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soziologie heute Juni 2016

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sah, andererseits historisch-methodisch<br />

sich auf Max Weber ausgerichtet<br />

hatte, so war Rosenmayr in den<br />

USA durch die Begegnung mit Paul<br />

Lazarsfeld in eine völlig andere Sozialwissenschaft<br />

eingeführt worden.<br />

Und die Soziologie im „Nachkriegs-<br />

Deutschland“ hatte von Beginn an<br />

sich in eine empirische und in eine<br />

geisteswissenschaftliche Richtung<br />

getrennt.<br />

Praxisorientierte Forschung<br />

Rosenmayr sah früh ebenfalls die<br />

Vorteile einer empirischen Richtung<br />

für eine praxisorientierte Forschung.<br />

Allerdings hatte er das Thema seiner<br />

anfänglichen Forschungen eher<br />

zurückhaltend auf spezifi sch sozialpolitische<br />

Fragen abgestellt wie<br />

Lazarsfeld vor 1938. Somit waren<br />

Familien- und Jugend<strong>soziologie</strong> die<br />

dominanten Themen, die gleichzeitig<br />

auch bei René König und Helmut<br />

Schelsky im Mittelpunkt des<br />

Interesses standen. In Berücksichtigung<br />

einer Politik für Jugend und<br />

Jugendwohlfahrt, die die Stadt Wien<br />

immer deutlicher unterstützt hatte,<br />

begann er die Arbeitswelt der Jugendlichen<br />

zu untersuchen. In diese<br />

Untersuchungen waren schließlich<br />

die neuen Dimensionen der Sozialpsychologie<br />

einbezogen worden<br />

und bestätigten die Aussagen David<br />

Riesmans über die „einsame<br />

Masse“. Das methodische Vorgehen<br />

hatte bei Rosenmayr stets eine<br />

realistische Grundlage, da er bei<br />

allen seinen reichen Forschungen<br />

zuerst einmal das persönliche Erleben<br />

gesellschaftlicher Problemlagen<br />

gleichsam als Praxisrelevanz voranstellte.<br />

Nachdem er seine Familie in<br />

den 50er Jahren gegründet hatte,<br />

war er Familiensoziologe geworden,<br />

während des Heranwachsens seiner<br />

Kinder hierauf Jugendsoziologe, um<br />

schließlich im fortgeschrittenen Alter<br />

sich der Alters<strong>soziologie</strong> zu widmen.<br />

Diese Neigung zum „Realismus“<br />

oder zum persönlich erfahrenen<br />

Realitätsbezug war eine legitime Begründung<br />

seiner wissenschaftlichen<br />

Neugier. Selten war er in seinen Aufzeichnungen<br />

gleichsam archivalisch<br />

vorgegangen, doch darin zeigte er<br />

speziell in der Dokumentation der<br />

Jugendpsychiatrie und Psychoanalyse<br />

in Österreich nach 1918 seine<br />

beeindruckende Einschätzung.<br />

Leopold Rosenmayr hatte nach der<br />

immer besseren Ausstattung des<br />

soziologischen Institutes während<br />

der 70er Jahre buchstäblich seine<br />

betriebsame „Forschungsstelle“<br />

ausgeweitet, die er im Geist Paul<br />

Lazarsfelds organisierte - hatte also<br />

gleichsam eine arbeitsteilige Wissensproduktion<br />

in Gang gesetzt. Nun<br />

war es ein Wissenschaftsbetrieb innerhalb<br />

des Institutes geworden und<br />

somit nicht mehr eine affi liierte Forschungseinrichtung<br />

an einer Universität.<br />

Trotz der Schwierigkeiten, die<br />

sich sowohl durch die Neuorganisation<br />

der Universität ab 1972 ergeben<br />

haben, als auch durch die Wiener<br />

Spielart von Studentenprotest, war<br />

Rosenmayr ein unbeirrter Arbeiter<br />

geblieben und hatte mit viel diplomatischem<br />

Geschick „sein“ Institut<br />

durch unruhige Zeiten gesteuert. Obwohl<br />

man in Wien weit davon entfernt<br />

blieb, so hätte natürlich das Fach<br />

Soziologie ein Ziel der Provokationen<br />

wie in Paris sein können. Durch<br />

die Drittelparität der „Berufsstände“<br />

in den universitären Gremien waren<br />

die Entscheidungsmechanismen der<br />

Universität nachdrücklich verändert<br />

worden, weshalb man eine ähnliche<br />

Konfl iktaustragung und „Demonstrationskultur“<br />

wie in Berlin oder<br />

Frankfurt hätte erwarten können.<br />

Allerdings beschränkte sich die Wiener<br />

Revolte auf die Defäkation eines<br />

Hörsaales. Rosenmayr hatte damals<br />

für anarchistischen oder ähnlichen<br />

Aktionismus wenig Verständnis, sah<br />

darin eine bittere Vergeudung von<br />

Zeit und Geld.<br />

Ideologisierte Soziologie<br />

Mit diesen veränderten Verhältnissen<br />

an der Universität und in deren<br />

intellektuellen Umwelt war ausgerechnet<br />

sein fachliches Selbstverständnis<br />

in Misskredit gekommen,<br />

was ihn erheblich verletzt hatte.<br />

Hatte er bislang die Auffassung<br />

vertreten, an der Wiedergeburt der<br />

neuen und empirischen Soziologie<br />

in Mitteleuropa beteiligt gewesen zu<br />

sein, vielleicht auch deshalb Bedenken<br />

gegenüber den Richtungen der<br />

Frankfurter Schule nicht ausdrücklich<br />

formulieren zu müssen, so war<br />

dennoch eine Schwächung der „institutionalisierten“<br />

Sozialforschung<br />

eingetreten. Soziologie war inzwischen<br />

eine Weltanschauungsproduzentin<br />

geworden, hatte sogar ihre<br />

Ideologisierung in Kauf genommen,<br />

aber für die empirische Sozialforschung<br />

war der bei weitem größere<br />

Rückschlag, ab nun im Schatten von<br />

kommerziellen Meinungs- Marktund<br />

Wirtschaftsforschungsinstituten<br />

zu stehen. Rosenmayr musste zur<br />

Kenntnis nehmen, in Österreich in<br />

derartigen Forschungen nicht mehr<br />

konkurrenzlos zu sein und vielleicht<br />

erleichterte es seinen Entschluss,<br />

sich auf Sozialgerontologie und Altenforschung<br />

zu konzentrieren.<br />

Bis dahin gelang es ihm mit wechselndem<br />

Erfolg zwischen den „Fronten“<br />

der Standesvertretungen und<br />

Gremien der Fakultät und des Institutes<br />

zu vermitteln, für Absurditätsminimierung<br />

am Institut und in der<br />

Fakultät zu sorgen, was ihm schließlich<br />

mit der Einrichtung eines unabhängigen<br />

„Boltzmann Institutes für<br />

Sozialgerontologie und Lebenslaufforschung“<br />

am Institut gelungen war.<br />

Allerdings war das wie ein Rückzug<br />

aus der Repräsentanz seiner wissenschaftlichen<br />

Position am Institut erschienen.<br />

Diese Korrektur verdankte<br />

er seinem Talent, unbeirrt ein Ziel<br />

zu verfolgen, für sich Freiräume zu<br />

schaffen, was er sich offensichtlich<br />

während seines Militärdienstes in<br />

Griechenland als Dolmetscher angeeignet<br />

zu haben schien, wie er es<br />

auch in seinen Erinnerungen an die<br />

Kriegszeit beschrieben hatte: Nach<br />

außen stets konziliant, gesprächsbereit,<br />

hatte er hingegen am Institut<br />

eine straffe Organisation durchgesetzt.<br />

Diese Fertigkeit zur Emanzipation<br />

gegenüber einer „Behörden-<br />

Universität“ neueren Zuschnitts<br />

samt deren Tendenz zur Kommerzialisierung<br />

der Wissensangebote<br />

<strong>Juni</strong> <strong>2016</strong> <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> 33

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