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Hinz&Kunzt 298 Dezember 2017

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Das Hamburger<br />

Straßenmagazin<br />

Seit 1993<br />

N O <strong>298</strong><br />

Dez .17<br />

2,20 Euro<br />

Davon 1,10 Euro<br />

für unsere Verkäufer<br />

Weißt<br />

Du noch?<br />

Bilderserie: Liebeserklärung<br />

an das alte Hamburg


Noch kein<br />

Geschenk?<br />

Legen Sie doch eins unserer Sonderhefte unter den Weihnachtsbaum!<br />

Zu beziehen beim Hinz&Künztler Ihres Vertrauens oder<br />

online unter www.hinzundkunzt.de/shop.<br />

„Tierisch gute Freunde“ und „Lecker auf die Hand“<br />

kosten je 6,80 Euro.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Inhalt<br />

Der Traum von<br />

Wohnungen für<br />

Obdachlose verbindet:<br />

Sozialarbeiter Stephan<br />

Karrenbauer (links) mit<br />

dem Architekten<br />

Alexander Hagner aus<br />

Österreich, der auch<br />

eine Stiftungspro fessur<br />

für Soziales Bauen<br />

an der Fachhochschule<br />

Kärnten innehat.<br />

Mehr Mut im neuen Jahr!<br />

Unsere Verkäufer Bonnie und Clyde haben ein Pärchenzimmer<br />

im Winternotprogramm ergattert. Immerhin.<br />

Leider müssen sie tagsüber wieder raus.<br />

Trotz Erkältung. Ionut aus Rumänien dagegen kriegt<br />

dort kein Bett. Er schläft bei Kälte und Nässe weiter<br />

draußen. Wo finden die vielen Obdachlosen Ruhe?<br />

Treffen wie das mit Alexander Hagner motivieren<br />

uns. Der Wiener Architekt besuchte uns nach<br />

Redaktionsschluss. Seit 15 Jahren baut er auch<br />

Wohnungen für Obdachlose. Genial ist etwa das<br />

Projekt VinziRast-mittendrin: Obdachlose leben<br />

dort zusammen mit Studis in WGs – mitten in Wien.<br />

Das Café im Erdgeschoss nutzen sogar Banker als<br />

Kantine. Die Anschubfinanzierung kam von einer<br />

Stiftung, der laufende Betrieb wird von der Stadt<br />

unterstützt. Das ist gelungene Integration: Man<br />

merkt sie gar nicht, denn VinziRast ist akzeptiert<br />

und auch noch cool! Neues Projekt: ein Bauernhof,<br />

auf dem Obdachlose fern der Stadt leben können.<br />

So mutige Projekte wünschen wir uns auch für<br />

Hamburg. Ihnen allen frohe Weihnachten! •<br />

Ihre Birgit Müller Chefredakteurin<br />

(Schreiben Sie uns doch an info@hinzundkunzt.de)<br />

Inhalt<br />

Winternotprogramm: Pawel (links) und<br />

Mirko sind untergekommen. S. 12<br />

TITELBILD: DEUTSCHE FOTOTHEK/GERMIN<br />

Stadtgespräch<br />

04 Gut&Schön<br />

06 Weihnachten: Hinz&Künztler<br />

erzählen vom Fest<br />

12 Start des Winternotprogramms<br />

16 Was darf die Ausländerbehörde?<br />

EU-Rechtsexperte Heiko Habbe im<br />

Gespräch<br />

18 Zahlen des Monats: Bangladesch<br />

28 Ein Israeli und ein Palästinenser<br />

werben für den Frieden<br />

Exquisit: Früher<br />

kochte Marcus<br />

Scherer im Hotel<br />

Vier Jahreszeiten,<br />

heute für<br />

Patienten. S. 34<br />

32 Ausstellung: Auf Spurensuche mit<br />

Künstler Rüdiger Knott<br />

34 Er revolutioniert die Krankenhausküche:<br />

Gourmetkoch Marcus Scherer<br />

Fotoreportage<br />

20 Hamburg nach dem Krieg: Neuer<br />

Fotoband mit alten Schätzen<br />

Freunde<br />

38 Hinz&<strong>Kunzt</strong> Strassen<strong>Kunzt</strong>Edition:<br />

der Streetartist 1010<br />

42 Was Leser und Spender für uns tun<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

46 „Das Theater hat mich gerettet!“<br />

Interview mit Boy-Gobert-<br />

Preisträger Steffen Siegmund<br />

50 Preise fürs B-Movie und Metropolis<br />

52 Tipps für den <strong>Dezember</strong><br />

56 Comic mit Dodo Dronte<br />

58 Momentaufnahme<br />

Rubriken<br />

05 Kolumne<br />

11, 17 Meldungen<br />

44 Leserbriefe<br />

57 Rätsel, Impressum<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk


Nikolaus<br />

Er kommt!<br />

Ganz schön warm, so ein Nikolausmantel.<br />

Hinz&Künztler Peter trägt das Kostüm trotzdem<br />

gerne: Jedes Jahr am 6. <strong>Dezember</strong> verwandelt<br />

er sich. Dann verwöhnt er die Kinder<br />

seiner Kundschaft am S-Bahnhof Krupunder.<br />

In seinem Nikolaussack bringt er vor allem<br />

Stofftiere in vielen Größen und Farben mit.<br />

„Die sind fast alle vom Dom“, erzählt der<br />

59-Jährige. „Da angel ich die mit dem<br />

Greifer.“ Auch bei der Verkäufer-Weihnachtsfeier<br />

wird Peter wieder den Nikolaus geben.<br />

Nach getaner Arbeit entstand dort vergangenes<br />

Jahr das Foto. ABI<br />


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Gut&Schön<br />

Kirchenkreis<br />

Ein „Dorf“ für<br />

Obdachlose<br />

Michael Benthack wirbt um<br />

Unterstützung für das Projekt.<br />

FOTOS: LENA MAJA WÖHLER (S. 4), FRANK MOLTER (OBEN), ANGELIKA WARMUTH/<br />

DPA (UNTEN LINKS), DMITRIJ LELTSCHUK, MONIKA RULFS (KOLUMNE)<br />

Integration<br />

Holger-Cassens-Preis für Sportverein<br />

Hinsehen, wo andere wegsehen – das ist schon<br />

seit Langem das Motto des Sportvereins TV Fischbek<br />

von 1921. Ein vielfältiges Angebot für Geflüchtete<br />

hat sich mittlerweile fest etabliert. Das Projekt<br />

„Integra tion durch Sport – Engagement macht<br />

kompetent“ funktioniert so gut, dass der Sportverein<br />

dafür jetzt mit dem mit 10.000 Euro dotierten<br />

Holger-Cassens-Preis geehrt wurde. LEU<br />

•<br />

Ein Barmbeker kehrt heim<br />

Gleich um die Ecke ist der Autor<br />

und Filmemacher Ralph Giordano<br />

groß geworden: Am Barmbeker<br />

Bahnhof wurde jetzt die Piazzetta-<br />

Ralph-Giordano nach dem im<br />

<strong>Dezember</strong> 2014 verstorbenen<br />

Hamburger benannt. Bekannt<br />

wurde Giordano mit seinem<br />

Roman „Die Bertinis“, der die Geschichte<br />

seiner jüdisch-italienischen<br />

Familie erzählt. Von den Nazis<br />

verfolgt, überlebte sie nur knapp im<br />

Versteck. LEU<br />

•<br />

Spielzeug spenden<br />

Die Lütten sind zu groß geworden<br />

für Matchbox-Autos oder Barbie-<br />

Puppen? Dann her damit: Bis<br />

zum 15. <strong>Dezember</strong> nimmt die<br />

Stadtreinigung Hamburg an den<br />

Recyclinghöfen gebrauchtes Spielzeug<br />

an, das zu Weihnachten kostenlos<br />

an bedürftige Familien verteilt<br />

wird. Vorher wird es bei der<br />

Hamburger Toys Company von<br />

arbeitslosen Hamburgern aufgearbeitet.<br />

Besonders begehrt sind<br />

Legosteine, Playmobil-Figuren,<br />

Inlineskates, Fußbälle, Puppen,<br />

Puppenhäuser – und natürlich<br />

Matchbox-Autos. LEU<br />

•<br />

Man stelle sich vor: Im Herzen<br />

Hamburgs entstünden<br />

keine neuen Bürotürme oder<br />

Luxuswohnungen, sondern<br />

Sozialwohnungen, eine Kindertagesstätte,<br />

nebenan eine<br />

Pilgerherberge und zu alledem<br />

noch Wohnungen speziell<br />

für Obdachlose.<br />

Was wie ein Hirngespinst<br />

klingt, soll allerdings unweit<br />

der Reeperbahn und des<br />

Fischmarkts tatsächlich umgesetzt<br />

werden: In Altona<br />

plant der Kirchenkreis-West<br />

ein kleines „Dorf“ mit fünf<br />

Häusern rund um die Kirche<br />

St. Trinitatis. Mit Wohnungen<br />

für insgesamt 18 Obdachlose.<br />

15 Millionen Euro<br />

soll das Projekt kosten. Eine<br />

Investition, die auch der<br />

Verankerung der Gemeinde<br />

im Stadtteil dient. „Noch<br />

fehlen notwendige Gelder<br />

durch Sponsoren oder andere<br />

Unterstützer“, sagt Michael<br />

Benthack. Der Bauexperte<br />

des Kirchenkreises ist allerdings<br />

guter Dinge, das Projekt<br />

auch zu verwirklichen.<br />

Seit fünf Jahren laufen<br />

die Planungen für die Bebauung<br />

des Areals. In engem<br />

Austausch mit den Nachbarn,<br />

bei denen Benthack um<br />

Verständnis wirbt. Es sei leider<br />

immer noch nicht alltäglich,<br />

dass in Neubauten auch<br />

Obdachlose Platz finden.<br />

Baubeginn ist für 2019 oder<br />

2020 geplant. Nach zwei Jahren<br />

Bauzeit könnten die Gebäude<br />

bezogen werden. JOF<br />

•<br />

5


Im September<br />

konnten Sebastian<br />

und Maria ihre beiden<br />

Kinder zu sich holen.<br />

So wird Weihnachten<br />

dieses Jahr ein ganz<br />

besonderes Fest.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Weihnachten<br />

Wunschzettel:<br />

ein ganz<br />

normales Fest<br />

Feiern mit den Kindern, etwas Leckeres für den Hund, der Besuch von<br />

der Freundin – zu Weihnachten muss es keine Berge von Geschenken geben<br />

und kein Fünf-Gänge-Menü. Hinz&Künztler erzählen von Heiligabend.<br />

TEXTE: ANNABEL TRAUTWEIN, BIRGIT MÜLLER<br />

FOTOS: LENA MAJA WÖHLER;<br />

ILLUSTRATIONEN: GRAFIKDEERNS.DE<br />

SPEISEN AUF DEM SCHLAFSOFA<br />

Für Maria und Sebastian wird Weihnachten dieses<br />

Jahr ganz besonders: „Fünf Jahre haben wir<br />

nicht mit unseren Kindern gefeiert“, erzählt<br />

Maria. „Dieses Jahr sind wir zum ersten Mal<br />

wieder zusammen.“ Sie freut sich schon: Endlich<br />

wieder für alle kochen und zusammen essen.<br />

Es soll Hackrouladen geben, Kartoffelsalat und<br />

Picente, mit Käse gefüllte Teigtaschen – so wie<br />

es Tradition ist in ihrer Heimat Rumänien.<br />

Früher war es auch immer schön, erzählen<br />

die beiden. Die Familie kam zusammen, es gab<br />

Kuchen, gutes Essen, Spaziergänge. „Nur: kein<br />

Geld“, sagt Maria. Deshalb brachen sie und ihr<br />

Mann 2012 auf nach Deutschland, um Arbeit<br />

zu suchen. Die beiden Kinder, damals sieben<br />

und zwölf Jahre alt, blieben zurück bei der<br />

Oma. Zu Weihnachten riefen die Eltern sie an<br />

– ein Luxus, den sich Maria und Sebastian<br />

nicht jeden Tag leisten konnten. „Mit dem<br />

Handy kostet viel Geld“, sagt Sebastian.<br />

Damals teilte sich das Paar eine Wohnung<br />

mit einer Familie aus dem ehemaligen Jugoslawien.<br />

Als Schlafstätte reichte es. Aber es war<br />

kein Zuhause, in das man die Kinder hätte<br />

nachholen können. Die meiste Zeit verbrachten<br />

sie draußen und verkauften Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

„Manchmal war schwer“, sagt Sebastian. Etwa<br />

wenn Familien mit Kindern vorbeikamen. „Da<br />

kamen auch mal die Tränen.“<br />

„Da kamen auch<br />

mal die Tränen.“<br />

Umso größer die Freude, als sie umziehen und<br />

die Kinder zu sich holen konnten. Seit Schulbeginn<br />

im September sind alle wieder vereint.<br />

Weihnachten <strong>2017</strong> wird das schönste Fest seit<br />

Langem, da sind sich die Eltern<br />

sicher. Gegenseitig wollen sie sich<br />

nichts schenken, aber für die Kinder<br />

soll es etwas Kleines geben. Das<br />

muss drin sein, auch wenn sie<br />

noch immer keine richtige Wohnung<br />

haben: Die vierköpfige Familie teilt sich<br />

ein Zimmer von zwölf Quadratmetern. Die Küche,<br />

in der Maria das Weihnachtsessen kochen<br />

will, benutzen andere mit. Gegessen wird nicht<br />

an gedeckter Tafel, sondern im Zimmer auf<br />

dem Schlafsofa. Auch einen Weihnachtsbaum<br />

werden sie dieses Jahr noch nicht haben. Sebastian<br />

und Maria lachen: „Kein Platz.“ •<br />

Maria (32) verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> beim Famila Markt<br />

in der Flensburger Straße in Pinneberg.<br />

Sebastian (39) fährt dagegen nach Norderstedt und<br />

steht dort vor Aldi Kohfurth.<br />

7


„Ich liebe<br />

Weihnachten!<br />

Das war schon<br />

immer so.“<br />

ROCKY IST IMMER DABEI<br />

„Ich liebe Weihnachten! Das war schon<br />

immer so, auch als ich noch in meiner<br />

Heimat Ungarn gelebt habe.<br />

Ich bin im Kinderheim aufgewachsen,<br />

das war kein schönes Leben. Meine<br />

Familie war sehr arm. Zu sechst haben<br />

wir auf zwölf Quadratmetern gewohnt.<br />

Ohne Bad. Deshalb hat mich das Sozialamt<br />

aus der Familie genommen und<br />

ins Heim gesteckt. Nur zu Weihnachten<br />

durften mich meine Eltern nach Hause<br />

holen. Das war gut! Für das Fest waren<br />

wir dann zusammen, zum Mittagessen<br />

und für den Gottesdienst. Es war der<br />

einzige Tag im Jahr, an dem ich Zeit<br />

mit meiner Familie verbringen konnte.<br />

Nach der Kirche haben sie mich wieder<br />

ins Kinderheim gebracht. Das war<br />

schlimm. Aber wenn sie sich geweigert<br />

hätten, wäre die Polizei gekommen.<br />

Als ich später auf der Straße oder<br />

mit meinem Hund Rocky im Auto gelebt<br />

habe, bin ich auch immer in die<br />

Kirche gegangen. Nur in einem Jahr<br />

nicht: Da habe ich den Winter in Kopenhagen<br />

verbracht, wo es kein Winternotprogramm<br />

und keine Unterkunft für<br />

Leute wie mich gab. Da habe ich an<br />

den Weihnachtstagen auf meiner Platte<br />

8<br />

geschlafen. Ich konnte mich nicht richtig<br />

duschen und habe deshalb ein bisschen<br />

gestunken. So wollte ich nicht in den<br />

Gottesdienst gehen.<br />

Heute geht es mir etwas besser. Für<br />

den Winter habe ich einen Wohncontainer<br />

in einer Kirchengemeinde bekommen.<br />

Zusammen mit Rocky. Er<br />

bekommt von mir zu Weihnachten auch<br />

immer ein Geschenk, zum Beispiel<br />

einen Pullover. Und etwas besonders<br />

Leckeres zu essen. •<br />

Ferenc (37) kommt aus Ungarn und verkauft<br />

bei der Europa-Passage in der Innenstadt.


„Meine Mutter<br />

hat sogar noch<br />

’ne Schleife<br />

drum gemacht.“<br />

WEIHNACHTEN SIND DIE MEISTEN LEUTE NETT<br />

Ein Weihnachtsfest habe ich noch ganz genau in Erinnerung:<br />

Ich war fünf oder sechs Jahre alt, da habe ich mein erstes<br />

Fahrrad gekriegt. Ein Klapprad, die waren damals „in“. Das<br />

war so grün-bläulich und nagelneu! Meine Mutter hat sogar<br />

noch ’ne Schleife drum gemacht. Da waren wir noch eine<br />

große Familie. Das Rad hatte ich auf den Wunschzettel<br />

geschrieben. Habe aber nicht damit gerechnet, dass ich es<br />

kriege. Das war wirklich ’ne Überraschung.<br />

Bis ich 17 war, habe ich bei meinen Eltern gewohnt.<br />

Danach bin ich leider durchgestartet. Meine Eltern hatten<br />

sich getrennt, meine Mutter wurde Alkoholikerin. Und ich<br />

habe mitgetrunken, so nach und nach. Als ich angefangen habe,<br />

war ich noch ein Kind. Und dann habe ich immer wieder<br />

Probleme gehabt, vor allem wegen meinem Alkohol. Ich war<br />

auch schon in Haft, weil ich ausgerastet bin oder Mist gebaut<br />

habe. Nachdem meine Ehe in die Brüche gegangen ist, bin<br />

ich irgendwann auf der Straße gelandet. Hab Platte gemacht,<br />

zuletzt bei Anson’s in der Mönckebergstraße und<br />

vorher bei Saturn, in den Nischen oder hinten bei der<br />

Tiefgarage, mit ein paar anderen Leuten. Da haben wir<br />

es uns auch Weihnachten auf der Platte richtig schön<br />

gemacht. Mit Kerzen und Lichtern, Tannenzweigen<br />

und so. Wie man das halt so macht. An Heiligabend haben<br />

wir Glühwein getrunken oder auf der Platte gegrillt.<br />

Wir haben auch viel bekommen: Jacken, Thermohosen,<br />

Pullover oder richtig schöne dicke Schlafsäcke. Die Leute<br />

waren richtig lieb zu uns. An Weihnachten sind sowieso die<br />

meisten sehr großzügig und nett. Viele fragen nach, wieso<br />

man draußen ist. Finde ich auch gut, dass sie fragen! Weihnachten<br />

ist aber nicht immer einfach. Da hab ich schon ab<br />

und zu ’nen Moralischen gekriegt. Wenn ich beschenkt wurde<br />

von fremden Leuten … oder von einem Kind! Dann ist bei<br />

mir alles vorbei, da laufen die Tränen.<br />

Jetzt muss ich zum Glück keine Platte mehr machen. Ich<br />

hab ’ne Entgifung und ’ne Therapie gemacht wegen meinem<br />

Alkohol, und seit ein paar Monaten habe ich ein Zimmer im<br />

Jakob-Junker-Haus. Ich habe einen richtigen Haushalt bei mir,<br />

mit Küche, Töpfen und Bügeleisen. Hätt’ ich nie gedacht, dass<br />

ich so weit komm! •<br />

Markus (48) hat uns im Frühjahr (H&K 290) von seinem Leben in der<br />

Mönckebergstraße erzählt und davon, wie er seine Platte sauber hält.<br />

9


„Meine Familie<br />

hat es mir<br />

von Herzen<br />

geschenkt.“<br />

MIT DER ERINNERUNG KOMMEN DIE TRÄNEN<br />

„Mein schönstes Weihnachtsfest war 2010. Ich war zu Besuch<br />

in Polen bei meinem Vater, meiner Schwester und meinem<br />

Schwager. Meine Nichte und mein Neffe waren damals<br />

noch ziemlich klein. Und da haben die zwei mir Geschenke<br />

überreicht: ,Für dich, Onkel!‘ Und mich dabei so lieb<br />

angeguckt, dass mir die Tränen kamen.“ Es waren<br />

ein paar Socken und Unterwäsche, aber „meine<br />

Familie hat es mir von Herzen geschenkt, und sie<br />

waren so glücklich, dass ich da war“.<br />

In diesem Jahr hat Jaro sein Weihnachten<br />

schon hinter sich. „Als der Sturm Xavier<br />

wütete, war ich im Gefängnis-Krankenhaus.<br />

Ich machte das Fenster auf und spürte, wie<br />

stark der Wind wehte.“ Seine Freundin<br />

aber schlief draußen. Ihr gemeinsames<br />

Zelt stand an der A7 unter Bäumen, die<br />

normalerweise Schutz bieten. Aber der<br />

Sturm war so stark, dass sich die Bäume bogen, Äste abbrachen<br />

und auf die Straße krachten. „Ich bekam richtig Panik“,<br />

sagt er. „Ich dachte: Wo ist sie? Ist sie in Sicherheit?“ Tagelang<br />

dann diese Ungewissheit. „Ich habe sie so sehr vermisst“, sagt<br />

er. „Und dann sagte ein Vollzugsbeamter: ,Jaro, du hast Besuch.‘<br />

Und dann stand sie in der Tür.“ Jaro kommen allein von<br />

der Erinnerung die Tränen. „Ich konnte es gar nicht glauben,<br />

dass sie unverletzt war.“ Ach ja, es ging ja um Weihnachten!<br />

„Das brauche ich nicht mehr. Ich hatte mein Weihnachtsgeschenk<br />

schon.“ •<br />

Jaro (40) ist langjähriger Hinz&Künztler und hat bei<br />

„Spende dein Pfand“ am Flughafen gearbeitet, bis er aus<br />

gesundheitlichen Gründen ausschied.<br />

10


Stadtgespräch<br />

Meldungen (1)<br />

Politik & Soziales<br />

Forderung an die Wohnungspolitik<br />

Jede zweite Wohnung sollte Sozialwohnung werden<br />

Die Wohnungspolitik des Senats ist nicht ausreichend auf<br />

Menschen in Not ausgerichtet, kritisiert ein Zusammenschluss<br />

von Diakonie, Caritas, Stattbau und Mieter helfen<br />

Mietern. Nach Angaben des Bündnisses für eine soziale<br />

Wohnungspolitik gab es Ende 2016 knapp 9500 Haushalte,<br />

die keinen Platz in einer Sozialwohnung fanden, obwohl sie<br />

sogar einen Dringlichkeitsschein besaßen. Das sind 1502<br />

Haushalte mehr als noch im Jahr zuvor. Das Kernproblem<br />

sei, dass es zu wenige Sozialwohnungen gebe. „52 Prozent<br />

der Hamburger haben Anspruch auf eine Sozialwohnung“,<br />

sagt Tobias Behrens von Stattbau Hamburg. „Daher müssten<br />

bei Neubauten nicht nur zu einem Drittel, sondern<br />

mindestens zur Hälfte Sozialwohnungen entstehen.“ JOF<br />

•<br />

Alkoholvergiftung<br />

Spendenparlament<br />

Tote Obdachlose auf<br />

der Reeperbahn<br />

Ende Oktober verstarben<br />

innerhalb weniger Stunden<br />

zwei Obdachlose auf der<br />

Reeperbahn. Der gerufene<br />

Notarzt konnte nur noch<br />

den Tod feststellen. Am<br />

frühen Abend hatte ein<br />

Obdachloser auf seiner<br />

Platte vor dem ehemaligen<br />

„Lido“ bemerkt, dass sein<br />

46-jähriger Kumpel plötzlich<br />

nicht mehr ansprechbar<br />

war. Gut acht Stunden<br />

später, um 4.50 Uhr, fand<br />

der Mann einen weiteren<br />

Plattenbewohner tot auf.<br />

Weil beide Obdachlosen<br />

nur wenige Meter voneinander<br />

entfernt verstarben,<br />

ließ die Polizei prüfen, ob<br />

in der Nachbarschaft giftige<br />

Gase ausgetreten waren.<br />

Die Staatsanwaltschaft teilte<br />

auf Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Nachfrage<br />

mit, dass die<br />

Todesursache allerdings<br />

übermäßiger Alkoholkonsum<br />

sei. Das habe eine Obduktion<br />

ergeben. BELA/JOF<br />

•<br />

11<br />

Windkraft in<br />

Ihr Badezimmer.<br />

So kommt die<br />

Wenn Strom fließt,<br />

steckt Kupfer von<br />

Aurubis drin.<br />

Mehr über die Welt des Kupfers<br />

erfahren Sie auf www.aurubis.com<br />

Hilfe für Obdachlose<br />

jetzt auch in Harburg<br />

Südlich der Elbe gab es bislang<br />

kaum Hilfsangebote<br />

für Obdachlose. Das soll<br />

sich ändern. Am Rande des<br />

Harburger Phoenix-Viertels<br />

richtet das Deutsche<br />

Rote Kreuz (DRK) Anfang<br />

2018 am Außenmühlenweg<br />

die Tagesaufenthaltsstätte<br />

Harburg Huus ein. Mit zusätzlich<br />

15 Schlafplätzen –<br />

auch für Obdachlose mit<br />

Hund. Da keine öffentlichen<br />

Mittel bereitgestellt<br />

werden, stemmt das DRK<br />

das Vorhaben selber. Die<br />

anfallenden Umbau-Kosten<br />

von rund 280.000 Euro<br />

trägt teilweise das Spendenparlament.<br />

Am 20. November<br />

bewilligten die Parlamentarier<br />

102.000 Euro<br />

Fördergelder. JOF<br />

•<br />

Mehr Infos und<br />

Nachrichten unter:<br />

www.hinzundkunzt.de<br />

ANKER<br />

DES LEBENS<br />

Wünschen Sie<br />

ein persönliches<br />

Gespräch?<br />

Kontaktieren Sie<br />

den Geschäftsführer<br />

Dr. Jens Ade.<br />

Tel.: 040/32 10 84 03<br />

oder Mail: jens.ade@<br />

hinzundkunzt.de<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> bietet obdachlosen Menschen Halt. Eine Art Anker<br />

für diejenigen, deren Leben aus dem Ruder gelaufen ist. Möchten<br />

Sie uns dabei unterstützen und gleichzeitig den Menschen, die<br />

bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> Heimat und Arbeit gefunden haben, helfen? Dann<br />

hinterlassen Sie etwas Bleibendes – berücksichtigen Sie uns<br />

in Ihrem Testament! Als Testamentsspender wird Ihr Name auf<br />

Wunsch auf unserem Gedenk-Anker in der Hafencity graviert. Ein<br />

maritimes Symbol für den Halt, den Sie den sozial Benachteiligten<br />

mit Ihrer Spende geben.


Winter. Not.<br />

Programm?<br />

Seit dem 1. November hat das städtische Winternotprogramm für Obdachlose<br />

geöffnet. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich manches verbessert, bestätigen einige Nutzer.<br />

Ein Grundproblem bleibt aber bestehen: Tagsüber müssen alle zurück auf die Straße.<br />

Doch das Schlimmste ist: Mit aller Macht vertreibt Hamburg rumänische Bettler aus der<br />

Stadt. Sie dürfen nicht unter Brücken schlafen und auch nicht im Winternotprogramm.<br />

Die Ausländerbehörde schickt sie zurück nach Osteuropa.<br />

TEXTE: JONAS FÜLLNER UND BENJAMIN LAUFER<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE UND BENJAMIN LAUFER (1)<br />

12


Stadtgespräch<br />

geordnet ab. Wohl auch deswegen, weil<br />

der Andrang geringer ist als noch ein<br />

Jahr zuvor vor der Notunterkunft in der<br />

Münzstraße.<br />

Die Unterkunft in der Friesenstraße<br />

ist neu. Sie ersetzt die alte Notschlafstätte<br />

in der Münzstraße. Darüber hinaus<br />

wurde wieder ein ehemaliges Verlagshaus<br />

im Schaarsteinweg angemietet.<br />

In den Büroräumen wurden insgesamt<br />

360 Betten aufgestellt.<br />

Jeden Morgen<br />

müssen sie raus in<br />

die Kälte.<br />

Mit ihrem Hab und Gut<br />

warten Bonnie & Clyde<br />

auf den Einlass zum<br />

Winternotprogramm.<br />

„Ich habe durchgeschlafen“<br />

1. November. Friesenstraße 22. Auf<br />

dem Boden vor dem Eingang zu dem<br />

Bürogebäude haben es sich Pawel, Miro<br />

und Robert gemütlich gemacht. Drinnen,<br />

dort wo es warm ist, sieht man Mitarbeiter<br />

den Flur entlanghuschen. Die<br />

letzten Vorbereitungen für die Eröffnung<br />

des Winternotprogramms laufen.<br />

Draußen hingegen herrscht weniger<br />

Hektik. Pawel albert noch mit anderen<br />

wartenden Obdachlosen. Das geht<br />

nur mit Händen und Füßen, aber irgendwie<br />

einigt man sich trotz Sprachschwierigkeiten<br />

darauf, dass 17 Uhr ist:<br />

Zeit für den Einlass.<br />

Tatsächlich öffnet sich in diesem<br />

Moment die Tür. Anders als in den<br />

Vorjahren bricht kein Gedränge aus.<br />

Der städtische Unterkunftsbetreiber<br />

fördern und wohnen (f&w) setzt zum<br />

Start deutlich mehr Mitarbeiter ein.<br />

Und das macht sich bezahlt.<br />

Nach und nach werden die Taschen<br />

der Eingelassenen kontrolliert<br />

und jedem eins der insgesamt 400 Betten<br />

zugewiesen. Das läuft weitgehend<br />

Die Unterkunft in der Friesenstraße ist<br />

komfortabler. Es gibt neue Duschen,<br />

und Aufzüge führen auf die jeweiligen<br />

Etagen. Eine Neuerung im Vergleich zu<br />

den Vorjahren gibt es wiederum in beiden<br />

Unterkünften: Zu jedem Bett gehört<br />

ein Schrank, der ausreichend Platz<br />

für Kleidung und Wertsachen bietet.<br />

Ein paar Tage später. Bonnie und<br />

Clyde trinken Kaffee im Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Vertriebsraum. Ein bisschen müde sehen<br />

sie aus, doch Clyde widerspricht vehement:<br />

„Ich habe zum ersten Mal seit<br />

Jahren eine ganze Nacht durchgeschlafen.“<br />

Das Pärchen ist angetan von der<br />

Unterkunft in der Friesenstraße. „Richtig<br />

sauber. Jeden Tag wird gut geputzt“,<br />

sagen Bonnie und Clyde unisono. Erstmals<br />

haben Pärchen ein Zimmer für<br />

sich alleine. „Da hört man nachts Geräusche,<br />

die hätte man sonst nicht gehört“,<br />

erzählt Clyde augenzwinkernd.<br />

Auch Pawel, Miro und Robert sind<br />

weiterhin frohen Mutes. Sie haben ein<br />

Zimmer – gemeinsam. Zwar zusammen<br />

mit drei weiteren Polen, aber das<br />

stört sie nicht so sehr. Sie sind Schlimmeres<br />

gewohnt. Vor drei Jahren gab es<br />

Feldbetten und zehn oder mehr Obdachlose<br />

teilten sich ein Zimmer.<br />

Tatsächlich begeistert ist Miro vom<br />

Sicherheitsdienst. Mit einer Handbewegung<br />

zeigt der 51-Jährige, wie noch im<br />

Vorjahr an den Betten gerüttelt und<br />

„Aufstehen“ gebrüllt wurde. Dieses Jahr<br />

hingegen heiße es auf einmal: „Aufstehen,<br />

bitte!“<br />

13


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />

Hier geht’s rein: Die beiden<br />

Obdachlosen Pawel (links)<br />

und Miro präsentieren in der<br />

Friesenstraße ihre Bleibe für<br />

die kommenden Monate.<br />

20. November. In den vergangenen Tagen<br />

gab es Bodenfrost. Waren in der<br />

Nacht nach der Eröffnung gerade einmal<br />

122 der insgesamt 400 Betten belegt,<br />

sind diese Nacht bereits 302 Betten<br />

in der Friesenstraße vergeben. Notfalls<br />

gäbe es Platz für weitere 65 Betten, teilt<br />

die Sozialbehörde auf eine Kleine Anfrage<br />

der CDU mit. Dafür müssten die<br />

Obdachlosen dann aber wie in den<br />

Vorjahren eng zusammenrücken.<br />

Tatsächlich vernimmt man jetzt<br />

erste Klagen. Bonnie und Clyde berichten,<br />

dass sie beim Abendbrot leer ausgingen.<br />

„Zappzarapp“, sagt ein Pole<br />

und verdeutlicht mit einer Handbewegung<br />

Richtung Hosentasche, dass es<br />

Diebstähle in der Notunterkunft gibt.<br />

Diese Probleme hätte er in einem<br />

Wohncontainer nicht, sagt Pawel. Jeden<br />

Winter lassen einige Kirchengemeinden<br />

solche Container aufstellen. Mit<br />

einem wesentlichen Unterschied zu den<br />

Notunterkünften: Jeder Obdachlose erhält<br />

einen eigenen Schlüssel und kann<br />

kommen und gehen, wann er will. Aber<br />

nur 113 Plätze gab es dieses Jahr.<br />

Die Tagesaufenthaltsstätte in der<br />

Bundesstraße wählte aus, wer einen<br />

Platz bekommen könnte. Die Plätze waren<br />

schnell vergeben. Wer leer ausging,<br />

kann nur in einer der Notunterkünfte<br />

Schutz suchen. Geöffnet von 17 bis<br />

9.30 Uhr. Dann müssen alle raus. Unter<br />

Dächern, in Einkaufzentren und den<br />

Tagesaufenthaltsstätten suchen Hunderte<br />

Obdachlose anschließend Schutz.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> und andere Einrichtungen<br />

der Wohnungslosenhilfe kritisieren<br />

diese Regelung seit Jahren. „Obdachlo-<br />

Schlichte Zimmer. Einfache Betten. Aber im<br />

Unterschied zum Vorjahr gibt es für alle<br />

Obdachlosen einen abschließbaren Schrank.<br />

se müssen zur Ruhe kommen und sich<br />

erholen können“, sagt Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer.<br />

Draußen kriecht die Feuchtigkeit<br />

schnell in die Kleidung. „Ich schleppe<br />

seit einer Woche eine Erkältung mit mir<br />

rum“, klagt beispielsweise Bonnie. Sich<br />

mal auskurieren, das ist im Winternotprogramm<br />

leider nicht möglich. Da<br />

hilft auch kein Paarzimmer. •<br />

Rumäne? Go home!<br />

Ein Bett und ein Dach über dem Kopf,<br />

wenigstens in der Nacht – davon können<br />

Ionut, Petre, Marian und ihre<br />

Freunde gerade nur träumen, denn ins<br />

Winternotprogramm dürfen sie nicht<br />

rein. Die Rumänen haben ihre Heimat<br />

wegen der bitteren Armut verlassen.<br />

„In Rumänien haben wir keine Arbeit<br />

und bekommen auch keine Sozialhilfe“,<br />

klagt Marian. Deshalb sind sie zum Betteln<br />

nach Hamburg gekommen. Ionut<br />

verkauft inzwischen Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Doch die Stadt macht den Rumänen<br />

das Leben schwer, wo sie nur kann.<br />

Im Bezirk Nord werden die Männer<br />

und Frauen, die dort unter Brücken<br />

leben, immer wieder von Ordnungsamt<br />

und Polizei vertrieben. Im Oktober ließ<br />

14<br />

der Bezirk sogar in ihrer Abwesenheit<br />

all ihr Hab und Gut entsorgen – darunter<br />

Geschenke für Ionuts Sohn, die er<br />

von einer Kundin bekommen hatte. Die<br />

Aufbewahrung wäre „mit unverhältnismäßig<br />

hohen Kosten oder Schwierigkeiten“<br />

verbunden gewesen, rechtfertigte<br />

Bezirksamtsleiter Harald Rösler (SPD)<br />

das Vorgehen. Den Obdachlosen blieb


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Stadtgespräch<br />

Ionut darf<br />

nicht mal in die<br />

Notunterkunft.<br />

nur, unter eine andere Brücke zu ziehen.<br />

Bis sie dort auch wieder vertrieben<br />

wurden.<br />

Am 1. November hat die Gruppe<br />

dann Schutz vor Wind und Wetter im<br />

Winternotprogramm in der Friesenstraße<br />

gesucht – und war auch hier nicht erwünscht.<br />

„Ich war mit meiner Frau<br />

schon im Zimmer“, erzählt Petre. Doch<br />

die Freude war von kurzer Dauer, berichtet<br />

der 45-Jährige: Er sei kurz nach<br />

23 Uhr nach draußen gegangen, um eine<br />

Zigarette zu rauchen. „Dann haben<br />

sie gesagt, dass ich nicht wieder reindarf.“<br />

Der städtische Betreiber fördern<br />

und wohnen (f&w) bestätigt, dass einige<br />

Rumänen zunächst in der neuen Unterkunft<br />

aufgenommen worden waren und<br />

dann rausgeschmissen wurden. „Erst<br />

nach der Aufnahme war aufgefallen,<br />

dass die Personen die Zugangsvoraussetzungen<br />

nicht erfüllen“, rechtfer tigt dies<br />

Sprecherin Susanne Schwendtke.<br />

Niemand wird vom Erfrierungsschutz<br />

abgewiesen – dieser frühere<br />

Grundsatz des Winternotprogramms<br />

gilt seit vergangenem Jahr nicht mehr.<br />

Ausländer, die im Herkunftsland eine<br />

Unterkunft haben, dürfen nicht mehr<br />

rein. Auch, wenn sie de facto in Hamburg<br />

auf der Straße leben. Von einem<br />

„Zwei-Klassen-Prinzip“ spricht deswegen<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Herausgeber und Diakonie-Chef<br />

Dirk Ahrens – und warnt<br />

vor Kältetoten als Folge dieser Politik.<br />

Eigentlich hatte f&w angekündigt,<br />

dass zunächst alle Obdachlosen Zugang<br />

zu den Unterkünften des Winternotprogramms<br />

bekommen würden – auch die<br />

aus dem EU-Ausland. „Grundsätzlich<br />

ist es so: Wir nehmen alle auf“, behauptete<br />

Katrin Wollberg, Leiterin des Winternotprogramms,<br />

bei einer Pressekonferenz<br />

Ende Oktober. Erst wenn sich in<br />

Beratungsgesprächen herausstelle, dass<br />

sie anderswo eine Unterkunft hätten,<br />

würden sie fortgeschickt und in die<br />

Wärmestube in der Hinrichsenstraße<br />

verwiesen – einen kargen Raum, in dem<br />

es nicht mal Betten gibt. In der ersten<br />

Novemberwoche sind laut f&w 26 Menschen<br />

dort hingeschickt worden.<br />

Ionut, Petre und Marian wurden in<br />

der Friesenstraße schon nach ein paar<br />

Stunden von f&w vor die Tür gesetzt.<br />

Und zwar noch am späten Abend. Erfahrene<br />

Mitarbeiter hätten sie wiedererkannt,<br />

heißt es. Das war aber noch<br />

nicht alles: Sie dürften nicht wieder<br />

nach Deutschland einreisen, wenn sie<br />

nicht binnen drei Wochen die Stadt<br />

verlassen, habe man ihnen gesagt. f&w<br />

bestreitet das auf Nachfrage nicht.<br />

Eine leere Drohung, denn darüber<br />

hat f&w nicht zu entscheiden. Die Rumänen<br />

sind allerdings dennoch verängstigt.<br />

Von städtischen Einrichtungen halten<br />

sie sich seitdem fern, erzählt der<br />

25-jährige Ionut. Auch von der Wärmestube<br />

in der Hinrichsenstraße, in der sie<br />

nachts wenigstens nicht frieren müssten.<br />

Trotzdem lässt die Stadt sie nicht in<br />

Ruhe. Am Abend des 13. November<br />

tauchten Polizisten an ihrem Schlafplatz<br />

am Rübenkamp auf und forderten<br />

ihre Ausweise ein. „Sie waren sehr<br />

aggressiv“, sagt Marian. Zwei Stunden<br />

später kamen sie erneut und stellten<br />

den Obdachlosen ein amtliches Schreiben<br />

zu: Aufforderung zur Vorsprache in<br />

der Ausländerbehörde.<br />

Die Behörde hat vor einiger Zeit<br />

damit begonnen, gezielt bei Obdachlosen<br />

aus Osteuropa das sogenannte Freizügigkeitsrecht<br />

zu überprüfen. Unter<br />

bestimmten Umständen kann sie nämlich<br />

EU-Bürger zum Verlassen des Landes<br />

auffordern (siehe Seite 16). Und seit<br />

immer mehr von ihnen in Hamburg auf<br />

der Straße leben, macht sie von dieser<br />

Möglichkeit umfassend Gebrauch.<br />

Marian wird nicht zur Ausländerbehörde<br />

gehen. Er kehrt mit seiner Frau<br />

zum Überwintern nach Rumänien zurück.<br />

„Wir dürfen ja hier nirgendwo<br />

mehr schlafen“, sagt er. Und wovon<br />

wollen sie in Rumänien leben? Er zuckt<br />

mit den Schultern. Wenigstens für die<br />

Rückreise bekommt er Unterstützung<br />

von der Stadt, sie finanziert das Busticket<br />

in die Heimat. Doch seine Probleme<br />

sind dadurch nicht gelöst. Im Frühjahr<br />

will er wieder nach Hamburg<br />

kommen – zurück auf die Straße. •<br />

Kontakt: jonas.fuellner@hinzundkunzt.de<br />

und benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />

Hinz&Künztler Ionut (links) und seine Freunde Marian und Petre dürfen nicht im<br />

Winternot programm übernachten. Fördern und wohnen hat sie vor die Tür gesetzt.<br />

15


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />

Wann die Stadt<br />

EU-Bürger<br />

ausweisen darf<br />

Die Ausländerbehörde fordert immer<br />

mehr Obdachlose aus Osteuropa zur<br />

Ausreise auf. Unter welchen Umständen<br />

das erlaubt ist, erklärt Anwalt<br />

und EU-Rechtsexperte Heiko Habbe.<br />

TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />

FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Seit der EU-Osterweiterung<br />

dürfen Rumänen, Bulgaren und Polen doch<br />

hier sein, oder nicht?<br />

HEIKO HABBE: Grundsätzlich ja. Das sogenannte<br />

Freizügigkeitsrecht ist aber nach<br />

den ersten drei Monaten an die Voraussetzung<br />

geknüpft, dass man am Arbeitsleben<br />

teilnimmt. Etwa als Angestellter,<br />

Selbstständiger, Dienstleistungserbringer<br />

oder für sechs Monate als Arbeitsuchender.<br />

Nach einem unfreiwilligen Jobverlust<br />

bleibt der Arbeitnehmerstatus noch<br />

mindestens sechs Monate erhalten.<br />

Viele Arbeitsmigranten werden von<br />

Hamburger Arbeitgebern entweder schwarz<br />

beschäftigt oder um den Lohn geprellt.<br />

Sind sie Arbeitnehmer?<br />

Nach europäischem Recht sind das eigentlich<br />

ganz klar Arbeitnehmer. Für<br />

diese Menschen ist es aber ein großes<br />

Problem, dass sie das nicht beweisen<br />

können. Und darauf kommt es bei der<br />

Ausländerbehörde an.<br />

Wie sieht es mit Bettlern, Flaschensammlern<br />

oder Straßenzeitungsverkäufern aus?<br />

Man könnte sie als Selbstständige betrachten,<br />

doch das lehnt die Rechtsprechung<br />

ab. Und es ist so gut wie nicht zu<br />

schaffen, mit Betteln oder Pfandsammeln<br />

„ausreichende Existenzmittel“ zu<br />

verdienen, die ebenfalls ein Freizügigkeitsrecht<br />

begründen könnten. Man<br />

müsste auf den Hartz-IV-Regelsatz<br />

kommen und sich zusätzlich noch<br />

krankenversichern.<br />

Wie geht die Ausländerbehörde vor?<br />

Wenn die Ausländerbehörde einen Anfangsverdacht<br />

hat, darf sie EU-Bürger<br />

auffordern, einen Freizügigkeitsgrund<br />

nachzuweisen. In Hamburg lässt sie<br />

Obdachlosen über die Polizei einen<br />

„Die Behörde<br />

macht es<br />

den Betroffenen<br />

schwer.“<br />

Brief mit dieser Aufforderung zukommen.<br />

Wenn keine Gründe nachgewiesen<br />

werden, darf die Behörde den Verlust<br />

der Freizügigkeit feststellen und<br />

dann auch einen EU-Bürger zur Ausreise<br />

auffordern. Wenn er das nicht freiwillig<br />

tut, kann er auch abgeschoben<br />

werden. Wer ein solches Schreiben von<br />

der Behörde bekommt, sollte deswegen<br />

damit zu einer Beratungsstelle, zum<br />

Anwalt oder zur öffentlichen Rechtsauskunft<br />

gehen.<br />

Reicht eine kurzzeitige Ausreise aus?<br />

In den ersten drei Monaten nach der<br />

16<br />

Einreise in Deutschland haben alle EU-<br />

Bürger hier ein Freizügigkeitsrecht.<br />

Diese Frist beginnt nach einer Wiedereinreise<br />

wieder bei null. Man kann also<br />

schon nach einem Tag wieder zurückkommen.<br />

Wer jedoch abgeschoben<br />

wird, erhält eine Wiedereinreisesperre.<br />

Das sollte man nicht riskieren.<br />

Macht die Behörde alles richtig?<br />

Es gehört zu den Aufgaben der Ausländerbehörde,<br />

das Freizügigkeitsrecht<br />

zu überprüfen. Systematische Kontrollen<br />

von Obdachlosen, wie sie in Hamburg<br />

gemacht werden, sind aber eigentlich<br />

nicht zulässig. Außerdem<br />

werden die Bescheide über den Verlust<br />

der Freizügigkeit öffentlich ausgehängt<br />

und gelten damit als zugestellt. Faktisch<br />

erfahren die Betroffenen das allerdings<br />

nicht. Die Ausländerbehörde<br />

macht es ihnen also überdurchschnittlich<br />

schwer, das Verfahren nachzuvollziehen<br />

und sich rechtlich dagegen<br />

wehren zu können. •<br />

Kontakt: benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />

Heiko Habbe (45) ist Experte für<br />

Aufenthalts-, Asyl- und Migrationssozialrecht.<br />

Der Anwalt berät die kirchliche<br />

Hilfsstelle „fluchtpunkt“ in Asyl -<br />

verfahren und die Hamburger Diakonie.


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Stadtgespräch<br />

Meldungen (2)<br />

Politik & Soziales<br />

Freizügigkeitsrecht<br />

Ausländerbehörde geht gezielt gegen Obdachlose vor<br />

Seit März dieses Jahres überprüft die Ausländerbehörde verstärkt das sogenannte<br />

Freizügigkeitsrecht von Obdachlosen aus Osteuropa, die in Hamburg auf der<br />

Straße leben (siehe Interview links). Von März bis Oktober hat die Behörde nach<br />

eigenen Angaben aus diesem Grund 489 EU-Bürger zur Vorsprache aufgefordert.<br />

Nur 16 folgten dieser Aufforderung. Ignorieren die Betroffenen die Aufforderung,<br />

fällt die Behörde trotzdem eine Entscheidung – schlimmstenfalls droht ihnen dann<br />

eine Abschiebung ins Herkunftsland und eine Wiedereinreisesperre. Insgesamt<br />

80 Osteuropäer hat die Ausländerbehörde bis Ende Oktober bereits zur Ausreise<br />

aufgefordert, weil sie keine Freizügigkeitsgründe nachgewiesen hätten.<br />

Die meisten Verfahren laufen nach Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Informationen allerdings noch.<br />

Hintergrund der verstärkten Kontrollen sei eine „politische Entscheidung“<br />

gewesen, sagte ein Behördensprecher gegenüber Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Zuvor habe eine<br />

Arbeitsgruppe mit Teilnehmern aus mehreren Behörden über den Umgang mit<br />

Obdachlosen beraten. BELA<br />

•<br />

Mehr Infos und Nachrichten unter:<br />

Arbeitslosengeld im Supermarkt Dramatischer Anstieg<br />

Nationale Armutskonferenz 52.000 Obdachlose in<br />

befürchtet Stigmatisierung Deutschland<br />

Leistungen wie das Arbeitslosengeld Die Anzahl der Menschen, die in<br />

sollen künftig bar an Kassen einiger Deutschland auf der Straße leben,<br />

Supermärkte und Drogerien ausgezahlt<br />

werden. Die Umstellung soll im ner aktuellen Hochrechnung der Bun-<br />

wächst unvermindert weiter. Nach ei-<br />

zweiten Quartal 2018 starten. Für desarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe<br />

(BAG W) stieg sie innerhalb<br />

Erwerbslose, die über kein eigenes<br />

Konto verfügen, standen dafür bislang<br />

Kassenautomaten in Jobcentern 52.000 im Jahr 2016. 2014 waren es<br />

von zwei Jahren um 33 Prozent auf<br />

und Arbeitsagenturen zur Verfügung. noch rund 39.000 gewesen. Insgesamt<br />

Allerdings nicht abends und am haben nach der Statistik in Deutschland<br />

860.000 Menschen keine eigene<br />

Wochenende. Diese Automaten sollen<br />

jetzt aus Kostengründen abgebaut Wohnung und leben etwa in staatlichen<br />

Unterkünften oder bei Freun-<br />

werden. Kritik an den Plänen der<br />

Bundesagentur für Arbeit kommt von den. 440.000 davon sind Geflüchtete.<br />

der Nationalen Armutskonferenz. „Die Zuwanderung wirkt zwar verstärkend“,<br />

erklärt der Geschäftsführer<br />

„Ein solches Verfahren trägt zur weiteren<br />

Stigmatisierung von Leistungsberechtigten<br />

bei, die sich vor den die wesentlichen Ursachen für Woh-<br />

der BAG W, Thomas Specht. „Aber<br />

Augen von Kundinnen und Kassierern nungsnot und Wohnungslosigkeit liegen<br />

in einer seit Jahrzehnten verfehl-<br />

als Erwerbslose outen müssten“, sagt<br />

Sprecherin Barbara Eschen. Häufig ten Wohnungspolitik in Deutschland,<br />

handelt es sich um Obdachlose, die in Verbindung mit der unzureichenden<br />

Armutsbekämpfung.“ BELA<br />

staatliche Hilfe erhalten, aber kein<br />

eigenes Konto besitzen. Auch sie hätten<br />

ein Recht auf Diskretion. „Diese<br />

•<br />

zu gewährleisten ist eine staatliche<br />

Aufgabe – und nicht die von Drogeriemärkten<br />

oder Discountern.“ JOF<br />

www.hinzundkunzt.de<br />

•<br />

17<br />

Jetzt für kurze zeit auch<br />

in den Harburg Arcaden!<br />

stilbruch.de


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Zahlen des Monats<br />

Textilarbeiterinnen in Bangladesch<br />

Langer Kampf<br />

um faire Löhne<br />

54 Euro<br />

monatlich verdienen Textilarbeiterinnen in Bangladesch umgerechnet. Als Ende<br />

vergangenen Jahres Tausende von ihnen auf die Straße gingen und eine Anhebung des<br />

Mindestlohns auf 152 Euro (in der Währung Bangladeschs sind das 15.000 Taka) forderten,<br />

antworteten Fabrikbesitzer und Regierung mit extremer Härte:<br />

Mehr als 1600 Frauen wurden entlassen, mindestens 34 Gewerkschafter verhaftet.<br />

Ein Jahr später ist der Kampf noch nicht gewonnen. Zwar haben die meisten Arbeiterinnen<br />

nach nationalen und internationalen Protesten wieder ihren alten Job bekommen oder<br />

einen neuen gefunden, so Gisela Burckhardt von der Frauenrechtsorganisation Femnet.<br />

Doch laufen noch mindestens sieben Prozesse gegen Gewerkschafter.<br />

Und das Kernproblem ist weiter ungelöst: „Die Regierung will nicht über einen<br />

höheren Textil-Mindestlohn verhandeln. Dabei sind angesichts der stark gestiegenen<br />

Lebenshaltungs kosten in Bangladesch nicht mal 150 Euro existenzsichernd.“<br />

Gewerkschafter und Bündnisse wie die Kampagne für Saubere Kleidung fordern von den<br />

Modekonzernen mehr Druck – immerhin lassen sie mehr oder weniger alle in Bangladesch<br />

Ware herstellen. Handeln muss nun aber auch die Europäische Union, meint Femnet-Chefin<br />

Burckhardt: Sie verzichtet gegenüber Bangladesch auf Einfuhrzölle, weil die Regierung<br />

schon vor Jahren bessere Sozialstandards zugesichert hat. „Dieses Versprechen ist nicht gehalten<br />

worden.“ Deshalb müsse die EU nun die Situation vor Ort untersuchen.<br />

Wer grundsätzlich Textilarbeiterinnen helfen will, hat laut Burckhardt<br />

zwei Möglichkeiten: „Faire Kleidung kaufen. Und in Geschäften nachfragen,<br />

unter welchen Bedingungen Kleidung hergestellt worden ist.“ •<br />

TEXT: ULRICH JONAS<br />

ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />

Mehr Infos und Einkaufstipps unter www.saubere-kleidung.de und www.femnet-ev.de<br />

19


Die Lombardsbrücke, wie sie der<br />

Fotograf Germin im Jahr 1952 sah:<br />

Auf der Straße fährt ein VW-Käfer, auf<br />

den Gleisen eine Dampflok. Bis heute<br />

sind geblieben: die verschnörkelten,<br />

gusseisernen Straßenlaternen nach<br />

einem Entwurf von Carl Börner.


Auferstanden<br />

aus Ruinen<br />

Hamburg nach dem Zweiten Weltkrieg: Langsam, aber stetig erwacht<br />

die Stadt aus Trümmern zu neuem Leben. Der opulente<br />

Bildband Hamburg, meine Perle nimmt den Leser mit in die Zeit<br />

der 1940er- bis 1960er-Jahre. Wir haben mit dem Fotografen<br />

Günter Zint, einem der Herausgeber, gesprochen.<br />

TEXT: SIMONE DECKNER


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Fotoreportage<br />

Zwei Gesellschaftsschichten, abgelichtet von Germin: ein Arbeiter<br />

bei der Nietenproduktion in der Wilhelmsburger Reiherstiegwerft 1949 (links).<br />

Am Jungfernstieg sind die Bänke von Zeitungslesern besetzt.<br />

Wenn eins von uns Kindern<br />

Geburtstag hatte,<br />

hat meine Mutter braunen<br />

Zucker in der Pfanne<br />

aufgelöst. Das gab es dann aufs Brot,<br />

statt Geburtstagstorte“, erinnert sich<br />

Günter Zint. Heute kann der 1941 geborene<br />

Fotograf darüber schmunzeln,<br />

mit wie wenig er und seine sieben Geschwister<br />

in der Zeit nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg zufriedenzustellen waren.<br />

Früher war eben nicht alles besser.<br />

Aber wie es war und vor allem, wie es<br />

aussah im Hamburg der Nachkriegszeit<br />

23<br />

Zum Geburtstag<br />

gab es braunen<br />

Zucker aufs Brot.<br />

von den 1940er- bis zu den 1960er-Jahren,<br />

das zeigt ein neuer, opulenter Bildband,<br />

den Fotograf Zint gemeinsam<br />

mit dem Historiker Dr. Jens Bove von<br />

der Deutschen Fotothek Dresden herausgegeben<br />

hat.<br />

Der programmatische Titel des 320<br />

Seiten starken Buches: „Hamburg,<br />

meine Perle“. Lotto King Karl gefällt<br />

das? „Den Spruch gibt es ja schon viel<br />

länger“, klärt Zint die zu spät geborene<br />

Autorin auf, „meine Mitarbeiterin Eva<br />

Decker hat das im Vorwort sehr schön<br />

formuliert: ,Perlen altern nicht. Manchmal<br />

büßen sie etwas Glanz ein und bekommen<br />

Flecken, aber ihr Alter sieht<br />

man ihnen nicht an. Gibt es ein treffenderes<br />

Bild für Hamburg?‘“<br />

„Hamburg, meine Perle“ zeigt auf<br />

300 teils bisher unveröffentlichten<br />

Schwarzweiß- und Farbfotos, wie sich


Fotoreportage<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />

Lange Haare und keinen Bock aufs Establishment: Die Jungen begehrten auf gegen den Muff der Eltern generation.<br />

Günter Zint fotografierte 1967 seinen Kommunen-Mitbewohner in der Davidstraße (oben).<br />

Das kleine Mädchen auf der Treppe vor dem Kino in der Großen Freiheit, aufgenommen 1956 von Wolfgang<br />

G. Schröter, ist eines von Zints Lieblingsmotiven: „Ich habe fünf Kinder auf St. Pauli großgezogen, Angst hatten wir nie.“<br />

die halb zerbombte Stadt wieder aufraffte,<br />

die Asche abstreifte und neu zu<br />

glänzen begann. Ein Großteil der Bilder<br />

stammt von dem Fotoreporter<br />

Gerd Mingram alias Germin (1910–<br />

2001), auch Erich Andres (1905–1992),<br />

Wolfgang G. Schröter und Zint geben<br />

Einblicke in eine Stadt, die sich in der<br />

Nachkriegszeit neu erfinden musste.<br />

Es sind Bilder zwischen Verwüstung<br />

und Hoffnung, zu sehen sind zerstörte<br />

Häuser und adrette Vorgärten in<br />

den Wirtschaftswunderjahren, auch die<br />

politische und musikalische Rebellion<br />

der 1960er-Jahre kommt nicht zu kurz.<br />

Die Bilder zeigen den Älteren, woran<br />

sie sich erinnern können und den<br />

Jungen, was sie nur vom Hörensagen<br />

kennen: Eine Zeit, in der Dampflokomotiven<br />

statt moderner U-Bahnen mit<br />

Sitzplatzampeln fuhren, als im Reiherstiegviertel<br />

Arbeiter noch Nieten erhitzten<br />

und keine Studenten wohnten,<br />

als das Licht von Gaslaternen die Straßen<br />

erhellte und Laternenwärter diese<br />

regelmäßig putzten – Letzteres ist Titelbild<br />

dieser Ausgabe. Germins Foto<br />

ist eines von Zints Favoriten. Es erinnert<br />

ihn an Erich Mühsams Gedicht<br />

„Der Revoluzzer/Lampenputzer“ aus<br />

dem Jahr 1907 – eine Satire über die<br />

deutsche Sozialdemokratie.<br />

In den 1950er- und 1960er-Jahren<br />

änderte sich das Bild Hamburgs deutlich:<br />

Die sechsspurige Ost-West-Straße<br />

entstand, Komplexe wie die Esso-Häuser<br />

oder die Grindel-Hochhäuser waren<br />

Zeugnisse der damals als hochmodern<br />

geltenden Architektur. Es war auch die<br />

Zeit, in der Günter Zint, der bis dahin<br />

24<br />

als freier Fotograf in Schweden und<br />

England gearbeitet hatte, nach Hamburg<br />

kam. Hier wurde er mit seinen<br />

Fotos von den Beatles aus dem „Star-<br />

„Ich wohnte<br />

in ’ner Kommune<br />

und trug die<br />

Haare lang.“<br />

Club“ bekannt. „Das war für mich<br />

natürlich das spannendste Jahrzehnt“,<br />

sagt der heute 76-Jährige. „Ich wohnte<br />

in ’ner Kommune, trug die Haare, die<br />

ich damals noch hatte, lang und protes-


Fotoreportage<br />

Fischdampfer am Kai des Fischereihafens 1948 (oben), ein<br />

Kran auf dem Gelände der Deutschen Werft in Finkenwerder<br />

bei Nacht, 1951. Ein Streckenläufer kontrolliert 1949 die<br />

Bahnschienen. Alle Bilder wurden von Germin fotografiert.<br />

tierte gegen die Gesellschaft. Meine Eltern waren<br />

entsetzt.“ Die Elterngeneration schalt die Jungen<br />

„Gammler“, weil die auf deren „Schaffe, schaffe<br />

Häusle baue“-Lebenseinstellung pfiffen und lieber<br />

taten, was ihnen Spaß machte. „Ich war auch einer<br />

von denen“, sagt Zint, „wobei wir uns ,Exis‘ nannten,<br />

nach den Existenzialisten. Unser Motto war:<br />

,Arbeite nur so viel, dass es dich nicht kaputt macht.‘“<br />

„Unser Motto war:<br />

,Arbeite nur so viel,<br />

dass es dich<br />

nicht kaputt macht.‘“<br />

Das gilt bis heute. „Ich arbeite nicht, das ist mein<br />

Hobby“, stellt der umtriebige Fotograf sein Licht unter<br />

den Scheffel. „Hamburg, meine Perle“ ist bereits<br />

sein 75. Buch, viele Fotografennachlässe verwaltet er<br />

mit seiner Agentur Panfoto. Das Archiv von Germin<br />

hat er bereits an die Deutsche Fotothek verkauft, andere<br />

werden folgen. „Meine Kinder wollen nur meinen<br />

Nachlass aufheben“, sagt Zint.<br />

Er freut sich daher sehr, dass die historischen<br />

Bilderschätze in der Deutschen Fotothek, dem Archiv<br />

der Fotografen, gut aufgehoben sind. Mehr als elf<br />

Millionen Bilder sind schon archiviert, rund zwei<br />

Millionen sind bereits digital abrufbar. Damit Geschichte,<br />

wie die von Hamburgs Wiederaufbau, nicht<br />

vergessen wird. •<br />

Kontakt: simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />

ZINT-PORTRÄT: CECILE ASH<br />

Günter Zint (76)<br />

Fünf Mark bekam er 1958 für sein<br />

erstes Pressefoto. Seither hält er<br />

die Kamera drauf: Ob Beatles oder<br />

Hafenstraße – Zint war dabei.<br />

Seiner Wahlheimat hat er mit dem<br />

Sankt Pauli Museum und jetzt mit<br />

dem Bildband ein Denkmal gesetzt.<br />

Hamburg, meine Perle:<br />

Jens Bove/Günter Zint (Hrsg.): Emons Verlag,<br />

320 Seiten, 49,90 Euro. Deutsche Fotothek:<br />

www.deutschefotothek.de<br />

27


Der Israeli: Sozialarbeiter<br />

Nir verlor<br />

seine Mutter durch ein<br />

Selbstmordattentat.<br />

„Es ist nicht leicht,<br />

nicht zu hassen“<br />

Im palästinensisch-israelischen Konflikt haben Nir und Wajeh Verwandte<br />

verloren. Trotzdem kämpfen sie jetzt gemeinsam für Frieden in der Region.<br />

TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />

FOTOS: ANDREAS HORNOFF<br />

28


Der Palästinenser:<br />

Wajehs Bruder<br />

wurde als Kind<br />

von israelischen<br />

Soldaten erschossen.<br />

Israel, Tel Aviv. Nirs Mutter, eine<br />

lebenslustige Frau, war gerade<br />

pensioniert worden und wollte<br />

Freundinnen treffen. Sie stieg in<br />

den Bus. Ein junger Palästinenser stieg<br />

ebenfalls ein. Etwas später zündete er<br />

die Bombe. Er selbst und fünf Fahrgäste<br />

starben. Nirs Mutter war sofort tot.<br />

Ein Dorf bei Hebron, in den besetzten<br />

Gebieten. Wajehs kleiner Bruder<br />

kam nicht vom Spielen wieder,<br />

dabei wartete die Familie schon mit<br />

dem Essen. Dann kam die Nachricht:<br />

Der Junge war von israelischen Soldaten<br />

erschossen worden.<br />

Beide Taten sind jetzt Jahrzehnte<br />

her. Die Wunden bei Nir, dem Israeli,<br />

und Wajeh, dem Palästinenser, sind bis<br />

heute nicht verheilt – und werden es<br />

wohl nie sein. Beide hatten damals<br />

denselben Impuls: Rache. Zumal Wajeh<br />

noch mehr Verwandte verlor: drei<br />

junge Cousins. Einer von ihnen war gerade<br />

Vater geworden, auch ein Baby<br />

wurde von einem israelischen Soldaten<br />

erschossen.<br />

29<br />

„Es ist nicht leicht, nicht zu hassen“,<br />

sagt Wajeh. Aber es gibt da so einen<br />

Spruch, dessen Wahrheit beide empfinden,<br />

Nir und Wajeh: „Wenn du Rache<br />

willst, dann hebe am besten zwei Gräber<br />

aus, eins für deinen Feind – und<br />

eins für dich.“ Deshalb sitzt jetzt auch<br />

Wajeh (58) ausgerechnet mit Nir (57) in<br />

einem Hamburger Garten. Friedlich.<br />

Die beiden sind zusammen auf einer<br />

besonderen Art von Tournee, mit<br />

einer besonderen Botschaft. Sie wollen,<br />

dass dieser Konflikt endlich aufhört.


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />

Wajeh und Nir wollen<br />

die Grenzen in den<br />

Köpfen der Menschen<br />

überwinden: „Nur dann<br />

wird sich etwas ändern.“<br />

„Vielleicht können wir das Blutvergießen<br />

stoppen“, sagt Wajeh. Sie werden<br />

in Hamburg eine Moschee besuchen<br />

und mit Muslimen reden, sie werden in<br />

einer Kirche von ihrem Schmerz und<br />

ihrer Hoffnung sprechen. Sie suchen<br />

weltweit Verbündete in einem schier<br />

aussichtslosen Kampf.<br />

Parents Circle heißt ihre Organisation.<br />

Aktiv mitmachen darf nur, wer in<br />

den israelisch-palästinensischen Auseinandersetzungen<br />

ein Familienmitglied<br />

verloren hat. „Wir sind wahrscheinlich<br />

die einzige Organisation in der Welt, die<br />

nicht größer werden will“, sagt Wajeh.<br />

Wajeh ist Geschäftsmann, er vertreibt<br />

Hühnerkäfige. Viele seiner Kunden<br />

sind Israelis. Insofern hatte er keine<br />

Berührungsängste mit „den anderen“.<br />

Aber Nir kannte keine Palästinenser. Bis<br />

er zu Parents Circle kam. Sein Sohn<br />

hatte dort bei einer Jugendfreizeit mitgemacht.<br />

Das war acht Jahre nach dem<br />

Bombenattentat, 2003, mitten in der<br />

zweiten Intifada.<br />

„Und es war unglaublich: Menschen<br />

von der anderen Seite vergossen<br />

Tränen, als ich meine Geschichte erzählte“,<br />

sagt der Sozialarbeiter. Aber<br />

natürlich erzählten die Palästinenser<br />

auch ihre Geschichte, in der ein Israeli<br />

„Vielleicht<br />

können wir das<br />

Blutvergießen<br />

stoppen.“ WAJEH<br />

der Täter war: „Es war nicht leicht für<br />

mich, sie anzuhören“, sagt Nir. „Aber<br />

plötzlich spürte ich diesen gemeinsamen,<br />

grenzenlosen Schmerz. Es war<br />

überwältigend.“<br />

Genau das ist die Hauptaktivität<br />

von Parents Circle: Die Menschen beider<br />

Seiten zusammenzubringen – in ihrer<br />

Trauer, in ihrem Schmerz. Es gibt<br />

gemischte Gruppen, die zuerst das<br />

jüdische Mahnmal Yad Vashem besuchen,<br />

in dem an die Opfer des Holocaust<br />

erinnert wird – und danach ein<br />

palästinensisches Dorf, das von den Israelis<br />

zerstört wurde. Das schafft Verständnis,<br />

Nähe.<br />

Eine Nähe, die es vorher so nicht<br />

gab. „Viele Palästinenser kennen nur<br />

israelische Soldaten – und viele Israelis<br />

30<br />

sehen Palästinenser nur als potenzielle<br />

Gewalttäter“, sagt Nir. „Bei mir war es<br />

genauso, für mich war es ein Kulturschock,<br />

mit Palästinensern zu sprechen,<br />

und das auch noch über persönliche<br />

Dinge.“<br />

„Das ist kein religiöser Konflikt“,<br />

erklärt Wajeh. „Der Konflikt, das sind<br />

die Grenzen. Wenn ein Israeli die Landkarte<br />

unseres Landes zeichnet, zeichnet<br />

er sie anders als ein Palästinenser. Wir<br />

sind alle Opfer der Besetzung. Das ist<br />

der Grund, warum mein Bruder und<br />

meine Cousins getötet wurden – und<br />

das ist auch der Grund, warum Nirs<br />

Mutter getötet wurde.“<br />

Am deutlichsten wird der Konflikt<br />

tatsächlich an den Checkpoints und<br />

dem Zaun zwischen Israel und den besetzten<br />

Gebieten. „Wir haben Angst vor<br />

Attentaten“, sagt Nir. Deswegen werden<br />

die Grenzen geöffnet und geschlossen,<br />

Ausgangssperren verhängt und wieder<br />

aufgehoben, Menschen kontrolliert und<br />

dann wieder nicht. „Dieser unerträgliche<br />

Alltag schürt neuen Hass und neue<br />

Gewalt“, da ist sich Nir sicher. Und das<br />

wiederum steigert die Angst der Israelis.<br />

„Die Palästinenser müssen mehr<br />

aushalten als wir“, sagt Nir. Manche<br />

Geschichten hören sich an wie Szenen


Stadtgespräch<br />

„Wenn wir weiter<br />

in Angst leben, werden<br />

wir Opfer bleiben.“ NIR<br />

aus einer schwarzen Komödie: Wajeh fuhr abends<br />

langsam an den Grenzposten heran, hatte das Licht<br />

an. Da bekam er plötzlich das Gewehr an den Kopf.<br />

„Willst du uns umbringen? Sofort das Licht aus!“,<br />

rief der Soldat. Gehorsam fuhr er ohne Licht an den<br />

nächsten Checkpoint. Wieder hatte er das Gewehr<br />

vor der Nase. „Willst du uns umbringen? Mach sofort<br />

das Licht an!“ Wajeh lacht. „Wir lachen viel“, sagt er.<br />

Anders hält man es wohl nicht aus.<br />

„Diese Grenzen, Kontrollen und ständigen Abriegelungen<br />

sollen für unsere Sicherheit sorgen“, sagt<br />

Nir. „Aber all das bewirkt genau das Gegenteil.“ Zumal<br />

diese Grenzen oft durchlässig sind. „Wer sie<br />

überwinden will, der schafft das“, sagt Wajeh. Und<br />

Nir erzählt, dass es bei einem ganz bekannten Checkpoint<br />

ein Loch gebe. „Du musst einfach ein paar<br />

Kilometer fahren und überquerst ohne Probleme die<br />

Grenze.“<br />

Trotz dieser Absurdität: Beide Gesellschaften<br />

sind derzeit nicht in der Lage, die Grenzen zu überwinden.<br />

Das müsste im Kopf anfangen. Nir sagt,<br />

dass es bei ihm ein langer Weg war. Als junger Mann<br />

war er Soldat in einem Kibbuz auf dem Sinai. Als<br />

der Friedensvertrag mit Ägypten geschlossen wurde,<br />

war er strikt dagegen. „Ich dachte, dass die Ägypter<br />

sich binnen zwei Wochen ein paar Städte zurückerobern,<br />

wenn wir nicht wachsam sind“, sagt er. Aber<br />

im Laufe der Jahre habe er gemerkt: „Wenn wir nicht<br />

lernen, Vertrauen zu haben und immer weiter in<br />

Angst leben, werden wir immer Opfer bleiben.“ Das<br />

sei die große Gefahr: „Wir haben gute Gründe, uns<br />

als Opfer zu fühlen. Aber ein Opfer kann nicht seine<br />

eigenen Anteile sehen, seine Fehler. Du bist Opfer –<br />

und kannst deswegen machen, was du willst.“<br />

Nir und Wajeh sind sich einig: „Wenn wir nicht<br />

lernen, diese Opferhaltung zu überwinden, wird sich<br />

nie etwas ändern.“ Und für diese Veränderung in<br />

den Köpfen wollen sie kämpfen. „Trotz allem habe<br />

ich etwas, was ich früher nicht mehr hatte“, sagt Nir.<br />

„Hoffnung.“ Und Wajeh fügt hinzu: „Wir können es<br />

uns auch nicht leisten, die Hoffnung zu verlieren.“ •<br />

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Öffnungszeiten: Dienstag - Freitag 10.00 - 19.00 Uhr<br />

Samstag 10.00 - 14.00 Uhr<br />

Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />

Parents Circle: www.nordkirche-weltweit.de und<br />

www.theparentscircle.com (auf Englisch)<br />

31


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />

1.<br />

Spuren sichern<br />

Auf Schatzsuche mit dem Künstler Rüdiger Knott – dessen Werke<br />

wir in diesem Monat in den Räumen von Hinz&<strong>Kunzt</strong> ausstellen.<br />

TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />

FOTOS: HENNING ALBERTI,<br />

LENA MAJA WÖHLER (S. 32, OBEN)<br />

2.<br />

Zugegeben: Wir<br />

sind Fans. Insofern<br />

war die Einladung<br />

von Rüdiger<br />

Knott, Werke<br />

für eine Ausstellung<br />

direkt mit<br />

ihm vor Ort auszusuchen,<br />

wie das<br />

Angebot zu einer<br />

Schatzsuche. Sein Atelier ist vollgestopft<br />

und vollgehängt mit Collagen, Materialbildern,<br />

Installationen, Fundstücken<br />

und Treibgut. Alles neu geordnet und<br />

zusammengesetzt.<br />

Der 73-Jährige ist nicht nur Künstler,<br />

sondern seit Jahren Mitglied im<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Beirat. Wichtig war ihm<br />

dabei, bestimmte Projekte in der Redaktion<br />

zu unterstützen. Deshalb berät<br />

er uns nicht nur, sondern organisiert<br />

seit Jahren Ausstellungen mit seinen<br />

Bildern zu unseren Gunsten. Premiere:<br />

Zum ersten Mal werden seine Bilder in<br />

unseren Räumen präsentiert.<br />

Bis 2004 war Rüdiger Knott selbst<br />

Journalist. Erst bei der Deutschen Presseagentur<br />

dpa im Rheinland,<br />

später beim NDR,<br />

jahrelang war er Programmchef<br />

bei NDR<br />

90,3. Aber schon in den<br />

1970er-Jahren hatte er<br />

ein Schlüsselerlebnis. Er<br />

lernte einen Professor an<br />

der Kunstakademie in<br />

32<br />

Düsseldorf kennen, Joseph Beuys. Ging<br />

zu dessen Vorlesungen, wurde süchtig<br />

nach Kunst. Aber erst 1998 wurde er<br />

vom Beobachter der Kunstszene zu einem,<br />

der selbst mitmachte. Er wurde<br />

ein moderner Schatzsucher: Seine Collagen<br />

und Materialbilder gestaltet er<br />

aus Schrott, Holzresten, Wrackstücken,<br />

Plastikmüll und allerlei Verrostetem.<br />

„Wie verrückt“ sammelt<br />

er. Am liebsten in<br />

Wassernähe. „Man könnte<br />

mich auch einen<br />

Kunst-Messie nennen“,<br />

kokettiert er manchmal.<br />

Seine Materialien findet<br />

er im Hamburger Hafen<br />

oder auf seinen Reisen.<br />

3.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

„Cap Trafalgar“ heißt ein<br />

Werk, das wir sofort einpacken.<br />

Ein Malerbrett, gefunden<br />

in Spanien am Strand,<br />

mit einem verrosteten Schild<br />

drauf, das „Durchgang verboten“<br />

anzeigt, sowie eine<br />

alte Anode. Soweit die sachliche Beschreibung.<br />

Aber die Collage aus diesen<br />

drei profanen Teilen ergibt etwas Viertes,<br />

etwas Rätselhaftes. So geht es uns<br />

mit vielen seiner Materialbilder und<br />

Objekte. In einem alten Hummer käfig<br />

lagern irgendwelche Kugeln. Man assoziiert<br />

vielleicht Kartoffeln, Armut<br />

5.<br />

4.<br />

und den Hunger in der<br />

Nachkriegszeit. Dabei<br />

sind es Posidonias. Der<br />

starke Wind hat das Neptungras<br />

zu Kugeln geformt.<br />

Das Wissen darum<br />

verrückt wieder das<br />

fertige Bild im Kopf.<br />

Oder „Krieger“, ein anderes Objekt:<br />

Der Speer ist eine rot-weiß gestreifte<br />

Pegellatte, das Schild ist ein<br />

Stück Dachhaut aus Walzblei. Solche<br />

Stücke verwendet Knott gerne. „Das<br />

Material haben die Dachdecker zusammengenietet<br />

und gelötet, und dabei sind<br />

wundervolle Formen entstanden. Das<br />

würde ich ja gar nicht hinkriegen.“<br />

Aber die Bleidächer sind auch schon<br />

Vergangenheit, sie sind zu schwer und<br />

zu teuer. Knott kennt aber ein paar<br />

Dachdecker, von denen er Stücke abkaufen<br />

konnte.<br />

Vielleicht ist es auch das, was den<br />

Reiz von Rüdiger Knotts Werken ausmacht.<br />

Dass mit allen Fundstücken so<br />

viel Vergangenes erzählt wird und so<br />

viel gelebtes Leben.<br />

Rüdiger Knott bei<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>:<br />

Vernissage: 7. <strong>Dezember</strong> um 18 Uhr.<br />

Die Bilder sind bis zum 23. Januar in<br />

der Altstädter Twiete 1–5 zu sehen,<br />

Mo–Fr, 10–13.30 Uhr, 15–18 Uhr<br />

und nach Vereinbarung.<br />

Eintritt frei, www.knottkunst.de<br />

„Fragil“ heißt eines seiner Bilder, das er<br />

uns ans Herz legt. Er nimmt das Holzstück<br />

mit dem verwitterten Schild in die<br />

Hand. „Da ist was Unvorhergesehenes<br />

passiert, und etwas ganz anderes ist<br />

draus geworden.“ Aber was war, was<br />

sollte sein? Wir betrachten gemeinsam<br />

die Collage. Es ist viel Farbe abgeblättert.<br />

Genau deshalb kann man viel<br />

mehr erkennen als nur eine glatte Oberfläche<br />

– wieder einmal. •<br />

Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />

1. Durch alle Welt<br />

2. Schlusslicht<br />

3. Alles hat seine Zeit<br />

4. Auf den Kopf gehängt<br />

5. Gesperrt<br />

Rüdiger Knott: Früher Programmchef<br />

bei NDR 90,3, heute Beiratsmitglied<br />

von Hinz&<strong>Kunzt</strong> und Künstler.


Seit vier Jahren leitet<br />

Marcus Scherer die Küche im<br />

Israelitischen Krankenhaus.<br />

Den Patienten schmeckt’s!


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

„Ich will etwas<br />

bewegen“<br />

Früher war Marcus Scherer Gourmetkoch.<br />

Jetzt revolutioniert er die Krankenhausküche.<br />

TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />

FOTOS: LENA MAJA WÖHLER<br />

Neulich hat Marcus Scherer,<br />

Küchenchef im Israelitischen<br />

Krankenhaus, einen<br />

Brief von einem Mann bekommen,<br />

dessen Frau im angegliederten<br />

Hospiz gestorben war. Der Witwer bedankte<br />

sich bei Scherer: Seine Frau habe<br />

in ihren letzten Wochen noch mit Appetit<br />

gegessen und sogar wieder zugenommen.<br />

Das sind Reaktionen, die dem<br />

ehemaligen Gourmetkoch viel bedeuten.<br />

„Ich kann einen Patienten damit<br />

glücklich machen, wenn er wieder etwas<br />

verträgt und wenn es ihm schmeckt“,<br />

sagt der 48-Jährige. „Noch nie ging es<br />

um so viel beim Kochen wie hier.“<br />

Früher hat Scherer im Vier Jahreszeiten<br />

gekocht oder im Louis C. Jacob,<br />

in der Eventgastronomie und bei<br />

Caterern. Das Israelitische Krankenhaus<br />

ist aber vielleicht seine bislang<br />

wichtigste Station. Die dortige Küche<br />

hat er in den vergangenen vier Jahren<br />

zu einer vergleichsweisen Gourmetküche<br />

revolutioniert.<br />

Kochen spielte bei ihm schon als<br />

Junge eine große Rolle. „Ich habe<br />

meiner Mutter schon immer über die<br />

Schulter gekocht“, erzählt Scherer. Ein<br />

witziger, aber treffender Versprecher. In<br />

seiner Lehre klebte er seinen Chefs<br />

quasi am Rockzipfel und galt bei den anderen<br />

Auszubildenden als Streber. „Dabei<br />

war ich einfach nur begeistert“, sagt<br />

er. „Ohne all diese Erfahrungen würde<br />

ich das hier auch gar nicht wuppen.“<br />

Sein Credo: „Ich will etwas bewegen.<br />

Egal, ob ich für einen Restaurantbesucher,<br />

meine Familie oder einen Patienten<br />

koche – die Qualität und der Anspruch<br />

sollten immer dieselben sein.“<br />

Und das heißt für ihn: „Man kann fast<br />

alles frisch zubereiten.“ Und das auch<br />

in einer Küche, in der 300 Mittagessen<br />

rausgehen. Deswegen gab er auch nur<br />

„Noch nie<br />

ging es um so<br />

viel beim Kochen<br />

wie hier.“<br />

35<br />

ein kurzes Gastspiel in einem anderen<br />

Krankenhaus. „Die wollten nichts verändern.“<br />

Im Israelitischen Krankenhaus<br />

musste er sich gegen 15 andere<br />

Bewerber durchsetzen. „Aber das passte<br />

wie Topf auf Deckel.“<br />

„Wir haben fast alle Fertigprodukte<br />

rausgeschmissen“, sagt er. „Wir kaufen<br />

zwar die Bohnen schon geputzt und<br />

den Salat gewaschen, aber jede Suppe,<br />

jeden Obstsalat machen wir selbst.<br />

Wir nehmen nur frische Kräuter und<br />

keine Gewürzmischungen, nichts aus<br />

der Dose.“ Auf dem Speiseplan stehen<br />

dann Gerichte wie Tofu im Sesammantel,<br />

Hähnchenkeule mit Zucchini-Rhabarber-Ragout<br />

oder Feta im Blätterteig.<br />

Trotzdem müssen die Gerichte ja<br />

möglichst verträglich sein. Scherer hat<br />

ein Baukastensystem entwickelt: Die<br />

Patienten können nun zwischen 25<br />

untereinander kombinierbaren Kostformen<br />

wählen, beispielsweise vegan,<br />

kalorienarm, laktose- oder glutenfrei.<br />

Aber eben abwechslungsreich und<br />

lecker. Immer wieder wird das Team<br />

von Patienten nach den Rezepten gefragt.<br />

Deswegen schrieb Scherer jetzt<br />

auch ein Kochbuch.<br />

Seine Mitarbeiter waren am Anfang<br />

allerdings eher verschreckt. Aus<br />

Angst, die Arbeit dann nicht zu schaffen.<br />

Scherer trat wie in einer Kochshow<br />

den Beweis an: „Du machst jetzt eine<br />

Fertigsuppe und ich koche eine frische“,<br />

kündigte er beispielsweise an. Und tatsächlich:<br />

Er wurde fast gleichzeitig<br />

fertig – und seine Crew räumte ein: Es<br />

schmeckte einfach besser.<br />

Gemeinsam mit seinem Team analysierte<br />

er alle Arbeitsschritte: Wo sind<br />

zeitliche Puffer? „Wenn ihr es nicht<br />

schafft und ihr seht, ich sitz in meinem<br />

Büro, dann klopft, dann mach ich<br />

mit.“ Ein paar Monate habe die Umstellung<br />

gedauert. „Dann haben alle<br />

gestrahlt, weil sie gesehen haben: Es<br />

klappt und macht Spaß.“<br />

Auch das erinnert an die TV-Shows:<br />

Jeden Tag testen ein Koch, eine Mitarbeiterin<br />

aus dem Ernährungsteam und


Laktose- oder glutenfrei, Diät oder<br />

vegetarisch? Kein Problem. Gewürzmischungen<br />

oder Zutaten aus der<br />

Dose kommen nicht auf den Tisch.<br />

ein Dritter die Gerichte und bewerten<br />

sie nach Schulnoten „Alles, was schlechter<br />

ist als 3, geht nicht raus.“ Aber so<br />

etwas passiert kaum noch. Der Druck,<br />

der auf seinem Team liegt, ist dadurch<br />

„natürlich etwas erhöht“ worden.<br />

Findet Marcus Scherer aber in<br />

Ordnung, denn es geht um Qualität<br />

und Zuverlässigkeit. Inzwischen ist die<br />

Arbeit, wenn keiner ausfällt, trotz allem<br />

so organisiert, dass die Crew – wenn<br />

alles rund läuft – auch mal früher als<br />

um 15 Uhr gehen kann. Das motiviert.<br />

Nicht zuletzt den Chef selbst. Der<br />

legt nämlich Wert auf ein Familienleben.<br />

Seine Zwillinge sind inzwischen<br />

Rezepte für eine<br />

schöne Weihnachtszeit<br />

von Marcus Scherer – für 4 Personen<br />

ENTE UND GRÜNKOHL<br />

CAPPUCCINO VON BIRNE<br />

UND SELLERIE<br />

MIT MAISHÄHNCHENBRUST<br />

IM MOHNMANTEL<br />

ZUTATEN<br />

1 Maispoularden-Brust à 160 g<br />

1 EL schwarzer Mohn<br />

1 Zwiebel, 1 Knollensellerie<br />

4 Birnen, ¼ l Milch, ½ l Sahne<br />

½ l Brühe, 1 Limette, Salz, Pfeffer<br />

Zucker, Cayennepfefferffer<br />

ZUBEREITUNG<br />

Das Gemüse und Obst waschen,<br />

schälen und in kleine Würfel schneiden.<br />

Die Zwiebel in einem Topf in etwas Öl<br />

andünsten. Sellerie und Birne hinzufügen<br />

und ebenfalls andünsten. Mit Sahne<br />

und Brühe ablöschen und etwa<br />

20 Minuten köcheln lassen. Aufmixen<br />

und mit Salz, Pfeffer, Cayenne und<br />

Limette abschmecken.<br />

Die Maispoularden-Brust ohne Haut<br />

würzen, anbraten und im Ofen<br />

auf 160 °C etwa 12 Minuten garen.<br />

Herausnehmen und durch den<br />

Mohn wälzen. Dann noch<br />

circa 5 Minuten ruhen lassen und in<br />

12 dünne Scheiben schneiden.<br />

Milch in einem kleinen Topf zum<br />

Kochen bringen, abschmecken und mit<br />

dem Milchschäumer aufschäumen.<br />

Suppe in einer Milchkaffeetasse anrichten.<br />

Den Milchschaum obenauf geben,<br />

mit ein paar frischen Kräutern garnieren.<br />

Die gebratene Poularde auf<br />

einem Suppenlöffel anrichten<br />

und an die Tasse anlegen.<br />

ZUTATEN<br />

1 Ente<br />

2 Zwiebeln, 1 Karotte<br />

500 g Sellerie, 1 EL Tomatenmark<br />

½ l Rotwein<br />

1 l Gemüsebrühe<br />

1 Orange, 1 Apfel<br />

Salz, Pfeffer, Liebstöckel<br />

1,5 kg Grünkohl gewaschen<br />

200 g Bauchfleisch<br />

ZUBEREITUNG<br />

Gemüse in nussgroße Stücke schneiden. Im<br />

Bräter anbraten. Tomatenmark dazugeben<br />

und anrösten. Mit Rotwein und ¼ l Brühe<br />

ablöschen. Ente mit Salz und Pfeffer würzen.<br />

Apfel und Orange in Stücke schneiden,<br />

Liebstöckel dazugeben und die Ente damit<br />

füllen. Auf das Gemüse setzen. Bei 170 °C<br />

Heißluft für 1,5 bis 2 Stunden in den<br />

Ofen schieben. Alle 15 Minuten mit dem<br />

Bratensatz übergießen.<br />

Für den Grünkohl: Zwiebel und Speck in<br />

Würfel schneiden und anbraten. Grünkohl<br />

dazugeben. ½ l Brühe hinzufügen<br />

und langsam für circa 1 bis 1,5 Stunden<br />

36


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

neun Jahre alt. Und er will ein Vater<br />

sein, der seine Kinder auch aufwachsen<br />

sieht. So etwas ist in der Gastronomie<br />

selten, ob Sterneküche oder nicht. Meist<br />

beginnt der Job am späten Vormittag<br />

und endet nicht vor 22 Uhr. In seinem<br />

früheren Leben wollte Scherer mal am<br />

Geburtstag der Kinder freihaben. „Das<br />

gab eine richtige Diskussion“, sagt er,<br />

„da gerät man dann schon ins Grübeln.“<br />

Und ständig habe der Chef dann<br />

auch noch in der Freizeit bei ihm zu<br />

Hause angerufen und ihn gefragt, ob er<br />

nicht doch noch eine Schicht schieben<br />

könnte. Heute, sagt Marcus Scherer zufrieden,<br />

„da ist Feierabend, wenn wir<br />

hier abschließen.“ Natürlich habe auch<br />

sein heutiger Chef mal bei ihm zu<br />

Hause angerufen, räumt Scherer ein<br />

und grinst. „Aber nur, um mir zum Geburtstag<br />

zu gratulieren.“ •<br />

Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />

Ich koche: 90 leckere Rezepte aus<br />

der Gourmet-Küche – einfach selber<br />

zubereiten und genießen;<br />

Israelitisches Krankenhaus in Hamburg<br />

(Herausgeber); CEP Europäische<br />

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www.tai-chi-lebenskunst.de<br />

köcheln lassen. Mit Salz, Zucker, Senf und<br />

Pfeffer würzen. Um den Grünkohl zu binden,<br />

2 dicke rohe Kartoffeln fein reiben und in<br />

den heißen Grünkohl geben. Der Kohl<br />

muss dann noch etwa 20 Minuten köcheln,<br />

damit die Bindung entsteht.<br />

Wenn die Ente fertig ist, nehmen Sie diese<br />

aus dem Ofen und stellen sie warm.<br />

Das Gemüse und den Fond, der im Bräter<br />

ist, aufmixen, aufkochen, abschmecken und<br />

eventuell abbinden.<br />

ZUTATEN<br />

4 Eier, 8 Eigelb<br />

150 g Zucker<br />

400 g Kuvertüre<br />

750 g Sahne<br />

4 Orangen kernlos<br />

ZUBEREITUNG<br />

Eigelb, Vollei und Zucker<br />

schaumig aufschlagen.<br />

Kuvertüre im Wasserbad bei circa<br />

60 °C schmelzen lassen. Sahne<br />

steif schlagen. Zerlassene Kuvertüre<br />

vorsichtig unter die Ei-Masse heben.<br />

Wenn alles verrührt ist, die geschlagene<br />

Sahne unterheben, sodass die<br />

Masse luftig bleibt. Abfüllen und<br />

mindestens 2 Stunden kalt stellen.<br />

Orangen schälen, in circa 0,5 Zentimeter<br />

dicke Scheiben schneiden. Scheiben auf<br />

vier Tellern verteilen, Mousse mit einem<br />

Löffel (geht am besten, wenn man ihn<br />

kurz in warmes Wasser taucht) in Nocken<br />

ausstechen und an die Orangen legen.<br />

Eventuell mit Minze und ein paar frischen<br />

Beeren dekorieren.<br />

REZEPTFOTOS: PIXABAY<br />

ENGAGIEREN<br />

TAUFEN<br />

SINGEN<br />

PFLEGEN<br />

TRAUERN<br />

INFORMIEREN<br />

HEIRATEN<br />

Das Leben<br />

steckt voller<br />

Fragen.<br />

37<br />

Wie können wir Ihnen helfen?


Rubrik<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />

Sch pfer des Abgrunds<br />

Er ist einer der angesagtesten Urban-Art-Künstler Deutschlands.<br />

Jetzt hat Streetartist 1010 für die Hinz&<strong>Kunzt</strong> Strassen<strong>Kunzt</strong>Edition ein Motiv entworfen –<br />

und zum ersten Mal so offen über seine Herangehensweise gesprochen.<br />

TEXT: ANNETTE WOYWODE<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE (OBEN), 1010<br />

38


Der Künstler bleibt am<br />

liebsten unerkannt: 1010<br />

als Schattenriss in seinem<br />

Atelier auf St. Pauli.<br />

1010 will am liebsten niemanden in<br />

sein Atelier lassen. „Ich hab’ mich<br />

schon geärgert, dass wir uns hier verabredet<br />

haben“, sagt er zur Begrüßung<br />

– und will gerade die Tür abschließen.<br />

Von außen. Zu viel Konkretes, zu viel<br />

Privates gäbe es da zu sehen. Nach leisem<br />

Protest schließt er wieder auf.<br />

Schließlich ist sein Gast extra nach St.<br />

Pauli geradelt. Um herauszufinden, wer<br />

oder was 1010 ist. Diese Nummer, dieser<br />

Binärcode. Total unpersönlich klingt<br />

das, austauschbar, kalt, leblos. Und wie<br />

spricht man das überhaupt aus? Eins<br />

null eins null? Oder eintausendzehn?<br />

Oder ten ten? Alles ist möglich.<br />

Genau so gefällt es dem Menschen<br />

hinter diesem Kürzel. Raum geben für<br />

Interpretationen – das ist es, was das gesamte<br />

Werk des Streetartisten prägt.<br />

Herauszutreten aus der Anonymität<br />

kommt daher für den 38-Jährigen auch<br />

39<br />

Freunde<br />

nicht in Frage. Dabei ist er aktuell einer<br />

der angesagtesten Urban-Art-Künstler<br />

Deutschlands – der jetzt extra für die<br />

Strassen<strong>Kunzt</strong>Edition von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

ein Werk gestaltet hat. Und der im Gespräch<br />

alles andere als leblos rüberkommt.<br />

Herzlich ist er und sehr bescheiden.<br />

Das merkt man, wenn man<br />

sich eine Weile mit ihm unterhält.<br />

„Warum<br />

muss man alles<br />

labeln?“<br />

Zunächst entspinnt sich eine heiße Diskussion:<br />

„Warum braucht man immer<br />

eine Person, um an der alles festzumachen?“,<br />

fragt er. „Warum muss man alles<br />

labeln?“ Schon das Wort „ich“ findet<br />

er schwierig. „Es grenzt dich von<br />

allen anderen ab“, findet der gebürtige<br />

Pole. „Das ist aber unsere westliche<br />

Weltsicht auf die Dinge.“<br />

Auch die Anerkennung für sein<br />

Werk reklamiert er nicht für sich selbst:<br />

„Die Idee hinter Künstlern ist ja, dass<br />

wir alles alleine machen“, sagt er. „Aber<br />

in Wahrheit saugen wir alles um uns herum<br />

auf wie ein Schwamm und denken<br />

später: ,Boah, da hatte ich ja ’ne geile<br />

Idee‘, dabei hatte ich das vorher in ’ner<br />

Tierdoku gesehen und es nur vergessen.“<br />

Berühmte Künstler hätten zum<br />

Teil 100 Assistenten, meint er. So weit<br />

ist es bei 1010 zwar nicht, aber auch er<br />

brauche Menschen, die ihn bei seiner<br />

Kunst unterstützen. „Wenn die, die helfen,<br />

gute Ideen haben, dann fließen die<br />

natürlich auch in die Arbeit mit ein.“<br />

Die Arbeit von 1010 hat sich in den<br />

vergangenen Jahren stark gewandelt.<br />

Vor rund zwölf Jahren malte er noch<br />

Männchen auf Zeitungspapier. Damit<br />

plakatierte er den öffentlichen Raum.<br />

Wichtig war ihm schon damals, Namen<br />

keinen Raum zu geben. Um seine<br />

Männchen trotzdem zu kennzeichnen,<br />

versah er sie mit einer Eins oder einer<br />

Null, wie bei der Computer-Grundsprache.<br />

Computerspiele und Internet,<br />

erzählt der Künstler, hätten ihn von Anfang<br />

an begeistert und inspiriert. „Weil<br />

man da losgelöst sein kann von dem,


Freunde<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />

1010 ist weltweit gefragt, seine<br />

Abgründe klaffen an den Wänden<br />

einer Galerie in Marseille (oben)<br />

oder in einer Straße in Warschau.<br />

wer und was man ist. Sogar eine andere<br />

Identität kann man annehmen. Das ist<br />

eine super Freiheit“, findet er. Aus diesen<br />

kodierten Figuren ergab sich der<br />

Künstlername 1010.<br />

Später entstanden dünnbeinige<br />

Kreaturen und sich windende Würmer<br />

mit Vogelschnabel in Schwarz, Weiß<br />

und Pink, die oft bedrohlich und düster<br />

wirkten. Dem Künstler ging es dabei<br />

darum, animalische Triebe zu visualisieren,<br />

die das Verhalten der Menschen<br />

dominieren. Da schleicht sich eine<br />

Figur wie ein Dieb auf der Flucht mit<br />

der Sonne unterm Arm davon (die<br />

Gier). Eine andere hat sich dick und<br />

rund gefressen, bis sie aufplatzt und dadurch<br />

neue Würmer ausscheidet (die<br />

Maßlosigkeit).<br />

Im Jahr 2012 begann 1010 schließlich,<br />

mit Tiefeneffekten zu experimentieren<br />

– und mit Farben. Das funktionierte<br />

verdammt gut. Trotzdem musste er sich<br />

ein halbes Jahr lang dazu überreden,<br />

auf der ästhetischen Schiene weiterzuarbeiten.<br />

„Ich kann doch nicht einfach<br />

was nur fürs Auge machen! Ich will ja<br />

nicht nur Design machen und einfach<br />

was verschönern“, erinnert sich der studierte<br />

Illustrator an seine inneren<br />

Kämpfe. Andererseits eröffnete sich<br />

hier eine neue Möglichkeit, Strukturen<br />

zu erforschen, die unsere Wahrnehmung<br />

und unser Verhalten unbewusst<br />

steuern. In der Evolution hat der<br />

Mensch zum Beispiel gelernt zu unterscheiden,<br />

welche Farbe Gift signalisiert,<br />

welche nicht. Was also läuft unter-<br />

40


Farbenknall im tristen Trümmerschick:<br />

Gleich mit mehreren<br />

Kunstwerken ist 1010 im<br />

Berliner Stadtbild vertreten.<br />

schwellig beim Betrachter ab, wenn er<br />

vor einem vielfarbigen Werk steht?<br />

Nicht zuletzt reizte es 1010 auch, etwas<br />

so ansprechend zu erschaffen, dass man<br />

hinschauen muss – egal, ob der Betrachter<br />

auf Street Art steht oder nicht.<br />

Ästhetik hin oder her: Unpolitisch<br />

sind 1010s Werke nie, wie auch seine<br />

„Abyss“-Murals beweisen. Mit der Serie,<br />

die 2015/2016 entstand, wurde<br />

1010 international bekannt. Seitdem<br />

kann er von seiner Kunst leben – womit<br />

er nie gerechnet hätte. Zu sehen sind<br />

riesige abstrakte Formen, raumgreifend<br />

über ganze Häuserfassaden gesprüht.<br />

Die Wände wirken dadurch so, als wären<br />

sie von überirdischen Kräften aufgebrochen<br />

worden. Der Blick des Betrachters<br />

fällt in riesige Schlünde und<br />

Abgründe, unergründlich, wo und ob<br />

sie jemals enden. Geführt wird das Auge<br />

von vielfarbigen Abstufungen, die<br />

die Form mehrdimensional wirken lassen.<br />

Und wieder ist dem Betrachter die<br />

Deutung selbst überlassen: Warum tut<br />

sich hier ein Abgrund auf ? Endet er in<br />

etwas Gutem oder Bösem? Oder nie?<br />

Was heißt „das Ende“ überhaupt? Für<br />

die Abyss-Serie reiste 1010 um den halben<br />

Globus. In Großbritannien war er,<br />

in Panama, in den USA … Warum?<br />

Inzwischen hat sich der Künstler<br />

warm geredet – und hilft bei der Interpretation:<br />

Eine Liste von Steueroasen<br />

arbeitete er ab. Obwohl die Serie abgeschlossen<br />

ist, ist sein Werk also aktueller<br />

denn je, wie der Skandal um die Paradise<br />

Papers im vergangenen Monat gezeigt<br />

hat. „Die Länder haben Gesetzeslücken,<br />

die es den Reichen und Schlauen<br />

ermöglichen, Steuern zu hinterziehen.<br />

„Ich will nicht<br />

einfach nur was<br />

versch nern.“<br />

Und das sogar halbwegs legal“, ärgert<br />

sich 1010. Geld, das in Abgründen verschwindet,<br />

anstatt es für Bildung, Kultur<br />

oder alternative Lebensmodelle einzusetzen.<br />

Auch Deutschland steht, glaubt<br />

man dem unabhängigen Tax Justice<br />

Network, weit vorn auf der Liste der<br />

Steueroasen. Deshalb hat 1010 für die<br />

41<br />

Strassen<strong>Kunzt</strong> Edition die Form von<br />

Deutschland im Stil der Abyss-Serie auf<br />

Fine Art Papier gedruckt.<br />

Überhaupt, Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Ein super<br />

Projekt, findet 1010. Obwohl: „Eigentlich<br />

müsste man mal den Reichen<br />

helfen“, überlegt er. Dazu würde aber<br />

zunächst gehören, den Begriff „reich“<br />

zu definieren. Schließlich sei es erst mal<br />

völlig in Ordnung, dass Menschen, die<br />

viel leisten oder über besondere Begabungen<br />

verfügen, dafür belohnt werden<br />

– auch finanziell. Problematisch findet<br />

er „übernationale riesige Konzerne,<br />

Multimilliardäre und andere super konzentrierte<br />

Megavermögen“, die die Geschicke<br />

ganzer Länder bestimmen.<br />

„Ich will immer wieder einen neuen<br />

Blick auf scheinbar bekannte Themen“,<br />

sagt der Streetartist. Dafür kann<br />

es allerdings auch sehr weltliche Gründe<br />

geben: „Eigentlich will ich gerade<br />

gar nicht mehr malen. Du hast keine<br />

Klamotten mehr, weil die versaut sind;<br />

es dauert ewig, bis die Farbe trocken ist<br />

…“ Dann lacht 1010. Das allein ist zu<br />

banal. Die wahren Gründe menschlichen<br />

Denkens und Handelns liegen tief<br />

verborgen. An sie heranzukommen ist<br />

schwer, auch bei sich selbst. Was hilft?<br />

Computersprache. Binärcodes. Eine<br />

Reise in sich selbst. „Man sollte sich die<br />

ganze Zeit selber hacken.“ •<br />

Kontakt: annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />

Jetzt neu in der<br />

Strassen<strong>Kunzt</strong>Edition:<br />

„Abyss_092“ von 1010,<br />

36cm x 50cm,<br />

Fine Art Druck auf<br />

300 g Hahnemühle Papier<br />

In der Edition sind auch weiterhin die<br />

Werke von Victor Ash, ecb, DAIM,<br />

Daniel Man und Zevs erhältlich.<br />

Alles limitierte Auflagen:<br />

99 Stück zum Preis von je 99 Euro.<br />

Der Erlös geht zur Hälfte an die Künstler,<br />

zur Hälfte an Hinz&<strong>Kunzt</strong>.


Ulrike Fischer (links) und Tina<br />

Schneeweiß organisieren das<br />

Konzert in der St.-Pauli-Kirche.<br />

Hundert Stimmen<br />

für Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

Kirche, St. Pauli und Hinz&<strong>Kunzt</strong>? „Passt“, finden Tina Schneeweiß<br />

und Ulrike Fischer. Deshalb veranstalten sie im Advent ein großes<br />

Benefiz-Chorkonzert zugunsten von Hinz&<strong>Kunzt</strong> in der St.-Pauli-Kirche.<br />

Aber wie kriegt man drei Chöre mit völlig unterschiedlichen<br />

Programmen für ein Konzert unter einen Hut?<br />

TEXT: MISHA LEUSCHEN<br />

FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

Singen vereint“, findet Tina<br />

Schneeweiß. Wenn die Kirchenmusikerin<br />

den Takt angibt,<br />

dann kommen sie alle:<br />

Junge und Alte, Hartz-IV-Empfänger<br />

und Millionäre, Handwerker und Hipster<br />

singen gemeinsam im Kammerchor<br />

und im Projektchor der St.-Pauli-<br />

Kirche. „Hier kann jeder Mensch so<br />

sein, wie er ist, man muss sich nicht<br />

dauernd beweisen“, findet sie. Doch ein<br />

Benefizkonzert mit 100 Mitwirkenden<br />

zu stemmen ist eine andere Hausnummer,<br />

weiß die 41-Jährige: „Allein könnte<br />

ich das nicht.“ Dafür braucht<br />

es eine leidenschaftliche Netzwerkerin.<br />

Eine wie Ulrike Fischer, die die Idee<br />

für das Weihnachtskonzert hatte. Die<br />

Journalistin denkt gern größer und liebt<br />

es, Menschen für eine gute Sache zusammen<br />

zubringen.<br />

Zum Gespräch sitzen die beiden<br />

Frauen in der kalten St.-Pauli-Kirche<br />

am Pinnasberg. Draußen im wildromantischen<br />

Garten mit Elbblick hängt<br />

noch ein verblichenes Transparent mit<br />

der Aufschrift „Welcome to heaven“ als<br />

Antwort auf die G20-Demo „Welcome<br />

to hell“: Hier bezieht man Stellung. Die<br />

schlichte alte Kirche hat für alle Platz –<br />

auch für die sogenannten Lampedusa-<br />

Flüchtlinge, eine Gruppe von afrikanischen<br />

Geflüchteten, die hier 2013 für<br />

eine Zeitlang Obdach fanden. „Damals<br />

war eine große Sehnsucht bei den Menschen<br />

in der Stadt zu spüren, helfen zu<br />

können“, erinnert sich Tina Schneeweiß<br />

an die bewegte Zeit.<br />

Das soziale Engagement der St.-<br />

Pauli-Kirche hat auch Ulrike Fischer<br />

sehr beeindruckt. Als ihr die Idee für ein<br />

Benefizkonzert für Hinz&<strong>Kunzt</strong> kam,<br />

war diese Kirche deshalb ihre erste<br />

Wahl. Dabei singt sie gar nicht in einem<br />

der beiden Chöre der Kirche, sondern<br />

im Projektchor Global Vocal. „Wir wollen<br />

die Welt singend begreifen“, erklärt<br />

sie dessen Konzept. Menschen mit Musik<br />

zu berühren hat für Ulrike Fischer<br />

eine große Kraft: „Man merkt, wie wirkmächtig<br />

man sein kann“, sagt die<br />

53-Jährige.<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />

42


FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Freunde<br />

Kaffee und Herzlichkeit<br />

Dankeschön<br />

Tina Schneeweiß hat nun die anspruchsvolle<br />

Aufgabe, drei ganz verschiedene<br />

Chöre und das ebenfalls beteiligte<br />

Jazzduo San Glaser und Arnd<br />

Geise zum gemeinsamen Klingen zu<br />

bringen. „Jeder Chor wird beim Konzert<br />

ein eigenes Programm vorstellen,<br />

es wird aber auch gemeinsame Lieder<br />

geben“, so die Chorleiterin. Stolz ist Tina<br />

Schneeweiß darauf, dass es ihr gelungen<br />

ist, mit dem Kammerchor ein<br />

Gesangsensemble zu etablieren, das<br />

sich auch an komplexe Werke der Kirchenmusik<br />

wagt. „Dafür ist die Kirche<br />

mit ihrer tollen Akustik ein Geschenk“,<br />

findet sie. Im Projektchor, ihrem zweiten<br />

Musikangebot für Erwachsene,<br />

muss man nicht toll singen oder Noten<br />

von Blatt lesen können. Mitmachen<br />

kann jeder, der Zeit und Lust hat, an<br />

sechs Terminen ein Programm zu erarbeiten,<br />

das nur ein einziges Mal zur<br />

Aufführung kommt – diesmal beim<br />

Benefizkonzert.<br />

Beim Hinausgehen schaut sich<br />

Tina Schnee weiß zufrieden in der<br />

Kirche um. „Am Ende sind wir alle<br />

Menschen. Die St.-Pauli-Kirche ist ein<br />

guter Ort dafür.“ •<br />

Chorkonzert: Sonntag, 17.12.,<br />

19 Uhr, St.-Pauli-Kirche, Pinnasberg 80,<br />

Spende erbeten<br />

Söhne Hamburgs? Ja, so heißt nicht nur eine Band, sondern<br />

auch der Coffee Shop von Ramin und Feroz Attai.<br />

Seit sechs Jahren liefern die beiden Brüder zum guten Kaffee<br />

immer auch eine Portion Herzlichkeit und gute Laune.<br />

Neu ist, dass die Jungs den Kaffee selbst rösten und in Tüten<br />

à 100 Gramm, 250 Gramm und 1 Kilo abfüllen. „Söhne<br />

HamburgRöstbohne“ heißt der Espresso aus Robusta- und<br />

Arabica-Bohnen. „Und weil wir Hamburg gerne etwas von<br />

unserem Glück zurückgeben wollen, spenden wir 50 Cent<br />

von jeder Packung an Hinz&<strong>Kunzt</strong>.“ Vielen Dank! ABI<br />

•<br />

Coffee Shop „Söhne Hamburgs“, U-Bahn Jungfernstieg,<br />

Ausgang Ballindamm/Thalia Theater, geöffnet Mo–Fr, 6–15 Uhr,<br />

diesen Monat ausnahmsweise immer bis 19 Uhr<br />

JA,<br />

ICH WERDE<br />

MITGLIED<br />

IM HINZ&KUNZT-<br />

FREUNDESKREIS.<br />

Damit unterstütze ich die<br />

Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Meine Jahresspende beträgt:<br />

60 Euro (Mindestbeitrag für<br />

Schüler/Studenten/Senioren)<br />

100 Euro<br />

Euro<br />

Datum; Unterschrift<br />

Ich möchte eine Bestätigung<br />

für meine Jahresspende erhalten.<br />

(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />

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Name, Vorname<br />

Straße, Nr.<br />

PLZ, Ort<br />

Telefon<br />

E-Mail<br />

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Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />

Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />

Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />

IBAN<br />

Wir danken allen, die im November<br />

an uns gespendet haben,<br />

sowie allen Mitgliedern im Freundeskreis<br />

von Hinz&<strong>Kunzt</strong> für die Unterstützung<br />

unserer Arbeit!<br />

DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />

• IPHH<br />

• wk it services<br />

• Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />

• Hamburger Tafel<br />

• Axel Ruepp Rätselservice<br />

• Hamburger Kunsthalle<br />

• www.bildarchiv-hamburg.de<br />

43<br />

NEUE FREUNDE:<br />

• Birgit Baye<br />

• Stefan Becker<br />

• Annett D'Amico<br />

• Renate Drews<br />

• Panos Drossinakis<br />

• Waltraut Heinrici<br />

• Armin Kaup<br />

• Christa Krumm • Luisa Micheel<br />

• Anja Pohl-von der Mehde<br />

• Mirjam Schwolow<br />

• Antje Stelter<br />

• Dörte Suhr<br />

• Beate Wiedemann<br />

BIC<br />

Bankinstitut<br />

Wir versichern, dass Ihre Angaben nur für interne<br />

Zwecke bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> verwendet werden. Ihre<br />

Mitgliedschaft im Freundeskreis ist jederzeit kündbar.<br />

Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />

Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />

Oder online im Freundeskreis anmelden unter<br />

www.hinzundkunzt.de/freundeskreis<br />

HK <strong>298</strong>


Buh&Beifall<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />

Was unsere Leser meinen<br />

„Er bleibt in guter Erinnerung.“<br />

Her mit dem Prototyp<br />

H&K 297, Besser-Verdiener: Goldeimer<br />

Ich hoffe, dass Herr Schremmer<br />

seinen Prototypen (einer mobilen Komposttoilette,<br />

die Red.) für Kleingärtner und<br />

irgendwann auch für Katastrophengebiete<br />

schnell entwickelt. Unsere Kinder<br />

gehen in einen Waldkindergarten, in<br />

dem eine Komposttoilette leider auch<br />

an der Entsorgung beziehungsweise<br />

Durchführung (wohin mit den Kompostbehältern?)<br />

scheitert und die<br />

Kinder somit immer noch auf ein<br />

Dixie-Klo (oder oft lieber in den Wald)<br />

gehen.<br />

LEA ETZEL<br />

„Er hat sich mit uns gefreut“<br />

H&K 297, Todesanzeige<br />

Enrico war „unser“ Verkäufer.<br />

Mit seiner freundlichen Art kam er mit<br />

vielen ins Gespräch. Als ich schwanger<br />

wurde, hat er sich mit uns gefreut. Es<br />

wurden Zwillinge, und noch wenige<br />

Tage vor der Geburt versicherte er mir,<br />

wie gespannt er auf die „Bambini“ sei.<br />

Inzwischen sind die Kinder fünf Jahre<br />

alt. Und Enrico war ein Aufhänger für<br />

viele Gespräche. Durch ihn konnten<br />

wir thematisieren, dass es Menschen<br />

gibt, die nur sehr wenig Geld haben.<br />

Und auch, dass es nicht selbstverständlich<br />

ist, dass wir so viel Geld haben,<br />

dass wir uns viele Wünsche erfüllen<br />

können. Dass wir deshalb auch etwas<br />

abgeben können. Und manchmal<br />

waren die Kinder der Meinung, Geld<br />

reicht nicht … So brachten wir von<br />

unseren Einkäufen auch mal eine<br />

„Banane für Enrico“ mit vor die<br />

Ladentür oder Ähnliches. Nach seinem<br />

Tod sprechen wir noch immer oft über<br />

ihn. Außerdem steht nun ein Bild von<br />

ihm an seinem Platz, und einige haben<br />

Blumen und Kerzen gebracht. Er bleibt<br />

wohl vielen in guter Erinnerung.<br />

SARAH FURCHERT<br />

Leserbriefe geben die Meinung des<br />

Verfassers wieder, nicht die der Redaktion.<br />

Wir behalten uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />

Wir trauern um<br />

Herbert Bartz<br />

2. April 1948 – 21. Oktober <strong>2017</strong><br />

Herbert war 21 Jahre bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Sein<br />

Stammplatz war vor Blume 2000 in Ottensen.<br />

Die Verkäufer und das Team von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

Wir trauern um<br />

Martina Färber<br />

31. August 1960 – 15. Oktober <strong>2017</strong><br />

Martina kam erst 2015 zu Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Seitdem<br />

hat sie bei Rewe im EKZ Kroonhorst verkauft.<br />

Die Verkäufer und das Team von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

Wir trauern um<br />

Manole Dorel<br />

9. November 1972 – 28. Oktober <strong>2017</strong><br />

Manole hat meistens am Steindamm verkauft.<br />

Überraschend ist er auf der Reeperbahn verstorben.<br />

Die Verkäufer und das Team von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

DER ETWAS<br />

ANDERE STADTRUNDGANG<br />

MIT CHRIS UND HARALD<br />

SCHNELL<br />

SCHALTEN<br />

Anzeigen: 040/28 40 94-0<br />

anzeigen@hinzundkunzt.de<br />

Hamburg hat viele Seiten – wir zeigen eine, die in keinem<br />

Reiseführer steht. Unsere Stadtführer zeigen Anlaufstellen<br />

für Obdachlose in der Hamburger Innenstadt. Die beiden<br />

Hinz&Künztler kennen das Leben auf der Straße aus eigener<br />

Erfahrung und geben bei der zweistündigen Tour authentische<br />

Einblicke in den Alltag von Wohnungslosen.<br />

Anmeldung: Bequem online unter<br />

www.hinzundkunzt.de oder<br />

Telefon: 040/32 10 83 11<br />

Kostenbeitrag: 10/5 Euro<br />

Nächste Termine:<br />

10., 17. und 24.12.<strong>2017</strong>, 15 Uhr<br />

mit Abschiedshaus


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Viel Ruhm: Schauspieler Steffen Siegmund wird mit dem Boy-Gobert-Preis ausgezeichnet (S. 46).<br />

Viel Ehre: B-Movie und Metropolis freuen sich über Preise der Kinemathek (S. 50).<br />

Viel Glück: Hinz&Künztler Holger begegnete bei einem St.-Pauli-Spiel seiner großen Liebe (S. 58).<br />

Manchmal hat der Einzelne<br />

ganz schön zu schleppen!<br />

Um sich auf das Stück<br />

„Jerada“ vorzubereiten,<br />

reiste Norwegens<br />

Tanzcompagnie „Carte<br />

Blanche“ nach Marokko.<br />

Zu sehen auf dem<br />

Nordwind Festival (S. 53).<br />

FOTO: ARASH A. NEJAD /<br />

NYEBILDER.NO


„Das Theater hat<br />

mich gerettet“<br />

Steffen Siegmund erhält dieses Jahr den Boy-Gobert-Preis.<br />

Ein Gespräch über seine Jugend in Parchim, warum man nicht auf<br />

eine Depression warten sollte und die große Kraft des Theaters.<br />

TEXT: FRANK KEIL<br />

FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

46


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

sprechend rau und schlicht, die Wände<br />

nur grob getüncht. Steffen Siegmund ist<br />

bereits vollständig umgezogen: schwarze<br />

Hose, schwarzes Hemd, schwarze,<br />

leicht spitze Halbschuhe. Versucht er<br />

noch zu erspüren, wie die kommenden<br />

70 Minuten an diesem Abend werden?<br />

Oder ist er in diesem Moment schon<br />

Eddy, die Schwuchtel, der Homo, die<br />

Sau, den seine Mitschüler auf dem<br />

Schulhof wegschubsen und anspucken<br />

können, ohne dass ihnen etwas passiert?<br />

Ein paar Tage später sagt er im<br />

Gespräch: „Ich kenne dieses tiefe Gefühl,<br />

anders zu sein, auch wenn ich<br />

nicht homosexuell bin.“<br />

Steffen Siegmund spricht Eddy in<br />

dem Stück „Das Ende von Eddy“, er<br />

spielt ihn mit vollem Körpereinsatz, begleitet<br />

von dem Musiker Tom Gatza am<br />

Keyboard; Eddy, Held des gleichnamigen<br />

Romans von Édouard Louis, nun<br />

als Solo-Sprechstück auf die Bühne gebracht.<br />

Siegmund berichtet aus diesem<br />

Eddy-Leben, zunächst fast sachlich und<br />

Steffen Siegmund auf dem<br />

orangen Sofa im Mittelrang-<br />

Foyer des Thalia Theaters.<br />

Umgeben von vielen Roten<br />

Zoras: Er spielt in dem Stück<br />

den dicken Jungen Pavle.<br />

Steffen Siegmund lehnt an der<br />

Heizung, er schaut zu, wie die<br />

Zuschauer nach und nach den<br />

Raum betreten. Wie sie sich unerschrocken<br />

vorne in die erste Reihe<br />

setzen oder lieber vier Treppen hoch<br />

nach oben gehen. Die Bühne liegt offen<br />

vor ihnen, kein Vorhang trennt sie ab:<br />

Die „Garage“, einer der Spielorte auf<br />

dem Gelände des Theaters in der<br />

Gaußstraße, war mal eine Garage mit<br />

Rolltor und Betonfußboden und ist ent-<br />

„Ich kenne<br />

dieses tiefe<br />

Gefühl, anders<br />

zu sein.“<br />

nüchtern; er geht auf und ab, er kommt<br />

ins Rennen, ist zwischendurch fast flehentlich<br />

leise, wird laut, schreit, er wird<br />

sich ins Gesicht schlagen, mit der flachen<br />

Hand, jeweils links und rechts, immer<br />

abwechselnd. Lange haben sein<br />

Regisseur Alek Niemiro und er überlegt,<br />

ob diese Szene sein kann, ob sie<br />

nicht zu heftig ist, aber nach den ersten<br />

Aufführungen waren sie überzeugt: Sie<br />

ist gerade richtig.<br />

Die Jury des Boy-Gobert-Preises,<br />

den er in diesem Jahr erhält, schreibt in<br />

ihrer Begründung: „Steffen Siegmund<br />

gehört zur seltenen Klasse junger<br />

Schauspieler, die schon in frühen Jahren<br />

in der Lage sind, ihre Rollen mit innerer<br />

Kraft und seelischer Größe auszustatten.<br />

Von seinen Figuren bleibt<br />

man niemals unberührt.“ Der Preis gehört<br />

zu den renommiertesten Nachwuchspreisen<br />

in der deutschsprachigen<br />

Theaterwelt, wird vergeben an Schauspieler<br />

und Schauspielerinnen bis zum<br />

Alter von 30 Jahren. Und 10.000 Euro<br />

Preisgeld gibt es auch. Steffen Siegmund<br />

ist jetzt 25 Jahre alt.<br />

„Für einen Schauspieler, der schon<br />

viereinhalb Jahre am Thalia Theater<br />

ist, bin ich tatsächlich sehr, sehr jung“,<br />

47


„Ich wusste<br />

schnell, dass<br />

das Theater<br />

mein Beruf<br />

werden wird.“<br />

Er hätte das Abitur mit einem Einser-Schnitt bestanden – aber die<br />

Schauspielschule in Leipzig wollte nicht so lange warten und warb ihn ab.<br />

lacht er und wuschelt sich kurz durch<br />

die Haare. Rechnet man kurz nach,<br />

wird einem sofort klar: Er muss sehr<br />

früh angefangen haben, mit dem<br />

Theaterspielen.<br />

Er wird 1993 im brandenburgischen<br />

Perleberg geboren, wächst die<br />

ersten Jahre in der Stadt Wittenberge<br />

an der Elbe auf: „Das ist der große<br />

Knotenpunkt zwischen Hamburg und<br />

Berlin, von dem es mal hieß, hier entsteht<br />

das Hannover des Ostens. Gerhard<br />

Schröder hat damals den neuen<br />

Bahnhof eröffnet“, erzählt er. Die Hoffnungen<br />

haben sich nicht erfüllt. Die<br />

Stadt sei im Grunde eine Geisterstadt.<br />

„Es gibt eine hohe Arbeitslosigkeit, es<br />

ist eine Stadt, die gefühlt nur aus Verlierern<br />

besteht; Menschen, die in der Regel<br />

nichts dafür können“, sagt er. Und<br />

er bleibt in der eigenen Familie, erzählt<br />

kurz von seiner Mutter: „Sie hat eine<br />

Ausbildung zur Facharbeiterin für Lebensmitteltechnik<br />

gemacht, doch nach<br />

der Wende war dieser Beruf plötzlich<br />

ein Studienberuf, und sie konnte ihn<br />

nicht ausüben.“<br />

Er ist elf Jahre alt, da geht es ins<br />

mecklenburgische Parchim, wo es für<br />

ihn nicht minder freudlos ist; aber wo es<br />

zumindest ein Landestheater gibt. Das<br />

eines Tages zwölf Jugendliche für ein<br />

Stück sucht. Er wird einer von ihnen.<br />

„Ich habe sofort gemerkt, dass das toll<br />

ist, und ich wusste schnell, dass das Theater<br />

mein Beruf werden wird“, erzählt<br />

er. Das Theater etabliert einen Jugendclub,<br />

er spielt bei den Kinder- und Jugendstücken<br />

mit und bald auch bei den<br />

Stücken der Erwachsenen. „Die anderen<br />

in meinem Alter haben sich überlegt,<br />

wann man sich am Wockersee zum<br />

Trinken trifft, sind durch die Straßen<br />

gezogen und haben rechte Parolen gerufen,<br />

haben sich darüber unterhalten,<br />

ob man schon ins ,Traumland Spornitz‘<br />

kommt, eine abgeranzte Ekeldiskothek<br />

mit Live-Porno-Shows, ich war da nie!“,<br />

sagt er. „Sondern man verschanzt sich<br />

in einer sehr staubigen Location, überlegt<br />

immer wieder, wie man Geschichten<br />

erzählen kann – und dann kommen<br />

die Leute abends direkt von der Arbeit,<br />

um sich von echten Menschen unterhalten<br />

und berühren zu lassen.“<br />

Zu Beginn der elften Klasse (in<br />

Mecklenburg-Vorpommern gilt G12)<br />

meldet er sich in Leipzig an der dortigen<br />

Schauspielschule zum Vorsprechen<br />

an. Er geht überhaupt nicht davon aus,<br />

dass er genommen werden könnte; er<br />

sieht es als Test an, als Probe, um sich<br />

möglichst gut darauf vorzubereiten,<br />

wenn er nach dem Abitur von Schauspielschule<br />

zu Schauspielschule durchs<br />

Land zieht, wie das üblich ist. „Das<br />

Geld fürs Vorsprechen habe ich mir<br />

ganz kitschig mit Tellerabspülen in einem<br />

Restaurant verdient“, sagt er.<br />

Doch in Leipzig will man ihn sofort<br />

haben. Er geht von der Schule ab, verzichtet<br />

so auf das Abitur, das er mit einem<br />

Einser-Schnitt bestanden hätte,<br />

und er geht mit 17 Jahren weg. „Meine<br />

Eltern fanden das nicht lustig“, erzählt<br />

er. „Sie waren zu dem Zeitpunkt beide<br />

arbeitslos; sie meinten, ich könnte doch<br />

Arzt werden oder Anwalt; ein sicherer<br />

Job mit sicherem Geld.“ Aber das ist es<br />

nicht, wohin es ihn mit aller Kraft zieht,<br />

und er will weg aus Parchim, unbedingt:<br />

„Mir war klar, dass ich in dieser<br />

Stadt an ihrer Trostlosigkeit kaputtgehe.“<br />

Und warum solle man warten, bis<br />

einen die Depression packe, wenn es<br />

anders geht? Und er zitiert einen Satz<br />

48


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

aus dem Eddy-Stück, aus dem Epilog:<br />

„Im Grunde war da nur ein einziges<br />

Flehen: ,Bitte holen Sie mich da raus!‘.“<br />

Und er nickt bei der Frage, ob ihn das<br />

Theater gerettet hätte – genauso könne<br />

man das sagen, diesen Satz könne er<br />

guten Gewissens unterschreiben.<br />

Und was soll er sagen: Es ist ihm alles<br />

gelungen, bisher und seitdem. Wobei<br />

es nicht abzusehen gewesen sei, dass<br />

er so bald in einem Champions-League-<br />

Theater wie dem Thalia Theater landen<br />

würde: „In Leipzig gab es Mitstudenten,<br />

die meinten: ,Kleiner als Berlin<br />

mache ich es nicht!‘. So habe ich nie gedacht.“<br />

Warum nicht Braunschweig?<br />

Warum nicht Mainz? Warum nicht ein<br />

Engagement in der sogenannten Provinz?<br />

„Hauptsache, erst mal spielen!“,<br />

sagt er. Und klar, er habe gut reden, bei<br />

seinem Erfolg. Für den es Glück und<br />

Zufall ebenso brauche wie intensive Arbeit<br />

und eine jeweils gute Vorbereitung.<br />

„Und man muss immer wieder bereit<br />

sein, sich infrage zu stellen und immer<br />

wieder schauen, dass man bei sich<br />

bleibt“, sagt er und erklärt: „Es gibt diesen<br />

Moment auf der Bühne, da ist eine<br />

Pause, es ist mucksmäuschenstill und es<br />

liegt in der Hand von dir und deinen<br />

Mitspielern, wie lange ihr die Pause<br />

haltet. Und dann ist es, wie zusammen<br />

mit dem Publikum zu atmen, ohne dass<br />

man sich dem Publikum anbiedert.“<br />

Er sagt: „Vom Kindertheater abgesehen<br />

hatte ich noch keine so richtig<br />

große, tragende Rolle. Das würde mich<br />

sehr reizen“, sagt er noch. Von daher<br />

freut er sich auf den Boy-Gobert-Preis<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

49<br />

„Man muss<br />

immer wieder<br />

bereit sein,<br />

sich infrage zu<br />

stellen.“<br />

noch mal auf ganz andere Weise: „Dieser<br />

Preis wird ja nicht für eine Leistung<br />

vergeben, dann auch in Abgrenzung zu<br />

anderen. Sondern für eine Entwicklung,<br />

die nicht abgeschlossen ist, und<br />

das finde ich einen guten Antrieb.“<br />

In diesem Jahr hat er die ihm so<br />

vertraute Theaterwelt noch mal aus einer<br />

anderen Perspektive kennengelernt:<br />

Er hat einen Schauspiel-Workshop geleitet<br />

und dann Regie geführt. Man hatte<br />

ihn für die Reihe „Thalia-Campus“<br />

angefragt und er dachte, da kämen eh<br />

nicht viele Leute, die noch dazu schnell<br />

die Lust verlieren würden. Es kam anders:<br />

„Da war ein Arzt dabei, eine Kulturwissenschaftlerin,<br />

zwei Schauspielstudenten,<br />

eine Schauspielerin, eine<br />

Aufnahmeleiterin und auch jemand,<br />

der morgens für Lieferando ausliefert.“<br />

Und alle seien sie trotz widrigster Umstände<br />

bis zum Schluss dabeigeblieben.<br />

Steffen Siegmund sagt: „Mit welcher<br />

Lust am Geschichten-Erzählen die dabei<br />

waren, das hat mir noch mal sehr<br />

viel Energie gegeben.“ •<br />

Kontakt: frank.keil@hinzundkunzt.de<br />

Steffen Siegmund ist im <strong>Dezember</strong><br />

in folgenden Produktionen zu sehen:<br />

Die Rote Zora: So, 3.12. sowie Mo, 4.12., und Fr, 29.12., jeweils 20 Uhr, Garage,<br />

jeweils 11 Uhr, Thalia Theater, Alstertor, Gaußstraße 190, Eintritt 22/10 Euro<br />

Eintritt 6,50–29 Euro<br />

Das Ende von Eddy ist das nächste Mal<br />

Imperium: Mi, 13.12., 19.30 Uhr,<br />

am 5. Januar 2018 zu sehen, 20 Uhr,<br />

Thalia in der Gaußstraße,<br />

Garage, Eintritt 22 Euro<br />

Gaußstraße 190, Eintritt 22/10 Euro Der Boy-Gobert-Preis wird am<br />

Tartuffe: Sa, 16.12., 14 Uhr,<br />

10. <strong>Dezember</strong>, 11 Uhr, im Thalia Theater<br />

sowie Mo, 25.12., 19 Uhr, Thalia Theater, verliehen. Eintritt frei, Anmeldung<br />

Alstertor, Eintritt 7,50–74 Euro<br />

erforderlich unter www.huklink.de/<br />

Besuch bei Mr. Green: Mi, 27.12.,<br />

boy-gobert-preis<br />

<br />

BUGGE WESSELTOFT<br />

<br />

ENTER SHIKARI<br />

<br />

ELTON JOHN & BAND<br />

<br />

WLADIMIR KAMINER<br />

<br />

KELELA<br />

<br />

TAPE FACE<br />

<br />

VOCAL SIX | CHORAKADEMIE LÜBECK<br />

<br />

REBEKKA BAKKEN<br />

<br />

SÓLSTAFIR<br />

<br />

LANY<br />

<br />

TORFROCK<br />

<br />

ALEXA FESER<br />

<br />

JUAN DE MARCOS' AFRO-CUBAN<br />

ALL STARS<br />

<br />

LADY GAGA<br />

<br />

STAATLICHES RUSSISCHES BALLETT MOSKAU<br />

SCHWANENSEE<br />

<br />

<br />

JAKE BUGG<br />

<br />

STEREOPHONICS<br />

<br />

A-HA<br />

<br />

STEEL PANTHER<br />

<br />

GALANTIS<br />

<br />

MAX RAABE & PALAST ORCHESTER<br />

<br />

MARCUS & MARTINUS<br />

<br />

›DANGEROUS GAMES‹<br />

LORD OF THE DANCE<br />

<br />

<br />

AT THE DRIVE IN<br />

SPECIAL GUESTS:<br />

DEATH FROM ABOVE / LE BUTCHERETTES<br />

<br />

JASON DERULO<br />

<br />

DEINE FREUNDE<br />

<br />

THE SCRIPT<br />

<br />

D'ANGELO<br />

<br />

FELIX JAEHN<br />

<br />

JAMES LAST ORCHESTRA<br />

TICKETS: KJ.DE


Dulden kein Popcorn, sitzen<br />

gern vorne: Ute Schneider und Martin<br />

Aust im Foyer des Metropolis.<br />

„Die Leute sollen sich<br />

das Kino leisten können“<br />

Die Programmkinos B-Movie und Metropolis haben beim deutschen<br />

Kinemathekenpreis abgeräumt. Das Preisgeld können beide gut gebrauchen.<br />

Ute Schneider (B-Movie) und Martin Aust (Metropolis) über ihren Anspruch,<br />

auch mit begrenzten Mitteln gutes, bezahlbares Kino für alle zu machen.<br />

TEXT: SIMONE DECKNER<br />

FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Herzlichen Glückwunsch<br />

nachträglich! Was fangen Sie mit dem<br />

Preisgeld von jeweils 2000 Euro an?<br />

MARTIN AUST: Es gibt ja immer Löcher<br />

zu stopfen (lacht). Bei uns fließt<br />

das wahrscheinlich in den normalen<br />

Ver an staltungsetat.<br />

UTE SCHNEIDER: Dass wir als ehrenamtliche<br />

Initiative so einen Preis bekommen, ist<br />

natürlich etwas Besonderes. Wir sind auf<br />

solche Preisgelder angewiesen, weil wir<br />

ja nicht öffentlich finanziert werden.<br />

AUST: Wir werden ja von der Stadt gefördert.<br />

Für uns ist der Preis politisch<br />

wichtig, weil die Kulturbehörde bestätigt<br />

bekommt, das ist kein rausgeschmissenes<br />

Geld, was sie uns jedes Jahr<br />

geben.<br />

Apropos Geld: Ein Ticket im B-Movie kostet<br />

mich 3,50 Euro, im Metropolis 7,50 Euro.<br />

Damit liegen Sie deutlich unter dem<br />

50<br />

Hamburger Durchschnitt von 9,42 Euro.<br />

Wo liegt Ihre Schmerzgrenze?<br />

AUST: Wir sind jetzt schon an der Grenze<br />

des Zumutbaren. Die Leute sollen sich<br />

das Kino leisten können. Wer bei uns<br />

Mitglied wird, zahlt übrigens nur 5 Euro.<br />

SCHNEIDER: Wir halten die 3,50 Euro als<br />

Minimum seit einigen Jahren. Als Kino in<br />

einem sozialen Brennpunkt wie St. Pauli<br />

sehen wir es als besonders wichtig an,<br />

einen günstigen Eintrittspreis zu bieten.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

B-Movie:<br />

gegründet 1987, von Ehrenamtlichen betrieben, 58 Plätze. Finanziert durch<br />

Spenden, Preisgelder und Eintritt. Jahresbudget: keine Angabe. Keine<br />

regelmäßige, öffentliche Förderung; punktuelle Förderung (ca. 3000 Euro)<br />

durch die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein.<br />

Metropolis:<br />

kommunales Kino, eröffnet 1979, Neubau 2011, betrieben vom Verein<br />

Kinemathek Hamburg, 270 Plätze, der Kinosaal von 1952 steht unter Denkmalschutz.<br />

Jahresbudget: 700.000 Euro, öffentliche Förderung: 400.000 Euro.<br />

Das B-Movie hat den Preis in der Kategorie<br />

„Kino, das verbindet“ erhalten. Etwa für<br />

den Arab Film Club, der Filme aus dem<br />

arabischen Raum zeigt: Wie kam es dazu?<br />

SCHNEIDER: Da hat die Flüchtlingssituation<br />

2015 natürlich eine Rolle gespielt. Wir<br />

wollten aber nicht nur für, sondern mit<br />

den Menschen arbeiten. Das klappt<br />

sehr gut. Die Gruppe hat bereits selbst<br />

Filme untertitelt.<br />

Auch zum Thema Obdachlosigkeit gab es<br />

im B-Movie dieses Jahr bereits eine Reihe.<br />

SCHNEIDER: Ja, wir wollen nicht nur einen<br />

Regisseur oder Schauspieler in den<br />

Mittelpunkt stellen, sondern auch vermeintliche<br />

Randthemen.<br />

Das Metropolis hat den Preis für „Kino,<br />

das zurückblickt“ erhalten. Die Jury lobte<br />

besonders Ihr Stummfilmfestival.<br />

AUST: Das Festival machen wir seit drei Jahren,<br />

weil wir den Stummfilm noch stärker<br />

in den Mittelpunkt rücken wollen. Immer<br />

mit Livemusik. Die Leute mögen das.<br />

Es gibt genug Nerds, die das sehen wollen?<br />

AUST: Wir haben sowieso eine Basis von<br />

Nerds (lacht), manche kommen jeden<br />

Tag. Beim Thema Stummfilm gibt es<br />

noch so viel zu entdecken! Heute gucken<br />

alle Serien auf Netflix, aber so<br />

etwas gab es 1910 schon im Kino:<br />

Kurzfilme mit einem Detektiv, der 50<br />

Fälle gelöst hat.<br />

Sie zeigen keine Werbung, keine aktuellen<br />

Blockbuster und verkaufen kein Popcorn –<br />

„leider“, wie es ein Metropolis-Gast im<br />

Netz kommentiert.<br />

AUST: Dieses Popcornessen heißt, dass<br />

man nicht genügend Respekt hat vor<br />

dem, was man da guckt. Das ist doch<br />

unmöglich, wenn da jemand mit seinem<br />

Popcorn knistert! Bei uns steht der<br />

Film im Mittelpunkt.<br />

SCHNEIDER: (lacht) Wir haben mal eine<br />

Mini-Popcorn-Maschine von der Kurzfilmagentur<br />

geschenkt bekommen, aber<br />

das war ein Scherz. Bei uns wird es<br />

auch weiterhin kein Popcorn geben.<br />

Zum Schluss noch eine Frage, die mich<br />

schon lange beschäftigt: Wo ist der beste<br />

Platz im Kino?<br />

AUST: (lacht) Ich sitze immer gern relativ<br />

weit vorne. Ich liebe das, wenn man<br />

nicht das ganze Bild sehen kann, dass<br />

die Ränder so ein bisschen verschwinden<br />

und man zum Teil des Films wird.<br />

SCHNEIDER: Die bevorzugten Plätze der<br />

B-Movisten sind in der ersten Reihe.<br />

Viele Leute, die Filme so lieben wie<br />

wir, mögen nicht gerne Köpfe vor sich<br />

haben. •<br />

Kontakt: simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />

B-Movie: Sa, 16.12., 17 Uhr und Di,<br />

19.12., 19 Uhr: „Drei Nüsse für Aschenbrödel“;<br />

So, 17.12, ab 12 Uhr: „Ein Sonntag<br />

mit Heinz Emigholz – Die „Streetscapes-Serie“,<br />

3,50 Euro, Brigittenstraße<br />

5, www.b-movie.de<br />

Metropolis: 27.–29.12: „Die Frauengasse<br />

von Algier“, Musikbegleitung: Tuten&<br />

Blasen, 20 Uhr; Sa, 30.12., „Ironie des<br />

Schicksals“, 20 Uhr, 7,50 Euro, Kleine<br />

Theaterstr. 10, www.metropoliskino.de<br />

Ihr Makler<br />

aus Altona<br />

Sie haben ein Zuhause.<br />

Wir haben ein Zuhause.<br />

www.jakovlev.de<br />

040 / 41 33 22 - 0<br />

Wir verkaufen Häuser und Wohnungen<br />

- und wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>!


Kult<br />

Tipps für<br />

<strong>Dezember</strong>: subjektiv<br />

und einladend<br />

Theater<br />

Wortlose Wohngemeinschaft<br />

Türen knallen, Verkehrslärm dringt<br />

von draußen rein und Kritzeleien auf<br />

Briefkästen und Mülltonnen listen auf,<br />

was hier alles verboten ist. Gemütlich<br />

ist es nicht gerade hinter der Haustür,<br />

in der das Theaterstück „Am Ende des<br />

Tages“ spielt. Wer hier auftaucht, will<br />

Ort des Geschehens: ein Treppenhaus.<br />

Hinter der Maske: ein Schauspieler.<br />

Und das Stück: rätselhaft und komisch.<br />

gleich wieder weiter und am liebsten<br />

niemanden treffen. Und doch beäugen<br />

sich hier alle: Was macht der komische<br />

Typ immer im Keller? Was hat die Frau<br />

mit dem Kopftuch hier zu suchen?<br />

Die Darsteller tragen Masken, keiner<br />

spricht und alles spielt im Treppenhaus:<br />

„Am Ende des Tages“ macht<br />

Anonymität und Misstrauen unter<br />

Nachbarn, aber auch verborgene Träume<br />

mit reduzierten Mitteln greifbar. •<br />

Monsun Theater, Friedensallee 20,<br />

Do, 14.12., und Fr, 15.12., Eintritt<br />

16,50/14 Euro, www.monsun.theater.de<br />

52


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Konzert<br />

Aquaserge bringt feine Töne groß raus<br />

Wer sie auf dem Reeperbahnfestival verpasst hat, sollte im Nachtasyl dabei sein:<br />

Aquaserge kommt wieder nach Hamburg. Die französische Band verzichtet auf<br />

eingängige Melodien, punktet dafür mit komplexen, groovigen Rhythmen und<br />

bringt feine Töne groß raus. Wer<br />

Free Jazz mag und gerne tanzt,<br />

ist hier goldrichtig. Und weil es<br />

wie immer bei Aquaserge nie<br />

so klingt wie zuvor, dürfen sich<br />

auch Kenner auf Überraschungen<br />

gefasst machen. Eine sei<br />

vorab verraten: Im Funkellicht<br />

der Bar unter dem Dach des<br />

Thalia Theaters werden diesmal<br />

zwei Schlagzeuge aufgebaut.<br />

Für noch mehr Groove. •<br />

Nachtasyl, Alstertor, So, 10.12.,<br />

19 Uhr, Eintritt 12/10 Euro (VVK),<br />

www.nachtasyl.de<br />

Gut gelaunt und perfekt abgestimmt:<br />

Bei Aquaserge fällt jeder Ton an seinen Platz.<br />

Ausstellung<br />

FC St. Pauli in Nazideutschland<br />

„Kein Fußball den Faschisten“ steht breit auf der Gegengerade im Millerntorstadion<br />

– der FC St. Pauli ist für seine klare Haltung gegen Rechts bekannt.<br />

Das war nicht immer so: Im sogenannten Dritten Reich passte sich der Club den<br />

politischen Verhältnissen an. Wieso entschieden sich die Mitglieder und Fans,<br />

mit dem Strom zu schwimmen? Was führte den Sinneswandel herbei?<br />

Das 1910 Museum beleuchtet das Vereinsleben im totalitären Nazi-Regime anhand<br />

der Lebenswege von acht St. Paulianern und stellt dar, welche Folgen ihr<br />

Handeln für sie selbst und den Verein hatte. Dabei geht es nicht nur um einen<br />

selbstkritischen Blick in die Vergangenheit, sondern auch um aktuelle Fragen,<br />

die die Entwicklung und Zukunft unserer heutigen Demokratie bestimmen. •<br />

1910-Museum, Heiligengeistfeld 1, noch bis So, 10.12., 11–19 Uhr, Do, 11–21.30 Uhr,<br />

Eintritt 5/3 Euro, www.fcstpauli-drittes-reich.de<br />

Ausstellung<br />

Tanzend um den Globus<br />

Bei der Performance „TanzAtlas“ im<br />

Völkerkundemuseum tanzt die Welt<br />

auf dem Tisch. Künstler versammeln<br />

Gegenstände wie Kugelschreiber und<br />

Seifenschachteln und produzieren<br />

live Musikvideos, in denen die Objekte<br />

Tänze aus aller Welt aufführen. •<br />

Museum für Völkerkunde, Rothenbaumchaussee<br />

64, Sa, 9.12., und So, 10.12.,<br />

ab 13 Uhr, Eintritt 8,50/4 Euro,<br />

www.voelkerkundemuseum.com<br />

Konzert<br />

Herzkammermusik<br />

Klassik, Indie und Trip-Hop – die<br />

britische Band Wooden Arms lässt<br />

Stile verschmelzen und schafft in<br />

aller Ruhe musikalischen Tiefgang.<br />

Melodische Melancholie, der nur<br />

noch ein Seufzen hinzuzufügen ist. •<br />

Prinzenbar, Kastanienallee 20, Di,<br />

5.12., Einlass 19 Uhr, Eintritt 17,20 Euro<br />

(VVK), www.docks-prinzenbar.de<br />

Bühne<br />

Afrika trifft Arktis<br />

Frischer Wind aus Nord und Süd:<br />

Das Festival Nordwind bringt herausragende<br />

Performance- und Tanzstücke<br />

aus arktischen Regionen<br />

und Afrika zusammen und bricht<br />

mit ethnisierenden Klischees. •<br />

Kampnagel, Jarrestraße 22,<br />

8.–16.12., Eintritt 0–32 Euro,<br />

www.nordwind-festival.de<br />

FOTOS: LORENZ OBERDÖRSTER (SCHADS ENSEMBLE),<br />

JEAN PIERRE SAGEOT/SIGNATURES, SABRINA ADELINE NAGER<br />

Während Spieler in<br />

diesem Trikot<br />

aufliefen, fielen<br />

deutsche Soldaten<br />

in Polen ein.<br />

53<br />

Markt<br />

Neue Chance für alte Schätze<br />

Schon mal davon geträumt, in aller<br />

Ruhe einen Theaterfundus zu durchstöbern?<br />

Beim Winterbasar der Hanseatischen<br />

Materialverwaltung geht<br />

das. Das Projekt sammelt ausrangierte<br />

Requisiten, Kulissen und Kostüme,<br />

die zu wertvoll sind für den Müll.<br />

Zum Winterbasar werden die alten<br />

Hallen zum Flohmarkt. •<br />

Hanseatische Materialverwaltung, Stockmeyerstr.<br />

41–43, 8.–10.12., Fr+So,<br />

12–20 Uhr, Sa bis 22 Uhr, Eintritt 3 Euro,<br />

www.hanseatische-materialverwaltung.de


Das Astoria, die Filmburg,<br />

das Rialto. Einst hatte<br />

Wilhelmsburg viele Kinos. Nun<br />

ist ein mobiles Kino unterwegs:<br />

diesmal im „Minitopia“.<br />

Film<br />

Kurze Einblicke in das Leben nebenan<br />

Zwei betagte Nachbarinnen teilen ihre<br />

letzte Zehnerpackung Zigaretten. Ein<br />

Jammer, findet die ältere. Die Schachteln<br />

habe es gegeben, seit sie angefangen<br />

habe zu rauchen – elf müsse sie damals<br />

gewesen sein … Zu sehen sind die<br />

beiden im Kurzfilm „Farewell Packets<br />

of Ten“, den die „Insellichtspiele“ in<br />

Wilhelmsburg zeigen. Das mobile Kino<br />

macht mit beim Hamburger Kurzfilmtag<br />

und führt ausgewählte Streifen vor,<br />

die sich durch einen liebevollen Blick<br />

auf das Thema Nachbarschaft und<br />

ihre Bewohner auszeichnen. Gemeinschaftsgefühl<br />

gibt es bei den Insellichtspielen<br />

schon vor dem ersten Film:<br />

Die Kinobetreiber und ihre Gäste<br />

wollen zusammen schnippeln, kochen<br />

und essen. Und danach vielleicht die<br />

eine oder andere Kippe teilen – auf<br />

gute Nachbarschaft. •<br />

Minitopia, Georg-Wilhelm-Straße 322,<br />

Mi, 21.12., ab19 Uhr, Eintritt frei, Spenden<br />

willkommen, www.kurzfilmtag.com<br />

54


FOTOS: MINITOPIA, MIKE HOEJGAARD, PRIVAT<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Konzert<br />

Jazztalent mit neuer Platte<br />

Schon mit ihrem ersten Album „FM Biography“ setzte Johanna Borchert Maßstäbe:<br />

Eine neue, starke Stimme verschaffte sich Gehör in der Jazzszene, sanft<br />

fließend und trotzdem kraftvoll, punktgenau im Rhythmus und formbar wie<br />

weiches Wachs. Konsequenterweise räumte sie gleich den Echo Jazz 2015 als<br />

beste deutsche Sängerin ab. Nun stellt sie ihr Album „Love or Emptiness“ vor.<br />

Auch die neuen Lieder zeugen davon, dass Johanna Borchert mehr ist als eine<br />

talentierte Sängerin – ihre Kompositionen und ihr Klavierspiel leben von Lässigkeit<br />

und Experimentierfreude, die sich nur leisten kann, wer absolut stilsicher ist. •<br />

Stage Club, Stresemannstraße 163, Di, 19.12., Einlass19 Uhr, Eintritt 17/12 Euro,<br />

www.stageclub.de<br />

Johanna Borchert<br />

wird in der Jazzszene<br />

gefeiert, aber auch<br />

Fans anderer Genres<br />

stehen auf ihre Musik.<br />

Musik<br />

Zauberflöte für Kinder<br />

Boah, die kann aber hoch singen!<br />

Und ganz schön unheimlich ist sie,<br />

diese Königin der Nacht. Mozarts<br />

„Zauberflöte“ ist eine Oper, die auch<br />

viele Kinder schon fasziniert. Kurz<br />

vor Weihnachten ist sie in einer<br />

Fassung der Prager Kammeroper<br />

als Familienstück in Harburg zu<br />

sehen. Damit in der Geschichte um<br />

Papageno, Papagena, Tamino und<br />

Pamina alle den Durchblick behalten,<br />

trägt eine Erzählerin auf der Bühne<br />

die Handlung mit Witz in kindgerechter<br />

deutscher Sprache vor. •<br />

Friedrich-Ebert-Halle, Alter Postweg 34,<br />

Sa, 23.12., 15 Uhr, Eintritt 20,30–32,30<br />

Euro (VVK), www.friedricheberthalle.de<br />

Wir verlosen drei mal zwei Karten<br />

unter allen, die bis zum 17.12.<br />

eine Mail an info@hinzundkunzt.de<br />

(Stichwort „Zauberflöte“) schicken.<br />

Vortrag<br />

Firmenhymnen und ihr Zweck<br />

Wenn das Humankapital die Stimme<br />

erhebt, was kommt dabei heraus?<br />

Richtig: ein Loblied auf den Arbeitgeber.<br />

Ob das Absingen von Firmenhymnen<br />

immer freiwillig geschieht,<br />

wollen Kabarettist Thomas Ebermann<br />

und Musiker Kristof Schreuf<br />

bei ihrer satirischen Analyse mit<br />

gehobener Augenbraue hinterfragen<br />

– Filmaufnahmen lassen Zweifel zu.<br />

Aber: Unterlegt mit passender Musik<br />

klingen die Hymnen ganz gut! •<br />

Rote Flora, Achidi-John-Platz 1,<br />

So, 17.12., 19 Uhr, Eintritt 5–8 Euro<br />

www.rote-flora.de<br />

Über Veranstaltungstipps bis zum<br />

10. <strong>Dezember</strong> freut sich Annabel<br />

Trautwein: redaktion@hinzundkunzt.de<br />

Kinofilm des Monats<br />

Ende gut,<br />

alles gut?<br />

Das wars dann wieder. <strong>Dezember</strong><br />

in Hamburg. Kahle<br />

Äste spiegeln sich totenfingergleich<br />

in Glühwein-Pfützenwasser-Schorlen.<br />

Lichter<br />

reflektieren auf nassem<br />

Kopfsteinpflaster der Weihnachtsmärkte.<br />

Ich kann nicht<br />

in die Zukunft schauen, aber<br />

ich tippe, dass den Leser<br />

draußen acht Grad und Nieselregen<br />

erwarten. Triefende<br />

Trostlosigkeit? Verlagert man<br />

den Gedanken ein paar Monate<br />

in die Zukunft, wird alles<br />

gut. Also: durchhalten.<br />

Ob und wie das geht,<br />

verrät die Filmemacherin<br />

Katell Quillévéré in ihrem<br />

Film „Die Lebenden reparieren“.<br />

Ein Junge liegt nach einem<br />

Unfall im Koma, seine<br />

Eltern müssen entscheiden,<br />

ob sie die Organe freigeben<br />

wollen. Trauer, Zorn, Liebe,<br />

Stolz – das beste Blatt im<br />

Drama-Quartett. Doch die<br />

Stärken in diesem Spiel liegen<br />

in den leisen Tönen und<br />

Geschichten, die rund um<br />

die existenziellen Fragen erzählt<br />

werden: Da ist die Frau,<br />

die immer schwächer wird<br />

und auf ein Spenderherz<br />

wartet. Der Arzt, der sich für<br />

die Frage nach dem Unvermeidlichen<br />

schämt. Entfremdung<br />

und Intimität zwischen<br />

den Eltern des Jungen. Und<br />

dessen Geschichte, die immer<br />

wieder daran erinnert,<br />

dass ein Mensch mehr ist als<br />

ein Ersatzteillager. Hier liegen<br />

die Stärken des Films.<br />

Ob man im <strong>Dezember</strong> melancholische<br />

Filme anschauen<br />

sollte? Wann sonst? •<br />

André Schmidt<br />

geht seit vielen<br />

Jahren für<br />

uns ins Kino.<br />

Er arbeitet in der<br />

PR-Branche.<br />

55


<strong>Kunzt</strong>&Comic<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />

56


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Rätsel<br />

ILLUSTRATION (BLEISTIFT IM IMPRESSUM): BERND MÖLCK-TASSEL<br />

Urvater<br />

im Alten<br />

Testament<br />

künstliches<br />

Gebiss,<br />

Prothese<br />

deutscher<br />

Schauspieler<br />

(Michael)<br />

deutscher<br />

Dichter †<br />

(Friedrich)<br />

Heilgetränk<br />

Fressschale<br />

oberster<br />

Teil des<br />

Getreidehalms<br />

weidmänn.:<br />

Hasenlager<br />

Abk.:<br />

Antiblockiersystem<br />

Kurzreise<br />

(engl.)<br />

Vertrauen<br />

in die<br />

Zukunft<br />

ital.<br />

Abenteurer,<br />

Autor †<br />

Fluss in<br />

Nordostspanien<br />

Pluspol,<br />

positive<br />

Elektrode<br />

4<br />

9<br />

5<br />

1<br />

Abk.: Allgemeiner<br />

Student.-<br />

Ausschuss<br />

3<br />

9<br />

4<br />

5<br />

2<br />

5<br />

8<br />

7<br />

9<br />

Waffenbestand<br />

verringern<br />

3<br />

7<br />

9<br />

5<br />

2<br />

3<br />

bedrückt,<br />

niedergeschlagen<br />

griechische<br />

Vorsilbe:<br />

Luft...<br />

3<br />

6<br />

4<br />

1<br />

2<br />

aufschneiderische<br />

Reden<br />

Staat in<br />

Vorderasien<br />

deutscher<br />

Chemiker<br />

† 1873<br />

7<br />

5<br />

1<br />

4<br />

5<br />

3<br />

6<br />

7<br />

Angehör.<br />

eines dt.<br />

Fürstenhauses<br />

Karnevalsruf<br />

iran.-<br />

kaukas.<br />

Spießlaute<br />

Halbton<br />

unter G<br />

frühere<br />

Münze in<br />

Finnland<br />

amerikanische<br />

Riesenkröte<br />

umgangssprachlich:<br />

Alte<br />

6<br />

2<br />

1<br />

6<br />

4<br />

Verbreitung<br />

von Hass<br />

englisch:<br />

ja<br />

Kurzform<br />

von:<br />

Dorothea<br />

Name von<br />

Papageien<br />

Hauptstadt<br />

Lettlands<br />

Hochgrassteppe<br />

Bergstock<br />

bei<br />

Sankt<br />

Moritz<br />

Berliner<br />

Spitzname<br />

süddeutsch:<br />

diesjährig<br />

Ureinwohner<br />

Italiens<br />

Unheil<br />

verkünden<br />

südamerikanische<br />

englischamerik.<br />

Längenmaß<br />

Gürtel<br />

um den<br />

Kimono<br />

rechter<br />

der Rhône<br />

kleine<br />

Rechnung<br />

stark ansteigend<br />

Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />

per Fax an 040 32 10 83 50 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />

Einsendeschluss: 27. <strong>Dezember</strong> <strong>2017</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />

Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet,<br />

kann zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle gewinnen oder ein<br />

Exemplar „Das Ozeanbuch – Über die Bedrohung der Meere“ von Esther<br />

Gonstalla (oekom Verlag). Das Lösungswort beim Kreuzworträtsel war:<br />

Platzregen. Die Sudoku-Zahlenreihe war: 465 293 187.<br />

4<br />

5<br />

6<br />

1<br />

7<br />

6<br />

10<br />

8<br />

9<br />

9<br />

AR1115-0617_5<br />

10<br />

Füllen Sie das Gitter so<br />

aus, dass die Zahlen von<br />

1 bis 9 nur je einmal in<br />

jeder Reihe, in jeder<br />

Spalte und in jedem<br />

Neun-Kästchen-Block<br />

vorkommen.<br />

Als Lösung schicken<br />

Sie uns bitte die<br />

unterste, farbig gerahmte<br />

Zahlenreihe.<br />

Impressum<br />

Redaktion und Verlag<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />

Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />

Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 32 10 83 50<br />

Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />

E-Mail info@hinzundkunzt.de, www.hinzundkunzt.de<br />

Herausgeber<br />

Landespastor Dirk Ahrens, Diakonisches Werk Hamburg<br />

Externer Beirat<br />

Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />

Mathias Bach (Kaufmann), Dr. Marius Hoßbach (Rechtsanwalt),<br />

Rüdiger Knott (ehem. NDR 90,3-Programmchef),<br />

Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />

Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />

Beate Behn (Lawaetz-Service GmbH), Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung),<br />

Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds),<br />

Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />

Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />

Redaktion Birgit Müller (bim; v.i.S.d.P.),<br />

Annette Woywode (abi; Stellv., CvD),<br />

Mitarbeit Simone Deckner (sim), Jonas Füllner (jof), Ulrich Jonas (ujo),<br />

Frank Keil (fk), Benjamin Laufer (bela), Misha Leuschen (leu),<br />

Annabel Trautwein (atw), Uta Sternsdorff und Kerstin Weber<br />

Redaktionsassistenz Sonja Conrad, Dina Fedossova<br />

Online-Redaktion Simone Deckner, Jonas Füllner, Benjamin Laufer<br />

Artdirektion grafikdeerns.de<br />

Öffentlichkeitsarbeit Sybille Arendt, Friederike Steiffert<br />

Anzeigenleitung Sybille Arendt<br />

Anzeigenvertretung Christoph Wahring,<br />

Wahring & Company, Tel. 040 284 09 40, info@wahring.de<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 20 vom 1. Januar 2015<br />

Vertrieb Christian Hagen (Leitung), Marcus Chomse,<br />

Sigi Pachan, Jürgen Jobsen, Meike Lehmann, Sergej Machov,<br />

Frank Nawatzki, Elena Pacuraru, Reiner Rümke, Cristina Stanculescu,<br />

Marcel Stein, Cornelia Tanase, Silvia Zahn<br />

Rechnungswesen/Systemadministration Frank Belchhaus<br />

Spendenmarketing Gabriele Koch<br />

Spendenverwaltung Susanne Wehde<br />

Sozialarbeit Stephan Karrenbauer (Leitung), Ana-Maria Ilisiu, Isabel Kohler<br />

Das Stadtrundgang-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />

Chris Schlapp, Harald Buchinger<br />

Das BrotRetter-Team Stephan Karrenbauer (Leitung), Stefan Calin,<br />

Adam Csizmadia, Gogan Dorel, Alexa Ionut, Ionel Lupu<br />

Das Team von Spende Dein Pfand am Airport Hamburg<br />

Stephan Karrenbauer (Leitung), Uwe Tröger, Jonas Gengnagel,<br />

Klaus Petersdorfer, Herbert Kosecki<br />

Litho PX2@ Medien GmbH & Co. KG<br />

Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />

Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />

Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />

Umschlag-Druck Neef+Stumme premium printing GmbH & Co. KG<br />

Verarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei<br />

und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />

Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

IBAN: DE56 2005 0550 1280 1678 73<br />

BIC: HASPDEHHXXX<br />

Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />

Freistellungsbescheid des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer<br />

17/414/00797, vom 15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />

des Körperschaftssteuergesetzes von der Körperschaftssteuer und nach<br />

§3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />

Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als<br />

gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH im Handelsregister<br />

beim Amtsgericht Hamburg HRB 59669 eingetragen. Wir bestätigen,<br />

dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> einsetzen.<br />

Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.<br />

Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf www.hinzundkunzt.de.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das obdachlosen und<br />

ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />

Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose und<br />

ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter<br />

unterstützen die Verkäufer.<br />

Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />

Gesellschafter<br />

Durchschnittliche monatliche<br />

Druckauflage 4. Quartal <strong>2017</strong>:<br />

86.666 Exemplare<br />

57


Momentaufnahme<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>298</strong>/DEZEMBER <strong>2017</strong><br />

Neues Leben, große<br />

Liebe, echtes Glück<br />

Holger (53) verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> auf dem Isemarkt in Eppendorf.<br />

TEXT: JONAS FÜLLNER<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Jeden Dienstag und Freitag steht Holger<br />

frühmorgens auf dem Isemarkt und verkauft<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>. „Ich mache dann<br />

den Marktschreier“, sagt der 53-Jährige.<br />

„Die Leute lieben das.“ Dabei geht es<br />

ihm nicht nur um den Verkaufserfolg.<br />

Viel mehr freut er sich über den Zuspruch<br />

von den Marktbesuchern.<br />

Anerkennung hat Holger in seinem<br />

Leben lange nicht gekannt. Der gebürtige<br />

Hamburger landete früh im Heim.<br />

Er rebellierte und trieb sich schon als Jugendlicher<br />

auf dem Kiez rum. Als er alt<br />

genug war, jobbte er und brachte es<br />

Schulden, Knast<br />

und Alkohol:<br />

Für Holger lief es<br />

lange nicht rund.<br />

„vom Tellerwäscher zum Kellner“, wie<br />

Holger augenzwinkernd erzählt. Mehr<br />

war nicht drin. „Ich kann nicht lesen<br />

und schreiben“, erklärt Holger. „Aber<br />

kochen kann ich.“<br />

Einige Jahre ging das gut. Ende der<br />

1980er ließ er sich abwerben und arbeitete<br />

in einem Restposten-Laden, „der<br />

größte Fehler in meinem Leben“. Das<br />

Problem: Es wurde Hehlerware feilgeboten,<br />

die er ranschaffen sollte. Wenn<br />

nicht? „Dann gab es Prügel“, erzählt<br />

Holger, der damals in ein entsetzliches<br />

Abhängigkeitsverhältnis geriet. Sein italienischer<br />

Chef nutzte die Schulden,<br />

die Holger bei ihm hatte, um ihn zu erpressen.<br />

„Ich wollte mich aus dem<br />

Staub machen, aber er hat mir aufgelauert“,<br />

erinnert er sich. „Ich hatte am<br />

ganzen Körper blaue Flecken.“<br />

Er ließ sich absichtlich beim Klauen<br />

erwischen. Immerhin war er hinter<br />

Gittern sicher vor seinem Peiniger. Zurück<br />

in der Freiheit, ertränkte er seine<br />

Probleme in Alkohol und betäubte sich<br />

mit Drogen. Zwei Flaschen Wodka am<br />

Tag waren keine Seltenheit. „Was willste<br />

auch alleine machen?“, fragt Holger<br />

trocken: „Man kann ja nicht jeden Tag<br />

die Bude tapezieren.“<br />

Warum er nicht die Stadt verließ?<br />

„Ich bin Hamburger, mich kriegste hier<br />

nicht raus“, sagt er trotzig. „Ich war in<br />

Hannover, Berlin und Düsseldorf. Was<br />

soll ich sagen? Ist halt nicht Hamburg.“<br />

Anfang der 1990er-Jahre wusste er<br />

trotzdem keinen Ausweg mehr – Holger<br />

tauchte unter. „Ich hatte einfach<br />

Angst vor dem Italiener.“ Erst versteckte<br />

er sich im Keller, später schlief er unter<br />

Brücken. So wurde er zum Obdachlosen.<br />

Über neue Freunde auf der<br />

Straße fand er vor fast 20 Jahren zu<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Und als nächsten Schritt<br />

sogar wieder eine Wohnung.<br />

Dann erreichte ihn die Nachricht,<br />

dass sein Peiniger an einem Herzinfarkt<br />

verstorben sei. „Da ist mir wirklich ein<br />

Stein vom Herzen gefallen“, räumt<br />

Holger ein.<br />

Wirklich glücklich ist er aber aus einem<br />

völlig anderen Grund: Der eingefleischte<br />

St.-Pauli-Fan fand seine große<br />

Liebe. Vor sieben Jahren bei einem<br />

Heimspiel seines Vereins. Holger begleitete<br />

damals Behinderte ins Stadion,<br />

um kostenlos das Spiel zu sehen. Auch<br />

seine Freundin sitzt im Rollstuhl. Ganz<br />

schnell habe es gefunkt. „Sie hat mir<br />

dann ein Bild gemalt – mit der Frage:<br />

Willst du mit mir gehen? Wie früher in<br />

der Schule“, gesteht er und läuft ein wenig<br />

rot an. „Da habe ich sofort mit ,Ja‘<br />

unterschrieben.“ •<br />

A. Beig<br />

Druckerei und Verlag<br />

GmbH & Co. KG<br />

Damm 9-19, 25421 Pinneberg<br />

Tel. 0 41 01/5 35-0<br />

Wir sorgen für den nötigen Druck!<br />

In unserer modernen und leistungsstarken Druckerei in Pinneberg<br />

produzieren wir neben unseren eigenen Publikationen auch zahlreiche<br />

Fremdaufträge. Wir stellen jährlich so ca. 90 Mio. Zeitungen her<br />

und verarbeiten über 350 Mio. Beilagen.<br />

www.a-beig.de


KUNZT-<br />

KOLLEKTION<br />

BESTELLEN SIE DIESE UND WEITERE PRODUKTE BEI: Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH,<br />

www.hinzundkunzt.de/shop, shop@hinzundkunzt.de, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />

Tel. 32 10 83 11. Preise zzgl. Versandkostenpauschale von 2,50 Euro bis 4 Euro,<br />

Ausland auf Anfrage. Versand ab 100 Euro Warenwert kostenlos.<br />

4.<br />

1. „Gegens Abstempeln“<br />

Zehn selbstklebende 70-Cent-Briefmarken mit<br />

Porträts von Hinz&Künztlern im A5-Heftchen.<br />

Konzeption: Agentur Lukas Lindemann Rosinski.<br />

Preis: 12 Euro<br />

2. Weihnachtspostkarten „Danya“<br />

5 Klappkarten mit Umschlag,<br />

Innenseiten blanko.<br />

Preis: 6 Euro<br />

5.<br />

1.<br />

2.<br />

3.<br />

3. Frühstücksbrettchen<br />

Exklusiv für Hinz&<strong>Kunzt</strong> aus der<br />

Serie „Schöne Aussichten“, Pension<br />

für Produkte Hamburg.<br />

Design: Wolfgang Vogler,<br />

Material: Esche geölt (aus heimischen Wäldern),<br />

lasergraviert. Jedes Brett ist ein Unikat,<br />

in Deutschland gefertigt.<br />

Preis: 15,90 Euro<br />

4. Mütze „Kopf hoch!“<br />

Farbe: anthrazit<br />

hergestellt in Norddeutschland,<br />

100 % Merinowolle.<br />

Preis: 19,90 Euro<br />

5. „Heiße Hilfe“<br />

Bio-Rotbuschtee, aromatisiert mit<br />

Kakao-Orangen-Note. Zutaten: Rotbuschtee<br />

(k. b. A.), Kakaoschalen, Zimt, Orangenschalen,<br />

natürliches Orangenaroma<br />

mit anderen natürlichen Aromen.<br />

Dose, 75 g, abgefüllt<br />

von Dethlefsen&Balk, Hamburg.<br />

Preis: 7,50 Euro<br />

6. Tasse „Fischkopp“<br />

Sonderedition für Hinz&<strong>Kunzt</strong> von der<br />

Hamburger Firma AHOI MARIE.<br />

Qualitätsporzellan von Kahla aus Thüringen.<br />

Design: Jan-Hendrik Holst.<br />

Keramischer Siebdruck.<br />

Maße: D: 9 cm, H: 9 cm,<br />

Mikrowellen- und spülmaschinentauglich.<br />

Preis: 13,90 Euro<br />

6.<br />

7.<br />

7. „Ein mittelschönes Leben“<br />

Eine Geschichte für Kinder<br />

über Obdachlosigkeit von Kirsten Boie,<br />

illustriert von Jutta Bauer.<br />

Preis: 4,80 Euro


Eine der wichtigsten<br />

Wärmequellen für Hamburg<br />

Am Guten soll man festhalten. So halten wir es auch mit unserem<br />

Einsatz für Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Seit April 2000 unterstützt E.ON Hanse das<br />

Hamburger Straßenmagazin. Und daran wird sich nichts ändern.<br />

Auch als HanseWerk werden wir unser Engagement fortsetzen. Mehr<br />

menschliche Wärme – eine der wichtigsten Energien für den Norden.<br />

Energielösungen für den Norden

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