soziologie heute Juni 2016
Das erste und einzige illustrierte soziologische Fachmagazin im deutschen Sprachraum. Wollen Sie mehr über Soziologie erfahren? www.soziologie-heute.at
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erwies sich erstmals notwendig.<br />
Also erlaubte diese perfektionierte<br />
Beschaffung von „Drittmittel“ fürs<br />
Boltzmann-Institut eine eigenständige<br />
Forschung, freilich unter der<br />
Voraussetzung, künftig würden nur<br />
„halb private“ und „außeruniversitär<br />
institutionalisierte“ Forschungsstätten<br />
an den Universitäten reüssieren<br />
können. Auf der anderen Seite<br />
schien damit die universitäre Lehre<br />
und Ausbildung zunehmend auf einen<br />
über die Disziplin gebreiteten<br />
und standardisierten Wissenskanon<br />
eingeengt. Rosenmayr war es<br />
gelungen, gerade mit der von ihm<br />
initiierten Ausweitung des Institutes<br />
auf drei Lehrkanzeln wenigstens nominell<br />
die proklamierte Lebenskraft<br />
von Forschung und Lehre am Institut<br />
zu repräsentieren. Er selbst sah sich<br />
darin hinreichend integriert, sollten<br />
seine genuinen wissenschaftlichen<br />
Intentionen in der Lehrplangestaltung<br />
ausreichend berücksichtig worden<br />
sein.<br />
Unbestrittene Reputation<br />
Nun darf nicht vergessen werden,<br />
dass Rosenmayr noch zu jener Generation<br />
von Professoren zählte,<br />
die über ein stupendes Wissen verfügten.<br />
Ein Blick in seine Bibliothek<br />
lehrte, dass von Philosophie bis<br />
Ethnologie, Geschichte bis Altphilologie,<br />
Theologie bis Pädagogik eine<br />
eindrucksvolle Sammlung entstanden<br />
war, die natürlich regelmäßig<br />
mit zeitgenössischer Dichtung ergänzt<br />
wurde. Und ein Blick in diese<br />
Bücher zeigte einen notorischen wie<br />
aufmerksamen Leser, der all das<br />
mit Rotstift Markierte und Rezipierte<br />
umgehend ins Denken „implantierte“.<br />
Dieser Tüchtigkeit im Überblick verdankte<br />
er seine unbestrittene Reputation.<br />
Durch ihn war der österreichischen<br />
Soziologie wieder ein Schritt<br />
in die Internationalität gelungen,<br />
deren Ruf zuvor die Emigranten geschaffen<br />
hatten. Immerhin hatte er<br />
sich aus dem schweren Konfl ikt im<br />
Fach zwischen Kritischer Theorie<br />
und Kritischem Rationalismus recht<br />
gut herausgehalten. So war er weder<br />
bereit gewesen, dieser Version<br />
„linker“ Wissens<strong>soziologie</strong> rund um<br />
Frankfurter Schule zu folgen, noch<br />
war er von den Versuchen einer sozialwissenschaftlichen<br />
Formalisierung<br />
nachhaltig beeindruckt. Den Positivismus-Streit<br />
ab 1968 bis 1975<br />
hatte er mit grundsätzlicher Distanz<br />
verfolgt, ja dieser widersprach seinem<br />
Realismus und Pragmatismus.<br />
In diesem Punkt war er weit mehr in<br />
einer österreichischen Tradition verblieben,<br />
deren politische Vernunft<br />
ein Pragmatismus war. Diese Affi nität<br />
zum Österreichischen wird zwar<br />
selten thematisiert, aber darin hatte<br />
Rosenmayr immer wieder die Studien<br />
von Friedrich Heer bewundert, ja<br />
hatte sich in ihnen auch beheimatet<br />
gefühlt. Gegenwärtig wird dieser<br />
Wissenschaftsstil im Österreichischen<br />
durch eine unverständliche<br />
wie einseitige Berufungspolitik nachgerade<br />
ausgelöscht. Vermutlich wird<br />
es einmal ein ähnliches Ergebnis<br />
zeitigen wie die problematische Berufung<br />
deutschnationaler Professoren<br />
nach 1860 an die Universitäten<br />
der Donaumonarchie. Rosenmayr<br />
hatte hier stets ein ungebrochenes<br />
Selbstbewusstsein, das gegenüber<br />
dem „Deutschen“ keinen „Minderwertigkeitskomplex“<br />
gekannt hatte.<br />
Damit sah er sich auch mit Ernst<br />
Topitsch verbunden, auch wenn er<br />
mit dessen Entwurf zur Ideologiekritik<br />
eher nur sympathisierte als in ihr<br />
eine Grundlage zur Wissenschaftstheorie<br />
zu sehen.<br />
Bibliothek in Keller gekramt<br />
Bis in die 80er Jahre war Rosenmayr<br />
seinen Forschungsthemen treu geblieben.<br />
In seinen Augen hatte die<br />
Soziologie vermutlich den Sinn, zu<br />
raten und zu empfehlen. Eine behutsame<br />
wie humane Lenkung der<br />
Gesellschaft war ihm gewiss ein<br />
Anliegen gewesen, wobei er eine<br />
grundsätzliche Kritik am Verwertungszusammenhang<br />
von Wissenschaft<br />
nicht geteilt hätte.<br />
Mit dem Tod Leopold Rosenmayrs<br />
ist auch die prekäre Eigenschaft der<br />
Nachkriegsuniversität zu Ende gegangen.<br />
Sie wird nicht allein an der<br />
gelungenen oder misslungenen Bewältigung<br />
des Nationalsozialismus<br />
zu bewerten sein. Als müsse es dafür<br />
ein Symbol geben, schlummert<br />
Rosenmayers Bibliothek seit seinem<br />
Tod endgültig im Wiener Institutskeller<br />
einer ungewissen Zukunft entgegen.<br />
Ebenso sind am Institut selbst<br />
die Wissenschaftstraditionen und<br />
Kontinuitäten des Denkens nicht<br />
mehr präsent, woran sich Leopold<br />
Rosenmayr schließlich gebunden<br />
fühlte. Erstaunlich schnell waren seine<br />
Spuren nach seiner Emeritierung<br />
verwischt worden.<br />
Selbst in Berücksichtigung von Eigenschaften,<br />
die eine Zusammenarbeit<br />
mit ihm am Institut zuweilen<br />
außerordentlich belastet hatten, so<br />
wird man in Zukunft dennoch Wissenschaftler<br />
wie Leopold Rosenmayr<br />
wieder benötigen, sollte in Europa<br />
der Geist einer Universität wieder<br />
erwünscht sein. An diesen Geist der<br />
Freiheit und intellektuellen Rechtschaffenheit<br />
wird man sich erinnern<br />
müssen, sollte man nach der geistigen<br />
Dürre im Bologna-Prozess mehr<br />
erwarten wollen als eine in Fachhochschulen<br />
zur konformistischen<br />
Schleppenträgerin für subalterne<br />
Bürokratien oder ökonomische Interessen<br />
denaturierte Wissenschaft.<br />
***<br />
Ao. Univ.-Prof. i.R. Dr. Reinhold Knoll lehrt<br />
am Institut für Soziologie in Wien. Er ist<br />
der Sohn von August M. Knoll, dem ersten<br />
Ordinarius für Soziologie nach 1945<br />
in Österreich, in dessen Nachfolge Leopold<br />
Rosenmayr 1964 berufen wurde.<br />
Fotocredit: Joanna Pianka<br />
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