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E_1933_Zeitung_Nr.011

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Bern, Dienstag, 7. Februar <strong>1933</strong> IILBlattder „Automobil-Revae" No. 11<br />

Der ukrainische Liebesbrief Ecke des guten Beispiels<br />

99<br />

Sie war ein ukrainisches Dienstmädchen<br />

von 28 Jahren, hiess Marynia, hatte eine<br />

schöne, schlanke Gestalt, ein blasses, sommersprossiges<br />

Gesicht, eine spitze Nase,<br />

fahlblondes Haar, graue Augen, die an den<br />

Rändern leicht gerötet waren, und ein<br />

heisses Herz. Dieses gehörte dem Forstarbeiter<br />

Antek. Jeden Abend kam er zum<br />

nahegelegenen Teich, und dann verschwand<br />

Marynia für eine Stunde oder so, und wenn<br />

sie zurückkam, hatte sie etwas mehr Farbe<br />

als sonst, und alle Leute im Hause blickten<br />

sie scheel an. Der Hass nämlich ist in<br />

der Welt sehr beliebt, aber gegen die Liebe<br />

sind alle Menschen eingenommen. Insbesondere<br />

gilt für eine Hausgehilfin Liebe als<br />

Luxus, noch schlimmer als Seidenstrümpfe,<br />

denn es ist in anständigen Familien ein<br />

Axiom, dass es sich schickt, wenn die Köchin<br />

keinen Magen und das Stubenmädchen<br />

kein Herz hat.<br />

Marynia hatte ein Herz, was alle Hausgenossen<br />

von verschiedenen Gesichtspunkten<br />

aus übelnahmen. Nur eine sympathisierende<br />

Seele gab es: die neunjährige<br />

Tochter. Erstens hatte sie heimlich das<br />

«Käthchen von Heilbronn» und die «Jungfrau<br />

ron Orleans» gelesen und ausserdem<br />

noch cDer Schatz in der Himmelpfortgasse»,<br />

einen Roman, den die Köchin in<br />

Lieferungen bezog. Zweitens liebte sie<br />

selbst mit aller Inbrunst Georg von der<br />

Sturmfeder, den Helden von Hauffs Lichtenstein.<br />

Aber obgleich sie ihre eigenen<br />

Gefühle hoch einschätzte, empfand sie doch,<br />

dass Marynias Liebe aus Seelentiefen kam,<br />

die ihr noch verschlossen waren. Ueberd,ies<br />

war sie mit Marynia eng befreundet.<br />

Mit Antek als Liebesobjekt war sie nicht<br />

einverstanden. Es war entschieden ein<br />

Missgriff. Wenn sie gewusst hätte, dass es<br />

das gibt, hätte sie sogar von Mesalliance<br />

gesprochen. Denn Antek war um einen<br />

halben Kopf kleiner als Marynia und nicht<br />

besonders gewachsen. Auch war er nur<br />

mit einem blauen Auge davongekommen,<br />

denn sein zweites war missfarben und<br />

schaute mit Vorliebe nach einwärts. Auf<br />

keinen Fall konnte er es mit Georg von der<br />

Sturmfeder aufnehmen. Aber der Ge-<br />

•chmack der Menschen war eben verschieden.<br />

Wenn man es recht überlegte, war<br />

ja Wetter vom Strahl auch ein altes, eingebildetes<br />

Ekel und Lyonel ein Zieraffe und<br />

wurden doch von Käthchen und Johanna<br />

«o sehr geliebt. Also durfte Marynia Antek<br />

auch lieben. Er hatte eben Glück. Aus<br />

allen diesen Erwägungen war das kleine<br />

Mädchen stillschweigend die Protektorin<br />

dieser Liebe, und wenn die Mutter fragte,<br />

wo Marynia sei, so wusste sie eine Menge<br />

anderer Orte zu nennen, nur der Teich fiel<br />

Ihr nie ein.<br />

Von Dr. Eugenie Schwarzwald.<br />

Eines Sommers aber fand sie nicht die<br />

Zeit, sich um die Umwelt zu kümmern. Ein<br />

eigenes grosses Erlebnis hinderte sie daran.<br />

Sie hatte im Juli zum Geburtstag den «Robinson»<br />

geschenkt bekommen. Nicht so eine<br />

dumme Kinderbearbeitung, sondern den<br />

richtigen Original-Robinson. Kaum hatte<br />

sie ihn fertig gelesen, nahm sie tagsüber<br />

Quartier in einer vom Hause fernabgelegenen<br />

Laube, um dort Robinsons Leben in<br />

Wirklichkeit umzusetzen. Vor allem handelte<br />

es sich darum, Glas zu machen, bei<br />

welcher Beschäftigung sie sich von Zeit zu<br />

Zeit mit einem Biss in eine Zitrone stärkte,<br />

die sie in der Küche gestohlen hatte. Zitrone<br />

war gut gegen Fieber, und wenn sie auch<br />

keines hatte, schaden konnte es auf keinen<br />

Fall: was Robinson» tat, nachzumachen,<br />

war ehrenvoll. Es fiel ihr nicht auf, dass<br />

sie trotz ungeheuren Salzverbrauches mit<br />

der Glasfabrikation nicht recht weiterkam<br />

und war nicht, einmal darüber enttäuscht,<br />

dass es ihr noch kein einziges Mal gelungen<br />

war, durch Aneinanderreihen von trokkenen<br />

Hölzern Feuer zu erzeugen. Versunken<br />

in die Robinsonade hatte sie also<br />

nicht einmal so viel Zeit, um Marynias<br />

Liebesgeschichte zu verfolgen.<br />

An einem heissen Augustnachmittag aber<br />

hörte sie von ihrer Laube aus heftiges<br />

Schluchzen. Sie trat heraus. Im Gras vor<br />

der Laube lag- Marynia wie abgemäht. «Was<br />

hast du?» fragte das Kind erschrocken.<br />

«Antek, Antek!» — «Ist er tot?» — «Nein,<br />

wegen Kasia, gestern abend ist er nicht gekommen<br />

... er war mit ihr tanzen... oh,<br />

ich geh' ins Wasser!» — «Tu' das nicht»,<br />

sagte das Kind ernst, «der Teich ist furchtbar<br />

schmutzig, und vielleicht liebt er diese<br />

Kasia gar nicht. Sie ist ja so diek. Wegen<br />

einem mal kannst du doch nicht so eine Geschichte<br />

machen. Weisst du was? Schreib'<br />

ihm einen Brief.» — «Ach Gott, wie du dir<br />

das vorstellst», sagte Marynia, «ich kann<br />

doch gar nicht schreiben. Das ist nur für<br />

Stadtleute.» — «Nein», sagte das Kind,<br />

«wenn man was aufschreibt, so kann es jeder<br />

lesen und dann wird alles wieder gut.<br />

Wenn du willst, ich schreibe ihm.» — Marynia<br />

hörte zu weinen auf. «Ja, das ist was<br />

anderes; du bist zwar klein, aber oho!<br />

Schreib' du nur.»<br />

Rasch wurde ein wunderschöner Briefbogen<br />

aus der Kassette der grossen Schwester<br />

geholt, und nun sass das Kind an dem<br />

weissgehobelten Tisch, der vor der Laube<br />

auf der Wiese stand. Ihr war furchtbar<br />

bang. Vor ihren Augen tanzten die gelben<br />

Malven und roten Glaskugeln des Bauerngartens,<br />

der aus der Ferne zu sehen war.<br />

Alles war schwer und gelb und rot. Entsetzlich<br />

genug, eigene Briefe zu schreiben,<br />

nun erst fremde! Das war eine Aufgabe!<br />

Um Weihnachten 1932 hemm hatte eine<br />

Wärmewelle anstatt den erhofften Schnee<br />

etwas Regen gebracht, so dass die an schattigeren<br />

Orten noch erhaltene weisse Decke sich<br />

in eine gefährliche Eisschicht verwandelte.<br />

Die Hauptdurchgangsstrassen waren aber fast<br />

ausnahmslos völlig schnee- und eisfrei, so<br />

dass in dieser Beziehung keine besondere<br />

Vorsicht am Platze schien. Ich fuhr daher<br />

sorglos (soweit ein aufmerksamer Fahrer<br />

sorglos sein kann) und bei mittlerer Geschwindigkeit,<br />

aus der Zentralschweiz kommend,<br />

gegen Winterthur. Unmittelbar ausserhalb<br />

Kemptthal deutete mir ein entgegenkommender<br />

Lastwagenführer durch Winkzeichen,<br />

ich solle das Tempo verlangsamen. Ich leistete<br />

der Aufforderung zwar sofort Folge,<br />

konnte mir aber nicht recht erklären, was die<br />

Veranlassung hierzu sein könnte. Nachdem<br />

ich etwa einen halben Kilometer gefahren war<br />

und noch nichts Ausserordentliches bemerkte,<br />

begann ich schon an ein Missverständnis oder<br />

gar an einen schlechten Scherz zu denken und<br />

war im Begriffe an Tempo etwas zuzulegen,<br />

da ich vorsichtshalber auf das Zeichen hin den<br />

zweiten Gang eingeschaltet hatte. In diesem<br />

Augenblick kreuzte ich noch einen jugendlichen<br />

Velofahrer, der mir in noch viel unmissverständlicherer<br />

Weise gleichfalls andeutete,<br />

dass grösste Vorsicht am Platze sei. Gespannt<br />

und mein Tempo auf maximal 10 km reduzierend<br />

fuhr ich weiter und kam, nachdem die<br />

Ortschaft und die bekannte Kurve hinter mir<br />

lagen, auf eine Strecke, die rechter Hand vom<br />

Bahngeleise, links von einem Waldrand eingesäumt<br />

ist. Dieses Teilstück liegt stark im<br />

Schatten und hier hatte nun der feine Regen<br />

Noch viel schwerer als das Dividieren mit<br />

Brüchen. Was sollte sie jetzt tun, damit<br />

ihr das Richtige einfiel? Vielleicht sollte<br />

man beten? Nein, das ging nicht. Sie hatte<br />

noch von der vorigen Woche her eine Differenz<br />

mit dem lieben Gott. Er hatte sie<br />

in einer wichtigen Sache im Stich gelassen.<br />

Diese Geschichte jetzt musste man eben<br />

selbst erledigen. Man hatte einfach jene<br />

Worte zu finden, die so zwingend waren,<br />

dass dieser Mensch zu Marynia zurückkehrte.<br />

Er war ja grauslich, und es musste<br />

ganz schrecklich sein, ihm einen Kuss zu<br />

geben. Aber Marynia wünschte sich ihn.<br />

Warum, konnte kein Mensch wissen. Was<br />

empfand Marynia überhaupt? Nun, wahrscheinlich<br />

das gleiche wie Johanna und<br />

Käthchen; man musste also schreiben, wie<br />

Erfreuliche Solidarität auf der Strasse.<br />

den dort noch liegenden Schnee in ein ausserst<br />

gefährliches Parkett verwandelt. Trotz<br />

der stark verlangsamten Fahrt begann mein<br />

Wagen unsicher zu werden und gehorchte nur<br />

mit Mühe der Führung. Beidseitig der Strosse<br />

standen oder lagen vielmehr verschiedene Autos<br />

in mehr oder weniger havariertem Zustande,<br />

die den sicheren Halt auf der Strassenoberfläche<br />

verloren hatten und deren Lage<br />

durch brüskes Bremsen des Fahrers vielleicht<br />

noch verschlimmert worden war. Kurzum:<br />

unmittelbar vor mir ein ordentlicher Wagensalat,<br />

zwischen dem ich mein Fahrzeug unversehrt<br />

hindurchlotsen konnte.<br />

Die Strasse war dort derart vereist, dass<br />

selbst eine Geschwindigkeit von 20—25 km<br />

gereicht hätte, um ebenfalls im Graben zu<br />

landen oder doch mit den bereits beschädigten<br />

Fahrzeugen zusammenzustossen. Die kollegiale<br />

Warnung durch Lastwagenchauffeur<br />

und Velofahrer haben mich vor diesem unerfreulichen<br />

Zwischenfall bewahrt, der am so<br />

unangenehmer empfunden worden wäre, als<br />

jede Verzögerung mich verhindert hätte, im<br />

Kreise meiner Familie Weihnachten zu feiern.<br />

Von Winterthur her waren dann Sandwagen<br />

und Abschleppauto einer Garage unterwegs,<br />

an denen ich mit einem recht angenehmen Gefühl<br />

der Erleichterung vorbeifuhr, meinem<br />

Bestimmungsort entgegen. Den beiden aufmerksamen<br />

Strassenkollegen hätte ich gerne<br />

auf irgendeine Art und Weise meinen Dank<br />

bekundet. Gewiss geschieht dies am besten<br />

dadurch, dass ich mich immer ihres guten<br />

Beispieles erinnern werde, um zu versuchen,<br />

ihm nach bestem Können nachzueifern. Dr. B.<br />

sie alle drei geschrieben hätten. So, jetzt<br />

hatte sie es. Jetzt konnte sie plötzlich, als<br />

ob man einen Zapfen aus der Tonne gezogen<br />

hätte. Das heisst, zuerst musste sie<br />

noch den grossen Tintenklex auflecken, der<br />

ihr, als sie energisch und tief ins Tintenfass<br />

tauchte, auf das prachtvolle hell-lila<br />

Papier gefallen war. Aber dann ging es<br />

wie Sturmwind, jeden Strich mit der herausgestreckten<br />

Zungenspitze begleitend:<br />

«Lieber Antek! Ich grüsse Dich viele<br />

tausend Male und teile Dir ergebenst mit,<br />

dass mein Herz sich verblutet, weil Du<br />

mich wegwerfen konntest für eine gewisse<br />

Kasia. Wegen dieser Kasia muss<br />

ich fort von dieser Welt ins kalte, unbarmherzige<br />

Wasser. Oh, mein hoher<br />

Herr, Du duldest ja die Nachtigall im<br />

Hag, warum duldest Du nicht die Liebe<br />

Deiner Marynia? Nie früher habe ich<br />

eines Mannes Bild in meinem reinen Busen<br />

getragen, und jetzt, und jetzt! Hast<br />

Du denn gar kein Mitleid mit Deiner bis<br />

Kaffee Hag trinken heiftt:<br />

etwas für die Gesundheit tun«<br />

— Und wer wollte das nicht 1<br />

F E U I L L E T O N<br />

Herrn Colllns Abenteuer<br />

Roman von Frank Heller.<br />

(Fortsetzung aus dem Hauptblatt.)<br />

Gestern morgen schien er sich etwas besser<br />

zu fühlen. Der Neffe kam nach dem<br />

Lunch auf Deck, ganz strahlend, und erzählte,<br />

dass die Nacht gut gewesen war (ich weiss<br />

einen, für den die Nacht nicht gut war!), dass<br />

der Alte mit Appetit gegessen hatte, und behauptete,<br />

deutlich zu fühlen, wie' die Luft<br />

schon auf ihn zu wirken anfing. Ich muss<br />

nicht erst sagen, dass die Freude darüber<br />

gross war, namentlich unter den Damen. Am<br />

Nachmittag gab es eine allgemeine Wallfahrt<br />

hinunter ins Krankenzimmer — natürlich nur<br />

auf ein Viertelstiindchen oder so, und der<br />

Alte wurde mehr verhätschelt, als selbst für<br />

einen so engelguten Mann wie ihn zuträglich<br />

sein kann. Der Neffe leuchtete zur Zufriedenheit,<br />

und wer nicht weniger strahlte, war<br />

Kapitän Selby. Er stand da und sah den alten<br />

Geistlichen unverwandt an, als wäre er sein<br />

Vater, und sagte einmal ums andere:<br />

«Wenn ich nach Malta komme, dann suche<br />

ich Sie auf, Herr Pastor! Ganz bestimmt,<br />

und dann bringe ich Ihnen ein paar kleine<br />

Heiden aus Indien mit, die können Sie<br />

taufen !><br />

«Tun Sie das, tun Sie das!» sagte der Alte<br />

und lächelte, ohne im geringsten böse zu werden.<br />

«Tun Sie das, Kapitän Selby. Sie sind<br />

immer willkommen.»<br />

«Und ich?» erklang es sofort im Chor von<br />

den Damen.<br />

«Und ihr? Meine lieben Kinder! Natürlich,<br />

alle, alle seid ihr willkommen!»<br />

Dann wendete er sich an mich. «Und Sie,<br />

werden Sie auch manchmal an Ihren armen<br />

alten Freund, den Pastor aus Malta denken?<br />

Und an unsere Schachpartien?»<br />

Ich beeilte mich, es ihm zu versichern.<br />

«Das ist nett von Ihnen,» sagte er mit seiner<br />

liebenswürdigsten Stimme und lachte.<br />

«Denn Sie wissen ja, ich habe Sie immer<br />

schachmatt gemacht!»<br />

Heute, als die Insel in Sicht kam (gleich<br />

nach dem Lunch), kam er sogar auf Deck.<br />

Die Sonne schien ja noch, und er war sehr<br />

warm eingehüllt. Aber sowie wir angelegt<br />

hatten, begann es kühler zu werden (nach<br />

zwanzig Minuten fing es an zu regnen) und<br />

der Neffe brachte den Alten in einem TragsesseJ<br />

ans Land. Vorher nahmen natürlich<br />

alle von ihm Abschied, Kapitän Selby zu<br />

allerletzt, und der Kapitän sagte:<br />

«Nun, nehmen Sie also Ihren Grabstein<br />

mit, Pastor?»<br />

«Meinen Grabstein? Natürlich, Kapitän<br />

Selby!»<br />

«Aber Sie fühlen sich doch besser?»<br />

«Ach, Kapitän, wer weiss heute, was morgen<br />

geschehen kann! Sie sehen ja, die Luft<br />

ist schon schlechter geworden, es regnet!»<br />

«Kommen Sie mit mir nach Alexandria,<br />

Pastor! Dort ist die Luft ausgezeichnet.»<br />

Der alte Geistliche lachte.<br />

«Diesmal nicht. Das nächste Mal, Kapitän.»<br />

Der Kapitän sah aus, als dächte er: dieses<br />

nächste Mal wird wohl nie kommen, und als<br />

wollte er es nicht zeigen. Er schüttelte dem<br />

Pastor stumm die Hand, dieser wurde in seinem<br />

Tragsessel fortgebracht, und man begann<br />

die Ausladung des Raumes, der mich so sehr<br />

interessiert hat.<br />

Es gelang mir, einen Platz zu finden, von<br />

wo ich zusehen konnte. Der Grabstein des<br />

Pastors — in einer mächtigen Kiste— wurde<br />

durch Kräne gehoben und auf den Kai placiert,<br />

und während man mit dieser Arbeit beschäftigt<br />

war, konnte ich durch die Luke auf<br />

dem Verdeck einen Blick in den Raum werfen.<br />

Es waren nicht mehr als vier oder fünf Kolli<br />

darin, und es konnte kein Zweifel bestehen,<br />

welches von ihnen das unsere war, wie G.<br />

sagt. Es stand in der einen Ecke, eine gewöhnliche<br />

braune Packkiste mit Querrippen und<br />

einigen Bleiplomben und Siegeln. Ich nahm<br />

eine Gehirnphotographie des Lastenraumes<br />

auf und ging meiner Wege, um kein unnötiges<br />

Aufsehen zu erregen.<br />

Eine Stunde später verliessen wir bei strömendem<br />

Regen La Valette, dessen Hafen<br />

ganz leer war, bis auf einige Fischerboote<br />

und eine Jacht «Vorwärts» mit englischer<br />

Flagge. «Vorwärts» — das ist ein Wort, das<br />

jetzt meine Losung werden muss! G. wird es<br />

mir im Notfall in die Ohren tuten, — aber das<br />

wird nicht nötig sein. Vorwärts heute abend,<br />

ohne vorhergehenden Whisky! Vorwärts zu<br />

der braunen Packkiste im Kassenraum und<br />

ihrem goldenen Inhalt! Vorwärts, ohne sich<br />

um Hindernisse — oder, Gespenster! — zu<br />

kümmern! *<br />

Ein Himmel ohne Wolken, ein Meer wie<br />

Samt. Eine laue Vormittagsbrise, die auf dem<br />

Land in den dunkelgrünen Pinienhainen spielt<br />

und draussen auf dem Wasser an den Wimpeln<br />

und weissen Segeln der Jacht «Vorwärts»<br />

zerrt.<br />

Die Jacht «Vorwärts» verlässt bei einer<br />

leichten Vormittagsbrise den Hafen in Ajaccip<br />

auf Korsika. Auf iljrer kleinen Kommandobrücke<br />

steht ein gebräunter Seebär, der für<br />

ihren Kurs sorgt; und unten in der Kajüte<br />

sitzen drei Herren um eine Flasche Champagner<br />

und eine Nummer der «Daily Mail».<br />

Andere <strong>Zeitung</strong>en liegen um sie verstreut.<br />

Der eine der drei Herren — zwei von ihnen<br />

sehen einander übrigens ähnlich — sitzt<br />

stumm da, mit einem Lächeln um den Mund<br />

und blickt zum Kajütenfenster hinaus, während<br />

die beiden andern in eifrigen Ausrufen<br />

zu ihm sprechen.<br />

«Ach, Professor, Sie sind märchenhaft!» -<br />

«Aber ich bitte Sie, Graham!»<br />

«Hunderttausend Pfund, Professor, und der<br />

andere festgenommen! Nein, wirklich, wenn<br />

das...»<br />

«Lavertisse, Lavertisse! Der andre tut .mir<br />

wirklich leid. Ich glaube, es war ein ordentlicher<br />

Mensch, der nur auf Abwege gekommen<br />

ist. Homo homine lupus. Des einen Brot, des<br />

andern Tod. Und ich habe ihm doch eine Warnung<br />

zukommen lassen, unbewusst! Das geht<br />

doch aus dem Tagebuch hervor.»<br />

«Das Tagebuch, ja, das ist, by Jove, die erquickendste<br />

Lektüre, die ich seit langem gehabt<br />

habe. Diable, wie er erschrocken zu<br />

sein scheint, als er sich selbst aus dem Kassenraum<br />

treten sah.»<br />

«Armer Kerl, ja, Lavertisse, und Ihren Husten<br />

aus meinen Krankenzimmer hörte. Sie<br />

haben, auf Ehre, ausserordentlich gehustet.»

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