Espresso aus Robusta- und<br />
Arabica-Bohnen. „Und weil wir Hamburg gerne etwas von<br />
unserem Glück zurückgeben wollen, spenden wir 50 Cent<br />
von jeder Packung an Hinz&<strong>Kunzt</strong>.“ Vielen Dank! ABI<br />
•<br />
Coffee Shop „Söhne Hamburgs“, U-Bahn Jungfernstieg,<br />
Ausgang Ballindamm/Thalia Theater, geöffnet Mo–Fr, 6–15 Uhr,<br />
diesen Monat ausnahmsweise immer bis 19 Uhr<br />
JA,<br />
ICH WERDE<br />
MITGLIED<br />
IM HINZ&KUNZT-<br />
FREUNDESKREIS.<br />
Damit unterstütze ich die<br />
Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Meine Jahresspende beträgt:<br />
60 Euro (Mindestbeitrag für<br />
Schüler/Studenten/Senioren)<br />
100 Euro<br />
Euro<br />
Datum; Unterschrift<br />
Ich möchte eine Bestätigung<br />
für meine Jahresspende erhalten.<br />
(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />
Meine Adresse:<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Nr.<br />
PLZ, Ort<br />
Telefon<br />
E-Mail<br />
Beruf<br />
Geburtsjahr<br />
Einzugsermächtigung:<br />
Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />
Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />
Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />
IBAN<br />
Wir danken allen, die im November<br />
an uns gespendet haben,<br />
sowie allen Mitgliedern im Freundeskreis<br />
von Hinz&<strong>Kunzt</strong> für die Unterstützung<br />
unserer Arbeit!<br />
DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />
• IPHH<br />
• wk it services<br />
• Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
• Hamburger Tafel<br />
• Axel Ruepp Rätselservice<br />
• Hamburger Kunsthalle<br />
• www.bildarchiv-hamburg.de<br />
43<br />
NEUE FREUNDE:<br />
• Birgit Baye<br />
• Stefan Becker<br />
• Annett D'Amico<br />
• Renate Drews<br />
• Panos Drossinakis<br />
• Waltraut Heinrici<br />
• Armin Kaup<br />
• Christa Krumm • Luisa Micheel<br />
• Anja Pohl-von der Mehde<br />
• Mirjam Schwolow<br />
• Antje Stelter<br />
• Dörte Suhr<br />
• Beate Wiedemann<br />
BIC<br />
Bankinstitut<br />
Wir versichern, dass Ihre Angaben nur für interne<br />
Zwecke bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> verwendet werden. Ihre<br />
Mitgliedschaft im Freundeskreis ist jederzeit kündbar.<br />
Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />
Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />
Oder online im Freundeskreis anmelden unter<br />
www.hinzundkunzt.de/freundeskreis<br />
HK <strong>298</strong>
Buh&Beifall<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />
Was unsere Leser meinen<br />
„Er bleibt in guter Erinnerung.“<br />
Her mit dem Prototyp<br />
H&K 297, Besser-Verdiener: Goldeimer<br />
Ich hoffe, dass Herr Schremmer<br />
seinen Prototypen (einer mobilen Komposttoilette,<br />
die Red.) für Kleingärtner und<br />
irgendwann auch für Katastrophengebiete<br />
schnell entwickelt. Unsere Kinder<br />
gehen in einen Waldkindergarten, in<br />
dem eine Komposttoilette leider auch<br />
an der Entsorgung beziehungsweise<br />
Durchführung (wohin mit den Kompostbehältern?)<br />
scheitert und die<br />
Kinder somit immer noch auf ein<br />
Dixie-Klo (oder oft lieber in den Wald)<br />
gehen.<br />
LEA ETZEL<br />
„Er hat sich mit uns gefreut“<br />
H&K 297, Todesanzeige<br />
Enrico war „unser“ Verkäufer.<br />
Mit seiner freundlichen Art kam er mit<br />
vielen ins Gespräch. Als ich schwanger<br />
wurde, hat er sich mit uns gefreut. Es<br />
wurden Zwillinge, und noch wenige<br />
Tage vor der Geburt versicherte er mir,<br />
wie gespannt er auf die „Bambini“ sei.<br />
Inzwischen sind die Kinder fünf Jahre<br />
alt. Und Enrico war ein Aufhänger für<br />
viele Gespräche. Durch ihn konnten<br />
wir thematisieren, dass es Menschen<br />
gibt, die nur sehr wenig Geld haben.<br />
Und auch, dass es nicht selbstverständlich<br />
ist, dass wir so viel Geld haben,<br />
dass wir uns viele Wünsche erfüllen<br />
können. Dass wir deshalb auch etwas<br />
abgeben können. Und manchmal<br />
waren die Kinder der Meinung, Geld<br />
reicht nicht … So brachten wir von<br />
unseren Einkäufen auch mal eine<br />
„Banane für Enrico“ mit vor die<br />
Ladentür oder Ähnliches. Nach seinem<br />
Tod sprechen wir noch immer oft über<br />
ihn. Außerdem steht nun ein Bild von<br />
ihm an seinem Platz, und einige haben<br />
Blumen und Kerzen gebracht. Er bleibt<br />
wohl vielen in guter Erinnerung.<br />
SARAH FURCHERT<br />
Leserbriefe geben die Meinung des<br />
Verfassers wieder, nicht die der Redaktion.<br />
Wir behalten uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />
Wir trauern um<br />
Herbert Bartz<br />
2. April 1948 – 21. Oktober <strong>2017</strong><br />
Herbert war 21 Jahre bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Sein<br />
Stammplatz war vor Blume 2000 in Ottensen.<br />
Die Verkäufer und das Team von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Wir trauern um<br />
Martina Färber<br />
31. August 1960 – 15. Oktober <strong>2017</strong><br />
Martina kam erst 2015 zu Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Seitdem<br />
hat sie bei Rewe im EKZ Kroonhorst verkauft.<br />
Die Verkäufer und das Team von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Wir trauern um<br />
Manole Dorel<br />
9. November 1972 – 28. Oktober <strong>2017</strong><br />
Manole hat meistens am Steindamm verkauft.<br />
Überraschend ist er auf der Reeperbahn verstorben.<br />
Die Verkäufer und das Team von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
DER ETWAS<br />
ANDERE STADTRUNDGANG<br />
MIT CHRIS UND HARALD<br />
SCHNELL<br />
SCHALTEN<br />
Anzeigen: 040/28 40 94-0<br />
anzeigen@hinzundkunzt.de<br />
Hamburg hat viele Seiten – wir zeigen eine, die in keinem<br />
Reiseführer steht. Unsere Stadtführer zeigen Anlaufstellen<br />
für Obdachlose in der Hamburger Innenstadt. Die beiden<br />
Hinz&Künztler kennen das Leben auf der Straße aus eigener<br />
Erfahrung und geben bei der zweistündigen Tour authentische<br />
Einblicke in den Alltag von Wohnungslosen.<br />
Anmeldung: Bequem online unter<br />
www.hinzundkunzt.de oder<br />
Telefon: 040/32 10 83 11<br />
Kostenbeitrag: 10/5 Euro<br />
Nächste Termine:<br />
10., 17. und 24.12.<strong>2017</strong>, 15 Uhr<br />
mit Abschiedshaus
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Viel Ruhm: Schauspieler Steffen Siegmund wird mit dem Boy-Gobert-Preis ausgezeichnet (S. 46).<br />
Viel Ehre: B-Movie und Metropolis freuen sich über Preise der Kinemathek (S. 50).<br />
Viel Glück: Hinz&Künztler Holger begegnete bei einem St.-Pauli-Spiel seiner großen Liebe (S. 58).<br />
Manchmal hat der Einzelne<br />
ganz schön zu schleppen!<br />
Um sich auf das Stück<br />
„Jerada“ vorzubereiten,<br />
reiste Norwegens<br />
Tanzcompagnie „Carte<br />
Blanche“ nach Marokko.<br />
Zu sehen auf dem<br />
Nordwind Festival (S. 53).<br />
FOTO: ARASH A. NEJAD /<br />
NYEBILDER.NO
„Das Theater hat<br />
mich gerettet“<br />
Steffen Siegmund erhält dieses Jahr den Boy-Gobert-Preis.<br />
Ein Gespräch über seine Jugend in Parchim, warum man nicht auf<br />
eine Depression warten sollte und die große Kraft des Theaters.<br />
TEXT: FRANK KEIL<br />
FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
46
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
sprechend rau und schlicht, die Wände<br />
nur grob getüncht. Steffen Siegmund ist<br />
bereits vollständig umgezogen: schwarze<br />
Hose, schwarzes Hemd, schwarze,<br />
leicht spitze Halbschuhe. Versucht er<br />
noch zu erspüren, wie die kommenden<br />
70 Minuten an diesem Abend werden?<br />
Oder ist er in diesem Moment schon<br />
Eddy, die Schwuchtel, der Homo, die<br />
Sau, den seine Mitschüler auf dem<br />
Schulhof wegschubsen und anspucken<br />
können, ohne dass ihnen etwas passiert?<br />
Ein paar Tage später sagt er im<br />
Gespräch: „Ich kenne dieses tiefe Gefühl,<br />
anders zu sein, auch wenn ich<br />
nicht homosexuell bin.“<br />
Steffen Siegmund spricht Eddy in<br />
dem Stück „Das Ende von Eddy“, er<br />
spielt ihn mit vollem Körpereinsatz, begleitet<br />
von dem Musiker Tom Gatza am<br />
Keyboard; Eddy, Held des gleichnamigen<br />
Romans von Édouard Louis, nun<br />
als Solo-Sprechstück auf die Bühne gebracht.<br />
Siegmund berichtet aus diesem<br />
Eddy-Leben, zunächst fast sachlich und<br />
Steffen Siegmund auf dem<br />
orangen Sofa im Mittelrang-<br />
Foyer des Thalia Theaters.<br />
Umgeben von vielen Roten<br />
Zoras: Er spielt in dem Stück<br />
den dicken Jungen Pavle.<br />
Steffen Siegmund lehnt an der<br />
Heizung, er schaut zu, wie die<br />
Zuschauer nach und nach den<br />
Raum betreten. Wie sie sich unerschrocken<br />
vorne in die erste Reihe<br />
setzen oder lieber vier Treppen hoch<br />
nach oben gehen. Die Bühne liegt offen<br />
vor ihnen, kein Vorhang trennt sie ab:<br />
Die „Garage“, einer der Spielorte auf<br />
dem Gelände des Theaters in der<br />
Gaußstraße, war mal eine Garage mit<br />
Rolltor und Betonfußboden und ist ent-<br />
„Ich kenne<br />
dieses tiefe<br />
Gefühl, anders<br />
zu sein.“<br />
nüchtern; er geht auf und ab, er kommt<br />
ins Rennen, ist zwischendurch fast flehentlich<br />
leise, wird laut, schreit, er wird<br />
sich ins Gesicht schlagen, mit der flachen<br />
Hand, jeweils links und rechts, immer<br />
abwechselnd. Lange haben sein<br />
Regisseur Alek Niemiro und er überlegt,<br />
ob diese Szene sein kann, ob sie<br />
nicht zu heftig ist, aber nach den ersten<br />
Aufführungen waren sie überzeugt: Sie<br />
ist gerade richtig.<br />
Die Jury des Boy-Gobert-Preises,<br />
den er in diesem Jahr erhält, schreibt in<br />
ihrer Begründung: „Steffen Siegmund<br />
gehört zur seltenen Klasse junger<br />
Schauspieler, die schon in frühen Jahren<br />
in der Lage sind, ihre Rollen mit innerer<br />
Kraft und seelischer Größe auszustatten.<br />
Von seinen Figuren bleibt<br />
man niemals unberührt.“ Der Preis gehört<br />
zu den renommiertesten Nachwuchspreisen<br />
in der deutschsprachigen<br />
Theaterwelt, wird vergeben an Schauspieler<br />
und Schauspielerinnen bis zum<br />
Alter von 30 Jahren. Und 10.000 Euro<br />
Preisgeld gibt es auch. Steffen Siegmund<br />
ist jetzt 25 Jahre alt.<br />
„Für einen Schauspieler, der schon<br />
viereinhalb Jahre am Thalia Theater<br />
ist, bin ich tatsächlich sehr, sehr jung“,<br />
47
„Ich wusste<br />
schnell, dass<br />
das Theater<br />
mein Beruf<br />
werden wird.“<br />
Er hätte das Abitur mit einem Einser-Schnitt bestanden – aber die<br />
Schauspielschule in Leipzig wollte nicht so lange warten und warb ihn ab.<br />
lacht er und wuschelt sich kurz durch<br />
die Haare. Rechnet man kurz nach,<br />
wird einem sofort klar: Er muss sehr<br />
früh angefangen haben, mit dem<br />
Theaterspielen.<br />
Er wird 1993 im brandenburgischen<br />
Perleberg geboren, wächst die<br />
ersten Jahre in der Stadt Wittenberge<br />
an der Elbe auf: „Das ist der große<br />
Knotenpunkt zwischen Hamburg und<br />
Berlin, von dem es mal hieß, hier entsteht<br />
das Hannover des Ostens. Gerhard<br />
Schröder hat damals den neuen<br />
Bahnhof eröffnet“, erzählt er. Die Hoffnungen<br />
haben sich nicht erfüllt. Die<br />
Stadt sei im Grunde eine Geisterstadt.<br />
„Es gibt eine hohe Arbeitslosigkeit, es<br />
ist eine Stadt, die gefühlt nur aus Verlierern<br />
besteht; Menschen, die in der Regel<br />
nichts dafür können“, sagt er. Und<br />
er bleibt in der eigenen Familie, erzählt<br />
kurz von seiner Mutter: „Sie hat eine<br />
Ausbildung zur Facharbeiterin für Lebensmitteltechnik<br />
gemacht, doch nach<br />
der Wende war dieser Beruf plötzlich<br />
ein Studienberuf, und sie konnte ihn<br />
nicht ausüben.“<br />
Er ist elf Jahre alt, da geht es ins<br />
mecklenburgische Parchim, wo es für<br />
ihn nicht minder freudlos ist; aber wo es<br />
zumindest ein Landestheater gibt. Das<br />
eines Tages zwölf Jugendliche für ein<br />
Stück sucht. Er wird einer von ihnen.<br />
„Ich habe sofort gemerkt, dass das toll<br />
ist, und ich wusste schnell, dass das Theater<br />
mein Beruf werden wird“, erzählt<br />
er. Das Theater etabliert einen Jugendclub,<br />
er spielt bei den Kinder- und Jugendstücken<br />
mit und bald auch bei den<br />
Stücken der Erwachsenen. „Die anderen<br />
in meinem Alter haben sich überlegt,<br />
wann man sich am Wockersee zum<br />
Trinken trifft, sind durch die Straßen<br />
gezogen und haben rechte Parolen gerufen,<br />
haben sich darüber unterhalten,<br />
ob man schon ins ,Traumland Spornitz‘<br />
kommt, eine abgeranzte Ekeldiskothek<br />
mit Live-Porno-Shows, ich war da nie!“,<br />
sagt er. „Sondern man verschanzt sich<br />
in einer sehr staubigen Location, überlegt<br />
immer wieder, wie man Geschichten<br />
erzählen kann – und dann kommen<br />
die Leute abends direkt von der Arbeit,<br />
um sich von echten Menschen unterhalten<br />
und berühren zu lassen.“<br />
Zu Beginn der elften Klasse (in<br />
Mecklenburg-Vorpommern gilt G12)<br />
meldet er sich in Leipzig an der dortigen<br />
Schauspielschule zum Vorsprechen<br />
an. Er geht überhaupt nicht davon aus,<br />
dass er genommen werden könnte; er<br />
sieht es als Test an, als Probe, um sich<br />
möglichst gut darauf vorzubereiten,<br />
wenn er nach dem Abitur von Schauspielschule<br />
zu Schauspielschule durchs<br />
Land zieht, wie das üblich ist. „Das<br />
Geld fürs Vorsprechen habe ich mir<br />
ganz kitschig mit Tellerabspülen in einem<br />
Restaurant verdient“, sagt er.<br />
Doch in Leipzig will man ihn sofort<br />
haben. Er geht von der Schule ab, verzichtet<br />
so auf das Abitur, das er mit einem<br />
Einser-Schnitt bestanden hätte,<br />
und er geht mit 17 Jahren weg. „Meine<br />
Eltern fanden das nicht lustig“, erzählt<br />
er. „Sie waren zu dem Zeitpunkt beide<br />
arbeitslos; sie meinten, ich könnte doch<br />
Arzt werden oder Anwalt; ein sicherer<br />
Job mit sicherem Geld.“ Aber das ist es<br />
nicht, wohin es ihn mit aller Kraft zieht,<br />
und er will weg aus Parchim, unbedingt:<br />
„Mir war klar, dass ich in dieser<br />
Stadt an ihrer Trostlosigkeit kaputtgehe.“<br />
Und warum solle man warten, bis<br />
einen die Depression packe, wenn es<br />
anders geht? Und er zitiert einen Satz<br />
48
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
aus dem Eddy-Stück, aus dem Epilog:<br />
„Im Grunde war da nur ein einziges<br />
Flehen: ,Bitte holen Sie mich da raus!‘.“<br />
Und er nickt bei der Frage, ob ihn das<br />
Theater gerettet hätte – genauso könne<br />
man das sagen, diesen Satz könne er<br />
guten Gewissens unterschreiben.<br />
Und was soll er sagen: Es ist ihm alles<br />
gelungen, bisher und seitdem. Wobei<br />
es nicht abzusehen gewesen sei, dass<br />
er so bald in einem Champions-League-<br />
Theater wie dem Thalia Theater landen<br />
würde: „In Leipzig gab es Mitstudenten,<br />
die meinten: ,Kleiner als Berlin<br />
mache ich es nicht!‘. So habe ich nie gedacht.“<br />
Warum nicht Braunschweig?<br />
Warum nicht Mainz? Warum nicht ein<br />
Engagement in der sogenannten Provinz?<br />
„Hauptsache, erst mal spielen!“,<br />
sagt er. Und klar, er habe gut reden, bei<br />
seinem Erfolg. Für den es Glück und<br />
Zufall ebenso brauche wie intensive Arbeit<br />
und eine jeweils gute Vorbereitung.<br />
„Und man muss immer wieder bereit<br />
sein, sich infrage zu stellen und immer<br />
wieder schauen, dass man bei sich<br />
bleibt“, sagt er und erklärt: „Es gibt diesen<br />
Moment auf der Bühne, da ist eine<br />
Pause, es ist mucksmäuschenstill und es<br />
liegt in der Hand von dir und deinen<br />
Mitspielern, wie lange ihr die Pause<br />
haltet. Und dann ist es, wie zusammen<br />
mit dem Publikum zu atmen, ohne dass<br />
man sich dem Publikum anbiedert.“<br />
Er sagt: „Vom Kindertheater abgesehen<br />
hatte ich noch keine so richtig<br />
große, tragende Rolle. Das würde mich<br />
sehr reizen“, sagt er noch. Von daher<br />
freut er sich auf den Boy-Gobert-Preis<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
49<br />
„Man muss<br />
immer wieder<br />
bereit sein,<br />
sich infrage zu<br />
stellen.“<br />
noch mal auf ganz andere Weise: „Dieser<br />
Preis wird ja nicht für eine Leistung<br />
vergeben, dann auch in Abgrenzung zu<br />
anderen. Sondern für eine Entwicklung,<br />
die nicht abgeschlossen ist, und<br />
das finde ich einen guten Antrieb.“<br />
In diesem Jahr hat er die ihm so<br />
vertraute Theaterwelt noch mal aus einer<br />
anderen Perspektive kennengelernt:<br />
Er hat einen Schauspiel-Workshop geleitet<br />
und dann Regie geführt. Man hatte<br />
ihn für die Reihe „Thalia-Campus“<br />
angefragt und er dachte, da kämen eh<br />
nicht viele Leute, die noch dazu schnell<br />
die Lust verlieren würden. Es kam anders:<br />
„Da war ein Arzt dabei, eine Kulturwissenschaftlerin,<br />
zwei Schauspielstudenten,<br />
eine Schauspielerin, eine<br />
Aufnahmeleiterin und auch jemand,<br />
der morgens für Lieferando ausliefert.“<br />
Und alle seien sie trotz widrigster Umstände<br />
bis zum Schluss dabeigeblieben.<br />
Steffen Siegmund sagt: „Mit welcher<br />
Lust am Geschichten-Erzählen die dabei<br />
waren, das hat mir noch mal sehr<br />
viel Energie gegeben.“ •<br />
Kontakt: frank.keil@hinzundkunzt.de<br />
Steffen Siegmund ist im <strong>Dezember</strong><br />
in folgenden Produktionen zu sehen:<br />
Die Rote Zora: So, 3.12. sowie Mo, 4.12., und Fr, 29.12., jeweils 20 Uhr, Garage,<br />
jeweils 11 Uhr, Thalia Theater, Alstertor, Gaußstraße 190, Eintritt 22/10 Euro<br />
Eintritt 6,50–29 Euro<br />
Das Ende von Eddy ist das nächste Mal<br />
Imperium: Mi, 13.12., 19.30 Uhr,<br />
am 5. Januar 2018 zu sehen, 20 Uhr,<br />
Thalia in der Gaußstraße,<br />
Garage, Eintritt 22 Euro<br />
Gaußstraße 190, Eintritt 22/10 Euro Der Boy-Gobert-Preis wird am<br />
Tartuffe: Sa, 16.12., 14 Uhr,<br />
10. <strong>Dezember</strong>, 11 Uhr, im Thalia Theater<br />
sowie Mo, 25.12., 19 Uhr, Thalia Theater, verliehen. Eintritt frei, Anmeldung<br />
Alstertor, Eintritt 7,50–74 Euro<br />
erforderlich unter www.huklink.de/<br />
Besuch bei Mr. Green: Mi, 27.12.,<br />
boy-gobert-preis<br />
<br />
BUGGE WESSELTOFT<br />
<br />
ENTER SHIKARI<br />
<br />
ELTON JOHN & BAND<br />
<br />
WLADIMIR KAMINER<br />
<br />
KELELA<br />
<br />
TAPE FACE<br />
<br />
VOCAL SIX | CHORAKADEMIE LÜBECK<br />
<br />
REBEKKA BAKKEN<br />
<br />
SÓLSTAFIR<br />
<br />
LANY<br />
<br />
TORFROCK<br />
<br />
ALEXA FESER<br />
<br />
JUAN DE MARCOS' AFRO-CUBAN<br />
ALL STARS<br />
<br />
LADY GAGA<br />
<br />
STAATLICHES RUSSISCHES BALLETT MOSKAU<br />
SCHWANENSEE<br />
<br />
<br />
JAKE BUGG<br />
<br />
STEREOPHONICS<br />
<br />
A-HA<br />
<br />
STEEL PANTHER<br />
<br />
GALANTIS<br />
<br />
MAX RAABE & PALAST ORCHESTER<br />
<br />
MARCUS & MARTINUS<br />
<br />
›DANGEROUS GAMES‹<br />
LORD OF THE DANCE<br />
<br />
<br />
AT THE DRIVE IN<br />
SPECIAL GUESTS:<br />
DEATH FROM ABOVE / LE BUTCHERETTES<br />
<br />
JASON DERULO<br />
<br />
DEINE FREUNDE<br />
<br />
THE SCRIPT<br />
<br />
D'ANGELO<br />
<br />
FELIX JAEHN<br />
<br />
JAMES LAST ORCHESTRA<br />
TICKETS: KJ.DE
Dulden kein Popcorn, sitzen<br />
gern vorne: Ute Schneider und Martin<br />
Aust im Foyer des Metropolis.<br />
„Die Leute sollen sich<br />
das Kino leisten können“<br />
Die Programmkinos B-Movie und Metropolis haben beim deutschen<br />
Kinemathekenpreis abgeräumt. Das Preisgeld können beide gut gebrauchen.<br />
Ute Schneider (B-Movie) und Martin Aust (Metropolis) über ihren Anspruch,<br />
auch mit begrenzten Mitteln gutes, bezahlbares Kino für alle zu machen.<br />
TEXT: SIMONE DECKNER<br />
FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Herzlichen Glückwunsch<br />
nachträglich! Was fangen Sie mit dem<br />
Preisgeld von jeweils 2000 Euro an?<br />
MARTIN AUST: Es gibt ja immer Löcher<br />
zu stopfen (lacht). Bei uns fließt<br />
das wahrscheinlich in den normalen<br />
Ver an staltungsetat.<br />
UTE SCHNEIDER: Dass wir als ehrenamtliche<br />
Initiative so einen Preis bekommen, ist<br />
natürlich etwas Besonderes. Wir sind auf<br />
solche Preisgelder angewiesen, weil wir<br />
ja nicht öffentlich finanziert werden.<br />
AUST: Wir werden ja von der Stadt gefördert.<br />
Für uns ist der Preis politisch<br />
wichtig, weil die Kulturbehörde bestätigt<br />
bekommt, das ist kein rausgeschmissenes<br />
Geld, was sie uns jedes Jahr<br />
geben.<br />
Apropos Geld: Ein Ticket im B-Movie kostet<br />
mich 3,50 Euro, im Metropolis 7,50 Euro.<br />
Damit liegen Sie deutlich unter dem<br />
50<br />
Hamburger Durchschnitt von 9,42 Euro.<br />
Wo liegt Ihre Schmerzgrenze?<br />
AUST: Wir sind jetzt schon an der Grenze<br />
des Zumutbaren. Die Leute sollen sich<br />
das Kino leisten können. Wer bei uns<br />
Mitglied wird, zahlt übrigens nur 5 Euro.<br />
SCHNEIDER: Wir halten die 3,50 Euro als<br />
Minimum seit einigen Jahren. Als Kino in<br />
einem sozialen Brennpunkt wie St. Pauli<br />
sehen wir es als besonders wichtig an,<br />
einen günstigen Eintrittspreis zu bieten.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
B-Movie:<br />
gegründet 1987, von Ehrenamtlichen betrieben, 58 Plätze. Finanziert durch<br />
Spenden, Preisgelder und Eintritt. Jahresbudget: keine Angabe. Keine<br />
regelmäßige, öffentliche Förderung; punktuelle Förderung (ca. 3000 Euro)<br />
durch die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein.<br />
Metropolis:<br />
kommunales Kino, eröffnet 1979, Neubau 2011, betrieben vom Verein<br />
Kinemathek Hamburg, 270 Plätze, der Kinosaal von 1952 steht unter Denkmalschutz.<br />
Jahresbudget: 700.000 Euro, öffentliche Förderung: 400.000 Euro.<br />
Das B-Movie hat den Preis in der Kategorie<br />
„Kino, das verbindet“ erhalten. Etwa für<br />
den Arab Film Club, der Filme aus dem<br />
arabischen Raum zeigt: Wie kam es dazu?<br />
SCHNEIDER: Da hat die Flüchtlingssituation<br />
2015 natürlich eine Rolle gespielt. Wir<br />
wollten aber nicht nur für, sondern mit<br />
den Menschen arbeiten. Das klappt<br />
sehr gut. Die Gruppe hat bereits selbst<br />
Filme untertitelt.<br />
Auch zum Thema Obdachlosigkeit gab es<br />
im B-Movie dieses Jahr bereits eine Reihe.<br />
SCHNEIDER: Ja, wir wollen nicht nur einen<br />
Regisseur oder Schauspieler in den<br />
Mittelpunkt stellen, sondern auch vermeintliche<br />
Randthemen.<br />
Das Metropolis hat den Preis für „Kino,<br />
das zurückblickt“ erhalten. Die Jury lobte<br />
besonders Ihr Stummfilmfestival.<br />
AUST: Das Festival machen wir seit drei Jahren,<br />
weil wir den Stummfilm noch stärker<br />
in den Mittelpunkt rücken wollen. Immer<br />
mit Livemusik. Die Leute mögen das.<br />
Es gibt genug Nerds, die das sehen wollen?<br />
AUST: Wir haben sowieso eine Basis von<br />
Nerds (lacht), manche kommen jeden<br />
Tag. Beim Thema Stummfilm gibt es<br />
noch so viel zu entdecken! Heute gucken<br />
alle Serien auf Netflix, aber so<br />
etwas gab es 1910 schon im Kino:<br />
Kurzfilme mit einem Detektiv, der 50<br />
Fälle gelöst hat.<br />
Sie zeigen keine Werbung, keine aktuellen<br />
Blockbuster und verkaufen kein Popcorn –<br />
„leider“, wie es ein Metropolis-Gast im<br />
Netz kommentiert.<br />
AUST: Dieses Popcornessen heißt, dass<br />
man nicht genügend Respekt hat vor<br />
dem, was man da guckt. Das ist doch<br />
unmöglich, wenn da jemand mit seinem<br />
Popcorn knistert! Bei uns steht der<br />
Film im Mittelpunkt.<br />
SCHNEIDER: (lacht) Wir haben mal eine<br />
Mini-Popcorn-Maschine von der Kurzfilmagentur<br />
geschenkt bekommen, aber<br />
das war ein Scherz. Bei uns wird es<br />
auch weiterhin kein Popcorn geben.<br />
Zum Schluss noch eine Frage, die mich<br />
schon lange beschäftigt: Wo ist der beste<br />
Platz im Kino?<br />
AUST: (lacht) Ich sitze immer gern relativ<br />
weit vorne. Ich liebe das, wenn man<br />
nicht das ganze Bild sehen kann, dass<br />
die Ränder so ein bisschen verschwinden<br />
und man zum Teil des Films wird.<br />
SCHNEIDER: Die bevorzugten Plätze der<br />
B-Movisten sind in der ersten Reihe.<br />
Viele Leute, die Filme so lieben wie<br />
wir, mögen nicht gerne Köpfe vor sich<br />
haben. •<br />
Kontakt: simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />
B-Movie: Sa, 16.12., 17 Uhr und Di,<br />
19.12., 19 Uhr: „Drei Nüsse für Aschenbrödel“;<br />
So, 17.12, ab 12 Uhr: „Ein Sonntag<br />
mit Heinz Emigholz – Die „Streetscapes-Serie“,<br />
3,50 Euro, Brigittenstraße<br />
5, www.b-movie.de<br />
Metropolis: 27.–29.12: „Die Frauengasse<br />
von Algier“, Musikbegleitung: Tuten&<br />
Blasen, 20 Uhr; Sa, 30.12., „Ironie des<br />
Schicksals“, 20 Uhr, 7,50 Euro, Kleine<br />
Theaterstr. 10, www.metropoliskino.de<br />
Ihr Makler<br />
aus Altona<br />
Sie haben ein Zuhause.<br />
Wir haben ein Zuhause.<br />
www.jakovlev.de<br />
040 / 41 33 22 - 0<br />
Wir verkaufen Häuser und Wohnungen<br />
- und wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>!
Kult<br />
Tipps für<br />
<strong>Dezember</strong>: subjektiv<br />
und einladend<br />
Theater<br />
Wortlose Wohngemeinschaft<br />
Türen knallen, Verkehrslärm dringt<br />
von draußen rein und Kritzeleien auf<br />
Briefkästen und Mülltonnen listen auf,<br />
was hier alles verboten ist. Gemütlich<br />
ist es nicht gerade hinter der Haustür,<br />
in der das Theaterstück „Am Ende des<br />
Tages“ spielt. Wer hier auftaucht, will<br />
Ort des Geschehens: ein Treppenhaus.<br />
Hinter der Maske: ein Schauspieler.<br />
Und das Stück: rätselhaft und komisch.<br />
gleich wieder weiter und am liebsten<br />
niemanden treffen. Und doch beäugen<br />
sich hier alle: Was macht der komische<br />
Typ immer im Keller? Was hat die Frau<br />
mit dem Kopftuch hier zu suchen?<br />
Die Darsteller tragen Masken, keiner<br />
spricht und alles spielt im Treppenhaus:<br />
„Am Ende des Tages“ macht<br />
Anonymität und Misstrauen unter<br />
Nachbarn, aber auch verborgene Träume<br />
mit reduzierten Mitteln greifbar. •<br />
Monsun Theater, Friedensallee 20,<br />
Do, 14.12., und Fr, 15.12., Eintritt<br />
16,50/14 Euro, www.monsun.theater.de<br />
52
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Konzert<br />
Aquaserge bringt feine Töne groß raus<br />
Wer sie auf dem Reeperbahnfestival verpasst hat, sollte im Nachtasyl dabei sein:<br />
Aquaserge kommt wieder nach Hamburg. Die französische Band verzichtet auf<br />
eingängige Melodien, punktet dafür mit komplexen, groovigen Rhythmen und<br />
bringt feine Töne groß raus. Wer<br />
Free Jazz mag und gerne tanzt,<br />
ist hier goldrichtig. Und weil es<br />
wie immer bei Aquaserge nie<br />
so klingt wie zuvor, dürfen sich<br />
auch Kenner auf Überraschungen<br />
gefasst machen. Eine sei<br />
vorab verraten: Im Funkellicht<br />
der Bar unter dem Dach des<br />
Thalia Theaters werden diesmal<br />
zwei Schlagzeuge aufgebaut.<br />
Für noch mehr Groove. •<br />
Nachtasyl, Alstertor, So, 10.12.,<br />
19 Uhr, Eintritt 12/10 Euro (VVK),<br />
www.nachtasyl.de<br />
Gut gelaunt und perfekt abgestimmt:<br />
Bei Aquaserge fällt jeder Ton an seinen Platz.<br />
Ausstellung<br />
FC St. Pauli in Nazideutschland<br />
„Kein Fußball den Faschisten“ steht breit auf der Gegengerade im Millerntorstadion<br />
– der FC St. Pauli ist für seine klare Haltung gegen Rechts bekannt.<br />
Das war nicht immer so: Im sogenannten Dritten Reich passte sich der Club den<br />
politischen Verhältnissen an. Wieso entschieden sich die Mitglieder und Fans,<br />
mit dem Strom zu schwimmen? Was führte den Sinneswandel herbei?<br />
Das 1910 Museum beleuchtet das Vereinsleben im totalitären Nazi-Regime anhand<br />
der Lebenswege von acht St. Paulianern und stellt dar, welche Folgen ihr<br />
Handeln für sie selbst und den Verein hatte. Dabei geht es nicht nur um einen<br />
selbstkritischen Blick in die Vergangenheit, sondern auch um aktuelle Fragen,<br />
die die Entwicklung und Zukunft unserer heutigen Demokratie bestimmen. •<br />
1910-Museum, Heiligengeistfeld 1, noch bis So, 10.12., 11–19 Uhr, Do, 11–21.30 Uhr,<br />
Eintritt 5/3 Euro, www.fcstpauli-drittes-reich.de<br />
Ausstellung<br />
Tanzend um den Globus<br />
Bei der Performance „TanzAtlas“ im<br />
Völkerkundemuseum tanzt die Welt<br />
auf dem Tisch. Künstler versammeln<br />
Gegenstände wie Kugelschreiber und<br />
Seifenschachteln und produzieren<br />
live Musikvideos, in denen die Objekte<br />
Tänze aus aller Welt aufführen. •<br />
Museum für Völkerkunde, Rothenbaumchaussee<br />
64, Sa, 9.12., und So, 10.12.,<br />
ab 13 Uhr, Eintritt 8,50/4 Euro,<br />
www.voelkerkundemuseum.com<br />
Konzert<br />
Herzkammermusik<br />
Klassik, Indie und Trip-Hop – die<br />
britische Band Wooden Arms lässt<br />
Stile verschmelzen und schafft in<br />
aller Ruhe musikalischen Tiefgang.<br />
Melodische Melancholie, der nur<br />
noch ein Seufzen hinzuzufügen ist. •<br />
Prinzenbar, Kastanienallee 20, Di,<br />
5.12., Einlass 19 Uhr, Eintritt 17,20 Euro<br />
(VVK), www.docks-prinzenbar.de<br />
Bühne<br />
Afrika trifft Arktis<br />
Frischer Wind aus Nord und Süd:<br />
Das Festival Nordwind bringt herausragende<br />
Performance- und Tanzstücke<br />
aus arktischen Regionen<br />
und Afrika zusammen und bricht<br />
mit ethnisierenden Klischees. •<br />
Kampnagel, Jarrestraße 22,<br />
8.–16.12., Eintritt 0–32 Euro,<br />
www.nordwind-festival.de<br />
FOTOS: LORENZ OBERDÖRSTER (SCHADS ENSEMBLE),<br />
JEAN PIERRE SAGEOT/SIGNATURES, SABRINA ADELINE NAGER<br />
Während Spieler in<br />
diesem Trikot<br />
aufliefen, fielen<br />
deutsche Soldaten<br />
in Polen ein.<br />
53<br />
Markt<br />
Neue Chance für alte Schätze<br />
Schon mal davon geträumt, in aller<br />
Ruhe einen Theaterfundus zu durchstöbern?<br />
Beim Winterbasar der Hanseatischen<br />
Materialverwaltung geht<br />
das. Das Projekt sammelt ausrangierte<br />
Requisiten, Kulissen und Kostüme,<br />
die zu wertvoll sind für den Müll.<br />
Zum Winterbasar werden die alten<br />
Hallen zum Flohmarkt. •<br />
Hanseatische Materialverwaltung, Stockmeyerstr.<br />
41–43, 8.–10.12., Fr+So,<br />
12–20 Uhr, Sa bis 22 Uhr, Eintritt 3 Euro,<br />
www.hanseatische-materialverwaltung.de
Das Astoria, die Filmburg,<br />
das Rialto. Einst hatte<br />
Wilhelmsburg viele Kinos. Nun<br />
ist ein mobiles Kino unterwegs:<br />
diesmal im „Minitopia“.<br />
Film<br />
Kurze Einblicke in das Leben nebenan<br />
Zwei betagte Nachbarinnen teilen ihre<br />
letzte Zehnerpackung Zigaretten. Ein<br />
Jammer, findet die ältere. Die Schachteln<br />
habe es gegeben, seit sie angefangen<br />
habe zu rauchen – elf müsse sie damals<br />
gewesen sein … Zu sehen sind die<br />
beiden im Kurzfilm „Farewell Packets<br />
of Ten“, den die „Insellichtspiele“ in<br />
Wilhelmsburg zeigen. Das mobile Kino<br />
macht mit beim Hamburger Kurzfilmtag<br />
und führt ausgewählte Streifen vor,<br />
die sich durch einen liebevollen Blick<br />
auf das Thema Nachbarschaft und<br />
ihre Bewohner auszeichnen. Gemeinschaftsgefühl<br />
gibt es bei den Insellichtspielen<br />
schon vor dem ersten Film:<br />
Die Kinobetreiber und ihre Gäste<br />
wollen zusammen schnippeln, kochen<br />
und essen. Und danach vielleicht die<br />
eine oder andere Kippe teilen – auf<br />
gute Nachbarschaft. •<br />
Minitopia, Georg-Wilhelm-Straße 322,<br />
Mi, 21.12., ab19 Uhr, Eintritt frei, Spenden<br />
willkommen, www.kurzfilmtag.com<br />
54
FOTOS: MINITOPIA, MIKE HOEJGAARD, PRIVAT<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Konzert<br />
Jazztalent mit neuer Platte<br />
Schon mit ihrem ersten Album „FM Biography“ setzte Johanna Borchert Maßstäbe:<br />
Eine neue, starke Stimme verschaffte sich Gehör in der Jazzszene, sanft<br />
fließend und trotzdem kraftvoll, punktgenau im Rhythmus und formbar wie<br />
weiches Wachs. Konsequenterweise räumte sie gleich den Echo Jazz 2015 als<br />
beste deutsche Sängerin ab. Nun stellt sie ihr Album „Love or Emptiness“ vor.<br />
Auch die neuen Lieder zeugen davon, dass Johanna Borchert mehr ist als eine<br />
talentierte Sängerin – ihre Kompositionen und ihr Klavierspiel leben von Lässigkeit<br />
und Experimentierfreude, die sich nur leisten kann, wer absolut stilsicher ist. •<br />
Stage Club, Stresemannstraße 163, Di, 19.12., Einlass19 Uhr, Eintritt 17/12 Euro,<br />
www.stageclub.de<br />
Johanna Borchert<br />
wird in der Jazzszene<br />
gefeiert, aber auch<br />
Fans anderer Genres<br />
stehen auf ihre Musik.<br />
Musik<br />
Zauberflöte für Kinder<br />
Boah, die kann aber hoch singen!<br />
Und ganz schön unheimlich ist sie,<br />
diese Königin der Nacht. Mozarts<br />
„Zauberflöte“ ist eine Oper, die auch<br />
viele Kinder schon fasziniert. Kurz<br />
vor Weihnachten ist sie in einer<br />
Fassung der Prager Kammeroper<br />
als Familienstück in Harburg zu<br />
sehen. Damit in der Geschichte um<br />
Papageno, Papagena, Tamino und<br />
Pamina alle den Durchblick behalten,<br />
trägt eine Erzählerin auf der Bühne<br />
die Handlung mit Witz in kindgerechter<br />
deutscher Sprache vor. •<br />
Friedrich-Ebert-Halle, Alter Postweg 34,<br />
Sa, 23.12., 15 Uhr, Eintritt 20,30–32,30<br />
Euro (VVK), www.friedricheberthalle.de<br />
Wir verlosen drei mal zwei Karten<br />
unter allen, die bis zum 17.12.<br />
eine Mail an info@hinzundkunzt.de<br />
(Stichwort „Zauberflöte“) schicken.<br />
Vortrag<br />
Firmenhymnen und ihr Zweck<br />
Wenn das Humankapital die Stimme<br />
erhebt, was kommt dabei heraus?<br />
Richtig: ein Loblied auf den Arbeitgeber.<br />
Ob das Absingen von Firmenhymnen<br />
immer freiwillig geschieht,<br />
wollen Kabarettist Thomas Ebermann<br />
und Musiker Kristof Schreuf<br />
bei ihrer satirischen Analyse mit<br />
gehobener Augenbraue hinterfragen<br />
– Filmaufnahmen lassen Zweifel zu.<br />
Aber: Unterlegt mit passender Musik<br />
klingen die Hymnen ganz gut! •<br />
Rote Flora, Achidi-John-Platz 1,<br />
So, 17.12., 19 Uhr, Eintritt 5–8 Euro<br />
www.rote-flora.de<br />
Über Veranstaltungstipps bis zum<br />
10. <strong>Dezember</strong> freut sich Annabel<br />
Trautwein: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Kinofilm des Monats<br />
Ende gut,<br />
alles gut?<br />
Das wars dann wieder. <strong>Dezember</strong><br />
in Hamburg. Kahle<br />
Äste spiegeln sich totenfingergleich<br />
in Glühwein-Pfützenwasser-Schorlen.<br />
Lichter<br />
reflektieren auf nassem<br />
Kopfsteinpflaster der Weihnachtsmärkte.<br />
Ich kann nicht<br />
in die Zukunft schauen, aber<br />
ich tippe, dass den Leser<br />
draußen acht Grad und Nieselregen<br />
erwarten. Triefende<br />
Trostlosigkeit? Verlagert man<br />
den Gedanken ein paar Monate<br />
in die Zukunft, wird alles<br />
gut. Also: durchhalten.<br />
Ob und wie das geht,<br />
verrät die Filmemacherin<br />
Katell Quillévéré in ihrem<br />
Film „Die Lebenden reparieren“.<br />
Ein Junge liegt nach einem<br />
Unfall im Koma, seine<br />
Eltern müssen entscheiden,<br />
ob sie die Organe freigeben<br />
wollen. Trauer, Zorn, Liebe,<br />
Stolz – das beste Blatt im<br />
Drama-Quartett. Doch die<br />
Stärken in diesem Spiel liegen<br />
in den leisen Tönen und<br />
Geschichten, die rund um<br />
die existenziellen Fragen erzählt<br />
werden: Da ist die Frau,<br />
die immer schwächer wird<br />
und auf ein Spenderherz<br />
wartet. Der Arzt, der sich für<br />
die Frage nach dem Unvermeidlichen<br />
schämt. Entfremdung<br />
und Intimität zwischen<br />
den Eltern des Jungen. Und<br />
dessen Geschichte, die immer<br />
wieder daran erinnert,<br />
dass ein Mensch mehr ist als<br />
ein Ersatzteillager. Hier liegen<br />
die Stärken des Films.<br />
Ob man im <strong>Dezember</strong> melancholische<br />
Filme anschauen<br />
sollte? Wann sonst? •<br />
André Schmidt<br />
geht seit vielen<br />
Jahren für<br />
uns ins Kino.<br />
Er arbeitet in der<br />
PR-Branche.<br />
55
<strong>Kunzt</strong>&Comic<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />
56
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Rätsel<br />
ILLUSTRATION (BLEISTIFT IM IMPRESSUM): BERND MÖLCK-TASSEL<br />
Urvater<br />
im Alten<br />
Testament<br />
künstliches<br />
Gebiss,<br />
Prothese<br />
deutscher<br />
Schauspieler<br />
(Michael)<br />
deutscher<br />
Dichter †<br />
(Friedrich)<br />
Heilgetränk<br />
Fressschale<br />
oberster<br />
Teil des<br />
Getreidehalms<br />
weidmänn.:<br />
Hasenlager<br />
Abk.:<br />
Antiblockiersystem<br />
Kurzreise<br />
(engl.)<br />
Vertrauen<br />
in die<br />
Zukunft<br />
ital.<br />
Abenteurer,<br />
Autor †<br />
Fluss in<br />
Nordostspanien<br />
Pluspol,<br />
positive<br />
Elektrode<br />
4<br />
9<br />
5<br />
1<br />
Abk.: Allgemeiner<br />
Student.-<br />
Ausschuss<br />
3<br />
9<br />
4<br />
5<br />
2<br />
5<br />
8<br />
7<br />
9<br />
Waffenbestand<br />
verringern<br />
3<br />
7<br />
9<br />
5<br />
2<br />
3<br />
bedrückt,<br />
niedergeschlagen<br />
griechische<br />
Vorsilbe:<br />
Luft...<br />
3<br />
6<br />
4<br />
1<br />
2<br />
aufschneiderische<br />
Reden<br />
Staat in<br />
Vorderasien<br />
deutscher<br />
Chemiker<br />
† 1873<br />
7<br />
5<br />
1<br />
4<br />
5<br />
3<br />
6<br />
7<br />
Angehör.<br />
eines dt.<br />
Fürstenhauses<br />
Karnevalsruf<br />
iran.-<br />
kaukas.<br />
Spießlaute<br />
Halbton<br />
unter G<br />
frühere<br />
Münze in<br />
Finnland<br />
amerikanische<br />
Riesenkröte<br />
umgangssprachlich:<br />
Alte<br />
6<br />
2<br />
1<br />
6<br />
4<br />
Verbreitung<br />
von Hass<br />
englisch:<br />
ja<br />
Kurzform<br />
von:<br />
Dorothea<br />
Name von<br />
Papageien<br />
Hauptstadt<br />
Lettlands<br />
Hochgrassteppe<br />
Bergstock<br />
bei<br />
Sankt<br />
Moritz<br />
Berliner<br />
Spitzname<br />
süddeutsch:<br />
diesjährig<br />
Ureinwohner<br />
Italiens<br />
Unheil<br />
verkünden<br />
südamerikanische<br />
englischamerik.<br />
Längenmaß<br />
Gürtel<br />
um den<br />
Kimono<br />
rechter<br />
der Rhône<br />
kleine<br />
Rechnung<br />
stark ansteigend<br />
Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
per Fax an 040 32 10 83 50 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />
Einsendeschluss: 27. <strong>Dezember</strong> <strong>2017</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />
Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet,<br />
kann zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle gewinnen oder ein<br />
Exemplar „Das Ozeanbuch – Über die Bedrohung der Meere“ von Esther<br />
Gonstalla (oekom Verlag). Das Lösungswort beim Kreuzworträtsel war:<br />
Platzregen. Die Sudoku-Zahlenreihe war: 465 293 187.<br />
4<br />
5<br />
6<br />
1<br />
7<br />
6<br />
10<br />
8<br />
9<br />
9<br />
AR1115-0617_5<br />
10<br />
Füllen Sie das Gitter so<br />
aus, dass die Zahlen von<br />
1 bis 9 nur je einmal in<br />
jeder Reihe, in jeder<br />
Spalte und in jedem<br />
Neun-Kästchen-Block<br />
vorkommen.<br />
Als Lösung schicken<br />
Sie uns bitte die<br />
unterste, farbig gerahmte<br />
Zahlenreihe.<br />
Impressum<br />
Redaktion und Verlag<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />
Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />
Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 32 10 83 50<br />
Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />
E-Mail info@hinzundkunzt.de, www.hinzundkunzt.de<br />
Herausgeber<br />
Landespastor Dirk Ahrens, Diakonisches Werk Hamburg<br />
Externer Beirat<br />
Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />
Mathias Bach (Kaufmann), Dr. Marius Hoßbach (Rechtsanwalt),<br />
Rüdiger Knott (ehem. NDR 90,3-Programmchef),<br />
Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />
Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />
Beate Behn (Lawaetz-Service GmbH), Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung),<br />
Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds),<br />
Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />
Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />
Redaktion Birgit Müller (bim; v.i.S.d.P.),<br />
Annette Woywode (abi; Stellv., CvD),<br />
Mitarbeit Simone Deckner (sim), Jonas Füllner (jof), Ulrich Jonas (ujo),<br />
Frank Keil (fk), Benjamin Laufer (bela), Misha Leuschen (leu),<br />
Annabel Trautwein (atw), Uta Sternsdorff und Kerstin Weber<br />
Redaktionsassistenz Sonja Conrad, Dina Fedossova<br />
Online-Redaktion Simone Deckner, Jonas Füllner, Benjamin Laufer<br />
Artdirektion grafikdeerns.de<br />
Öffentlichkeitsarbeit Sybille Arendt, Friederike Steiffert<br />
Anzeigenleitung Sybille Arendt<br />
Anzeigenvertretung Christoph Wahring,<br />
Wahring & Company, Tel. 040 284 09 40, info@wahring.de<br />
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 20 vom 1. Januar 2015<br />
Vertrieb Christian Hagen (Leitung), Marcus Chomse,<br />
Sigi Pachan, Jürgen Jobsen, Meike Lehmann, Sergej Machov,<br />
Frank Nawatzki, Elena Pacuraru, Reiner Rümke, Cristina Stanculescu,<br />
Marcel Stein, Cornelia Tanase, Silvia Zahn<br />
Rechnungswesen/Systemadministration Frank Belchhaus<br />
Spendenmarketing Gabriele Koch<br />
Spendenverwaltung Susanne Wehde<br />
Sozialarbeit Stephan Karrenbauer (Leitung), Ana-Maria Ilisiu, Isabel Kohler<br />
Das Stadtrundgang-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />
Chris Schlapp, Harald Buchinger<br />
Das BrotRetter-Team Stephan Karrenbauer (Leitung), Stefan Calin,<br />
Adam Csizmadia, Gogan Dorel, Alexa Ionut, Ionel Lupu<br />
Das Team von Spende Dein Pfand am Airport Hamburg<br />
Stephan Karrenbauer (Leitung), Uwe Tröger, Jonas Gengnagel,<br />
Klaus Petersdorfer, Herbert Kosecki<br />
Litho PX2@ Medien GmbH & Co. KG<br />
Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />
Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />
Umschlag-Druck Neef+Stumme premium printing GmbH & Co. KG<br />
Verarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei<br />
und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />
Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
IBAN: DE56 2005 0550 1280 1678 73<br />
BIC: HASPDEHHXXX<br />
Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />
Freistellungsbescheid des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer<br />
17/414/00797, vom 15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />
des Körperschaftssteuergesetzes von der Körperschaftssteuer und nach<br />
§3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />
Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als<br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH im Handelsregister<br />
beim Amtsgericht Hamburg HRB 59669 eingetragen. Wir bestätigen,<br />
dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> einsetzen.<br />
Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.<br />
Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf www.hinzundkunzt.de.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das obdachlosen und<br />
ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />
Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose und<br />
ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter<br />
unterstützen die Verkäufer.<br />
Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />
Gesellschafter<br />
Durchschnittliche monatliche<br />
Druckauflage 4. Quartal <strong>2017</strong>:<br />
86.666 Exemplare<br />
57
Momentaufnahme<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />
Neues Leben, große<br />
Liebe, echtes Glück<br />
Holger (53) verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> auf dem Isemarkt in Eppendorf.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Jeden Dienstag und Freitag steht Holger<br />
frühmorgens auf dem Isemarkt und verkauft<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>. „Ich mache dann<br />
den Marktschreier“, sagt der 53-Jährige.<br />
„Die Leute lieben das.“ Dabei geht es<br />
ihm nicht nur um den Verkaufserfolg.<br />
Viel mehr freut er sich über den Zuspruch<br />
von den Marktbesuchern.<br />
Anerkennung hat Holger in seinem<br />
Leben lange nicht gekannt. Der gebürtige<br />
Hamburger landete früh im Heim.<br />
Er rebellierte und trieb sich schon als Jugendlicher<br />
auf dem Kiez rum. Als er alt<br />
genug war, jobbte er und brachte es<br />
Schulden, Knast<br />
und Alkohol:<br />
Für Holger lief es<br />
lange nicht rund.<br />
„vom Tellerwäscher zum Kellner“, wie<br />
Holger augenzwinkernd erzählt. Mehr<br />
war nicht drin. „Ich kann nicht lesen<br />
und schreiben“, erklärt Holger. „Aber<br />
kochen kann ich.“<br />
Einige Jahre ging das gut. Ende der<br />
1980er ließ er sich abwerben und arbeitete<br />
in einem Restposten-Laden, „der<br />
größte Fehler in meinem Leben“. Das<br />
Problem: Es wurde Hehlerware feilgeboten,<br />
die er ranschaffen sollte. Wenn<br />
nicht? „Dann gab es Prügel“, erzählt<br />
Holger, der damals in ein entsetzliches<br />
Abhängigkeitsverhältnis geriet. Sein italienischer<br />
Chef nutzte die Schulden,<br />
die Holger bei ihm hatte, um ihn zu erpressen.<br />
„Ich wollte mich aus dem<br />
Staub machen, aber er hat mir aufgelauert“,<br />
erinnert er sich. „Ich hatte am<br />
ganzen Körper blaue Flecken.“<br />
Er ließ sich absichtlich beim Klauen<br />
erwischen. Immerhin war er hinter<br />
Gittern sicher vor seinem Peiniger. Zurück<br />
in der Freiheit, ertränkte er seine<br />
Probleme in Alkohol und betäubte sich<br />
mit Drogen. Zwei Flaschen Wodka am<br />
Tag waren keine Seltenheit. „Was willste<br />
auch alleine machen?“, fragt Holger<br />
trocken: „Man kann ja nicht jeden Tag<br />
die Bude tapezieren.“<br />
Warum er nicht die Stadt verließ?<br />
„Ich bin Hamburger, mich kriegste hier<br />
nicht raus“, sagt er trotzig. „Ich war in<br />
Hannover, Berlin und Düsseldorf. Was<br />
soll ich sagen? Ist halt nicht Hamburg.“<br />
Anfang der 1990er-Jahre wusste er<br />
trotzdem keinen Ausweg mehr – Holger<br />
tauchte unter. „Ich hatte einfach<br />
Angst vor dem Italiener.“ Erst versteckte<br />
er sich im Keller, später schlief er unter<br />
Brücken. So wurde er zum Obdachlosen.<br />
Über neue Freunde auf der<br />
Straße fand er vor fast 20 Jahren zu<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Und als nächsten Schritt<br />
sogar wieder eine Wohnung.<br />
Dann erreichte ihn die Nachricht,<br />
dass sein Peiniger an einem Herzinfarkt<br />
verstorben sei. „Da ist mir wirklich ein<br />
Stein vom Herzen gefallen“, räumt<br />
Holger ein.<br />
Wirklich glücklich ist er aber aus einem<br />
völlig anderen Grund: Der eingefleischte<br />
St.-Pauli-Fan fand seine große<br />
Liebe. Vor sieben Jahren bei einem<br />
Heimspiel seines Vereins. Holger begleitete<br />
damals Behinderte ins Stadion,<br />
um kostenlos das Spiel zu sehen. Auch<br />
seine Freundin sitzt im Rollstuhl. Ganz<br />
schnell habe es gefunkt. „Sie hat mir<br />
dann ein Bild gemalt – mit der Frage:<br />
Willst du mit mir gehen? Wie früher in<br />
der Schule“, gesteht er und läuft ein wenig<br />
rot an. „Da habe ich sofort mit ,Ja‘<br />
unterschrieben.“ •<br />
A. Beig<br />
Druckerei und Verlag<br />
GmbH & Co. KG<br />
Damm 9-19, 25421 Pinneberg<br />
Tel. 0 41 01/5 35-0<br />
Wir sorgen für den nötigen Druck!<br />
In unserer modernen und leistungsstarken Druckerei in Pinneberg<br />
produzieren wir neben unseren eigenen Publikationen auch zahlreiche<br />
Fremdaufträge. Wir stellen jährlich so ca. 90 Mio. Zeitungen her<br />
und verarbeiten über 350 Mio. Beilagen.<br />
www.a-beig.de
KUNZT-<br />
KOLLEKTION<br />
BESTELLEN SIE DIESE UND WEITERE PRODUKTE BEI: Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH,<br />
www.hinzundkunzt.de/shop, shop@hinzundkunzt.de, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
Tel. 32 10 83 11. Preise zzgl. Versandkostenpauschale von 2,50 Euro bis 4 Euro,<br />
Ausland auf Anfrage. Versand ab 100 Euro Warenwert kostenlos.<br />
4.<br />
1. „Gegens Abstempeln“<br />
Zehn selbstklebende 70-Cent-Briefmarken mit<br />
Porträts von Hinz&Künztlern im A5-Heftchen.<br />
Konzeption: Agentur Lukas Lindemann Rosinski.<br />
Preis: 12 Euro<br />
2. Weihnachtspostkarten „Danya“<br />
5 Klappkarten mit Umschlag,<br />
Innenseiten blanko.<br />
Preis: 6 Euro<br />
5.<br />
1.<br />
2.<br />
3.<br />
3. Frühstücksbrettchen<br />
Exklusiv für Hinz&<strong>Kunzt</strong> aus der<br />
Serie „Schöne Aussichten“, Pension<br />
für Produkte Hamburg.<br />
Design: Wolfgang Vogler,<br />
Material: Esche geölt (aus heimischen Wäldern),<br />
lasergraviert. Jedes Brett ist ein Unikat,<br />
in Deutschland gefertigt.<br />
Preis: 15,90 Euro<br />
4. Mütze „Kopf hoch!“<br />
Farbe: anthrazit<br />
hergestellt in Norddeutschland,<br />
100 % Merinowolle.<br />
Preis: 19,90 Euro<br />
5. „Heiße Hilfe“<br />
Bio-Rotbuschtee, aromatisiert mit<br />
Kakao-Orangen-Note. Zutaten: Rotbuschtee<br />
(k. b. A.), Kakaoschalen, Zimt, Orangenschalen,<br />
natürliches Orangenaroma<br />
mit anderen natürlichen Aromen.<br />
Dose, 75 g, abgefüllt<br />
von Dethlefsen&Balk, Hamburg.<br />
Preis: 7,50 Euro<br />
6. Tasse „Fischkopp“<br />
Sonderedition für Hinz&<strong>Kunzt</strong> von der<br />
Hamburger Firma AHOI MARIE.<br />
Qualitätsporzellan von Kahla aus Thüringen.<br />
Design: Jan-Hendrik Holst.<br />
Keramischer Siebdruck.<br />
Maße: D: 9 cm, H: 9 cm,<br />
Mikrowellen- und spülmaschinentauglich.<br />
Preis: 13,90 Euro<br />
6.<br />
7.<br />
7. „Ein mittelschönes Leben“<br />
Eine Geschichte für Kinder<br />
über Obdachlosigkeit von Kirsten Boie,<br />
illustriert von Jutta Bauer.<br />
Preis: 4,80 Euro
Eine der wichtigsten<br />
Wärmequellen für Hamburg<br />
Am Guten soll man festhalten. So halten wir es auch mit unserem<br />
Einsatz für Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Seit April 2000 unterstützt E.ON Hanse das<br />
Hamburger Straßenmagazin. Und daran wird sich nichts ändern.<br />
Auch als HanseWerk werden wir unser Engagement fortsetzen. Mehr<br />
menschliche Wärme – eine der wichtigsten Energien für den Norden.<br />
Energielösungen für den Norden