28.02.2018 Aufrufe

E_1938_Zeitung_Nr.094

E_1938_Zeitung_Nr.094

E_1938_Zeitung_Nr.094

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

,Automobn-Revne" — Nr. 94, II. Blatt BERN, Dienstag, 22. November <strong>1938</strong><br />

VERKAUFEN<br />

Mancher Geschäftsmann, der seit zwei<br />

oder drei Jahrzehnten auf eigenen Füssen<br />

ßteht, denkt mit Wehmut an die Zwanzigerjahre<br />

oder gar an die Vorkriegszeit<br />

zurück. Damals hatte die Verwöhnung<br />

des Publikums noch nicht den jetzigen,<br />

früher für unmöglich gehaltenen Grad erreicht<br />

und sich zu einer der grössten Sorgen<br />

des verantwortlichen Geschäftsleiters<br />

entwickelt.<br />

Es hat unbedingt seine Eichtigkeit mit<br />

dieser<br />

Verwöhnung.<br />

Die Kundschaft ist zweifellos anspruchsvoller<br />

und wählerischer als je zuvor.<br />

Dinge, die zu fordern früher als arrogant<br />

und ungezogen galt, werden heute mit der<br />

grössten Selbstverständlichkeit angeboten.<br />

Ja, im Bestreben, sich einen angemessenen<br />

Anteil am Kuchen zu sichern, sucht der<br />

Geschäftsmann ständig nach weiteren<br />

Möglichkeiten, um die Konkurrenz zu<br />

schlagen und den Käufer an sich zu ziehen.<br />

Wer trägt daran die Schuld?<br />

Unter hundert Menschen, die Sie darüber<br />

befragen, werden vielleicht siebzig<br />

die unersättliche Gewinnsucht, zwanzig<br />

die Krise und die übrigen irgendwelche<br />

andere Faktoren verantwortlich machen;<br />

— Sicher ist, dass der jedem Individuum<br />

innewohnende<br />

Egoismus<br />

— ob brutal oder verfeinert, spielt keine<br />

Bolle — den Urtrieb bildet.<br />

Aber dieser Egoismus besteht nicht erst<br />

seit gestern, sondern seitdem der Mensch<br />

das Brot im Schweisse seines Angesichts<br />

zu essen gezwungen ist! Hatten unsere<br />

Väter und Grossväter nicht weniger<br />

Freude am Besitz als wir; waren sie nicht<br />

weniger stolz auf den durch Fleiss' und<br />

Arbeit erworbenen Wohlstand und zeigten<br />

sie sich etwa freigebiger, wenn ihnen jemand<br />

etwas zum Kauf anbot? Als Begrün-<br />

Autohändler<br />

an seinen<br />

Sobn<br />

20<br />

Mein lieber Sohn!<br />

dung der Publikumsverwöhnung kann<br />

darum der W.unsch nach Besitz und<br />

Lebensgenuss nicht angesprochen werden.<br />

Es liegt eigentlich auf der Hand, der<br />

sogenannten Krise die Schuld zuzuschieben.<br />

Ihr Charakteristikum besteht ja gerade<br />

im Stocken des Absatzes und der<br />

dadurch bedingten Verschärfung des<br />

Wettbewerbs mit allen bekannten Nebenerscheinungen.<br />

Darüber hinaus liefert sie<br />

uns aber weiter nichts als die Meinung,<br />

dass wir gegen die ungünstige Entwicklung<br />

der politischen und wirtschaftlichen<br />

Lage scheinbar wehrlos sind und dass wir<br />

uns darauf beschränken müssen, die Hoffnung<br />

auf bessere Zeiten nicht zu verlieren.<br />

Was sich früher oder später als trügerische<br />

Vogelstrausspolitik entpuppen sollte.<br />

Es fällt uns selbstredend nicht ein, den<br />

Schwund der Kauflust und die Verschärfung<br />

des Existenzkampfs zu bestreiten.<br />

Leider sind sie alles andere als Einbildungen<br />

chronischer Pessimisten. Noch mehr:<br />

Die Entwicklung ist folgerichtig und war<br />

deshalb unabwendbar.<br />

Wer sich im Wirtschaftsleben einen<br />

Platz an der Sonne sichern will, muss dem<br />

Publikum<br />

mehr bieten,<br />

als es die Konkurrenz bisher tat. Durch<br />

diesen Wettbewerb und - nur durch ihn^<br />

gelang es, im Laufe der Jahrhunderte' die'<br />

allgemeine Lebenshaltung ständig zu heben.<br />

Bestände für den einzelnen nicht<br />

die Aussicht, Einkommensverhältnisse und<br />

Lebensgenuss durch diese Mehrleistung zu<br />

verbessern, so hätte er auch keinen Anlass,<br />

ein Ziel zu verfolgen, das ihm immerhin<br />

einen Haufen Arbeit und Sorgen aufbürdet.<br />

Vor dem Weltkrieg und auch noch während<br />

einiger Jahre nach Friedensschluss<br />

bot die Uebersee dem Tatendrang der aktiven<br />

Generation ein sozusagen unerschöpfliches<br />

Betätigungsfeld — sei es, dass die<br />

jungen Leute auswanderten und in späteren<br />

Jahren bei ihrer Eückkehr vielfach<br />

ein hübsches Bankkonto nach Hause<br />

brachten, sei es, dass die Erzeugnisse der<br />

schweizerischen Arbeit den Weg in entfernteste<br />

Ueberseeländer fanden. Heute<br />

haben sich die Dinge geändert. Die Einwanderungspforten<br />

sind fast hermetisch<br />

geschlossen und manche Völker, die früher<br />

unsere Produkte kauften, produzieren<br />

sie nun selber. Diese Umstände gereichen<br />

aber nicht nur dem Exporteur zum Schaden,<br />

sondern allen, die aus dessen Ein-<br />

Auch in unserem Fach gibt es Leute,<br />

die Zeit ihres Lebens nicht einsehen lernen,<br />

dass gewisse für das Geschäft ausserordentlich<br />

wichtige Aktivposten in der<br />

Jahresbilanz nicht in Erscheinung treten<br />

können: Ruf und Vertrauen seitens der<br />

Kundschaft.<br />

Vor Jahren war ich — wo, tut nichts zur<br />

Sache — in verantwortlicher Stellung. Das<br />

Geschäft blühte scheinbar; wenigstens gelang<br />

es uns, Jahr für Jahr eine angemessene<br />

Rendite herauszuwirtschaften. Innerlich<br />

aber wurde es allmählich ausgehöhlt,<br />

weil es der Besitzer einfach nicht über<br />

sich brachte, der Kundschaft jene qualitative<br />

Arbeit zu bieten, die sie benötigte<br />

und deshalb auch erwartete. Die notwendige<br />

Folge war die, dass die finanzkräftigen<br />

und darum etwas wählerischen Kunden<br />

nach und nach auf den Verkehr mit<br />

uns verzichteten und wir uns mit jenen<br />

zufrieden geben mussten, die keine andere<br />

Wahl hatten. — Ich habe mich übrigens<br />

dieser geschäftlichen Methoden wegen<br />

mehr als einmal mit meinem Chef gestritten<br />

und eines Tages auch die notwendigen<br />

Konsequenzen in der Form meines<br />

Austrittes gezogen. Als sich kurze Zeit<br />

nachher die Konjunktur verschlechterte,<br />

forderte sie als eines der ersten Opfer jenes<br />

Unternehmen und Hess es nach einem<br />

fulminanten Konkurs verschwinden.<br />

Die grösste Kapitalmacht vermag im<br />

Geschäftsleben nichts auszurichten, wenn<br />

ihr durch die Kundschaft das nötige Vertrauen<br />

verweigert wird, wenn ihr Ruf dergestalt<br />

ist, dass sich die Interessenten lieber<br />

an andere Firmen halten, auch wenn<br />

sie dort das Risiko laufen, ihren Wagen<br />

etwas teurer bezahlen zu müssen. Das Publikum<br />

hat ein feines Gefühl dafür, wer<br />

es als Schwamm betrachtet, den man nach<br />

Belieben auspressen kann und wehrt sich<br />

dagegen, indem es jene Firmen ohne viele<br />

Umstände links liegen lässt.<br />

Ein vorzüglicher Ruf bedeutet nicht nur<br />

künften Nutzen ziehen. — Auch dem<br />

Garagegewerbe.<br />

Trotzdem dreht die Erde unverändert<br />

weiter; Menschen kommen, wünschen, verlangen,<br />

ringen, schaffen, geniessen und<br />

treten im ewigen Kreislauf von der Bildfläche<br />

ab. — Mehr denn je erhält der einzelne<br />

einen engumschriebenen Aufgabenkreis<br />

im Rahmen des Ganzen und ist dadurch<br />

um so stärker auf den andern angewiesen.<br />

Diese<br />

Spezialisierung<br />

zwingt uns aber — da sie bedeutend produktiver<br />

ist — für einen grösseren Absatz<br />

zu sorgen. Es genügt nicht mehr, einwandfreie<br />

Arbeit zu liefern; ihr zur Seite<br />

muss die Fähigkeit stehen, die Kundschaft<br />

für diese Arbeit zu interessieren und zu<br />

gewinnen: Die Kunst zu verkaufen. Diese<br />

steht mit der fachlichen Geschicklichkeit<br />

in keinem unmittelbaren Zusammenhang<br />

und bedeutet deshalb im Kreislauf des<br />

wirtschaftlichen Lebens etwas Neues.<br />

Einige Beispiele mögen dies näher erläutern:<br />

Wenn Sie einen Wagen revidieren oder<br />

Oel nachfüllen, so werden Sie nicht deswegen<br />

in angemessener Weise bezahlt,<br />

weil die Kolben nachher wieder das vorgeschriebene<br />

Spiel aufweisen oder weil<br />

dem Lager frisches, vollschmierfähiges<br />

Oel zugeführt wird. Der Automobilist entschliesst<br />

sich deswegen zur notwendigen<br />

Auslage, weil er die vorgesehenen Fahrten<br />

entweder überhaupt erst auszuführen<br />

oder sie besser als vorher zu absolvieren<br />

vermag. — Nun gibt es allerdings Fahrer,<br />

denen der Sinn für Zustand und Leistung<br />

des Wagens abgeht. Sie sind zufrieden,<br />

wenn er überhaupt rollt. Ob die Kompression,<br />

Beschleunigung und Spitzenge-<br />

.schwindigkeit standardmässig sind, ist für<br />

'sie* Nebensache, sei es, weil sie auf diese<br />

Faktoren keinen Wert legen, sei es, weil<br />

ihnen» dafür das Verständnis abgeht. —<br />

Ein Fachmann, dessen Können sich ausschliesslich<br />

auf die technischen Seiten des<br />

Geschäftes beschränkt, wird somit immer<br />

hinter jenem Konkurrenten zurückbleiben,<br />

der es versteht, seinen Kunden die Einsicht<br />

zu verschaffen, oder mit anderen<br />

Worten<br />

« seine Arbeit zu verkaufen ».<br />

Auch wenn die Leistung der beiden in<br />

jeder Hinsicht ebenbürtig ist.<br />

Wie bereits erwähnt, handelt jeder<br />

Mensch aus seinen egoistischen Interessen<br />

heraus — selbst dann, wenn Erziehung<br />

und Kultur deren Stacheln abgestumpft<br />

haben. Ihre Kunden wären sicher höchst<br />

erstaunt und entrüstet, wenn Sie ihnen<br />

den Vorwurf machen wollten, sie handelten<br />

als Egoisten. Muten Sie ihnen aber<br />

zu, ihre Wagen durchrevidieren zu lassen,<br />

so können Sie sicher gehen, dass der Vorschlag<br />

ausschliesslich mit Rücksicht auf<br />

ihre eigenen Vorteile in Erwägung gezogen<br />

wird, oder, noch besser gesagt, im<br />

mehr Vertrauen seitens jener, denen wir<br />

verkaufen wollen, sondern gleichzeitig<br />

auch bessere Absatzmöglichkeiten, erhöhten<br />

Umsatz und bessere Preise. Was das<br />

im Neuwagenhandel heisst, brauche ich<br />

wohl kaum näher zu erläutern; du kennst<br />

Dich darin auf Grund Deiner Praxis zur<br />

Genüge aus. Wichtiger als dort ist er jedoch<br />

noch im Occasionshandel, wo der<br />

Glaube an die Integrität von Händler und<br />

Verkäufer geradezu das A und 0 des Erfolges<br />

bildet. Wieso? Wer einen Occasionswagen<br />

zu erwerben gedenkt, weiss zum<br />

vorneherein, dass er daran nicht dieselben<br />

Anforderungen stellen darf wie an einen<br />

Neuwagen; ferner, dass keine umfangreiche<br />

Garantie ihn dort vor unliebsamen<br />

Ueberraschungen schützt Er ist deshalb<br />

gezwungen, dem Verkäufer ein noch grösseres<br />

Vertrauen entgegenzubringen, als<br />

dies bei der Anschaffung eines neuesten<br />

Modells der Fall wäre. Im weiteren weiss<br />

er, dass er das Risiko läuft, nach Uebernahme<br />

des Wagens noch ein paar hundert<br />

Franken für Reparaturen usw., deren Notwendigkeit<br />

er noch nicht erkannt hat, aufwenden<br />

zu müssen, ein Risiko, das viel geringer<br />

ist bei einem Händler, dessen Geschäftsgebaren<br />

im Laufe der Jahre als<br />

Kahmen des Verständnisse für die eigenen<br />

Vorteile. — Den<br />

Uebergang zu finden<br />

zwischen der eigenen Arbeit und der Einsicht<br />

des Kunden für die ihm daraus erwachsenden<br />

Vorteile ist Aufgabe des Verkaufens.<br />

— Damit wird aber dieser Begriff<br />

zu etwas grundsätzlich anderem als<br />

einem taktischen und vor allem verschlagenen<br />

Mienen- und Gebärdenspiel; er wird<br />

zu einer Ergänzung erstklassiger fachlicher<br />

Arbeit. Was tut es übrigens, wenn<br />

diese Mehrleistung uns je länger je mehr<br />

zwingt, unsere Arbeit nicht nur nach beruflichen<br />

Grundsätzen, sondern auch mehr<br />

und mehr nach ihrer «Verkäuflichkeit»<br />

zu richten?<br />

Die Automobilindustrie geht auch darin<br />

bahnbrechend vor:<br />

In den Schubladen der Konstrukteure<br />

ruhen Hunderte von Plänen, deren Verwendung<br />

im automobiltechnischen Sinne<br />

unbedingt einen Fortschritt bedeuten würden.<br />

Trotzdem besteht für den Grossteil<br />

keine Aussicht, je in einem Modell verwendet<br />

zu werden, weil sie gemäss den Erfahrungen<br />

und Erhebungen der Verkaufsabteilung<br />

vom Publikum nicht geschätzt<br />

und deshalb auch nicht bezahlt würden. —<br />

Aus diesen Erwägungen heraus haben die<br />

grossen Automobilkonzerne ihre «K'onstruktionstaktik<br />

» in einem gewissen Sinne<br />

umgekehrt: Sie trachten, durch grossangelegte<br />

Untersuchungen die<br />

Wünsche der Verbrauchermasse<br />

möglichst eingehend kennenzulernen umf<br />

ihre Modelle diesen Wünschen anzupassen.<br />

Dass das Publikum unter diesen Umständen<br />

verwöhnt werden muss, braucht kaum<br />

näher bewiesen zu werden.<br />

Es mag paradox klingen und stimmt<br />

dennoch: Der Erfolg des einzelnen wie der<br />

Gang der gesamten Wirtschaft hängt je<br />

länger je mehr von der Fähigkeit ab, War©<br />

und Leistung zu verkaufen. Denn je eindringlicher<br />

wir unseren Kunden die Nützlichkeit<br />

unserer Arbeit für ihre eigenen<br />

Zwecke darlegen können, desto grösser<br />

werden die Umsatzmöglichkeiten. Nicht<br />

nur für uns, sondern auch für das Ganze.<br />

Winkt fit die Werkstatt<br />

Seite 10<br />

(faakiischt ctckUa-iüeitizeuge (ü*<br />

Qwcaqe und JUfuxtatwiw&tkstättc<br />

Seite 10<br />

loyal bekannt geworden sind. Er wird deshalb<br />

bereit sein, dem integren Geschäftsmann<br />

für seinen Wagen etwas mehr zu<br />

bezahlen, weil er dank dessen Wort nachträglich<br />

keine unliebsamen Ueberraschungen<br />

zu erwarten hat. — Anders derjenige,<br />

dessen Ruf nicht gerade als erstklassig<br />

bezeichnet» werden darf. Selbst wenn er<br />

einen Kunden noch ehrlich bedienen<br />

möchte und ihm den Wagen zu einem<br />

Spottpreis offerierte, wird er auf Misstrauen<br />

stossen, weil hinter der Vorteilhaftigkeit<br />

der Offerte irgend eine Finte<br />

vermutet wird.<br />

Dieses Fluidum um einen Geschäftsnamen,<br />

das sich aus den Erfahrungen<br />

langer Jahre nach und nach entwickelt<br />

hat, ist einer der wichtigsten Aktivposten<br />

eines Geschäftes, auch wenn sich derselbei<br />

in der Bilanz nicht direkt ausweisen lässt.<br />

Der Ruf ist es auch, der den Weg ebnet<br />

zum reibungslosen Hereinholen von Abschlüssen,<br />

die ihrer Natur nach zu verschiedenartigen<br />

Auslegungen Anlass bieten<br />

und darum nur dann beidseitig nutzbringend<br />

sein können, wenn sie auf gegenseitigem<br />

Vertrauen beruhen. Und zu solchen<br />

Geschäften gehört in erster Linie<br />

der Automobilhandel. Dein Vater.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!