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NEUMANN April 2018

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18<br />

Konzert<br />

KULTUR<br />

Tocotronic präsentieren ihr wunderbares neues Album im Theaterhaus<br />

Aus der Schwarzwaldhölle<br />

25 Jahre Tocotronic: Zum halbrunden Geburtstag beschenken die Hamburger sich<br />

und ihre Fans mit einem wohlig-melancholischen neuen Album nebst ausgiebiger<br />

Tournee. Ehrensache: Die macht auch in Stuttgart Station.<br />

Tocotronic wurden in letzter Zeit wieder vermehrt<br />

als intelligenteste Band Deutschlands bezeichnet.<br />

Das ist ziemlich dumm, weil Intelligenz auf zahlreichen<br />

Faktoren beruht und Musik eh reine Empfindungssache<br />

ist. Was man aber festhalten kann, ist:<br />

Tocotronic sind eine sehr intelligente, sehr gute und<br />

sehr wichtige Band in der deutschen Indie-Landschaft.<br />

Das beweisen sie auf „Die Unendlichkeit“<br />

mal wieder mit Leichtigkeit und Bravour. Nur darum<br />

sollte es eigentlich gehen, findet auch Bassist<br />

Jan Müller und beruft sich auf ein altes Sprichwort<br />

der Hamburger Schule: „Popmusik darf nicht dumm<br />

sein.“ Damit, so meint er, sei alles gesagt.<br />

Und irgendwie hat er auch Recht. Gern gibt er zu,<br />

dass sich seine Band auf ihren Alben manchmal<br />

schon ins arg Intellektuelle verstieg – in ihren Elfenbeinturm<br />

zurückzog, wie Müller dazu sagt. „Den<br />

haben wir eigentlich erst 2015 mit dem „Roten Album“<br />

verlassen, als wir musikalisch reduzierter und<br />

textlich einfacher wurden.“ Gipfel dieser Entwicklung<br />

sind die behutsam arrangierten, feingliedrigen,<br />

heilsam-melancholischen Kompositionen des<br />

neuen Albums. Klare politische Lippenbekenntnisse<br />

sucht man allerdings auch im Jahr <strong>2018</strong> bei Tocotronic<br />

vergebens. „Ein Kommentar zu Trump oder zur<br />

AfD wäre uns viel zu plump gewesen“, betont er und<br />

verweist auf die Haltung, die Tocotronic eh seit 25<br />

Jahren vertreten. „Da muss man nicht noch ein Lied<br />

drüber schreiben.“<br />

Stattdessen schreibt Texter und Sänger Dirk von<br />

Lotzow ungewohnt autobiografisch von seinem<br />

Aufwachsen in der „Schwarzwaldhölle“, wie er sagt,<br />

von seinen Teenagerjahren und – im wunderbaren<br />

„Ausgerechnet du hast mich gerettet“ – von seiner<br />

schicksalhaften Ankunft in Hamburg. Er verfiel<br />

dieser Stadt mit Haut und Haar, lernte seine Tocotronic-Weggefährten<br />

kennen – und macht seit einem<br />

Vierteljahrhundert berührende Musik mit Anspruch<br />

und Tiefe. „Hamburg war damals eine ganz<br />

andere Stadt, es gab hart gemischte Drinks und<br />

viele Konzerte in Kaschemmen oder Abbruchhäusern“,<br />

erinnert sich der Bassist an die Anfangsjahre,<br />

als Tocotronic noch deutlich ruppiger unterwegs<br />

waren ohne als Punks zu gelten. Müller: „Wir wurden<br />

anfangs ziemlich schief angeschaut, aber nie<br />

ausgegrenzt.“<br />

Aus den schiefen Blicken wurde schnell Bewunderung,<br />

die sich wie ein Lauffeuer verbreitete<br />

und Tocotronic zu den neuen Heilsbringern der<br />

deutschen Musik machten. „Irgendwann merkten<br />

wir, dass unsere Musik durch die Videoclips auch<br />

in die Jugendzimmer eindrang. Das war sehr befremdlich“;<br />

erzählt Müller, „weil wir unsere Musik<br />

eigentlich an Gleichaltrige gerichtet hatten. Doch<br />

wir fanden das toll und sahen es als Chance, deutsche<br />

Musik aus dieser muffigen Ecke zu ziehen.“ Das<br />

haben sie geschafft. Heute sind Tocotronic nach<br />

den Rolling Stones, den Beatles und Bob Dylan der<br />

meistgenannte Interpret in den Jahresbestenlisten<br />

deutscher Musikmagazine. „Das rührt mich,<br />

weil es zeigt, dass man uns eine gewisse Relevanz<br />

zugesteht“, meint der 46-Jährige und fügt lachend<br />

an: „Ich finde aber, es könnte sich noch mehr in den<br />

Verkaufszahlen widerspiegeln.“<br />

Solange es das noch nicht tut (und wahrscheinlich<br />

selbst dann), werden Tocotronic weitersuchen, werden<br />

weiterhin forschen und einem wunderbare Musik<br />

bescheren. „Uns ist es gelungen, mit fast jedem<br />

Album ein Stück Befriedigung zu erlangen“, so Müller.<br />

„Auf Dauer ist dieses kleine Stückchen Glück<br />

aber dann doch nicht zufriedenstellend genug, dass<br />

man es auf sich beruhen lassen und aufhören würde.<br />

Wir sind immer noch auf der Suche.“ Es bleibt zu<br />

hoffen, dass sie noch lange nicht finden, was immer<br />

sie auch suchen mögen. jono<br />

TOCOTRONIC<br />

08.04. | 20 Uhr | Theaterhaus | Stuttgart | tocotronic.de<br />

Foto: Michael Petersohn<br />

<strong>April</strong> <strong>2018</strong>

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