E_1929_Zeitung_Nr.085
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N°85 — AUTOMOBIL-REVUE<br />
15<br />
II.<br />
T. G. — Zwischen Bonifacio und Porto Veccliio<br />
— 27 km — etwas einwärts von der fieberschwängeren<br />
Südastküste, nicht ein halbes Dutsend<br />
Häuser an der Strasse, dann und wann Haine<br />
ron Korkeichen, die entrindeten Stammpartien vom<br />
Wundanstrich rostbraum in der Sonne leuchtend.<br />
Das 5000 Einwohner zählende Porto Vecchio, von<br />
Jenen immerhin eine stattliche Zahl trotz der Malaria<br />
im Sommer sesshaft bleibt, seit der Genuesenherrschaft<br />
von fünf Bastionen aus rotem Prophyr<br />
überragt, an fjordähnlichen, von zwei Leuchttürmen<br />
flankierten,.austernreichem Golf, wo an der<br />
Stabiaccomündung Salz gewonnen und die Korkplatten<br />
für den Export im Dampf gekocht und<br />
komprimiert werden. Steil steigt die ausgewaschene<br />
Pass-Strasse, oft aus dem nackten Felsbett bestehend,<br />
nach Ospedale, dem Sommerdorf der Porto<br />
Vecchiesen, und zum Col d'llarata (1050 m), aus<br />
den Fö'hrenlichtungen glänzende Ausblicke nach<br />
dem Meer und Sardinien bietend. Dann quadratkilometerweit<br />
ausgebrannter Hochwald mit Resten<br />
von kahlen Stämmen, ans Kriegsgebiet der Vogesen<br />
gemahnend. «Par cativezza >, sagt lakonisch der<br />
Strassenwart. Hier wird bald « le roi d'ile, le maquis»,<br />
dominieren — ein neuer Weideplatz für<br />
Ziegen und Schafe.<br />
Nach der Abfahrt durch Kastanien über zyklopenhafte<br />
Felstrümmer suchen wir in Zonza (786<br />
Meter), oberhalb des Rizzanese, das neue Grand<br />
Hotel. Weiter unten seht isoliert eine riesige Villa<br />
mit geschlossenem Tor. Wir brechen die Pforten ein<br />
— hoiho! weniger aus Durst als aus Hunger,- nämlieh<br />
um 2 Uhr. Richtig ist es die Hostellerie du<br />
Mouflon d'Or, trotzdem das Gasthausschild fehlt,<br />
« par negligence du directeur », der nach dem Interregnum<br />
eines Monats morgen durch einen neuen<br />
ersetzt werden soll. Schweizerische Aktionäre würden<br />
sich so nicht mit dem korsischen Lebensrhythmus<br />
abfinden. Kein Eis, kein Mineralwasser, aber<br />
vorzügliches Essen bis auf den Gorgonzola, der<br />
beim Anschneiden Schauplatz einer Würmer-Olympiade<br />
mit meterlangen Weitsprüngen wurde. Da<br />
Wassertrinken in Korsika als gefährlich gilt — ich<br />
bin heute überzeugt: mit Unrecht! — durften sich<br />
unsere Damen für die angeregte Stimmung des<br />
Nachmittags — drei Flaschen Patiimonio — ohne<br />
reservatio mentalis wirklich auf fro.se majeure versteifen.<br />
Auch das korsische Kiima steht unter<br />
einem feuchten gen ; .us leci.<br />
Nun ein wirklicher Seitensprung: die schönste<br />
korsische Passfahrt über den Bavella an die<br />
Ostküste und zurück nach Zonza. Durch Wachholder<br />
und üppige Buchen steigt die vorzügliche<br />
Forststrasse zum flachen, von Thymian rot schimmernden<br />
flachen Sattel des Col de Bavella (1240<br />
Meter), wo die Felszacken und -Nadeln des Incudine<br />
(2136 m) einen Hochwald überragen, der in<br />
der Forstliteratur zu den schönsten der Erde gezählt<br />
wird: pinus laricio, eine für Korsika charakteristische<br />
Mittelmeer-Föhre, linealgerade Riesenstämme<br />
von 40 bis 50 m Höhe, unten mit Umfan?<br />
bis zu 5 Meter, ein Märchenbild, das sich in anderm<br />
Rahmen auf den Pässen des Hauptmassivs<br />
wiederholen sollte. Hier hausen in Holz- und<br />
i<br />
Korsische Sommerfahrt.<br />
Komplettes Lager in<br />
Zutrauen erwirbt der Garagist bei seinen<br />
Kunden, wenn er alle Aufträge prompt<br />
besorgt — diese beim Fachmann austührea<br />
lfcnt, der für beste Arbeit und<br />
Material bürgt.<br />
Unsere Toaristikseite<br />
Felsbaracken während der Malariazeit des Küstenlandes<br />
die Einwohner um Solenzara, nach dem wir<br />
zur Vermeidung der unzugänglichen Talschlucht<br />
über den Col de Larone hinauf- und hinabsteigen<br />
ans Meer, wo förmliche Eukalyptuswälder eine<br />
Oase im Fiebergebiet geschaffen haben. Nach der<br />
steilen Rückfahrt (null bis 1240 m entsprechen<br />
Linthal-Klausen), trote al burro, wie überhaupt im<br />
Bergland jedes Diner einen Forellengang zu enthalten<br />
pflegt, und aller wünschbare Komfort in der<br />
Hostellerie du Mouflon d'Or in Zonza — abermals<br />
ohne Mineralwasser!<br />
Am folgenden Morgen schauderhafte Nebensträsschen<br />
von unglaublicher Steilheit im thermalwasserreichen<br />
Tal des Rizzaneze, mit pittoresken<br />
Dörfern auf Felsnasen (viele Häuser ohne Fensterl).<br />
Esel wälzen sich im Staube wie früher bei<br />
uns die Hunde, und für die Schweine ist die<br />
Strasse Allmend Dann gelangen wir bis zum Abend<br />
nur selten unter 1000 Meter. Nasse Stellen künden,<br />
dass es tags zuvor hier geregnet hat, während die<br />
Küstenstreeken seit drei Monaten ohne Niederschlag<br />
blieben. Ueber Wasserfällen Buchen und<br />
Riesenföhren am Col de la Vaccia (1188 m), in der<br />
Nähe der Siedelungen Friedhöfe im Farnkraut, am<br />
Col de Verde (1283 m) immergrüne Steineichen und<br />
Tannen mit geschlitzter Rinde, deren Harz in<br />
kleinen Näpfen aufgefangen wird. Nach verpasster<br />
Mittagspause (das verfl... Photographieren!) ein<br />
frugales Mahl von Brot und «Bippeli-Käse» in j<br />
Ghisone, am Col de Sorba (1305 m), wie die früheren<br />
mit mustergültig angelegten Kehren, quadratkilometerweit<br />
pinus laricio. die gefällten Stämme<br />
durch Esel zum Lastauto geschleppt, um in Livorno<br />
oder Genua als kanadische Fichten in den<br />
Handel zu gelangen. Zwischen Vivario und Venaco<br />
gigantische Brückenbauten von Bahn und Strasse,<br />
die den Kunstwerken des Gotthard nicht nachstehen,<br />
und Abschluss im vorzüglichen Parkhotel von<br />
Corte, dessen Zitadelle die Tavi?nanoschlucht um<br />
Hunderte von Metern überragt, wovon nur das Bild<br />
einen Begriff zu geben vermag. Immergrüne Magnolien<br />
blühen vor unsern Fenstern, und doch ist<br />
der Abend (auf 396 m) frisch wie in den Voralpen.<br />
Das Nachtleben der 5000 Bewohner zählenden<br />
Stadt pulsiert bis gegen Mitternacht auf dem Korso<br />
der Hauptstrasse. Paoli hat Corte, dem Mittelpunkt<br />
der Insel und der Hochburg des Patriotismus, vorübergehend<br />
eine Universität geschaffen. Von legendarischer<br />
Schönheit sind die Frauen; ihre Töchter<br />
haben Unter der genuesischen Gewaltherrschaft geschworen,<br />
sich nicht zu verheiraten, « pour ne pas<br />
donner le jour ä des esclaves ».<br />
Der nun folgende Abstecher nach Asco war<br />
teuer bezahlt. Vom Hotelier wurde uns ein Wunder<br />
« plus beau que le cirque de Gavarnie » in Aussicht<br />
gestellt. Von Ponte Leccia auf der seit Jahren in<br />
Angriff genommenen Strasse eine Brutofenfahrt in<br />
allerdings grossartiger Schlucht, den Gorges d'Asco,<br />
auf spitzem Schotterbelag, dann drei Viertelstunden<br />
Steilmarsch zum Felsenzirkus als Abschluss am<br />
Monte Cinto, wo das abgelegenste Hirtendorf Korsikas,<br />
Asco, patriarchalische Sitten und Gebräuche<br />
bewahrt und im Frauentypus der arabische Einschlag<br />
sich auffällig erhalten hat.<br />
Nach der Westküste zurück führte uns eine<br />
nicht minder eindrucksvolle Strasse, den früheren<br />
Treppenweg Scala di Santa Regina in der Goloschlucht<br />
ersetzend, nach der kühlen Sommerfrische<br />
Calacuccia, auf der Rückseite des Monte Cinto, inmitten<br />
von Kastanien und Nussbäumen und durch<br />
den Forst von Valdoniello mit seinen Riesenföhren<br />
Eine Automobilstrasse in Japan, die Osaka mit Kobe verbindet und die in beredteT Weise vom<br />
japanischen Fortschrittsgeist spricht.<br />
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zum höchsten Passe Korsikas, dem Col de Verglo<br />
(1464 m), der erst im Mai schneefrei zu werden<br />
pflegt. Dann zu dem stets überfüllten Sommerkurort<br />
Evisa, eine unbeschreiblich schöne Abfahrt<br />
durch den Forst von Aitonex. Hat die von aussen<br />
hineingetragene Fremdenverkehrspoesie Korsika<br />
zur « He de Beaute » gemacht, so hat zum mindesten<br />
die gleiche Berechtigung die Bezeichnung als<br />
« Ile verto •.<br />
Zum mindesten aber wie die Schweiz darf Korsika<br />
als das Land der Gegensätze bezeichnet werden.<br />
Nach Evisa umzieht die Strasse den Abgrund<br />
der Spelunca, angesichts eines himmelhohen, fast<br />
schwarzen Felsenzirkus, um gleich den denkbar<br />
grössten Gegensatz zu vermitteln, den ewig blauen,<br />
an griechische Landschaften erinnernden Golf von<br />
Porto mit dem alten Wachtturm. Dann nochmals<br />
eine Steigerung . die Calanche di Piana, die piece<br />
de resistance der Korsika Führer, eine 500 Meter<br />
übers Meer emporsteigende Klippenstrasse mit unmöglichen<br />
Felsformationen, gegen die die Axenstrasse<br />
als Spielzeug erscheint und selbst die Klippenstrasse<br />
von Amaifi mit ihrer Verwegenheit und<br />
ihrem Bau nictit aufkommt. Auf 438 Meter hingesetzt<br />
ist hier steil über dem Meer das neue, allen<br />
Kumfort bietente Grand Hotel des Roches Rouges,<br />
wo eine — Bernerin uns das Nachtessen aufsetzte.<br />
Wie wir vom Altan unserer Zimmer den Vollmond<br />
aus dem Meer aufsteigen sahen, das werden wir<br />
nie vergessen.<br />
Der grösste Teil des Rückweges nach Ajaccio ist<br />
Küstenfahrt, ein Unikum, das hoch über den Klippen<br />
gelegene Cargese, eine Siedelung von peloponnesischen<br />
Griechen, die dem Druck der Türkenherrschaft<br />
1676 entwichen, heute noch am griechischorthodoxen<br />
Ritus festhalten und äusserlich noch<br />
beute den hellenischen Typus" nicht verleugnen,<br />
wenn auch der Pope zweisprachig, griechisch und<br />
französisch, zelebriert, um von allen Gläubigen verstanden<br />
zu werden. Auch hier gilt gegenüber der<br />
leidenden Kreatur das italienische Wort • « non e<br />
cristiano » rf Dem wartenden Esel zieht man die eine<br />
Hinterfussfessel mit einer Strippe hoch, und weidenden<br />
Zielen verbindet man je das rechte und<br />
linke Beinpaar mit einem Strick, um ihnen das<br />
Durchbrennen zu verleiden. Am Golf von Sagone,<br />
Holzkohlentransport; schwarze Zyklopengestalten<br />
bringen die Lasten vom Ufer in die Barken, die<br />
emsig zwischen dem schwarzen Segler hin- und<br />
herpendeln. Alle Augenblicke begegnen wir einem<br />
Lastauto, mit der Kohlenladung über die Karrengeleise<br />
wie eine Fregatte schaukelnd. Da und dort<br />
ein zusammengebrochener Wagen, einmal ein Automobilfriedhof<br />
von drei ausrangierten Fahrzeugen.<br />
Dann im Golf von Liscia herrliche Palmen, ein<br />
kühlendes Bad in der leichtbewegten See, schliesslich<br />
eine Passfolge • auf dem Col de San Sebastiano<br />
die Plakette zur Erinerung an die erste Mittelmeertraversierung<br />
im Freiballon, nach der hier 1886<br />
Capazza und Fondere im Sturm landeten; der Col<br />
de Listincone in duftendem Maquis; der Col de<br />
Pruno mit dem Chäteau de la Punta, das die Familie<br />
der Pozzo di Borgo. die Antipoden der Bonaparte,<br />
1796 bis 1894 aus den Trümmerresten der<br />
Pariser Tuilerien mit zwei Millionen Franken Kosten<br />
erbauen Hess, eine genaue Nachbildung des<br />
Pavillon Jean Bullant. Dann eine Eukalyptusaüeo<br />
und nach dem Aquädukt von Moulin Blanc wieder<br />
Ajaccio.<br />
Soll ich von den Napoleon- und Napoleonidendenkmälern<br />
der Inselhauptstadt erzählen? Sozusagen<br />
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