E_1929_Zeitung_Nr.096
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N»96 — <strong>1929</strong> AUTOMOBIL-REVUE. 11<br />
Unsere Unterhaltungsecke.<br />
Spiel auf der Glasveranda.<br />
Vom, Wasser kam ein bisschen Wind; er<br />
schlug das Tischtuch hoch. Drei Paare, sommerlich<br />
wild, mit kurzen Kleidern und Taschentüchern<br />
im Ausschnitt, drehten sich<br />
feierlich vor der Terrasse. Auf der Glasveranda<br />
sass einer und spielte Klavier, ein Foxtrott<br />
fiel uns an, so gleichmässig elend, dass<br />
ich hinaufging.<br />
Der Blonde sah nicht von den Noten auf.<br />
Das Klavier war auch gelb; ich entsinne mich<br />
nicht, ein hässlicheres gesehen zu haben. Auf<br />
der höchsten Oktave stand ein halbgeleertes<br />
Glas Bier. Der Blonde griff danach, trank,<br />
spielte mit der andern Hand.<br />
Ich setzte mich. Sein Gesicht schien* alltäglich,<br />
auch war er nicht rasiert. Er hielt den<br />
Kopf auf die Brust gesenkt, schluckte, sang<br />
zwei, drei Takte, er war ganz bei der Sache.<br />
Gegen Schluss griff er einmal daneben, ohne<br />
es zu merken; im Garten klatschten die<br />
Paare.<br />
Er sah mich und lächelte. In diesem Augenblick<br />
glich er dem steinernen Faun drausson;<br />
das rote Glas der Veranda gab ihm eine tönerne<br />
Farbe, seine Haare waren zottig, sein<br />
Kinn dick und vergnügt, die Augen gaben mir<br />
recht, sie strahlten in wasserheller Fröhlichkeit.<br />
«Sehr schön», sagte er.<br />
Er trug eine weissgestreifte Hose. Als er<br />
jetzt aufstand, sah er noch lächerlicher aus.<br />
«Welch ein Text», sagte er, «die Musik kann<br />
ihn nicht erfassen, aber sie ist von mir selbst.<br />
Von Ottoheinz Jahn.<br />
Uebrigens ist sie meistens-gestohlen;-kennen<br />
Sie das...?» Er spielte etwas mit der linken<br />
Hand und lachte dazu.<br />
«Ich bin kein Künstler»* sagte er plötzlich<br />
hart und starrte mich an, als wäre meine Ansicht<br />
ohne weiteres unglaublich. «Denken Sie<br />
Miodlerne<br />
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nicht schlecht vor mir. Mein Vater war ein<br />
Künstler. Obgleich er nur Klarinette spielte,<br />
in einer Militärkapelle. Er wollte, ich sollte es<br />
auch werden. Mit zwölf Jahren...»<br />
Er lachte wieder, sein Lachen war ganz<br />
hoch und unerträglich.<br />
«Mit zwölf Jahren gab ich ein Konzert, ich<br />
spielte die 'La-mer'-Suite von Debussy und<br />
hatte ein silberblaues Kleidchen an, und mein<br />
Kopf muss rot gewesen sein wie eine reife<br />
Tomate. Es ist schändlich, welche Gewalt Eltern<br />
über die Kinder haben. Als mein Vater<br />
starb, hing ich das Konservatorium an den<br />
Nagel. Das Wunderkind trug einen Stehkragen<br />
und spielte im Kino Harmonium. Schöne<br />
Zeit!»<br />
Er trank einen raschen Schluck. «Ich bin<br />
kein Künstler, glauben Sie mir. «Wenn ich<br />
in den Saal komme und die Leute sitzen sehe,<br />
dann entdecke ich plötzlich, dass alle Tasten<br />
Nummern haben. Wie die Plätze. Ein Klavier<br />
hat zwölf Töne, aber man kann ein schreckliches<br />
Wirrwarr damit anrichten. Es gibt ein<br />
paar Systeme, um sie auseinanderzuhalten.<br />
Beethoven, auch Chopin, aber ich habe sie nie<br />
begriffen. Nie...»<br />
Er schlug auf seine Tanznoten und sah<br />
mich ernst an. «Verstehen Sie etwas von Musik?<br />
Ich habe jahrelang im Kino Musik gemacht,<br />
Musik nach Zeit, und meine Akkorde<br />
waren von dem Lächeln der Diva ebenso abhängig<br />
wie vom Dolch des albernsten Nebenbuhlers.<br />
Sie sind darum nicht schlechter gewesen.<br />
iSe waren nicht schlechter, als ich<br />
zwei Franken für die Stunde bekam. Genau<br />
zwei Franken für zwölftausenddreihundert<br />
Noten!»<br />
Er rückte dicht an mich heran und presste<br />
meine Hand. «Traurige Menschen suchen<br />
immer etwas Schönes, sie suchen eine Stellung,<br />
in der sie von morgens bis abends schlafen<br />
können, sie suchen die Frau auf dem<br />
Magazinumschlag und das Glück auf der Titelseite.<br />
Ich bin anders, ich will meinen Namen<br />
nicht in der <strong>Zeitung</strong> lesen und ich habe<br />
eine grosse Angst, meinen Verstand zu verlieren.<br />
Ist es nicht verrückt, sich ans Klavier<br />
zu setzen und in den eigenen Untiefen zu<br />
ertrinken? Mit Göttern zu kämpfen und dann<br />
ein belegtes Brötchen zu essen. Ich bin ein<br />
ehrlicher Mensch und ich spiele ehrlich, da<br />
wird niemand betrogen. In den Kaffeehäusern<br />
und Tanzdielen weiss man noch mit der Musik<br />
Bescheid, ohne Aufgabe der Seele, ohne<br />
Verlust seiner Menschlichkeit.»<br />
Er rutschte auf den Klaviersessel zurück<br />
und schlug einen Akkord an. «Der einzige<br />
Mensch,» rief er leidenschaftlich, «der einzige,<br />
den ich gehasst habe, war ein Mäzen. Er<br />
wühlte in meinen Noten, er beschwor mich,<br />
ein paar Skizzen zu vollenden, seine grauen<br />
Haare hinderten ihn nicht, mich zu beschimpfen.<br />
Zuletzt...»<br />
Der Blonde riss einen Notenband vom Regal,<br />
schlug ihn hastig auf und begann zu spielen.<br />
Ich erschrak. Der armselige Tropf war<br />
ein Meister, unter dessen Händen jetzt ein<br />
tolles, unglückliches Werk entstand, formlos<br />
modern, eine dunkle Fallgrube von Tönen. Er<br />
stürzte mit allen seinen Tönen hinein, hatte<br />
verspielt, verloren, sein Gesicht wurde weiss<br />
unter den grausamen Akkorden.<br />
Er gab mir die Noten. Es war die recht bekannte<br />
Schöpfung eines Meisters der Romantik.<br />
Der Faun unterdrückte sein Gelächter.<br />
«Auf den Kopf, ich habe sie nur auf den<br />
Kopf gestellt!» schrie er.<br />
Ein Mädchen kam, brünett, etwas schielena.<br />
Sie kannte den Spieler, stiess ihn an. Und<br />
seine Augen leuchteten.<br />
«Etwas zum Tanzen, bitte», sagte sie.<br />
AUTOSEKTION ST. GALLEN-APPENZELL DES<br />
T. C. S. Wir möchten unsere Mitglieder darauf aufmerksam<br />
machen, dass die städtischen Radfahrervereine,<br />
welche sich zur Behandlung von Verkehrsfragen<br />
zu einer Vereinigung zusammengeschlossen<br />
haben, am Dienstag, den 19. November <strong>1929</strong>, abends<br />
8 Uhr, im Saale des Vereinshauses (Lämmlisbrunustrasse),<br />
einen Vortrag mit Lichtbildern über<br />
Verkehrsunfälle<br />
veranstalten. Als Referent konnte Herr Landjägerhauptmann<br />
Grüninger gewonnen werden. Seino<br />
Erfahrungen bürgen auf diesem Gebiet für einen<br />
lehrreichen Abend.<br />
Die «Stadt. Radfahrervereinigung» CT wartet,<br />
dass auch seitens der Touring-Club-Mitglieder - dem<br />
genannten Thema die erforderliche Aufmerksamkeit<br />
geschenkt wird. Hoffen wir durch einen zahlreichen<br />
Aufmarsch die Bestrebungen zur Mithilfe in<br />
der Sanierung unserer Verkehrsvorhältnisse kräftig<br />
zu unterstützen.<br />
Wir möchten noch bemerken, dass die Veranstalterin<br />
des Vortrages, die «Stadt. Radfahrer-Vereinigung»,<br />
politisch und konfessionell völlig neutral<br />
ist.<br />
T. C. S,<br />
Redaktion aAuto-Revue»<br />
Hallwag A.-G., Bern. Telephon B.3984.<br />
Für die Ostschweiz: Bureau Zürich S 70.23.<br />
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