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E_1933_Zeitung_Nr.063

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Zur Solidarität im Reiseverkehr<br />

Im Anschluss an den Aufruf der 'Schweizerwoche,<br />

dem seither ein weiterer vom.<br />

Schweizer. Fremdenverkehrsve.rband gefolgt<br />

ist, welche beide dringend vermehrtes Reisen<br />

und Verbleiben im Inland empfahlen, zitierten<br />

wir einige Zahlen aus den Schweiz. Blättern<br />

für Handel und Industrie. Dort Wurde<br />

nämlich gemeldet, dass im Sommer .1931<br />

durchschnittlich jeder Bundesbahnangestellte<br />

ein Freibillett für eine Auslandsfahrt gelöst<br />

habe. Es lag für uns kein Grund vor, an diesen<br />

Angaben zu zweifeln, dies um so mehr,<br />

als es ein offenes Geheimnis ist, dass in ge-.<br />

wissen Ortschaften an der Riviera zeitweise<br />

eigentliche schweizerische Eisenbahnerkoltv<br />

nien bestehen, die dort ihre Ferien gemessen.<br />

Nun teilt uns das Generalsekretariat der<br />

S. B. B. mit, dass die vorerwähnten Angaben<br />

nicht zutreffen würden, indem in Wirklichkeit<br />

nicht einmal die Hälfte der erwähnten<br />

Zahl (35 000) von Freifahrtscheinen für Reisen<br />

auf ausländischen Eisenbahnstrecken abgegeben<br />

worden seien, Ergänzend schreibt<br />

das Generälsekretariat:<br />

Vom Standpunkte des Tourismus aus betrachtet,<br />

dürften dem Umstände, dass ein Teil der' Btiüdesbatmer<br />

>die Ferien im Auslande verbringt, nicht<br />

allzu grosse Nachteile anhaften, weil anderseits infolge<br />

des Austausches der ..Fahrbegünstigungeri<br />

mehr ausländische Eisenbahnbedienstete in die<br />

Schweiz reisen, als schweizerische Bundesbahner<br />

nach dem Ausland. Es darf schliesslich aueh nioht<br />

ausser acht gelassen werden, dass das Reisendes<br />

Bundesbahners im Auslande auch vom Gesichtspunkte<br />

der Erweiterung seines dienstlichen Horizontes<br />

gewisse Vorteile bietet, Wer im Verkehrsidienste<br />

tätig ist, tnuss von Zeit zu- Zeit seinen<br />

Blick erweitern und hiefür<br />

sind Reisen; im Ausland<br />

von einem gewissen Wert.<br />

Soweit die offizielle Begründung der Gratisfahrten<br />

ins Ausland. Wir' freuen uns ob<br />

des grossen Wissensdurstes der Bahnbeamtenschaft,<br />

die keine Mühen scheut, um sich<br />

im Auslande den dienstlichen Horizont zu er?-<br />

weitern. Wenn im übrigen die Blätter für<br />

Handel und Industrie tatsächlich falsch unterrichtet<br />

gewesen waren, so ist dies weiter<br />

nicht verwunderlich, denn über, der Ausgabe<br />

dieser Freifahrtscheine herrscht mysteriöses<br />

Dunkel, das wohl mit gewisser'Absicht,^auch<br />

gewahrt wird. Wir haben seinerzeit in einer<br />

Polemik mit der Redaktion, des * Eisenbahner<br />

» den Generalsekretär der Gewerkschaft<br />

aufgefordert, der Oeffentlichkeit hierüber<br />

Aufschluss. zu geben, doch warten wir auch<br />

von dieser Seite immer noch auf eine Antwort!<br />

. u<br />

Wir haben der Zuschrift gerne'Raum- gewährt,<br />

da unbedingte Sachlichkeit in jeder 1<br />

Diskussion am Platze ist und wir nicht anstehen;<br />

frf jeder Angelegenheit beide' Seiten<br />

zum Wort kommen zu lassen.. Wenn aber<br />

das Generalsekretariat seine Berichtigung<br />

dazu benützt, um uns gleichzeitig noch; etwas<br />

auf die Finger klopfen zu. wollen, darin sind<br />

wir schon so frei, uns auch noch zum Worte<br />

zu melden. Der die erwähnte Zuschrift unterzeichnende<br />

Oberbeamte widmete uns in<br />

Handschrift nämlich noch folgenden Nachsatz:<br />

«Da die Automobilisten ihre Ferien erfahr<br />

rungsgemäss mit Vorliebe im Ausland verbringen,<br />

dürften sie nicht in erster Linie berufen<br />

sein, den Schweiz. Eisenbahnern Zurückhaltung<br />

bei den Auslandsreisen zu empfehlen.<br />

><br />

Ganz abgesehen davon, dass wir zufolge<br />

der ausserordentlichen Zeitumstände vermehrtes<br />

Reisen im Inland vorab den Automobilisten<br />

empfohlen haben, so scheint uns<br />

doch die Parallele auch in anderer Hinsicht<br />

nicht am Platze. Zahlenmässig lässt sich<br />

leider ein Vergleich nicht anstellen, doch<br />

glauben wir, dass von den vielen Schweizern,<br />

die sich in Italien, an der Riviera und anderswo<br />

aufhalten, der grösste Teil die Eisenbahn<br />

benützte und sich hauptsächlich durch die<br />

ausserordentlich billigen ausländischen Fahrpreise»<br />

und weiteren verlockenden Angebote<br />

zu einem Ferienaufenthalt im -fremden Land<br />

bestimmen Hess. Für den Automobilisten dagegen<br />

besteht in bezug auf die Reisekosten<br />

kein besonderer Anreiz, ins Ausland zu fahren.<br />

Wenn er aber die Grenzpfähle hinter<br />

sich lässt, dann geschieht das ausschliesslich<br />

auf seine eigenen und persönlichen Kosten.<br />

Die Oeffentlichkeit aber, welche durch<br />

die Mittel des Bundes den Bundesbahnen immer<br />

wieder unter dem einen oder andern<br />

Titel mit , Millionenbeiträgen beispringen<br />

soll, hat bestimmt daran ein Interesse, zu<br />

wissen, ob die Bahnbeamten « gratis » in der<br />

Welt herumfahren oder ihre Ferien im Lande<br />

verbringen. Wir setzen die Bezeichnung<br />

gratis deshalb in Anführungszeichen, weil<br />

die Reise zwar für den dazu Berechtigten,<br />

kaum aber für die Verwaltung und damit<br />

letzten ; Endes für die die Bahnen finanzierende<br />

Oelfentlichkeit kostenlos erfolgen<br />

kann. Und wenn es der Volkswirtschaft und<br />

den .Staatsbetrieben, die schliesslich auf der<br />

^rsteren aufbauen, schlecht geht, so darf<br />

man wohl in allererster Linie von denen Einsicht<br />

und wirtschaftliche Solidarität erwarten,<br />

die vom Staat besoldet sind! Dass diese<br />

Meinung auehjm Ausland weit verbreitet ist,<br />

zeigt doch am deutlichsten der kürzliche Erlass<br />

eines deutschen Ministeriums, der vor<br />

allem eine Einschränkung der Auslandsreisen<br />

der Staatsbeamten bezweckt. Die wirtschaftlichen<br />

Voraussetzungen für Reisen nach anderen<br />

Ländern sind beim privaten Automobilisten<br />

und beim Eisenbahner mit Gratisfahrschein<br />

so grundverschieden, dass es bestimmt<br />

nichtsangeht, sie auf der gleichen Ebene befrachten<br />

zu wollen. Dabei gehen wir aber mit<br />

: ! dem ^eheraisekretäriatdef Sv-B.BVvöllstä<br />

idig einig,, dass die Zurückhaltung.,..t>ei<br />

Auslandsreisen «in den heutigen Zeiten als<br />

Notwehrmassnahme als durchaus gegeben<br />

zu betrachten ist», weshalb unser Appell an<br />

die Solidarität der Automobilisten im Reiseverkehr<br />

schon viel früher ertönte, bevor uns<br />

die Meldung aus den Blättern für Handel und<br />

Industrie zu einem Exkurs auf das umstrittene<br />

Gebiet der Gratisbillette für Eisenbahner<br />

veranfasste. ' B.<br />

AUTOMOBIL-REVUR <strong>1933</strong> - N° 65<br />

Sportnachrichten<br />

Vor der internationalen Alpenfahrt<br />

Beginn am Montag.<br />

Nur noch zwei Tage trennen uns vom Beginn<br />

der diesjährigen internationalen Alpenfahrt,;<br />

die bekanntlich in Meran ihren Ausgang<br />

nimmt.. Die fünfte Wiederholung dieser<br />

gewaltigen sportlich - touristischen Dauerprüfung,<br />

die in diesem Jahr durch drei Länder<br />

führt, hatte eine ausserordentlich lange<br />

und umständliche Vorgeschichte. Nicht ohne<br />

Grund fürchtete, man bis vor einiger Zeit, die<br />

ganze Alpenfahrt <strong>1933</strong> werde ins Wasser fallen.<br />

Die.. Krise äusserte sich auch hier in<br />

grösserer Zurückhaltung der verschiedenen<br />

nationalen Automobil-Clubs, die nicht mehr<br />

ohne weiteres ihr Geld für die Veranstaltung<br />

zur Verfügung stellen konnten. Auch die<br />

Schweiz müsste seinerzeit erklären, in den<br />

gegenwärtigen Zeiten sich finanziell an der<br />

Alpenfahrt nicht mehr beteiligen zu können.<br />

Erst durch das Eingreifen der französischen<br />

und italienischen Automobil-Clubs und die<br />

finanzielle Unterstützung Englands konnte<br />

die Prüfung doch wieder gesichert werden.<br />

Der Nennungserfolg der diesjährigen Alpenfahrt<br />

hat gezeigt, wie berechtigt die Durchführung<br />

auch in diesem • Jahr ist. Trotzdem<br />

sich die politischen Schwierigkeiten zwischen<br />

Deutschland und Oesterreich noch hemmend<br />

in den Weg legten, schrieben sich insgesamt<br />

nicht weniger als 134 Fahrer ein, eine Rekordzahl,<br />

die noch nie erreicht worden ist. Es<br />

mag interessieren, anhand der Meldungen<br />

!von <strong>1933</strong> die Nennungen der letzten Jahre<br />

(zu erfahren. Für die erste Alpenfahrt'im<br />

•Jahr : i928-halten sich'W'KonKürrehteii ein*<br />

getragen. Die Meldeliste von 1929 enthielt<br />

95 Namen, die von 1931 72 und letztes Jahr<br />

schrieben sich 107 Konkurrenten ein.<br />

Die 134 Fahrer verteilen sich auf die folgenden<br />

Länder: England, Deutschland, Frankreich,<br />

Tschechoslowakei,,, Oesterreich, Holland,<br />

Schweiz, Italien, U.S.A., Ungarn und<br />

Belgien. Ganz einzigartig ist die Besetzung<br />

bei den Markenteams. Sechzehn Mannschaften<br />

aus verschiedenen Ländern sind für die<br />

j von grossem Wert.»<br />

Jetzt nahm Georg das Wort. «Verzeihen<br />

Sie, Herr Assessor,» sagte er mit leichtem<br />

Lächeln, «dass ich hier als Beschuldigter<br />

etwas bemerke. Ist denn wirklich die Anwesenheit<br />

meines Bruders nicht, genügend,<br />

den furchtbaren Verdacht fällen zu lassen?»<br />

«Es wäre jedenfalls nach meinen Erfahrungen<br />

ein Unikum,» setzte der Justizrat ohne<br />

Schärfe hinzu, «die Anklage eines Mordes zu<br />

erheben, während Mörder und Ermordeter<br />

sich die Hände schütteln.»<br />

Der Assessor war kein Brausekopf. In seidiesjährige<br />

Alpenfahrt gemeldet, und zwar<br />

ein holländisches Ford-Team, ein englisches<br />

SS.-Team, ein französisches Hotchkiss-Team,<br />

zwei deutsche Daimler-Benz-Männschäften,<br />

ein belgisches Vauxhall-Team, zwei deutsche<br />

Adler-Equipen, ein englisches Riley-Team,<br />

eine deutsche Hanomag-Mannschaft, ebenfalls<br />

eine deutsche Röhr- und eine deutsche Stoewer-Mannschaft,<br />

eine englische Frazer-Nash-<br />

Equipe, eine englische M. G.-Equipe, eine<br />

englische Singer-Mannschaft und ein englisches<br />

Fiat-Team. Wiederum enthält die<br />

Nennliste eine grosse Anzahl hervorragender<br />

Chur A<br />

Die Gesamtstrecke der Alpenfahrt <strong>1933</strong>.<br />

Fahrer, von denen nur die bekanntesten erwähnt<br />

seien: Mlle Helle-Nice (Frankreich)*<br />

Sauerwein (Deutschland), Ing. Proskowetz,<br />

(Tschechoslowakei), Delmar (Ungarn), San-,<br />

der (Deutschland), Karl und Paul von Guilleaume<br />

(Deutschland), Lotte Bahr (Deutschland),<br />

Mercanti (Italien), Graf Lurani (Italien),<br />

Montague Johnston (England), De La<br />

Valette (Frankreich), Healey (England), Hör-1<br />

ton (England) usw.<br />

Die diesjährige Alpenfahrt ist mit rund 1920<br />

Kilometer die zweitkürzeste seit Bestehen<br />

dieser grossen Prüfung. Wenn man aber'bedenkt,<br />

dass es bei dieser Konkurrenz nicht<br />

nur auf die Länge, sondern vor allem auch,<br />

auf die Schwierigkeiten der Strecke ankommt,<br />

so ist die diesjährige Veranstaltung in keiner<br />

Weise harmloser als die früheren.<br />

Rennchef ist auch der in der Schweiz bekannte<br />

Präsident des Automobilclubs von<br />

Marseille, Herr Rousset. Als nationale Sportkommissäre<br />

werden die Herren Perouse<br />

(Frankreich), Fritsch (Deutschland), Koechert<br />

(Oestereich), Lindsay Lloyd (England)<br />

und Decrauzat (Schweiz) die Fahrt begleiten,<br />

Der italienische Vertreter ist noch nicht be+<br />

k ä n n t •• " "••• •••-•" ' •• .. ?; - r - •<br />

Die Wagenabnahme in Merän findet am,<br />

kommenden Samstag und Sonntag statt, und<br />

am Montag früh, um 4 Uhr, beginnt der Start<br />

zu der Konkurrenz, die bekanntlich am 4. August<br />

in Nizza zu Ende geht.<br />

Die Route<br />

der Internationalen Alpenfahrt<br />

In 5 Etappen 1921,9 km, dazu kreuz und quer<br />

durch die Alpen und über die höchsten Pässe, ist<br />

keine Kleinigkeit. Die Anstrengungen, die an die<br />

Fahrer und die Maschine gestellt werden, sind deszeug,<br />

Bücher und Papier bedeckten den<br />

kleinen Tisch.<br />

«Guten Tag, Richard,» sagte Wedemeyer in<br />

biederer Herzlichkeit und ging mit ausgestreckter<br />

Hand auf ihn zu.<br />

«Guten Tag, Georg,'» erwiderte der Haft-'<br />

lihg und ergriff erfreut die dargebotene<br />

Hand. «Ja, sage mal, bist du's denn wirk- 1<br />

lieh?» rief er lachend, zog ihn an das Fenster<br />

und betrachtete ihn: «Wahrhaftig; er ist es!»<br />

rief er dann und umarmte den Bruder, der<br />

ein gleiches tat. Wedemeyer hatte während<br />

des Weges hierher diese Szene reiflich überlegt.<br />

Innerlich frohlockte er. Plath hatte 1<br />

recht behalten. Dadurch, dass «Richard» auf<br />

den Schwindel einging und ihn als Georg anerkannte,<br />

legte er ihm gegenüber heimlich'<br />

ein Schuldgeständnis ab. Der Plan war ge-.<br />

lungen. Er spielte von jetzt an seine Rolle<br />

mit vollkommener Sicherheit.<br />

Nachdem sich beide gegenseitig nach ihrem<br />

Befinden erkundigt hatten, rief Georg: «Du<br />

kommst gerade zur rechten Zeit, ich wollte;<br />

dir schon ein Kabeltelegramm schicken, hättees<br />

schliesslich im Notfall auch getan. Du<br />

weisst, weswegen ich angeklagt bin?»<br />

Wedemeyer nickte. «Selbstverständlich. Du<br />

sollst mich ermordet haben. Haha! Plath'<br />

hatte es mir geschrieben oder vielmehr gekabelt.<br />

Deswegen bin ich Ja gekommen:»<br />

Verplappere dich nicht, Gauner! dachte<br />

Georg mit leichtem Schreck. Laut sagte er:<br />

«Deswegen? Georg! Das ist ja rührend von<br />

dir! Tausend Dank, Bruder.» Er schüttelte<br />

ihm innig die Hand.<br />

«Nichts zu danken. Das war doch selbst-'<br />

verständlich, lieber Richard.»<br />

Der Justizrat warf, ohne den Kopf zu wenden,<br />

einen Blick auf den Assessor. Dass da<br />

Komödie gespielt wurde, ahnte er nach dem<br />

ganzen bisherigen Verhalten seines Klienten,<br />

der ihm niemals den Vorschlag gemacht<br />

hatte, seinen Bruder aus Amerika als Zeugen<br />

heranzuziehen. Aber ein Rätsel blieb ihm das<br />

Ganze doch. Denn auch, dass Richard Nicola*<br />

einen falschen Georg aufgetrieben haben<br />

sollte, war in der kurzen 7 Zeit kaum möglich.<br />

Während dieser Gedanken lächelte er gerührt<br />

und nickte zu dem herzlichen Verhalten der<br />

Brüder:<br />

«Es geht doch nichts über wahre Bruderliebe!»<br />

sagte er halblaut.<br />

Georg, der auf den Schwindel eingegangen<br />

war, um zunächst einmal auf schnellste Weise<br />

aus der Untersuchungshaft, die ihn krank<br />

machte, und aus dem ganzen Verdacht herauszukommen,<br />

war erschrocken, als Wedemeyer<br />

sagte, er sei wegen dieser Sache herübergekommen,<br />

die ja noch gar nicht zur Anklage<br />

erhoben war. Da hatte sein sonst so<br />

kluger Verteidiger doch wohl einen Fehler<br />

gemacht, darauf hinzulenken.<br />

Und wirklich fragte jetzt der Assessor<br />

Wedemeyer: «Seit wann wussten Sie denn<br />

von den Ermittlungen, Herr Nicola?»<br />

Sogleich rief der Justizrat lachend: «Das<br />

ist dem Uebereifer der Münchener Polizei zu<br />

danken. Die verfolgte ja die Spur des Verdächtigen<br />

schon seit Monaten so auffällig,<br />

dass Herr Plath —»<br />

Der Assessor unterbrach ihn. «Ich frage<br />

Herrn Nicola,» sagte er. «Bitte, wann erhielten<br />

Sie die Nachricht, Herr Nicola?»<br />

Wedemeyer hatte Zeit gehabt zu überlegen<br />

und griff den Tipp des Anwalts auf. «Ich<br />

erhielt sie von unserm gemeinsamen Freunde<br />

Plath, der schickte mir vor vierzehn Tagen<br />

etwa ein Kabeltelegramm. Man fahnde, wie<br />

er in München gehört habe, auf meinen Bruder,<br />

und soweit er sich über die Sache habe<br />

informieren können, wäre mein Zeugnis da<br />

ner kühlen, sachgemässen Art sagte er: «Die<br />

weiteren Anordnungen hierin wir der Herr<br />

Staatsanwalt Wachshöfer treffen.»<br />

Es sei indessen, erklärte er weiter, kein<br />

Grund vorhanden, Herrn Direktor Nicola länger<br />

in Untersuchungshaft zu halten. «Ich<br />

muss nur noch um eine kurze Rücksprache<br />

bitten, Herr Direktor. Der Herr Staatsanwalt<br />

will Sie unter allen Umständen noch wegen<br />

eines bestimmten Punktes persönlich sprechen.<br />

Haben sich die Herren Brüder noch<br />

etwas zu sagen, ich warte solange.»<br />

Aber keinem der beiden Brüder schien es<br />

ein besonderer Herzenswunsch zu sein, die<br />

Stunde frohen Wiedersehens unnötig in die<br />

Länge zu ziehen. Nach ein paar verlegenen<br />

Redensarten um des Beamten willen, meinte<br />

Georg: «Wir haben ja nachher Zeit genug,<br />

über alles zu sprechen, lieber Bruder. Auf<br />

baldiges Wiedersehen! Komm doch zu mir<br />

in mein Hotel.»<br />

35.<br />

«Herr Direktor Nicola lässt bitten,» sagte<br />

der Hotelpage.<br />

Wedemeyer und Plath traten ein. Georg,<br />

der am Schreibtisch sass und die während<br />

seiner Haft eingelaufene Post durchsah, stand<br />

auf und begrüsste sie sehr freundlich. «Ich<br />

freue mich auf diese Stunde,» sagte er und<br />

sah sie harmlos an. «Lieber Plath, du wirst<br />

es uns nicht übelnehmen, wenn ich dich bitte,<br />

uns zuerst ein halbes Stündchen, allein zu<br />

lassen. Wir lunchen nachher alle drei unten<br />

im Hotel. Nicht wahr: wenn zwei Brüder,<br />

noch dazu Zwillingsbrüder, sich seit Jahrzehnten<br />

nicht gesehen haben, sind sie natürlich<br />

zuerst mal ein Weilchen unter sich.»<br />

Plath sah das ein«<br />

«Nun, Herr Wedemeyer,» begann Georg,<br />

als beide allein sich gegenübersassen. «Wie<br />

denken Sie sieh die Sache jetzt eigentlich?<br />

Bitte?» Er bot ihm Zigaretten an.<br />

«Zunächst denke ich — übrigens fabelhaft,<br />

wie Sie Ihrem Bruder ähnlich sehen. Wie<br />

Sie eben die Zigarette anboten: ganz Georg!<br />

— also zunächst habe ich Ihnen zweifellos<br />

einen grossen Dienst erwiesen, indem ich Sie<br />

aus der Untersuchungshaft befreite.»<br />

«Gewiss. Dafür bin ich Ihnen aufrichtig<br />

dankbar. Es wäre sonst sicher nicht so schnell<br />

gegangen.»<br />

«Das scheint mir auch so,» lächelte Wedemeyer<br />

ein wenig maliziös.<br />

«Was halten Sie von der Anklage?»<br />

Wedemeyer zuckte die Achseln. «Sie wird<br />

wohl nicht ganz grundlos gewesen sein f<br />

meinte Plath.»<br />

«So? Meinte Plath das? Und Sie? Wie<br />

lange gedenken Sie die Rolle meines Bruders<br />

zu spielen?»<br />

«Verzeihen Sie, ich verstehe Ihre Frage<br />

nicht. Natürlich für immer, sonst hätte es<br />

doch keinen Zweck.»<br />

Georg hatte Mühe, ruhig zu bleiben. «Und<br />

wie denken Sie sich unser weiteres Verhältnis<br />

zueinander?»<br />

«Das kann ja — und ich glaube, das wird<br />

auch Ihnen recht sein — ungefähr so bleiben,<br />

wie es früher zwischen den Brüdern Nicola<br />

war. Nur —» Er stockte.<br />

«Nun? Nur?»<br />

«Nur müsste natürlich die Vermögensfrage<br />

—hm, das Vermögen müsste wohl anders<br />

verteilt werden.»<br />

«Sie meinen, mein Vermögen. Und wie<br />

verteilt?»<br />

«Ich weiss nicht. Das einfachste wäre wohl,<br />

halbpart zu machen.»<br />

«Halbpart. Und für diese Summe wollen<br />

Sie es übernehmen» — scharf und hart fielen<br />

die Worte — «einen Mord zu vertuschen.<br />

Einen Brudermord?»<br />

Wedemeyer zuckte zusammen. Er hatte im<br />

schweren Lebenskampf drüben es nicht fertig<br />

bekommen, ganz sauber zu- bleiben, aber er<br />

war kein Schurke, und sein höchster Wunsch<br />

während der letzten Jahre war ein stilles<br />

und ungestörtes Landleben gewesen. Nur mit<br />

grosser Mühe und Ueberredungskunst, in der<br />

Hauptsache mit der als sicher in Aussicht<br />

gestellten siebenstelligen Ziffer, hatte der abgebrühtere<br />

Plath ihn über diesen wunden<br />

Punkt hinwegbekommen. (Forts, folgt.)

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