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ZESO_3-2013_ganz

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SKOS CSIAS COSAS<br />

Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe<br />

Conférence suisse des institutions d’action sociale<br />

Conferenza svizzera delle istituzioni dell’azione sociale<br />

Conferenza svizra da l’agid sozial<br />

ZeSo<br />

Zeitschrift für Sozialhilfe<br />

03/13<br />

Private Sozialhilfe die facettenreiche Tätigkeit nicht-staatlicher<br />

sozialhilfe-organisationen kulturvermittler Martin Heller im zeso-interview<br />

sozialhilfedebatte sach- und praxisbezogene Diskussionen sind erwünscht


SKOS CSIAS COSAS<br />

Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe<br />

Conférence suisse des institutions d’action sociale<br />

Conferenza svizzera delle istituzioni dell’azione sociale<br />

Conferenza svizra da l’agid sozial<br />

SKOS-WEITERBILDUNG<br />

Praxis der öffentlichen Sozialhilfe<br />

4. November <strong>2013</strong>, 13 bis 18 Uhr<br />

Hotel Arte in Olten<br />

In der Sozialhilfe stellen sich Fachleuten und Behördenmitgliedern komplexe Fragen. Rechtliches Wissen<br />

ist ebenso gefragt wie methodisches Handeln oder Kenntnisse des Systems der sozialen Sicherheit.<br />

Die Weiterbildung der SKOS nimmt diese Themen auf. Es werden Grundlagen zur Armutsproblematik und<br />

zur Ausgestaltung der Sozialhilfe vermittelt, Verfahrensgrundsätze thematisiert und das Prinzip der<br />

Subsidiarität erläutert. Die Veranstaltung richtet sich an Mitglieder von Sozialbehörden, Fachleute der<br />

Sozialarbeit und Sachbearbeitende von Sozialdiensten.<br />

Programm und Anmeldung: www.skos.ch Veranstaltungen<br />

SKOS CSIAS COSAS<br />

Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe<br />

Conférence suisse des institutions d’action sociale<br />

Conferenza svizzera delle istituzioni dell’azione sociale<br />

Conferenza svizra da l’agid sozial<br />

Beobachter-Ratgeber<br />

Sozialhilfe – Rechte, Chancen und Grenzen<br />

Was die Sozialhilfe für mehr als 200 000 Menschen in der Schweiz bedeutet, zeigt die Neuauflage des<br />

Beobachter-Ratgebers «Sozialhilfe – Rechte, Chancen und Grenzen». Der Leitfaden informiert über<br />

die Möglichkeiten der Sozialhilfe und beantwortet Fragen zur Sozialhilfe-Praxis. Das Buch richtet sich in<br />

erster Linie an Betroffene, ist aber auch eine wichtige Praxishilfe für Behördenmitglieder und andere<br />

Interessierte. Es ist in Zusammenarbeit mit der SKOS entstanden.<br />

Toni Wirz, «Sozialhilfe – Rechte, Chancen und Grenzen»<br />

Beobachter-Buchverlag, 5. aktualisierte Auflage 2012, 112 Seiten, 24 Franken<br />

(SKOS-Mitglieder 20 Franken).<br />

Buch bestellen: www.skos.ch Publikationen


Michael Fritschi<br />

Verantwortlicher Redaktor<br />

konstruktive nachbarschaft<br />

Sozialarbeit beinhaltet – neben der Betreuung von Klienten<br />

und Klientinnen – in vielen Fällen auch die Kooperation und<br />

Kontaktpflege mit involvierten Partnern des Systems. Doch<br />

was weiss man wirklich voneinander, wenn man nicht oft<br />

und eng zusammenarbeitet? Möglicherweise eher wenig. So<br />

haben wir, die in der Regel aus der Sicht der «staatlichen»<br />

Sozialhilfe berichten, uns daran gemacht, einen Blick über<br />

den Gartenzaun in Richtung Institutionen der «privaten»<br />

Sozialhilfe zu werfen. Wie positionieren und präsentieren sie<br />

sich vis-à-vis der öffentlichen Sozialhilfe? Wo sind die Berührungspunkte<br />

und wie funktioniert die Zusammenarbeit an<br />

diesen Schnittstellen? Weiter interessierte die Frage, ob die<br />

private Sozialhilfe aufgrund des Spardrucks in den Kantonen<br />

und Gemeinden eigentlich immer häufiger auch Aufgaben der<br />

öffentlichen Hand übernimmt, und falls ja, welche? Dass bei<br />

solchen Betrachtungen auch subjektive Befindlichkeiten<br />

eingefangen werden, liegt in der Natur der Sache. Die diversen<br />

Beiträge fügen sich zusammen zu einen Bild eines konstruktiven<br />

nachbarschaftlichen Nebeneinanders (S. 16-27).<br />

Was die Sozialhilfepraxis von der Kulturarbeit lernen könne,<br />

fragten wir den Kulturvermittler und ehemaligen Direktor<br />

der Expo.02, Martin Heller, im <strong>ZESO</strong>-Interview. Eine positive<br />

Bedeutungssetzung für den Begriff Widerstand, so seine<br />

Antwort. Widerstand im Sinn von Kräftigung, sich auch in<br />

misslichen Lebenslagen einen eigenen Weg zu suchen.<br />

Hellers Betrachtungen über die kulturellen und politischen<br />

Mentalitäten in der Schweiz, Österreich und Deutschland<br />

und über das Prestige, das man funktionierenden Kulturoder<br />

Sozialeinrichtungen beimisst, regen ebenfalls zum<br />

weiteren Nachdenken an (S. 12-15). Ich wünsche Ihnen eine<br />

spannende Lektüre.<br />

editorial 3/13 ZeSo<br />

1


SCHWERPUNKT16–27<br />

private sozialhilfe<br />

Die Rolle der privaten Sozialhilfe wird gemeinhin<br />

als ergänzend zur staatlichen Sozialhilfe verstanden.<br />

Der Blick auf die diversen Tätigkeitsgebiete<br />

der nicht-staatlichen Sozialhilfe ergibt ein spannendes<br />

und facettenreiches Bild. Und er zeigt,<br />

dass die private Sozialhilfe nicht bloss eine ergänzende,<br />

sondern auch eine die öffentliche Sozialhilfe<br />

unterstützende und situativ substituierende<br />

Funktion hat.<br />

<strong>ZESO</strong> zeitschrift für sozialhilfe<br />

Herausgeberin Schweizerische konferenz für Sozialhilfe SKOS,<br />

www.skos.ch Redaktionsadresse Redaktion <strong>ZESO</strong>, SKOS,<br />

Monbijoustrasse 22, Postfach, CH-3000 Bern 14, zeso@skos.ch,<br />

Tel. 031 326 19 19 Redaktion Michael Fritschi Redaktionelle<br />

begleitung Dorothee Guggisberg Autorinnen und Autoren in<br />

dieser Ausgabe Herbert Ammann, Yann Bochsler, Pascal Engler,<br />

Sébastien Giovannoni, Dorothee Guggisberg, Manuela Honegger,<br />

Martina Huber, Esther Jost, Cathérine Merz, Daniel Röthlisberger,<br />

Walter Schmid, Barbara Spycher, Bernadette von Deschwanden,<br />

Martin Waser Titelbild Rudolf Steiner layout mbdesign Zürich,<br />

Marco Bernet Korrektorat Peter Brand Druck und Aboverwaltung<br />

Rub Media AG, Postfach, 3001 Bern, zeso@rubmedia.ch,<br />

Tel. 031 740 97 86 preise Jahresabonnement Inland CHF 82.–<br />

(für SKOS-Mitglieder CHF 69.–), Abonnement ausland CHF 120.–,<br />

Einzelnummer CHF 25.–.<br />

© SKOS. Nachdruck nur mit Genehmigung der Herausgeberin.<br />

Die <strong>ZESO</strong> erscheint viermal jährlich.<br />

ISSN 1422-0636 / 110. Jahrgang<br />

Bild: Rudolf Steiner<br />

Erscheinungsdatum: 9. September <strong>2013</strong><br />

Die nächste Ausgabe erscheint im Dezember <strong>2013</strong>.<br />

2 ZeSo 3/13 inhalt


INHALT<br />

5 Der Sozialstaat nützt allen. Kommentar<br />

von Martin Waser, Vorsteher<br />

Sozialdepartement Stadt Zürich<br />

6 13 Fragen an Cathérine Merz<br />

8 Sozialhilfe-Debatte: Die SKOS bietet<br />

eine gute Plattform für Diskussionen<br />

10 Praxis: Wie sind freiwillige<br />

Zuwendungen Dritter im Budget zu<br />

berücksichtigen?<br />

11 Bedarfsleistungen: Die Kantone<br />

müssen einheitliche Bemessungsgrundlagen<br />

schaffen<br />

12 «Kultur ermöglicht neue Sinnesentwürfe<br />

für die Gesellschaft»:<br />

Interview mit Martin Heller<br />

16 SCHWERPUNKT:<br />

private sozailhilfe<br />

18 Die private Sozialhilfe spielt bei der<br />

Armutsbekämpfung eine wichtige<br />

Rolle<br />

20 Dazu beitragen, Voraussetzungen für<br />

eine Unterstützung zu erfüllen<br />

22 Mit einem öffentlichen Auftrag im<br />

Rücken lässt sich langfristig planen<br />

24 «Wenn wir Daten austauschen, dann<br />

ist es zum Wohl des Klienten»<br />

27 Armut muss mit einer integralen<br />

Strategie bekämpft werden<br />

DIE stehauffrau<br />

Der kulturvermittler<br />

geordnete tagesStrukturen<br />

Cathérine Merz hat als Mitbegründerin<br />

des Strassenmagazins Surprise schon viel<br />

erlebt. Heute arbeitet sie in der integrativen<br />

Beratung der Kontaktstelle für Arbeitslose<br />

in Basel.<br />

6<br />

Er entwickelt die Inhalte für das neue<br />

Humboldt-Forum in Berlin, war Intendant<br />

von Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas<br />

und künstlerischer Direktor der Expo.02.<br />

Im <strong>ZESO</strong>-Interview äussert sich Martin<br />

Heller zu kultur- und sozialpolitischen<br />

Herausforderungen und Zusammenhängen<br />

sowie über den Einfluss der neuen Medien<br />

auf das Kulturverständnis.<br />

12<br />

Zu Beginn des Projekts hatten die Kunden<br />

noch Bedenken, ihre Einkäufe Arbeitslosen<br />

anzuvertrauen. Heute ermöglicht die<br />

Stiftung Intact vielen Langzeitarbeitslosen<br />

eine kundenorientierte Beschäftigung.<br />

28 Wenn das Workfare-Prinzip<br />

Unfairness bewirkt<br />

30 Reportage: Pedalen für die Kunden,<br />

die Umwelt und das eigene Glück<br />

32 Plattform: Das Gastronomie-Label<br />

Fourchette verte<br />

34 Lesetipps und Veranstaltungen<br />

36 Die Punktesammlerin: Porträt von<br />

Debora Buess, Initiantin der Solikarte<br />

glanzidee an der migroskasse<br />

30<br />

Die Gutscheine für die Cumulus-Punkte aus<br />

dem Projekt Solikarte bekommt Debora<br />

Buess unterdessen in einem kleinen Paket,<br />

in einem Couvert hätten sie nicht mehr<br />

Platz, so viele sind es. Die Bons werden<br />

an Organisationen verschickt, die sich<br />

für Sans-Papiers und Nothilfe-Bezüger<br />

einsetzen.<br />

36<br />

inhalt 3/13 ZeSo<br />

3


NACHRICHTEN<br />

Kein Rahmengesetz für<br />

Sozialhilfe<br />

Der Ständerat hat vor der Sommerpause die<br />

Motion «Rahmengesetz für die Sozialhilfe»<br />

mit 27 zu 12 Stimmen abgelehnt, nachdem<br />

der Nationalrat das Anliegen im vergangenen<br />

September noch mit 107 zu 53 unterstützt<br />

hatte. Die Motion sei auf viel Sympathie,<br />

aber auf keine Einigkeit gestossen, führte<br />

Bundesrat Alain Berset in seinem Votum vor<br />

dem Ständerat aus. Die SKOS bedauert den<br />

Entscheid, der die Schaffung einer gesetzlichen<br />

Grundlage für eine Harmonisierung<br />

der Sozialhilfe auf nationaler Ebene auf die<br />

lange Bank schiebt.<br />

Umsetzung der<br />

Ausschaffungsinitiative<br />

Der Bundesrat hat einen Gesetzesentwurf<br />

zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative<br />

präsentiert. Er sieht vor, dass ausländische<br />

Personen wegen klar definierter, schwerer<br />

Delikte des Landes verwiesen werden<br />

können. Betrugsdelikte im Zusammenhang<br />

mit Abgaben sollen dem unrechtmässigen<br />

Bezug von Sozialleistungen gleichgesetzt<br />

werden. Die Festlegung einer Mindeststrafe<br />

von sechs Monaten soll Ausschaffungen wegen<br />

Bagatelldelikten verhindern und dem<br />

Verhältnismässigkeitsprinzip Rechnung tragen.<br />

Dies entspricht den Empfehlungen der<br />

SKOS im Rahmen der Vernehmlassung.<br />

580 000 Personen von<br />

Armut betroffen<br />

Die Zahl der Armutsbetroffenen ist nach wie<br />

vor sehr hoch. Jede 13. Person oder rund<br />

580 000 Menschen in der Schweiz waren<br />

2011 von Einkommensarmut betroffen. Zu<br />

diesem Ergebnis kommt die Erhebung über<br />

die Einkommen und Lebensbedingungen<br />

(SILC) des Bundesamts für Statistik. Die<br />

Armutsquote hat seit 2007 zwar um fast<br />

zwei Prozent abgenommen, sie ist im Vergleich<br />

zum Vorjahr aber konstant geblieben.<br />

Hinzu kommen rund 430 000 Armutsgefährdete,<br />

die nur knapp über der Armutsgrenze<br />

leben. Alleinerziehende, Alleinlebende und<br />

Personen mit geringer Bildung sind besonders<br />

oft von Armut betroffen. Erwerbsarbeit<br />

ist nach wie vor ein sehr wirksamer Schutz<br />

vor Armut, kann sie aber nicht immer verhindern.<br />

Das verdeutlichen die 130 000 Erwerbstätigen<br />

unter den Armutsbetroffenen.<br />

Die Zahlen zeigen, dass eine aktive und zielgerichtete<br />

Armutsbekämpfungspolitik in der<br />

Schweiz weiterhin unerlässlich ist.<br />

4 ZeSo 3/13 aktuell<br />

Der Anteil an Familien mit Unterstützungsbedarf bleibt hoch. <br />

Ergänzungsleistungen für Familien<br />

erfüllen ihre Ziele<br />

Der Sozialbericht <strong>2013</strong> des Kantons Solothurn<br />

widmet Familien und ihren ökonomischen<br />

Situationen besondere Aufmerksamkeit.<br />

Ein spezielles Augenmerk wird dabei<br />

auf die neu eingeführten Ergänzungsleistungen<br />

für Familien (FamEL) gerichtet.<br />

Solothurn hat diese Leistung 2010 als erster<br />

Kanton der Deutschschweiz eingeführt<br />

und lässt ihre Wirkung derzeit von der<br />

Fachhochschule Nordwestschweiz und der<br />

SKOS evaluieren. Die Zwischenergebnisse<br />

der Evaluation, die im Sozialbericht präsentiert<br />

werden, zeigen, dass die FamEL<br />

die gesetzten Ziele überwiegend erfüllen.<br />

Familien, die mit Ergänzungsleistungen<br />

unterstützt werden, sind grundsätzlich<br />

besser gestellt, als wenn sie Sozialhilfe be-<br />

Erläuterungen zur Zuständigkeit für die<br />

Unterstützung von Personen aus Drittstaaten<br />

Personen aus Drittstaaten können nur unter<br />

bestimmten Voraussetzungen in der<br />

Schweiz leben und arbeiten. Ihre Aufenthalts-<br />

und Arbeitsbewilligung ist immer an<br />

einen bestimmten Zweck gebunden. Die<br />

Zahl der fallbezogen zur Anwendung kommenden<br />

Bewilligungsarten und Voraussetzungen<br />

ist entsprechend gross. Dadurch<br />

wird die Feststellung einer Unterstützungsberechtigung<br />

für Sozialhilfe manchmal<br />

schwierig. Die SKOS-Kommission für<br />

Rechtsfragen hat deshalb ein Grundlagenpapier<br />

verfasst, das sich mit den Zuständigkeiten<br />

für die Unterstützung befasst.<br />

ziehen würden. In einzelnen Fällen, etwa<br />

bei hohen Betreuungskosten, gelingt es<br />

aber nicht, die Armutsgrenze der Sozialhilfe<br />

zu überschreiten. Weiter zeigt sich, dass<br />

die Sozialhilfe durch die FamEL im erwarteten<br />

Umfang entlastet wird. Insgesamt<br />

kommt der Bericht zum Schluss, dass die finanzielle<br />

Situation für viele Familien angespannt<br />

bleibt und der Anteil an Familien mit<br />

Unterstützungsbedarf weiterhin hoch ist.<br />

Alleinerziehende tragen ein erhöhtes Sozialhilferisiko,<br />

Paarhaushalte mit Kindern hingegen<br />

nicht. Der Solothurner Sozialbericht<br />

setzt sich auch mit weiteren Problem- und<br />

Lebenslagen der Bevölkerung sowie generell<br />

mit dem System der sozialen Sicherung im<br />

Kanton auseinander.<br />

•<br />

<br />

Das Papier listet die diversen Bewilligungsvoraussetzungen<br />

auf und nennt die für<br />

die Sozialhilfe relevanten Bedingungen. Die<br />

Ausführungen ergänzen die «Bewilligungsübersicht<br />

EU/EFTA-Bürger/innen» und die<br />

dazu gehörenden Erläuterungen «Sozialhilfe<br />

und Personenfreizügigkeitsabkommen»,<br />

welche die Unterstützungszuständigkeiten<br />

und Bewilligungsvoraussetzungen mit Blick<br />

auf Personen aus dem EFTA-Raum erklären.<br />

Die Grundlagenpapiere stehen auf der<br />

SKOS-Website zum Download bereit. •<br />

www.skos.ch Themen<br />

<br />

Bild: Keystone


KOMMENTAR<br />

Der Sozialstaat nützt allen<br />

Der Sozialstaat ist eine grosse Stärke der<br />

Schweiz. Er hilft direkt den Menschen, die<br />

seine Angebote nutzen und beispielsweise<br />

Transferleistungen beziehen oder die Sozialberatung<br />

aufsuchen. Er nützt aber auch<br />

denen, die seine Leistungen nicht direkt in<br />

Anspruch nehmen: Er trägt zum sozialen<br />

Zusammenhalt bei und ist ein Standortvorteil<br />

für die Wirtschaft. Um nur drei Beispiele<br />

zu nennen: Die Verhinderung offener Drogenszenen<br />

durch Drogenhilfe und Intervention<br />

im öffentlichen Raum macht Plätze und<br />

Pärke sicherer und fördert die Lebensqualität.<br />

Frühförderung und Brückenangebote<br />

für Jugendliche verbessern die Chancengleichheit<br />

und verhindern Folgekosten. Das<br />

Wissen um die soziale Absicherung im Fall<br />

eines Jobverlusts macht Menschen risikofreudiger<br />

und einen flexiblen Arbeitsmarkt<br />

mehrheitsfähig.<br />

Ein zentrales Element unseres Sozialstaats<br />

ist die Sozialhilfe. Das «letzte Netz» sichert<br />

die Existenz von Menschen, die durch<br />

die Maschen der vorgelagerten Systeme<br />

fallen. Die Sozialhilfe leistet soziale und<br />

berufliche Integration und gibt Menschen,<br />

die nicht für sich selber sorgen können, die<br />

Chance, doch wieder auf die eigenen Beine<br />

zu kommen oder zumindest den Zustand<br />

zu stabilisieren. Die SKOS-Richtlinien als<br />

einheitlicher Rahmen, der Rechtsgleichheit<br />

und -sicherheit fördert, aber auch Spielraum<br />

für lokal unterschiedliche Bedürfnisse<br />

lässt, sind das breit abgestützte fachliche<br />

Fundament der Sozialhilfe.<br />

Ist das Niveau der Sozialhilfe gemäss SKOS-<br />

Richtlinien richtig? Ich bin davon überzeugt.<br />

Für Einzelpersonen ist es äusserst knapp<br />

bemessen, und bei Familien kann es nicht<br />

sein, dass wir die Kinder bestrafen, weil<br />

ihre Eltern auf Sozialhilfe angewiesen sind.<br />

Die tiefsten Löhne auf dem Arbeitsmarkt<br />

liegen heute leicht über dem Sozialhilfeniveau<br />

für einen Einpersonenhaushalt. Eine<br />

Absenkung würde prekäre Beschäftigungsverhältnisse<br />

noch prekärer machen. Die<br />

Schwächsten materiell noch schwächer zu<br />

stellen, würde auch ihre soziale Integration<br />

gefährden.<br />

Über das Niveau der Sozialhilfe kann man<br />

sachlich und nüchtern diskutieren. Die öffentliche<br />

Debatte, die wir seit dem Frühling<br />

erleben, ist aber nicht von Argumenten,<br />

sondern von Polemik geprägt. Haltlose<br />

Unterstellungen, dass die SKOS für unkooperative<br />

Sozialhilfebeziehende und gegen<br />

Sozialämter Partei ergreife, die Aufbauschung<br />

der Schwelleneffekte, obwohl diese<br />

in der Praxis wenig relevant sind, und die<br />

Bewirtschaftung von Misstrauen gegen den<br />

Sozialstaat schädigen nicht nur die SKOS,<br />

sondern unseren Sozialstaat als grosse<br />

Stärke der Schweiz. Städte und Gemeinden,<br />

Kantone und private Organisationen müssen<br />

an der fachlichen Weiterentwicklung<br />

der Richtlinien arbeiten, aber reine Polemik<br />

entschieden zurückweisen.<br />

Martin Waser, Stadtrat<br />

Vorsteher Sozialdepartement Stadt Zürich<br />

aktuell 3/13 ZeSo<br />

5


13 Fragen an Cathérine Merz<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

Sind Sie eher arm oder eher reich?<br />

Ich musste während langer Zeit mit meinem Einkommen<br />

eher im unteren Mittelstand zurechtkommen.<br />

Heute habe ich eine interessante, abwechslungsreiche<br />

Arbeit, die mir Freude macht und dazu<br />

einen anständigen Lohn. Genug Geld zur Verfügung<br />

zu haben, frei entscheiden zu können, was man gerne<br />

machen möchte, ist schon fast ein Luxus in der<br />

heutigen Gesellschaft. Im Vergleich zum finanziellen<br />

Reichtum sind für mich zwischenmenschliche<br />

Beziehungen, ein intaktes soziales Netz, Freunde,<br />

ein verständnisvoller Partner und mich unterstützende<br />

Arbeitskolleginnen ein wertschätzender Reichtum,<br />

der unbezahlbar ist.<br />

Was empfinden Sie als besonders ungerecht?<br />

Ungerechtigkeit ist jederzeit und überall auf der<br />

Welt präsent. Seien es die Taglöhner, die aus Polen<br />

kommen und für drei Euro pro Stunde in Italien Tomaten<br />

ernten. Sei es die Nachbarin, die als Verkäuferin<br />

100 Prozent arbeitet und mit einem Mindestlohn<br />

von 3500 Franken für eine vierköpfige Familie<br />

aufkommen muss. Kinder, deren Rechte missachtet<br />

werden. Tiere, die in Massenhaltungen aufgezogen<br />

werden. Junge Menschen, die für mehr Freiräume<br />

kämpfen und vertrieben werden. Menschen, die<br />

aufgrund ihrer Hautfarbe immer noch mit Diskriminierungen<br />

zu kämpfen haben. Dies sind Dinge, die<br />

mich bewegen und interessieren. Unsere Welt in<br />

ihrer <strong>ganz</strong>en Vielfalt sollte gewaltfreier, menschenwürdiger<br />

und toleranter sein.<br />

Glauben Sie an die Chancengleichheit?<br />

Der Glaube allein genügt nicht. Es braucht Pionierinnen<br />

und Pioniere, die gemeinsam den Weg aufzeigen.<br />

Die die Chancengleichheit dort durchsetzen<br />

helfen, wo sie immer noch nicht umgesetzt ist.<br />

Auch auf politischer Ebene. Für mich bedeutet dies,<br />

dass man Chancengleichheit auch im eigenen Haushalt<br />

umsetzt und praktiziert. Solche Haushalte sind<br />

als Vorbilder wichtig für die nachfolgenden Generationen.<br />

Was bewirken Sie mit Ihrer Arbeit?<br />

Als Beraterin in der integrativen Beratung unterstütze<br />

ich Menschen rund um arbeits- und sozialrechtliche<br />

Fragen. Die Ratsuchenden erhalten eine<br />

bessere Übersicht über ihre Probleme und Klarheit<br />

darüber, wie der weitere Weg begangen werden<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

kann. Sie lernen, dass sie ihre Rechte wahrnehmen<br />

können und sie erfahren über einen längeren Zeitraum<br />

hinweg Unterstützung und Begleitung. Dadurch<br />

können sich die Menschen wieder stabilisieren<br />

und ihre Gesundheit sowie die Selbstfürsorge<br />

ernst nehmen. Nur ein gesunder Mensch kann sich<br />

in der heutigen Zeit in der Arbeitswelt behaupten.<br />

Für welches Ereignis oder für welche Begegnung würden<br />

Sie ans andere Ende der Welt reisen?<br />

Begegnungen mit der Natur und der Tierwelt, der<br />

Kunst, mit Menschen – sei es im Süden oder im Norden<br />

– faszinieren mich und könnten ein Grund sein,<br />

bis ans andere Ende der Welt zu reisen. Nüchtern<br />

betrachtet finde ich aber, dass die Schweiz auch<br />

einiges an Natur, Tieren, Kunst und interessanten<br />

Menschen aufweisen kann, die zu entdecken sich<br />

lohnt.<br />

Wenn Sie in der Schweiz drei Änderungen einführen<br />

könnten. Welche wären das?<br />

Ich würde das Grundeinkommen einführen. Damit<br />

würden viele soziale und finanzielle Probleme<br />

gelöst und neue Herausforderungen und Aufgaben<br />

würden entstehen. Dies wäre für mich eine interessante<br />

Neuentwicklung der Gesellschaft. Des Weiteren<br />

würde ich eine staatliche Grundversorgung für<br />

alle einführen, im Sinne einer Einheitskrankenkasse.<br />

Und ich würde einen Stopp der Privatisierung des<br />

öffentlichen Eigentums verlangen.<br />

Können Sie gut verlieren, und woran merkt man das?<br />

Persönlich habe ich einen lockeren Umgang damit.<br />

Für mich steht weniger das Gewinnen oder Verlieren<br />

im Vordergrund. Ich finde die Prozesse und die<br />

persönliche Entwicklung, die man in solchen Momenten<br />

machen darf, viel wesentlicher. Sie helfen<br />

einem, die Dinge, wie sie geschehen, zu verstehen.<br />

Quasi Learning by Doing.<br />

Bügeln Sie Ihre Blusen selbst?<br />

Blusen bügeln ist für mich sekundär. Ich kann<br />

sehr gut ohne Bügeleisen leben und bin es gewohnt,<br />

die Wäsche so aufzuhängen, dass man die Kleider<br />

nachher anziehen kann, ohne sie zu bügeln. Ich erinnere<br />

mich, dass ich meine Mutter oft erlebte, wie<br />

sie die Hemden meines Vaters bügelte. Ich sagte<br />

mir damals, ich möchte später keinen Mann, der<br />

Hemden trägt. Ich glaubte, Bügeln sei eine Frauenarbeit,<br />

die ich aber überhaupt nicht mochte. Heute<br />

lebe ich mit meinem Partner zusammen, der allerlei<br />

Hemden trägt und diese selber bügelt.<br />

6 ZeSo 3/13 13 fragen an


Catherine Merz<br />

Bild: Christian Flierl<br />

Cathérine Merz, 53, ist Mitbegründerin des Strassenmagazins Surprise, das<br />

vor 20 Jahren entstanden ist. Heute arbeitet die ausgebildete Sozialpädagogin<br />

in der integrativen Beratung der Kontaktstelle für Arbeitslose in Basel.<br />

Cathérine Merz ist Mutter eines erwachsenen Sohnes.<br />

9<br />

10<br />

11<br />

12<br />

13<br />

Welcher Begriff ist für Sie ein Reizwort?<br />

Als mein Sohn eines Tages von der Primarschule<br />

nach Hause kam und mir erzählte, dass auf der<br />

Wand des Schulhauses «Fuck the Mother» steht,<br />

war ich erstaunt. Ich finde diese drei Wörter sehr<br />

frauenverachtend. Viele Begriffe – alte und neue<br />

– entstehen durch die Gesellschaft, in der wir uns<br />

bewegen. Oft sind es eher Reizzustände, die bei mir<br />

Betroffenheit und Gereiztheit auslösen: Begriffe<br />

wie Vergewaltigung, Erniedrigung oder Ungerechtigkeiten<br />

jeder Art.<br />

Wenn Sie die Wahl haben, nehmen Sie das Auto, das Velo<br />

oder den Zug?<br />

Ich bin vor Kurzem nach Barcelona geflogen. Die<br />

Möglichkeit, mit dem Zug zu fahren, wurde verworfen,<br />

da die Zugfahrt über 14 Stunden dauert und die<br />

Anschlüsse nicht garantiert waren. Mit dem Auto<br />

oder mit dem Velo war auch keine Lösung, da wir nur<br />

vier Tage für den Städtetrip gebucht hatten. Wenn es<br />

irgendwie geht, fahre ich aber mit dem Zug oder bin<br />

mit dem Velo unterwegs.<br />

Haben Sie eine persönliche Vision?<br />

Ohne Atomstrom leben zu können.<br />

Gibt es Dinge, die Ihnen den Schlaf rauben?<br />

Zurzeit kann ich mich sehr gut zwischen meinem<br />

privaten Leben und meiner Arbeitswelt abgrenzen.<br />

Natürlich gibt es immer wieder Momente, in denen<br />

ich vieles hinterfrage und nach Lösungen suche.<br />

Dass mir dies den Schlaf rauben würde, erlebe ich<br />

jedoch weniger.<br />

Mit wem möchten Sie gerne per Du sein?<br />

Mir ist eigentlich unwichtig, ob man sich per Du<br />

oder Sie anspricht. Wichtiger scheint mir, dass der<br />

Inhalt, das was miteinander gesprochen wird, interessant,<br />

geistreich und fröhlich sein kann.<br />

13 fragen an 3/13 ZeSo<br />

7


Die SKOS bietet eine<br />

gute Plattform für Diskussionen<br />

Die Gemeinden spielen bei der Entwicklung der Sozialhilfe eine wichtige Rolle und tragen die SKOS<br />

als Fachverband wesentlich mit. Es ist richtig, dass sie Probleme in der Sozialhilfe thematisieren. Für<br />

praxisbezogene Diskussionen stellt die SKOS verschiedene Gremien zur Verfügung.<br />

Ein junger Mann bezieht Sozialhilfe, verweigert<br />

aber die Zusammenarbeit mit den<br />

Behörden. Daraus resultiert eine juristische<br />

Auseinandersetzung über mehrere Instanzen.<br />

Das Bundesgericht bestätigt die<br />

Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahrensabläufe.<br />

Dieser Sachverhalt löste im Frühling<br />

eine breite mediale Auseinandersetzung<br />

über die Sozialhilfe und die SKOS aus.<br />

Denn die SKOS hat den Entscheid des<br />

Bundesgerichts insofern begrüsst, als dass<br />

er Klarheit schafft, unter welchen Voraussetzungen<br />

Leistungskürzungen und Leistungseinstellungen<br />

möglich sind. Vier Gemeinden<br />

sind in der Folge aus der SKOS<br />

ausgetreten. In mehreren Gemeinden und<br />

Kantonen folgten Anträge zum Austritt aus<br />

dem Verband. Gleichzeitig wurden an verschiedenen<br />

Orten parlamentarische Vorstösse<br />

zur generellen Kürzung der Sozialhilfeleistungen<br />

eingereicht.<br />

Ein knapper Kommentar zu einem Entscheid<br />

zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit<br />

durch das höchste Schweizer Gericht kann<br />

kaum die alleinige Ursache für die fundamentale<br />

Debatte über die Sozialhilfe und<br />

die SKOS sein, die der «Fall Berikon» auslöste.<br />

Sowohl die Sozialhilfe als auch die<br />

SKOS als Fachverband sind zwar immer<br />

wieder Ziel von heftigen Auseinandersetzungen.<br />

Neu waren dieses Mal aber die<br />

Austritte und die zahlreichen politischen<br />

Interventionen – die weitreichende Auswirkungen<br />

haben könnten.<br />

Die SKOS bedauert, dass die Debatte<br />

mit den unzufriedenen Gemeinden nicht<br />

innerhalb des Verbands, sondern vorab<br />

über mediale Kanäle stattgefunden hat.<br />

Die ausgetretenen Kommunen sind im<br />

Vorfeld nie mit der SKOS in Kontakt getreten.<br />

Die in der Debatte aufgeworfenen<br />

Fragen, beispielsweise der Umgang mit<br />

unkooperativen Menschen, sind allerdings<br />

ernst zu nehmen. Es ist richtig, dass darüber<br />

diskutiert wird. Es ist aber auch richtig,<br />

dass diese Fragen mit der nötigen Sorgfalt<br />

und Differenziertheit diskutiert werden.<br />

Die Faktenlage<br />

Die Sozialhilfe funktioniert gut. Sie nimmt<br />

im Schweizer Sozialsystem eine zentrale<br />

Breit abgestützt und im nationalen Konsens entwickelt: Die Sozialhilfe baut auf ihre Träger.<br />

Bild: Keystone<br />

8 ZeSo 3/13 aktuell


Position ein und sie ist ein wichtiges Glied<br />

zur Sicherung des sozialen Friedens und<br />

damit des Wohlstands in der Schweiz. Die<br />

SKOS-Richtlinien sind für die Umsetzung<br />

der Sozialhilfe ein unentbehrliches und<br />

taugliches Instrument. Die Kantone und<br />

Gemeinden erbringen auf der Basis der<br />

Richtlinien für über 235 000 Menschen<br />

in der Schweiz wichtige Dienstleistungen.<br />

Sie tun dies in vielen Fällen unter schwierigen<br />

Voraussetzungen: Wer in der Sozialhilfe<br />

ist, hat sich oft über Jahre Verhaltensweisen<br />

angeeignet, die von den Mitarbeitenden<br />

der Sozialen Dienste besondere Fähigkeiten<br />

verlangen. Die Subsidiarität der<br />

Sozialhilfe erfordert zudem genauste Abklärungen<br />

und ausgewiesenes Fachwissen.<br />

Und der öffentliche Druck ist hoch, die<br />

Ressourcen knapp.<br />

Die Rolle des Verbands und der<br />

Gemeinden<br />

Dass ein Fachverband Normen herausgibt,<br />

die durch die Expertise seiner Mitglieder<br />

aus der Praxis und der Verwaltung erarbeitet<br />

und verabschiedet werden, ist nichts<br />

Aussergewöhnliches. Die Mitglieder der<br />

SKOS sind zum grössten Teil die öffentliche<br />

Hand, insbesondere die Kantone und<br />

viele Gemeinden. Dass sie durch die Vereinheitlichung<br />

der Sozialhilfe versuchen,<br />

sowohl einen schweizweiten wie auch einen<br />

innerkommunalen Rahmen zu setzen, wirkt<br />

sich positiv aus. Es wird Rechtsgleichheit<br />

geschaffen und «Sozialtourismus» verhindert.<br />

Das breite Netz des Verbands gewährleistet<br />

eine umfassende Debatte über die<br />

Ausgestaltung der Sozialhilfe. Hier leisten<br />

auch kritische Stimmen einen wichtigen Input.<br />

Dafür stehen im Verband verschiedene<br />

Gremien und Gefässe zur Verfügung.<br />

Die Gemeinden spielen bei der Entwicklung<br />

der Sozialhilfe also eine wichtige<br />

Rolle und sie tragen die SKOS als Verband<br />

wesentlich mit. Diese Stärke wird durch<br />

Austritte geschwächt. Wer austritt, verzichtet<br />

gleichzeitig auf die Möglichkeit der<br />

direkten Mitsprache und auf die fachliche<br />

Unterstützung, die der Verband seinen<br />

Mitgliedern bei der Wahrnehmung ihrer<br />

anspruchsvollen Aufgabe anbietet.<br />

Die SKOS ist offen für eine sachliche<br />

Debatte<br />

Die SKOS hat sich verschiedentlich zur<br />

aktuellen öffentlichen Diskussion geäussert<br />

und sie ist auch auf der politischen<br />

Ebene aktiv geworden. Sie hat die aufgeworfenen<br />

Fragen mit dem Schweizerischen<br />

Gemeindeverband diskutiert und sie<br />

ist im Gespräch mit den kantonalen Sozialdirektorinnen<br />

und Sozialdirektoren sowie<br />

mit der Städteinitiative Sozialpolitik.<br />

Dass die Schweiz eine wirkungsvolle,<br />

faire Sozialhilfe und zu deren Ausgestaltung<br />

ein Instrument wie die SKOS-Richtlinien<br />

braucht, haben derweil namhafte Politikerinnen<br />

und Politiker bestätigt: SODK-Präsident<br />

Peter Gomm, Regierungsrat Kanton<br />

Solothurn, und Mario Fehr, Regierungsrat<br />

Kanton Zürich (an der letzten SKOS-Mitgliederversammlung),<br />

drei weitere kantonale<br />

Sozialdirektorinnen (in der <strong>ZESO</strong> mit<br />

Themenschwerpunkt SKOS-Richtlinien)<br />

sowie auch der Präsident der Städteinitiative<br />

und Vorsteher des Sozialdepartements<br />

der Stadt Zürich Martin Waser (s. Kommentar<br />

Seite 5).<br />

Viele der aufgeworfenen Themen wurden<br />

bereits vor der jüngsten Medienkontroverse<br />

vom Verband aufgenommen und<br />

diskutiert. So etwa Fragen zu den situationsbedingten<br />

Leistungen oder Fragen<br />

zur Wirksamkeit des 2005 eingeführten<br />

Anreizsystems. Eine empirische Untersuchung<br />

zu diesem Thema wäre, wie das<br />

unter anderem gefordert wurde, durchaus<br />

begrüssenswert.<br />

Bei der aktuellen Debatte geht es nicht<br />

allein um die SKOS und ihre Richtlinien.<br />

Es geht um die Sozialhilfe als funktionsfähiges<br />

und breit abgestütztes Instrument<br />

der Sozialpolitik. Und dieses darf nicht<br />

aufs Spiel gesetzt werden. Zu viele Menschen<br />

sind auf Sozialhilfe angewiesen und<br />

die Gesellschaft als Ganzes profitiert von<br />

ihr. Die SKOS setzt sich mit allen Mitteln<br />

dafür ein, dass die Bedeutung, die Stärken<br />

und der Nutzen der Sozialhilfe der Öffentlichkeit<br />

deutlich gemacht werden. •<br />

Dorothee Guggisberg<br />

Geschäftsführerin SKOS<br />

Die Gemeinden leisten<br />

gute Arbeit<br />

Mit Getöse sind<br />

im Frühjahr vier<br />

Gemeinden aus der<br />

SKOS ausgetreten.<br />

Der mediale Wirbel<br />

war ungewöhnlich<br />

gross. Auslöser war<br />

mein Kommentar<br />

zu einem Bundesgerichtsentscheid,<br />

der den Eindruck erwecken konnte, ich<br />

würde mich auf die Seite unkooperativer und<br />

provokativer Sozialhilfeempfänger schlagen.<br />

Das war nicht meine Absicht. Vielmehr hatte<br />

ich es begrüsst, dass das oberste Gericht die<br />

rechtlichen Voraussetzungen für die Einstellung<br />

von Leistungen geklärt hat. Das schafft<br />

für alle Beteiligten, auch für die Gemeinden,<br />

Rechtssicherheit.<br />

Der Unmut in einzelnen Gemeinden weist<br />

allerdings auf ein paar grundlegendere<br />

Probleme hin, denen die Sozialhilfe ausgesetzt<br />

ist. Zunächst bleiben schwierige und<br />

wenig kooperationsbereite Personen für<br />

die Sozialhilfe eine harte Herausforderung.<br />

Wie soll mit ihnen umgangen werden? Wo<br />

liegen die Grenzen des Zumutbaren? Wann<br />

können Leistungen eingestellt werden? Jede<br />

Gemeinde kennt solche Fälle, die an den<br />

Nerven zehren. Ich habe grossen Respekt vor<br />

Sozialdiensten und Behörden, die im Alltag<br />

versuchen, auch diesen Menschen gerecht<br />

zu werden. Zudem fühlen sich gerade kleinere<br />

Gemeinden in solchen Fragen oft allein<br />

gelassen. Offenbar auch von der SKOS. Darauf<br />

werden wir als Fachverband ein besonderes<br />

Augenmerk richten müssen.<br />

Schliesslich bleibt die Sozialhilfe im Fadenkreuz<br />

politischer Auseinandersetzungen. Die<br />

verschiedenen, ähnlich lautenden Vorstösse,<br />

die in den letzten Monaten in Parlamenten<br />

eingereicht wurden, richten sich vordergründig<br />

gegen die SKOS und ihre Richtlinien. Sie<br />

haben aber vor allem die Sozialhilfe als Pfeiler<br />

der sozialen Sicherheit zum Gegenstand.<br />

Während die SKOS ihre Richtlinien immer<br />

wieder den veränderten gesellschaftlichen<br />

Gegebenheiten angepasst hat, darf der Schutz<br />

der armutsbetroffenen Bevölkerung in der<br />

Schweiz nicht zur Disposition gestellt werden.<br />

Walter Schmid<br />

Präsident SKOS<br />

aktuell 3/13 ZeSo<br />

9


Wie sind freiwillige Zuwendungen<br />

Dritter zu berücksichtigen?<br />

Eine 19-jährige Sozialhilfebezügerin bezahlt mit einem Zuschuss ihres Grossvaters einen Mietzins,<br />

der über den Richtlinien der Gemeinde liegt. Grundsätzlich müssen regelmässige freiwillige<br />

Leistungen Dritter im Unterstützungsbudget als Einnahme berücksichtigt werden.<br />

Andrea Bucher ist 19-jährig und absolviert<br />

eine Lehre. Weil die Eltern keine Unterhaltszahlungen<br />

leisten können, wird sie ergänzend<br />

zu Lehrlingslohn und Stipendium<br />

mit Sozialhilfe unterstützt. Sie kann nicht<br />

bei den Eltern und aus psychischen Gründen<br />

auch nicht in einer Wohngemeinschaft<br />

wohnen. Sie hat einen neuen Mietvertrag für<br />

eine 2,5-Zimmer-Wohnung abgeschlossen.<br />

Der Mietzins von 1323 Franken liegt erheblich<br />

über den Richtlinien der Gemeinde<br />

für einen Ein-Personen-Haushalt. Andrea<br />

erklärt, ihr Grossvater habe ihr einen Betrag<br />

an die Miete zugesichert. Damit könne sie<br />

die Differenz zwischen dem von der Gemeinde<br />

anerkannten und dem tatsächlichen<br />

Mietzins ausgleichen.<br />

Frage<br />

Wie ist mit Zuschüssen Dritter umzugehen,<br />

mithilfe derer sich unterstützte Personen<br />

eine Wohnung leisten können, die wesentlich<br />

teurer ist als es die kommunalen<br />

Richtlinien vorgeben?<br />

Grundlagen<br />

Nach dem Grundsatz der Subsidiarität<br />

und entsprechend den SKOS-Richtlinien<br />

sind freiwillige Leistungen Dritter unabhängig<br />

von deren Höhe im Budget grundsätzlich<br />

als Einnahmen zu berücksichtigen,<br />

wenn sie zur freien Verfügung stehen<br />

(SKOS-Richtlinien, A.4 und E.1.1).<br />

PRAXIS<br />

In dieser Rubrik werden exemplarische Fragen aus<br />

der Sozialhilfe praxis an die «SKOS-Line» publiziert<br />

und beantwortet. Das web-basierte Beratungsangebot<br />

für SKOS-Mitglieder ist über das Intranet<br />

zugänglich: www.skos.ch Intranet (einloggen)<br />

SKOS-Line.<br />

Gemäss Lehre und Praxis werden freiwillige<br />

Leistungen Dritter dann nicht angerechnet,<br />

wenn sie von bescheidenem<br />

Umfang sind, ausdrücklich zusätzlich zu<br />

den Sozialhilfeleistungen (oft mit Zweckbestimmung)<br />

erbracht werden und bei<br />

einer Anrechnung entfallen würden. Von<br />

einer Anrechnung ist aber nicht abzusehen,<br />

wenn mit den Zuwendungen Dritter<br />

ungedeckte, überhöhte Miet- oder Lebenshaltungskosten<br />

oder Luxusausgaben finanziert<br />

werden (vgl. C. Hänzi, Leistungen<br />

der Sozialhilfe in den Kantonen, in: Das<br />

Schweizerische Sozialhilferecht, Luzern<br />

2008, S. 141).<br />

Ob die Zuschüsse bei Anrechnung entfallen<br />

würden, spielt in der Praxis kaum<br />

eine Rolle. Bei vorgängiger Kenntnis<br />

entscheidet die Sozialbehörde anhand<br />

anderer Kriterien über die Anrechnung<br />

und muss allenfalls das Risiko eingehen,<br />

dass die Leistung entfällt. Wenn die Sozialbehörde<br />

erst im Nachhinein von einer<br />

freiwilligen Zuwendung erfährt, kann die<br />

Leistung gar nicht mehr entfallen. Auswirkungen<br />

hat der Wegfall der Zuwendung<br />

einzig auf das Budget der unterstützten<br />

Person, die nicht mehr über zusätzliche<br />

Mittel verfügen kann. Es ist aber nicht<br />

Aufgabe der Sozialhilfe, das Budget der<br />

betroffenen Person über das Sozialhilfeniveau<br />

zu heben.<br />

Allerdings hat eine unterstützte Person<br />

das Recht, übliche Gelegenheitsgeschenke<br />

zu empfangen, ohne dass dies zu einer Reduktion<br />

der Sozialhilfe führt. Deshalb ist<br />

auf die Anrechnung von (Geld-) Geschenken<br />

zu Weihnachten, zum Geburtstag oder<br />

ähnlichen Anlässen zu verzichten, auch<br />

wenn das Geld der beschenkten Person zur<br />

freien Verfügung steht. In diesen Fällen<br />

kommt eine Anrechnung nur in Betracht,<br />

wenn die Nichtanrechnung wegen des<br />

Umfangs der Zuwendung unbillig wäre.<br />

Weiter muss berücksichtigt werden, ob<br />

eine zweckgerichtete Zuwendung für eine<br />

Ausgabenposition erbracht wird, die im<br />

Unterstützungsbudget enthalten ist. Hingegen<br />

ist es unerheblich, ob es sich um<br />

eine Geld- oder Naturalleistung handelt.<br />

Es muss also zwischen folgenden freiwilligen<br />

Zuwendungen Dritter unterschiedenen<br />

werden.<br />

1. Regelmässig erbrachte freiwillige Leistungen<br />

sind anzurechnen, wenn sie<br />

tatsächlich zur freien Verfügung stehen,<br />

für eine im Unterstützungsbudget enthaltene<br />

Ausgabenposition ausgerichtet<br />

werden oder der Finanzierung von Luxus<br />

dienen.<br />

2. Einmalige, nicht zweckgebundene<br />

Leistungen sind anzurechnen. Ausgenommen<br />

sind übliche Gelegenheitsgeschenke<br />

oder Leistungen von bescheidenem<br />

Umfang.<br />

3. Einmalige, zweckgebundene Leistungen,<br />

die nicht für eine im Unterstützungsbudget<br />

enthaltene Ausgabenposition<br />

ausgerichtet werden, sind in der<br />

Regel nicht anzurechnen. Eine Anrechnung<br />

kommt nur in Betracht, wenn<br />

eine sehr hohe Zuwendung zur Finanzierung<br />

von Luxus geleistet wird und<br />

eine Nichtanrechnung stossend wäre.<br />

Antwort<br />

Beim freiwilligen Mietzinszuschuss des<br />

Grossvaters von Andrea Bucher handelt es<br />

sich um eine regelmässig erbrachte freiwillige<br />

Leistung. Sie wird für die Wohnkosten<br />

und damit für eine Ausgabenposition erbracht,<br />

die im Unterstützungsbudget enthalten<br />

ist. Dass der im Budget angerechnete<br />

Mietzins nicht mit dem effektiven Mietzins<br />

übereinstimmt, ändert nichts an dieser<br />

Tatsache. Folglich ist die Differenzzahlung<br />

als Einnahme solange anzurechnen, wie sie<br />

tatsächlich eingeht. <br />

•<br />

Bernadette von Deschwanden<br />

Mitglied Kommission Richtlinien<br />

und Praxishilfen der SKOS<br />

10 ZeSo 3/13 praxis


Die Kantone müssen einheitliche<br />

Bemessungsgrundlagen schaffen<br />

Steuern und Bedarfsleistungen sind eng miteinander verknüpft. Für eine effiziente sozialpolitische<br />

Steuerung der kantonalen Leistungssysteme drängt sich die Einführung von einheitlichen<br />

Bemessungsgrundlagen auf, damit keine unerwünschten Effekte auftreten.<br />

Bedarfsleistungen sind wichtige sozialpolitische<br />

Instrumente für eine effiziente Armutsbekämpfung.<br />

Sie sind der Sozialhilfe<br />

unmittelbar vorgelagert und entlasten sie.<br />

Die Kantone kennen zahlreiche bedarfsabhängige<br />

Sozialleistungen, mit denen sie<br />

Schweizer Haushalte bei der Bewältigung<br />

von spezifischen Lebenssituationen finanziell<br />

unterstützen. So tragen beispielsweise<br />

Stipendien wesentlich dazu bei, dass auch<br />

Personen in bescheidenen wirtschaftlichen<br />

Verhältnissen Zugang zu einer Ausbildung<br />

erhalten. Eine weitere bedarfsabhängige<br />

Sozialleistung ist die Alimentenbevorschussung,<br />

die zum Zug kommt, wenn der Alimentenzahler<br />

seinen Unterhaltsverpflichtungen<br />

nicht nachkommt. Die Gewährung<br />

solcher finanzieller Hilfen ist einkommensabhängig.<br />

Die zuständigen meist kommunalen<br />

Amtsstellen klären die Bedürftigkeit<br />

ab, indem sie die finanzielle Leistungsfähigkeit<br />

der Antragstellenden überprüfen.<br />

Dafür verwenden sie oftmals die letztjährige<br />

Steuerverfügung. Die Amtsstellen stützen<br />

sich dabei teilweise auf unterschiedliche<br />

massgebliche Einkommen (Nettolohn,<br />

Nettoeinkommen oder steuerbares Einkommen).<br />

Somit besteht eine enge Verknüpfung<br />

und Wechselwirkung zwischen<br />

Bedarfsleistungs- und Steuersystem.<br />

Die Kantone steuern diese Systeme<br />

und haben die Aufgabe, sie aufeinander<br />

abzustimmen. Das stellt sie vor grosse<br />

Herausforderungen, weil sowohl mit den<br />

Bedarfsleistungen als auch mit den Steuern<br />

spezifische sozialpolitische Ziele verfolgt<br />

werden. So werden im Rahmen von<br />

Steuerreformen etwa Sozialabzüge für<br />

Familien eingeführt oder verändert. Weil<br />

solche Reformen die für die Berechnung<br />

relevanten massgeblichen Einkommen<br />

verändern, werden die Anspruchskreise<br />

und Beträge der Bedarfsleistungen unter<br />

Umständen empfindlich beeinflusst. Wird<br />

beispielsweise eine Abzugsmöglichkeit für<br />

bestimmte Haushalte gestrichen, steigt<br />

Unterschiedliche Bemessungsgrundlagen können zu<br />

unerwünschten Effekten führen. Bild: Keystone<br />

gleichzeitig das massgebliche Einkommen<br />

in einem anderen Leistungssystem, und<br />

die ausgerichteten Beträge sinken dementsprechend.<br />

An dieser Stelle setzt der Ansatz des einheitlichen<br />

massgeblichen Einkommens<br />

an. Sein Ziel ist die Vereinheitlichung der<br />

Einkommensberechnung für alle kantonalen<br />

Bedarfsleistungen. Die berücksichtigten<br />

Einkommen und Abzüge sowie die<br />

Anrechnung von Vermögen für die Berechnung<br />

der Sozialleistungen werden vom<br />

Kanton klar und verbindlich festgelegt.<br />

Drei Gründe sprechen dafür:<br />

- Sozialpolitische Steuerung. Sowohl das<br />

Bedarfsleistungs- wie auch das Steuersystem<br />

sind mit dem Instrument des<br />

einheitlichen massgebenden Einkommens<br />

besser steuerbar, weil damit alle<br />

Amtsstellen die gleiche Bemessungsgrundlage<br />

verwenden. Die Auswirkungen<br />

von Steuerreformen auf die<br />

Bedarfsleistungen können besser abgeschätzt<br />

werden. Ausserdem sind Anpassungen<br />

an der Berechnung des einheitlichen<br />

massgeblichen Einkommens<br />

jederzeit möglich. Die sozialpolitische<br />

Steuerung der jeweiligen Leistungen<br />

durch die Kantone erfolgt nunmehr<br />

gezielt über die Bestimmung der Einkommensgrenzen<br />

und Leistungshöhen.<br />

Schwelleneffekte und negative Erwerbsanreize<br />

im Gesamtsystem können besser<br />

erkannt und verhindert werden.<br />

- Rechtsgleichheit. Eine einheitliche Bemessungsgrundlage<br />

bedeutet, dass die<br />

finanzielle Leistungsfähigkeit der Haushalte,<br />

ungeachtet ihrer Zusammensetzung,<br />

bei allen Amtsstellen gleich ermittelt<br />

wird. Damit wird sichergestellt,<br />

dass die Haushalte über alle Systeme<br />

hinweg gleichgestellt werden.<br />

- Vereinfachung und Transparenz. Das<br />

Gesamtsystem wird für Behörden und<br />

Leistungsbeziehende übersichtlicher und<br />

verständlicher. Reformen im Steuerund<br />

im Bedarfsleistungssystem können<br />

besser kommuniziert und von der Bevölkerung<br />

nachvollzogen werden.<br />

Einheitliche Bemessungsgrundlagen für<br />

Bedarfsleistungen tragen dazu bei, dass sich<br />

die Kantone ein Bild machen können, wie<br />

ihre Bedarfsleistungen einzeln, in Bezug<br />

aufeinander sowie im Zusammenspiel mit<br />

den Steuern wirken. Das ist notwendig, um<br />

die Bedarfsleistungen gezielt einsetzen und<br />

weiterentwickeln zu können. Das neue<br />

Grundlagenpapier «Einheitliches massgebliches<br />

Einkommen» steht auf der<br />

SKOS-Website zum Download bereit. •<br />

Yann Bochsler<br />

Fachbereich Grundlagen SKOS<br />

RECHT 3/13 ZeSo<br />

11


«Kultur ermöglicht neue Sinnesentwürfe<br />

für die Gesellschaft»<br />

Die Schweiz hat keine vernünftige nationale Kulturgesetzgebung, und es werden zu viele Diskussionen<br />

um Nebensächlichkeiten geführt, findet der Kulturvermittler und Troubleshooter Martin Heller. Für die<br />

Sozialhilfe wünscht er sich eine positivere Bedeutungssetzung des Begriffs Widerstand.<br />

Herr Heller, Sie werden einmal als<br />

Kulturvermittler, ein andermal als Kulturgenerator<br />

oder Kulturunternehmer<br />

bezeichnet. Was machen Sie genau?<br />

Ausstellungsmacher, Kurator, Kulturmanager:<br />

Die Kernaussage hinter diesen<br />

Begriffen ist, dass alles, was ich tue, mit<br />

Kultur zu tun hat. Allerdings sind meine<br />

Rollen in Kulturprojekten unterschiedlich.<br />

Meist habe ich ein kleines Team. Manchmal<br />

reissen wir selber etwas an, manchmal<br />

werden wir angefragt, manchmal bin ich<br />

im Mandat angestellt. Es kann sich um<br />

Kultur im engeren Sinn handeln wie bei<br />

der Gestaltung einer Ausstellung, um Konzeptarbeit<br />

oder um die Begleitung eines<br />

Prozesses. Dabei geht es mir immer um Inhalte.<br />

Werbung und Kommunikation um<br />

ihrer selbst willen machen wir nicht.<br />

Wie grenzen Sie die Begriffe Kunst<br />

und Kultur gegeneinander ab?<br />

Kunst ist eine Teilmenge von Kultur,<br />

wie Populärkultur oder Brauchtum. Kultur<br />

kann heute so vieles bedeuten, dass der Begriff<br />

ziemlich ausgefranst erscheint und je<br />

nach Situation definiert werden muss. Die<br />

Unesco stellt praktisch alle menschlichen<br />

Verhaltensweisen, Mentalitäten usw. unter<br />

den Begriff Kultur. Für mich und meine<br />

Arbeit ist Kultur an materielle Produkte<br />

und an die Art und Weise ihres Gebrauchs<br />

gebunden.<br />

Sie arbeiten in der Schweiz, in Österreich<br />

und in Deutschland. Wie<br />

unterscheiden sich die Mentalitäten in<br />

diesen Ländern?<br />

Das kann man nicht pauschalisieren.<br />

Ich würde eher die noch immer grossen<br />

Unterschiede zwischen Stadt und Land<br />

betonen, gerade in Bezug auf die Kultur.<br />

Dennoch: Das Verhältnis zur Kultur wird<br />

wesentlich durch das Verhältnis zum Staat<br />

definiert. In der Schweiz schlägt durch,<br />

dass wir uns als Teil des Staates verstehen.<br />

In Österreich und Deutschland wird der<br />

Staat eher als Gegenüber zur Zivilgesellschaft<br />

empfunden.<br />

Mit welchen Konsequenzen?<br />

Das Schweizer Selbstverständnis führt<br />

dazu, dass intellektuelle Höhenflüge<br />

verpönt und grosse Aufwendungen für<br />

die Kultur verdächtig sind. Dies bewirkt<br />

gleichzeitig, dass die Schwelle, ab der<br />

sich Bürgerinnen und Bürger für kulturell<br />

kompetent erklären, unglaublich niedrig<br />

ist. In Österreich habe ich ein <strong>ganz</strong> anderes<br />

Verhältnis zur Kultur erlebt. Da wird man<br />

als Fachperson gewählt und hat wie der Intendant<br />

im Theater einen grossen persönlichen<br />

Entscheidungsspielraum. So etwas<br />

gibt es in der Schweiz nicht. Ein Museumsdirektor<br />

bei uns ist immer einer Kommission<br />

gegenüber verantwortlich. In Deutschland<br />

ist es noch einmal anders. Dort gibt es<br />

eine Tradition der Hoch- oder Feuilletonkultur,<br />

die hochkarätige Auseinandersetzungen<br />

ermöglicht. Entsprechend finden<br />

sich in Deutschland, aber auch in Österreich,<br />

seit jeher mehr Intellektuelle und<br />

Kulturschaffende, die sich zu politischen<br />

Themen äussern. In der Schweiz sind gerade<br />

die kulturellen Akteure deutlich zurückhaltender.<br />

Sehen Sie Parallelen zwischen der<br />

Schweizer Kulturpolitik und der Sozialpolitik<br />

in der Schweiz?<br />

In der Schweiz gibt es keine vernünftige<br />

nationale Kulturgesetzgebung – Kulturpolitik<br />

ist Sache der Kantone und Gemeinden.<br />

Die Sozialhilfe ist auch Sache der Kantone<br />

und Gemeinden...<br />

Eine Parallele könnte deshalb in der<br />

politischen Bedeutung liegen. Welches<br />

öffentliche Prestige haben kulturelle und<br />

soziale Institutionen, soziale Fragen und<br />

Projekte? Ein anderer Aspekt dieser Frage<br />

betrifft die Teilhabe oder Nicht-Teilhabe:<br />

Wer wird – in meinem Gebiet – von der<br />

Kultur ausgeschlossen, und von welcher<br />

Art von Kultur? Welches sind die Gründe<br />

dafür? Sind es Herkunft, finanzielle Mittel<br />

12 ZeSo 3/13 interview


oder mangelnde Bildung? Was leistet das System,<br />

um Aussenstehende zu integrieren? Zugleich<br />

muss man sehen, dass wir im Vergleich<br />

mit anderen Ländern hinsichtlich der Dichte<br />

des kulturellen Angebots und dessen Finanzierung<br />

doch eher paradiesische Zustände haben,<br />

und zwar für einen Grossteil der Bevölkerung.<br />

Bilder: Christine Bärlocher<br />

Kultursubventionen stossen zyklisch<br />

auf Kritik, teilweise aus den gleichen<br />

Kreisen, die die Sozialhilfe angreifen.<br />

Solche ideologisch begründeten Aktionen<br />

sind seltener geworden. Kultur bezeichnet<br />

mehr und mehr erstrebenswerte<br />

Qualitäten – bis hin zu Unternehmens-<br />

oder Gastrokultur. Aber natürlich ist der<br />

Preis dieser Entwicklung eine gewisse Beliebigkeit.<br />

Lassen sich die Wirkung und der Nutzen<br />

von Kultur messen?<br />

Nein. Das ist genauso unsinnig wie gewisse<br />

Quantifizierungen im Sozial- und<br />

Gesundheitsbereich. Man stösst damit<br />

sofort an Grenzen. Es sind jedoch zwei<br />

sich überlagernde Entwicklungen zu beobachten:<br />

Die Kulturgesellschaft, die sich<br />

herausgebildet hat, wird wie der Rest unserer<br />

Gesellschaft automatisch auch ökonomisiert.<br />

Kann man die Qualität von kulturellen<br />

Leistungen beurteilen?<br />

Es gibt da keine absoluten Standards.<br />

Es ist wie bei der ISO-Zertifizierung: Sie<br />

müssen selbst festlegen, auf welche Werte<br />

Sie sich einlassen. Natürlich kann man<br />

den Bekanntheitsgrad einer Ausstellung<br />

beurteilen, oder die Anzahl Besuche, oder<br />

die Art und Weise, wie ein Thema Anklang<br />

findet. Das sind weiche Grössen,<br />

die aber doch ein Profil ergeben können.<br />

Die qualitative Einschätzung komplexer<br />

Projekte jedoch wie der Expo.02 oder<br />

der Europäischen Kulturhauptstadt Linz<br />

2009, an denen ich massgebend beteiligt<br />

war, benötigt mehr Aufwand und Zeit. Es<br />

gibt diverse Umweg-Effekte und Umweg-<br />

Rentabilitäten.<br />

Weshalb soll sich eine Gesellschaft<br />

eine funktionierende Kulturpolitik<br />

leisten?<br />

Kultur ermöglicht neue Sinnesentwürfe<br />

für die Gesellschaft. Nicht als Korrektiv,<br />

sondern als substanzielle und reflektierende<br />

gesellschaftliche Notwendigkeit.<br />

Ohne Kulturbetrieb würden wir uns vieler<br />

Experimentierfelder und non-konformer<br />

Verhaltensweisen berauben. Ökonomisch<br />

<br />

interview 3/13 ZeSo<br />

13


etrachtet liegt der Nutzen in den Transferleistungen,<br />

die aus Kulturarbeit hervorgehen<br />

– in Ideen und Ansätzen, die sich in andere<br />

Bereiche übersetzen lassen. Und ohne<br />

Kulturtätige würde im sozialen Gefüge eine<br />

bestimmte – und heilsame! – Form von<br />

Leidenschaft und kreativer Obsession fehlen.<br />

«Ohne Kulturtätige<br />

fehlt im<br />

sozialen Gefüge<br />

eine bestimmte<br />

Form von Leidenschaft<br />

und kreativer<br />

Obsession.»<br />

Wie beurteilen Sie die laufende Diskussion<br />

über die Sozialhilfe?<br />

Was mir auffällt ist, dass sich die Schere<br />

zwischen arm und reich extrem geöffnet<br />

hat, insbesondere hier in Zürich. Es<br />

gibt viel versteckte Armut, und selbst in<br />

Mittelstandsfamilien müssen beide Partner<br />

arbeiten gehen, damit die Rechnung<br />

halbwegs aufgeht. Die Unfähigkeit, mit<br />

dieser Situation umzugehen, und die<br />

diffuse Unzufriedenheit darüber reibt<br />

sich sehr stark an den Institutionen. Die<br />

Menschen sind dünnhäutiger geworden<br />

gegenüber Verfahrensfragen oder<br />

gegenüber den SKOS-Richtlinien, die<br />

versuchen, solche Probleme möglichst<br />

gerecht zu lösen. Jedes Mal, wenn eine<br />

vermeintliche Unstimmigkeit entdeckt<br />

wird, gibt das Anlass zu heftigen Auseinandersetzungen.<br />

Aber der Grund sind<br />

die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse.<br />

Und ich habe den Eindruck, es<br />

handle sich um eine versteckte Bürokratisierungsdiskussion.<br />

Inwiefern?<br />

Die Haltung der einzelnen Personen,<br />

von der so vieles abhängt, wird von systemkonformen<br />

Positionen verdrängt. Ich sehe<br />

das auch in kulturellen Institutionen. Mich<br />

persönlich interessiert, wie Anreize funktionieren.<br />

Mit welchen Anreizen ist es einem<br />

Sozialsystem möglich, die Widerstandskraft<br />

des Einzelnen im Sinn von Selbsthilfe<br />

nicht nur zu erhalten, sondern zu stärken?<br />

Das ist etwas vom Schwierigsten. Wie kann<br />

verhindert werden, dass sich die Leute aufgeben?<br />

Je grösser jedoch ein System wird,<br />

desto mehr nimmt es überhand.<br />

Was bedeutet Ihnen Solidarität?<br />

Das ist wie «Kultur» auch so ein Begriff,<br />

den ich nur sehr zurückhaltend verwende.<br />

In der Praxis geht es um ein Grundprinzip,<br />

das verlangt, dass man sich verantwortlich<br />

fühlt. Verantwortung ist für mich ein weit<br />

konkreterer und stärkerer Aufhänger für<br />

eine Lebenshaltung, die auch Solidarität<br />

ermöglicht.<br />

Die SKOS hat ein soziales Existenzminimum<br />

definiert und setzt sich dafür<br />

ein, dass Bedürftige auch an kulturellen<br />

und sozialnen Veranstaltungen<br />

teilnehmen können. Gehört diese Art<br />

von Teilhabe zum Grundbedarf eines<br />

Menschen?<br />

Das hängt davon ab, welche Art von<br />

Leben ermöglicht werden soll. Zu jeder<br />

Existenz gehört ein Eingebundensein in<br />

ein soziales – und das heisst immer auch<br />

kulturelles – Gefüge. Wenn das fehlt, beginnt<br />

das Leben auseinanderzubrechen.<br />

14 ZeSo 3/13 interview


Als Intendant von Linz 2009 haben Sie<br />

an der Eröffnungsfeier die Polit- und<br />

Wirtschaftsprominenz auf 70 Wohnungen<br />

verteilt und sie dort privat bekochen<br />

lassen. Basierte das auf einem<br />

künstlerischen Konzept oder war das<br />

eher ein Integrationsprojekt?<br />

Beides. Ich mache mitunter die frustrierende<br />

Erfahrung, wie wenig an Gala-Diners<br />

passiert. Man sitzt mit vielen Gästen an<br />

einem Tisch, aber ein wirklich anregender<br />

Austausch findet kaum statt. Also<br />

haben wir nach anderen Möglichkeiten<br />

gesucht. Gleichzeitig war die Aktion auch<br />

ein Zeichen gegenüber der Stadt – sie war<br />

schliesslich die Gastgeberin. Schliesslich<br />

wollten wir aber auch die Etiketten durcheinander<br />

bringen und Wärme schaffen.<br />

martin heller<br />

Martin Heller (61) hat Kunstgeschichte, Ethnologie<br />

und Europäische Volkskunde an der Universität<br />

Basel studiert, nachdem er sich an der damaligen<br />

Kunstgewerbeschule Basel zum Zeichenlehrer ausgebildet<br />

hatte. Ab 1986 war er Kurator und von 1990 bis<br />

1998 Direktor des Museums für Gestaltung in Zürich.<br />

Von 1999 bis 2003 war Martin Heller künstlerischer<br />

Direktor der Expo.02 und ist seither als selbständiger<br />

Kulturunternehmer (Heller Enterprises) tätig. Er<br />

übernahm kulturelle und kulturpolitische Mandate in<br />

Deutschland, Österreich und der Schweiz, darunter<br />

die urbane Neugestaltung der stillgelegten Zeche<br />

Zollverein in Nordrhein-Westfalen oder die Intendanz<br />

für die Kulturhauptstadt Europas Linz 2009. Seit<br />

2010 entwickelt er unter anderem die Inhalte für das<br />

neue Humboldt-Forum Berlin.<br />

Ist Kultur per se integrierend?<br />

Kultur allein ist eigentlich bloss die<br />

Beschreibung eines gesellschaftlichen<br />

Sachverhalts. Das Vorhandensein von verschiedenen<br />

Vereinen beispielsweise ist<br />

noch nicht integrierend. Sie können auch<br />

ausgrenzend wirken. Aber Kultur hat gute<br />

Chancen, integrierend zu wirken.<br />

Welchen Einfluss haben die neuen<br />

Medien auf das Kulturverständnis, auf<br />

kulturelle Entwicklungen?<br />

Durch das Internet und andere Effekte<br />

der Medialisierung und Globalisierung<br />

sind lokale Massstäbe von Kultur obsolet<br />

geworden. Die Informiertheit und Reichweite<br />

hat enorm zugenommen. Dadurch<br />

haben sich die Rahmenbedingungen sowohl<br />

für kulturell Tätige wie für jene, die<br />

Kultur konsumieren, massiv verändert.<br />

Die Transformation der Wahrnehmungsbedingungen<br />

ist extrem, und ihre Wirkung<br />

wird erst langsam sichtbar: etwa im<br />

wachsenden Unterschied zwischen denen,<br />

die digitalisiert sozialisiert sind und jenen,<br />

die noch analoge Zeiten erlebt haben. Der<br />

Bildungseffekt von Kultur ist in den Hintergrund<br />

gerückt gegenüber den Möglichkeiten<br />

der Informationsbeschaffung.<br />

Das muss man aber nicht bedauern. Es<br />

öffnet neue Chancen. Verlorengegangen<br />

ist nichts, die Gewichte haben sich einfach<br />

verschoben.<br />

Sie übernehmen oft schwierige<br />

Aufträge, Aufträge quasi mit Absturzpotenzial,<br />

sei es aktuell in Berlin, sei<br />

es damals im Rahmen der nationalen<br />

Expo.02. Was reizt Sie an der Rolle des<br />

Troubleshooters?<br />

Vorweg: Wir haben viele interessante<br />

Projekte, die ohne Probleme und Widerstände<br />

ablaufen. Aber das ist medial halt<br />

weniger spektakulär. Bei Grossprojekten<br />

wie den genannten prallen oft völlig unterschiedliche<br />

Auffassungen aufeinander.<br />

Ich finde das interessant und fühle mich<br />

stark genug, andere Haltungen in Frage<br />

zu stellen. Mit Glaubwürdigkeit lassen sich<br />

schwierige Situationen in der Regel meistern.<br />

Wobei Auseinandersetzungen meist<br />

zu produktiveren Resultaten führen als das<br />

Baden in Harmonie.<br />

Ich übernehme auch gerne Verantwortung.<br />

Bei Linz 2009 konnte ich durchsetzen,<br />

dass ich alleine über ein Budget von<br />

70 Millionen Euro entscheiden konnte.<br />

Das ermöglicht Radikalität und wäre in der<br />

Schweiz unmöglich. Als künstlerischer Direktor<br />

der Expo.02 war ich umgeben von<br />

«Kultur hat gute<br />

Chancen, integrierend<br />

zu wirken.»<br />

interdepartementalen Arbeitsgruppen und<br />

musste mir für meine Ideen immer neue<br />

Allianzen und auch wirtschaftliche Partnerschaften<br />

suchen.<br />

Natürlich kann eine derartige Verantwortung<br />

auch eine grosse Last sein. Aber<br />

es wird dabei Energie frei, man kommt<br />

viel schneller an die neuralgischen Punkte,<br />

die zu klären sind. In der Schweiz gibt es<br />

zu viele Selbstschutzmechanismen, man<br />

führt Luxusdiskussionen um Nebensächliches.<br />

Da sehe ich übrigens durchaus auch<br />

Parallelen zum Sozialbereich.<br />

Was kann die Sozialhilfepraxis von der<br />

Kulturarbeit lernen?<br />

Vielleicht die positive Bedeutungssetzung<br />

des Begriffs Widerstand. Widerstand<br />

als Kräftigung, sich auch in misslichen<br />

Lebensumständen einen eigenen Weg zu<br />

suchen, und nicht nur im Sinne von Hilfe<br />

zur Selbsthilfe. Es gibt ja zahlreiche Kulturschaffende,<br />

die in prekären Lebensbedingungen<br />

leben. Die meisten nehmen<br />

das in Kauf, weil sie auf der anderen Seite<br />

durch ihre kreative und künstlerische<br />

Tätigkeit eine Befriedigung erfahren. Das<br />

gibt ihnen eine Art innere Ausgeglichenheit.<br />

Wenn man davon etwas in das soziale<br />

Förderdenken integrieren könnte, wäre<br />

dies ein wertvoller Transfer. •<br />

Das Gespräch führte<br />

Michael Fritschi<br />

interview 3/13 ZeSo<br />

15


Bild: Rudolf Steiner<br />

16 ZeSo 3/13 SCHWERPUNKT


Die private Sozialhilfe spielt bei der<br />

Armutsbekämpfung eine wichtige Rolle<br />

Die private und die öffentliche Sozialhilfe ergänzen sich gut. Das zeigt ein Blick auf die Entstehungsgeschichte<br />

und die heutige Positionierung der Angebote. Damit die private Sozialhilfe ihre Stärken<br />

voll ausspielen kann, braucht es eine leistungsfähige öffentliche Sozialhilfe.<br />

Die Rolle der privaten Sozialhilfe vis-à-vis der öffentlichen Sozialhilfe<br />

und deren Verhältnis zueinander lässt sich auf verschiedene<br />

Weise beschreiben: über ihre Entstehungsgeschichte und ihre gesellschaftliche<br />

Bedeutung, über die Art der Trägerschaften und der<br />

Finanzierung oder über die spezifischen Angebote der privaten<br />

Sozialhilfe.<br />

Historisch betrachtet war Sozialhilfe beziehungsweise die Armenfürsorge<br />

eine Aufgabe der Klöster. Im Hochmittelalter (1050 bis<br />

1250) stiessen die Klöster jedoch an die Grenzen ihrer wirtschaftlichen<br />

Leistungsfähigkeit und drohten selbst zu verarmen. Dies<br />

und die damals wachsende Armut in der Bevölkerung bewirkte,<br />

dass neue Institutionen geschaffen wurden, die unabhängig von<br />

Kirchen und Klöstern entstanden: Spitäler sowie Siechen- und<br />

Armenhäuser. Erste bürgerliche Stiftungen trugen ebenfalls zur<br />

Kommunalisierung der Fürsorge bei. Die wirtschaftliche Krise<br />

des Spätmittelalters (1500) bewirkte dann einen weiteren Schritt<br />

in der Armenfürsorge. Die Fürsorge der Obrigkeiten und damit<br />

des Staats äusserte sich im Erlass und in der Durchsetzung gesundheitspolizeilicher<br />

Massnahmen und in Vorkehrungen zur<br />

Lebensmittelversorgung. Diese Betrachtungen zeigen, dass die<br />

private Sozialhilfe weiter zurückreicht als die öffentliche Sozialhilfe.<br />

Im verwandtschaftlichen Verhältnis kann sie gegenüber der<br />

öffentlichen Sozialhilfe eine Art Elternschaft geltend machen.<br />

Allerdings besteht auf eine Unterstützung durch private Sozialhilfe<br />

– im Gegensatz zur öffentlichen Sozialhilfe – kein klagbarer<br />

Rechtsanspruch.<br />

Finanzierung und Trägerschaft<br />

Die Finanzierung der öffentlichen Sozialhilfe erfolgt denn auch<br />

durch die öffentliche Hand. Die Kantone und Gemeinden sind für<br />

ihre Durchführung verantwortlich. Eine Ausnahme bildet die Sozialhilfe<br />

für Asylsuchende, für die der Bund die Hauptlast trägt.<br />

Die Finanzierung der privaten Sozialhilfe hingegen erfolgt durch<br />

Spendengelder und durch die Bewirtschaftung von Eigenkapital,<br />

aber teilweise auch durch die öffentliche Hand. In den vergangenen<br />

Jahrzehnten haben Leistungsvereinbarungen zwischen Privaten<br />

und dem Staat stark an Bedeutung gewonnen.<br />

Private Hilfswerke binden<br />

die Bevölkerung in die<br />

Armutsbekämpfung ein.<br />

Zu den auf nationaler Ebene wichtigsten privaten Sozialhilfeeinrichtungen<br />

gehören die drei «Pro-Werke» Pro Infirmis, Pro<br />

Senectute und Pro Juventute, Caritas Schweiz, das Hilfswerk der<br />

Evangelischen Kirchen der Schweiz (HEKS), das Schweizerische<br />

Arbeiterhilfswerk (SAH), das Schweizerische Rote Kreuz (SRK)<br />

und die Heilsarmee. Die privaten Sozialhilfeeinrichtungen lassen<br />

sich in Hilfswerke (religiöse und nicht-religiöse), Stiftungen und<br />

weitere nicht staatliche Institutionen einteilen.<br />

Relevanz des Angebots<br />

Gemäss Bundesamt für Statistik belaufen sich die jährlichen direkten<br />

Sozialhilfeausgaben zu Lasten der öffentlichen Hand auf<br />

rund zwei Milliarden Franken. Das Ausmass der privaten Sozialhilfe<br />

ist hingegen nicht erforscht. Schätzungen sind zwar möglich,<br />

aber mit Vorsicht zu geniessen. Folgende Überlegungen lassen<br />

darauf schliessen, dass der Umfang dieser Leistungen sehr<br />

bedeutsam ist. In der Schweiz gibt es rund 13 000 Stiftungen,<br />

knapp 40 Prozent von ihnen geben eine Tätigkeit im sozialen Bereich<br />

an. Insgesamt verfügen gemeinnützige Stiftungen über ein<br />

geschätztes Vermögen von 70 Milliarden Franken, wobei die jährliche<br />

Ausschüttung nur einen Bruchteil davon ausmacht. Eine unsystematische<br />

Umfrage bei den Pro-Werken und anderen national<br />

tätigen Hilfswerken im Hinblick auf diesen Beitrag lässt<br />

vermuten, dass sich das jährliche Unterstützungsvolumen der privaten<br />

Sozialhilfe auf rund 20 Millionen Franken beläuft. Das entspricht<br />

immerhin einem Prozent der staatlichen Ausgaben für die<br />

Sozialhilfe.<br />

Anders als die Leistungen der öffentlichen Sozialhilfe sind die<br />

Angebote und Zuständigkeitsbereiche der Privaten nicht definiert.<br />

Klar ist hingegen, dass sie wichtige Aufgaben bereits vorgelagert<br />

zur Sozialhilfe übernehmen, indem sie beispielsweise Beratung<br />

für Ratsuchende anbieten, die noch nicht von staatlichen Stellen<br />

erfasst wurden. Oder sie springen dort ergänzend zu den Leistungen<br />

der öffentlichen Sozialhilfe ein, wo diese nicht möglich oder<br />

nicht ausreichend sind. Das Angebot der privaten Sozialhilfe ist<br />

also sowohl in finanzieller Hinsicht wie auch in Bezug auf die<br />

Angebotspalette bedeutsam.<br />

Ungeklärte Subsidiarität<br />

Die SKOS-Richtlinien geben vor, dass Sozialhilfeleistungen grundsätzlich<br />

auch subsidiär sind gegenüber Leistungen Dritter, die ohne<br />

rechtliche Verpflichtung erbracht werden. Die öffentliche Sozialhilfe<br />

wäre demnach nur subsidiär zu den Leistungen der<br />

Hilfswerke oder Stiftungen auszurichten.<br />

Die Realität ist eine andere. Im Gegensatz zu früher haben die<br />

privaten Hilfswerke den Zugang zu ihren finanziellen Mitteln er-<br />

18 ZeSo 3/13 SCHWERPUNKT


private sozilhilfe<br />

Die private Sozialhilfe übernimmt wichtige Aufgaben, zum Beispiel die eines Mahlzeitendienstes für Rentnerinnen und Rentner.<br />

Bild: Keystone<br />

schwert und orientieren sich oft an der öffentlichen Sozialhilfe.<br />

Die meisten unter ihnen betonen sinngemäss, dass die Leistungen<br />

der öffentlichen Hand nicht ersetzt, sondern nur gezielt ergänzt<br />

werden können. Hier zeigt sich ein nicht vollends geklärtes Verständnis<br />

der Subsidiarität. Die Frage lautet: Welche Leistung geht<br />

vor? Die Praxis verhält sich pragmatisch. Es gibt Sozialdienste, die<br />

versuchen, die freiwilligen Leistungen Dritter systematisch zu erschliessen,<br />

andere wiederum delegieren diese Verantwortung an<br />

die Klientel.<br />

Gesellschaftliche Bedeutung<br />

Die gesellschaftliche Bedeutung der privaten Sozialhilfe zeigt sich<br />

auf verschiedenen Ebenen. Sie hilft da, wo die Unterstützung des<br />

Staats nicht greift, finanziert zum Beispiel Ferienaufenthalte für<br />

Bedürftige oder übernimmt Arztrechnungen. Die zahlreichen Projekte<br />

im Bereich der beruflichen und sozialen Integration sind<br />

ebenfalls zentral. Hinzu kommt die bereits genannte wichtige Beratungstätigkeit.<br />

Zudem bilden die Privaten eine Kohäsionskraft<br />

in der Zivilgesellschaft. Die Bevölkerung wird quasi in die Armutsbekämpfung<br />

eingebunden, mittels Spenden oder ehrenamtlicher<br />

Tätigkeit. Die Gesellschaft nimmt hier ergänzend zum Staat eine<br />

unterstützende Rolle wahr.<br />

In einem Referat hat SKOS-Präsident Walter Schmid einmal<br />

die Frage gestellt, ob Vormundschaft und Sozialhilfe Geschwister<br />

seien. Er verneinte dies und verwies dabei auf historische Gründe<br />

sowie auf die unterschiedliche Rechtsgestalt. Weiter oben wurde<br />

auch auf ein mögliches verwandtschaftliches Verhältnis von privater<br />

und öffentlicher Sozialhilfe hingewiesen. Immerhin tragen<br />

sie ja den gleichen «Nachnamen». Die Ausführungen haben aber<br />

deutlich gemacht: Zwischen der privaten und der öffentlichen<br />

Sozialhilfe besteht kein direktes Verwandtschaftsverhältnis. Und<br />

trotzdem besteht eine wichtige Beziehung zueinander. Während<br />

Betroffene die Unterstützung der öffentlichen Sozialhilfe rechtlich<br />

durchsetzen können – ähnlich wie bei der Unterhaltspflicht<br />

der Eltern gegenüber ihren Kindern –, besteht kein Anrecht auf<br />

private Sozialhilfe. Die Rolle der privaten Sozialhilfe gegenüber<br />

der öffentlichen gleicht am ehesten der einer Gotte beziehungsweise<br />

Patin: Sie ist im Normalfall wenig belastet, die Gespräche<br />

haben einen informellen Charakter und Beratungen sind ohne<br />

Verpflichtungen möglich. Dafür kommt die finanzielle Hilfe nur<br />

unregelmässig (wie jedes Patenkind weiss), und die Höhe kann<br />

stark variieren.<br />

Dies hat auch Konsequenzen für die künftige Sozialpolitik.<br />

Falls in Zukunft Leistungen vom Staat gekürzt werden sollten,<br />

können die Privaten nur begrenzt einspringen. Es braucht daher<br />

weiterhin eine leistungsfähige Sozialhilfe der öffentlichen Hand,<br />

damit die Privaten ihren angestammten wichtigen Part auch in<br />

Zukunft wahrnehmen können.<br />

•<br />

Pascal Engler<br />

Dozent im Bachelor - und Masterstudiengang<br />

Berner Fachhochschule, Fachbereich Soziale Arbeit<br />

SCHWERPUNKT 3/13 ZeSo<br />


Dazu beitragen, Voraussetzungen für eine<br />

Unterstützung zu erfüllen<br />

Die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) leistet seit vielen Jahrzehnten Einzelfallhilfe.<br />

Die folgenden Betrachtungen und Beispiele zeigen, wie die private Sozialhilfe die öffentliche<br />

Sozialhilfe ergänzen und teilweise auch entlasten kann.<br />

Finanzielle Unterstützungen sind der quantitativ wichtigste Teil<br />

der privaten Sozialhilfe. Es handelt sich dabei um Unterstützungsleistungen,<br />

die wichtig und gesellschaftlich nützlich sind,<br />

für die aber keine gesetzlichen Grundlagen existieren. Oder, dort<br />

wo sie existieren, diese nur ungenügende Mittel vorsehen. Die<br />

meisten Unterstützungen dieser Art betreffen Zahnbehandlungen,<br />

Hilfen für Schuldensanierungen und Privatkonkurse sowie<br />

Ausstände bei den Krankenkassen. Solche Schwerpunkte geben<br />

immer auch Hinweise auf die sozialpolitische Diskussion in einer<br />

Gesellschaft.<br />

Im Folgenden interessieren aber vor allem zwei Aspekte des<br />

Verhältnisses zwischen privater und staatlicher Sozialhilfe. Anhand<br />

von Beispielen wird dargestellt, wo die private Sozialhilfe die<br />

gesetzlichen Bestimmungen und damit die öffentliche Sozialhilfe<br />

ergänzt. Danach wird der Dialog zwischen öffentlicher und privater<br />

Sozialhilfe angesprochen und gezeigt, dass die private Sozialhilfe<br />

auch kontrollierend und korrigierend wirken kann.<br />

Beispiel 1<br />

Ein Paar, beide Anfang 50, besitzt ein winziges Berggüetli, mit<br />

dem es ein Jahreseinkommen von 3000 Franken erzielt. Ein<br />

wichtiger Teil seines Bar- und Naturaleinkommens sind seine<br />

Schweine. Nur muss der Stall dringend saniert werden, weil er<br />

den Verordnungen des Tierschutzes nicht mehr entspricht. Bedingung<br />

für den Erhalt von Subventionen war die Mitarbeit am<br />

Bau des neuen Stalls und eine finanzielle Beteiligung der Ei-<br />

Bescheidenes Leben im Berggüetli: Die Einzelfallhilfe wie jene der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft kann dazu beitragen, unnötige<br />

Härtefälle zu verhindern und Betroffenen Chancen zu eröffen.<br />

Bild: Keystone<br />

20 ZeSo 3/13 SCHWERPUNKT


private sozilhilfe<br />

gentümer an den Kosten. Die SGG hat rund ein Drittel der Kosten<br />

übernommen und damit ermöglicht, dass das Paar seinen<br />

kleinen Hof sicher für weitere zehn Jahre bewirtschaften kann.<br />

In grösster Bescheidenheit, aber nach seinem freien Willen.<br />

Beispiel 2<br />

Kurz vor Weihnachten wird eine junge Studentin von ihrer<br />

Mutter aus der gemeinsamen Wohnung verwiesen. Aufgrund<br />

des Einkommens der Mutter war die Tochter bisher nicht stipendienberechtigt.<br />

Die behördliche Klärung des Anspruchs auf<br />

Stipendien in der neuen Situation mit getrennten Wohnungen<br />

und eines möglichen Anspruchs gegenüber der Mutter auf Unterstützung<br />

wird Monate dauern. Die junge Frau erhält von der<br />

SGG noch zwischen Weihnachten und Neujahr Mittel, sodass<br />

sie vorerst einmal aufatmen kann.<br />

In beiden Fällen kommen spezifische Stärken der privaten Sozialhilfe<br />

zu Tragen: Sie kann sehr schnell handeln und kann situativ<br />

dazu beitragen, dass die Voraussetzungen für eine öffentliche Unterstützung<br />

erfüllt werden. Mit ihrem Ermessensspielraum kann<br />

sie es ermöglichen, dass dem Sinn der Gesetzgebung entsprechend<br />

gehandelt werden kann, auch wenn der Buchstabe des Gesetzes<br />

das nicht zulassen sollte. Dies geschieht im Wissen darum,<br />

dass gesetzliche Regelungen, selbst wenn sie noch so differenziert<br />

ausgearbeitet sind, nie in der Lage sind, die gesamte Realität des<br />

Lebens zu erfassen.<br />

Es liegt in der Natur der Sache, dass auch in der öffentlichen<br />

Sozialhilfe Fehler vorkommen können. Auch dieser Aspekt kann<br />

anhand von Beispielen erläutert werden.<br />

Beispiel 3<br />

Ein junger Mann, der über eine hochqualifizierte Ausbildung<br />

(Fachhochschulabschluss) verfügt, leidet unter psychischen<br />

Problemen. Weil er Schulden in der Höhe von 40 000 Franken<br />

hatte, wollte ihn der zuständige Sozialdienst einen Privatkonkurs<br />

eröffnen lassen. Dies mit der Begründung, der Mann sei<br />

nur zu 50 Prozent arbeitsfähig. Die SGG schätzte die Situation<br />

differenzierter ein: Damit eine später mögliche Erhöhung<br />

des Arbeitspensums und somit des Einkommens nicht damit<br />

belastet würde, dass dann zuerst einmal die Schuldscheine abbezahlt<br />

werden müssen – was einer weitergehenden Genesung<br />

im Wege stehen könnte –, wurde dem Mann ein Beitrag zur<br />

Schuldensanierung angeboten.<br />

Zahlen und Fakten zur SGG<br />

Die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG)<br />

nimmt gemeinsam mit ihren in der Einzelfallhilfe tätigen<br />

Stiftungen jährlich 350 bis 400 Gesuche entgegen. Ein Drittel<br />

davon kann durchschnittlich positiv entschieden werden.<br />

Für diese Tätigkeit wendet die SGG jährlich rund 400 000<br />

Franken auf.<br />

Die Fallbearbeitung kostet jährlich rund 54 000 Franken. Die<br />

Bearbeitungskosten pro Gesuch belaufen sich auf durchschnittlich<br />

130 Franken.<br />

Neben dem national ausgerichteten Verein existieren diverse<br />

kantonale und regionale gemeinnützige Gesellschaften, die<br />

als eigenständige Körperschaften handeln und die ebenfalls<br />

Individualhilfen leisten.<br />

Beispiel 4<br />

Es ging um ein Gesuch an die SGG zur Übernahme der Kosten<br />

für eine eher aussergewöhnliche Drogentherapie, die von<br />

keiner öffentlichen Institution übernommen werden konnte.<br />

Rückfragen machten deutlich, dass der einreichende Sozialarbeiter<br />

sich unter Druck fühlte, weil die Familie der jungen Frau<br />

in der Region eine bedeutende Stellung einnahm und über ein<br />

Vermögen verfügte, das man gemeinhin als wohlhabend bezeichnet.<br />

In ihrem Absageschreiben wies die SGG deutlich darauf<br />

hin, dass in solchen Fällen keine privaten gemeinnützigen<br />

Gelder verwendet werden dürfen.<br />

In Situationen wie diesen braucht es gemeinsame Grundlagen<br />

und ein gemeinsames Grundverständnis über die Möglichkeiten<br />

der öffentlichen und die Möglichkeiten der privaten Sozialhilfe.<br />

Wichtigstes gemeinsames Instrument sind eindeutig die SKOS-<br />

Richtlinien, auch wenn sie von einer gemeinnützigen Organisation<br />

keineswegs als Vorschriften oder gar als gesetzliche Normen<br />

verstanden werden.<br />

Die Gesuche für finanzielle Hilfe, die an die SGG gerichtet werden,<br />

müssen über die örtlichen Sozialdienste oder über staatlich<br />

anerkannte Fachdienste wie beispielsweise jene der Pro Infirmis<br />

eingereicht werden. In der Regel werden nur Gesuche von über<br />

2000 Franken entgegen genommen. Falls die Personen steuerpflichtig<br />

sind, ist es für die Gewährung einer Unterstützung eine<br />

der Bedingungen, dass sich die öffentliche Hand mit einer Steuerreduktion<br />

oder mit Steuererlassen beteiligt. Die Hilfen haben das<br />

Ziel, mit einer einmaligen Unterstützung die Situation der Betroffenen<br />

nachhaltig zu verbessern.<br />

Die private Sozialhilfe ist eine wichtige und willkommene Zusatzhilfe<br />

oder vorübergehende Ergänzung zur öffentlichen Sozialhilfe,<br />

die sie in bestimmten Fällen auch ein Stück weit entlasten<br />

kann. Wir haben auch immer wieder erfahren, dass der Dialog<br />

unter den beteiligten Institutionen zu besseren oder verbesserten<br />

Lösungen führen kann. <br />

•<br />

Herbert Ammann<br />

Ehem. Geschäftsleiter (bis <strong>2013</strong>)<br />

Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft<br />

SCHWERPUNKT 3/13 ZeSo<br />


Mit einem öffentlichen Auftrag im<br />

Rücken lässt sich langfristig planen<br />

Caritas Neuenburg betreut im Auftrag des Kantons Flüchtlinge und ist dabei zuständig für Sozialhilfe<br />

und Eingliederungsmassnahmen. Der Autor beschreibt die Chancen und Risiken, die privaten<br />

Organisationen aus der Übernahme eines Sozialhilfeauftrags erwachsen können.<br />

Caritas Neuenburg ist im Rahmen eines kantonalen Leistungsauftrags<br />

zuständig für die Sozialhilfe für anerkannte Flüchtlinge. Zum<br />

Auftrag gehört auch die Begleitung der gesellschaftlichen und beruflichen<br />

Integration dieser Personengruppe. Für die Betreuung<br />

sind im Budget pro Familie und Monat zwei Stunden vorgesehen.<br />

Gestützt auf den Leistungsauftrag hat Caritas ihre Kompetenzen<br />

für Integrationsarbeit vertiefen und zusätzliche, ihr ursprüngliches<br />

Angebot erweiternde Dienstleistungen entwickeln<br />

können. So bietet das Hilfswerk heute beispielsweise Sprachkurse<br />

an, hilft bei der Wohnungssuche, setzt freiwillige Helfer für die<br />

individuelle Begleitung ein und informiert ihre Klientinnen und<br />

Klienten über Krankenversicherungen und andere Institutionen,<br />

über die sie Kenntnisse haben sollten. Bei der Wohnungssuche<br />

ist die Unterstützung durch Freiwillige äusserst wertvoll, geht es<br />

doch darum, Wohnungen für ausländische, fremdsprachige und<br />

sozialhilfeabhängige Familien zu suchen. Sie gehören zu der Personengruppe,<br />

die von privaten Hausverwaltungen am häufigsten<br />

abgewiesen wird.<br />

Private Sozialhilfe-Akteure sind für diese Art der Unterstützung<br />

bestens geeignet und leisten wertvolle Pionier- und Vorarbeit. Sie<br />

können innovative Projekte lancieren und dazu beitragen, Lücken<br />

im System der Betreuungs- und Beratungsangebote zu schliessen.<br />

Zur Finanzierung und Durchführung von Projekten können sie<br />

auf ein Netz von Spendern und Freiwilligen sowie auf Beiträge von<br />

Stiftungen und privatwirtschaftlichen Sponsoren zurückgreifen.<br />

Doch aufgepasst! Dieser strategische Ansatz kommt einer Gratwanderung<br />

gleich. Die Anstrengungen dürfen auf keinen Fall<br />

darauf hinwirken, dass durch alternative Finanzierungsquellen<br />

Budgetbeschränkungen bei anderen Institutionen ausgeglichen<br />

werden, bloss um auf diese Weise das Niveau der Sozialhilfeleistungen<br />

aufrechtzuerhalten. Das käme einer Schwächung des<br />

Sozialnetzes gleich. Um ihr Engagement nachhaltig zu sichern<br />

und weiter in die Sozialarbeit investieren zu können, ist Caritas<br />

Neuenburg deshalb auf die Sicherheit von Aufträgen der öffentlichen<br />

Hand angewiesen. Auf diesem Fundament kann sie zusätzliche,<br />

durch eigene Projekte finanzierte Leistungen erbringen.<br />

Beobachter- und Expertenfunktion<br />

Die folgenden Betrachtungen beleuchten die Zusammenarbeit<br />

und die Effizienz bei solchen Kooperationsmodellen:<br />

Die Revision der Sozialhilferichtlinien im Kanton Neuenburg im<br />

Jahr 2007 sah eine spürbare Kürzung der Leistungen zur Deckung<br />

des Lebensunterhalts vor – entgegen der Empfehlungen der SKOS.<br />

Als Hilfswerk und Auftragnehmerin konnte sich Caritas Neuenburg<br />

im Rahmen der Vernehmlassung zur Revision äussern. Da ihr das<br />

System aus erster Hand bekannt war, konnten die Auswirkungen<br />

Private Sozialhilfe-Akteure helfen, Lücken im System der Betreuungs- und Beratu<br />

der geplanten Revision eingehend analysiert werden. Und als unabhängige<br />

Expertin konnte Caritas in der Folge die Revision in einigen<br />

Punkten ein wenig mitgestalten. Das Zusammenwirken von öffentlichem<br />

und privatem Sektor erwies sich in diesem Fall als effizient.<br />

Denn ähnlich wie die Medien eine Kontrollfunktion gegenüber<br />

Exekutive, Legislative und Judikative ausüben, haben die Hilfswerke<br />

ein waches Auge auf die Entwicklung der Richtlinien und<br />

Gesetze im Sozialbereich. Solange diese einen annehmbaren Rahmen<br />

definieren, lässt sich mehr bewirken, wenn man sich aktiv am<br />

System und damit an seiner Entwicklung beteiligt. In diesem Licht<br />

ist es allerdings bemerkenswert, dass das Bundesamt für Migration<br />

die Betreuung der Empfangs- und Verfahrenszentren für Asylsuchende<br />

an gewinnorientierte private Unternehmen vergibt…<br />

Finanzielle und rechtliche Risiken<br />

Mit dem Übergang der Zuständigkeit für die Sozialhilfe an Flüchtlinge<br />

im Jahr 1998 vom Bund an die Kantone begann das kantonale<br />

Amt für Migration, die Fallpauschalen des Bundes an Caritas<br />

zu überweisen. Als in der Folge die Zahl der betreuten Personen<br />

stetig zunahm und die Ausgleichszahlungen rund um die Flüchtlingsbetreuung<br />

im Jahr 2007 die Höhe des gesamten übrigen<br />

Budgets der Organisation erreichten, war die Verwaltung dieser<br />

22 ZeSo 3/13 SCHWERPUNKT


private sozilhilfe<br />

ngsangebote zu schliessen.<br />

Bild: Pixsil<br />

Gelder zu einem erheblichen finanziellen Risiko geworden. Denn<br />

Caritas verfügt über das Vereinsvermögen hinaus über keine weiteren<br />

Defizitgarantien. Um die Risiken der Pauschalenverwaltung<br />

vom Hilfswerk an den Kanton zu übergeben, hat Caritas darauf<br />

dem Kanton ein alternatives Entschädigungsmodell vorgeschlagen,<br />

das es ihr erlaubt, dem Kanton die effektiv anfallenden Kosten<br />

der Sozialhilfe in Rechnung zu stellen.<br />

Als beauftragte Sozialhilfeorganisation entscheidet Caritas<br />

Neuenburg auch über Rückforderungen von Sozialhilfeleistungen<br />

oder über die Ausstellung von Schuldanerkennungen. Das bedeutet,<br />

dass die Schuldner in der Folge das bezogene Geld einem<br />

privaten Dienstleister, der öffentliche Gelder verwaltet, zurückbezahlen<br />

müssen. Auch das wirft Fragen auf, die im Rahmen<br />

des Leistungsauftrags geklärt werden müssen: Wer übernimmt<br />

das Eintreiben dieser Forderungen, wenn ein Sozialhilfedossier<br />

einmal geschlossen ist? Gehört das noch zum Sozialhilfeauftrag?<br />

Kann man in der gegebenen Funktion einen Schuldner überhaupt<br />

für Forderungen betreiben, die ein Dritter erhebt? Können Bund<br />

und Kanton eine Rückzahlung vom privaten Dienstleister einfordern,<br />

wenn der Schuldner zahlungsunfähig ist?<br />

Wäre Letzteres der Fall, müsste der Dienstleister Rückstellungen<br />

bilden, um dieses Risiko aufzufangen. Das ist aber angesichts<br />

der Höhe der Beträge und Finanzflüsse unmöglich. Auf solche<br />

und ähnliche Fragen müssen immer erst Antworten gefunden<br />

werden. Nicht zuletzt deshalb, um bei den beteiligten Parteien<br />

keine falschen Erwartungen aufkommen zu lassen.<br />

Kontrolle ist besser<br />

Der Kanton Neuenburg hat in der Folge die Risiken, die im Zusammenhang<br />

mit der Verwaltung der vom Bund erstatteten Pauschalen<br />

auftreten, übernommen. Im Gegenzug ist er aber darauf<br />

angewiesen, dass die Sozialhilfeausgaben für Flüchtlinge konsequent<br />

ausgewiesen werden. Doch je mehr Kontrollebenen eingerichtet<br />

werden (Hilfswerk, Kanton, Bund), desto grösser ist die Gefahr,<br />

dass man das Wesentliche, nämlich die Menschen, aus den<br />

Augen verliert. Wir bei Caritas Neuenburg haben mittlerweile<br />

manchmal das Gefühl, mehr Zeit in die transparente Abrechnung<br />

der eingesetzten Gelder als in die Förderung von Selbständigkeit<br />

und finanzieller Unabhängigkeit der Flüchtlinge zu investieren.<br />

Und es gibt in diesem Zusammenhang noch weitere Herausforderungen<br />

zu meistern. Über die Hälfte der kantonalen Mittel<br />

fliesst im Rahmen von Leistungsaufträgen an Dritte. Zu Kontrollund<br />

Steuerzwecken ist der Kanton deshalb bestrebt, für alle Leistungen<br />

einheitliche Rechnungslegungs- und Kennzahlenmodelle<br />

anwenden. Die privaten Dienstleister auf der anderen Seite haben<br />

eigene, auf die eigenen Ziele ausgerichtete Instrumente, mit denen<br />

sie ihre Tätigkeit und Ausgaben analysieren. Wenn diese Unterschiede<br />

nicht thematisiert werden, kann das Aufeinandertreffen<br />

der öffentlichen und der privaten Modelle zu Spannungen und<br />

Missverständnissen führen.<br />

Umständlich ist zudem, dass private Sozialhilfedienstleister<br />

immer wieder an Datenschutzgrenzen stossen. Wenn Belege und<br />

Vollmachten nicht ausreichen, müssen die öffentlichen Auftraggeber<br />

für sie die benötigten Informationen beschaffen. Das ist weder<br />

zweckmässig noch effizient.<br />

Aus der Zusammenarbeit zwischen einem öffentlichen Auftraggeber<br />

und einem privaten Auftragnehmer wie Caritas Neuenburg<br />

ergeben sich gemäss diesen Betrachtungen sowohl Vorteile<br />

wie auch Nachteile. Sie bietet Chancen und birgt Risiken. Umso<br />

wichtiger ist es, dass man sich auf einen stabiles Fundament stützen<br />

kann. Auf dieser Grundlage ist es möglich, eine Vorreiter- und<br />

Beobachterrolle zu übernehmen. Was wir uns aber vor allem wünschen<br />

ist, dass auch bei unseren Partnern weiterhin der Mensch<br />

im Mittelpunkt steht. <br />

•<br />

SCHWERPUNKT 3/13 ZeSo<br />

Sébastien Giovannoni<br />

Leiter Sozialberatung<br />

Caritas Neuenburg<br />


«Wenn wir Daten austauschen, dann ist<br />

es zum Wohl des Klienten»<br />

Sie betreuen teilweise die gleichen Personen und bearbeiten manchmal ähnliche Fragestellungen:<br />

Zwei Sozialarbeiterinnen, eine mit einem diakonischen, die andere mit einem staatlichen<br />

Sozialhilfeauftrag, im Gespräch über Schnittstellen und Zusammenarbeit.<br />

Frau ter Meer, Frau Flüeler, Sie arbeiten in der gleichen<br />

Stadt aber bei verschiedenen Organisationen als Sozialarbeiterinnen.<br />

Kennen Sie sich?<br />

Lilian ter Meer: Nein, bisher noch nicht.<br />

Daniela Flüeler: Ihr Name ist mir einmal in einer Mail begegnet.<br />

Wie eng sind denn die Kontakte zwischen Ihren Sozialdiensten?<br />

Ter Meer: Die Kontakte sind je nachdem mehr oder weniger<br />

eng. Sie laufen vor allem über die einzelnen Klienten. Wir sind in<br />

Bern in zwölf Kirchgemeinden aufgeteilt und betreuen Personen<br />

aus unserem Umfeld.<br />

Flüeler: Wir sind weniger sozialräumlich orientiert. Die Kontakte<br />

zu den Sozialdiensten der Kirchgemeinden sind sehr unterschiedlich<br />

und auch personenabhängig.<br />

Wo sehen Sie die Stärken kirchlicher Sozialdienste?<br />

Flüeler: In der Flexibilität und darin, dass sie mehr Zeit zur<br />

Verfügung haben als wir. Wir schätzen die kirchlichen Sozialdienste,<br />

weil dort auch einmal einfach zugehört wird, ohne dass<br />

gleich eine Gegenleistung verlangt wird. Wir selbst sind durch den<br />

gesetzlichen Rahmen eng gebunden.<br />

Ter Meer: Wir haben effektiv eine andere Bandbreite, weil wir<br />

weniger Fälle abarbeiten müssen. Das ist eine Chance. Bei rund<br />

Lilian ter Meer, Sozialarbeiterin im diakonischen Beratungs- und Sozialdienst der Kirchgemeinde Nydegg.<br />

Bilder: Pia Neuenschwander<br />

24 ZeSo 3/13 SCHWERPUNKT


private sozilhilfe<br />

der Hälfte der Fälle dreht es sich um Probleme mit den Finanzen.<br />

Wir helfen beispielsweise, Gesuche zu stellen oder beim Einteilen<br />

des Budgets. In einem Fall gehe ich für eine alte Frau zuerst<br />

zur Bank Geld abheben, dann zu ihr nach Hause, und zuletzt fürs<br />

Einzahlen auf die Post. Sie ist 93 und will und kann nicht mehr<br />

auf Lastschriftverfahren oder Zahlungsanweisung umstellen. Sie<br />

muss ihr Geld physisch vor sich haben.<br />

Leisten Sie auch materielle Unterstützung?<br />

Ter Meer: Ja. Mit unserer Hilfskasse können wir bei zeitlich befristeten<br />

Notlagen aushelfen. So haben wir beispielsweise einmal<br />

einem Vater eine Reise mitfinanziert, damit er im Ausland seine<br />

Tochter besuchen konnte.<br />

Über wie viel Geld verfügen Sie?<br />

Ter Meer: Das ist von Kirchgemeinde zu Kirchgemeinde unterschiedlich.<br />

Unsere «Kässeli» werden aus der Gottesdienstkollekte<br />

alimentiert. Dann gibt es manchmal zweckgebundene Legate,<br />

etwa für die Altersarbeit. Wir schwimmen aber nicht im Geld.<br />

Die öffentliche Hand muss sparen. Übernimmt die kirchliche<br />

Sozialhilfe manchmal auch Aufgaben, die nicht komplementär<br />

sondern eher substituierend zur öffentlichen<br />

Sozialhilfe sind?<br />

Flüeler: Wenn wir uns absprechen, ist das schon möglich.<br />

Das bedeutet aber nicht, dass wir Leute abschieben. Für gewisse<br />

Probleme haben wir wie gesagt zu wenig Ressourcen. Wir haben<br />

beispielsweise immer wieder Leute, die nicht verstehen, wie das<br />

mit der Krankenkasse funktioniert, auch wenn man es ihnen<br />

mehrmals erklärt. Für solche Beratungen wollten wir eigens eine<br />

Stelle schaffen, aber sie konnte bisher nicht finanziert werden.<br />

Also wenden sich diese Leute dann eben eher an private Sozialdienste.<br />

Gibt es bei gemeinsamen Klientinnen und Klienten einen<br />

Datenaustausch?<br />

Ter Meer: Ich frage die Klienten, ob ich mit der zuständigen<br />

Sozialarbeiterin telefonieren darf. Wenn sie einverstanden sind, ist<br />

der Informationsaustausch kein Problem. So kann ich beispielsweise<br />

ein Sozialhilfebudget einsehen und mit diesen Informationen<br />

ein Gesuch schreiben.<br />

Flüeler: Wenn wir Daten austauschen, dann ist es zum Wohl<br />

des Klienten. Es gibt auch Situationen, da müssen wir zurückhaltend<br />

sein. Wenn wir beispielsweise hören, dass ein Klient darauf<br />

aus ist, von möglichst vielen Quellen Geld zu organisieren. Dann<br />

dürfen wir nichts dazu sagen, ob er von uns auch unterstützt wird.<br />

Welche Rolle spielen für Sie, Frau ter Meer, die SKOS-Richtlinien?<br />

Ter Meer: Sie dienen mir als Orientierungshilfe. Beispielsweise,<br />

wenn ich für jemand ein Budget erstelle. Einmal ging es darum,<br />

einer Person zu erklären, dass sie ihre Ansprüche zurückbuchsta-<br />

<br />

Daniela Flüeler, Sozialarbeiterin im Sozialdienst der Stadt Bern.<br />

«Für gewisse Probleme<br />

haben wir zu wenig<br />

Ressourcen.»<br />

Daniela Flüeler<br />

zu den personen<br />

Daniela Flüeler, dipl. Sozialarbeiterin FH, ist<br />

Sektionsleiterin beim Sozialdienst der Stadt Bern.<br />

Lilian ter Meer, dipl. Sozialarbeiterin FH, arbeitet im<br />

diakonischen Beratungs- und Sozialdienst der<br />

Kirchgemeinde Nydegg.<br />

SCHWERPUNKT 3/13 ZeSo<br />


ieren muss, bevor Ergänzungsleistungen<br />

beantragt werden. Solche Fälle kommen immer<br />

mal wieder vor.<br />

Wenn jemand von karitativer Seite<br />

Geld erhält, für Leistungen, die Sie,<br />

Frau Flüeler, nicht übernehmen, wird<br />

das im Budget ausgewiesen?<br />

Flüeler: Nein. In aller Regel ist das<br />

abgesprochen. Die SKOS-Richtlinien erlauben<br />

zweckgebundene Zuwendungen<br />

von Dritten bis zu einem gewissen Grad.<br />

Schwierig wird es erst, wenn wir merken,<br />

dass jemand dies ausnützt.<br />

Spüren Sie die Auswirkungen der<br />

AVIG-Revision oder IV-Revision?<br />

Flüeler: Die IV-Revision spüren wir<br />

stark. Eingliederung vor Rente ist grundsätzlich<br />

schon richtig. Aber es kommen nun<br />

halt viele, die keine IV-Rente mehr erhalten,<br />

zu uns. Oder Personen, die Abklärungstermine<br />

verpassen – beispielsweise aus psychischen<br />

Gründen – und sich durch dieses Verhalten<br />

für eine IV-Rente disqualifizieren.<br />

Sind private Organisationen innovativer?<br />

Flüeler: Nicht generell. Das hängt auch<br />

von der Leitung eines Sozialdienstes ab.<br />

Ter Meer: Wir sind möglicherweise flexibler,<br />

weil wir weniger Hierarchien haben<br />

und so schneller reagieren können. Aber<br />

die Einführung des Teillohnmodells der<br />

Stadt Bern zeigt, dass auch öffentliche Sozialdienste<br />

innovativ sein können.<br />

Es gibt ein jährliches Treffen zwischen<br />

Ihren Sozialdiensten. Wie kam es<br />

dazu?<br />

Ter Meer: Die Sozialarbeitenden der<br />

reformierten Kirchgemeinden hatten das<br />

Bedürfnis, einen institutionellen Kontakt<br />

mit der Stadt herzustellen, gemeinsam<br />

übrigens mit der katholischen Kirche und<br />

der Passantenhilfe. Wir sammeln jeweils<br />

Fragen und Anliegen, die die Schnittstelle<br />

«Der Austausch<br />

hat dazu geführt,<br />

dass die Zusammenarbeit<br />

nun gut<br />

funktioniert.»<br />

Lilian ter Meer<br />

zum städtischen Sozialdienst betreffen, und diese werden dann in<br />

einer konstruktiven Art geklärt: Fragen beispielsweise zum Umgang<br />

mit Mietzinsschulden, zu Ausweisverlängerungen oder Einbürgerungen.<br />

So haben wir an der letzten Sitzung erfahren, dass<br />

der Sozialdienst Ausweisverlängerungen übernimmt, hingegen<br />

die Kosten für eine Einbürgerung nicht. Eine andere Frage war,<br />

wie Klienten bei einer Ablösung aus dem Sozialdienst auf die Situation<br />

danach vorbereitet werden. Ein drittes Beispiel betraf den<br />

Dossierabschluss bei Zwischenverdienst, also Personen, die nur<br />

vorübergehend keine Sozialhilfe beziehen.<br />

Flüeler: Wir erklären dann beispielsweise, dass, wenn wir<br />

jemanden nicht mehr finanziell unterstützen, dies für uns stati-<br />

stisch kein Fall mehr ist. Da sind wir aufgrund<br />

der Vorgaben streng. Erfolgt innert<br />

dreier Monate eine Wiederanmeldung, ist<br />

die frühere Sozialarbeiterin wieder für die<br />

Person zuständig. Dauert die unterstützungsfreie<br />

Periode länger, muss der Klient<br />

das <strong>ganz</strong>e Aufnahmeprozedere neu durchlaufen.<br />

Ter Meer: Die gemeinsamen Austauschsitzungen<br />

haben dazu geführt, dass<br />

die Zusammenarbeit nun gut funktioniert.<br />

Flüeler: Wir erleben das auch so. Ich<br />

hatte einen Fall, bei dem jemand zwei Monate<br />

nach Dossierabschluss wieder zu uns<br />

kam. Ihm waren alle Papiere gestohlen<br />

worden und er hatte keinen Rappen mehr.<br />

Ohne Geld kriegt er keine neuen Ausweise,<br />

ohne Ausweise kann er kein Konto eröffnen.<br />

Ich war froh, dass wir ihn aufgrund<br />

der guten Kontakte unkompliziert zur Passantenhilfe<br />

schicken konnten, die schneller<br />

reagieren konnte und dem Klienten bei<br />

der Beschaffung der Papiere geholfen hat,<br />

damit er anschliessend Sozialhilfe beantragen<br />

konnte. In solchen Fällen funktioniert<br />

das Sichergänzen wirklich sehr gut und<br />

partnerschaftlich.<br />

Ter Meer: Bevor es diese Treffen gab,<br />

fühlten sich die Kirchgemeinden als Lückenbüsser<br />

der Stadt. Leute wurden ohne vorherige<br />

Kontaktaufnahme zu uns geschickt.<br />

Das hat auch zu falschen Erwartungen bei<br />

den Bittstellern geführt.<br />

Flüeler: Die Austauschsitzungen sind<br />

wichtig. Aber allzu Vieles regeln lässt sich<br />

damit nicht. Detailfragen müssen im Einzelfall<br />

geklärt werden. Es geht um den Dialog<br />

und das gegenseitige Verständnis.<br />

Was ist das Ziel Ihrer Arbeit?<br />

Flüeler: Finanzielle Unabhängigkeit<br />

von Sozialdienst, soziale Integration. Integration<br />

im weitesten Sinn: Leute zur Ablösung<br />

führen und ihnen soweit zu helfen,<br />

dass es ihnen ihnen subjektiv und objektiv<br />

besser geht.<br />

Ter Meer: Ich kann das unterstützen. Unsere finanziellen<br />

Hilfen sind ausschliesslich punktuell, zeitlich befristet und<br />

thematisch eingegrenzt. Wir versuchen, diesen Leuten auf die<br />

eigenen Beine zu helfen. Wenn aber die Notlage gravierend<br />

und längerfristig ist, empfehlen wir, dass die Person sich beim<br />

Sozialdienst anmeldet. Neben der finanziellen Hilfe machen<br />

die Kirchgemeinden auch psychosoziale Begleitung. Dazu gehört<br />

es, hier zu sein, sich Zeit zu nehmen und Hausbesuche zu<br />

machen. <br />

•<br />

Das Gespräch führte<br />

Michael Fritschi<br />

26 ZeSo 3/13 SCHWERPUNKT


Armut muss mit einer integralen<br />

Strategie bekämpft werden<br />

private sozilhilfe<br />

Das Case Management und die interinstitutionelle Zusammenarbeit sollten kassenunabhängig<br />

funktionieren. Damit würden sich wichtige Akteure nicht mehr aus der Fallbearbeitung zurückziehen,<br />

nur weil sie nicht mehr zahlungspflichtig sind. Ein Plädoyer für ein nachhaltigeres IIZ-Modell.<br />

Armut geht alle an, sie ist kein isoliertes Problem. Weder bei der<br />

Analyse der Gründe für Armut, noch bei der Erarbeitung von<br />

Lösungsansätzen. Fehlt bei der Analyse der Armutsentstehung<br />

eine <strong>ganz</strong>heitliche Betrachtung, wird man auch in der Lösungsfindung<br />

nur Symptombekämpfung betreiben. Auch die Betrachtung<br />

von Armut als bloss finanzielles oder wirtschaftliches Phänomen<br />

greift zu kurz. Soziale, geistige und spirituelle Armut sind markante<br />

Treiber struktureller Armut.<br />

Erkennt man die zum Teil komplexen Sachverhalte und die systemischen<br />

Abhängigkeiten, die die Armutsproblematik prägen,<br />

und vergleicht sie mit den meist sequenziellen und wenig integralen<br />

Lösungsfindungen, stellt man fest, dass in der Organisation<br />

und der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren<br />

bei der Armutsbekämpfung ein grosses Potenzial besteht. Zwar<br />

wurde mit dem Ansatz IIZ (interinstitutionelle Zusammenarbeit)<br />

ein grosser Schritt in die richtige Richtung gemacht. Dennoch<br />

zeigt sich in der Praxis, dass das «Kassendenken» noch weit verbreitet<br />

ist. Erschwerend kommt hinzu, dass – je nach Entwicklung<br />

eines Falls – sich wichtige Akteure nach und nach aus der Fallbearbeitung<br />

zurückziehen, weil sie nicht mehr zahlungspflichtig sind.<br />

Beispielsweise die Arbeitsvermittlung: Die betroffenen Personen<br />

verbleiben dann in der Obhut der Sozialhilfe, die als Folge nun<br />

alle Systeme, Arbeit, Wohnen, Förderung und Teilhabe, bedienen<br />

muss. Dies führt zu einer Überforderung der Ressourcen in der<br />

Sozialhilfe.<br />

Die heutigen Formen der IIZ sind so definiert, dass die staatlichen<br />

Sozialversicherungen, die Berufsberatung und die Sozialhilfe<br />

an einen Tisch sitzen. Andere Akteure wie zum Beispiel die<br />

Wirtschaft, die Gesellschaft allgemein, Kirchen oder eben auch<br />

private Sozialwerke werden nur bedingt in die Lösungsfindung<br />

einbezogen. Dies auch deshalb, weil die Armutsbekämpfung als<br />

rein staatliche Aufgabe verstanden wird. Armut ist aber ein gesellschaftliches<br />

Problem. Aus diesem Grund müssten möglichst<br />

viele Akteure bei der Lösungsfindung mitarbeiten. In dem Zusammenhang<br />

ist auch darauf hinzuweisen, dass die Ressourcen der<br />

Armutsbetroffenen – ihre Erfahrungen, Skills und Netzwerke –<br />

auch immer noch zu wenig berücksichtigt werden.<br />

Für ein nicht im Vollzug<br />

angesiedeltes Case<br />

Management wären<br />

private Sozialwerke als<br />

Partner denkbar.<br />

Lücken im Sozialnetz der Schweiz<br />

Wenn man nach den Lücken im Sozialnetz der Schweiz sucht, findet<br />

man diese an den Schnittstellen zwischen den staatlichen Sozialversicherungen<br />

und der Sozialhilfe oder im Bereich des langjährigen<br />

Sozialhilfebezugs. Die Begleitumstände sind vielfältig, doch<br />

eines scheint klar: Eine integrale Strategie, die bessere Vernetzung<br />

der Akteure und ein besserer Einbezug des Know-hows von Spezialisten,<br />

die Teilnahme möglichst aller Schlüsselakteure und generell<br />

die Suche nach langfristigen Lösungen sind Faktoren, deren<br />

breite Berücksichtigung bessere Resultate hervorbringen würde.<br />

Viele Herausforderungen können nicht oder nur begrenzt von einem<br />

einzelnen Akteur erfolgreich bewältigt werden. Ein umfassendes<br />

Case Management wäre notwendig. Dieses sollte aber möglichst<br />

nicht im Bereich des Vollzugs angesiedelt sein, sondern<br />

kassenunabhängig arbeiten können. Hierfür wären private Sozialwerke<br />

als Partner denkbar.<br />

Als Beispiel für einen solchen Ansatz kann ein Projekt aus<br />

Amsterdam dienen. Die Heilsarmee als privates Sozialwerk führt<br />

im Auftrag der Stadt Amsterdam ein «Intake-House», in dem insbesondere<br />

obdachlose Menschen aufgenommen werden. Dies<br />

mit dem Ziel, mit der betroffenen Person in einer sechswöchigen<br />

Abklärungsphase eine individuelle Strategie zu entwickeln. An<br />

dieser Strategieentwicklung nehmen die Heilsarmee und andere<br />

Sozialwerkvertreter als Case Manager teil, genauso wie Vertreter<br />

der Sozialhilfe, der Sozialversicherungen, der Arbeitsvermittlung,<br />

der Wohnungsvermittlung, von juristischen Beratungsstellen oder<br />

medizinisch-psychiatrischen Diensten. Nach der Abklärungsphase<br />

begleitet das Case Management die Klientinnen und Klienten,<br />

während diese an Massnahmen zur Arbeitsintegration, zur Wohnkompetenzförderung<br />

und so weiter oder an sozialtherapeutischen<br />

Massnahmen teilnehmen. Neben den wirtschaftlichen Vorteilen<br />

einer solchen Arbeitsweise spielt auch der Beziehungsaspekt in<br />

der Begleitung eine wichtige Rolle. Im Sinne einer langfristigen<br />

und integralen Lösung für Armutsbetroffene und eines effizienten<br />

Mitteleinsatzes müssten solche Lösungsansätze vermehrt auch in<br />

der Schweiz verfolgt werden.<br />

•<br />

Daniel Röthlisberger<br />

Direktor Sozialwerke<br />

Heilsarmee Schweiz<br />


Wenn das Workfare-Prinzip<br />

Unfairness bewirkt<br />

Personen mit Migrationshintergrund können in der Sozialhilfe Diskriminierung und Rassismus<br />

erfahren, wenn das Prinzip von Leistung und Gegenleistung unreflektiert über ethische und<br />

kulturelle Besonderheiten gestellt wird.<br />

Kantonale Sozialhilfegesetze, interne Reglemente<br />

und Weisungen sowie die SKOS-<br />

Richtlinien geben in der Schweiz vor, wie<br />

Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter die<br />

Situation ihrer Klienten beim Intake erfassen<br />

sollen. Obwohl diese Regelwerke nicht<br />

nach ethnischen und kulturellen Gruppen<br />

unterscheiden und keineswegs diskriminierend<br />

wirken sollen, kommt es vor, dass<br />

Menschen mit Migrationshintergrund auf<br />

ihre kulturelle Herkunft oder ihren Assimilierungsgrad<br />

reduziert werden, wenn sie<br />

um finanzielle Unterstützung bei der Sozialhilfe<br />

anklopfen. Dies zeigte sich im Rahmen<br />

einer auf Interviews basierenden qualitativen<br />

Untersuchung, die im Zeitraum von<br />

2007 bis 2012 in den Sozialdiensten von<br />

Genf und Winterthur durchgeführt wurde.<br />

«Er hat halt leider diese Kultur und behandelt<br />

alles wie in einem Souk (...). Trotz<br />

seines Schweizer Passes lebt er noch wie im<br />

Nahen Osten», beschrieb beispielsweise<br />

eine Sozialarbeiterin aus Genf die Haltung<br />

eines Klienten palästinensischer Herkunft<br />

gegenüber Geld. Eine andere Sozialarbeiterin<br />

aus Winterthur behauptete, dass<br />

Mütter aus «dem Süden» zu behütend gegenüber<br />

ihren Kindern seien. Frauen aus<br />

dem Norden hingegen seien fähig, ihre<br />

Kinder Fremden zu überlassen.<br />

Problemfeld kulturelle Assimilierung<br />

Im gleichen Sinn problematisch sind Situationen,<br />

in denen explizit eine kulturelle<br />

Assimilierung von den Klienten eingefordert<br />

wird, damit sie Sozialleistungen erhalten<br />

– obwohl dieses Kriterium keine formelle<br />

Basis hat. «Ich diskutierte mit denen,<br />

aber die verweigern jegliche Diskussion»,<br />

erzählte eine Sozialarbeiterin. «Die Albaner<br />

haben ihre Kultur und ihre Denkweise (...).<br />

Aber nichtsdestotrotz müssen sie eine Gegenleistung<br />

erbringen und sich anpassen,<br />

unabhängig von ihrer Kultur und zwar weil<br />

sie sich entschieden haben, in die Schweiz<br />

Es geht auch anders<br />

Den kulturellen Hintergrund ihrer Klientinnen<br />

und Klienten in die Prinzipien der<br />

Sozialhilfe zu integrieren, bereitet den Sozialarbeitenden<br />

tendenziell Schwierigkeiten.<br />

Eine Ausnahme war jene Sozialarbeiterin<br />

in Genf, die ihre aus Tunesien stammende<br />

Klientin motivierte, mit dem Imam zu verhandeln,<br />

wie sie den Ramadan im Arbeitsalltag<br />

praktizieren könne, damit sie ihre<br />

Teilzeitstelle im Spital nicht verliert.<br />

Es hat sich gezeigt, dass die Fähigkeit,<br />

kritisch über die eigene Kategorisierung<br />

von Klientinnen und Klienten mit Migrationshintergrund<br />

zu reflektieren, auch vom<br />

institutionellen Kontext abhängt. Sozialarbeitende<br />

im untersuchten Sozialdienst<br />

Winterthur, in dem das Workfare-Prinzip<br />

(«Leistung bedingt Gegenleistung») durch<br />

ein Case Management und eine Klienten-<br />

Segmentierung umgesetzt wurde, handelten<br />

aufgrund von automatisierten Denkweisen<br />

weniger aktiv reflektierend. Sie stehen<br />

unter grossem Zeitdruck, die Antragsteller<br />

im Hinblick auf die ihnen zustehenden<br />

Leistungen zu beurteilen und in Klientengruppen<br />

einzuteilen.<br />

In Genf, wo das Workfare-Prinzip noch<br />

nicht vollumfänglich formalisiert wurde<br />

und ein globales, individuelles Intake der<br />

Klienten verlangt wird, waren die Sozialarbeitenden<br />

hingegen eher fähig, ihre<br />

grundsätzlich ebenfalls automatisierten<br />

Gedanken kritisch zu hinterfragen. Sie<br />

konnten Klienten mit Migrationshinterzu<br />

kommen.» Solche Kategorisierungen<br />

und Verurteilungen nach ethnischen und<br />

kulturellen Merkmalen können zu Formen<br />

von institutionellem Rassismus führen, indem<br />

sie durch interne Regelungen und automatisierte<br />

Abläufe gestützt werden.<br />

Institutioneller Rassismus kann zu diskriminierendem<br />

Handeln mit materiellem<br />

Schaden für die Betroffenen führen. Eine<br />

Sozialarbeiterin aus Genf beispielsweise<br />

diskriminierte eine Klientin aus Südamerika,<br />

die ihren Eltern Geld schicken wollte.<br />

Sie reduzierte das Bedürfnis der Klientin<br />

auf ihre südamerikanische Kultur, in der<br />

man eine moralische Verpflichtung gegenüber<br />

den Eltern habe. Als die Klientin<br />

ihr Verhalten nicht änderte, wurde ihr die<br />

monatliche Sozialunterstützung in Form<br />

von Lebensmittelschecks abgegeben. Die<br />

Klientin wurde wegen ihrem «Mangel an<br />

kultureller Integration» bestraft.<br />

In einem anderen Fall wurden einer<br />

arabisch-irakischen Familie die Sozialleistungen<br />

gekürzt, weil der Mann seine Ehefrau<br />

davon abhielt, eine Arbeit zu suchen.<br />

Wegen mangelnder, kultureller Assimilierung<br />

an die «schweizerische Idee», dass<br />

Männer und Frauen arbeiten sollten, wurde<br />

die <strong>ganz</strong>e Familie bestraft. Weil sie auf<br />

einer «Ethnisierung» basiert und die Mitwirkungspflicht<br />

der Klienten nicht nach<br />

objektiven und individuellen Kriterien<br />

beurteilt wurde, stellt diese Sanktion eine<br />

Diskriminierung dar.<br />

Kategorisierungen<br />

können zu Formen<br />

von institutionellem<br />

Rassismus führen.<br />

Nicht jede Ethnisierung führt jedoch zu<br />

einer Diskriminierung. Eine Sozialarbeiterin<br />

aus Winterthur organisierte eine informelle<br />

Diskussionsrunde für eine Klientin<br />

aus Peru, die Schwierigkeiten hatte, einen<br />

Deutschkurs für Analphabeten zu finden.<br />

Diese Bereitschaft, nach einer individuellen<br />

Lösung zu suchen, ist bei Sozialarbeitenden<br />

aber eher selten anzutreffen.<br />

28 ZeSo 3/13 STUDIE


Die Forderung nach kultureller Anpassung ist eine Herausforderung für alle.<br />

Bild: Pixsil<br />

grund in ihrer Individualität wahrnehmen<br />

und dementsprechend behandeln.<br />

Fazit<br />

Institutionellem Rassismus in der Sozialhilfe<br />

kann entgegen getreten werden, indem<br />

ein betrieblicher Rahmen geschaffen<br />

wird, in dem Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter<br />

die Voraussetzungen für eine kritische<br />

Reflexion ihrer Entscheide finden.<br />

Es wäre deshalb wünschenswert, wenn das<br />

Workfare-Prinizip, das auch in die SKOS-<br />

Richtlinien eingeflossen ist, kritisch reflektiert<br />

wird und der Aspekt der individuellen<br />

Sozialhilfe in alltäglichen Arbeitsprozessen<br />

vermehrt gefördert würde.<br />

Zudem scheint es angezeigt, die Beurteilung<br />

der Dossiers von Personen mit<br />

Migrationshintergrund transparenter zu<br />

gestalten. Dazu könnten konkrete Vorgehensanleitungen<br />

hilfreich sein. Beispielsweise<br />

könnte beurteilt und entschieden<br />

werden, welche Mitwirkungspflicht von<br />

Klienten, die den Ramadan praktizieren<br />

wollen, verlangt wird. Oder ob Klientinnen,<br />

die auf Arbeitssuche sind, vom<br />

Tragen einer Ganzkörperbedeckung (Hijab)<br />

abgeraten werden sollte. Solche Situationen<br />

werden sehr unterschiedlich<br />

gehandhabt, was die Klientinnen der<br />

Sozialhilfe einer institutionellen Willkür<br />

aussetzt. Die SKOS könnte hier aufgrund<br />

ihrer zentralen Stellung aktiv werden und<br />

eine klare Position vertreten, etwa indem<br />

sie Empfehlungen in Form von «Good<br />

Practices» im Umgang mit kultureller<br />

Vielfalt in der Sozialhilfe definiert. Damit<br />

könnte nicht nur die Qualität der Dienstleistungen<br />

verbessert werden, sondern<br />

auch das Workfare-Prinzip gegenüber Migranten<br />

fairer gestaltet werden. •<br />

Manuela Honegger<br />

Politikwissenschaftlerin, Genf<br />

Literatur<br />

Manuela Honegger, Beyond the Silence<br />

– Institutional Racism, Social Welfare and Swiss<br />

Citizenship (Dissertation), Universität Lausanne,<br />

<strong>2013</strong>.<br />

STUDIE 3/13 ZeSo<br />

29


Pedalen für die Kunden, die Umwelt<br />

und das eigene Glück<br />

Sie vereint einen innovativen Service Public, nachhaltige Mobilität sowie sinnstiftende Arbeit für<br />

Langzeitarbeitslose: Die Burgdorfer Stiftung Intact mit ihren Angeboten wie dem Hauslieferdienst.<br />

Es riecht wie beim Velomechaniker. Kein<br />

Wunder. In drei langen Reihen stehen gegen<br />

200 Fahrräder im Zelt der Velostation.<br />

Neue und alte, Elektrovelos und ein paar<br />

Veloanhänger. Einer davon gehört Adrian<br />

Heiniger, der gerade einen prüfenden<br />

Blick in «sein Gestell» wirft. Da steht eine<br />

blaue, prall gefüllte Einkaufstasche. Diese<br />

hat eine Kundin nach dem Einkauf in der<br />

dafür vorgesehenen Annahmestelle in der<br />

Migros deponiert. Dort wurde sie von einem<br />

von Heinigers Kollegen abgeholt, und<br />

nun muss er sie der Kundin nach Hause<br />

bringen. Dazu hat er ein Elektrovelo, einen<br />

Anhänger und drei Stunden Zeit. Adrian<br />

Heiniger arbeitet beim Velo-Hauslieferdienst<br />

der Stiftung Intact in Burgdorf. Der<br />

Hauslieferdienst ist das Herzstück und einer<br />

der ältesten Bereiche der Stiftung, die<br />

1997 unter dem Namen Velostation gegründet<br />

wurde (siehe Kasten).<br />

Das Arbeitslosenprojekt war eine<br />

Schweizer Premiere, und die Initianten<br />

mussten damals gegen Vorurteile ankämpfen.<br />

«Die Betreiber sorgten sich wegen der<br />

fristgerechten Auslieferung der Aufträge,<br />

wenn die Arbeitslosen nicht zur Arbeit erscheinen<br />

würden», erinnert sich Barbara<br />

Baumgartner, Bereichsleiterin Hauslieferdienst<br />

bei Intact. «Und die Kunden hatten<br />

Bedenken, ihre Einkäufe Arbeitslosen anzuvertrauen.»<br />

Sechzehn Jahre später sind diese Vorurteile<br />

längst ausgeräumt. Die anfänglich<br />

rund 400 Lieferungen pro Jahr sind angewachsen<br />

auf über 24 000. Sie werden von<br />

Sozialhilfebezügerinnen und Sozialhilfebezügern<br />

austragen. Jeder fünfte Burgdorfer<br />

Haushalt lässt sich hin und wieder<br />

Einkäufe, die in einem lokalen Geschäft<br />

getätigt wurden, für drei Franken mit<br />

dem Velo nach Hause bringen. Das freut<br />

die Betreiber aus mehreren Gründen. «Sowohl<br />

die Förderung der nachhaltigen Mobilität<br />

als auch die soziale Integration sind<br />

wichtige Anliegen von Intact. Genauso wie<br />

Dienstleistungen, die den Steuerzahlern einen<br />

Mehrwert bieten», sagt Baumgartner.<br />

Adrian Heiniger auf Tour in der Burgdorfer Altstadt.<br />

30 ZeSo 3/13 reportage


Es hat wieder Einkaufstaschen im Gestell.<br />

Diese Dienstleistungen hat Intact laufend<br />

ausgebaut, und sie beschränken sich<br />

heute längst nicht mehr auf die Mobilität:<br />

Recycling, Reinigung, ein Nähatelier und<br />

ein Café gehören dazu. Letzteres befindet<br />

sich im ehemaligen Wartsaal des umgenutzten<br />

Bahnhofs Burgdorf-Steinhof.<br />

Lange Holztische mit Stühlen laden<br />

zum Verweilen ein, ein Klavier und hellgrüne<br />

Wände verströmen Gemütlichkeit,<br />

der Duft nach Essen macht Appetit. Er<br />

kommt aus der Küche, wo drei Frauen<br />

in Kochschürzen hantieren. Eine Frau<br />

schneidet Kartoffeln, eine zweite gibt<br />

Gurkenscheiben in eine Schüssel mit<br />

dampfendem Reis, eine dritte brät Quorn-<br />

Schnitzel und erklärt nebenbei die weiteren<br />

Arbeitsschritte. Es ist Ursula Rauh, die<br />

Bereichsleiterin des Bahnhoftreffs Steinhof.<br />

Sie ist dafür zuständig, dass die rund<br />

80 Portionen Mittagessen für die drei Kindertagesstätten<br />

pünktlich um elf Uhr die<br />

Küche verlassen und dass das Menü bereit<br />

ist, wenn das Café zweimal in der Woche<br />

für Gäste öffnet. Auch dann, wenn wie<br />

heute bloss zwei statt vier Köchinnen zur<br />

Arbeit erscheinen, was öfters vorkommt.<br />

Den Umgang mit Konflikten lernen<br />

«Bei den meisten langzeitarbeitslosen<br />

Frauen im Gastrobereich steht die soziale<br />

Integration im Vordergrund, nicht die Eingliederung<br />

in den ersten Arbeitsmarkt», erklärt<br />

die anwesende Sozialarbeiterin Ruth<br />

Marbach. Nebst dem Vermitteln einer Tagesstruktur,<br />

einer sinnstiftenden Tätigkeit<br />

und Aussenkontakten gehe es aber auch<br />

darum, einen anderen Umgang mit Konflikten<br />

zu trainieren. Die Frauen könnten<br />

Bilder: Annette Boutellier<br />

Stiftung Intact<br />

Die Stiftung ermöglicht mit ihren diversen<br />

Dienstleistungen jährlich rund 500 Langzeitarbeitslosen<br />

eine kundenorientierte Beschäftigung.<br />

Die Ursprünge von Intact gehen<br />

zurück ins Jahr 1997, als auf Initiative von<br />

Pro Velo und mit dem Schwung des Pionierprojekts<br />

«Fussgänger- und Velomodellstadt»<br />

die bewachte Velostation beim Bahnhof<br />

Burgdorf sowie der Velo-Hauslieferdienst<br />

als Arbeitslosenprojekt lanciert wurden. Die<br />

diversen Angebote werden heute von rund 70<br />

Betreuungspersonen begleitet.<br />

www.wir-bringens.ch<br />

hier lernen, dass es nach Konflikten auf eine<br />

gute Art weitergehen kann. Das sei eine<br />

wichtige Kompetenz, um auf dem Arbeitsmarkt<br />

zu bestehen.<br />

Das strebt Sandra Meier (Name geändert)<br />

an. Die 40-jährige gelernte Verkäuferin<br />

hat es vor rund fünf Jahren aus dem<br />

ersten Arbeitsmarkt gespickt, wie sie es<br />

nennt. «Gott sei Dank» könne sie seit eineinhalb<br />

Jahren zu 70 Prozent im Bahnhoftreff<br />

in der Küche arbeiten. «Ich bin der Typ,<br />

der arbeiten muss. Ich kann nicht einfach<br />

zuhause rumsitzen.» Man glaubt es ihr aufs<br />

Wort, sie verströmt Energie und Optimismus.<br />

Dieser sei ihr zu Beginn, als sie «<strong>ganz</strong><br />

unten, beim Sozialdienst» gelandet sei, abhandengekommen.<br />

Im Bahnhoftreff habe<br />

man ihr das Gefühl zurückgegeben, «dass<br />

ich etwas kann», und sie hat die Küche und<br />

den Service als neues Berufsfeld entdeckt.<br />

Ein erster Wiedereinstieg im ersten Arbeitsmarkt<br />

vor ein paar Monaten war nicht von<br />

Dauer, doch spätestens in einem halben<br />

Jahr will sie eine richtige Stelle gefunden<br />

haben. Das wöchentliche Bewerbungscoaching<br />

von Intact hilft ihr dabei.<br />

Auch Adrian Heiniger vom Hauslieferdienst,<br />

28-jährig, gelernter Landwirt und<br />

seit zwei Jahren arbeitslos, hat sich Ziele<br />

gesteckt. Sein Hauptziel ist, körperlich<br />

fitter zu werden. Sagt‘s und tritt in die Pedale,<br />

als er in der Burgdorfer Altstadt den<br />

Hang hochfährt. Zwar wird er vom Elektroantrieb<br />

des Flyers unterstützt, doch nach<br />

einem Tag mit rund 60 Kilometern und<br />

30 transportierten Taschen spüre er dennoch,<br />

was er geleistet habe.<br />

Anspruchsvolle und niederschwellige<br />

Arbeiten<br />

Für sein Vollzeitpensum erhält er zusätzlich<br />

zum Sozialhilfegeld monatlich 500<br />

Franken, inklusive Essensgeld. Noch mehr<br />

aber zählt für ihn die Bewegung, die frische<br />

Luft, die Abwechslung, die Kameraden.<br />

«Das ist genau das, was ich brauche<br />

und was mich glücklich macht.» Auch dass<br />

es heute regnet, tut seiner guten Laune keinen<br />

Abbruch.<br />

Die Arbeitsbereiche bei Intact reichen<br />

von anspruchsvollen, selbständigen Arbeiten<br />

wie dem Hauslieferdienst bis zu niederschwelligen<br />

Arbeiten im Stundenlohn<br />

in der Recycling-Werkstatt. Die Integration<br />

in den Arbeitsmarkt steht längst nicht<br />

bei allen im Vordergrund – es geht auch<br />

um Würde, um geordnete Strukturen, um<br />

Sinn. Ein ehemaliger Mitarbeiter hat das<br />

einmal so auf den Punkt gebracht: «Hier<br />

fühle ich mich erstmals seit langer Zeit wieder<br />

als Mensch.» Anderen Ehemaligen ist<br />

es gelungen, eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt<br />

finden. Es sind aber eher wenige.<br />

Adrian Heiniger ist wieder zurück in<br />

der Velostation beim Bahnhof. Während<br />

seine Kollegen die parkierten Velos von<br />

Pendlerinnen überwachen oder Touristen,<br />

die das Emmental erkunden wollen, die<br />

Elektrovelos erklären, checkt er sein Gestell.<br />

Dort haben sich während seiner<br />

Abwesenheit mehrere Einkaufstaschen,<br />

Windelpackungen und Getränkeharassen<br />

angesammelt. Das ist <strong>ganz</strong> nach seinem<br />

Gusto, denn das einzige, was Heiniger<br />

beim Hauslieferdienst missfällt, ist, wenn<br />

es wenig zu transportieren gibt und er warten<br />

muss. <br />

•<br />

Barbara Spycher<br />

reportage 3/13 ZeSo<br />

31


Für eine ausgewogene Ernährung<br />

in Krippen, Schulen und Betrieben<br />

Fourchette verte ist ein Qualitätslabel für Gastronomiebetriebe, die gesunde, ausgewogene Mahlzeiten<br />

anbieten. Im Kanton Genf initiiert und seither kontinuierlich gewachsen, wird das Label mittlerweile auch<br />

in der Deutschschweiz vergeben, wo weitere Sektionen entstehen sollen.<br />

Fourchette verte Schweiz ist ein Non-Profit-<br />

Verein, der das Menüangebot und die Qualität<br />

der Verpflegung bei Institutionen wie<br />

Kindertagesstätten, Schulen, Mensen und<br />

Altersheimen überprüft und zertifiziert.<br />

Im Jahr 1999 mit dem Ziel gegründet, eine<br />

nationale Koordination zu erreichen, gehen<br />

die Ursprünge des Vereins auf ein Pilotprojekt<br />

aus dem Jahr 1993 im Kanton<br />

Genf zurück.<br />

Zu jener Zeit war das Interesse an der<br />

betrieblichen Gesundheitsförderung in<br />

der Schweiz noch relativ gering. An einer<br />

Weiterbildung in Schweden wurde die<br />

damalige Genfer Gesundheitsdirektorin<br />

auf ein Projekt aufmerksam, das zum Ziel<br />

hatte, Restaurants, die eine ausgewogene<br />

Ernährung anboten, mit einem Label versehen.<br />

Sie übernahm die Idee und startete<br />

eine eigene Initiative, die ihr Engagement<br />

vorerst auf Krippen, Schulen und Mittagstische<br />

fokussierte.<br />

Seither sind über 1200 Betriebe mit<br />

dem Label ausgezeichnet worden, das sich<br />

bald in weitere Regionen der Schweiz ausgebreitet<br />

hat. In der deutschsprachigen<br />

Schweiz sind die Kantone Aargau, Bern<br />

und Solothurn die ersten, die mitmachen.<br />

Auch hier verbreitet sich die Philosophie<br />

und das Label von Fourchette verte in<br />

der Anfangsphase primär über Kindertagesstätten.<br />

Aktuell sucht der Verein nach<br />

Möglichkeiten, in weiteren Kantonen der<br />

Deutschschweiz zusätzliche Sektionen aufzubauen.<br />

PLATTFORM<br />

Die <strong>ZESO</strong> bietet ihren Partnerorganisationen<br />

diese Seite als Plattform an. In dieser Ausgabe<br />

dem Verein Fourchette verte Schweiz.<br />

In Kindertagesstätten werden die Komponenten der Mahlzeiten im Teller separat angerichtet.<br />

Ernährungsspezifische Kriterien<br />

für alle Altersstufen<br />

Die Grundidee ist einfach. Gemeinschaftsgastronomiebetriebe<br />

sollen Angebote bereitstellen,<br />

die es erlauben, sich ausgewogen<br />

und abwechslungsreich zu ernähren. Ernährungsspezifische<br />

Kriterien regeln den<br />

Fett- und Proteingehalt, die Häufigkeit von<br />

Gemüse und Früchten, den Umgang mit<br />

Salz und Gewürzen und die Zubereitungsarten.<br />

Ergänzend gibt es Kriterien zur Hygiene<br />

und zur Abfalltrennung sowie Empfeh-<br />

lungen zur Auswahl von lokalen und<br />

saisonalen Produkten sowie zur Präsentation<br />

der Speisen. Für die Qualitätsüberprüfung<br />

sind diplomierte Ernährungsberaterinnen<br />

FH zuständig, die auf Wunsch auch<br />

Weiterbildungen anbieten. So kann der Verein<br />

gewährleisten, dass die Umsetzung korrekt<br />

und bedürfnisnah begleitet wird.<br />

Bei Ihren Empfehlungen unterscheidet<br />

Fourchette verte zwischen Altersstufen und<br />

der Dauer der Verpflegung. Für Kleinkinder<br />

unter vier Jahren in Kitas und in Kinder-<br />

32 ZeSo 3/13 plattform


Bild: Keystone<br />

horten wird der Fokus auf kindergerechte<br />

Portionengrössen und auf die Darreichungsform<br />

gelegt. Die einzelnen Komponenten<br />

der Mahlzeit werden zum Beispiel nicht<br />

gemischt, sondern im Teller separat angerichtet.<br />

Bei Gemeinschaftsverpflegungsbetrieben<br />

und Selbstbedienungsrestaurants<br />

stehen ein umfassendes Salat-Angebot und<br />

Gemüse in grossen Mengen im Vordergrund.<br />

Bei Altersheimen wiederum und<br />

Betrieben, die Senioren <strong>ganz</strong>tags verpflegen,<br />

wird das Vorbeugen von Mangel-<br />

ernährung speziell beachtet. Hier wird auf<br />

die Ernährungsgewohnheiten dieser Menschen,<br />

die Konsistenz der Nahrung und<br />

eine ausreichende Proteinzufuhr geachtet.<br />

Im Alltag bedeutet dies etwa, dass für<br />

Menschen mit Kauproblemen Früchte als<br />

Kompott angeboten werden.<br />

Ausrichtung auf Ernährungsstrategie<br />

<strong>2013</strong>-2016<br />

Fourchette verte Schweiz hat im vergangenen<br />

Jahr die Zusammenarbeit zwischen<br />

der Deutschschweiz und der Romandie intensiviert.<br />

Dazu werden die Grundlagendossiers,<br />

die den Betrieben abgegeben werden,<br />

neu gestaltet. Die neuen Dossiers der<br />

Kategorien «Kleinkinder» und «Junior»<br />

wurden diesen Sommer publiziert. Mittelfristig<br />

will Fourchette verte in allen Kantonen<br />

der Schweiz Fuss fassen.<br />

Bei der Überarbeitung der Dossiers wurden<br />

die Inhalte aktualisiert und mit den<br />

Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft<br />

für Ernährung abgeglichen. Zudem<br />

wurden gesetzliche Anpassungen bezüglich<br />

Nichtraucher-Zonen im Gastgewerbe<br />

übernommen und die Bestimmungen auf<br />

Basis der geltenden gesetzlichen Hygiene-<br />

Grundlagen neu formuliert. Hier wurde<br />

teilweise mit Kantonschemikern zusammengearbeitet.<br />

Mit den neuen Dossiers wird es nun<br />

auch einfacher, die Problemfelder und<br />

Handlungsstrategien, die in der Schweizer<br />

Ernährungsstrategie <strong>2013</strong>-2016 formuliert<br />

wurden, anzugehen und umzusetzen.<br />

Die Ernährungsstrategie basiert ihrerseits<br />

auf den wichtigsten Erkenntnissen aus<br />

dem 6. Schweizerischen Ernährungsbericht<br />

(vgl. www.bag.admin.ch Themen <br />

Ernährung und Bewegung).<br />

Ein gesundheitsförderndes Umfeld<br />

wird dann zur Realität, wenn Informationen<br />

klar formuliert sind, auf gesicherten<br />

Grundlagen beruhen und für die Anbieter<br />

Fourchette verte<br />

Der Verein Fourchette verte Schweiz berät<br />

Anbieter wie Krippen oder Altersheime mit<br />

Gastrobetrieben bei ernährungsbezogenen<br />

Verbesserungsprozessen. Hauptziel ist<br />

es, möglichst vielen Schweizerinnen und<br />

Schweizern eine ausgewogene Ernährung<br />

zu ermöglichen. Die Anstrengungen der<br />

Betriebe honoriert Fourchette verte mit einen<br />

Qualitäts-Zertifikat.<br />

Der Verein hat<br />

kantonale Sektionen,<br />

die auf<br />

regionaler Basis<br />

den Prozess<br />

vom Antrag<br />

des Betriebs bis<br />

zur Übergabe des<br />

Labels begleiten.<br />

Mitgliedkantone sind Aargau, Bern, Freiburg,<br />

Genf, Jura, Neuenburg, Solothurn, Tessin,<br />

Wallis und Waadt.<br />

www.fourchetteverte.ch<br />

der Gemeinschaftsverpflegung umsetzbar<br />

sind. Oder anders gesagt: Das Essverhalten<br />

kann sich erst ändern, wenn die<br />

Verhältnisse es zulassen, dass ausgewogenes<br />

Essen angeboten wird. In diesem<br />

Sinne «Guten Appetit»!<br />

•<br />

Esther Jost Honegger<br />

Koordinatorin Deutschschweiz<br />

Fourchette verte<br />

plattform 3/13 ZeSo<br />

33


Lesetipps<br />

Ratgeber zur<br />

Invalidität<br />

Ansätze zur<br />

Arbeitsintegration<br />

Wege aus der<br />

Schuldenfalle<br />

Was ist Soziale<br />

Arbeit?<br />

Wer sich mit dem Thema Invalidität<br />

auseinandersetzen muss, ist auf<br />

kompetente Informationen angewiesen.<br />

Wie wird eine Rente berechnet?<br />

Welche Hilfsmittel bezahlt die<br />

Invalidenversicherung? Und was<br />

bedeutet Frühintervention oder Wiedereingliederung?<br />

Die überarbeitete<br />

Auflage des Beobachter-Ratgebers<br />

«Invalidität» gibt dazu Antworten.<br />

Leicht verständlich informiert das<br />

Handbuch Betroffene und Angehörige<br />

über ihre Rechte und zeigt<br />

Möglichkeiten und Angebote auf,<br />

die ihnen offenstehen. Der Ratgeber<br />

beschreibt auch, wie ein<br />

IV-Verfahren abläuft und wie das<br />

Zusammenspiel mit Krankenkasse,<br />

Unfallversicherung, Pensionskasse,<br />

3. Säule und Ergänzungsleistungen<br />

funktioniert. Die Ausführungen werden<br />

mit Beispielen aus der Praxis,<br />

einem Glossar und über hundert<br />

Adressen und Links ergänzt.<br />

Das Konzept des «Supported<br />

Employment» beschreibt Ansätze<br />

zur Arbeitsintegration von Menschen<br />

mit erschwertem Zugang zum<br />

Arbeitsmarkt. Der Autor schränkt<br />

das Konzept nicht auf einzelne<br />

Zielgruppen ein: Langzeitarbeitslose<br />

kommen genauso zur Sprache<br />

wie Menschen mit Behinderungen.<br />

Das Buch untersucht das Konzept<br />

zudem im Hinblick auf die<br />

gesetzlichen und die spezifischen<br />

sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen<br />

in der Schweiz.<br />

Es richtet sich an Fachpersonen<br />

der Arbeitsintegration und andere<br />

Interessierte und bietet praxisnahe<br />

Informationen für die Diskussion<br />

und Umsetzung von Supported<br />

Employment.<br />

Das Team des Vereins Berner<br />

Schuldenberatung beschreibt in der<br />

neuen, vollständig überarbeiteten<br />

Auflage dieses Standardwerks,<br />

wie man als Fachperson in eine<br />

Schuldenberatung einsteigt und wie<br />

eine Schuldensanierung oder eine<br />

Konkursbegleitung daraus wird. Die<br />

Autoren geben zudem Antworten auf<br />

Fragen aus der Praxis: Wie führt man<br />

eine Diskussion über das Haushaltsbudget?<br />

Wann und wie tritt man<br />

an die Gläubiger heran? Und wann<br />

ist ein Privatkonkurs sinnvoll?<br />

Das Handbuch enthält diverse<br />

Diagramme, Tabellen, Formulare<br />

sowie Mustervorlagen für Briefe und<br />

Eingaben. Ein detailliertes Stichwortverzeichnis<br />

macht das Buch zum<br />

alltagstauglichen Nachschlagewerk<br />

für Praktikerinnen und Praktiker.<br />

Wie und warum entsteht Soziale<br />

Arbeit? Was sind ihre theoretischen<br />

Fundamente? Und wie beeinflussen<br />

aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen<br />

die Zukunft der Sozialarbeit?<br />

Diese und weitere Fragen diskutieren<br />

die Autorinnen und Autoren, indem<br />

sie den Traditionen und Wirkungen<br />

der Sozialarbeit nachgehen. Das<br />

Lehrbuch richtet sich sowohl an<br />

Studentinnen und Studenten als<br />

auch an Praktikerinnen und<br />

Praktiker, die eine systematische<br />

Übersicht über die wichtigsten<br />

Fragestellungen suchen und sich für<br />

die Debatte um die Wirkungsweisen<br />

und Widersprüche der Sozialarbeit<br />

interessieren.<br />

Ueli Kieser, Jürg Senn, Invalidität. Was Sie<br />

über Renten, Rechte und Versicherungen<br />

wissen müssen, 5. überarbeite Auflage,<br />

Beobachter-Edition, <strong>2013</strong>, 216 Seiten,<br />

CHF 38.–<br />

ISBN 978-3-85569-655-0<br />

Daniel Schaufelberger, Peter Mösch Payot,<br />

Supported Employment.<br />

Arbeitsintegration für Personen mit<br />

erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt,<br />

Interact, <strong>2013</strong>, 144 Seiten, CHF 33.–<br />

ISBN: 978-3-906036-09-0<br />

Berner Schuldenberatung (Hrsg.),<br />

Schulden - was tun? Der Weg aus der<br />

Schuldenfalle, 4. aktualisierte Auflage,<br />

Edition Soziothek, <strong>2013</strong>, 156 Seiten,<br />

CHF 46.–<br />

ISBN 978-3-03796-500-9<br />

Sabine Hering (Hrsg.), Was ist Soziale<br />

Arbeit? Traditionen, Widersprüche,<br />

Wirkungen. Verlag Barbara Budrich, <strong>2013</strong>,<br />

252 Seiten, CHF 41.–<br />

ISBN 978-3-8474-0082-0<br />

34 ZeSo 3/13 service


Kriminalisierung<br />

von Armut<br />

Die Studie des französischen Soziologen<br />

Loïc Wacquant analysiert<br />

die Zusammenhänge zwischen<br />

Sicherheit und Armut sowie<br />

zwischen Strafverfolgung und<br />

sozialer Wohlfahrt. Am Beispiel der<br />

Entwicklung der Wohlfahrts- und<br />

Strafverfolgungspolitik der USA in<br />

den letzten zwei Jahrzehnten zeigt<br />

er auf, dass Menschen, die durch<br />

die Folgen der Globalisierung, durch<br />

die Deregulierung der Wirtschaft,<br />

die Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen<br />

und den Rückbau<br />

der sozialen Sicherung auf dem<br />

Weg des sozialen Abstiegs sind,<br />

überdurchschnittlich häufig vor<br />

Gericht stehen. Die Studie kommt<br />

zum Schluss, dass gesellschaftliche<br />

Problemgruppen im Zeitalter<br />

des Neoliberalismus zunehmend<br />

kriminalisiert und weggesperrt<br />

werden.<br />

Loïc Wacquant, Bestrafen der Armen.<br />

Zur neoliberalen Regierung der sozialen<br />

Unsicherheit, 2. Auflage, Verlag Barbara<br />

Budrich, <strong>2013</strong>, 359 Seiten, CHF 41.–<br />

ISBN 978-3-8474-0121-6<br />

Umgang mit digitalen<br />

Medien<br />

Das SJW-Heft «Ist da jemand?»<br />

bietet Schülerinnen und Schülern<br />

ab 11 Jahren einfach verständliche<br />

Informationen und viele konkrete<br />

Tipps zum Umgang mit digitalen<br />

Medien. Thematisch wird ein breites<br />

Spektrum abgedeckt: von der<br />

Geschichte des World Wide Web über<br />

soziale Netzwerke und Games bis<br />

zu Cybermobbig. Ein besonderes<br />

Augenmerk richtet das Heft auf<br />

Sicherheitsfragen: Wie erkennt man<br />

gefährliche Websites? Was muss<br />

beim Erstellen eines Facebook-<br />

Accounts beachtet werden? Und was<br />

kann man bei drohendem Cybermobbing<br />

tun? Ein kurzer Comic führt<br />

jeweils ins Thema ein, ein Text liefert<br />

das Hintergrundwissen und ein<br />

Glossar rundet die Kapitel ab. Damit<br />

stellt das Heft für Lehrerinnen und<br />

Leher sowie für Eltern einen guten<br />

Ausgangspunkt dar, mit Jugendlichen<br />

die Spielregeln im Internet zu<br />

diskutieren.<br />

Bettina Wegenast, Judith Zaugg, Ist da<br />

jemand? Umgang mit digitalen Medien,<br />

SJW Schweizerisches Jugendschriftenwerk,<br />

32 Seiten, CHF 5.–<br />

ISBN 978-3-7269-0610-8<br />

veranstaltungen<br />

Schulden und Sozialstaat<br />

Der Staat sichert durch seine Sozialleistungen die materielle<br />

Existenz bedürftiger Menschen. Er wird aber gegenüber Menschen<br />

in Armut und Verschuldung oft auch zum Gläubiger, etwa<br />

wenn Steuern oder Krankenkassenbeiträge nicht mehr bezahlt<br />

werden können. So können beim Sozialstaat unterstützende<br />

und fordernde Interessen aufeinanderprallen. Die nationale<br />

Fachtagung zur Schuldenberatung in der Sozialarbeit beleuchtet<br />

diesen Interessenkonflikt. Es werden Wege aufgezeigt, wie im<br />

Arbeitsalltag mit der Verschuldung im Sozialstaat umgegangen<br />

werden kann.<br />

Forum Schulden: Schuldenberatung in der Sozialen Arbeit<br />

Donnerstag, 7. November <strong>2013</strong>, Campus der FHNW, Olten<br />

www.forum-schulden.ch<br />

Sozialstaat: Standortvorteil für die<br />

Schweiz?<br />

Die Finanz- und Wirtschaftskrise in den USA und in Europa stellt<br />

die Systeme der sozialen Sicherheit vor grosse Herausforderungen.<br />

Sie verstärkt auch in der Schweiz die Zweifel an der<br />

finanziellen Tragbarkeit und der Effizienz des Sozialstaats. Mit<br />

Blick auf die Schweiz stellt die Schweizerische Vereinigung für<br />

Sozialpolitik (SVSP) an der Jahrestagung <strong>2013</strong> die Frage, ob<br />

denn nicht gerade die soziale Sicherheit eine wichtige Grundlage<br />

für den wirtschaftlichen Erfolg sei.<br />

SVSP-Jahrestagung: Sozialstaat – Standortvorteil für die Schweiz?<br />

Donnerstag, 19. September <strong>2013</strong>, Hotel Bern<br />

www.svsp.ch<br />

Ausländerinnen und Ausländer in der<br />

Sozialhilfe<br />

Staatsverträge, Asyl- und Ausländerrecht und kantonales Sozialhilferecht:<br />

Verschiedene Rechtsgebiete prägen die Anwendung<br />

der Sozialhilfe für Ausländerinnen und Ausländer. Sowohl das<br />

Migrationsrecht wie auch das Sozialhilferecht ermöglichen<br />

erhebliche Eingriffe in das Leben der Betroffenen. Gleichzeitig<br />

spielen in beiden Rechtsbereichen Spielräume und Ermessen<br />

eine grosse Rolle. Dies führt oft zu Unsicherheiten. Die Luzerner<br />

Tagung verschafft eine Übersicht über die rechtlichen Rahmenbedingungen<br />

zur Bemessung und Ausgestaltung der Sozialhilfe<br />

für Ausländerinnen und Ausländer und zeigt auf, was dabei in<br />

der Praxis zu beachten ist.<br />

Luzerner Tagung zum Sozialhilferecht<br />

Ausländerinnen und Ausländer in der Sozialhilfe<br />

Donnerstag, 24. Oktober <strong>2013</strong>, Hochschule Luzern<br />

www.hslu.ch/sozialearbeit<br />

service 3/13 ZeSo<br />

35


Ist im sozialen Bereich lieber konkret aktiv: Debora Buess mit Flyer für die Solikarte. <br />

Bild: Martina Huber<br />

Die Punktesammlerin<br />

Die Idee für die Solikarte kam Debora Buess, als sie an einer Migros-Kasse jobbte. Die Gutscheine,<br />

die durch die vielen solidarischen Cumulus-Karten zusammenkommen, werden an Organisationen<br />

weitergegeben, die sich für Sans-Papiers und Nothilfe-Bezüger einsetzen.<br />

Die Gutscheine für ihre Cumulus-Punkte<br />

bekommt Debora Buess unterdessen in einem<br />

kleinen Paket zugestellt – in einem<br />

Couvert hätten sie nicht mehr Platz, so viele<br />

sind es. So schickte ihr die Migros für die<br />

Monate Februar und März Bons im Wert<br />

von 13 645 Franken, für April und Mai waren<br />

es 23 840. «Ich zähle immer gleich<br />

nach, ob es stimmt», sagt die 22-jährige Ostschweizerin.<br />

Danach teilt sie die Bons auf<br />

und verschickt sie an Organisationen in der<br />

<strong>ganz</strong>en Schweiz, die sich für Sans-Papiers<br />

und Nothilfe-Bezüger einsetzen. Diese wiederum<br />

geben sie entweder direkt ab oder<br />

verwenden sie, um beispielsweise Essen für<br />

Mittagstische oder Schulmaterial zu kaufen.<br />

wegung Solidaritätsnetz Ostschweiz hatte<br />

Buess von nah erlebt, wie schwierig es insbesondere<br />

abgewiesene Asylsuchende haben.<br />

«Die erhalten zwischen drei und acht Franken<br />

am Tag. Davon kann man eigentlich gar<br />

nicht leben», sagt sie. Sie kenne Leute, die<br />

seit über zehn Jahren in der Schweiz sind,<br />

keine Aufenthaltsbewilligung haben, wegen<br />

Krieg aber nicht in ihre Heimat zurückkehren<br />

können. Viele leben in Bunkern. «Ich<br />

finde das schockierend. Jede Person hat das<br />

Recht auf ein menschenwürdiges Leben,<br />

egal woher sie kommt und warum sie sich in<br />

der Schweiz befindet.»<br />

Handeln statt studieren<br />

Etwas im sozialen Bereich zu studieren<br />

kam für die Ostschweizerin nicht in Frage:<br />

«Mich fasziniert die Natur und die Erde genauso<br />

wie der Mensch. Im sozialen Bereich<br />

bin ich lieber konkret aktiv.» So schrieb sie<br />

sich für ein umweltwissenschaftliches Studium<br />

an der Uni Lausanne ein und wechselte<br />

später auf Geologie. Und begann daneben,<br />

ihre Cumulus-Karte zu kopieren<br />

und an Freunde und Bekannte zu verteilen.<br />

Die Idee begeisterte und wurde bald<br />

über die Ostschweiz hinaus bekannt. Zwei<br />

Kolleginnen dehnten das Projekt 2011 auf<br />

den Raum Zürich aus, heute sind auch in<br />

Bern, Basel, Luzern, Aargau, im Tessin und<br />

in der Romandie zahlreiche Sammler mit<br />

Idee kam an der Migros-Kasse<br />

Alles begann im Sommer 2009. Buess hatte<br />

die Matura bestanden und jobbte während<br />

vier Monaten in der Migros Kronbühl in<br />

Wittenbach (SG). Sie stand täglich hinter<br />

der Kasse und fragte hunderte von Kunden<br />

nach ihrer Cumulus-Karte. «Da wurde mir<br />

bewusst, wie viele Punkte zusammenkommen<br />

könnten, wenn viele gemeinsam sammeln»,<br />

sagt sie. Die Idee für die Solikarte war<br />

geboren: Eine unpersönliche Chipkarte, die<br />

die Cumuluspunkte auf ein Sammelkonto<br />

überschreibt (www.solikarte.ch). Und es so<br />

erlaubt, ohne viel Aufwand Bedürftigen zu<br />

helfen. Während ihrer Tätigkeit bei der Beeiner<br />

Solikarte unterwegs, die ein Grafikerbüro<br />

entworfen hat. Je 20 000 Karten und<br />

Flyer gingen letzten Sommer in Druck. Die<br />

mit Strichcode ausgestatteten Flyer gingen<br />

so schnell weg, dass im Februar weitere<br />

40 000 gedruckt wurden. Kisten voller<br />

Material lagern im Keller von Buess und<br />

warten darauf, verschickt zu werden. «Im<br />

Moment bestellen wöchentlich etwa 50<br />

Leute Flyer oder Karten», sagt sie.<br />

Zwischendurch sah es einmal nicht so<br />

gut aus: Im Februar 2012 kündigte die<br />

Migros in einem Brief an, sie werde das<br />

Konto sperren, Cumulus-Karten seien für<br />

Einzelpersonen oder -haushalte gedacht.<br />

«Wir haben lange verhandelt, hin- und<br />

hergeschrieben, argumentiert», erzählt<br />

Buess. Nachdem sich auch die Medien<br />

eingeschaltet hätten, habe die Migros im<br />

Sommer 2012 eingelenkt und die Karte<br />

erlaubt. Dennoch stehen nun wieder Verhandlungen<br />

an: Der Grossverteiler möchte<br />

die gemeinsame Karte abschaffen und dafür<br />

allen die Möglichkeit geben, die Punkte<br />

via Internet auf das Konto des Projekts zu<br />

überweisen. «Diese Möglichkeit wäre schon<br />

gut», sagt Buess. Aber nur, wenn sie zusätzlich<br />

zur Solikarte bestünde. Sorgen macht<br />

sie sich keine: «Das schaffen wir auch dieses<br />

Mal.»<br />

•<br />

Martina Huber<br />

36 ZeSo 3/13 porträt


Gute Perspektiven<br />

für Fachleute der Sozialen Arbeit<br />

4 Fachhochschulen – 1 Master of Science<br />

Teilzeit- oder Vollzeitstudium / Start im September und Februar<br />

Vertiefungsrichtungen<br />

Gesellschaftlicher Wandel und die Organisation Sozialer Arbeit<br />

Sozialpolitik und Sozialökonomie<br />

Professions- und Methodenentwicklung<br />

Soziale Probleme, soziale Konflikte und Lebensführung<br />

www.masterinsozialerarbeit.ch<br />

Weiterbildung für die Kompetenzen von morgen<br />

Die Hochschule für Soziale Arbeit FHNW bietet wissenschaftlich fundierte und praxisnahe Weiterbildungen<br />

mit hohem Qualitätsstandard an. Sie verbindet Praxisnähe und Anwendungsorientierung mit<br />

theoretischer Fundierung und gezieltem Einbezug von aktuellen Forschungsergebnissen. Ziel ist eine<br />

optimale Qualifikationsmöglichkeit für berufliche Herausforderungen.<br />

Die inhaltlichen Schwerpunkte unserer Angebote sind vielfältig:<br />

– Behinderung und Integration – Forschung – Migration<br />

– Beratung und Coaching – Gesundheit – Praxisausbildende in der Sozialen Arbeit<br />

– Change Management – Joint European Master – Recht<br />

– Eingliederungsmanagement – Kinder und Jugendliche – Sozialmanagement<br />

– Ethik – Methoden – Stadtentwicklung<br />

Kontakt und Information<br />

weiterbildung.sozialearbeit@fhnw.ch | T +41 (0)848 821 011 | www.fhnw.ch/sozialearbeit/weiterbildung<br />

Fachhochschule Nordwestschweiz | Hochschule für Soziale Arbeit | Riggenbachstr. 16 | 4600 Olten


Angebote, die wirken!<br />

Flexible und praxisorientierte Kurse, Studiengänge und Dienstleistungen<br />

für Fachpersonen und Organisationen der Sozialen Arbeit<br />

Durch<br />

blick<br />

CAS Soziale Arbeit in<br />

der Sozialhilfe [neu]<br />

Ziel des Studiengangs ist es, den<br />

Bedarf der Haupt-Risikogruppen zu<br />

erkennen und professionelle Interventionsstrategien<br />

zu entwickeln.<br />

Infoveranstaltungen:<br />

– 10.9.<strong>2013</strong>, 17.45-19.15 Uhr<br />

– 20.11.<strong>2013</strong>, 17.45-19.15 Uhr<br />

Web-Code: C-SOZ-9<br />

soziale-arbeit.bfh.ch/weiterbildung<br />

Quick-Scan Qualität: Gründliche<br />

Analyse für Sozialdienste<br />

Mittels Online-Befragung kö nnen<br />

Sie die Qualitä t Ihres Sozialdienstes<br />

abfragen – schnell und<br />

umfassend. Die Auswertung<br />

in einem Gesprä ch und einem<br />

Workshop erfolgt unter der<br />

Leitung des Kompetenzzentrums<br />

Qualitä tsmanagement der BFH.<br />

Informationen und Demoversion:<br />

qm.bfh.ch/quick-scan<br />

‣ Soziale Arbeit<br />

130729_Inserat_Zeso_3_<strong>2013</strong>_2.indd 2 31.07.<strong>2013</strong> 11:28:02<br />

Weiterdenken? Weiterbilden!<br />

Inspiration aus unserem Weiterbildungsprogramm:<br />

MASTER OF ADVANCED STUDIES (MAS)<br />

MAS in Management of Social Services<br />

Der MAS besteht aus drei Zertifikatslehrgängen<br />

(CAS), die auch einzeln besucht werden können:<br />

• CAS Führung im Kontext des psychosozialen<br />

Bereichs, Oktober <strong>2013</strong><br />

• CAS Sozialpolitik, April 2014<br />

• CAS Sozialmanagement, Oktober 2014<br />

MAS in Social Informatics<br />

Der MAS besteht aus drei Zertifikatslehrgängen<br />

(CAS), die auch einzeln oder in Modulen als Seminare<br />

besucht werden können:<br />

• CAS Medienpädagogik, Mai 2014<br />

• CAS Online Services, April 2015<br />

• CAS Informatik-Projektleitung, auf Anfrage<br />

CERTIFICATE OF ADVANCED STUDIES (CAS)<br />

• Coaching, September <strong>2013</strong><br />

• Brennpunkt Kindesschutz, Oktober <strong>2013</strong><br />

• Case Management, Oktober <strong>2013</strong><br />

• Kreativ Beraten, November <strong>2013</strong><br />

• Soziale Arbeit mit gesetzlichem Auftrag,<br />

März 2014<br />

SEMINARE<br />

• Querdenken, Oktober <strong>2013</strong><br />

• Elternaktivierung, November <strong>2013</strong><br />

• Coaching, November <strong>2013</strong><br />

• Erwachsenenschutzrecht, November <strong>2013</strong><br />

• Trainingswerkstatt Konfliktvermittlung,<br />

November <strong>2013</strong><br />

• Kindesrecht, Januar 2014<br />

Details zu diesen und weiteren Angeboten unter www.fhsg.ch/weiterbildung<br />

FHS St.Gallen, Weiterbildungszentrum WBZ-FHS, Rosenbergstrasse 59, 9000 St.Gallen<br />

+41 71 226 12 50, weiterbildung@fhsg.ch<br />

FHO Fachhochschule Ostschweiz www.fhsg.ch

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