soziologie heute Juni 2011
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<strong>Juni</strong> <strong>2011</strong> <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> 45<br />
Nachruf auf Harold Garfi nkel<br />
von Claudia Pass<br />
Harold Garfinkel wurde am 29.10.1917<br />
in Newark, New Jersey geboren und<br />
verstarb am 21.04.<strong>2011</strong> in Pacific Palisades,<br />
Kalifornien 93-jährig. Garfinkel<br />
gilt als Begründer der Ethnomethodologie.<br />
Sein theoretisches Konzept zielt<br />
darauf ab, das in alltäglichen Situationen<br />
notwendige Hintergrundwissen<br />
seitens der Handelnden aufzuzeigen.<br />
Dieser auch für die qualitative Sozialforschung<br />
bedeutende amerikanische<br />
Soziologe studierte Volkswirtschaft an<br />
der University of Newark (Rutgers University,<br />
Newark) und Soziologie an der<br />
University of North Carolina, promovierte<br />
bei Talcott Parsons in Havard.<br />
An dessen Ansatz erlebte er die unzureichende<br />
subjektive Perspektive der<br />
Individuen und deren Interpretationsleistungen<br />
im Alltag kritisch. Garfinkel<br />
vertrat die Ansicht, dass Individuen<br />
sich nicht einfach und vorbehaltlos<br />
den gesellschaftlichen Anforderungen<br />
in ihren alltäglichen Handlungen unterwerfen.<br />
Da Harold Garfinkel auch<br />
Schüler von Alfred Schütz war, wurde<br />
er theoretisch von der Phänomenologie<br />
beeinflusst und inspiriert.<br />
Aktuell ist nach wie vor seine Fallstudie<br />
„Agnes“: Als Mann aufgewachsen<br />
unterzog sich „Agnes“ einer Geschlechtsumwandlung<br />
und musste<br />
sich jenes Wissen aneignen, das sie<br />
als Frau erscheinen ließ und wodurch<br />
sie auch als solche behandelt werden<br />
konnte. Im Unterschied zu Goffman<br />
versuchte Harold Garfinkel mit seinem<br />
Ansatz die Innenperspektive der Handelnden<br />
und das im Alltag vorhandene<br />
Routinewissen zu thematisieren.<br />
In den 60er Jahre regte Garfinkel seine<br />
Studierenden an, sich zu Hause<br />
bei ihrer Familie so zu verhalten, als<br />
ob sie Gäste wären oder mit SchuhverkäuferInnen<br />
über den Preis zu<br />
verhandeln. Auffällig waren dabei<br />
die gleichen Muster der Betroffenen.<br />
Im ersten Moment wurden die Handlungen<br />
der Studierenden als Scherz<br />
aufgefasst, wenig später zeigten sich<br />
allerdings durchwegs aggressive Verhaltensmuster.<br />
Anhand dieser sogenannten<br />
„Krisenexperimente“ hatte<br />
Harold Garfinkel auf die Fragilität<br />
alltäglicher Kommunikation hingewiesen<br />
und verdeutlicht, wie Sprache<br />
und Handlungen vom Kontext der Situation<br />
abhängen.<br />
Zwischen 1954 und 1987 lehrte Garfinkel<br />
an der University of California, Los<br />
Angeles (UCLA), sein Ansatz gilt auch<br />
<strong>heute</strong> noch für die Methoden der empirischen<br />
Sozialforschung und die Wissens<strong>soziologie</strong><br />
als wegweisend, denn<br />
unausgesprochene Alltagspraktiken<br />
und Routinewissen müssen weiterhin<br />
Gegenstand der Soziologie bleiben.<br />
Werke:<br />
„Studies in Ethnomethodology“, 1967<br />
„Das Alltagswissen über soziale und innerhalb sozialer Strukturen“,<br />
1973<br />
„Über formale Strukturen praktischer Handlungen“, 1976<br />
„Ethnomethodological Studies of Work“, 1986<br />
Hinweise für weitere Informationen:<br />
http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?docum<br />
entId=5949100<br />
http://www.soc.ucla.edu/people/faculty?lid=1308&display_one=1<br />
Foto: http://en.wikipedia.org/wiki/Harold_Garfi nkel<br />
Kongresshinweis:<br />
„Alt? Was nun? Unabhängiges Leben für ältere Menschen mit Beeinträchtigung“<br />
Menschen mit Beeinträchtigungen in Europa leben <strong>heute</strong> länger<br />
und in einer besseren gesundheitlichen Verfassung als je<br />
zuvor. Diese Entwicklung bringt neue Herausforderungen.<br />
Serviceanbieter im Sozial- und Gesundheitsbereich sowie<br />
Familien und Politiker sind auf nationaler wie europäischer<br />
Ebene gefragt, sich damit auseinanderzusetzen. Der hochkarätig<br />
besetzte Kongress „Alt? Was nun? Unabhängiges Leben<br />
für ältere Menschen mit Beeinträchtigungen” thematisiert die<br />
Zukunft des Wohnens für Menschen mit Beeinträchtigungen.<br />
Die Einführung (Verabschiedung) der UN-Konvention über die Rechte<br />
von Personen mit Beeinträchtigungen im Jahr 2006 förderte die<br />
Qualität des Lebens, die Wahl und die Einbindung von Menschen<br />
mit Beeinträchtigungen in die Gesellschaft. Sie stellte einen großen<br />
Schritt nach vorne dar, um Diskussionen zu starten und ein Bewusstsein<br />
auf politischer Ebene zu schaffen. Die spezifischen Herausforderungen<br />
und Bedürfnisse von älteren Menschen mit Behinderungen<br />
müssen jedoch noch stärker in die politischen Diskussionen und in<br />
die Gesetzgebungen integriert werden.<br />
Im <strong>Juni</strong> <strong>2011</strong> bringt die EASPD (European Association of Service Providers<br />
for Persons with Disabilities) in Kooperation mit der Caritas<br />
für Menschen mit Behinderungen in Linz Interessensvertreter und<br />
Experten aus allen Teilen Europas zusammen, um über unabhängiges<br />
Leben und individuelle Unterstützung im regulären Service(Pflege)<br />
system für ältere Menschen mit Beeinträchtigungen zu diskutieren.<br />
Der Kongress bietet neben Vorträgen, Diskussionen und Workshops<br />
die Möglichkeit, Einrichtungen zum Thema „Alter und Beeinträchtigung“<br />
in Oberösterreich zu besichtigen, z.B. das Schloss Hartheim, wo<br />
im zweiten Weltkrieg mehr als 30.000 Menschen mit Beeinträchtigung<br />
von den Nationalsozialisten getötet wurden.<br />
Stattfinden wird der Kongress im Marriott Hotel (Europaplatz 2,<br />
Linz, Oberösterreich A-4020 Österreich) in der oberösterreichischen<br />
Hauptstadt Linz.<br />
In einem im Dezember 2010 veröffentlichten Bericht der Europäischen<br />
Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung wird deutlich<br />
hervorgehoben, dass Menschen mit Behinderungen und ältere<br />
Menschen besonders von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen<br />
sind. Die schwierige finanzielle Situation vieler älterer Menschen mit<br />
Behinderungen führt wiederum dazu, dass diese häufig in Wohneinrichtungen<br />
leben und nicht die Möglichkeit haben, ihren Wohnort<br />
oder die Personen, mit denen sie zusammenleben möchten, selbst zu<br />
wählen. Artikel 19 der UN Konvention über die Rechte von Menschen<br />
mit Behinderungen garantiert jedoch „Unabhängiges Leben und Integration<br />
in die Gesellschaft“..<br />
Nähere Infos, Programm und Anmeldung:<br />
http://www.easpd-linz.com/<br />
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