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10 Kongress aktuell<br />
diabeteszeitung · 3. Jahrgang · Nr. 3 · 28. März <strong>2018</strong><br />
Nasenspray statt Spritze<br />
Einfache, sichere und schnelle Applikation<br />
von Glukagon bei Hypoglykämie<br />
WIEN. Acht komplexe Schritte erfordert die herkömmliche intramuskuläre<br />
Injektion von Glukagon mit einem Hypokit. Sie dauert<br />
lang und ist fehlerträchtig. Hoffnung macht deshalb eine neue<br />
Darreichungsform von fertigem Glukagon als nasales Spray.<br />
Menschen mit Typ-1-Diabetes,<br />
die im Falle einer<br />
schweren Hypoglykämie<br />
auf Fremdhilfe angewiesen sind,<br />
müssen sich derzeit darauf verlassen,<br />
dass entweder schnell ein<br />
Notarzt gerufen wird oder dass ein<br />
beherzter Helfer sich zutraut, mit<br />
einem Hypokit für die intramuskuläre<br />
Injektion von Glukagon selbst<br />
einzugreifen.<br />
Viele fehlerträchtige<br />
Einzelschritte<br />
Sofern ein solches Hypokit tatsächlich<br />
in Reichweite ist, schreckt es<br />
Anwender oft ab durch die vielen<br />
erforderlichen Einzelschritte, bis<br />
das rettende Hormon tatsächlich in<br />
die Blutbahn gelangt. „Viel zu kompliziert<br />
und zudem fehlerträchtig“,<br />
lautete das Urteil von Professor Dr.<br />
Jennifer Sherr, Pädiaterin an der<br />
Yale School of Medicine, „es gibt daher<br />
dringenden Bedarf für ein besseres<br />
Glukagon-Produkt.“<br />
Wirksamkeit und Sicherheit<br />
in Studien getestet<br />
Daher werden Hoffnungen auf nasal<br />
verabreichtes Glukagon gesetzt.<br />
Noch ist ein solches Medikament<br />
nicht zugelassen. Es zeigt jedoch<br />
Vorteile gegenüber dem klassischen<br />
Hypokit: Es muss nicht gekühlt gelagert<br />
werden, kommt ohne Injektionsnadel<br />
aus, ist ohne Anmischen<br />
sofort einsatzbereit. Es lässt sich als<br />
Einmaldosis leicht mitführen und<br />
erfordert kein aktives Inhalieren<br />
oder tiefes Einatmen.<br />
Prof. Sherr präsentierte die Ergebnisse<br />
von Pivot-Studien mit denen<br />
die Wirksamkeit und Sicherheit von<br />
nasalem Glukagon bei Typ-1-Diabetes<br />
nachgewiesen werden sollte.<br />
In der Erwachsenen-Studie wurden<br />
die Probanden per Insulingabe<br />
in eine Hypoglykämie mit einem<br />
Blutzuckerwert von unter 60 mg/dl<br />
»Deutlich<br />
häufiger erfolgreich<br />
verabreicht«<br />
versetzt. Als erfolgreich galt die Glukagon-Intervention<br />
dann, wenn der<br />
Blutzuckerwert binnen 30 Minuten<br />
nach Verabreichung auf über 70 mg/<br />
dl angestiegen war. Bei Kindern wurde<br />
eine künstliche Hypoglykämie<br />
mit unter 80 mg/dl herbeigeführt;<br />
hier sollte die Gabe von Glukagon<br />
den Glukosewert binnen 20 Minuten<br />
um mindestens 25 mg/dl anheben.<br />
Auch ungeschulte Helfer können<br />
das Medikament verabreichen<br />
In der Studie stellte sich heraus, dass<br />
das nasal verabreichte Glukagon<br />
sehr schnell absorbiert wurde und<br />
den Glukosewert ähnlich schnell<br />
ansteigen ließ wie intramuskulär injiziertes<br />
Glukagon. Eine verschnupfte<br />
Nase oder die Anwendung von<br />
Schnupfenspray beeinträchtigte die<br />
Wirkung des nasalen Notfallmedikaments<br />
nicht. Die typischen Komplikationen<br />
einer Glukagongabe<br />
wie Übelkeit und Erbrechen traten<br />
ähnlich häufig wie bei der Injektion<br />
auf. Die Dosis von 3 mg nasalem<br />
Glukagon i.m.: mit acht Schritten in die Blutbahn<br />
Bei einer schweren Hypoglykämie ihres Kindes<br />
werden Eltern oder andere Begleitpersonen<br />
schnell panisch. In so einer Situation fällt es ihnen<br />
schwer, die vielen Schritte, die zur intramuskulären<br />
Injektion von Glukagon mithilfe eines<br />
Hypokits erforderlich sind, korrekt durchzuführen:<br />
1. Kappe von der Ampulle entfernen<br />
2. Nadelschutz von der Spritze entfernen<br />
3. Gesamten Inhalt der Spritze in die Ampulle<br />
injizieren<br />
Glukagon erwies sich als geeignet für<br />
alle Altersgruppen. In Simulationsstudien<br />
gelang es Ersthelfern<br />
bei der nasalen Variante<br />
zudem deutlich häufiger,<br />
die Notfalldosis erfolgreich<br />
zu verabreichen<br />
(94 %), während bei der intramuskulären<br />
Injektion in beinahe<br />
der Hälfte der Fälle aufgrund von<br />
Anwendungsfehlern gar keine Dosis<br />
verabreicht wurde.<br />
Als weiteren Vorteil des Glukagon-<br />
Nasensprays nannte Prof. Sherr<br />
die einfache Handhabung: So<br />
brauchten geschulte Betreuungspersonen<br />
nur 16 Sekunden, um<br />
das Notfallmedikament nasal zu<br />
verabreichen (Hypokit: 1:53<br />
Minuten) und auch ungeschulte<br />
Ersthelfer benötigten<br />
nur 26 Sekunden (Hypokit:<br />
2:24 Minuten). Antje Thiel<br />
11 th International<br />
Conference on Advanced<br />
Technologies & Treatments<br />
for Diabetes (ATTD)<br />
4. Sanft schütteln, bis das gesamte Pulver sich<br />
aufgelöst hat<br />
5. Prüfen, ob die angemischte Glukagonlösung<br />
klar und farblos ist<br />
6. Glukagonlösung in die Spritze aufziehen (dabei<br />
Blasenbildung vermeiden)<br />
7. Injektionsort mit Alkoholtupfer desinfizieren,<br />
sofern verfügbar<br />
8. Injektion im desinfizierten Areal in einem Winkel<br />
von 90°<br />
Nasales Glukagon<br />
lässt sich so einfach wie<br />
ein Schnupfenspray<br />
anwenden.<br />
Foto: iStock/andegro4ka<br />
Personalisierte Heilung?<br />
Ersatzmöglichkeiten für zerstörte Beta-Zellen<br />
WIEN. Fünf Jahre nach der Transplantation von Beta-Zellen benötigt<br />
die Hälfte der Empfänger kein Insulin mehr, um ihre Glukosewerte<br />
im Zielbereich zu halten. Für eine breite Anwendung<br />
kommen allerdings eher pluripotente Stammzellen infrage.<br />
Das ultimative Behandlungsziel<br />
beim Typ-1-Diabetes ist es,<br />
normale Blutzuckerwerte wiederherzustellen<br />
und dem Patienten damit<br />
ein langes und gesundes Leben zu<br />
ermöglichen. Es ist daher naheliegend,<br />
Hoffnungen in den wie auch<br />
immer gearteten Ersatz der zerstörten<br />
Beta-Zellen zu setzen, wie Professor<br />
Dr. Lorenzo Piemonti,<br />
Ospedale San Raffaele, Mailand,<br />
berichtete.<br />
„Die Transplantation von<br />
Beta-Zellen kann tatsächlich<br />
Dia betes heilen“, erklärte er<br />
und präsentierte Fallbeispiele<br />
von Typ-1-Diabetes-Patienten,<br />
die nach der Transplantation gespendeter<br />
Beta-Zellen<br />
• kein Insulin mehr benötigten,<br />
• Glukosewerte von durchschnittlich<br />
100 mg/dl aufwiesen,<br />
• 100 % ihrer Glukosewerte im Zielbereich<br />
(50–120 mg/dl) aufzeigten<br />
Foto: fotolia/fotoliaxrender<br />
Beta-Zellen<br />
lassen<br />
sich im Labor<br />
generieren.<br />
• und bei denen eigenes C-Peptid<br />
nachweisbar war.<br />
„Fünf Jahre nach der Transplantation<br />
kommen noch 50 % der behandelten<br />
Patienten ohne Insulin aus<br />
und 80 % erreichen immerhin eine<br />
deutlich bessere Diabeteseinstellung“,<br />
sagte Prof. Piemonti.<br />
Allerdings lässt sich das Verfahren<br />
nicht beliebig auf alle Patienten<br />
mit Typ-1-Diabetes ausweiten.<br />
Zum einen gibt es nicht genügend<br />
Spenderorgane, andererseits stehen<br />
dem unstrittigen Benefit der Transplantation<br />
erhebliche Risiken<br />
gegenüber: Immerhin handelt<br />
es sich um einen komplexen<br />
chirurgischen Eingriff, so<br />
der Referent. Des Weiteren<br />
muss der Patient im<br />
Anschluss lebenslang Medikamente<br />
einnehmen, die<br />
eine Abstoßungsreaktion<br />
»Fast so gut wie<br />
das Original«<br />
verhindern. Hinzu kommen finanzielle<br />
Hürden.<br />
Prof. Piemonti setzt daher große<br />
Hoffnungen auf den Einsatz pluripotenter<br />
Stammzellen in der Diabetestherapie.<br />
Dafür werden einem<br />
Diabetespatienten Hautzellen und<br />
Blut entnommen, aus denen zusammen<br />
mit dem Blut eines gesunden<br />
Spenders eine Zellkultur angelegt<br />
wird. Hieraus lassen sich mithilfe<br />
verschiedener reprogammierender<br />
Faktoren pluripotente Stammzellen<br />
gewinnen, die zu Beta-Zellen ausdifferenziert,<br />
anschließend zum Schutz<br />
vor dem Immunsystem des Empfängers<br />
verkapselt und dann implantiert<br />
werden.<br />
Anstelle pluripotenter Stammzellen<br />
kann man auch embryonale Stammzellen<br />
einsetzen. „Wenn man über<br />
eine gute embryonale Stammzelllinie,<br />
passende Spender und gutes<br />
Laborequipment verfügt, dann kann<br />
man direkt mit einer klinischen<br />
Studie starten“, berichtete Prof. Piemonti.<br />
Er selbst will in den kommenden<br />
Monaten mit einer solchen<br />
Untersuchung an verschiedenen<br />
europäischen Zentren beginnen und<br />
hofft, damit an die bisherigen positiven<br />
Erfahrungen anzuknüpfen. „Aus<br />
den Stammzellen lassen sich gute<br />
Reproduktionen von Beta-Zellen<br />
herstellen, die Insulin und Glukagon<br />
ausschütten beinahe ebenso gut, wie<br />
originale Beta-Zellen es tun.“ thie<br />
11 th International Conference on Advanced<br />
Technologies & Treatments for Diabetes (ATTD)