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soziologie heute Juni 2011

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<strong>Juni</strong> <strong>2011</strong> <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> 33<br />

Übergewicht und im Extremfall Adipositas<br />

begegnen Gesundheitsexperten<br />

mit Nahrungsumstellung<br />

und auch Bewegung, in schwierigen<br />

Fällen erscheint zuerst ein chirurgischer<br />

Eingriff (Magenverengung) erforderlich.<br />

Für Außenstehende stellen<br />

sich zuerst folgende, vielleicht<br />

banal klingende Fragen: Wie konnte<br />

es zu diesen extremen Fällen von<br />

Übergewicht kommen? Veränderte<br />

sich die Kleidergröße innerhalb weniger<br />

Tage oder gilt letztlich der altbekannte<br />

Spruch: Ist die Figur erst<br />

mal ruiniert, lebt’s sich frisch und<br />

ungeniert. Wie hat das engste soziale<br />

Umfeld auf die doch offensichtliche<br />

körperliche Veränderung reagiert,<br />

sind wir vielleicht alle co-adipös?<br />

Hilft ein Mehr an Bewegung das<br />

Gewicht zu reduzieren? Schon vor<br />

30 Jahren war bekannt, dass der<br />

Kalorienverbrauch bei sportlicher<br />

Betätigung nicht überdimensional<br />

ist, kurzfristig allerdings Botenstoffe<br />

ausgeschüttet werden, die zu<br />

Glückgefühlen führen und damit das<br />

Hungergefühl senken. Auch regt körperliche<br />

Betätigung das Herz-Kreislaufsystem<br />

an und trägt zum Erhalt<br />

bzw. zur Stärkung der Muskulatur<br />

bei. Beide Faktoren beeinflussen unsere<br />

Gesundheit positiv. Um Übergewicht<br />

zu „bekämpfen“, müssen also<br />

die Lebensgewohnheiten, vor allem<br />

das Essverhalten, verändert werden.<br />

An viel Obst und noch mehr Gemüse<br />

mit wenig Fett führt also im Falle des<br />

Übergewichts kein Weg vorbei.<br />

Hier drängt sich einigen kritischen<br />

Konsumenten wahrscheinlich folgende<br />

Frage auf: Wie gesund ist „unser“<br />

Obst und Gemüse (noch)? Einige<br />

alltägliche Erfahrungen mögen<br />

die erwähnte Skepsis verdeutlichen:<br />

Vor den vollen Obstregalen „laden“<br />

beispielsweise Erdbeeren aus einem<br />

europäischen Nachbarland zur Mitnahme<br />

ein. Einer genauen Beäugung,<br />

- sie sind dunkelrot-, und einem Geruchstest,<br />

- sie duften herrlich aromatisch<br />

-, halten sie stand. Keine 24<br />

Stunden später hat sich diese Wahrnehmung<br />

allerdings als undurchsichtiger<br />

Marketinggag entpuppt.<br />

Schimmelstellen und geruchsneutrales<br />

Aroma machen den Verzehr der<br />

erworbenen Erdbeeren fast zu einer<br />

Qual! Es drängt sich somit folgende<br />

Frage auf: Kann diese Art von Obst<br />

denn überhaupt gesund sein? Ist es<br />

nicht doch besser, anstelle dessen<br />

eine Vitamintablette zu sich zu nehmen?<br />

Ähnliche Beispiele finden sich<br />

tausendfach: steinharte Birnen/Äpfel<br />

und Brot, das nach einem Tag entweder<br />

bretthart oder gummiartig erscheint.<br />

Soweit Altbekanntes durch<br />

ähnlich gelagerte Erfahrungen. Was<br />

aber verbirgt sich dahinter?<br />

Leider hat die Kommerzialisierung<br />

der Lebensmittel böse Folgen für<br />

unsere Existenz, auf welche bis dato<br />

wenig hingewiesen wird. Biologische<br />

Produkte, soweit es diese aufgrund<br />

der verschmutzten Luft und der verunreinigten<br />

Böden überhaupt noch<br />

gibt, sind teuer und werden von vielen<br />

gesellschaftlichen Gruppen als<br />

Luxus empfunden. Als individueller<br />

homo oeconomicus kann jede/r ihre/<br />

seine Präferenzen entsprechend<br />

dem wahrgenommenen Nutzen setzen.<br />

Problematisch wird es aber,<br />

wenn die materielle Absicherung<br />

des Individuums unzureichend ist.<br />

Bereits Jahoda, Lazarsfeld und Zeisl<br />

konnten den Zusammenhang zwischen<br />

finanzieller Ausstattung des<br />

Haushalts und der Qualität der Jausen<br />

von Schulkindern in ihrer Studie<br />

„Die Arbeitslosen von Marienthal“<br />

nachweisen. Dass sich auch <strong>heute</strong><br />

noch finanziell minder bemittelte<br />

Gruppen „ungesünder“ ernähren,<br />

ist bekannt. Dazu gesellen sich aber<br />

noch ganz andere Probleme.<br />

Ein Blick nach Amerika soll dies<br />

verdeutlichen: Die „schwergewichtige<br />

Bevölkerung der USA“ ernährt<br />

sich in erster Linie von Rindfleisch<br />

aus Massentierhaltung. Gleichzeitig<br />

muss betont werden, dass sich nicht<br />

alle übergewichtigen Personen ausschließlich<br />

von Chips und Hamburgern<br />

und Limonade ernähren. Der<br />

Verzehr von mit Exkrementen kontaminierten<br />

Fleisch hat in den USA<br />

schon zu einem Todesfall geführt.<br />

Da die Lobby der Lebensmittelindustrie<br />

dort starken Einfluss hat, ist das<br />

Aufzeigen dieser Missstände besonders<br />

schwierig, wenn nicht sogar für<br />

den einzelnen gefährlich. Vor einigen<br />

Monaten wurde auch eine Studie publiziert,<br />

nach der unsere Haustiere<br />

immer mehr an Übergewicht leiden.<br />

Auch hier könnte man argumentieren:<br />

zu wenig Bewegung und zu viel<br />

Liebesbeweise mit „Leckerlis“. Zunehmend<br />

drängt sich aber der Verdacht<br />

auf, dass unsere Lebensmittel<br />

Inhaltsstoffe aufweisen, welche<br />

bei (vielen) Menschen zu Übergewicht<br />

führen. Hormone, Antibiotika,<br />

aber wahrscheinlich noch nicht so<br />

bekannte Zusatzstoffe wirken vermutlich<br />

auf unseren Stoffwechsel<br />

in ungünstiger Weise ein. Der Reaktorunfall<br />

von Fukoshima lässt uns<br />

bewusst werden, wie die Umwelt<br />

und die Nahrungsmittel mit- und ineinander<br />

verwoben sind, an dieser<br />

Kausalität kann auch der technische<br />

Fortschritt wenig ändern.<br />

Was wenige sich allerdings verdeutlichen<br />

wollen, ist, dass sich die<br />

notwendige Profitgier der Lebensmittelproduzenten<br />

nachhaltig und<br />

dauerhaft auf unserer aller Existenz/<br />

Gewicht auswirkt. Die Konsumenten<br />

sitzen ihren subjektiven Einschätzungen<br />

zufolge in der Falle. Nicht<br />

jede/r kennt einen „Bio-Bauern“,<br />

dem er vertraut, und hat die finanziellen<br />

und zeitlichen Mittel, diese<br />

„gesunden“ Lebensmittel zu organisieren.<br />

Offen bleibt auch die Frage,<br />

inwieweit neuerste technische Fortschritte<br />

die Qualität unserer Lebensmittel<br />

verbessern können. Ist der<br />

Einsatz von Farbstoffen für Fleisch<br />

seit Jahrzehnten Standard, so spielen<br />

<strong>heute</strong> noch ganze andere Methoden<br />

(Gentechnik, Nanotechnologie)<br />

eine Rolle. Was der Spielfilm „Bauernopfer“<br />

drastisch dargelegt hat, lässt<br />

einem bei längerem Nachdenken<br />

erschaudern. Als weiteres trauriges<br />

Beispiel sei die Verwendung von Alkohol<br />

in speziellen Kinderprodukten<br />

erwähnt, Lebensmittelskandale dominieren<br />

in regelmäßigen Abständen<br />

die Medien.<br />

Unbestritten und dennoch schwach<br />

im öffentlichen Diskurs vertreten ist<br />

die Tatsache, dass die kausalen Wirkungen<br />

zwischen Inhaltsstoffen in<br />

Lebensmitteln und deren Auswirkungen<br />

auf das Körpergewicht und unsere<br />

Gesundheit ungenügend erforscht<br />

sind. Feststeht aber auch, dass die<br />

Skepsis unseren Nahrungsmitteln<br />

gegenüber steigt, Unsicherheit in Belangen<br />

der Ernährung macht sich in<br />

weiten Teilen der Gesellschaft breit.<br />

SOZIOLOGIEHEUTE_JUNIausgabe<strong>2011</strong>a.indd 33 26.05.<strong>2011</strong> 13:35:50

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