ME2BE Hiergeblieben 2018 2
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TRAUMBERUF FlEchTwERkgEsTAlTER/-IN<br />
Aus der <strong>ME2BE</strong>-Reihe „Seltene Berufe – Folge deiner Leidenschaft“<br />
TEXT Christian Dorbandt | FOTOS Sebastian Weimar<br />
Jedes Jahr entscheiden sich in<br />
Deutschland rund 30.000 Jugendliche<br />
für eine Ausbildung zum<br />
Einzelhandelskaufmann oder zur Einzelhandelskauffrau,<br />
circa 3.000 für eine<br />
Fleischerlehre, knapp 300 möchten Steinmetz/-in<br />
und Steinbildhauer/-in werden,<br />
aber nur etwa 30 werden Flechtwerkgestalter.<br />
Für <strong>ME2BE</strong> Grund genug, diesen<br />
seltenen Beruf ins Rampenlicht zu rücken.<br />
In unserer Reihe „Seltene Berufe – Folge<br />
deiner Leidenschaft“ präsentieren wir<br />
ein traditionelles Handwerk, in dem sehr<br />
glückliche Menschen arbeiten! Zum Beispiel<br />
die Korbmacherfamilie Sell aus Kiel!<br />
Das Korbmacher-Handwerk entstand in<br />
Deutschland vor 250 Jahren und ist eng<br />
mit der oberfränkischen Stadt Lichtenfels<br />
und den umliegenden Dörfern verknüpft.<br />
Vier Faktoren begünstigten die Entstehung<br />
des Berufsbildes: 1.) Die Landwirtschaft bot<br />
zu wenig Ertrag und Arbeit für die Bevölkerung.<br />
2.) Es gab einen großen Bedarf an<br />
robusten, langlebigen Transportbehältern<br />
für Nahrungsmittel und Holz. 3.) Das Klima<br />
im Maintal bot ideale Wachstumsbedingungen<br />
für die Weide. 4.) Zum Flechten eines<br />
Korbes benötigte man nur wenig Werkzeug<br />
und Material.<br />
Körbe aus Deutschland – ein früher<br />
Exportschlager<br />
Reisstrohzöpfe sowie indonesisches Rotan<br />
(Rattan), spanisches Espartogras oder kubanisches<br />
Palmblatt. Aus dem Korbhandwerk<br />
entwickelte sich eine Korbindustrie, sodass<br />
1909 eine eigene Korbfachschule in Lichtenfels<br />
errichtet wurde. Diese Ausbildungsstätte<br />
heißt heute „Staatliche Berufsfachschule für<br />
Flechtwerkgestaltung“. Sie ist deutschlandweit<br />
die einzige ihrer Art!<br />
3 Jahre Ausbildung – nur in Lichtenfels<br />
Das Flechthandwerk produziert nicht<br />
nur Weidekörbe für Kaminholz oder für<br />
die Armbeuge auf dem Wochenmarkt. Es<br />
umfasst viele andere Bereiche, Techniken<br />
und Materialien. Aus diesem Grund heißt<br />
der Ausbildungsberuf heute nicht mehr<br />
Korbmacher/-in, sondern „Flechtwerkgestalter/-in“.<br />
Die Ausbildung dauert 3 Jahre<br />
und könnte grundsätzlich als duale Ausbildung<br />
in Betrieben erfolgen. Vorausgesetzt<br />
man findet einen Betrieb, der ausbilden<br />
will. Das ist zurzeit in Deutschland leider<br />
nicht der Fall. Deshalb bietet die Staatliche<br />
Berufsfachschule für Flechtwerkgestaltung<br />
in Lichtenfels eine dreijährige schulische<br />
Ausbildung an. Vorteile: Die Ausbildung ist<br />
kostenlos. Mit einem erfolgreichen Abschluss<br />
gilt man als perfekt ausgebildet und kann<br />
überall auf der Welt als Fachkraft in diesem<br />
Beruf arbeiten. Nachteil: Man kann den<br />
Beruf nur in Lichtenfels erlernen und muss<br />
auf eine Ausbildungsvergütung verzichten.<br />
Christin und Matthias Sell – Miteinander<br />
verflochten<br />
In Kiel lebt die Korbmacherfamilie Sell<br />
und stellt in dritter Generation Körbe und<br />
andere Geflechte her. In guter Tradition ist<br />
der Betrieb in voller Familienhand – Vater,<br />
Mutter, Tochter und Schwiegersohn arbeiten<br />
Seite an Seite. Die Korbmacherei Sell ist<br />
außerdem der einzige Betrieb seiner Art in<br />
Schleswig-Holstein und Hamburg. Das bedeutet:<br />
Arbeit gibt es reichlich! Wir haben das<br />
junge Ehepaar Christin und Matthias Sell in<br />
ihrer Werkstatt besucht und einen spannenden<br />
Crashkurs im Flechthandwerk erhalten!<br />
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die<br />
Korb macherei zu einem wichtigen Wirtschaftszweig.<br />
Korbwaren wurden in Heimarbeit,<br />
meist unter Mithilfe der gesamten<br />
Familie, hergestellt und nach Holland,<br />
Preußen, Russland und Amerika exportiert.<br />
Aufgrund der hohen Nachfrage verwendete<br />
man auch französische Weidesorten,<br />
außerdem böhmische Holzfasergeflechte,<br />
italienische Strohborten, chinesische<br />
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