E_1933_Zeitung_Nr.070
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N» 70<br />
II. Blatt<br />
BERN, 22. August <strong>1933</strong><br />
70<br />
BERN, 22. August <strong>1933</strong><br />
Ted*<br />
• Rundschau<br />
Welche Höchstgeschwindigkeit<br />
ist zu Lande erreichbar?<br />
Zu dieser Frage äusserten. sich kürzlich<br />
im englischen «Autocar» Oapt. J. S. Irving,<br />
Reid A. Railton und Sir Malcolm<br />
Campbell. Der Weltrekordmann Campbell<br />
ist jedermann bekannt. Captain Irving<br />
ist der Konstrukteur von Segraves<br />
«Golden Arrow», und Railton der Konstrukteur<br />
von Campbeils «Blue Bird».<br />
Capt. Irving betrachtet als höchst erreichbaren<br />
Wert, der mit einem Automobil<br />
erreichbar sein wird, eine Geschwindigkeit<br />
von 370 Meilen, das heisst 592 km<br />
pro Stunde. Unter einem «Automobil»<br />
will er dabei ein Fahrzeug verstanden haben,<br />
das sich lediglich mit Ausnützung<br />
der zwischen den Rädern und dem Boden<br />
wirksamen Adhäsion, und nicht etwa<br />
durch einen Propeller, fortbewegt. Zur Ermöglichung<br />
dieser Geschwindigkeit sind<br />
jedoch zum Teil sehr schwere Bedingungen<br />
an erfüllen.<br />
Eines der grössten Hemmnisse, die es zu<br />
überwinden gilt, stellt der Luftwiderstand<br />
dar. Selbst unter der Annahme, dass ein .<br />
3000 PS leistender Motor Verwendung findet,<br />
kann die oben erwähnte Geschwindigkeit<br />
nur unter der Grundbedingung erreicht<br />
werden, dass der Lui'twiderstandsfaktor<br />
des Wagens den Wert 0,35 nicht<br />
übersteigt.<br />
Was bedeutet dieser Luftwiderstandsfaktor?<br />
Setzt man in einem Windkanal<br />
einmal eine ebene Fläche und das zweitemal<br />
einen beispielsweise spindelförmigen<br />
Körper dem gleichen Luftstrom aus, wobei<br />
angenommen sei, dass der Körper einen<br />
Querschnitt von gleichem Inhalt aufweise<br />
wie die Fläche, so ist der auf den<br />
Der Weltrekord-Rennwagen Campbells teilweise aufgeschnitten. 1 = Luftansaugöffnung des Kompressors; 2 = Torsionsstütze der Vorderachse; 3 =<br />
Wasserbehälter; 4 = 2500-PS-Zwölfzylinder-Rolls Royce-Motor; 5 = Doppellenkung; 6 = Benzinbehälter; 7 = Wagenheber; 8 = seitlich versetzter Hinterradantrieb;<br />
9 = Dreiganggetriebe; 10 = Kupplung; 11 = Hilfsrahmen; 12 = Kompressor; 13 = Wagenheber; 14 = Kühler.<br />
Drittel des Luftwiderstandes seiner grossten<br />
Querschnittsfläche ausmacht.<br />
Bei den bisherigen Weltrekord-Rennwagen<br />
ist man trotz aller Berücksichtigung<br />
ein"" günstigen aerodynamischen<br />
Linienführung der Karosserie noch nicht<br />
annähernd an den Luftwiderstandsfaktor<br />
0,35 herangekommen. Im besten Fall, beim<br />
«Golden Arrow» 1929, betrug diese Verhältniszahl<br />
0,4, während sie beim Sunbeam<br />
1927 0,43, beim Blue Bird 1931 0,52<br />
und beim Blue Bird <strong>1933</strong> zuerst 0,7, dann<br />
0,54 betrug.<br />
Den Luftwiderstandsfaktor dadurch zu<br />
verbessern, dass man den Maximalquerschnitt<br />
des Wagens verringert, scheint<br />
vorläufig nicht möglich; schon bisher war<br />
die Karosserie den Motoren meist so<br />
knapp angemessen wie ein Handschuh einer<br />
Hand. Der einzigmögliche Weg ist<br />
wohl in absehbarer Zeit der, dass die Linienführung<br />
noch weiter verbessert und<br />
die Karosserie noch weiter von all den<br />
kleinen vorspringenden Hindernissen gesäubert<br />
wird, die Anlass zu Luftstauun-<br />
Körper ausgeübte Druck vielleicht lOmal<br />
geringer als der Druck auf die Fläche. gen und Luftwirbelbildungen geben.<br />
Der spindelförmige Körper hat in diesem Von welch ausserordentlicher Bedeutung<br />
der Luftwiderstand ist, kann man<br />
Fall einen Luftwiderstandsfaktor von 0,1.<br />
Beim Rennwagen bedeutet der angeführte daran ermessen, dass zur Ermöglichung<br />
Luftwiderstandsfaktor 0,35; dass der Luftwiderstand<br />
des ganzen Wagens, im Wind-<br />
schon eine Motorleistung von 4000 PS<br />
der oben angegebenen Geschwindigkeit<br />
kanal gemessen, nur etwas mehr als ein nötig wäre, wenn anstatt mit dem Luftwiderstandsfaktor<br />
0,35 mit dem Faktor<br />
0,45 gerechnet werden müsste. Da der Wagen<br />
durch den stärkeren Motor aber wieder<br />
schwerer würde, und auch aus Gründen,<br />
auf die weiter unten noch eingegangen<br />
wird, noch schwerer gebaut werden<br />
müsste, hätte er nicht mehr die Beschleunigung,<br />
wie sie zum Ausfahren der Maximalgeschwindigkeit<br />
auf einer der bis<br />
heute bekannten Strecken notwendig<br />
wäre.<br />
Die längste, bis jetzt erprobte Strecke<br />
für Weltrekordgeschwindigkeiten hat mit<br />
10 Meilen der Strand von Daytona. Der<br />
«Golden Arrow» von Segräve benötigte<br />
zum Erreichen einer Geschwindigkeit von<br />
200 Meilen eine Anfahrstrecke von 2 Meilen,<br />
zum Beschleunigen von 200 Meilen<br />
auf 240 Meilen waren aber nochmals 2<br />
Meilen Fahrstrecke erforderlich. Berechnet<br />
man den Bremsweg mit ebenfalls 4 bis<br />
5 Meilen, so ist, die zur Messung der Geschwindigkeit<br />
erforderliche weitere Meile<br />
ebenfalls eingerechnet, die verfügbare<br />
Distanz schon fast voll ausgenützt. Ein<br />
Wagen, der die Geschwindigkeit von 370<br />
Meilen erreichen können soll, muss infolgedessen<br />
ein viel grösseres Beschleunigungsvermögen<br />
haben. Von grösster<br />
Wichtigkeit ist dafür ein möglichst geringes<br />
Wagengewicht.<br />
Anderseits darf ein gewisser Raddruck<br />
nicht unterschritten werden, weil sonst<br />
die Adhäsion der Räder zur Uebertragung<br />
der vollen Leistung und zur sicheren Führung<br />
des Fahrzeuges nicht ausreicht. Um<br />
eine Leistung von 3000 PS auf den Boden<br />
zu übertragen, ist theoretisch ein Raddruck<br />
von 1665 kg erforderlich, vorausgesetzt,<br />
dass der Adhäsionskoeffizient 0,7 beträgt.<br />
Praktisch muss jedoch mit dem<br />
doppelten Raddruck gerechnet werden,<br />
wenn sich die Räder auch dann, wenn der<br />
Wagenboden Unebenheiten überspringt,<br />
nicht allzusehr leer durchdrehen sollen<br />
(beim Blue Bird Campells betrug der<br />
Schlupf der Räder etwa 20 Prozent). Mit<br />
Rücksicht auf die Richtungsstabilität des<br />
Wagens müssen aber die Vorderräder um<br />
mindestens 80 Prozent des auf den Hinterrädern<br />
ruhenden Gewichtes belastet werden.<br />
Man kommt dabei für das nur hinten<br />
angetriebene Fahrzeug zu einem Totalgewicht<br />
von rund 6 Tonnen. Dieses Gewicht<br />
ist wiederum viel zu hoch, um auf<br />
Strecken von der zur Verfügung stehenden<br />
Länge genügend rasch beschleunigt<br />
zu werden. Es wird deshalb nichts übrig<br />
bleiben, als dass man den Antrieb auf die<br />
vier Räder verteilt. Der Wagen erhält ein<br />
Gesamtgewicht von zirka 3330 kg und beschleunigt<br />
fast doppelt so rasch wie der<br />
Wagen mit nur Hinterradantrieb.<br />
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