31.05.2018 Aufrufe

Hinz&Kunzt 303 Mai 2018

  • Keine Tags gefunden...

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Das Hamburger<br />

Straßenmagazin<br />

Seit 1993<br />

N O <strong>303</strong><br />

<strong>Mai</strong> .18<br />

2,20 Euro<br />

Davon 1,10 Euro<br />

für unsere Verkäufer<br />

Die Taklerin<br />

Elena macht die Peking<br />

flott und andere Geschichten<br />

zum Hafengeburtstag<br />

Abzocke:<br />

Jobcenter<br />

und Stadt gehen<br />

gegen miese<br />

Vermieter vor


FOTO: PHILIPP RATHMER<br />

„Ich lese<br />

, weil<br />

keiner bessere Rezepte<br />

hat für ein wirklich<br />

soziales Hamburg.“<br />

Tim Mälzer, Koch<br />

Spendenkontonummer:<br />

IBAN: DE56 2005 0550 1280 1678 73, Haspa<br />

Das Original seit 1993


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Inhalt<br />

Ein Monat der Extreme<br />

Happy Birthday, Hafen!<br />

Annette Woywode,<br />

als Chefin vom Dienst<br />

sonst meist drinnen, war in<br />

diesem Monat viel unterwegs:<br />

hinterm Tresen der<br />

<strong>Kunzt</strong>Küche und im Hafen.<br />

Dort hat sie Odos Kaffeeklappe<br />

kennengelernt<br />

(S. 30) und durfte sogar<br />

eine Runde auf einem<br />

Container-Greifstapler,<br />

einem Reach-Stacker,<br />

mitfahren.<br />

Wir hatten so viel Spaß – und so viel Leid. Ralf wäre<br />

in den eisigen Märztagen beinah erfroren – und das<br />

fast gegenüber unserem Büro (Seite 22). Bonnie, Clyde<br />

und viele andere Obdachlose müssen nach dem<br />

Winter wieder auf der Straße leben (Seite 18).<br />

Das alles kann man nur ertragen, wenn man<br />

auch schöne Dinge erlebt. Und das haben wir. Die<br />

<strong>Kunzt</strong>Küche, unser Restaurant auf Zeit, hat das<br />

ganze Team durcheinandergewirbelt. Alle waren<br />

dabei! Vertriebsmitarbeiterin Meike Lehmann war<br />

plötzlich Personalchefin, Susanne Wehde (Buchhaltung)<br />

spülte Töpfe – und Geschäftsführer Jens Ade<br />

musste auch mal kellnern. Talentfrei, wie ihm bescheinigt<br />

wurde. „Jetzt weiß ich jedenfalls, warum<br />

ich das nie machen wollte“, sagte er später schmunzelnd.<br />

Begeistert war er trotzdem – so wie Thomas<br />

und die anderen Hinz&Künztler im Einsatz (Seite 6).<br />

Leider ist die <strong>Kunzt</strong>Küche jetzt geschlossen. Was gegen<br />

die Wehmut hilft: Wir schreiben ein Kochbuch!<br />

Darin alle Köche, die mitgemacht haben. Vorfreude<br />

pur: Im September soll es rauskommen.<br />

Ihre Birgit Müller Chefredakteurin<br />

(Schreiben Sie uns doch an info@hinzundkunzt.de)<br />

Inhalt<br />

„Ganz normal“ ist unser Mann für den Eurovision<br />

Song Contest (ESC) Michael Schulte (S. 48)<br />

TITELBILD UND FOTO OBEN: LENA MAJA WÖHLER<br />

Stadtgespräch<br />

04 Gut&Schön<br />

06 Rückblick auf unsere <strong>Kunzt</strong>Küche<br />

14 Hamburg entschuldigt sich bei Nama<br />

und Herero für koloniales Unrecht<br />

16 Zahlen des Monats: das Diesel-Urteil<br />

und seine Folgen<br />

18 Ende des Winternotprogramms:<br />

Platten oder Betten?<br />

22 H&K-Verkäufer Ralf:<br />

Im Winter wäre er fast erfroren<br />

Wie knapp<br />

unser Verkäufer<br />

Ralf mit dem<br />

Leben davongekommen<br />

ist,<br />

lesen Sie auf<br />

S. 22<br />

40 Seehafenstraße: der schwere<br />

Kampf gegen Abzock-Vermieter<br />

Hafengeburtstag<br />

24 Ein Besuch im Hafenmuseum<br />

30 Frühstück bei Odos Kaffeeklappe<br />

34 Acht Monate auf See: das Los<br />

philippinischer Arbeitsmigranten<br />

Freunde<br />

44 Benefiz für Hinz&<strong>Kunzt</strong>: ein Musiker<br />

mit Ehren-Verkäuferausweis<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

48 Michael Schulte tritt beim ESC<br />

für Deutschland an<br />

52 Tipps für den <strong>Mai</strong><br />

56 Comic mit Dodo Dronte<br />

58 Momentaufnahme<br />

Rubriken<br />

05, 21, 43 Kolumnen<br />

12, 38 Meldungen<br />

46 Leserbriefe<br />

57 Rätsel, Impressum<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk


Buchtipp<br />

Die Freakheads<br />

sind los!<br />

Sie sind Hafenarbeiter, Kreativdirektor oder<br />

Skaterin: die „Freakheads“ von Manuela und<br />

Marcus Tanzen. Aus einer Urlaubslaune heraus<br />

und mittels Strandgut gefertigt, eröffnen sie<br />

neue Ansichten auf die Stadt. Jede Miniatur ist<br />

in stundenlanger Handarbeit entstanden und<br />

hat eine eigene Lebensgeschichte. Fürs Buch<br />

fotografiert haben sie Manuela und Marcus<br />

Tanzen sowie Christoph Hilker. UJO<br />

•<br />

Hamburg Deine Freakheads (KJM Buchverlag),<br />

128 Seiten, 16 Euro, Infos: www.hamburgparadies.de


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Gut&Schön<br />

Nachhaltige Mode<br />

Kleidung leihen<br />

statt kaufen<br />

FOTOS: MANUELA TANZEN/KJM (S. 4), STADTREINIGUNG HAMBURG (OBEN), MAURICIO BUSTAMANTE (UNTEN LINKS),<br />

FLORIAN QUANDT FÜR DIE MOPO; KOLUMNE: VERBRAUCHERZENTRALE HAMBURG<br />

Engagement<br />

Frühjahrsputz mit Rekordbeteiligung<br />

72.000 Hamburger – darunter viele Schulklassen<br />

und Kindergärten – haben dieses Jahr Spielplätze,<br />

Schulhöfe und Naturschutzgebiete von Müll befreit.<br />

Rekordbeteiligung! 193 Tonnen Abfall kamen dabei<br />

zusammen. „Hamburg räumt auf!“ rückt Flächen in<br />

den Blick, für die die Stadtreinigung nicht zuständig<br />

ist – und die daher von Vermüllung bedroht sind. UJO<br />

•<br />

Mehr Infos unter: www.hamburg-raeumt-auf.de<br />

Reparieren statt Wegwerfen<br />

Ob Smartphone oder Heizlüfter,<br />

Fahrrad oder Stuhl: Nicht alles, was<br />

kaputt geht, muss schon auf den<br />

Müll. Weil Reparaturen aber meist<br />

teuer sind, bieten „Repair-Cafés“<br />

eine Alternative. Bastler bringen ehrenamtlich<br />

Geräte in Schuss, die wir<br />

schon verloren glaubten – und weisen<br />

so den Weg aus der Wegwerfgesellschaft.<br />

Geselligkeit und Wissensgewinn<br />

gibt’s obendrauf. UJO<br />

•<br />

Nächster Termin: 23.5., 13.30–16 Uhr,<br />

Wichern-Schule, Horner Weg 164<br />

5<br />

Nachhaltigkeitsexpertin<br />

Friederike Meyn<br />

Friederike Meyn achtet darauf,<br />

dass ihr Kleiderschrank<br />

nicht zu voll wird. Schon von<br />

Berufs wegen. Die 28-Jährige<br />

ist Nachhaltigkeitsexpertin<br />

bei der Verbraucherzentrale.<br />

Wenn sie Kleidungsstücke<br />

doch nicht anzieht, tauscht sie<br />

mit einer Freundin. „Oder ich<br />

schenke oder leihe ihr ein<br />

paar Klamotten.“<br />

Die moderne Variante<br />

der Kleidertauschparty sind<br />

Sharing-Plattformen im Internet:<br />

Sie vermieten per<br />

Abonnement Kleidung an<br />

Menschen, die Umwelt und<br />

Geldbeutel schonen wollen.<br />

Ob Smoking, Babystrampler<br />

oder Umstandsmode: Das<br />

Preisgeld für Ehrenamtler<br />

Angebot ist groß und wächst<br />

Glückliche Nachwuchskicker: Der stetig. Die „Kleiderei“ etwa<br />

„Dulsberger Sportclub Hanseat“<br />

bietet „einen unermesslichen<br />

hat beim Stadtteilpreis der Mopo Kleiderschrank für junge<br />

13.100 Euro für Trikots, Hosen,<br />

Leute“, so Meyn. Der Tchibo-<br />

Stutzen und Trainingsanzüge gewonnen.<br />

Insgesamt hatte die Zei-<br />

Plattform „Kilenda“ verlei-<br />

Konzern und die Onlinetung<br />

zusammen mit der PSD Bank hen Kinderkleidung. Und wer<br />

100.000 Euro für Projekte in den<br />

ein Dirndl testen will, wird bei<br />

Stadtteilen ausgelobt. Der Luruper „Dresscoded“ fündig.<br />

Verein „LuFisch“ hat sogar 35.000<br />

Welches Angebot passt,<br />

Euro bekommen, damit bedürftige hängt vom eigenen Konsumverhalten<br />

ab, so Meyn: „Wenn<br />

Kinder auch weiterhin kostenlos<br />

schwimmen lernen können. BELA<br />

•<br />

ich nur wenig Kleidung brauche,<br />

muss ich nicht 50 Euro<br />

im Monat bezahlen.“ Tipps<br />

der Expertin: Beim Abo auf<br />

kurze Kündigungsfristen achten.<br />

Und, da es ja auch um eine<br />

bessere Welt geht: nach<br />

umweltfreundlichen Materialien<br />

und fairen Herstellungsbedingungen<br />

schauen. UJO<br />

Infos: www.vzhh.de/Kleidung<br />


Panikattacken<br />

und Seufzer<br />

der Freude!<br />

Es war eins der größten Abenteuer in unserem<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Leben. 25 Tage lang hatten wir ein Restaurant:<br />

die <strong>Kunzt</strong>Küche mit täglich wechselnden Köchen.<br />

TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE, DMITRIJ LELTSCHUK, LENA MAJA WÖHLER, ANDREAS HORNOFF


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Hinz&Künztler als Küchenhelfer auf Zeit:<br />

Thomas (Seite 12) mit Cristián Orellanus<br />

(Cantina Popular). Links: Alexandra mit Tim<br />

Koch (Bobby&Fritz). Bild unten: Zum Auftakt<br />

kochten Freunde: Fabian Ehrich (FuH; von links), Ole<br />

Plogstedt und Fred Nowack. Ganz unten: Basti und Ewa.<br />

Mit seinem Leben ist Thomas gerade „richtig<br />

zufrieden“. Der Hinz&Künztler arbeitet derzeit<br />

in der <strong>Kunzt</strong>Küche mit – ein Wahnsinns-<br />

Abenteuer mit ständig wechselnden Akteuren.<br />

„Ein bisschen graut mir schon vor der Zeit danach“, sagt er.<br />

Als er das sagt, ist unser 25-Tage-Restaurant mit Mittagstisch<br />

und 25 Gastköchen am Abend noch in vollem Gang. Wenn<br />

Sie den Artikel lesen, hat es schon wieder geschlossen. Sollte<br />

der Trend der ersten zwei Wochen anhalten, werden wir um<br />

die 2000 Gäste bewirtet haben – und zwölf Hinz&Künztler<br />

werden um einige Erfahrungen reicher sein.<br />

Thomas fühlt sich jetzt schon reich. Wenn der 57-Jährige<br />

in der <strong>Kunzt</strong>Küche im Einsatz ist, „sperre ich die Augen auf.<br />

Mein Vater hat schon immer gesagt: ‚Was du nicht weißt,<br />

kannst du dir abgucken.‘“ Und das tut er. An dem Abend, als<br />

Cristián Orellanus von der Cantina Popular kocht, erfährt er,<br />

„dass man Fisch ohne Flamme garen kann, in einer Emulsion<br />

aus Öl und Zitronensäure“. Das Eiweiß des rohen<br />

7


8<br />

Wahnsinnsstimmung mit den Spitzenköchen: Tim Mälzer<br />

(oben) und Marcus Scherer mit seinem Team Collin<br />

Hoger und Jan Reiser (in Weiß) und den Hinz&Künztlern<br />

Michael und Basti. Links: Aron Farkas, unser Koch der<br />

Herzen, hat die <strong>Kunzt</strong>Küche 25 Tage lang betreut.


Stadtgespräch<br />

Arbeiten und Feiern auf Augenhöhe:<br />

Matthias Gfrörer (Gutshof Wulksfelde) mit den<br />

Hinz&Künztlern Maria und Michael (linkes Bild).<br />

Rechts oben: Thomas Imbusch (100/200) und<br />

sein Team feiern Hinz&Künztler Marcel.<br />

Und Spitzenköchin Anna Sgroi wird<br />

gerade von den Gästen gefeiert.<br />

Fisches wird durch das Marinieren zersetzt. Zusätzliches<br />

Erhitzen ist nicht mehr nötig. „Das ist ja gerade in heißen<br />

Ländern wichtig“, sagt Thomas fachmännisch.<br />

„Die haben uns<br />

voll mit<br />

eingebunden.“<br />

Jeden Tag gibt es neue kulinarische Erlebnisse: Baiser mit<br />

Roter Bete (Fabio Haebel), Mispeln mit Schmandeis und<br />

Granola (Matthias Gfrörer vom Gutshof Wulksfelde) oder<br />

Babyfenchel mit Ziegenkäse-Crumble (Marcus Scherer).<br />

Und wir erlebten Extreme: Sterneküche mit Anna Sgroi oder<br />

Marc Müller und dann Fast-Food-Spezialisten. Die haben<br />

aber auch ein richtig tolles Menü serviert. Mal gab’s Käsespätzle<br />

im Hauptgang und dann wieder: eine Auster für jeden.<br />

Crémant und Selbstgebrautes. Sogar eine Sommelière<br />

war mal da! Ein Abend ist ganz feierlich, wieder ein anderer<br />

etwas wild oder superherzlich und familiär.<br />

Das Highlight für Thomas war, als Fabian Ehrich aus<br />

dem FuH mit seinen Freunden, Spitzenkoch Fred Nowack<br />

und TV-Koch Ole Plogstedt (Rote Gourmet Fraktion),<br />

gekocht hat. „Die haben uns voll mit eingebunden“, sagt er.<br />

Thomas war glücklich, weil er Ole so gerne mag. „Nicht<br />

zuletzt, weil er auch St. Paulianer ist.“<br />

Aber inzwischen ist Thomas auch Fan anderer Köche –<br />

vor allem von Aron Farkas. Lutz Bornhöft, dem die Cook Up<br />

culinary gallery gehört, hat ihn uns zur Seite gestellt. Aron<br />

schmeißt die <strong>Kunzt</strong>Küche, kocht die vegetarischen Gerichte<br />

und den Mittagstisch – und kümmert sich um unsere Küchenhelfer.<br />

„Aron kommt morgens und geht um 23 Uhr“,<br />

sagt Thomas bewundernd. „Dabei ist der erst 21 Jahre alt!“<br />

Wenn Thomas unser Restaurant verlässt, kann er es<br />

„kaum erwarten, bis ich wieder dran bin“. Ewa, Marcel, Michael,<br />

Basti und Alexandra und den anderen Hinz&Künztlern<br />

geht es ähnlich: Es ist für alle eine „große Freude“, mit dabei<br />

zu sein – und gleichzeitig eine große Herausforderung.<br />

Denn als Küchenhilfe muss man immer auf Zack sein – und<br />

das mit ständig wechselnden Köchen und in einer Mini-<br />

9


Rubrik<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>303</strong>/MAI <strong>2018</strong><br />

Herzlich und lecker. Fabian Ehrich<br />

(Bild oben, rechts) kochte mit Freunden: TV-Koch Ole<br />

Plogstedt und Fred Nowack – und mit Ewa. Ganz schön wild:<br />

Jannes Vahl von den Clubkindern bedankt sich<br />

überschwänglich bei Koral Elci (Kitchen Guerilla).<br />

Rechts: Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Stadtführer Chris hat heute<br />

mal Küchendienst. Hinter ihm: Thomas.<br />

10


Stadtgespräch<br />

So wird aus<br />

Ihrem Toaster<br />

ein Tablet.<br />

Aurubis, die<br />

Nummer eins im<br />

Kupferrecycling.<br />

Mehr über unser Recycling erfahren Sie<br />

auf www.aurubis.com/recycling<br />

Beim Abendmenü wird Andreas Reitz vom Alten Mädchen<br />

(rechts) von Kollege Christian Prigge und Hinz&Künztlerin<br />

Alexandra unterstützt. Das Restaurant hatte der<br />

<strong>Kunzt</strong>Küche nicht nur das Abendmenü geschenkt, sondern<br />

auch den Mittagstisch für eine ganze Woche.<br />

Küche. „Da gibt es schon Kommandos und Ansagen“,<br />

sagt Thomas. „Aber danach wird auch immer gelobt.<br />

Das tut gut, gerade wenn man Lob gar nicht mehr gewohnt<br />

ist.“<br />

Klar sind wir alle irgendwann ganz schön übermüdet,<br />

und natürlich passieren auch mal Pannen:<br />

Zweimal am selben Abend sind Tische überbucht.<br />

Aber die Gäste sind megaentspannt. Die einen wollen<br />

wiederkommen, die anderen quetschen sich zu sechst<br />

an einen Tisch und kommen gleich miteinander ins<br />

Gespräch. Einer schrieb ins Gästebuch: „So voll! Es<br />

war eine Erfahrung! Panikattacken und Seufzer der<br />

Freude.“ Und sprach uns damit aus dem Herzen. •<br />

Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />

So funktioniert die <strong>Kunzt</strong>Küche<br />

Die <strong>Kunzt</strong>Küche ist ein Geschenk von Hamburger<br />

Köchen zum 25. Geburtstag von Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Veranstalter<br />

sind die Clubkinder. Der gemeinnützige Verein<br />

hat die Cook Up culinary gallery für 25 Tage gemietet<br />

und zahlt auch die Gehälter der Hinz&Künztler, die als<br />

Küchenhilfen arbeiten. Fünf Euro des Menüpreises von<br />

30 Euro gehen an den Mittagstisch. Bleibt Geld übrig,<br />

fließt der Erlös an Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

11<br />

WENN UNSERE UMWELT<br />

NICHT FÜR DIE RENDITE<br />

BEZAHLEN MUSS. DANN<br />

IST ES GUTES GELD.<br />

GUTESGELD.DE<br />

Interessiert an ethischer Geldanlage?<br />

Informieren Sie sich beim Oikocredit<br />

Förderkreis Norddeutschland e.V.<br />

Tel. 040 306 20 1460<br />

NACHHALTIGE GELDANLAGE SEIT 1975.


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>303</strong>/MAI <strong>2018</strong><br />

Meldungen (1)<br />

Politik & Soziales<br />

Schüler untersuchen den Wohnungsmarkt<br />

Mietpreise in Hamburg auf Rekordniveau<br />

In ganz Hamburg ziehen die Mietpreise weiter an. Das geht aus einer Analyse<br />

aktueller Wohnungsanzeigen durch Schüler des Gymnasiums Ohmoor hervor.<br />

Demnach liegt der durchschnittliche Quadratmeterpreis in Annoncen inzwischen<br />

bei 13,24 Euro netto kalt, 4,4 Prozent höher als noch im Vorjahr. Die teuersten<br />

Quartiere sind Uhlenhorst, HafenCity, Altstadt und St. Pauli. Ein Grund für den<br />

massiven Anstieg könnte sein, dass deutlich weniger Wohnungen auf dem freien<br />

Wohnungsmarkt landeten. Nur etwa 1100 Wohnungen, statt mehr als 2000 wie in<br />

den vergangenen Jahren, wurden überhaupt angeboten. Einen eklatanten Mangel<br />

an günstigen Wohnungen bescheinigt derzeit eine weitere Studie der Böckler-<br />

Stiftung. Den Negativrekord hält Berlin. Dort fehlen 310.000 Wohnungen, in<br />

Hamburg immerhin 150.000. Um die Wohnverhältnisse in urbanen Gebieten<br />

zu untersuchen, wurden die Daten des Mikrozensus aus dem Jahr 2014 für 77<br />

Großstädte in Deutschland ausgewertet. Demnach gibt jeder fünfte Hamburger<br />

Haushalt mehr als 40 Prozent seines Nettoeinkommens für Miete aus. JOF<br />

•<br />

Altona<br />

Bezirk beendet Leerstand<br />

Nach jahrelangem Leerstand wird<br />

eine Wohnung an der Elbchaussee<br />

wieder vermietet. Zuvor war die<br />

90 Quadratmeter große Wohnung<br />

offenbar illegal als Ferienwohnung<br />

vermietet worden. Nach Angaben<br />

eines Sprechers des Bezirksamts<br />

Altona wurden deswegen sogar<br />

Zwangsgelder in Höhe von 30.000<br />

Euro verhängt. Die Strafe wurde<br />

bezahlt, die Wohnung aber weiterhin<br />

nicht vermietet. Erst als der Bezirk<br />

jetzt mit einer Zwangsverwaltung<br />

drohte, wurde die Wohnung<br />

wieder regulär vermietet. JOF<br />

•<br />

Drohende Kosten durch Grundsteuerreform<br />

Gefahr für Mieter in Ballungsräumen<br />

Der Mieterverein zu Hamburg hat vor steigenden Kosten für Mieter durch die<br />

anstehende Reform der Grundsteuer gewarnt, da Vermieter die Steuer auf ihre<br />

Mieter umlegen dürfen. Die meisten Bundesländer sprechen sich für eine künftige<br />

Bemessung anhand des Marktwerts der Immobilie aus. „Sollte dieses Modell<br />

sich durchsetzen, werden alle Mieter in den Ballungsräumen zu den Verlierern<br />

gehören“, sagte Mieterverein-Chef Siegmund Chychla. Chychla plädiert dafür,<br />

dass Vermieter die Steuer künftig selbst zahlen müssen: „So kann man die Mieter<br />

am besten schützen.“ BELA<br />

•<br />

Netzwerk Recht auf Stadt<br />

Kooperation mit Mietervereinen<br />

Mieten-Move in Hamburg Stadt spart 130.000 Euro ein<br />

Kein anderes Thema beschäftigt die Seit 15 Jahren kooperiert die Stadt<br />

Hamburger derzeit so stark wie steigende<br />

Mieten. Das geht aus einer aknimmt<br />

die Mitgliedsbeiträge für<br />

mit den Mietervereinen und übertuellen<br />

Forsa-Umfrage hervor. Trotz Hilfeempfänger, die Stress mit ihrem<br />

hoher Neubauzahlen sind die Mietpreise<br />

laut Mietenspiegel in den ver-<br />

Die Stadt trägt die Miete der Hilfe-<br />

Vermieter haben. Aus gutem Grund:<br />

gangenen zehn Jahren um rund 30 empfänger. Die können sich durch<br />

Prozent gestiegen. Initiativen aus dem die Kooperation gegen unberechtigte<br />

Netzwerk Recht auf Stadt und das Forderungen der Vermieter wehren.<br />

Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot Das zahlte sich auch 2017 wieder aus:<br />

machen jetzt mobil und rufen am Die Beiträge betrugen zwar stattliche<br />

2. Juni zu einer Parade gegen Mietenwahnsinn<br />

und Verdrängung auf. Der 190.000 Euro. De facto musste die<br />

59.300 Euro, aber die Stadt sparte<br />

sogenannte Mieten-Move startet um Stadt also 130.000 Euro weniger<br />

13 Uhr am Spielbudenplatz. JOF<br />

•<br />

bezahlen. JOF<br />

•<br />

Bürgerschaft<br />

CDU gegen Saga-Mieterhöhung<br />

Für fünf Jahre will die CDU künftig<br />

Mieterhöhungen bei der Saga<br />

aussetzen. Diese Forderung erhob<br />

Mitte April der Fraktionsvorstand<br />

André Trepoll. Sogar Investoren will<br />

er das Leben erschweren. Auf städtischen<br />

Flächen sollen sie „für bis zu 30<br />

Jahren eine Miete deutlich unter den<br />

üblichen Marktpreisen garantieren“.<br />

Die Forderungen sind pikant. Zehn<br />

Jahre lang regierte die CDU in<br />

Hamburg, von 2001 bis 2011. Damals<br />

machte es nicht den Eindruck,<br />

als würden die Christdemokraten<br />

besonderen Wert auf das städtische<br />

Wohnungsunternehmen Saga legen.<br />

Ein Teil des Bestandes wurde gar<br />

veräußert und die Mieten der Saga<br />

schnellten um 25 Prozent in die<br />

Höhe. Damit nicht genug: Die Zahl<br />

der Sozialwohnungen schrumpfte<br />

dramatisch zusammen, weil kaum<br />

neue gebaut wurden: von 150.899<br />

auf 98.916. JOF<br />

•<br />

Mehr Infos und Nachrichten unter:<br />

www.hinzundkunzt.de<br />

12


NEU.<br />

FÜR HAMBURG.<br />

EINE STADT.<br />

EINE GESCHICHTE.<br />

EIN MAGAZIN.<br />

AUSGABE ACHT<br />

HAMBURG HISTORY LIVE<br />

WAS U N S ALLE VERBINDET: DIE GE<br />

SCHICH TE DER STADT U ND DES N O RDENS<br />

Die Relaunch-Ausgabe der<br />

HAMBURG HISTORY LIVE<br />

widmet sich den wilden Anfängen:<br />

Die Revolution in Hamburg<br />

erkämpft unsere Demokratie<br />

Die Neustadt offenbart den<br />

Ursprung unserer Hafenmetropole<br />

Der Künstler Jochen Hein spricht<br />

über die Ursache seiner Gemälde<br />

u. v. m.<br />

NEUSTADT<br />

Bewegtes Leben im<br />

Herzen Hamburgs<br />

JOCHEN HEIN<br />

Fotorealistische Studien<br />

von Mensch und Natur<br />

KLASSIZISMUS<br />

Meisterwerke dänischer<br />

Baukultur in Altona<br />

REVO<br />

LUTI<br />

ON<br />

IN HAMBURG<br />

ANNO 1918: AUFTAKT<br />

UNSERER DEMOKRATIE<br />

IM HANDEL UND ONLINE ERHÄLTLICH!<br />

www.hamburg-history-live.de


Esther Muinjangue<br />

engagiert sich für die<br />

Nama und Herero.<br />

Im Rathaus bedankte<br />

sie sich bei Kultursenator<br />

Brosda:<br />

„Wenn Angela Merkel<br />

und ihre Regierung<br />

Ihre Einstellung hätten,<br />

könnten wir das<br />

Problem morgen lösen.“<br />

Die Wunden sind noch<br />

nicht verheilt<br />

Vor 110 Jahren endete der deutsche Kolonialkrieg gegen die<br />

Völker der Nama und Herero. Bis heute stockt die Aufarbeitung der Verbrechen.<br />

Nachfahren der Opfer forderten jetzt in Hamburg Wiedergutmachung.<br />

TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Wenn der Schädel sprechen<br />

könnte, hätte er<br />

gesagt: „Bring mich<br />

nach Hause!“ Da ist sich<br />

Esther Muinjangue sicher. Sie konnte<br />

im Uniklinikum Eppendorf (UKE) den<br />

Herero-Schädel betrachten, der dort<br />

seit Jahrzehnten lagert. Den Menschen,<br />

zu dem der Kopf gehörte, trieben<br />

deutsche Soldaten 1904 im heutigen<br />

Namibia vermutlich in die Wüste, wo er<br />

verdurstete. Muinjangue sagt, sie fühle<br />

sich wie die Urenkelin des Schädels.<br />

Denn als Sprecherin des „Ovaherero<br />

Genocide Committees“ setzt sich die<br />

Dozentin für soziale Arbeit seit Jahren<br />

für Wiedergutmachung ein.<br />

Vertreter der Volksgruppen Herero<br />

und Nama waren im April nach Hamburg<br />

gekommen, um an einem Kongress<br />

teilzunehmen. Dabei besuchten<br />

sie auch Orte in der Stadt, an denen der<br />

Kolonialismus Spuren hinterlassen hat.<br />

Wie das UKE, wo neben dem Herero-<br />

Schädel mehr als 75 weitere menschliche<br />

Überreste gelagert sind, die nach<br />

der Kolonialzeit nach Hamburg gebracht<br />

worden waren.<br />

14<br />

„Man merkt bis heute im Stadtbild,<br />

dass Hamburg eine zentrale Rolle im<br />

deutschen Kolonialreich spielte“, sagt<br />

der Hamburger Geschichtswissenschaftler<br />

Jürgen Zimmerer. Vor allem<br />

der Hafen sei wichtig gewesen: Fast alle<br />

der 19.000 im Krieg von 1904–1908<br />

eingesetzten Soldaten wurden von hier<br />

in die Kolonie Deutsch-Südwestafrika<br />

verschifft. „Unter großer Anteilnahme<br />

der Bevölkerung“, sagt Zimmerer.<br />

Dort angekommen, beteiligten sie<br />

sich am Völkermord an den Nama und<br />

Herero. Der Befehl von Generalleut-


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

nant Lothar von Trotha war mehr als<br />

deutlich: „Innerhalb der deutschen<br />

Grenze wird jeder Herero mit oder ohne<br />

Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen,<br />

ich nehme keine Weiber und keine<br />

Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem<br />

Volke zurück oder lasse auch auf sie<br />

schießen.“ Bis zu 100.000 Menschen<br />

starben, 80 Prozent der Herero und die<br />

Hälfte der Nama verloren ihr Leben.<br />

Über Jahrzehnte tat man sich in<br />

Deutschland äußerst schwer mit der<br />

Auseinandersetzung mit den Verbrechen,<br />

die von den Kolonialisten begangen<br />

worden sind. Das hält teilweise bis<br />

heute an. Der Hamburger Senat hat<br />

immerhin 2014 beschlossen, das koloniale<br />

Erbe der Stadt aufzuarbeiten, und<br />

eine Forschungsstelle eingerichtet, die<br />

Jürgen Zimmerer leitet.<br />

Esther Muinjangue und ihre Mitstreiter<br />

hat der Senat nun zu einem<br />

Empfang ins Rathaus eingeladen. Kultursenator<br />

Carsten Brosda (SPD) gibt<br />

sich bei seiner Rede im prunkvollen<br />

Kaisersaal demütig: „Ich bitte Sie ausdrücklich<br />

um Vergebung für die Beteiligung<br />

unserer Stadt an dem Leid, das<br />

Ihren Vorfahren und Ihren Völkern in<br />

deutschem Namen angetan wurde und<br />

dessen verheerende Folgen bis heute<br />

nachwirken“, sagt er.<br />

Das Treffen in Hamburg steht<br />

dennoch unter dem Eindruck der<br />

Spannungen zwischen den Nama- und<br />

Herero-Organisationen und der Bundesregierung.<br />

Zwar erkennt diese inzwischen<br />

endlich den Völkermord an und<br />

verhandelt seit 2015 mit der namibischen<br />

Regierung über eine offizielle<br />

Entschuldigung und eine deutsch-namibische<br />

„Zukunftsstiftung“. Doch<br />

längst nicht alle Nachfahren der Opfer<br />

leben in Namibia – und ihre Organisationen<br />

sind an den Verhandlungen<br />

nicht beteiligt. Das macht sie wütend:<br />

„Gebt uns einen Platz am Verhandlungstisch!“,<br />

fordert Esther Muinjangue<br />

im Rathaus.<br />

„Wir sind diejenigen, die immer<br />

noch den Schmerz spüren“, sagt sie.<br />

„Die Wunden der Vergangenheit sind<br />

noch nicht verheilt.“ Was sie damit<br />

meint, erklärt sie später im Gespräch<br />

mit Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Ihre Urgroßmutter<br />

habe nach dem Krieg im Haus eines<br />

Deutschen gearbeitet, so wie viele<br />

„Ich bitte Sie<br />

ausdrücklich um<br />

Vergebung.“<br />

CARSTEN BROSDA, KULTURSENATOR<br />

Herero damals. „Dort wurde sie von<br />

einem deutschen Soldaten vergewaltigt“,<br />

erzählt Muinjangue. „In meinem<br />

Stammbaum gibt es einen weißen<br />

Fleck“, sagt sie. „Ich kannte meinen<br />

Urgroßvater nie und ich werde ihn<br />

nie kennen.“ Nur seinen Vornamen<br />

kennt sie: Matthias. Und sie weiß: Ihr<br />

Großvater ist das Produkt dieser Ver -<br />

gewaltigung.<br />

Beileibe kein Einzelfall. Und so<br />

verwundert es nicht, dass Nama und<br />

Herero für sich Gerechtigkeit einfordern.<br />

Doch ohne Reibung läuft die<br />

Wiedergutmachung selten ab. Das UKE<br />

etwa möchte den Herero-Schädel zwar<br />

nach Namibia überführen. „Die sterblichen<br />

Überreste sind weder in einer<br />

wissenschaftlichen Sammlung noch in<br />

einem Museum korrekt aufgehoben“,<br />

sagte schon vor einem Jahr Uwe Koch-<br />

Gromus, Dekan der medizinischen Fakultät<br />

der Universität. Doch seitdem hat<br />

sich nichts getan – obwohl sich das Auswärtige<br />

Amt der Sache angenommen<br />

und eigentlich eine Überführung für vergangenen<br />

Dezember angekündigt hatte.<br />

Am liebsten hätte das UKE nun den<br />

Schädel den Besuchern aus Namibia<br />

mitgegeben, so wie die es gefordert hatten.<br />

Doch Berlin plant die Rückgabe<br />

jetzt erst für den Sommer – und wohl<br />

ohne Beteiligung der Herero-Organisationen.<br />

Auf Nachfrage wollte sich die<br />

Bunderegierung aber nicht zu Details<br />

äußern.<br />

Den Hamburg-Besuch verbucht<br />

Esther Muinjangue dennoch als Erfolg,<br />

denn ihr geht es vor allem um Anerkennung.<br />

An Kultursenator Brosda gerichtet<br />

sagt sie: „Wenn Angela Merkel<br />

und ihre Regierung Ihre Einstellung<br />

hätten, könnten wir das Problem morgen<br />

lösen.“<br />

•<br />

Kontakt: benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />

Die<br />

Großuhrwerkstatt<br />

Bent Borwitzky<br />

Uhrmachermeister<br />

Telefon: 040/298 34 274<br />

www.grossuhrwerkstatt.de<br />

Verkauf und Reparatur<br />

von mechanischen Tisch-,<br />

Wand- und Standuhren<br />

Innere Kraft - für dich & andere<br />

Qigong<br />

Taijiquan Meditation<br />

Barmbek, Bahrenfeld, Eimsbüttel, Langenhorn<br />

040-205129<br />

www.tai-chi-lebenskunst.de<br />

Gute Beratung<br />

ist die halbe Miete<br />

Unsere Juristen beraten Sie<br />

professionell und engagiert<br />

Mieter helfen Mietern<br />

Hamburger Mieterverein e. V.<br />

www.mhmhamburg.de<br />

040 / 431 39 40<br />

pix & pinsel . madle@pixundpinsel.de . +49 (0<br />

15


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Zahlen des Monats<br />

Das Diesel-Urteil und die Folgen<br />

Ein paar Straßenschilder<br />

reichen nicht<br />

6000<br />

Bundesbürger – mindestens! – sind allein 2014 an Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />

gestorben, die durch hohe Stickstoffdioxid-Belastungen ausgelöst wurden. Das ergaben<br />

wissenschaftliche Berechnungen im Auftrag des Umweltbundesamts (UBA).<br />

Der Studie zufolge sind zudem jeder siebte Fall von Asthma und jede zwölfte<br />

Diabetes-(Blutzucker-)Erkrankung auf das Atemgift zurückzuführen.<br />

Dazu UBA-Präsidentin Maria Krautzberger: „Gerade in den verkehrsreichen Städten<br />

besteht Handlungsbedarf.“<br />

Hauptverursacher von Stickstoffdioxid (kurz Stickoxid oder NO 2 ) sind Dieselfahrzeuge.<br />

Weil Deutschland die 2010 eingeführten EU-Grenzwerte für die Konzentration des<br />

Abgases bis heute vielerorts nicht einhält, droht die Europäische Kommission<br />

mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Vergangenes Jahr wurde<br />

die erlaubte Höchstbelastung in 70 deutschen Städten überschritten,<br />

auch in Hamburg. Sollte es zu einer Verurteilung kommen, drohen den Kommunen<br />

Strafzahlungen von bis zu 10.000 Euro pro Tag.<br />

Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass Städte Fahrverbote verhängen<br />

dürfen, um die EU-Vorgaben durchzusetzen. Als Reaktion darauf hat der Senat zwei<br />

Durchfahrtsbeschränkungen beschlossen: Dieselfahrzeuge, die nicht der EU-Abgasnorm 6<br />

entsprechen, dürfen 600 Meter der Max-Brauer-Allee nicht mehr befahren, außerdem ist<br />

ein Stück der Stresemannstraße nun für Diesel-Lkw tabu. An beiden vielbefahrenen<br />

Straßen stehen zwei der vier Messstationen in Hamburg, die die Ignoranz von Politik und<br />

Behörden seit Jahren dokumentieren.<br />

Zwar wird das Atemgift durch die Durchfahrtsbeschränkungen nur umverteilt,<br />

doch versichert Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne): „Auf den Ausweichrouten wird es<br />

nicht zu neuen Überschreitungen der EU-Grenzwerte kommen.“ Jüngsten Messungen<br />

der Deutschen Umwelthilfe zufolge liegt die NO 2 -Konzentration an mindestens sieben<br />

weiteren Straßen in Hamburg über dem Erlaubten. Abgesehen davon halten<br />

Umweltbundesamt und Verbände Fahrverbote für ganze Stadtzonen für sinnvoller.<br />

Offen ist, inwieweit Bundesregierung und Europäische Union nun die Autoindustrie<br />

in die Haftung nehmen – immerhin haben mehrere Konzerne offenbar jahrelang<br />

Diesel-Pkw-Käufer und Politik betrogen. Software-Updates und Umtauschprämien<br />

reichen jedenfalls nicht, um die Luft, wie von der EU gefordert, zu verbessern,<br />

so Umweltbundesamt-Chefin Krautzberger: „Wir brauchen dringend die<br />

Hardware-Nachrüstung der Autos.“ Die allerdings lehnt die Autoindustrie bislang ab. •<br />

TEXT: ULRICH JONAS<br />

ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />

Mehr Infos im Internet unter www.umweltbundesamt.de und www.duh.de<br />

17


Betten für die einen,<br />

Platten für die anderen<br />

Nach dem Winternotprogramm sind viele Obdachlose wieder auf der Straße.<br />

Manche hatten Glück und konnten in eine andere Unterkunft umziehen.<br />

Die Chancen auf eine richtige Wohnung stehen schlecht.<br />

TEXT: JONAS FÜLLNER, BENJAMIN LAUFER<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

18


Stadtgespräch<br />

Die Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer<br />

Bonnie und Clyde müssen nun<br />

wieder sehen, wo sie ihre Habseligkeiten<br />

lagern können. Eine<br />

gemeinsame Unterkunft für<br />

Paare ist nur schwer zu finden.<br />

Eigentlich bräuchten sie alle eine<br />

Wohnung: In den letzten Tagen<br />

des Winternotprogramms für<br />

Obdachlose übernachteten teilweise fast<br />

800 Menschen in den Notunterkünften<br />

der Stadt. Am Dienstag nach Ostern<br />

mussten sie alle raus, das Winternotprogramm<br />

endete. Was ist aus ihnen geworden?<br />

231 Obdachlosen hat der Betreiber<br />

fördern&wohnen einen Platz in einer<br />

dauerhaften Unterkunft vermittelt. Für<br />

die Sozialbehörde ist die Zahl ein Erfolg.<br />

Sie bedeutet aber auch, dass den meisten<br />

Menschen im Winternotprogramm<br />

keine Perspektive geboten wurde.<br />

Am Morgen nach der letzten Nacht<br />

in der Notunterkunft an der Friesenstraße<br />

in Hammerbrook machen viele<br />

Obdachlose ein langes Gesicht. Wo sie<br />

jetzt schlafen werden? „Straße“, hören<br />

wir oft, meist in gebrochenem Deutsch.<br />

Die Hinz&Künztler Bonnie und Clyde<br />

können ihr Gepäck kaum tragen. Ihr<br />

Hab und Gut hatten sie die vergangenen<br />

Monate über im Schrank in ihrem<br />

Zimmer gelagert. Jetzt haben sie alles in<br />

diverse Rucksäcke, Plastiktaschen und<br />

einen Rollkoffer gepackt und kämpfen<br />

sich mit Mühe über den nassen Asphalt.<br />

Sie wollen damit zum Stützpunkt der<br />

Caritas am Klosterwall. Dort können<br />

Obdachlose tagsüber in 24 Schließfächern<br />

ihr Gepäck lagern.<br />

Die Zeit im Winternotprogramm<br />

hat den beiden sichtlich gut getan. Und<br />

eigentlich wollten sie auch nicht wieder<br />

auf die Straße zurück. Sie hatten darauf<br />

gehofft, aus der Einrichtung in der<br />

Friesenstraße heraus in eine dauerhafte<br />

Unterkunft umziehen zu können. Nur<br />

hätten die Sozialarbeiter ihnen dort<br />

keine Beratung angeboten, sagen Bonnieund<br />

Clyde. f&w widerspricht: „Nahezu<br />

jeden Abend“ sei ihnen ein Beratungsgespräch<br />

angeboten worden, das<br />

sie aber stets abgelehnt hätten. Die beiden<br />

weisen das empört zurück: „Das ist<br />

19<br />

eine Lüge!“, sagt Clyde. So oder so: Seit<br />

dem Ende des Winternotprogramms<br />

macht das Paar wieder Platte in der<br />

Mönckebergstraße. Sozialarbeiter der<br />

Diakonie setzen sich nun dafür ein, dass<br />

sie endlich einen Unterkunftsplatz bekommen.<br />

Doch für Paare, die gemeinsam<br />

wohnen wollen, sei das schwierig,<br />

sagen sie. Von einer eigenen Wohnung<br />

ganz zu schweigen.<br />

Am Dienstag<br />

nach Ostern<br />

mussten alle raus<br />

auf die Straße.<br />

Andere hatten mehr Glück: „Das ist<br />

jetzt mein Reich“, sagt Guido und öffnet<br />

die Tür zu seiner neuen Bleibe. Seit<br />

Anfang April lebt der Wohnungslose<br />

jetzt in der Unterkunft in Bergedorf,<br />

zusammen mit 160 weiteren alleinstehenden<br />

Männern. Gerade mal zwei<br />

Wochen habe er in der Friesenstraße<br />

übernachtet, doch für die Sozialarbeiter<br />

dort offenbar genug Zeit, eine Bleibe<br />

für ihn zu finden. „Da kann man wirklich<br />

von Glück reden“, sagt er.<br />

Und ob! Sein Zimmer ist allerdings<br />

karg eingerichtet: Ein Bett, ein Tisch,<br />

ein Kühlschrank. Auf der Fensterbank<br />

lagert er Bücher und anderen Besitz.<br />

Dem Raum sieht man an, dass hier länger<br />

nicht renoviert wurde. Guido stört<br />

das aber nicht: „Ich bin zufrieden“, sagt<br />

er. Bad und Küche teilt der Rheinländer<br />

sich mit einem Nachbarn. Und bald<br />

wird er sich auch das Zimmer teilen<br />

müssen – mit einem Mitbewohner. „Solange<br />

er mich in Ruhe lässt, ist mir das<br />

egal“, sagt Guido.


Guido hat Glück gehabt: Schon nach zwei Wochen im<br />

Winternotprogramm konnte er in eine Unterkunft in Bergedorf<br />

umziehen. Bald bekommt er einen Mitbewohner.<br />

Unterkunftsleiter Andi Lürssen berichtet,<br />

dass es auf den Zimmern oft Streit<br />

gibt. „Manchmal ist es schlimmer als<br />

im Kindergarten“, sagt er. Viele der Bewohner<br />

hier sind entweder Pflegefälle<br />

oder psychisch Kranke, viele hat das<br />

Leben auf der Straße hart gezeichnet.<br />

Menschen, für die es nirgendwo sonst<br />

in der Stadt einen Platz gibt – Lürssen<br />

kümmert sich mit seinem kleinen Team<br />

um sie, so gut es eben geht.<br />

Im vergangenen Jahr hätten gerade<br />

einmal zwei Bewohner in eine normale<br />

Wohnung umziehen können. Guido ist<br />

noch frohen Mutes, irgendwann etwas<br />

Eigenes zu finden – doch Lürssen<br />

macht ihm wenig Hoffnung. „In Hamburg<br />

findet man keine Wohnung“, sagt<br />

er. „Es ist katastrophal.“ Nicht selten<br />

blieben die Bewohner bis zum Tod hier<br />

wohnen: Endstation öffentlich-rechtliche<br />

Unterbringung.<br />

Die Sozialbehörde hat die Unterkunftsplätze<br />

für Wohnungslose zuletzt<br />

massiv ausgebaut – von rund 2600 im<br />

Jahr 2015 auf inzwischen mehr als<br />

4600. Einen Platz in einer solchen<br />

Einrichtung zu bekommen geht heute<br />

deutlich schneller als noch vor einigen<br />

Jahren. So konnte auch die Zahl der<br />

Oft bleiben<br />

Bewohner bis<br />

zum Tod in einer<br />

Unterkunft.<br />

Wohnungslosen, die die Behörde behelfsmäßig<br />

in Hotels untergebracht hat,<br />

stark reduziert werden – von 1610 im<br />

Jahr 2015 auf 76 Ende vergangenen<br />

Jahres. Dennoch reichen die Plätze<br />

noch immer nicht aus.<br />

20<br />

Schon im Januar 2017 hatte die Behörde<br />

einen zusätzlichen Bedarf von 1500<br />

Plätzen festgestellt – und das Ziel ausgegeben,<br />

diese binnen Jahresfrist zu<br />

schaffen. Doch bis März dieses Jahres<br />

fehlten davon immer noch 174. Die<br />

Unterkunft in der Friesenstraße hat die<br />

Behörde trotzdem erst mal geschlossen.<br />

Wie sie im Sommer genutzt werde, werde<br />

noch geprüft, hieß es.<br />

Und dann gibt es auf Hamburgs<br />

Straßen noch die vielen Obdachlosen,<br />

die auf eine städtische Unterkunft gar<br />

keine Chance haben. Der Rumäne Stelian<br />

schläft deswegen seit Anfang April<br />

wieder auf der Straße. Zwischendurch<br />

versuchte er, im Pik As unterzukommen.<br />

Doch aus dem städtischen Notasyl<br />

wurde er nach einer Woche erneut zurück<br />

auf die Straße geschickt.<br />

Laut Sozialbehörde hat der 61-Jährige<br />

keinen Anspruch auf einen Platz,<br />

weil er bislang in Deutschland keiner<br />

sozialversicherungspflichtigen Arbeit


Drei Fragen an Dr. Aoukal<br />

Boxer helfen<br />

Obdachlosen<br />

nachging. Vielmehr soll Stelian im Winternotprogramm<br />

während einer sogenannten<br />

Perspektivberatung gegenüber<br />

f&w angegeben haben, dass er vor zwei<br />

Jahren sein Haus in Rumänien verkauft<br />

habe. Mit den finanziellen Mitteln<br />

könne sich der Obdachlose selbst über<br />

Wasser halten, folgerten daraus die<br />

Mitarbeiter.<br />

Dabei hatte Stelian später beteuert,<br />

das Geld aus dem Hausverkauf nicht<br />

mehr zu besitzen. Er habe vielmehr<br />

Schulden. Vergeblich. Stelian erhielt im<br />

Winternotprogramm nicht einmal ein<br />

Bett. Er wurde auf die städtische Wärmestube<br />

verwiesen, wo er monatelang<br />

auf dem Fußboden schlief.<br />

Tatsächlich sieht Stelian nicht aus,<br />

wie man sich Obdachlose möglicherweise<br />

vorstellt. Frisch rasiert, ordentliche<br />

Kleidung und ein seriöses Auftreten.<br />

Er fällt nicht auf, wenn er tagsüber<br />

ziellos durch die Stadt streift. Mittags<br />

kehre er regelmäßig zum Essen in die<br />

Mit 61 Jahren auf der Straße: Stelian aus Rumänien hatte<br />

keinen Anspruch auf ein Bett im Winternotprogramm. Monatelang<br />

schlief er in der städtischen Wärmestube auf dem Fußboden.<br />

Tagesaufenthaltsstätte in der Bundesstraße<br />

ein, erzählt Stelian mithilfe eines<br />

Übersetzers.<br />

Inzwischen besucht er einen Sprachkurs<br />

bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Zusammen mit<br />

einem anderen obdachlosen Rumänen<br />

hat er sich zum Schlafen ein ruhiges<br />

Eckchen in der Stadt gesucht. Wo, das<br />

will er lieber nicht sagen.<br />

Stattdessen verrät der Senior, dass er<br />

sich für Tennis begeistert und schwärmt<br />

von rumänischen Tennisgrößen wie Ilie<br />

N stase und Ion Tiriac. Und er erzählt<br />

von seinen Zukunftsplänen: Am liebsten<br />

würde er als Platzwart arbeiten, Sand<br />

walzen, Linien nachziehen und Hobbysportlern<br />

beim Spielen zuschauen.<br />

Ein Traum, der vielleicht sogar Wirklichkeit<br />

werden könnte. Aber dafür<br />

bräuchte er, so wie auch Bonnie, Clyde<br />

und die anderen Obdachlosen, erst mal<br />

eine eigene richtige Wohnung. •<br />

Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Als die Temperaturen<br />

in Hamburg Anfang März<br />

weit unter den Gefrierpunkt sanken,<br />

öffneten die Boxer der Giants<br />

die Trainingshalle des Hamburger<br />

Boxverbandes für Obdachlose. Sie<br />

sind Verbandsarzt und haben die<br />

Menschen vor Ort untersucht.<br />

SAMIR AOUKAL: In der Halle<br />

schliefen 15 Obdachlose –<br />

die meisten kamen aus Rumänien.<br />

Sie hatten zuvor in<br />

einem Park geschlafen und<br />

befanden sich in einem kritischen<br />

Zustand.<br />

Woran konnte man das sehen?<br />

Sie hatten Erfrierungen an<br />

Füßen und Händen. Einer<br />

hatte schon stark geschwollene<br />

Hände, weil seine Blutzirkulation<br />

nicht mehr richtig<br />

funktionierte. Die Haut wird<br />

brüchig und kann sehr leicht<br />

reißen. Wenn das passiert,<br />

sind Infektionen bis hin zu einer<br />

Blutvergiftung möglich.<br />

Was hilft in solch einer Situation?<br />

Wärme und Hygiene sind<br />

enorm wichtig. Die Finger<br />

müssen eingecremt und<br />

Wunden verbunden werden.<br />

Drei, vier weitere Tage in der<br />

Kälte und man hätte seine<br />

Finger vielleicht amputieren<br />

müssen. Ich glaube, die Aktion<br />

der Boxer hat diesem Obdachlosen<br />

wohl seine Finger<br />

gerettet. •<br />

Samir Aoukal (39) ist Arzt des<br />

Hamburger Boxverbandes und<br />

betreut auch die Deutsche<br />

Box-Nationalmannschaft.<br />

21


Ein Foto aus<br />

besseren Tagen.<br />

Inzwischen wurden<br />

Ralf beide Beine<br />

amputiert.<br />

„Ich habe<br />

überlebt!“<br />

Die Geschichte von Ralf, der in den<br />

eisigen Märztagen fast erfroren wäre.<br />

TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />

FOTO: SYBILLE ARENDT<br />

Es fällt schwer, die Geschichte<br />

von Ralf zu erzählen. Ralf,<br />

der fast erfroren wäre, keine<br />

50 Meter von unserem<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Büro entfernt. Fast, wenn<br />

sich sein Kumpel Mike nicht auf die<br />

Suche nach ihm begeben hätte.<br />

„Kannst du mir mal helfen?“, hörte<br />

Mike aus einem Kleiderberg, in dem er<br />

keinen Menschen, geschweige denn seinen<br />

Freund Ralf vermutet hätte. „Wie<br />

ein Käfer“ auf dem Rücken lag Ralf<br />

da, erzählt uns Mike später. Die Hände<br />

blau gefroren. Er konnte sie nicht mehr<br />

bewegen. Er konnte sich überhaupt<br />

nicht mehr bewegen.<br />

Und jetzt besuchen mein Kollege<br />

Stephan Karrenbauer und ich Ralf im<br />

Krankenhaus. Und dieser Bär von einem<br />

Mann sitzt im Rollstuhl. Beide<br />

Beine bis zum Knie amputiert, Folge<br />

der schweren Erfrierungen. Die Fingerkuppen<br />

sind schwarz – sie werden auch<br />

noch abgenommen. „Eine Zwei-Meter-<br />

Matratze brauche ich jetzt nicht mehr“,<br />

sagt er. Seinen makabren Humor hat er<br />

jedenfalls behalten.<br />

Angefangen hatte alles in den eisigen<br />

Märztagen mit zweistelligen Minusgraden.<br />

Ralf, der alkoholkrank ist,<br />

„Auf die Straße<br />

muss ich jetzt<br />

bestimmt nicht<br />

mehr.“ RALF<br />

22<br />

hatte sich einen Magen-Darm-Virus<br />

eingefangen. Wir dachten, er sei bei einem<br />

Freund untergekommen. Aber den<br />

wollte er nicht anstecken – und ging zurück<br />

auf die Straße. Trotz seiner<br />

Krankheit schaffte es der 47-Jährige<br />

aufzustehen, rüberzugehen zum Einwohnermeldeamt,<br />

wo er die Toilette<br />

benutzte, runter an den Kiosk im<br />

Hauptbahnhof, wo er Nachschub an<br />

Bier und Apfelkorn kaufte und andere<br />

Obdachlose traf.<br />

„Schleichend ging es mir immer<br />

schlechter, aber das habe ich nicht richtig<br />

gemerkt“, sagt er. Er erinnert sich<br />

nur noch daran, dass ihm anfangs Passanten<br />

Wasser und etwas zu essen gegeben<br />

hätten. Virus, Alkohol und Kälte –<br />

das war zu viel. „Irgendwann war<br />

Feierabend.“ Mehrere Tage lang muss<br />

er weggetreten gewesen sein. Irgendwann<br />

kam er wieder zu sich. Wohl genau<br />

in dem Moment, als Mike an ihm<br />

vorbeiging. „Plötzlich habe ich ihn gesehen,<br />

wie durch einen Schleier.“ Mike<br />

rief sofort den Krankenwagen.<br />

Insgesamt 17 Jahre hat Ralf auf<br />

der Straße verbracht. Immer gut ausgestattet<br />

für die kalten Tage: Isomatte und<br />

drei Schlafsäcke. Ein Passant hatte ihm<br />

sogar noch einen Winterschlafsack ge-


Stadtgespräch<br />

schenkt. Natürlich wissen wir – und schreiben das ja<br />

immer wieder: Draußen schlafen ist lebensgefährlich.<br />

In den knapp 25 Jahren, in denen es Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

gibt, haben wir immer wieder Todesfälle gehabt, bei<br />

denen die Witterung auf jeden Fall eine Rolle spielte.<br />

Natürlich weiß auch Ralf, wie lebensgefährlich<br />

Obdachlosigkeit ist. Aber lautstark betonte er immer<br />

wieder, dass ihn keine zehn Pferde ins Winternotprogramm<br />

brächten. Was nur die halbe Wahrheit ist:<br />

Denn ein Bett hätte er schon gerne. Aber eben ein<br />

Einzelzimmer oder ein Zimmer zu zweit. Nicht in einer<br />

Großunterkunft, wo angeblich geklaut würde, wo<br />

es zu viele andere Menschen mit Problemen gibt –<br />

und wo er nicht trinken darf.<br />

Was er nur auf Nachfrage erzählt: Er hätte so<br />

gerne einen Platz in einem der Wohncontainer gehabt,<br />

die die Kirchen im Winter aufstellen. Um einen<br />

Platz dort zu ergattern, hat er zwei Nächte vor der<br />

Tagesaufenthaltsstätte in der Bundesstraße geschlafen.<br />

Hier werden Anfang November immer die rund 100<br />

Plätze vergeben. Diese Art von Winternotprogramm<br />

würden fast alle Obdachlosen annehmen: Man ist<br />

allein, höchstens zu zweit im Container, hat einen<br />

Schlüssel, kann kommen oder gehen, wann man will.<br />

Ralf ging bei der Vergabe der Containerplätze – wie<br />

so viele andere Obdachlose – leer aus.<br />

Derzeit steht Ralf unter Morphium, beweist vielleicht<br />

auch deshalb Galgenhumor. Wir sitzen verzagt<br />

vor ihm und er sagt Sätze wie: „Ey, Leute, ich habe<br />

überlebt!“ Und: „Auf die Straße brauche ich jetzt<br />

bestimmt nicht mehr.“<br />

Nein, bestimmt nicht! Was er sich wünscht? „20<br />

Quadratmeter mit Dusche und Toilette, dass ich mit<br />

dem Bus oder der Bahn gut hinkomme. Tisch, Fernseher,<br />

kleine Küche, mehr will ich doch gar nicht.“ Dann<br />

schaut er schelmisch: „Doch, mit den Krankenschwestern<br />

hier flirten.“ Eins ist jedenfalls klar. Unterkriegen<br />

lassen will Ralf sich nicht. Trotz alledem. •<br />

<br />

Museumsfrachter auf große Fahrt:<br />

Freitag, den 15. Juni <strong>2018</strong><br />

Fahrt auf der Elbe von Hamburg nach Cuxhaven<br />

Samstag, den 16. Juni <strong>2018</strong><br />

Fahrt auf der Elbe und dem Nord-Ostseee-Kanal (Cuxhaven-Rendsburg)<br />

Sonntag, den 17. Juni <strong>2018</strong><br />

Fahrt auf dem Nord-Ostsee-Kanal und der Kieler Förde (Rendsburg-Kiel)<br />

Freitag, den 29. Juni <strong>2018</strong><br />

Fahrt auf der Kieler Förde und dem Nord-Ostsee-Kanal (Kiel-Rendsburg)<br />

Samstag, den 30. Juni <strong>2018</strong><br />

Fahrt auf dem Nord-Ostseee-Kanal und der Elbe (Rendsburg-Cuxhaven)<br />

Sonntag, den 01. Juli <strong>2018</strong><br />

Fahrt auf der Elbe von Cuxhaven nach Hamburg<br />

Bestellen Sie bequem online:<br />

www.capsandiego.de<br />

Nähere Infos und die Termine finden Sie auf unserer<br />

Internetseite unter der Rubrik „Fahrten“.<br />

Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />

Obdachlose durchgehend unterbringen!<br />

Obdachlosigkeit ist lebensgefährlich. Das beweisen die<br />

Zahlen: Laut einer Studie der Hamburger Rechtsmedizin<br />

sterben Langzeit-Obdachlose in Hamburg durchschnittlich<br />

mit 47 Jahren. Die Hinz&Künztler, die in den<br />

vergangenen Jahren starben, waren durchschnittlich<br />

51 Jahre alt, und das, obwohl viele von ihnen wieder<br />

eine Wohnung hatten. Deshalb fordert die Obdachlosenhilfe<br />

wie auch Hinz&<strong>Kunzt</strong> seit Jahren, Obdachlose<br />

durchgehend unterzubringen – in Doppel- oder Einzelzimmern,<br />

und das Winternotprogramm ganztägig und<br />

für alle Menschen in Not zu öffnen.<br />

23<br />

HAMBURG 1918/19<br />

25.04.<strong>2018</strong> – 25.02.2019<br />

#hamburg18_19<br />

www.hamburg-18-19.de


Hafenleben<br />

hautnah<br />

Von<br />

der Industrie im Hafen geht eine<br />

Schönheit aus, die einem die Sprache<br />

verschlägt. Das war gestern und<br />

ist heute so. Im Hafenmuseum und am<br />

Kai der Stiftung Hamburg Maritim wird<br />

der Wandel im Hafen erlebbar.<br />

Wer dann noch das Glück hat, Taklern<br />

bei ihrem traditionellen Handwerk<br />

zuschauen zu dürfen, weiß genau,<br />

warum er Hamburg liebt.<br />

TEXT: ANNETTE WOYWODE<br />

FOTOS: LENA MAJA WÖHLER


Abgewrackter mobiler Baukran<br />

in erster Lage: Auf dem Gelände<br />

der Stiftung Hamburg<br />

Maritim gibt’s einen der tollsten<br />

Ausblicke auf die Stadt.


Die alten Krane<br />

wirken von unten<br />

fast wie eine<br />

Kathedrale –<br />

wenn es nicht<br />

so nach Hafen<br />

riechen würde.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Hafengeburtstag<br />

Takeln, ganz traditionell:<br />

Elena (unten) und Carla<br />

überholen Stahlseile, die zur<br />

historischen Viermastbark<br />

Peking gehören und an Deck<br />

die Masten aufrechthalten.<br />

Etwa die Hälfte dieses<br />

sogenannten „stehenden<br />

Gutes“ ist noch in so gutem<br />

Zustand, dass es restauriert<br />

werden kann. Den Rest<br />

fertigt das Takler-Team neu.<br />

H<br />

ier riecht es gut. Nach<br />

Holzteer, Metall und nach<br />

Arbeit. Und tatsächlich<br />

wurde in dem geräumigen<br />

Schuppen 50A auf dem Kleinen<br />

Grasbrook gerade noch kräftig geschuftet.<br />

Dicke, bis zu 250 Kilo schwere<br />

Drahtseile schlängelten sich quer durch<br />

das Schaudepot des Hamburger Hafenmuseums,<br />

aufgebockt auf Holzpaletten.<br />

Drum herum Frauen und Männer<br />

in Arbeitskluft: gelernte Bootsbauer,<br />

Tischler oder Segelmacher. Sie alle<br />

haben sich aufs Takeln spezialisiert, dieses<br />

historische Handwerk rund um die<br />

Stahlseile, die die Schiffsmasten aufrecht<br />

an Deck halten. Gerade überholen<br />

sie die Takelage des historischen<br />

Frachtseglers Peking, der vom Jahr<br />

1911 an zwischen Chile und Europa<br />

pendelte. Die Peking wird derzeit in der<br />

schleswig-holsteinischen Peterswerft<br />

in Wewelsfleth restauriert. Aber die<br />

Taklerarbeiten unter der Leitung von<br />

Jochen Gnass laufen in Hamburg. Bis<br />

Ende April konnte man im Museum<br />

dabei zuschauen. Wann dazu mal wieder<br />

Gelegenheit besteht, stand bei Redaktionsschluss<br />

noch nicht fest. Derzeit<br />

laufen die Arbeiten andernorts weiter.<br />

27<br />

Gerade ist Carla Enchelmaier dabei,<br />

mithilfe einer sogenannten Kleetkeule<br />

das zuvor schon mit Segeltuch ummantelte<br />

Drahtseil straff und lückenlos mit<br />

geteertem Garn zu umwickeln. Unermüdlich<br />

drückt sie den Stiel der Keule,<br />

die aussieht wie der zu groß geratene


Wie viel Kilogramm<br />

Bananen passen wohl<br />

in so einen Container?<br />

Es sind 21.600.<br />

Antworten auf diese<br />

und mehr spannende<br />

Fragen rund um den<br />

maritimen Warentransport<br />

sind im Hafenmuseum<br />

zu finden.<br />

Das Bild rechts zeigt<br />

einen VW-Käfer-<br />

Old timer mit originalem<br />

Lade geschirr – so als<br />

würde er gleich an<br />

Bord gehoben werden.<br />

Hammer eines Auktionators, um das<br />

Seil herum. Damit soll der darunterliegende<br />

Draht gegen Rost konserviert<br />

werden. Außerdem werden an der<br />

Takelage die Webeleinen befestigt, an<br />

denen man am Mast hochklettern<br />

kann. Die umwickelte Takelage hilft,<br />

1958 wurde der Stückgutfrachter<br />

MS Bleichen gebaut,<br />

er ist der letzte seiner Art.<br />

An Deck und auf der Brücke<br />

entspricht er modernen Anforderungen.<br />

Wer will, kann an<br />

Bord eine Führung mitmachen<br />

oder eine Fahrt buchen.<br />

dass die Webeleinen nicht verrutschen,<br />

erklärt Kollegin Elena Schwarz.<br />

Unermüdlich dreht Carla die<br />

Kleet keule – eine Sisyphusarbeit, angesichts<br />

des geschätzt 25 Meter langen<br />

Seiles. „Ich muss mir mal ’ne Schicht<br />

ausziehen“, schnauft sie und lacht.<br />

28<br />

Anstrengend ist das, bestätigt die<br />

29-Jährige, „aber dafür muss ich abends<br />

nicht ins Fitnessstudio“. „Außerdem<br />

kann man vieles durch gute Techniken<br />

ausgleichen“, sagt Elena. Die 28-Jährige<br />

takelt seit zwei Jahren, hat auch<br />

schon geholfen, die Rickmer Rickmers<br />

zu überholen.<br />

Viele Kniffe habe sie von Jochen<br />

Gnass gelernt, erzählt sie, denn als<br />

Lehrberuf gibt es dieses Traditionshandwerk<br />

schon seit Ende der 1970er-<br />

Jahre nicht mehr. Jochen Gnass selbst<br />

sagt, er habe Glück gehabt. „Ich bin in<br />

Övelgönne geboren und quasi im Mu-


Hafengeburtstag<br />

Unser Rat<br />

zählt.<br />

seumshafen aufgewachsen“, erzählt der 57-Jährige.<br />

Fürs klassische Takeln hat er sich schon früh interessiert,<br />

und damals gab es noch „alte Meister, die froh<br />

waren, ihr Handwerk weitergeben zu können“.<br />

Die Restaurierungsarbeiten an der Peking werden<br />

sich noch hinziehen. Voraussichtlich 2019 oder 2020<br />

soll das Projekt abgeschlossen sein. Dann wird die bei<br />

Blohm+Voss gebaute Viermastbark aus Schleswig-<br />

Holstein in ihren Heimathafen Hamburg zurückgeschleppt<br />

und am Kleinen Grasbrook festmachen –<br />

mitsamt der Takelage. •<br />

879 79-0<br />

Beim Strohhause 20<br />

Mieterverein zu Hamburg<br />

im Deutschen Mieterbund<br />

20097 Hamburg<br />

Fan werden<br />

mieterverein-hamburg.de<br />

Kontakt: annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />

E X TR ACA R D<br />

Hafenwelt zum Anfassen<br />

Das Hafenmuseum als Ableger des Museums der Arbeit<br />

unterhält seit 2005 im historischen Kaischuppen 50A<br />

ein Schaudepot. Auf rund 2500 Quadratmetern sind<br />

zahlreiche Objekte zur Hafenarbeit und Seefahrt,<br />

zum Hafenumschlag und Schiffbau ausgestellt: von<br />

Schiffsmodellen und Taucherausrüstung, Navigationsund<br />

Kommunikationstechnik bis hin zu Werkzeugen und<br />

Warenproben.<br />

Steigt der Besucher auf dem Außengelände über eine<br />

Flutschutzmauer, öffnet sich der Blick auf die Kaianlage,<br />

die gesäumt ist von gigantischen Hafenkranen. Auf dem<br />

Gelände der Stiftung Hamburg Maritim liegt die<br />

MS Bleichen vor Anker, zu sehen sind auch ein Schutensauger<br />

und ein Schwimmkran aus dem Jahr 1917.<br />

Hafenmuseum Hamburg, Australiastraße, Kopfbau<br />

Schuppen 50A, geöffnet Mo, Mi, Do und Fr von<br />

10–17 Uhr, Sa, So und feiertags von 10–18 Uhr,<br />

1. <strong>Mai</strong> geschlossen, 6,50/4 Euro, Kinder und Jugendliche<br />

unter 18 Jahren frei, www.hafenmuseum-hamburg.de<br />

29<br />

H<br />

I N Z & K U N Z T<br />

HINZ&KUNZT<br />

UND<br />

EXTRACARD<br />

WERDEN 25!<br />

EIN GANZES JAHR LANG<br />

BUCHEN UND SPAREN<br />

WWW.EXTRACARD.DE


EIN LEBEN<br />

OHNE ODO?<br />

„DA WÄRST DU<br />

IM ARSCH“<br />

Butter bei die Brötchen: zu Besuch in<br />

Odos Kaffeeklappe im Hamburger Hafen.<br />

TEXT: ANNETTE WOYWODE<br />

FOTOS: LENA MAJA WÖHLER<br />

Kurzer Zwischenstopp:<br />

Odo Mario Wehr bei der<br />

Containerpackstation Conpac.<br />

30


Der Mann fährt wie ein Wahnsinniger! Er ist im<br />

Verzug … Stau vor der Kattwykbrücke. Es ist 8<br />

Uhr, und Odo Mario Wehr ist auf dem Weg zum<br />

Hafenzoll. „Jetzt kannst du gleich mal sehen, wie<br />

ich mich da ankündigen muss!“, sagt der 46-Jährige. Fotografieren<br />

geht da gar nicht. Sicherheitsbestimmungen. So, wie<br />

Odo redet, rechnet seine Beifahrerin mit dem Schlimmsten:<br />

abtasten, durchleuchten, Ausweis vorzeigen, so was. Doch<br />

dann betritt Odo völlig unbehelligt das Gebäude und bleibt<br />

in einem langen Flur stehen, von dem links und rechts Büros<br />

abzweigen. Mit den Händen formt er einen Trichter vor dem<br />

Mund. Er holt tief Luft. Dann brüllt er: „Brötchen sind da!!!“<br />

Das war alles? Der Betreiber von „Odos Kaffeklappe“<br />

grinst zufrieden über den verdatterten Gesichtsausdruck seines<br />

Gastes. Ein bisschen Show machen, das liegt ihm. Dann<br />

versorgt er schnell die<br />

fröhlichen Zollbeamten, die<br />

dem Brötchenruf folgen und sich<br />

draußen am Wagen einfinden. Und weiter<br />

geht’s. Schließlich haben die Menschen, die im Hafen<br />

arbeiten – egal ob im Büro, auf der Werft oder in der Container-Packstation<br />

–, Hunger. Hunger auf Odos mit Spiegelei,<br />

Leberkäse oder Mettwurst belegte Brötchen, auf Frikadellen<br />

oder Croissants, die hinten in seinem Transporter verstaut<br />

liegen. Später dann auch auf ein warmes Mittagessen. Odo<br />

braust auf einem Rundparcours zu denen, die eine Bestellung<br />

aufgegeben haben. Und das sind einige, denn im Hafen<br />

gibt es kaum noch einen Imbiss, geschweige denn ein Restaurant<br />

(siehe Infokasten). Wer nicht in der Kantine essen kann<br />

oder will, ist froh über den Lieferservice.<br />

31


Hafengeburtstag<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>303</strong>/MAI <strong>2018</strong><br />

Meistens weiß Tanja eh, was die Kunden wollen. Viele kommen täglich, so wie Norbert. Kaffee trinken, schnacken, dann los zur Maloche.<br />

Die Spiegeleibrötchen sind der Renner, am besten noch mit Leberkäse drunter. Odo (rechts) sorgt immer für genügend Nachschub.<br />

Fünf Uhr früh. Lkw rumpeln laut über das Kopfsteinpflaster<br />

am Reiherdamm. Nur aus den beleuchteten, von außen vergitterten<br />

Fenstern eines Containers dringt Licht: Odos Kaffeeklappe.<br />

Wer von der drei mal sechs Meter kleinen Kiste<br />

unweit des Alten Elbtunnels nichts weiß, fährt glatt daran<br />

vorbei, so unscheinbar ist sie.<br />

32<br />

Drinnen quetschen sich drei<br />

Hafenarbeiter um einen Minitisch,<br />

auf dem eine Thermoskanne<br />

Kaffee, Einwegbecher,<br />

Milch, Zucker und Ketchup stehen.<br />

An der einen Wand lehnt<br />

ein Regal mit Süßkram, Pornoheftchen<br />

und hartem Alkohol, an<br />

der anderen ein Schrank mit Kakao und Erdbeermilch.<br />

Rechts vom Eingang Bierkisten und ein Tresen. Dahinter:<br />

Karin und Tanja, die den Laden schmeißen. Nachnamen?<br />

„Das interessiert hier keinen, hier duzen sich alle“, sagt Karin.<br />

Sie löst gerade Tanja ab. Die hat schon seit 1 Uhr nachts<br />

Brötchen aufgebacken, geschmiert und 100 Prozent gemüsefrei<br />

belegt. „Hier sind nur Männer“, sagt die 39-Jährige und<br />

lacht. „Männer wollen Fleisch, die essen kein Grünfutter.“<br />

Der Chef steht nur noch selten hinterm Tresen. 2001 hat<br />

Odo die Kaffeeklappe gegründet. „Früher“, erzählt er, „haben<br />

wir hier von Blohm+Voss gelebt.“ Aber 2008 kam die<br />

Wirtschaftskrise und brachte Kurzarbeit auf der Werft. Der<br />

Containerumschlag im Hafen sank und somit kamen auch<br />

weniger Lkw-Fahrer zu Odo. Der musste sich etwas einfallen<br />

lassen, um nicht in die Knie zu gehen – und baute seinen Lieferparcours<br />

auf. Auf der Peute<br />

„Hier sind nur Männer.<br />

Männer wollen Fleisch, die<br />

essen kein Grünfutter.“<br />

steht ein zweiter Containerimbiss.<br />

Dort brutzelt und kocht<br />

ein Team das, was Odo anschließend<br />

ausliefert. Auch die<br />

Kaffeeklappe am Reiherdamm<br />

fährt er auf der Tour<br />

immer wieder an und bringt<br />

frischen Nudel- und Kartoffelsalat<br />

oder Suppe. Gekocht wird hier nicht, hier gibt es nämlich<br />

nicht mal einen Wasseranschluss. Das Wasser für den<br />

frisch gebrühten Kaffee kommt aus Kanistern. Und gerade<br />

bringt ein Mann aus einem benachbarten Büro einen Eimer<br />

mit heißem Putzwasser rum. Nett ist das. „Ja“, sagt Karin<br />

und lacht, „aber die sagen, ich bin auch nett.“<br />

Karin ist 68 Jahre alt, hat aber das Lachen eines jungen<br />

Mädchens. Seit zehn Jahren arbeitet sie in Odos Kaffeeklappe.<br />

Mit den Hafenarbeitern kommt sie super zurecht. Man<br />

müsse halt Kontra geben können: „Mein Chef sagt immer,<br />

KARIN


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Hafengeburtstag<br />

du hast nicht das letzte Wort, du hast das allerletzte Wort“,<br />

erzählt sie. Tanja pflichtet bei: „So ’ne zarte Büro pflanze<br />

dürfte hier nicht rein. Der Hafenschnack ist ehrlich und direkt,<br />

und wenn einer Mist baut, sagt man auch: ,Du Arsch.‘“<br />

Gerade ist der Kaffee am Minitisch alle. Ein Arbeiter<br />

reicht die Thermoskanne über den Tresen. „Wolln wir mal<br />

tauschen?“, fragt er und nimmt eine volle Kanne entgegen.<br />

„Hier muss jeder mitarbeiten“, sagt Karin fröhlich. „Genau<br />

wie zu Hause.“ Die Männer lachen. Sie sind Lagerarbeiter,<br />

Bordkontrolleure, Staplerfahrer oder Kutscher. Kutscher?<br />

„Wir fahren im Hafen rum“, erklärt einer, „von einem Imbiss<br />

zum anderen.“ Aber nee, im Ernst. Wenn es Odos Kaffeeklappe<br />

nicht gäbe, „da wärst du im Arsch. Da musst du zur<br />

Tanke.“ Wäre Ex-Bürgermeister Ole von Beust nicht gewesen,<br />

hätte Odo 2008 schon dichtmachen müssen. Die Hamburg<br />

Port Authority fand, Odos Kaffeeklappe sei nicht hafenkonform<br />

und wollte den Weiterbetrieb nicht genehmigen.<br />

Aber Odo sammelte Unterschriften bei seinen Kunden.<br />

„Und dann ist von Beust hier persönlich mit einem neuen<br />

Mietvertrag aufgeschlagen“, erzählt Thomas. „Musst du mal<br />

in der Bild-Zeitung nachlesen.“<br />

Er und sein Kollege Norbert treffen sich hier jeden<br />

Morgen, trinken Kaffee, quatschen für zehn Minuten. Man<br />

kriegt viel mit hier über die Stimmung im Hafen. Zumindest<br />

unter den Lkw-Fahrern scheint die momentan nicht so rosig<br />

zu sein. Gerade kommt Isa rein, eine der wenigen Frauen, die<br />

man hier zu Gesicht bekommt. Sie hat erst vor Kurzem ihren<br />

Lkw-Führerschein gemacht – „das Kind ist groß und jetzt<br />

startet die Alte noch mal durch“ – und ist gestern Abend ihren<br />

Container nicht mehr losgeworden. Seit Ende November<br />

vergangenen Jahres dürfen Container-Trucker die Terminals<br />

nur noch anfahren, wenn sie zuvor einen „Slot“ gebucht<br />

haben. Eigentlich soll der Containertransport im Hafen<br />

dadurch schneller und effizienter werden, „aber man wird<br />

dadurch nur noch ausgebremst“, schimpft ein Brummifahrer.<br />

„Die müssen da was ändern, so kann man kein Geld mehr<br />

verdienen.“ Isa sieht’s entspannter. Für den Moment zumindest,<br />

denn so musste sie hier im Lkw pennen und konnte jetzt<br />

noch schnell bei Odo rein: „Die Brötchen sind super toll, der<br />

Pott Kaffee ist super gut und günstig und die Menschen hinterm<br />

Tresen sind immer gut gelaunt.“<br />

Nu aber genug gesabbelt. Isa verabschiedet sich. Sie fährt<br />

jetzt rüber nach Wismar. Und auch Odo muss weiter. Vorhin<br />

hatte er auf seiner Rundtour keine Frikadellen dabei, obwohl<br />

ein Kunde immer welche bestellt. Der war nun total enttäuscht:<br />

„Was, keine Frickies heute?“ Gaaaanz langes Gesicht.<br />

„Ich komm nachher noch mal rum“, hat Odo fest versprochen.<br />

Seit 0 Uhr ist er auf den Beinen, wirkt aber noch<br />

immer topfit. Gegen 15 Uhr macht er Feierabend. Dann<br />

nach Hause und „Entertainment“ für die vier Kinder.<br />

Irgendwas Aktives machen, Halbmarathon laufen zum<br />

Beispiel. Wann schläft der Mann? „Früher habe ich gesagt,<br />

Ende des Monats, aber das haut auch nicht mehr hin.“ Nun<br />

aber los. Zwei „Frickies“ liegen in Folie verpackt hinten im<br />

Wagen. Noch sind sie schön warm. •<br />

Kontakt: annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />

Odos Kaffeeklappe,<br />

Reiherdamm 10, geöffnet Mo–Do, 3–16 Uhr, und Fr, 3–14 Uhr<br />

Kaffeeklappen<br />

1887 wurde der „Verein für Volkskaffeehallen“ gegründet. Seine<br />

Aufgabe im Hafen war es, „den weniger Bemittelten möglichst<br />

billige und der Gesundheit förderliche Speisen und Getränke“<br />

anzubieten, heißt es im „Kleinen Lexikon der Hafenberufe und<br />

-einrichtungen“, einer Reihe von Flyern, die im Hafenmuseum<br />

Hamburg (siehe auch Seite 24) ausliegen. Die Hafenarbeiter<br />

nannten die Volkskaffeehallen schnell einfach nur Kaffeeklappen,<br />

da Speisen und Getränke meist durch eine Klappe ausgegeben<br />

wurden. Um 1914 gab es circa 20 Kaffeeklappen im<br />

Hafengebiet. Sie hatten auch eine wichtige soziale Funktion, da<br />

sich die Arbeiter hier untereinander austauschten. 1985 wurde<br />

die letzte Kaffeeklappe im Kaiser-Wilhelm-Hafen geschlossen.<br />

Eine bewirtschaftete, historische Hamburger Klappe befindet<br />

sich – stark verkleinert – heute nur noch im Hafenmuseum.<br />

33


Acht einsame Monate<br />

auf hoher See<br />

Zehn Millionen philippinische Arbeitsmigranten schuften weltweit fürs Überleben –<br />

so wie Angelito und seine Kollegen auf einem Frachtschiff irgendwo im Ärmelkanal.<br />

TEXT UND FOTOS: KLAUS PETRUS<br />

34


Hafengeburtstag<br />

Trotz mieser Löhne erwirtschaften<br />

philippinische Arbeitsmigranten<br />

20 Milliarden Dollar jährlich. Nur wenig<br />

davon bleibt bei den Arbeitern hängen.<br />

Reis, gedörrter Fisch, Sojasoße, eine<br />

Flasche Cola. In Wahrheit ist ihm nicht<br />

nach Reden, dem Bootsmann aus Manila,<br />

denn er ist krank vor Heimweh,<br />

munkeln die anderen. Angelito, seit einem<br />

dreiviertel Jahr ununterbrochen<br />

auf See, ist einer von sechs Filipinos an<br />

Bord. Die anderen fünf – der Kapitän,<br />

seine Offiziere, die Ingenieure – sind<br />

Russen und mit Ausnahme von Vladimir<br />

mürrisch. Kein Scherz, kein Anflug<br />

von einem heiteren Lächeln, kein sinnreicher<br />

Seufzer. Nicht einmal ein Wort<br />

der Begrüßung für die Filipinos, nur<br />

Befehle und ein anmaßendes Knurren<br />

den ganzen Tag.<br />

„Philippinische<br />

Seeleute kosten<br />

fast nichts.“ DENIS, OFFIZIER<br />

Sie haben keine Ahnung, wie eng<br />

es hier sein kann. 130 Meter<br />

vorwärts, 15 Meter nach rechts,<br />

130 Meter zurück, hi nab in den<br />

Maschinenraum, ein paar Decks hoch<br />

auf die Kommandobrücke, runter in<br />

die Kabine, zwei auf drei Meter, eine<br />

Koje, ein Tisch, eine Toilette, basta.<br />

Und das Tage, Wochen, ganze Monate<br />

lang. Rundherum nur Wasser und Wellen<br />

und Wind und Wetter. Und manchmal<br />

ein Hafen, so gigantisch, als wäre<br />

er nicht von dieser Welt.<br />

Der Horizont ist hinter dem Nebel<br />

verschwunden und mehr als tausend<br />

Container wippen auf und ab, rote, gelbe,<br />

grüne, blaue, graue, weiße. Ich bin<br />

auf einem Frachter irgendwo zwischen<br />

Rotterdam und Dublin, und Angelito,<br />

55, sagt: „Wir reden nicht viel.“ Das<br />

klingt wie eine Entschuldigung. Es ist<br />

Mittag, auf dem Tisch stehen Salat,<br />

35<br />

Dabei sind die philippinischen Seefahrer,<br />

weltweit um die 300.000, angeblich<br />

so beliebt: „Sie reden Englisch, sind anständig,<br />

flexibel, willig, genügsam“, sagt<br />

Denis, erster Offizier, leicht untersetzt<br />

und noch knurriger als die anderen.<br />

Sein Gesicht grinst. „Und sie kosten fast<br />

nichts.“ Die perfekte Investition also für<br />

alle Treiber und Profiteure einer Globalisierung,<br />

die ohne Schifffahrt gar nicht<br />

auszumalen wäre.<br />

Ob Bananen, Autotüren, T-Shirts,<br />

Kugelschreiber oder Kopfkissen: 90<br />

Prozent aller Waren, die wir kaufen,<br />

werden verschifft. 60.000 Frachter<br />

durchkreuzen jedes Jahr die Weltmeere,<br />

beladen mit 500 Millionen Containern,<br />

die 1964 auf 8 Fuß Breite (2438 Meter)<br />

und 20 bzw. 40 Fuß (6096 Meter beziehungsweise<br />

12.192 Meter) Höhe normiert<br />

wurden und seither auf jeden Laster<br />

und Güterzug der Welt passen. Mit<br />

diesen Stahlkisten ist der Transport auf<br />

hoher See überhaupt erst rentabel, da


ichtig billig geworden. Entfernungen<br />

spielen keine Rolle mehr. Heute lassen<br />

sich 20 Tonnen beliebigen Frachtguts<br />

für gerade mal 300 Euro über den Pazifik<br />

verschiffen. Wer seinen Lachs, in<br />

norwegischen Gewässern gefangen,<br />

nicht in China filetieren lässt, um ihn<br />

dann auf dem Fischmarkt in Bergen zu<br />

verkaufen, dem ist nicht zu helfen.<br />

Zwar brauchen die Frachter Tage<br />

oder gar Wochen von einem Hafen<br />

zum anderen, doch das machen sie mit<br />

ihrem Volumen wett. Und das wächst<br />

und wächst. 1997 setzte die Susan<br />

Maersk mit ihren 6600 Containern<br />

neue Standards, weniger als 20 Jahre<br />

später sticht die Al Muraykh mit 18.600<br />

Containern in See. Und es werden noch<br />

mehr sein, sagen die Experten; sie setzen<br />

die Obergrenze bei 30.000 Behältern<br />

an. Das wäre Platz für umgerechnet<br />

1333 Milliarden Bananen. Macht<br />

eine Banane für jeden Inder. Plus eine<br />

für alle in Deutschland und eine für die<br />

Schweizer. Unvorstellbar viele Bananen<br />

auf nur einem Frachter wären das.<br />

Dass viele Reedereien so hemmungslos<br />

Profit schlagen – die dänische<br />

Maersk erzielt mit ihren 90.000 Angestellten<br />

Jahresumsätze bis 50 Milliarden<br />

Dollar, das ist fast so viel wie Google –,<br />

geht auf Kosten der Seeleute. „Wir arbeiten<br />

70 Stunden die Woche, einen<br />

Mindestlohn haben wir nicht.“ Auch<br />

deshalb würden viele Reedereien unter<br />

fremder Flagge fahren – von Panama<br />

etwa oder Gibraltar –, um Löhne und<br />

Steuern einzusparen, erklärt Angelito.<br />

„Wir arbeiten<br />

70 Stunden die<br />

Woche, ohne<br />

Mindestlohn.“<br />

ANGELITO, SEEMANN<br />

Aber er will nicht klagen. Es ist, wie es<br />

ist, und er weiß: Hier hat er seine Heuer,<br />

zu Hause wäre er, mit seinen 55 Jahren,<br />

ohne Arbeit und Ansehen. Aber<br />

der Preis ist hoch. „Wir sind acht Monate<br />

im Jahr auf dem Schiff. Dann fliegen<br />

wir nach Hause und hoffen auf den<br />

nächsten Vertrag. Wenn einer von uns<br />

nicht kann, stehen zehn andere bereit.“<br />

In seinen 30 Jahren Seefahrt war<br />

Angelito nur zweimal an Weihnachten<br />

36<br />

daheim, die Geburtstage seiner Töchter<br />

ziehen an ihm vorüber wie Kreuzfahrtschiffe<br />

und seine Frau hat er schwanger,<br />

mit großem Bauch und Blumen im<br />

Haar, nur auf Bildern gesehen. Die<br />

meiste Zeit haben die Seemänner weder<br />

Telefonverbindung noch Internet.<br />

Dann sitzen sie – zwischen Schrubben,<br />

Schmieren, Schweißen, Löten, Hämmern,<br />

Ölen, Pinseln und dem Abwasch<br />

– in ihrer Kajüte, schauen sich Videos<br />

an oder hören am Fernsehen einem<br />

Prediger zu. Lange Tage und lange<br />

Nächte sind das, sagt Angelito, aber was<br />

will man machen.<br />

Mehr Sorgen bereiten ihm die<br />

Kopf schmerzen, dieses dumpfe, schwerfällige<br />

Klopfen im Schädel, das nicht<br />

mehr aufhören will seit ein paar Jahren.<br />

Das kommt mit dem Alter, meint Angelito,<br />

der nie ruhig ist. Oder vom Wind,<br />

vom Krachen der Wellen, dem schlechten<br />

Schlaf, dem Gestank der Motoren,<br />

dem schweren, trüben Himmel, der<br />

ewigen Sehnsucht. Oder vom ranzigen<br />

Fett aus der Schiffsküche?, frage ich.<br />

Wer weiß, sagt Angelito.<br />

Philip rollt mit den Augen, solche<br />

Späße mag er nicht. Der Filippino, mit<br />

Jahrgang 1982 der Jüngste an Bord,<br />

stellt die Pfanne mit dem Fisch vom


Lange Tage, lange Nächte: Seit<br />

30 Jahren fährt Angelito zur See.<br />

Die Arbeit ist hart, die Zeit an Bord<br />

vergeht nur langsam. Weihnachtsfeste<br />

mit der Familie hat der<br />

Seemann von den Philippinen<br />

ebenso verpasst wie die Geburtstage<br />

seiner Kinder. An Land noch<br />

mal neu anzufangen will er mit<br />

55 Jahren nicht mehr riskieren.<br />

Herd und wäscht Kartoffeln. Das Kochen<br />

hat ihm die Großmutter beigebracht.<br />

Später belegte er in Manila<br />

Kurse der Philippinischen Behörde für<br />

Arbeiter in Übersee (POEA), eine staatliche<br />

Einrichtung mit dem Ziel, die Jugend<br />

des 100 Millionen Inselstaates für<br />

die Arbeit im Ausland fit zu machen: als<br />

Krankenpfleger, Hausangestellter, Barmixer,<br />

Fensterputzer, Installateur oder<br />

Schiffskoch.<br />

Für die Regierung ist das ein flottes<br />

Geschäft. Die zehn Millionen philippinischen<br />

Arbeitsmigranten bringen jedes<br />

Jahr zwischen 15 und 20 Milliarden<br />

US-Dollar nach Hause. Das sind fast<br />

zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts<br />

eines Landes, in dem immer noch jeder<br />

Dritte ohne Arbeit ist.<br />

Seit gut zehn Jahren ist Philip jetzt<br />

auf See, er würde eine andere Arbeit<br />

nehmen, wenn er könnte, das spürt<br />

man. Eine bei ihm zu Hause. Um bei<br />

den Kindern zu sein, bei seiner Frau,<br />

den Eltern, die ihm alles bedeuten. Wie<br />

die anderen, schickt auch er jeden Monat<br />

pünktlich seinen Verdienst nach<br />

Manila. Doch investieren kann er nicht,<br />

das Geld versickert. „Unser Problem<br />

sind nicht die Taifune, es sind die Korrupten,<br />

Dubiosen, Kriminellen. Gottlob<br />

räumt unser Präsident jetzt auf.“ Ihr<br />

Präsident, das ist Rodrigo Duterte, 73<br />

Jahre alt. Beim Amtsantritt im Juni<br />

2016 versprach er, allen Verbrechern in<br />

seinem Land das Leben zur Hölle zu<br />

machen, mindestens. Inzwischen sind<br />

die Gefängnisse überfüllt, Tausende<br />

Verdächtigte wurden hingerichtet.<br />

Das ist nach Philips Gusto, er steht<br />

dazu. Und ist damit nicht allein. Während<br />

der Westen Dutertes Menschenjagd<br />

verurteilt, verehren ihn viele Filipinos<br />

als Messias. Dass sich dieser Erlöser<br />

37<br />

gerne mit Hitler vergleicht, scheint niemanden<br />

zu stören. Nur einmal war Philip,<br />

der zweifache Familienvater und<br />

tiefgläubige Katholik, über seinen Präsidenten<br />

entsetzt. In einer Rede hatte dieser<br />

nicht bloß Obama einen „Hurensohn“<br />

genannt, sondern auch den Papst.<br />

Das war unerhört. Davon abgesehen ist<br />

Dutertes Kurs, sagt Philip, aber genau<br />

richtig, weil rabiat.<br />

„Erst wenn wir die Korruption und<br />

Kriminalität in den Griff bekommen,<br />

können wir unser Geld anlegen und an<br />

der Zukunft bauen.“ Philip, der Schiffskoch,<br />

redet auf einmal wie ein Politiker.<br />

Dabei ist sein Blick voller Fragen, wie<br />

der eines Kindes, das man beschützen<br />

möchte.<br />

Die nächsten Jahre will Philip noch<br />

sparen. Ein Haus für seine Familie<br />

möchte er bauen, ein zweites für die Eltern,<br />

und wenn es reicht, ein kleines<br />

Geschäft für seine Frau, etwas mit<br />

Schmuck oder feinen Kleidern soll es<br />

sein. Dass Arbeitsmigranten wie er ihre<br />

besten Jahre in der Fremde hergeben,<br />

müsse sich am Ende doch lohnen, sagt<br />

Philip. „Hier draußen sind wir allein.<br />

Aber daheim sind wir Helden.“ •<br />

Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>303</strong>/MAI <strong>2018</strong><br />

Meldungen (2)<br />

Politik & Soziales<br />

Augenwischerei“, sagt Petersen. „Die verlängerten Öffnungszeiten wurden öffentlich<br />

nicht beworben. Viele Obdachlose wussten daher nicht Bescheid.“ JOF<br />

Nach einer ersten Untersuchung vor<br />

•<br />

Ort sagte eine Polizeisprecherin, ein<br />

Bewohner sei wohl bereits einige<br />

Ein besonderer Tag im Leben von<br />

Jörg Petersen: Der ehemalige Obdachlose<br />

überreichte am 7. Februar<br />

im Rathaus die Online-Petition.<br />

Online-Petition zum Winternotprogramm<br />

Billbrook<br />

Hausmeister findet zwei<br />

Post für Hinz&Künztler Jörg<br />

Tote in Wohnheim für<br />

Hamburg wird auch in Zukunft das Winternotprogramm für Obdachlose nicht<br />

tagsüber und für alle öffnen. Gefordert hatte das der ehemalige Obdachlose Jörg<br />

Petersen zusammen mit Hinz&<strong>Kunzt</strong> und dafür online 94.983 Unterschriften<br />

gesammelt. Ende März, anderthalb Monate nach der Petitionsübergabe, erhielt<br />

der Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer jetzt die Ablehnung durch die Senatskanzlei in einem<br />

persönlichen Schreiben. Eine generelle Tagesöffnung sei nicht möglich. Während<br />

der Kältewelle habe man aber die Öffnungszeiten erweitert. „Das ist doch<br />

Wohnungslose<br />

In einer Unterkunft für wohnungslose<br />

Männer in Hamburg-Billbrook hat<br />

ein Hausmeister die Leichen zweier<br />

58-jähriger Bewohner gefunden.<br />

Einer lag im Bett, der andere saß<br />

nach Angaben der Polizei daneben.<br />

Tage früher verstorben als der<br />

Hamburger Spendenparlament Eichtalpark in Wandsbek<br />

andere. Er sei erst vor Kurzem aus<br />

Hilfe für Obdachlosenprojekte Obdachloser ertrinkt im Fluss dem Krankenhaus entlassen worden.<br />

weiterhin Menschen in Not kostenlos Blutalkoholgehalt. Fremdeinwirkung oder Suizid. Eine Obduktion soll<br />

juristisch beraten lassen. SIM/JOF<br />

•<br />

wurde ausgeschlossen. JOF<br />

•<br />

die Todesursache klären. BELA<br />

•<br />

Mit 44.000 Euro unterstützt das<br />

Hamburger Spendenparlament zwei<br />

Projekte für Obdachlose: 27.000 Euro<br />

gehen an die Praxis ohne Grenzen,<br />

die täglich Menschen ohne Krankenversicherung<br />

versorgt, vor allem Obdachlose<br />

und Migranten. Ein finanzieller<br />

Engpass wiederum wird bei der<br />

Law Clinic abgefedert. Dadurch können<br />

sich an der Bucerius Law School<br />

Anfang April entdeckte ein Spaziergänger<br />

einen Leichnam in der<br />

Wandse. Bei dem Toten handelte es<br />

sich um einen 46-jährigen Obdachlosen,<br />

der nach Zeugenaussagen in<br />

einem Zelt unweit des Fundortes<br />

genächtigt hatte. Der Obdachlose war<br />

ertrunken, wurde bei der anschließenden<br />

Obduktion festgestellt. Zum<br />

Todeszeitpunkt hatte er einen hohen<br />

Fünf Tage zuvor habe ein Mitarbeiter<br />

der Unterkunft bei einem<br />

routinemäßigen Rundgang einen<br />

der Bewohner an seiner Zimmertür<br />

angetroffen, sagte die Sprecherin<br />

des Betreibers fördern&wohnen,<br />

Susanne Schwendtke: „Der Mann<br />

sagte, es ginge ihm gut.“<br />

Laut Polizei gab es zunächst keine<br />

Hinweise auf Fremdverschulden<br />

38<br />

FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Debatte über Hartz IV<br />

Scheele will Miet-Sanktionen abschaffen<br />

Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, hat<br />

sich dafür ausgesprochen, die Zahlungen der Mietkosten bei Verstößen gegen<br />

Auflagen der Jobcenter nicht mehr wie bislang üblich zu kürzen. „Drohende<br />

Wohnungslosigkeit hilft uns bei der Vermittlung und auch sonst nicht weiter“,<br />

sagte der frühere Hamburger Sozialsenator. Auch Sanktionen bei jugendlichen<br />

Hartz-IV-Empfängern kritisierte Scheele. Ihnen werden bislang bereits beim<br />

ersten Regelverstoß, der über ein sogenanntes Meldeversäumnis hinausgeht, zu<br />

100 Prozent die Sozialleistungen gestrichen. Kommt innerhalb eines Jahres ein<br />

weiterer Pflichtverstoß dazu, kann auch die Miete gekürzt werden. „Das bereitet<br />

uns Sorge, weil die strikten Sonderregelungen bei Jugendlichen zu besonders<br />

einschneidenden Leistungskürzungen führen“, sagte Scheele. Innerhalb der SPD<br />

läuft seit Ende März eine Debatte über eine Reform von Hartz IV, die Berlins<br />

Bürgermeister Michael Müller losgetreten hatte. Parteiintern gehen die<br />

Meinungen stark auseinander: von der Forderung nach der Einrichtung eines<br />

„sozialen Arbeitsmarkts“ bis hin zur Abschaffung von Hartz IV. BELA<br />

•<br />

Hartz-IV-Empfänger<br />

Immer länger arbeitslos<br />

Hartz-IV-Empfänger bleiben immer<br />

länger ohne Job: Waren sie 2011 noch<br />

durchschnittlich 555 Tage arbeitslos,<br />

stieg die Dauer bis 2017 auf 650 Tage<br />

an. Auf diese Zahlen der Arbeitsagentur<br />

hat die Bundestagsabgeordnete<br />

Sabine Zimmermann (Linke) hingewiesen<br />

und mehr Geld für die Unterstützung<br />

Langzeitarbeitsloser gefordert.<br />

Bundesarbeitsminister Hubertus<br />

Heil (SPD) hat genau das angekündigt:<br />

Die Regierung werde in den<br />

kommenden vier Jahren vier<br />

Milliarden Euro für „Qualifizierung,<br />

Vermittlung und Reintegration“<br />

Langzeitarbeitsloser bereitstellen – genug<br />

für bis zu 150.000 Menschen.<br />

Insgesamt waren im März allerdings<br />

845.000 langzeitarbeitslos. BELA<br />

•<br />

Steilshoop<br />

Vonovia-Mieter protestieren<br />

Der Wohnungskonzern Vonovia soll<br />

die Instandhaltung von Wohnungen<br />

nicht länger als Modernisierung verkaufen<br />

und angekündigte Mieterhöhungen<br />

zurücknehmen: Das fordert<br />

die Mieterinitiative Steilshoop gemeinsam<br />

mit 500 Mietern. Laut<br />

Gesetz dürfen nur Modernisierungs-,<br />

aber nicht Instandhaltungskosten teilweise<br />

auf die Miete umgelegt werden.<br />

„Wir erwarten, dass die Vonovia unsere<br />

Forderungen ernst nimmt. Und<br />

dass die Politik erkennt: Da steigen die<br />

Mieten so drastisch, da müssen wir etwas<br />

tun“, so Initiativensprecher Pierre<br />

Endries gegenüber Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Vonovia bestreitet die Vorwürfe:<br />

Für Härtefälle gebe es zudem<br />

„individu elle Lösungen“. UJO/JOF<br />

•<br />

Anlaufstelle für Obdachlose<br />

Aus Winter Café wird<br />

Sonnenschein Café<br />

Auch nach dem Winter betreibt der<br />

Verein Clubkinder sein Café für Obdachlose<br />

in der Sternstraße 67 weiter.<br />

Immer sonntags von 13 bis 17 Uhr<br />

wird in der „Hamburger Botschaft“<br />

Gästen mit und ohne Wohnung ein<br />

abwechslungsreiches Programm<br />

geboten. Zum Kuchen gibt’s oft Livemusik,<br />

Ärzte und Friseure kümmern<br />

sich um die Wohnungslosen. „Auf<br />

der Straße ist Sonntag der schlechteste<br />

Tag“, sagt Mitorganisator Dominik<br />

Bloh. Die meisten Einrichtungen für<br />

Obdachlose seien geschlossen. Das<br />

Café soll diese Lücke schließen,<br />

zunächst bis zum 10. Juni – und vielleicht<br />

sogar darüber hinaus. BELA<br />

•<br />

Projekt Zimmerfrei<br />

Hilfe für junge Geflüchtete<br />

Unter Geflüchteten, die in Hamburg<br />

ankommen, befinden sich viele Jugendliche<br />

ohne Familienangehörige.<br />

Sie leben meist seit vielen Monaten<br />

alleine in Flüchtlingsunterkünften.<br />

Dabei bräuchten sie Ruhe und ein<br />

gefestigtes Umfeld. Damit Chancen<br />

auf solch einen Neustart steigen,<br />

vermittelt das Projekt Zimmerfrei<br />

Wohnraum für diese Geflüchteten.<br />

Ein Teil unserer Auflage enthält eine<br />

Beilage, mit der das Projekt Vermieter<br />

sucht, die helfen wollen. JOF<br />

•<br />

Mehr Infos und Nachrichten unter:<br />

www.hinzundkunzt.de<br />

abasto<br />

ökologische Energietechnik<br />

Für mehr soziale Wärme<br />

und eine klimaschonende<br />

Strom- und Wärmeversorgung.<br />

www.abasto.de<br />

Ambulanter Pflegedienst<br />

Wir stellen ein:<br />

Pflegekräfte mit Examen und/oder<br />

Vorerfahrungen in Teilzeit mit Pkw-FS<br />

Lagerstr. 30-32, 20357 Hamburg<br />

Tel.: 040 – 38 68 66 -0<br />

Email: info@solihilfe.de<br />

www.solihilfe.de


Der mühsame<br />

Kampf gegen die<br />

Abzock-Vermieter<br />

Mit Großeinsätzen geht die Stadt Hamburg gegen Abzock-Vermieter<br />

vor. Vier Kontrollen gab es bereits. Aber was bringen sie wirklich?<br />

Ein halbes Jahr ist seit der ersten Überprüfung in der<br />

Seehafenstraße in Harburg vergangen. Wir waren noch mal dort.<br />

TEXT: JONAS FÜLLNER<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Ein halbes Jahr ist vergangen,<br />

seit das Wohnhaus des Rumänen<br />

Gheorge hamburgweit in<br />

die Schlagzeilen geriet. Vom<br />

„Kakerlaken-Haus von Harburg“ war<br />

die Rede. Die Sozialbehörde hatte zusammen<br />

mit Bezirk und Zoll den ersten<br />

„Aktionstag Sozialleistungsmissbrauch“<br />

durchgeführt. Der Verdacht: Überbelegung,<br />

ausbeuterische Strukturen und<br />

Abzocke. Tatsächlich trafen die Kontrolleure<br />

neben Gheorge weitere 141 Menschen<br />

an. Verteilt auf gerade einmal<br />

zwei Häuser. Ein klarer Fall von Überbelegung.<br />

Und der Vorwurf des Betrugs<br />

hat sich erhärtet: Nach Angaben der Sozialbehörde<br />

und des Jobcenters Hamburg<br />

haben die Eigentümer in etlichen<br />

Fällen falsche Angaben bei der Wohnungsgröße<br />

gemacht und die überhöhten<br />

Mieten unrechtmäßig vom Jobcenter<br />

kassiert. In der Seehafenstraße 7 wichen<br />

die Quadratmeterangaben in den Mietverträgen<br />

in neun Fällen sogar um mehr<br />

als 50 Prozent ab. Nur drei der fehlerhaften<br />

Angaben gab es hingegen in<br />

Gheorges Wohnhaus. Peter Funk, Eigentümer<br />

der Seehafenstraße 9, teilt gegenüber<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> mit, dass die Zahlen<br />

stets korrekt berechnet wurden. Er<br />

habe daher bald einen Gesprächstermin<br />

mit der Behörde. Das Jobcenter wiederum<br />

wird jetzt einen Anwalt einschalten<br />

und unberechtigte Zahlungen im Nachbarhaus<br />

rückfordern.<br />

Die rechtlichen Streitigkeiten werden<br />

Hinz&Künztler Gheorge nicht betreffen.<br />

Nicht das Amt, sondern er selbst<br />

zahlt die Miete. Durch Zeitungsverkauf,<br />

Pfandsammeln und einen Mini-Job<br />

finanziert er seine Mietkosten von 700<br />

Euro. Er kommt knapp über die Runden.<br />

Trotzdem sieht Gheorge für sich<br />

und seine Familie in Hamburg mehr<br />

Chancen als in Rumänien.<br />

Dabei wohnt er mit seiner Frau, seinen<br />

Kindern und Enkelkindern total beengt:<br />

Zwei Zimmer, 27 Qua dratmeter.<br />

Dazu ein Mietpreis fernab des Mietenspiegels,<br />

den man wohl eher rund um<br />

die Alster erwarten würde. Aber als<br />

Rumäne ohne festen Arbeitsvertrag war<br />

der 42-Jährige vor vier Jahren froh, dass<br />

er überhaupt eine Wohnung in Hamburg<br />

fand. Auch wenn er sich Klo und<br />

Küche mit einer weiteren rumänischen<br />

Familie teilt, die im rechten Flügel der<br />

Wohnung lebt. Tagsüber werden Betten<br />

zu Sofas und der Fernseher kommt<br />

„Endlich raus.<br />

Nie wieder<br />

See hafenstraße.“<br />

LOREDANA<br />

runter vom Tisch, wenn die Kinder<br />

Hausaufgaben machen. Die Einrichtung<br />

hat er sich durch Spenden von Lesern<br />

und Gebrauchtmöbel zusammengestellt.<br />

Möbel von Ikea könnte er sich gar nicht<br />

leisten. Dabei könnte er bei dem Möbelhersteller<br />

passende Lösungen für kleine<br />

Räume bewundern. Auf der Homepage<br />

heißt es: „Es geht darum, kreativ zu sein,<br />

ein bisschen rebellisch vielleicht. Und<br />

darum, zu tun, wovon du träumst.“<br />

Wenn er tun könnte, wovon er<br />

träumt, dann wäre Gheorge längst raus<br />

aus der Seehafenstraße. „Gerne würde<br />

ich ausziehen. In eine bessere Wohnung“,<br />

sagt der 41-Jährige. Es ist nicht<br />

nur die räumliche Enge, die Gheorge zu<br />

schaffen macht, sondern generell der katastrophale<br />

Zustand des Wohnhauses.<br />

Den bemängelten auch die Kontrolleure<br />

und belegten die Eigentümer mit Auflagen.<br />

In der Folge wurde beispielsweise<br />

„der Hinterhof komplett betoniert und<br />

dadurch sämtliche Rattenschlupflöcher<br />

geschlossen“, teilt das Bezirksamt mit.<br />

Auch gegen die Kakerlaken im Haus<br />

ging ein Fachbetrieb gezielt vor. Gheorge<br />

bestätigt das. In seiner Wohnung hatte<br />

er bereits zuvor selbst Löcher und Ritzen<br />

abgedichtet, um das Ungeziefer aus<br />

den Wohnräumen fernzuhalten.<br />

Endlich! In Harburg haben Izvoras und Loredana eine Dreizimmerwohnung gefunden –<br />

für sich ganz allein. Derzeit ist Loredanas Mutter zu Besuch.<br />

41


Äußerst beengt lebt<br />

Gheorge (2. von links)<br />

mit seiner Familie in der<br />

Seehafenstraße im<br />

Harburger Hafengebiet.


Stadtgespräch<br />

Kommentar<br />

Bruchbude als<br />

Sprungbrett<br />

Am baulichen Zustand des Gebäudes<br />

hat sich allerdings in den vergangenen<br />

Monaten nichts verändert. Man sei<br />

„mit dem Vermieter weiter im Gespräch“,<br />

betont der Bezirk. Ein erster<br />

Erfolg: „Einige Zimmer sind inzwischen<br />

leer und nicht neu vermietet.“<br />

Gheorges Nachbar Sebastian hat<br />

diese Entwicklung eher verunsichert als<br />

beruhigt. Er habe Angst, auf der Straße<br />

zu landen, sagt der zweifache Familienvater.<br />

„Ich habe Kinder. Das wäre eine<br />

Katastrophe.“ Während der 39-Jährige<br />

erzählt, streicht seine Frau gerade den<br />

oberen Teil des Treppenhauses. Normalerweise<br />

eine Aufgabe für den Vermieter.<br />

Auf den würden eigentlich noch viel<br />

mehr Arbeiten warten. Denn der Sanierungsstau<br />

in dem Altbau ist massiv. Erst<br />

„Wir würden<br />

gerne hier<br />

ausziehen.“<br />

GHEORGE<br />

im Oktober hatte der Eigentümer gegenüber<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> angekündigt, „zunächst<br />

in den beiden oberen Etagen zu<br />

renovieren“. Bislang ist nichts passiert.<br />

Lediglich ein weiteres Zimmer steht jetzt<br />

leer. Die Tür ist verriegelt.<br />

Frei wurde das Zimmer durch den<br />

Auszug von Izvoras und Loredana. Das<br />

rumänische Pärchen stammt aus demselben<br />

Dorf wie Gheorges Familie und<br />

hat inzwischen eine Dreizimmerwohnung<br />

gefunden. Eigenständig. Ebenfalls<br />

in Harburg. Dieses Mal nicht über<br />

dubiose Mittelsmänner, sondern bei<br />

einem „echten Hamburger Vermieter“,<br />

wie Izvoras stolz erzählt. Die Miete<br />

zahlt er jetzt nicht mehr bar gegen<br />

Quittung, sondern per monatlicher<br />

Überweisung. „Wie ganz normale<br />

Menschen“, sagt Loredana und<br />

schmunzelt. Ihre Tochter musste nicht<br />

einmal die Schule wechseln.<br />

Die Wohnung ist teurer. Aber dafür<br />

müssen sie sich Klo und Küche mit niemandem<br />

mehr teilen. Loredana strahlt<br />

über beide Ohren, als sie ihre Wohnung<br />

präsentiert. Sie erinnert sich noch gut<br />

daran, wie ihre Tochter nach den Kontrollen<br />

in der Schule gehänselt wurde,<br />

weil sie im „Kakerlaken-Haus“ wohnte.<br />

Regelmäßig besuchen sie ihre alten<br />

Nachbarn. Verändert habe sich seit ihrem<br />

Auszug so gut wie nichts, sagt Loredana.<br />

Der Bezirk könnte den Druck erhöhen<br />

und Zwangsgelder verhängen.<br />

Aber ganz offensichtlich ist man froh,<br />

dass Eigentümer Peter Funk immerhin<br />

leer werdende Zimmer und Wohnungen<br />

nicht wieder neu vermietet.<br />

In dem vor zwei Monaten kontrollierten<br />

Wohnhaus im Reetwerder 3 in<br />

Bergedorf herrschten im Vergleich dazu<br />

viel schlimmere Zustände. Dort entdeckten<br />

die Bezirksmitarbeiter eine defekte<br />

Gastherme und kaputte Heizungen.<br />

Mitten im Winter. Die Gastherme wurde<br />

umgehend repariert. Weil der Bezirk<br />

die Handwerker anheuerte und die Kosten<br />

jetzt nach Angaben der Sozialbehörde<br />

der Eigentümerin in Rechnung stellt.<br />

Die Kontaktaufnahme zu ihr oder ihrem<br />

Ehemann war Hinz&<strong>Kunzt</strong> nicht möglich.<br />

Ob sie jemals zahlen wird, ist unklar,<br />

heißt es aus der Behörde. Zumal die<br />

Gemengelage offenbar kompliziert ist.<br />

Denn die Miete – so munkelt man in der<br />

Verwaltung – treibt offenbar ihr Ex-<br />

Mann Daniel F. ein. Und das teilweise<br />

gar bewaffnet.<br />

Sollten sich die Gerüchte verdichten<br />

und tatsächlich kriminelle Machenschaften<br />

vorliegen, dann muss die Stadt<br />

dagegen vorgehen. Vier Großkontrollen<br />

hat die Sozialbehörde bislang<br />

durchgeführt. In Harburg, Wilhelmsburg,<br />

Bergedorf und zuletzt in Wandsbek.<br />

„Wir wollen an die Hinterleute“,<br />

sagt Sprecher Marcel Schweitzer. Die<br />

Auswertung der Kontrollen in Bergedorf<br />

und Wandsbek dauert an. Für die<br />

Mieter kann man nur auf Besserung<br />

hoffen. Dass sich an dem baulichen Zustand<br />

wenig ändert, das wird jetzt schon<br />

in der Seehafenstraße deutlich. Schneller<br />

ginge es offenbar nur, wenn die Stadt<br />

selbst handelt und nicht auf das Entgegenkommen<br />

der Eigentümer hofft. •<br />

Kontakt: jonas.fuellner@hinzundkunzt.de<br />

VON BIRGIT MÜLLER<br />

Mit Aktionstagen<br />

geht die<br />

Stadt Hamburg<br />

gegen<br />

Abzockvermieter<br />

vor.<br />

Richtig so!<br />

Die Kehrseite<br />

ist: Die Vermieter sitzen die<br />

Kritik oft aus. Die Leidtragenden<br />

sind die Mieter, meist aus<br />

Osteuropa. Sie verlieren womöglich<br />

ihre Bleibe – und damit<br />

ihre mühsam aufgebaute,<br />

kleine Existenz.<br />

Wir haben oft erlebt, dass<br />

die Bruchbude eine Art Ankunftswohnung<br />

ist, das Sprungbrett<br />

für ein besseres Leben:<br />

Als Mieter können sie ihre<br />

Kinder nachholen und als Familie<br />

zusammenleben, einen<br />

Job annehmen und auf eine<br />

bessere Wohnung hinarbeiten.<br />

In Hamburg gibt es derzeit<br />

nur Ankunftswohnungen – in<br />

anderen Metropolen der Welt<br />

sind es regelrechte Ankunftsstädte.<br />

Alle leben dort erst mal<br />

in Bruchbuden. In seinem<br />

Buch „Arrival City“ beschreibt<br />

Doug Saunders, was eine Stadt<br />

tun kann, damit diese Ankunftsstädte<br />

Orte des Aufstiegs<br />

sind und kein Slum entsteht.<br />

Wichtig ist, dass die Menschen<br />

möglichst schnell Arbeit<br />

finden und sich integrieren.<br />

Auch in Hamburg wäre es<br />

wichtig, Lösungen zu entwickeln,<br />

zumal bei uns die Anzahl<br />

der Zuwanderer überschaubar<br />

ist. Am besten wären<br />

echte Ankunftshäuser mit bezahlbaren<br />

Mieten, Deutschund<br />

Integrationskursen und einer<br />

Arbeitsvermittlung. Das<br />

wäre für alle ein Gewinn: In<br />

der Pflege und in der Gastronomie<br />

werden immer Mitarbeiter<br />

gesucht, die Zuwanderer<br />

hätten eine Perspektive –<br />

und den Abzockern wäre das<br />

Handwerk gelegt. •<br />

43


Freunde<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>303</strong>/MAI <strong>2018</strong><br />

Peter Friedrich mal ohne seine Klarinette – aber mit<br />

dem Ehren-Verkäuferausweis von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Von der Zuschauerbank<br />

auf die Bühne<br />

Früher war er Bankkaufmann, seitdem er Rentner ist, spielt<br />

Peter Friedrich jedes Jahr bei Benefizkonzerten für Hinz&<strong>Kunzt</strong> –<br />

und da hört seine Hilfe noch nicht auf.<br />

TEXT: MISHA LEUSCHEN<br />

FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />

A<br />

n Peter Friedrichs Hemdtasche<br />

baumelt ein ganz besonderer<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäuferausweis,<br />

extra für ihn<br />

angefertigt: Der Ehren-Verkäuferausweis<br />

ist ein Unikat. Den hat er sich auch<br />

verdient. Bei den jährlichen Benefiz-<br />

Konzerten, die die Musikerfreunde unter<br />

der Leitung von Klaus Stöckel in<br />

Wentorf und Büchen veranstalten,<br />

schnappt sich der Klarinettist in der<br />

Pause jedes Mal eifrig ein Bündel Magazine<br />

und unterstützt unseren Verkäufer<br />

beim Verkauf der aktuellen Ausgabe.<br />

„Wenn einer der Musiker da für das<br />

Magazin trommelt, dann bringt das<br />

noch mal was“, glaubt der 79-Jährige.<br />

Seit 24 Jahren spielen die Musiker<br />

regelmäßig für Hinz&<strong>Kunzt</strong>, meist zu<br />

Neujahr. Mit einem bunten Potpourri<br />

aus Klassik und Pop, Jazz und Tanzmusik<br />

bringen die fünf Musiker – zwei<br />

Frauen und drei Männer – die Martin-<br />

Luther-Kirche in Wentorf zum Swingen.<br />

Die meisten sind Heeresmusiker<br />

der Bundeswehr. „Das sind Profis“, sagt<br />

44<br />

Peter Friedrich respektvoll, „ich bin der<br />

einzige Laie.“ Fünf Jahre lang hatte er<br />

bei den Konzerten im Publikum gesessen,<br />

bis er sich 2007 traute, mal nachzufragen,<br />

ob sie ihn vielleicht brauchen<br />

könnten. „Klaus Stöckel hatte mich mal<br />

im Gottesdienst spielen hören“, erzählt<br />

er – vorspielen musste er also nicht. Seitdem<br />

ist er mit Freuden dabei und hat<br />

seine Nische gefunden: Zwei Klezmer-<br />

Stücke spielt er beim Konzert, eins davon<br />

ist als Stimmungsbringer zum Mitsingen<br />

für die Zuschauer gedacht. „Die


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Leute lieben es, zu singen“, freut sich<br />

Peter Friedrich.<br />

Seine Liebe zum Musizieren hatte<br />

jahrelang auf Eis gelegen, erst nach der<br />

Pensionierung fand der Bankkaufmann<br />

„Das sind Profis,<br />

ich bin der<br />

einzige Laie.“<br />

PETER FRIEDRICH<br />

Wir danken allen, die im April an uns<br />

gespendet haben, sowie allen Mitgliedern<br />

im Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

für die Unterstützung unserer Arbeit!<br />

DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />

• IPHH • wk it services<br />

• Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />

• Hamburger Tafel • Axel Ruepp Rätselservice<br />

• Hamburger Kunsthalle<br />

• bildarchiv-hamburg.de • Röder-Stiftung<br />

• Dennis Tepper und seinem Team vom<br />

Brauhaus ALTES MÄDCHEN,<br />

die das Charity-Frühlingsfest in den<br />

Schanzenhöfen organisiert haben.<br />

Mit dabei waren: Hamburger Gabenzaun<br />

am Hauptbahnhof Verein i. Gr. und<br />

die Musiker Adam Brixton, Khalil Kry,<br />

Miss Allie und Jan Pape.<br />

Sponsoren waren: elbgold, fritz-kola,<br />

Freunde<br />

Dankeschön<br />

wieder Zeit für sein Hobby. Dabei hatte<br />

er schon als Zehnjähriger mit der Musik<br />

begonnen. „Blockflöte … die habe<br />

ich gehasst!“ Beim Singen lief es besser,<br />

Peter Friedrich sang im Knabenchor<br />

Sopran und war stolz wie Oskar, als er<br />

1948 in der Hamburger Musikhalle bei<br />

der Matthäus-Passion mitsingen durfte.<br />

Die Klarinette entdeckte er mit dem<br />

Jazz der 1950er-Jahre, mit 20 nahm er<br />

den ersten Unterricht. Jazz ist seine große<br />

Liebe geblieben, auch wenn das Instrument<br />

Jahre nicht zum Einsatz kam.<br />

Familie und Beruf ließen keine Zeit.<br />

1987 holte er es wieder aus dem Kasten<br />

– es ist immer noch der erste – und fing<br />

wieder an. „Die Klarinette ist ein ganz<br />

besonderes Instrument“, findet er. „Sie<br />

hat einen großen Tonumfang, mehr als<br />

Streicher und Bläser, und ist ausdrucksstark<br />

wie die menschliche Stimme.“<br />

Sein großes Klezmer-Vorbild, der Klarinettist<br />

Giora Feidman, nannte das Instrument<br />

„Singende Klarinette“. Seine<br />

Musik brachte Peter Friedrich auch zum<br />

Klezmer-Spielen. „Das sind einfache<br />

Melodien, wie Lieder – das habe ich mir<br />

zugetraut.“ Die meisten Lieder spielt er<br />

nach Gehör.<br />

Für die Benefiz-Konzerte finden<br />

sich die Musiker zwei Stunden vorher<br />

zur Generalprobe zusammen, alle Stücke<br />

werden durchgespielt. „Das war’s.“<br />

Dann geht’s ab auf die Bühne – und in<br />

der Pause ist der Ehrenverkäufer wieder<br />

für Hinz&<strong>Kunzt</strong> unterwegs. •<br />

Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />

LandWert Schulbauernhof e. V.,<br />

• Nordmann Getränke Hamburg<br />

und der Ratsherrn Brauerei<br />

Tommaso <strong>Mai</strong>occhi für den<br />

Erlös aus dem Kalenderverkauf<br />

• Carlshof GmbH<br />

NEUE FREUNDE:<br />

• Florian Albrecht • Janine Arnold<br />

• Karin Brose • Ramona Brunner<br />

• Margot Döhring • Michael Fiebig<br />

• Sabine Fischer • Hans-Jürgen Fuß<br />

• Kartini Kowalska • Irene Laxa-Heckmann<br />

• Friedrich Moehle v. H. • Lorenzo Mögling<br />

• Jossie Moormann • Thomas Mustroph<br />

• Corinna Öhler • Bärbel Ralf<br />

• Lucas Romero • Bert Rothkugel<br />

• Melanie Schehl • Heike Schierenbeck<br />

• Inge Schmidt • Thomas Steege<br />

• Daniel Süß • Cindy Ta<br />

JA,<br />

ICH WERDE<br />

MITGLIED<br />

IM HINZ&KUNZT-<br />

FREUNDESKREIS.<br />

Damit unterstütze ich die<br />

Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Meine Jahresspende beträgt:<br />

60 Euro (Mindestbeitrag für<br />

Schüler/Studenten/Senioren)<br />

100 Euro<br />

Euro<br />

Datum; Unterschrift<br />

Ich möchte eine Bestätigung<br />

für meine Jahresspende erhalten.<br />

(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />

Meine Adresse:<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Nr.<br />

PLZ, Ort<br />

Telefon<br />

E-<strong>Mai</strong>l<br />

Beruf<br />

Geburtsjahr<br />

Einzugsermächtigung:<br />

Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />

Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />

Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />

IBAN<br />

BIC<br />

Bankinstitut<br />

Wir versichern, dass Ihre Angaben nur für interne<br />

Zwecke bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> verwendet werden. Ihre<br />

Mitgliedschaft im Freundeskreis ist jederzeit kündbar.<br />

Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />

Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />

Oder online im Freundeskreis anmelden unter<br />

www.hinzundkunzt.de/freundeskreis<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />

45<br />

HK <strong>303</strong>


Buh&Beifall<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>303</strong>/MAI <strong>2018</strong><br />

Was unsere Leser meinen<br />

„Spahn auf eine Hartz-IV-Diät zu setzen, ist eine gute Idee“<br />

Zu viel Geld oder wenig Verstand?<br />

H&K 300, Gut&Schön<br />

Im Februar-Heft steht: „Endlich<br />

ein Wohncontainer für Rolf“, und<br />

wenn ich in unseren Park gehe, dann<br />

sehe ich, wie ein geräumiges Haus<br />

verkommt. Wie passt das zusammen?<br />

Da liest man immer wieder, dass<br />

Wohnraum knapp und teuer ist, wie ist<br />

es da zu erklären, dass ein Haus mit viel<br />

Wohnraum einfach nicht genutzt, sondern<br />

dem Verfall preisgegeben wird?<br />

Hat da jemand zu viel Geld oder zu<br />

wenig Verstand?<br />

ERNST BROERS<br />

Spahn auch mit Hartz IV sorglos<br />

H&K Online, „Jens Spahn soll von Hartz IV<br />

leben“<br />

Spahn auf eine Hartz-IV-Diät zu<br />

setzen, ist natürlich eine gute Idee und<br />

wäre für ihn sicherlich eine extreme<br />

Erfahrung. Aber eine wirkliche<br />

Armutserfahrung hätte Spahn auch<br />

nach einem Monat mit 400 Euro noch<br />

nicht, denn dazu gehört ja die allwöchentliche<br />

Sorge darüber, wie man die<br />

nächsten Rechnungen bezahlt, wie<br />

man die Waschmaschine repariert bekommt,<br />

wie man die Wünsche der<br />

Kids erfüllen kann, wie man am Endes<br />

des Monats noch gutes Essen auf<br />

den Tisch bringen kann et cetera.<br />

NORBERT GESTRING<br />

Obdachlose in Gefahr<br />

H&K Online, „Unbekannte enthaupten<br />

Obdachlosen“<br />

Leider werden Obdachlose immer<br />

häufiger Opfer von feigen und<br />

verachtenswerten Übergriffen. Ich<br />

hoffe, dass diese Tat schnell aufgeklärt<br />

werden kann.<br />

MAXIMILIAN HOLMES<br />

Diffuse Vorstellung<br />

H&K Sonderheft „Lust auf Grün“, „Mein<br />

keiner grüner Kaktus“ – Lesergeschichten<br />

Ich habe Saids Artikel Freunden<br />

und Bekannten gezeigt (Said ist ein<br />

Gefl üchteter aus Afghanistan, Anm. der Red.)<br />

und bin erstaunt über die positive Wirkung.<br />

Es existiert so eine diffuse Vorstellung<br />

darüber, wie Flüchtlinge in der<br />

Heimat gelebt haben mögen. Und der<br />

Blick auf eine Obstplantage, wo die<br />

Bäume auch in Reih und Glied stehen<br />

wie bei uns die Apfelbäume im Alten<br />

Land, beweist eindrucksvoll, dass Menschen<br />

in einem fremden Land auch die<br />

Erde bestellt, auch bodenständig gelebt<br />

und gearbeitet haben. ERIKA FUNK-BLÜMEL<br />

Leserbriefe geben die Meinung des Verfassers<br />

wieder, nicht die der Redaktion. Wir behalten<br />

uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />

HAMBURGER NEBENSCHAUPLÄTZE<br />

DER ETWAS<br />

ANDERE<br />

STADTRUNDGANG<br />

Wir trauern um<br />

Petrea Brandiu<br />

23. Juni 1960 – 1. April <strong>2018</strong><br />

Petrea war erst seit September 2017 bei uns, hatte sich aber schnell<br />

einen Stammplatz vor Edeka Lade im Hofweg aufgebaut.<br />

Die Verkäufer und das Team von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

Wollen Sie Hamburgs City einmal mit anderen Augen sehen?<br />

Abseits der teuren Fassaden zeigt Hinz&<strong>Kunzt</strong> Orte, die in<br />

keinem Reiseführer stehen: Bahnhofs mission statt Rathausmarkt,<br />

Drogenberatungsstelle statt Alsterpavillon, Tages aufent halts stätte<br />

statt Einkaufspassage.<br />

Anmeldung: Bequem online buchen unter<br />

www.hinzundkunzt.de oder Telefon: 040/32 10 83 11<br />

Kostenbeitrag: 10/5 Euro,<br />

nächste Termine: 13. + 27.5.2017, 15 Uhr<br />

Wer möchte leben<br />

ohne den Trost der Bäume!<br />

Günter Eich<br />

trostwerk - andere bestattungen<br />

Osterstraße 149, HH - Eimsbüttel ° 040/43 27 44 11


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Entspannt: Besuch in Buxtehude bei ESC-Teilnehmer Michael Schulte (S. 48).<br />

Eigensinnig: Das Krass Kultur Crash Festival feiert rebellische Kunst (S. 52).<br />

Eifrig: Hinz&Künztler Lukas spricht sechs Sprachen – jetzt lernt er Deutsch (S. 58).<br />

Tanz spielte im Paris der 1920er-Jahre eine<br />

große Rolle. Das Museum für Kunst und<br />

Gewerbe (MKG) zeigt seine eindrucksvolle<br />

Art-Déco-Sammlung ab dem 4. <strong>Mai</strong> (S. 53).<br />

ILLUSTRATION: „JOSEPHINE BAKER TANZT“,<br />

PAUL COLIN/VG BILD-KUNST, BONN 2017


Singt über seinen Vater,<br />

wird bald selbst einer:<br />

ESC-Teilnehmer<br />

Michael Schulte in seiner<br />

Wahl heimat Buxtehude.<br />

Normalo –<br />

na und?<br />

Michael Schulte ist unser Mann für den<br />

Eurovision Song Contest. Der 28-Jährige<br />

geht den Wettbewerb total entspannt an.<br />

TEXT: SIMONE DECKNER<br />

FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK, NDR PRESSESTELLE (S. 50)


Konfetti bei der<br />

Kür: Im Februar<br />

setzte sich Michael<br />

Schulte als ESC-<br />

Kandidat durch.<br />

Der Mann, dem bald geschätzte<br />

200 Millionen<br />

Menschen bei der Arbeit<br />

zuschauen werden, sitzt alleine<br />

vor einem Straßencafé. Unter seinen<br />

Füßen Kopfsteinpflaster, hinter<br />

ihm ein schmuckes Fachwerkhaus, das<br />

Heimatmuseum von Buxtehude, errichtet<br />

1913. Würde Michael Schulte jetzt<br />

von seinem Smartphone aufschauen, er<br />

könnte direkt auf das Haus gucken, in<br />

dem sich ein Nagelstudio und eine Psychotherapeutenpraxis<br />

den Eingang teilen.<br />

Er guckt aber nicht.<br />

Der 28-Jährige ist übernächtigt.<br />

Stundenlang saß er in einem Flieger<br />

auf Fuerteventura fest. Ein Computer<br />

in Brüssel war abgestürzt, ein ziemlich<br />

wichtiger. Kein Flugzeug durfte mehr<br />

starten und landen. Gegen 4 Uhr kam<br />

er dann doch noch an. Von Hannover<br />

nahm er ein Taxi nach Buxtehude, hier<br />

ist er seit Mitte 2017 zu Hause.<br />

Michael Schulte ist dieses Jahr „die<br />

deutsche Hoffnung“ beim Eurovision<br />

Song Contest, kurz ESC. Er nimmt diese<br />

Aufgabe sehr ernst. Die Zeiten,<br />

in denen Stefan Raab im goldenen Glitzeranzug<br />

mit „Wadde hadde dudde<br />

da?“ den Wettbewerb ironisierte oder<br />

Guildo Horn mit bis zum Bauchnabel<br />

offenem Hippiehemd „Guildo hat euch<br />

lieb!“ sang, sie sind lange vorbei. Der<br />

ESC, er ist spätestens seit dem deutschen<br />

Sieg von Lena im Jahr 2010 wieder<br />

zu einer ernsten nationalen Angelegenheit<br />

geworden. Für Schulte steht<br />

viel auf dem Spiel. Das Gute: Er ist sich<br />

dessen voll bewusst. Das Erstaunliche:<br />

Er scheint nicht sonderlich nervös zu<br />

sein. „Noch bin ich total entspannt“,<br />

sagt er. Schulte, der Aufgeräumte.<br />

Ballade über<br />

den verstorbenen Vater<br />

Das Lied, mit dem er für Deutschland<br />

antritt, ist eine Ballade. „You Let Me<br />

Walk Alone“ handelt von seinem Vater,<br />

der starb, als Schulte 14 Jahre alt war. Im<br />

Songtext heißt es: „My childhood hero<br />

will always be you / And no one else<br />

comes close / I thought you’d lead me<br />

when life’s misleading / That’s when I<br />

miss you most.“ Sätze, die er nicht mal<br />

eben so aus dem Ärmel geschüttelt hat.<br />

Schulte sagt aber auch: „Es ist jetzt 13<br />

Jahre her. Ich bin gewachsen.“<br />

Er hat auch schon zuvor Songs<br />

über seinen Vater geschrieben. Nur<br />

nicht so viel darüber geredet. Wenn jemand<br />

sein Lied als Hinweis verstehe,<br />

öfter mal bei den Eltern anzurufen,<br />

freut er sich. „Man weiß ja nicht, wie<br />

lange man sie noch hat“, sagt Schulte.<br />

Bis heute vermisst er Männergespräche<br />

mit seinem Vater. Der brachte<br />

ihm die ersten Akkorde auf der Gitarre<br />

bei, da war Michael sieben. Früher sind<br />

sie oft bei der Kieler Woche gewesen,<br />

haben „eine irische Folkband, die keiner<br />

kennt“, angefeuert, so Schulte. Damals<br />

entstand seine Liebe für diese Art<br />

50<br />

handgemachter Musik. Der ESC war<br />

Pflichttermin bei Schultes. „Als kleiner<br />

Junge habe ich mir sogar vorgestellt,<br />

wie das wohl ist, auf so einer Bühne zu<br />

stehen und für Deutschland zu singen“,<br />

so der Sänger im Weserkurier.<br />

Jetzt passiert es wirklich. Seit Schulte<br />

im Februar den Vorentscheid gewann,<br />

gibt er Interview um Interview.<br />

Er besucht Radiostationen, die alle sagen,<br />

sie spielen „die beste Musik“, er<br />

wird in sogenannten Pre-Shows auftreten<br />

und Schnappschüsse davon mit seinen<br />

mehr als 24.000 Instagram-Followern<br />

teilen. Er sei jetzt eben „der Eine“<br />

für den ESC, sagt Schulte. So wie er es<br />

sagt, klingt es beinahe entschuldigend.<br />

Schulte wurde 1990 geboren. Acht<br />

Jahre zuvor hatte Nicole mit „Ein bisschen<br />

Frieden“ zum ersten Mal die europäische<br />

Schlagerkrone nach Deutschland<br />

geholt. Jetzt soll Schulte in ihre<br />

Fußstapfen treten. Ihren Segen dafür<br />

hat er immerhin schon. Neulich hat er<br />

Nicole kennengelernt. Das sei „schon<br />

ein besonderer Moment“ gewesen, sagt<br />

er. „Auf der anderen Seite habe ich<br />

auch gemerkt, sie ist halt auch eine ganz<br />

normale, ganz liebe Frau.“<br />

In Alltagsklamotten<br />

zum großen Finale<br />

Normal, das ist das Stichwort: Kritiker<br />

mäkeln, Schulte sei zu normal. Zu wenig<br />

Glamour, zu wenig außergewöhnlich<br />

und dann noch dieser Name!


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Michael Schulte, geht es noch langweiliger?<br />

Schulte lächelt. Im Gegensatz zu<br />

anderen Künstlern liest er fast alles, was<br />

über ihn geschrieben wird. „Vielleicht<br />

bin ich der Normalo-Guy mit den roten<br />

Locken“, sagt er, „aber das ist in Ordnung,<br />

damit identifizieren sich auch<br />

Menschen.“ Er wird beim Finale wieder<br />

seine normalen Alltagsklamotten<br />

tragen: Jeans und T-Shirt, fertig. „Wieso<br />

soll ich Boots und Ketten und Lederjacke<br />

überziehen? Das bin einfach nicht<br />

ich“, sagt er.<br />

Beim deutschen Musikmagazin<br />

Rolling Stone war man von seinem Beitrag<br />

wenig beeindruckt: „Eine energielos<br />

startende und nicht wirklich zupackende<br />

Power-Ballade, wie sie beim<br />

ESC schon tausendfach zu hören war“,<br />

hieß es da. Vorhersage: „Das wird doch<br />

wieder nix!“, so wie die vergangenen<br />

Jahre. Schulte nippt an seinem Cappuccino.<br />

„Solche Leute würde ich gern mal<br />

„Ich habe keine<br />

Angst, dass<br />

danach alles<br />

vorbei ist.“<br />

MICHAEL SCHULTE<br />

persönlich fragen: Steht ihr wirklich dahinter<br />

oder schreibt ihr so was nur, um<br />

aufzufallen?“ Nicht sein Stil.<br />

Buxtehude als Ruhepol<br />

Schulte mag es bodenständig. Deswegen<br />

auch Buxtehude. Seit einem dreiviertel<br />

Jahr ist das Städtchen mit seinen<br />

39.500 Einwohnern, seinen Pfeifenbedarfsläden,<br />

den Blumenrabatten und<br />

Menschen, die sich beim Markteinkauf<br />

freundlich grüßen, sein Zuhause. „Hier<br />

kann ich zur Ruhe kommen, aber der<br />

nächste Flughafen ist auch nur eine<br />

50-minütige S-Bahnfahrt entfernt.“<br />

Er ist seiner Freundin, die hier als<br />

Logopädin arbeitet, gefolgt. Schwer ist<br />

ihm das nicht gefallen, er wuchs selbst<br />

in dem 80-Einwohner-Dorf Lindau an<br />

der Schlei auf, später zog die Familie<br />

nach Dollerup bei Flensburg. Er und<br />

seine beiden Geschwister gingen auf<br />

51<br />

die dänische Schule. Wenn ihn ein Interviewer<br />

dazu nötigt, grüßt er die Zuschauer<br />

auch schon mal in fließendem<br />

Dänisch. Er ist sowieso sehr freundlich<br />

zu Interviewern. Wenn man ihn fragt,<br />

wieso er nicht in Hamburg oder Berlin<br />

wohne, antwortet er: „Ich habe immer<br />

gesagt, irgendwann in Richtung Familienplanung<br />

will ich auch wieder dörflicher<br />

werden.“ Im Sommer wird der<br />

28-Jährige zum ersten Mal Vater. Er hat<br />

das schon gewusst, als er „You Let Me<br />

Walk Alone“ schrieb.<br />

Früher wollte er Fußballprofi werden,<br />

schaffte es sogar bis in die Landesauswahl.<br />

Nach dem Abi machte Schulte<br />

dann ein Jahr lang Straßenmusik in<br />

Eckernförde – dank zahlungskräftiger<br />

Touristen „gar kein so schlechtes Geschäft“,<br />

wie er dem NDR erzählte.<br />

2012 wurde Schulte bei der Castingshow<br />

„The Voice“ Dritter, tourte danach<br />

mit Max Giesinger. Im selben Jahr<br />

veröffentlichten sie einen gemeinsamen<br />

Coversong von „Somebody That I<br />

Used to Know“ auf YouTube. Das Video<br />

wurde bis heute mehr als 4,7 Millionen<br />

Mal angeklickt. Sein letztes Album<br />

hat Schulte 2017 herausgebracht,<br />

es ist eines von acht. Schulte ist kein<br />

blutiger Anfänger.<br />

Vielleicht geht er den ESC auch<br />

deshalb „völlig entspannt“ an. Er habe<br />

eine Basis, „und deshalb habe ich diese<br />

Angst auch nicht so, dass danach alles<br />

vorbei ist“. Für die Zeit nach dem ESC<br />

hat er vorgesorgt – ganz gleich, wie es<br />

ausgehen wird. Er wird touren und seine<br />

neue Single veröffentlichen. Und<br />

dann wartet ja bald die Vaterrolle.<br />

„Wenn ich nicht der nächste Weltstar<br />

werde, ist das überhaupt gar nicht<br />

schlimm“, sagt Michael Schulte, „ich<br />

bin auch so ein glücklicher Mensch.“ •<br />

Kontakt: simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />

ESC im TV und auf St. Pauli<br />

Sa, 12. <strong>Mai</strong>, Eurovision Song Contest,<br />

ARD, 21 Uhr – und live auf dem<br />

Spielbudenplatz der „Countdown für<br />

Lissabon“ und „Grand Prix Party“ mit<br />

Revolverheld, Mary Roos, Max Giesinger<br />

und anderen. Moderation: Barbara<br />

Schöneberger. 19 Uhr, Eintritt frei.<br />

<br />

AVERY SUNSHINE<br />

<br />

KARI BREMNES + BAND<br />

<br />

QUEEN MACHINE<br />

<br />

OLEXESH<br />

<br />

LUDOVICO EINAUDI<br />

<br />

LUKA BLOOM<br />

<br />

WHY DON'T WE<br />

<br />

WE ARE SCIENTISTS<br />

<br />

SONS OF KEMET<br />

<br />

SCARLXRD<br />

<br />

DEVIN DAWSON<br />

<br />

ALEXANDER KNAPPE<br />

<br />

MOVING SHADOWS<br />

<br />

JONATHAN DAVIS<br />

<br />

ALMA<br />

<br />

BAD RELIGION<br />

<br />

REA GARVEY<br />

<br />

MALUMA<br />

<br />

JASON DERULO<br />

<br />

PER GESSLE'S<br />

ROXETTE<br />

<br />

SASHA<br />

<br />

ANGELO BRANDUARDI<br />

<br />

NIGHTMARES ON WAX<br />

<br />

LIAM GALLAGHER<br />

TICKETS: KJ.DE


Kult<br />

Tipps für den<br />

Monat <strong>Mai</strong>: subjektiv<br />

und einladend<br />

Kult<br />

Tipps für<br />

Dezember: subjektiv<br />

und einladend<br />

Festival<br />

Kunstvolle Absage an die Repression<br />

52<br />

The Wedding Orchestra huldigt mit „DIVA: Celebrating Oum<br />

Kalthoum“ der ägyptischen Ikone für ihre grenzenlose Musik.<br />

Zweifache Todes-Fatwa gegen Shahin<br />

Najafi – weil sich der iranische Musiker<br />

gegen die Vermischung von Politik und<br />

Religion aussprach. Skandal um den<br />

kroatischen Theaterregisseur Oliver<br />

Frlji , der es gewagt hatte, die polnische<br />

Gesellschaft auf die Schippe zu nehmen.<br />

Und auch Pussy Riot kann von<br />

politischer Verfolgung gegen aufmüpfige<br />

Künstlerinnen ein Lied singen. Beim<br />

Krass Kultur Crash Festival auf Kampnagel<br />

kommen all diese Rebellen groß<br />

raus: Der Repression nationalistischer<br />

Staatsapparate setzen die Festivalmacher<br />

einen demonstrativen Kulturaustausch<br />

entgegen und zeigen, wie grenzüberschreitende<br />

Kunst hilft, bessere<br />

Gesellschaftssysteme aufzubauen. •<br />

Kampnagel, Jarrestraße 20, 3.–13.5.,<br />

Eintritt 6–32 Euro, Workshops frei,<br />

www.kampnagel.de


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Ausstellung<br />

Reklame mit Stil<br />

Zwischen Jugendstil und modernem<br />

Design verlaufen die fein geschwungenen<br />

Linien des Art Déco, wie<br />

wir es von alten Vasen, Lampen<br />

und Sofas kennen. Das Museum für<br />

Kunst und Gewerbe stellt Grafiken<br />

dieser Stilrichtung aus. Dabei kommt<br />

auch die Werbeanzeige zu ihrem<br />

Recht – stilvoll, wie sie damals war. •<br />

MK&G, Steintorplatz, ab Fr, 4.5., Di–So,<br />

10–18 Uhr, Do, 10–21 Uhr, Eintritt 12/8<br />

Euro, www.mkg-hamburg.de<br />

FOTOS: DOROTHEA TUCH, JAN BECKMANN, REINHARDT REIMANN<br />

Kinder<br />

Rätseln über den Tod<br />

Wo landen wir, wenn wir nicht mehr auf der Welt sind? Die Frage ist beinahe zu<br />

aufregend. Doch alle stellen sie sich. Grund genug also, sich ein Herz zu fassen und<br />

den Tod näher kennenzulernen – so wie die alte Ophelia im Kindertheaterstück<br />

„Vom Schatten und vom Licht“. Mit ihrem Goldfisch ist sie dem großen Unbekannten<br />

auf der Spur und trifft die Schatten anderer Suchender: den Professor<br />

mit dem unvollendeten Lebenswerk oder den Bärenjäger, der glaubt, der Tod habe<br />

ihn vergessen. Und den Superagenten James Blond, der einen heroischeren<br />

Abgang verlangt als seinen schnöden Schlaganfall. Die Reihe im Fundus Theater<br />

geht das Thema Tod mal ganz anders an und nimmt ihm so seinen Schrecken. •<br />

Fundus Theater, Hasselbrookstraße 25, 6.–17.5., 5–9,50 Euro, www.fundus-theater.de<br />

Draußen<br />

Bilder eines anderen Hafens<br />

Die Jungs von der Waterkant sind ein<br />

stehender Begriff. Und was ist mit<br />

den Mädels? Dass Hafenarbeit nicht<br />

nur Männersache war, zeigt die<br />

FrauenFreiluftGalerie anlässlich des<br />

Hafengeburtstags mit einem Rundgang.<br />

Vom Fischmarkt aus das Elbufer<br />

entlang illustrieren haushohe Wandgemälde<br />

den Wandel weiblicher<br />

Wirtschaftskraft im Hafen seit 1900.<br />

Die Werke von14 internationalen<br />

Künstlerinnen machen so auf eine<br />

Hamburger Lebenswelt aufmerksam,<br />

die in den Shantys nicht vorkommt. •<br />

FrauenFreiluftGalerie, Treffpunkt Große<br />

Elbstraße 132, Do, 10.5., 13 Uhr, Eintritt<br />

5/3 Euro, www.frauenfreiluftgalerie.de<br />

Die Wandbilder zeigen weibliche<br />

Hafenarbeit mit kritischem Blick.<br />

Was passiert, wenn ich tot bin? Im Fundus Theater<br />

begeben sich auch „Die Azubis“ auf Spurensuche.<br />

Draußen<br />

Frühlingserwachen im Park<br />

Diesen Sommer Jonglieren lernen?<br />

Wer darauf Lust hat, kann beim<br />

Fest zum Saisonauftakt im<br />

Wilhelms burger Inselpark den<br />

Anfang machen. Dazu gibt es<br />

Spiele, Akrobatik und Freilufttheater,<br />

kurzum: all das, worauf wir einen<br />

Winter lang gewartet haben. •<br />

Inselpark, Kurt-Emmerich-Platz,<br />

So, 6.5., ab 12 Uhr, Eintritt frei,<br />

www.kulturnordlichter.de<br />

Konzert<br />

Gogol Bordello auf dem Kiez<br />

Früher spielten sie auf Roma-Hochzeiten,<br />

heute nennen sie sich Zigeuner-<br />

Punks – die Band Gogol Bordello<br />

bringt jede Tanzfläche zum Überkochen.<br />

So sehr sie den wilden Stilmix<br />

feiern, bleiben die Musiker doch<br />

ihren Wurzeln treu und singen auf<br />

Englisch, Ukrainisch und Romani. •<br />

Große Freiheit 36, Di, 8.5., 19 Uhr, Eintritt<br />

28 Euro (VVK), www.grossefreiheit36.de<br />

Museum<br />

Kultur genießen mit Demenz<br />

Auch wer tüdelig wird, kann sich an<br />

Kunst freuen. Die Deichtorhallen<br />

bieten dazu eine besondere Führung<br />

für Menschen mit Demenz. Es zählt<br />

der Augenblick, in dem es Klick<br />

macht – gerade in der Fotokunst. •<br />

Deichtorhallen, Deichtorstraße 1–2,<br />

Mi, 9.5., 15 Uhr, Eintritt 6 Euro,<br />

www.museumsdienst-hamburg.de<br />

53


Ausstellung<br />

Meisterfälschern auf der Spur<br />

Finde den Fehler: Ist es Marc Chagall<br />

oder doch sein Fälscher Lothar Malskat?<br />

Ist das überhaupt echt? Diese Frage<br />

stellt sich auf dem Kunstmarkt öfter<br />

als gedacht – einigen Theorien zufolge<br />

sind 40 bis 60 Prozent aller gehandelten<br />

Werke gefälscht. Doch nicht<br />

jede Kopie ist gleich perfider Betrug.<br />

Manche Fälscher kopieren ganz unverhohlen<br />

große Meister und werden damit<br />

sogar berühmt, andere haben die<br />

Lizenz zur Verfielfältigung. Nicht nur<br />

zwischen Original und Fälschung verläuft<br />

also die Trennlinie, sondern auch<br />

zwischen „falsch, aber okay“ und „echt<br />

falsch“. Um diesen feinen Unterschied<br />

geht es in der Fabrik der Künste, die<br />

den Fälschungen eine Ausstellung widmet.<br />

Dazu gibt es Vorträge, etwa<br />

von Polizisten, betrogenen Sammlern,<br />

Galeristen und Kunsthistorikern, die<br />

erläutern, wie sie kriminellen Fälschern<br />

auf die Schliche kommen. •<br />

Fabrik der Künste, Kreuzbrook 10–12,<br />

ab Mi, 30.5., 19 Uhr, Eintritt 5/3 Euro,<br />

www.fabrikderkuenste.de<br />

54


FOTOS: FÄLSCHERMUSEUM WIEN, CHARLES REAGAN, PRIVAT<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Konzert<br />

Big Freedia bringt den Kiez zum Beben<br />

Achtung, Hamburg, hier kommt Big Freedia! Die Urgewalt der Bounce-Music-<br />

Szene rollt den Kiez von unten auf und eins steht schon fest: Gegen ihren<br />

Hüftschwung sehen die Tanzenden Türme stocksteif aus. Big Freedia ist nicht<br />

nur offizielle Weltrekordhalterin im Twerking, dem provokanten Zucken von<br />

Po und Hüfte. Sie hat es auch als schwule Transgender-Ikone im machodominierten<br />

Hip-Hop zum Star gebracht und mit ihrem unerbittlichen Willen,<br />

auf den Putz zu hauen, neue Maßstäbe geschaffen. Wer sie live sieht, wird sie so<br />

bald nicht vergessen – und am nächsten Morgen mit Muskelkater aufwachen. •<br />

Mojo Club, Reeperbahn 1, Mi, 23.5., 19 Uhr, Eintritt 19 Euro (VVK), www.mojo.de<br />

Lesung<br />

Unter Palmen aus Stahl<br />

Noch vor zweieinhalb Jahren war er<br />

obdachlos und half Geflüchteten, indem<br />

er Spenden in der Kleiderkammer<br />

der Hamburger Messehalle sammelte.<br />

Inzwischen ist Dominik Bloh<br />

längst weg von der Straße. Er ist Autor,<br />

Kolumnist und angestellt bei einem<br />

Bildungsträger. Dort hilft er jungen<br />

Erwachsenen beim Übergang<br />

von der Schule in den Beruf. Die Vergangenheit<br />

würde ihn selbst zwar immer<br />

wieder einholen, erzählte Bloh<br />

im Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Interview (H&K<br />

300). Aber es hätten sich neue Türen<br />

für ihn geöffnet. „Ich möchte, dass<br />

auch Türen für andere aufgehen.“<br />

Deswegen unterstützt Bloh jetzt mit<br />

einer Lesung aus seinem Buch „Unter<br />

Palmen aus Stahl“ das Straßenmagazin<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>. •<br />

Nochtspeicher, Bernhard-Nocht-Straße<br />

69a, Do, 31.5., 19.30 Uhr, Eintritt 10/8<br />

Euro, www.nochspeicher.de<br />

Schwestern, zieht euch nicht zu<br />

warm an! Big Freedia heizt ein.<br />

Ausstellung<br />

Kunst aus dem Operndorf<br />

Von Christoph Schlingensiefs<br />

„Operndorf Afrika“ in Burkina Faso<br />

haben viele schon mal gehört, doch<br />

was geht da eigentlich vor? Künstler<br />

Per Schumann kann das beantworten:<br />

Anfang des Jahres zog er in das<br />

Dorf, das Regisseur Schlingensief<br />

kurz vor seinem Tod als interkulturelles<br />

Kunstprojekt gegründet hatte,<br />

um dort zu leben und zu arbeiten.<br />

Die dort entstandenen Werke zeigt er<br />

nun in einer Ausstellung: Videoinstallationen<br />

und Zeichnungen, die Eindrücke<br />

aus dem Dorf vermitteln. •<br />

Multiple Box, Admiralitätsstraße 76, ab Do,<br />

17.5., Di–Fr, 11–19 Uhr, Sa, 11–17 Uhr,<br />

Eintritt frei, www.operndorf-afrika.com<br />

Über Tipps für Juni freut sich Annabel<br />

Trautwein. Bitte bis zum 10. <strong>Mai</strong><br />

schicken: redaktion@hinzundkunzt.de<br />

Kinofilm des Monats<br />

Buchladen im<br />

Nirgendwo<br />

Ich kenne da einen Ausdruck<br />

für all diese netten kleinen<br />

Läden und Restaurants, die<br />

ambitioniert eröffnen, wahnsinnig<br />

kreativ und toll sind<br />

und nach kurzer Zeit wieder<br />

schließen: „Träumekiller“.<br />

Ich fühle mich manchmal<br />

schuldig, wenn ich an den<br />

„Räumungsverkauf“-Schildern<br />

vorbeifahre. Da wollte<br />

ich immer mal rein, aber<br />

dann war es schon zu spät.<br />

Im Laufe der Romanverfilmung<br />

„Der Buchladen der<br />

Florence Green“ ahnt man,<br />

dass dieser auch so ein verlorener<br />

Traum werden könnte.<br />

Englands Ostküste der<br />

1950er-Jahre, Nieselregen,<br />

kalter Wind – als hätte Rosamunde<br />

Pilcher Herbstdepressionen.<br />

Die jung verwitwete<br />

Florence Green ist neu in der<br />

Stadt und eröffnet in einem<br />

leeren Haus mit viel Enthusiasmus<br />

eine Buchhandlung.<br />

Das gefällt kaum jemandem.<br />

Schnell werden Intrigen gegen<br />

„die Neue“ gesponnen,<br />

schmallippige Borniertheit<br />

der Kulturbourgeoise gesellt<br />

sich zu tumber Ablehnung.<br />

Nur der verschrobene Einzelgänger<br />

Edmund Brundish,<br />

der seine Villa nie verlässt,<br />

zeigt Interesse.<br />

„Der Buchladen der Florence<br />

Green“ ist vor allem<br />

ambitioniertes Pärchenkino,<br />

das zu Herzen geht, aber dort<br />

nicht lange bleibt. Was soll’s?<br />

Ein Traum kann auch eindimensional<br />

schön sein.<br />

Dann tut es weniger weh,<br />

wenn er ungewollt beendet<br />

wird. Kinostart: 10.5. •<br />

André Schmidt<br />

geht seit<br />

Jahren für uns<br />

ins Kino.<br />

Er arbeitet in<br />

der PR-Branche.<br />

55


<strong>Kunzt</strong>&Comic<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>303</strong>/MAI <strong>2018</strong><br />

56


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Rätsel<br />

ILLUSTRATION (BLEISTIFT IM IMPRESSUM): BERND MÖLCK-TASSEL<br />

Holzblasinstrument<br />

zusammenlegbares<br />

Sitzmöbel<br />

lichte<br />

Glut<br />

Karte im<br />

Tarockspiel<br />

Dauerbezug<br />

einer<br />

Zeitschrift<br />

Dramengestalt<br />

bei<br />

Schiller<br />

Strom<br />

zum Balchaschsee<br />

Sportgerät<br />

der<br />

Werfer<br />

Bundesland<br />

Österreichs<br />

Vorname<br />

des<br />

Sängers<br />

Jürgens †<br />

hinterer<br />

Teil<br />

eines<br />

Wagens<br />

germanische<br />

Jugendgöttin<br />

Marktplatz<br />

in<br />

altgriech.<br />

Städten<br />

kein<br />

einziges<br />

Mal<br />

geschnittener<br />

Schmuckstein<br />

2<br />

7<br />

5<br />

1<br />

9<br />

3<br />

2<br />

2<br />

3<br />

8<br />

6<br />

4<br />

Damenbekleidungsstück<br />

politische<br />

Grundvorstellung<br />

3<br />

7<br />

3<br />

2<br />

1<br />

8<br />

3<br />

6<br />

2<br />

4<br />

4<br />

5<br />

deutsche<br />

TV-Journalistin<br />

(Maybrit)<br />

eh. dt. Eiskunstläuferin<br />

(Marika)<br />

9<br />

1<br />

10<br />

5<br />

9<br />

4<br />

8<br />

altrömische<br />

Silbermünze<br />

amtlicher<br />

Name von<br />

Norwegen<br />

norddeutsch:<br />

Iltis<br />

Stamm v.<br />

Sportlern<br />

in einem<br />

Team<br />

Kosename<br />

Staat im für die<br />

Himalaja Großmutter<br />

Stadt im<br />

alten<br />

Griechenland<br />

Schiff<br />

Iasons<br />

(griech.<br />

Sage)<br />

Vorname<br />

der<br />

Dagover<br />

† 1980<br />

Wahlzettelkasten<br />

Keimträger<br />

norddeutsch:<br />

Kümmelschnaps<br />

Theaterplatz<br />

Indianervolk<br />

in<br />

Nordamerika<br />

Örtlichkeit<br />

Untergewand<br />

im alten<br />

Rom<br />

süddt.:<br />

bebautes<br />

Ortsgebiet<br />

Niederschlag<br />

Mittelmeerhafen<br />

in Frankreich<br />

Donau-<br />

Zufluss in<br />

Bayern<br />

bestimmter<br />

Artikel<br />

Botin der<br />

nord.<br />

Göttin<br />

Frigg<br />

straußenähnlicher<br />

Laufvogel<br />

hinteres<br />

Wortteil<br />

griechische<br />

Vorsilbe:<br />

neu...<br />

Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />

per Fax an 040 32 10 83 50 oder per E-<strong>Mai</strong>l an info@hinzundkunzt.de.<br />

Einsendeschluss: 28. <strong>Mai</strong> <strong>2018</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />

Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />

zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle gewinnen oder eine von<br />

zwei Graphic Novels „Das leere Gefäß“ von Magdalena Kaszuba<br />

(Avant-Verlag).<br />

Das April-Lösungswort beim Kreuzworträtsel lautete: Regenbogen.<br />

Die Sudoku-Zahlenreihe war: 185 734 962.<br />

6<br />

2<br />

6<br />

9<br />

5<br />

7<br />

2<br />

7<br />

9<br />

8<br />

6<br />

4<br />

9<br />

1<br />

10<br />

8<br />

7 AR1115-1118_4<br />

Füllen Sie das Gitter so<br />

aus, dass die Zahlen von<br />

1 bis 9 nur je einmal in<br />

jeder Reihe, in jeder<br />

Spalte und in jedem<br />

Neun-Kästchen-Block<br />

vorkommen.<br />

Als Lösung schicken<br />

Sie uns bitte die<br />

unterste, farbig gerahmte<br />

Zahlenreihe.<br />

Impressum<br />

Redaktion und Verlag<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />

Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />

Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 32 10 83 50<br />

Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />

E-<strong>Mai</strong>l info@hinzundkunzt.de, www.hinzundkunzt.de<br />

Herausgeber<br />

Landespastor Dirk Ahrens, Diakonisches Werk Hamburg<br />

Externer Beirat<br />

Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />

Mathias Bach (Kaufmann), Dr. Marius Hoßbach (Rechtsanwalt),<br />

Rüdiger Knott (ehem. NDR 90,3-Programmchef),<br />

Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />

Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />

Beate Behn (Lawaetz-Service GmbH), Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung),<br />

Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds),<br />

Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />

Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />

Redaktion Birgit Müller (bim; v.i.S.d.P.),<br />

Annette Woywode (abi; Stellv., CvD),<br />

Mitarbeit Simone Deckner (sim), Jonas Füllner (jof), Ulrich Jonas (ujo),<br />

Benjamin Laufer (bela), Misha Leuschen (leu),<br />

Annabel Trautwein (atw), Uta Sternsdorff und Kerstin Weber<br />

Redaktionsassistenz Sonja Conrad, Cedric Horbach<br />

Online-Redaktion Simone Deckner, Jonas Füllner, Benjamin Laufer<br />

Artdirektion grafikdeerns.de<br />

Öffentlichkeitsarbeit Sybille Arendt, Friederike Steiffert<br />

Anzeigenleitung Sybille Arendt<br />

Anzeigenvertretung Christoph Wahring,<br />

Wahring & Company, Tel. 040 284 09 40, info@wahring.de<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 23 vom 1. Januar <strong>2018</strong><br />

Vertrieb Christian Hagen (Leitung), Marcus Chomse,<br />

Sigi Pachan, Jürgen Jobsen, Meike Lehmann, Sergej Machov,<br />

Frank Nawatzki, Elena Pacuraru, Reiner Rümke, Cristina Stanculescu,<br />

Marcel Stein, Cornelia Tanase, Silvia Zahn<br />

Rechnungswesen/Systemadministration Frank Belchhaus<br />

Spendenmarketing Gabriele Koch<br />

Spendenverwaltung Susanne Wehde<br />

Sozialarbeit Stephan Karrenbauer (Leitung), Ana-Maria Ilisiu, Isabel Kohler<br />

Das Stadtrundgang-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />

Chris Schlapp, Harald Buchinger<br />

Das BrotRetter-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />

Stefan Calin, Gogan Dorel, Ionel Lupu<br />

Das Team von Spende Dein Pfand am Airport Hamburg<br />

Stephan Karrenbauer (Leitung), Uwe Tröger, Jonas Gengnagel,<br />

Klaus Petersdorfer, Herbert Kosecki<br />

Litho PX2@ Medien GmbH & Co. KG<br />

Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />

Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />

Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />

Umschlag-Druck Neef+Stumme premium printing GmbH & Co. KG<br />

Verarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei<br />

und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />

Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

IBAN: DE56 2005 0550 1280 1678 73<br />

BIC: HASPDEHHXXX<br />

Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />

Freistellungsbescheid des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer<br />

17/414/00797, vom 15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />

des Körperschaftssteuergesetzes von der Körperschaftssteuer und nach<br />

§3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />

Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als<br />

gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH im Handelsregister<br />

beim Amtsgericht Hamburg HRB 59669 eingetragen. Wir bestätigen,<br />

dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> einsetzen.<br />

Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.<br />

Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf www.hinzundkunzt.de.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das obdachlosen und<br />

ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />

Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose und<br />

ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter<br />

unterstützen die Verkäufer.<br />

Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />

Gesellschafter<br />

Durchschnittliche monatliche<br />

Druckauflage 1. Quartal <strong>2018</strong>:<br />

86.666 Exemplare<br />

57


Momentaufnahme<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>303</strong>/MAI <strong>2018</strong><br />

Bescheiden, freundlich, kollegial –<br />

und das in sechs Sprachen: Lukas<br />

ist viel herumgekommen.<br />

Obdach-, aber nicht<br />

hoffnungslos<br />

Lukas (31) verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> vor REWE City, Altonaer Straße.<br />

TEXT: JONAS FÜLLNER<br />

FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />

Es war nicht so gedacht, dass Bedürftige<br />

in unserer <strong>Kunzt</strong>Küche (Seite 6) für das<br />

Essen zahlen. Küchenchef Lutz Bornhöft<br />

war also baff, als ein 10-Euro-<br />

Schein auf dem Tisch lag, an dem eben<br />

noch der Typ mit Sidecut im abgewetzten<br />

Punk-Shirt gesessen und gegessen<br />

hatte – sein Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer aus<br />

der Nachbarschaft.<br />

Am nächsten Tag klärte den Obdachlosen<br />

eine Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Mitarbeiterin<br />

auf: „Lukas, du musst doch nicht<br />

so viel zahlen.“ Doch, alles habe seine<br />

Richtigkeit, entgegnete der 31-Jährige.<br />

Er habe vor, weitere Tage dort essen<br />

zu gehen. Aber nicht umsonst. Lukas<br />

suchte nach den richtigen Worten. „Wie<br />

nennt ihr das hier? Kollegial?“<br />

Auch an den kommenden Tagen<br />

war er zu Gast in der <strong>Kunzt</strong>Küche. Leckeres<br />

Essen. Dazu noch die Gelegenheit,<br />

andere Verkäufer zu treffen, die in<br />

der Küche mitarbeiteten. Das habe ihm<br />

sehr gut gefallen, erklärt er schüchtern<br />

in leicht gebrochenem Deutsch.<br />

„Die Sprache habe ich auf der<br />

Straße gelernt“, sagt Lukas, der in<br />

Swansea in Wales geboren wurde. Halb<br />

Brite, halb Slowake ist der junge Mann.<br />

Neben Englisch, Slowakisch, Tschechisch<br />

und Polnisch beherrscht er auch<br />

noch Kroatisch.<br />

Seine Eltern trennten sich früh. Sein<br />

Vater lebte in Großbritannien, die Mutter<br />

ging zurück in die Slowakei. Lukas<br />

wuchs zwischen beiden Ländern auf.<br />

Die Schule schloss er in Großbritannien<br />

ab. Anschließend arbeitete er als Grafikdesigner.<br />

Wieso landet so jemand<br />

fünf Jahre später bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> in<br />

Hamburg? Lukas lächelt verlegen. „Ich<br />

bin Trinker“, räumt er freimütig ein<br />

und erzählt, wie er mit Alkohol und<br />

Aufputschmitteln in Kontakt kam. In<br />

seiner Branche war das sehr verbreitet.<br />

Lukas trank regelmäßig. Hinzu kamen<br />

Amphetamine, dann Crystal Meth.<br />

„Ich habe viel Scheiß gemacht“, sagt er<br />

rückblickend.<br />

Lukas verlor seinen Job, seine Wohnung.<br />

Mit 26 Jahren schlief er zum ersten<br />

Mal auf der Straße. Nirgendwo<br />

blieb er lange. Reiste von Prag durch<br />

Deutschland bis nach Frankreich und<br />

wieder zurück.<br />

Vor zwei Jahren wurde er „sesshaft“<br />

auf Hamburgs Straßen. „Die Stadt hat<br />

Charme“, sagt Lukas. „Ich bin fertig<br />

mit dem Wechsel von einer Stadt zur<br />

anderen.“ Damals erhielt er die Diagnose,<br />

die sein Leben veränderte: HIVpositiv.<br />

Es war ein Schlag, von dem sich<br />

Lukas auch seelisch bis heute nicht erholt<br />

hat. Aber er hat sein Leben wieder<br />

fester im Griff. Alkohol und Drogen hat<br />

er abgeschworen. Bei der Krankenkasse<br />

ist er wieder angemeldet. Im Winter<br />

hatte er erstmals wieder ein eigenes<br />

Zimmer: im Winternotprogramm von<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Derzeit kommt er bei Freunden unter.<br />

Die Wohnungssuche geht weiter.<br />

Der nächste Schritt? „Ich spare gerade<br />

– für einen Sprachkurs und den dazugehörigen<br />

Test für das Zertifikat“, sagt<br />

Lukas. Sein Lebensmotto? „You can be<br />

homeless, but not hopeless.“ •<br />

A. Beig<br />

Druckerei und Verlag<br />

GmbH & Co. KG<br />

Damm 9-19, 25421 Pinneberg<br />

Tel. 0 41 01/5 35-0<br />

Wir sorgen für den nötigen Druck!<br />

In unserer modernen und leistungsstarken Druckerei in Pinneberg<br />

produzieren wir neben unseren eigenen Publikationen auch zahlreiche<br />

Fremdaufträge. Wir stellen jährlich so ca. 90 Mio. Zeitungen her<br />

und verarbeiten über 350 Mio. Beilagen.<br />

www.a-beig.de


KUNZT-<br />

KOLLEKTION<br />

BESTELLEN SIE DIESE UND WEITERE PRODUKTE BEI: Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH,<br />

www.hinzundkunzt.de/shop, shop@hinzundkunzt.de, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />

Tel. 32 10 83 11. Preise zzgl. Versandkostenpauschale 4 Euro, Ausland auf Anfrage.<br />

Versand ab 100 Euro Warenwert kostenlos.<br />

1. „Gegens Abstempeln“<br />

Zehn selbstklebende 70-Cent-Briefmarken mit<br />

Porträts von Hinz&Künztlern im A5-Heftchen.<br />

Konzeption: Agentur Lukas Lindemann Rosinski.<br />

Preis: 12 Euro<br />

4.<br />

2. „Macht auch wach!“<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Kaffeemischung,<br />

100% Arabica gemahlen, 250-g-Beutel<br />

oder Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Espresso, italienische<br />

Mischung, kräftiger Geschmack,<br />

ungemahlen, 250-g-Beutel, exklusiv von der<br />

Kaffeerösterei Burg aus Hamburg.<br />

Preis: jeweils 5,95 Euro<br />

5.<br />

1.<br />

2.<br />

3. Frühstücksbrettchen<br />

Exklusiv für Hinz&<strong>Kunzt</strong> aus der<br />

Serie „Schöne Aussichten“, Pension<br />

für Produkte Hamburg.<br />

Design: Wolfgang Vogler,<br />

Material: Esche geölt (aus heimischen Wäldern),<br />

lasergraviert. Jedes Brett ist ein Unikat,<br />

in Deutschland gefertigt.<br />

Preis: 15,90 Euro<br />

4. „Einer muss ja das Maul aufmachen“<br />

T-Shirt vom Modelabel „Fairliebt“ aus<br />

100% Biobaumwolle, sozialverträglich<br />

genäht in Bangladesch und<br />

von Hand bedruckt in Deutschland.<br />

Größen: S, M, L, XL. Farben: Petrol für Herren,<br />

Meerwassertürkis für Damen.<br />

Preis: 24,90 Euro<br />

6.<br />

3.<br />

5. „Heiße Hilfe“<br />

Bio-Rotbuschtee, aromatisiert mit<br />

Kakao-Orangen-Note. Zutaten: Rotbuschtee<br />

(k. b. A.), Kakaoschalen, Zimt, Orangenschalen,<br />

natürliches Orangenaroma<br />

mit anderen natürlichen Aromen.<br />

Dose, 75 g, abgefüllt<br />

von Dethlefsen&Balk, Hamburg.<br />

Preis: 7,50 Euro<br />

6. Tasse „Fischkopp“<br />

Sonderedition für Hinz&<strong>Kunzt</strong> von der<br />

Hamburger Firma AHOI MARIE.<br />

Qualitätsporzellan von Kahla aus Thüringen.<br />

Design: Jan-Hendrik Holst.<br />

Keramischer Siebdruck.<br />

Maße: D: 9 cm, H: 9 cm,<br />

Mikrowellen- und spülmaschinentauglich.<br />

Preis: 13,90 Euro<br />

7.<br />

7. „Ein mittelschönes Leben“<br />

Eine Geschichte für Kinder<br />

über Obdachlosigkeit von Kirsten Boie,<br />

illustriert von Jutta Bauer.<br />

Preis: 4,80 Euro


<strong>Mai</strong> <strong>2018</strong><br />

Älter werden &<br />

Erneuerung<br />

und andere Themen, die Hamburger bewegen<br />

Di 15.05. | 19.00 Uhr | Buchpremiere<br />

Der Stoff, aus dem das Neue ist Allerorten werden innovative Kräfte beschworen. Doch gerade<br />

Deutschland tut sich schwer mit Veränderungen. Was Erneuerung wirklich bedeutet, zeigt Wolf Lotter<br />

in seinem Buch »Innovation«. Mit dem Journalisten Holger Noltze spricht er über radikale Gedankenfreiheit,<br />

die Aktivierung kreativer Ressourcen und den Mut zum Risiko.<br />

Mi 16.05. | 19.00 Uhr | Diskussion<br />

Hamburg 2030. Radweg oder Rad weg? Im Koalitionsvertrag 2015 steht: Hamburg wird Fahrradstadt!<br />

Doch aktuelle Umfragen sorgen für Ernüchterung. Die Hamburger Radverkehrskoordinatorin<br />

Kirsten Pfaue, Dennis Thering, CDU-Fachsprecher für Verkehr, und Dirk Lau vom ADFC ziehen eine<br />

Zwischenbilanz. Es moderieren Daniel Kaiser, NDR 90,3 und Claudia Brüninghaus, Körber-Stiftung.<br />

Di 29.05. | 19.00 Uhr | Gespräch<br />

Morgen werden wir 100 Schwer vorstellbar, aber statistisch belegt: Uns alle erwartet ein deutlich<br />

längeres Leben als vorherige Generationen. Wie wir daraus mehr machen können, zeigen<br />

Lynda Gratton und Andrew Scott in ihrem Buch »Morgen werden wir 100«. Mit Rudolf Novotny, ZEIT<br />

Chancen, sprechen sie darüber, warum älter zu werden heute heißt, Wahlmöglichkeiten zu entdecken.<br />

Do 31.05. | 19.00 Uhr | Gespräch<br />

Aufbrüche aus dem Exil Pedro Kadivar ist ein gefragter Autor und Theaterregisseur in Paris und<br />

Berlin. Mit 16 Jahren flüchtete er einst aus dem Iran. Sein »Kleines Buch der Migrationen« verbindet<br />

literarische und biografische Erfahrungen. Mit der Literaturwissenschaftlerin Doerte Bischoff spricht<br />

er über das Fremdsein und darüber, wie Migration unsere Wahrnehmung verändert.<br />

Stand: 04 / <strong>2018</strong>, Änderungen vorbehalten. groothuis.de Fotos: Sarah Esther Paulus, BWVI, Lukas Kroulik, Bariran<br />

Eintritt frei, Anmeldung erforderlich: www.koerberforum.de<br />

KörberForum | Kehrwieder 12 | 20457 Hamburg | U Baumwall<br />

Telefon 040 · 80 81 92 - 0 | E-<strong>Mai</strong>l info@koerberforum.de<br />

Veranstalter ist die gemeinnützige Körber-Stiftung.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!