E_1930_Zeitung_Nr.107
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Berlin. Er wird sich in Positur werfen, seine<br />
unwiderstehlichste Miene aufsetzen und<br />
siegesgewiss eine Konversation beginnen, die<br />
etwa mit der geistreichen Frage beginnt:<br />
«So allein, Fräulein?» Nun wird das so<br />
steuern, ob Ihnen eine alte Frau guten Morgen<br />
wünscht?...»<br />
«Bitte, meine Zofe ist ein junges Mädchen.»<br />
«Also doch! Und wie steht es mit einer<br />
Katze, von links nach rechts über den Weg?»<br />
eingefädelte Erlebnis die Ent-<br />
kunstreich<br />
wicklung nehmen, die ihm seit Generationen<br />
vorbestimmt ist. Gefällt er ihr nicht, dann<br />
wird sie hochmütig ihr Naschen rümpfen,<br />
unnahbar dreingucken, schweigend weitergehen<br />
oder eine abweisende Antwort geben.<br />
Gefällt er ihr aber, so wird sie allerdings<br />
noch eine Weile hoheitsvoll die Beleidigte<br />
spielen, weil es sich doch eigentlich nicht<br />
schickt, sich auf der Strasse ansprechen zu<br />
lassen. Schliesslich aber wird sie zur Einsicht<br />
kommen, dass es doch grausam wäre,<br />
einen so netten Menschen neben sich einherlaufen<br />
zu lassen, ohne ihm einen freundlichen<br />
Blick zu gönnen. Und so manche Bekanntschaft,<br />
die mit artigem Gruss und zierlichem<br />
Dank auf einer Londoner Strasse begann, hat<br />
schliesslich unter den Klängen der Hochzeitsmusik<br />
ihre festliche Krönung gefunden.<br />
In New York aber? Wer etwa im Gewühl<br />
des Broadway einer fremden Dame, die sein<br />
Wohlgefallen erweckt, davon Mitteilung<br />
machen wollte, der würde seine Existenz<br />
riskieren. Die Dame wäre zunächst fassungslos:<br />
ein Zudringlicher hat es gewagt, sie auf<br />
der Strasse anzusprechen? Dann würde sie<br />
sich an einen Polizisten wenden und der<br />
Tollkühne hätte seinen verwegenen Annäherungsversuch<br />
durch ein hochnotpeinliches<br />
Verfahren zu büssen. Es fehlt aber<br />
auch nicht an sogenannten «Damen», die in<br />
erpresserischer Absicht Annäherungen der<br />
Herren herausfordern. Sie werfen das Lasso<br />
koketter Blicke aus: wehe dem Unvorsichtigen,<br />
der sich darin verfängt! Er spricht<br />
die Schöne an und sie diktiert kaltblütig ihre<br />
Bedingungen:<br />
Schutzmann, weil Sie mich belästigt haben.<br />
Wollen Sie aber den Skandal vermeiden, so<br />
müssen Sie...» Und nun folgen gewöhnlich<br />
Vorschläge finanzieller Art, worauf dem von<br />
der Erpresserin ins Garn Gelockten zumeist<br />
nichts anderes übrigbleibt als seufzend seine<br />
Brieftasche zu zücken. Mein schönes Fräulein,<br />
darf ich's wagen? In New York ist diese<br />
Frage wirklich ein Wagnis.<br />
Von Elizabeth Rosenfels.<br />
«Sind Sie abergläubisch, mein Fräulein?»<br />
«Nein, sicher nicht, nicht im geringsten.»<br />
«Sie würden also jederzeit Ihren Wagen<br />
«Dafür habe ich doch meine Mascotte!»<br />
Fast jede Fahrerin und fast jeder Fahrer<br />
hat einen Autotalisman. Das grosse Rennen,<br />
wie den kleinen Ausflug, man unternimmt<br />
sie lieber im Schütze seines Auto-Heiligen. —<br />
In dem grossen amerikanischen Fliegerfilm<br />
«Wings» verliert der Held vor dem letzten<br />
Aufstieg seine Mascotte, das kleine, immer<br />
getragene Stoffbärchen. Die Ankündigung<br />
des kommenden Unheils war damit so klar<br />
gegeben, dass sie international verstanden<br />
wurde, wohl der beste Beweis für den allgemeinen<br />
Glauben.<br />
Zunächst scheint es wirklich ein Rest alten<br />
Naturglaubens zu sein, der sich da in den<br />
modernen Talisman geflüchtet hat. Die Dämonen<br />
der Natur, Finsternis, Regen, Stürme,<br />
Nebel, Eis und Schnee, sie sind dem 4uto<br />
von heute so feindlich gesinnt wie dem Jäger<br />
der Steinzeit. Auch drohen die Hindernisse<br />
der Maschine selber, Hemmnisse des Motors,<br />
dessen vielpferdigen Kräften die Schwäche<br />
menschlicher Muskeln und die Gewalt<br />
menschlichen Hirns gegenüberstehen. Geistesgegenwart,<br />
allzeit gegenwärtiger Verstand<br />
und allzeit gegenwärtige Körperbeherrschung<br />
hat den Menschen am Lenkrad zum Beherrscher<br />
gemacht. Und zu diesem «Immer auf<br />
der Höhe sein» verhilft auch Mascottchen.<br />
Es gibt die Selbstsicherheit, die durch eingebildete<br />
Gefahren am meisten gefährdet ist.<br />
Was schadet es, wenn die Katze, die vor<br />
dem Auto die Strasse querte, nur zwei Farben<br />
hatte, statt der glückbringenden drei,<br />
«Ich wende mich an den<br />
wenn man Fortuna selber mit sich führt?<br />
Auto-Mascotte der Dame<br />
Das Unbehagen, die Angst vor drohendem<br />
Unheil, das Vorgefühl erwarteter Gefahr, sie<br />
sind es, die in der wirklichen Bedrohung unvorhergesehener<br />
Ereignisse gefährlich werden.<br />
Die Nerven verlieren am Volant ist gefahrvoller<br />
als alle Geschwindigkeit, schlechte<br />
Wege und entgegenkommende Hindernisse.<br />
Selbstverständlich braucht man seine gelegentliche<br />
Unsicherheit niemals zuzugeben!<br />
Da sie allen gemeinsam ist, hat *nan eine<br />
sehr taktvolle Uebereinkunft getroffen, dem<br />
Unsichtbaren zu opfern, «Mascottchen» sind<br />
eine Mode geworden, eine Mode, die das Mitmachen<br />
geradezu gebieterisch fordert. Die<br />
Kühlerfigur, die Puppe am Wagenfenster,<br />
das Glücksschweinchen in der Handtasche<br />
der Dame, Glückbringer oder Glückhalter<br />
AUTOMOBIL-REVUE <strong>1930</strong> - 10?<br />
sollen sie alle sein, kleine Teufelchen, Puppen,<br />
schwarze Katzen usw. Mode sind sie,<br />
spielerische Mode, an die man heimlich<br />
glaubt, die man jedoch nicht zugeben wiid,<br />
schon um ihre Wirkung nicht zu schwächen.<br />
Deshalb bevorzugt die moderne Frau<br />
gerne das Mascottchen, das gleichzeitig eine<br />
praktische Bestimmung erfüllt, die seine<br />
Hauptbestimmung verschleiert, Deshalb sitzt<br />
das Kätzchen als silbernes Emblem auf dem<br />
Graf Keyserling, der sattsam bekannte,<br />
deutsche Philosoph, dessen schief gestelltes<br />
Urteil über Schweizer und Schweizerverhältnisse<br />
vor einiger Zeit zu allerhand Erörterungen<br />
in der hiesigen Presse Anlass<br />
gab, ist kürzlich -von einer Amerikareise<br />
zurückgekehrt. Der Herr Graf hält nun allerorten-in<br />
Deutschland Vorträge und verzapft<br />
seine über Amerika gesammelten Eindrücke.<br />
Durch die mehrfachen Nasenstüber, Welche<br />
Keyserling von dieser und jener Seite einheimste,<br />
ist er offenbar im An- und Ausmass<br />
seines Urteils etwas zurückhaltender geworden;<br />
immerhin sind die philosophischen Ergüsse,<br />
die er nunmehr über Amerika und die<br />
Amerikaner zum Besten gibt, noch reichüch<br />
windschief; er führt etwa folgendes aus:<br />
«Die Völker sind nicht Kinder des Geistes<br />
oder Blutes, sondern der Erde. Die Ideen<br />
bedeuten etwas anderes, je nach dem Boden,<br />
in dem sie wurzeln. Durch diese Momente<br />
sind die Verschiedenheiten des Lebens in<br />
Europa und Amerika zu erklären. In Amerika<br />
herrscht das öffentliche Leben nicht<br />
über das Privatleben, der Bürger ist nicht<br />
dem Staat zuliebe da, sondern das Erste und<br />
Wichtigste ist das Privatleben, die Privatinteressen,<br />
denen sich der Staat zu akkommodieren<br />
hat (z. B. Prohibition!). Keyserling<br />
bezeichnet diese Gedankenrichtung als Privatismus.<br />
Bei allen aufgesammelten Kapitalien<br />
wird jeder Vorurteilslose Amerika als<br />
durchaus kollektivistisch eingestellt erkennen.<br />
Der Amerikaner denkt an erster<br />
Stelle nicht an sich (!), sondern an das, was<br />
Bubikopfkamm, krabbelt ein Johanniskäferchen<br />
auf Puderdosen aus Samt. Kleine<br />
Nähzeuge im Mittelstück einer Puppe, und<br />
vor allem wieder Puderdosen als Kat.'.en,<br />
Hunde, Mohrenköpfe usw. geben der Dame<br />
die Möglichkeit, ihr kapriziöses Mascottchen<br />
ohne Eingeständnis einer Schwäche auszuwählen,<br />
denn diese Puderdose, dieses<br />
Nähzeug, sie sind ja so unendlich praktisch,<br />
nicht wahr?<br />
Bunte Chronik aus aller Welt<br />
konnte sich fortbilden und erreichte geistig<br />
eine höhere Stufe als der Mann. Vieles im<br />
amerikanischen Leben erklärt Keyserling<br />
mit jener Tantenherrschaft. Einen Fehler hat<br />
diese Entwicklungsrichtung: das kollektivistische<br />
Milieu ist nicht imstande, eine<br />
genügende Zahl von Führern hervorzubringen,<br />
die müssen aus dem individualistischen<br />
Europa kommen.»<br />
Hipp — hipp — hurrah! — Herr Graf, jetzt<br />
wissen die Amerikaner, was mit Ihnen los ist.<br />
Sinclair Lewis ist der Nobelpreis für Literatur<br />
verliehen worden. Unsere Leser erinnern<br />
sich vielleicht, dass wir im Jahre 1927<br />
einen hochinteressanten Roman von Sinclair<br />
Lewis, »Die Benzinstation», veröffentlichten.<br />
Jener Roman, der durch die blendend<br />
in Erscheinung tretenden autömobilistischen<br />
Kenntnisse und Erfahrungen die Leser unseres<br />
Blattes entzückte, zeigte die Meisterschaft<br />
des amerikanischen Erzählers von der<br />
besten Seite.<br />
Unsere Redaktion ist stets bemüht, ihren<br />
Lesern auch im Feuilleton etwas Besonderes<br />
zu bieten, es freut uns doppelt, dass wir<br />
durch den damaligen Roman, « Die Benzinstation»,<br />
unsere Leser frühzeitig mit dem<br />
Werk efnes Nobelpreisträgers bekannt machen<br />
konnten. B.<br />
Es gibt noch Romantik.<br />
In Serbien wurde eine siebenköpiige Räuberbande<br />
verhaftet, an deren Spitze ein<br />
merkwürdiger Räuberhauptmann stand. Es<br />
ist eine junge, wegen ihrer Schönheit sehr<br />
der andere denkt. Keyserling hält deshalb<br />
Amerika für das sozialistischste Land der<br />
Welt. Gegen den Sozialisierungsgedanken bekannte Witwe, die stets von einem Kreis<br />
sei der Amerikaner immun, weil er ihn in glühender Verehrer umschwärmt worden<br />
seinem Inneren längst verwirklicht hat (!). war. Mit sechs dieser Verehrer hatte sie<br />
Die Entwicklung der Verhältnisse bringt es grosse Raubzüge in der Umgebung der kleinen<br />
Stadt unternommen.<br />
mit, dass Amerika unter der Herrschaft der<br />
Frau steht. Der Mann verdiente, die Frau<br />
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