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Das Hamburger<br />
Straßenmagazin<br />
Seit 1993<br />
N O <strong>303</strong><br />
<strong>Mai</strong> .18<br />
2,20 Euro<br />
Davon 1,10 Euro<br />
für unsere Verkäufer<br />
Die Taklerin<br />
Elena macht die Peking<br />
flott und andere Geschichten<br />
zum Hafengeburtstag<br />
Abzocke:<br />
Jobcenter<br />
und Stadt gehen<br />
gegen miese<br />
Vermieter vor
FOTO: PHILIPP RATHMER<br />
„Ich lese<br />
, weil<br />
keiner bessere Rezepte<br />
hat für ein wirklich<br />
soziales Hamburg.“<br />
Tim Mälzer, Koch<br />
Spendenkontonummer:<br />
IBAN: DE56 2005 0550 1280 1678 73, Haspa<br />
Das Original seit 1993
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Inhalt<br />
Ein Monat der Extreme<br />
Happy Birthday, Hafen!<br />
Annette Woywode,<br />
als Chefin vom Dienst<br />
sonst meist drinnen, war in<br />
diesem Monat viel unterwegs:<br />
hinterm Tresen der<br />
<strong>Kunzt</strong>Küche und im Hafen.<br />
Dort hat sie Odos Kaffeeklappe<br />
kennengelernt<br />
(S. 30) und durfte sogar<br />
eine Runde auf einem<br />
Container-Greifstapler,<br />
einem Reach-Stacker,<br />
mitfahren.<br />
Wir hatten so viel Spaß – und so viel Leid. Ralf wäre<br />
in den eisigen Märztagen beinah erfroren – und das<br />
fast gegenüber unserem Büro (Seite 22). Bonnie, Clyde<br />
und viele andere Obdachlose müssen nach dem<br />
Winter wieder auf der Straße leben (Seite 18).<br />
Das alles kann man nur ertragen, wenn man<br />
auch schöne Dinge erlebt. Und das haben wir. Die<br />
<strong>Kunzt</strong>Küche, unser Restaurant auf Zeit, hat das<br />
ganze Team durcheinandergewirbelt. Alle waren<br />
dabei! Vertriebsmitarbeiterin Meike Lehmann war<br />
plötzlich Personalchefin, Susanne Wehde (Buchhaltung)<br />
spülte Töpfe – und Geschäftsführer Jens Ade<br />
musste auch mal kellnern. Talentfrei, wie ihm bescheinigt<br />
wurde. „Jetzt weiß ich jedenfalls, warum<br />
ich das nie machen wollte“, sagte er später schmunzelnd.<br />
Begeistert war er trotzdem – so wie Thomas<br />
und die anderen Hinz&Künztler im Einsatz (Seite 6).<br />
Leider ist die <strong>Kunzt</strong>Küche jetzt geschlossen. Was gegen<br />
die Wehmut hilft: Wir schreiben ein Kochbuch!<br />
Darin alle Köche, die mitgemacht haben. Vorfreude<br />
pur: Im September soll es rauskommen.<br />
Ihre Birgit Müller Chefredakteurin<br />
(Schreiben Sie uns doch an info@hinzundkunzt.de)<br />
Inhalt<br />
„Ganz normal“ ist unser Mann für den Eurovision<br />
Song Contest (ESC) Michael Schulte (S. 48)<br />
TITELBILD UND FOTO OBEN: LENA MAJA WÖHLER<br />
Stadtgespräch<br />
04 Gut&Schön<br />
06 Rückblick auf unsere <strong>Kunzt</strong>Küche<br />
14 Hamburg entschuldigt sich bei Nama<br />
und Herero für koloniales Unrecht<br />
16 Zahlen des Monats: das Diesel-Urteil<br />
und seine Folgen<br />
18 Ende des Winternotprogramms:<br />
Platten oder Betten?<br />
22 H&K-Verkäufer Ralf:<br />
Im Winter wäre er fast erfroren<br />
Wie knapp<br />
unser Verkäufer<br />
Ralf mit dem<br />
Leben davongekommen<br />
ist,<br />
lesen Sie auf<br />
S. 22<br />
40 Seehafenstraße: der schwere<br />
Kampf gegen Abzock-Vermieter<br />
Hafengeburtstag<br />
24 Ein Besuch im Hafenmuseum<br />
30 Frühstück bei Odos Kaffeeklappe<br />
34 Acht Monate auf See: das Los<br />
philippinischer Arbeitsmigranten<br />
Freunde<br />
44 Benefiz für Hinz&<strong>Kunzt</strong>: ein Musiker<br />
mit Ehren-Verkäuferausweis<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
48 Michael Schulte tritt beim ESC<br />
für Deutschland an<br />
52 Tipps für den <strong>Mai</strong><br />
56 Comic mit Dodo Dronte<br />
58 Momentaufnahme<br />
Rubriken<br />
05, 21, 43 Kolumnen<br />
12, 38 Meldungen<br />
46 Leserbriefe<br />
57 Rätsel, Impressum<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk
Buchtipp<br />
Die Freakheads<br />
sind los!<br />
Sie sind Hafenarbeiter, Kreativdirektor oder<br />
Skaterin: die „Freakheads“ von Manuela und<br />
Marcus Tanzen. Aus einer Urlaubslaune heraus<br />
und mittels Strandgut gefertigt, eröffnen sie<br />
neue Ansichten auf die Stadt. Jede Miniatur ist<br />
in stundenlanger Handarbeit entstanden und<br />
hat eine eigene Lebensgeschichte. Fürs Buch<br />
fotografiert haben sie Manuela und Marcus<br />
Tanzen sowie Christoph Hilker. UJO<br />
•<br />
Hamburg Deine Freakheads (KJM Buchverlag),<br />
128 Seiten, 16 Euro, Infos: www.hamburgparadies.de
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Gut&Schön<br />
Nachhaltige Mode<br />
Kleidung leihen<br />
statt kaufen<br />
FOTOS: MANUELA TANZEN/KJM (S. 4), STADTREINIGUNG HAMBURG (OBEN), MAURICIO BUSTAMANTE (UNTEN LINKS),<br />
FLORIAN QUANDT FÜR DIE MOPO; KOLUMNE: VERBRAUCHERZENTRALE HAMBURG<br />
Engagement<br />
Frühjahrsputz mit Rekordbeteiligung<br />
72.000 Hamburger – darunter viele Schulklassen<br />
und Kindergärten – haben dieses Jahr Spielplätze,<br />
Schulhöfe und Naturschutzgebiete von Müll befreit.<br />
Rekordbeteiligung! 193 Tonnen Abfall kamen dabei<br />
zusammen. „Hamburg räumt auf!“ rückt Flächen in<br />
den Blick, für die die Stadtreinigung nicht zuständig<br />
ist – und die daher von Vermüllung bedroht sind. UJO<br />
•<br />
Mehr Infos unter: www.hamburg-raeumt-auf.de<br />
Reparieren statt Wegwerfen<br />
Ob Smartphone oder Heizlüfter,<br />
Fahrrad oder Stuhl: Nicht alles, was<br />
kaputt geht, muss schon auf den<br />
Müll. Weil Reparaturen aber meist<br />
teuer sind, bieten „Repair-Cafés“<br />
eine Alternative. Bastler bringen ehrenamtlich<br />
Geräte in Schuss, die wir<br />
schon verloren glaubten – und weisen<br />
so den Weg aus der Wegwerfgesellschaft.<br />
Geselligkeit und Wissensgewinn<br />
gibt’s obendrauf. UJO<br />
•<br />
Nächster Termin: 23.5., 13.30–16 Uhr,<br />
Wichern-Schule, Horner Weg 164<br />
5<br />
Nachhaltigkeitsexpertin<br />
Friederike Meyn<br />
Friederike Meyn achtet darauf,<br />
dass ihr Kleiderschrank<br />
nicht zu voll wird. Schon von<br />
Berufs wegen. Die 28-Jährige<br />
ist Nachhaltigkeitsexpertin<br />
bei der Verbraucherzentrale.<br />
Wenn sie Kleidungsstücke<br />
doch nicht anzieht, tauscht sie<br />
mit einer Freundin. „Oder ich<br />
schenke oder leihe ihr ein<br />
paar Klamotten.“<br />
Die moderne Variante<br />
der Kleidertauschparty sind<br />
Sharing-Plattformen im Internet:<br />
Sie vermieten per<br />
Abonnement Kleidung an<br />
Menschen, die Umwelt und<br />
Geldbeutel schonen wollen.<br />
Ob Smoking, Babystrampler<br />
oder Umstandsmode: Das<br />
Preisgeld für Ehrenamtler<br />
Angebot ist groß und wächst<br />
Glückliche Nachwuchskicker: Der stetig. Die „Kleiderei“ etwa<br />
„Dulsberger Sportclub Hanseat“<br />
bietet „einen unermesslichen<br />
hat beim Stadtteilpreis der Mopo Kleiderschrank für junge<br />
13.100 Euro für Trikots, Hosen,<br />
Leute“, so Meyn. Der Tchibo-<br />
Stutzen und Trainingsanzüge gewonnen.<br />
Insgesamt hatte die Zei-<br />
Plattform „Kilenda“ verlei-<br />
Konzern und die Onlinetung<br />
zusammen mit der PSD Bank hen Kinderkleidung. Und wer<br />
100.000 Euro für Projekte in den<br />
ein Dirndl testen will, wird bei<br />
Stadtteilen ausgelobt. Der Luruper „Dresscoded“ fündig.<br />
Verein „LuFisch“ hat sogar 35.000<br />
Welches Angebot passt,<br />
Euro bekommen, damit bedürftige hängt vom eigenen Konsumverhalten<br />
ab, so Meyn: „Wenn<br />
Kinder auch weiterhin kostenlos<br />
schwimmen lernen können. BELA<br />
•<br />
ich nur wenig Kleidung brauche,<br />
muss ich nicht 50 Euro<br />
im Monat bezahlen.“ Tipps<br />
der Expertin: Beim Abo auf<br />
kurze Kündigungsfristen achten.<br />
Und, da es ja auch um eine<br />
bessere Welt geht: nach<br />
umweltfreundlichen Materialien<br />
und fairen Herstellungsbedingungen<br />
schauen. UJO<br />
Infos: www.vzhh.de/Kleidung<br />
•
Panikattacken<br />
und Seufzer<br />
der Freude!<br />
Es war eins der größten Abenteuer in unserem<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Leben. 25 Tage lang hatten wir ein Restaurant:<br />
die <strong>Kunzt</strong>Küche mit täglich wechselnden Köchen.<br />
TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE, DMITRIJ LELTSCHUK, LENA MAJA WÖHLER, ANDREAS HORNOFF
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Hinz&Künztler als Küchenhelfer auf Zeit:<br />
Thomas (Seite 12) mit Cristián Orellanus<br />
(Cantina Popular). Links: Alexandra mit Tim<br />
Koch (Bobby&Fritz). Bild unten: Zum Auftakt<br />
kochten Freunde: Fabian Ehrich (FuH; von links), Ole<br />
Plogstedt und Fred Nowack. Ganz unten: Basti und Ewa.<br />
Mit seinem Leben ist Thomas gerade „richtig<br />
zufrieden“. Der Hinz&Künztler arbeitet derzeit<br />
in der <strong>Kunzt</strong>Küche mit – ein Wahnsinns-<br />
Abenteuer mit ständig wechselnden Akteuren.<br />
„Ein bisschen graut mir schon vor der Zeit danach“, sagt er.<br />
Als er das sagt, ist unser 25-Tage-Restaurant mit Mittagstisch<br />
und 25 Gastköchen am Abend noch in vollem Gang. Wenn<br />
Sie den Artikel lesen, hat es schon wieder geschlossen. Sollte<br />
der Trend der ersten zwei Wochen anhalten, werden wir um<br />
die 2000 Gäste bewirtet haben – und zwölf Hinz&Künztler<br />
werden um einige Erfahrungen reicher sein.<br />
Thomas fühlt sich jetzt schon reich. Wenn der 57-Jährige<br />
in der <strong>Kunzt</strong>Küche im Einsatz ist, „sperre ich die Augen auf.<br />
Mein Vater hat schon immer gesagt: ‚Was du nicht weißt,<br />
kannst du dir abgucken.‘“ Und das tut er. An dem Abend, als<br />
Cristián Orellanus von der Cantina Popular kocht, erfährt er,<br />
„dass man Fisch ohne Flamme garen kann, in einer Emulsion<br />
aus Öl und Zitronensäure“. Das Eiweiß des rohen<br />
7
8<br />
Wahnsinnsstimmung mit den Spitzenköchen: Tim Mälzer<br />
(oben) und Marcus Scherer mit seinem Team Collin<br />
Hoger und Jan Reiser (in Weiß) und den Hinz&Künztlern<br />
Michael und Basti. Links: Aron Farkas, unser Koch der<br />
Herzen, hat die <strong>Kunzt</strong>Küche 25 Tage lang betreut.
Stadtgespräch<br />
Arbeiten und Feiern auf Augenhöhe:<br />
Matthias Gfrörer (Gutshof Wulksfelde) mit den<br />
Hinz&Künztlern Maria und Michael (linkes Bild).<br />
Rechts oben: Thomas Imbusch (100/200) und<br />
sein Team feiern Hinz&Künztler Marcel.<br />
Und Spitzenköchin Anna Sgroi wird<br />
gerade von den Gästen gefeiert.<br />
Fisches wird durch das Marinieren zersetzt. Zusätzliches<br />
Erhitzen ist nicht mehr nötig. „Das ist ja gerade in heißen<br />
Ländern wichtig“, sagt Thomas fachmännisch.<br />
„Die haben uns<br />
voll mit<br />
eingebunden.“<br />
Jeden Tag gibt es neue kulinarische Erlebnisse: Baiser mit<br />
Roter Bete (Fabio Haebel), Mispeln mit Schmandeis und<br />
Granola (Matthias Gfrörer vom Gutshof Wulksfelde) oder<br />
Babyfenchel mit Ziegenkäse-Crumble (Marcus Scherer).<br />
Und wir erlebten Extreme: Sterneküche mit Anna Sgroi oder<br />
Marc Müller und dann Fast-Food-Spezialisten. Die haben<br />
aber auch ein richtig tolles Menü serviert. Mal gab’s Käsespätzle<br />
im Hauptgang und dann wieder: eine Auster für jeden.<br />
Crémant und Selbstgebrautes. Sogar eine Sommelière<br />
war mal da! Ein Abend ist ganz feierlich, wieder ein anderer<br />
etwas wild oder superherzlich und familiär.<br />
Das Highlight für Thomas war, als Fabian Ehrich aus<br />
dem FuH mit seinen Freunden, Spitzenkoch Fred Nowack<br />
und TV-Koch Ole Plogstedt (Rote Gourmet Fraktion),<br />
gekocht hat. „Die haben uns voll mit eingebunden“, sagt er.<br />
Thomas war glücklich, weil er Ole so gerne mag. „Nicht<br />
zuletzt, weil er auch St. Paulianer ist.“<br />
Aber inzwischen ist Thomas auch Fan anderer Köche –<br />
vor allem von Aron Farkas. Lutz Bornhöft, dem die Cook Up<br />
culinary gallery gehört, hat ihn uns zur Seite gestellt. Aron<br />
schmeißt die <strong>Kunzt</strong>Küche, kocht die vegetarischen Gerichte<br />
und den Mittagstisch – und kümmert sich um unsere Küchenhelfer.<br />
„Aron kommt morgens und geht um 23 Uhr“,<br />
sagt Thomas bewundernd. „Dabei ist der erst 21 Jahre alt!“<br />
Wenn Thomas unser Restaurant verlässt, kann er es<br />
„kaum erwarten, bis ich wieder dran bin“. Ewa, Marcel, Michael,<br />
Basti und Alexandra und den anderen Hinz&Künztlern<br />
geht es ähnlich: Es ist für alle eine „große Freude“, mit dabei<br />
zu sein – und gleichzeitig eine große Herausforderung.<br />
Denn als Küchenhilfe muss man immer auf Zack sein – und<br />
das mit ständig wechselnden Köchen und in einer Mini-<br />
9
Rubrik<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>303</strong>/MAI <strong>2018</strong><br />
Herzlich und lecker. Fabian Ehrich<br />
(Bild oben, rechts) kochte mit Freunden: TV-Koch Ole<br />
Plogstedt und Fred Nowack – und mit Ewa. Ganz schön wild:<br />
Jannes Vahl von den Clubkindern bedankt sich<br />
überschwänglich bei Koral Elci (Kitchen Guerilla).<br />
Rechts: Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Stadtführer Chris hat heute<br />
mal Küchendienst. Hinter ihm: Thomas.<br />
10
Stadtgespräch<br />
So wird aus<br />
Ihrem Toaster<br />
ein Tablet.<br />
Aurubis, die<br />
Nummer eins im<br />
Kupferrecycling.<br />
Mehr über unser Recycling erfahren Sie<br />
auf www.aurubis.com/recycling<br />
Beim Abendmenü wird Andreas Reitz vom Alten Mädchen<br />
(rechts) von Kollege Christian Prigge und Hinz&Künztlerin<br />
Alexandra unterstützt. Das Restaurant hatte der<br />
<strong>Kunzt</strong>Küche nicht nur das Abendmenü geschenkt, sondern<br />
auch den Mittagstisch für eine ganze Woche.<br />
Küche. „Da gibt es schon Kommandos und Ansagen“,<br />
sagt Thomas. „Aber danach wird auch immer gelobt.<br />
Das tut gut, gerade wenn man Lob gar nicht mehr gewohnt<br />
ist.“<br />
Klar sind wir alle irgendwann ganz schön übermüdet,<br />
und natürlich passieren auch mal Pannen:<br />
Zweimal am selben Abend sind Tische überbucht.<br />
Aber die Gäste sind megaentspannt. Die einen wollen<br />
wiederkommen, die anderen quetschen sich zu sechst<br />
an einen Tisch und kommen gleich miteinander ins<br />
Gespräch. Einer schrieb ins Gästebuch: „So voll! Es<br />
war eine Erfahrung! Panikattacken und Seufzer der<br />
Freude.“ Und sprach uns damit aus dem Herzen. •<br />
Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />
So funktioniert die <strong>Kunzt</strong>Küche<br />
Die <strong>Kunzt</strong>Küche ist ein Geschenk von Hamburger<br />
Köchen zum 25. Geburtstag von Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Veranstalter<br />
sind die Clubkinder. Der gemeinnützige Verein<br />
hat die Cook Up culinary gallery für 25 Tage gemietet<br />
und zahlt auch die Gehälter der Hinz&Künztler, die als<br />
Küchenhilfen arbeiten. Fünf Euro des Menüpreises von<br />
30 Euro gehen an den Mittagstisch. Bleibt Geld übrig,<br />
fließt der Erlös an Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
11<br />
WENN UNSERE UMWELT<br />
NICHT FÜR DIE RENDITE<br />
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IST ES GUTES GELD.<br />
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Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>303</strong>/MAI <strong>2018</strong><br />
Meldungen (1)<br />
Politik & Soziales<br />
Schüler untersuchen den Wohnungsmarkt<br />
Mietpreise in Hamburg auf Rekordniveau<br />
In ganz Hamburg ziehen die Mietpreise weiter an. Das geht aus einer Analyse<br />
aktueller Wohnungsanzeigen durch Schüler des Gymnasiums Ohmoor hervor.<br />
Demnach liegt der durchschnittliche Quadratmeterpreis in Annoncen inzwischen<br />
bei 13,24 Euro netto kalt, 4,4 Prozent höher als noch im Vorjahr. Die teuersten<br />
Quartiere sind Uhlenhorst, HafenCity, Altstadt und St. Pauli. Ein Grund für den<br />
massiven Anstieg könnte sein, dass deutlich weniger Wohnungen auf dem freien<br />
Wohnungsmarkt landeten. Nur etwa 1100 Wohnungen, statt mehr als 2000 wie in<br />
den vergangenen Jahren, wurden überhaupt angeboten. Einen eklatanten Mangel<br />
an günstigen Wohnungen bescheinigt derzeit eine weitere Studie der Böckler-<br />
Stiftung. Den Negativrekord hält Berlin. Dort fehlen 310.000 Wohnungen, in<br />
Hamburg immerhin 150.000. Um die Wohnverhältnisse in urbanen Gebieten<br />
zu untersuchen, wurden die Daten des Mikrozensus aus dem Jahr 2014 für 77<br />
Großstädte in Deutschland ausgewertet. Demnach gibt jeder fünfte Hamburger<br />
Haushalt mehr als 40 Prozent seines Nettoeinkommens für Miete aus. JOF<br />
•<br />
Altona<br />
Bezirk beendet Leerstand<br />
Nach jahrelangem Leerstand wird<br />
eine Wohnung an der Elbchaussee<br />
wieder vermietet. Zuvor war die<br />
90 Quadratmeter große Wohnung<br />
offenbar illegal als Ferienwohnung<br />
vermietet worden. Nach Angaben<br />
eines Sprechers des Bezirksamts<br />
Altona wurden deswegen sogar<br />
Zwangsgelder in Höhe von 30.000<br />
Euro verhängt. Die Strafe wurde<br />
bezahlt, die Wohnung aber weiterhin<br />
nicht vermietet. Erst als der Bezirk<br />
jetzt mit einer Zwangsverwaltung<br />
drohte, wurde die Wohnung<br />
wieder regulär vermietet. JOF<br />
•<br />
Drohende Kosten durch Grundsteuerreform<br />
Gefahr für Mieter in Ballungsräumen<br />
Der Mieterverein zu Hamburg hat vor steigenden Kosten für Mieter durch die<br />
anstehende Reform der Grundsteuer gewarnt, da Vermieter die Steuer auf ihre<br />
Mieter umlegen dürfen. Die meisten Bundesländer sprechen sich für eine künftige<br />
Bemessung anhand des Marktwerts der Immobilie aus. „Sollte dieses Modell<br />
sich durchsetzen, werden alle Mieter in den Ballungsräumen zu den Verlierern<br />
gehören“, sagte Mieterverein-Chef Siegmund Chychla. Chychla plädiert dafür,<br />
dass Vermieter die Steuer künftig selbst zahlen müssen: „So kann man die Mieter<br />
am besten schützen.“ BELA<br />
•<br />
Netzwerk Recht auf Stadt<br />
Kooperation mit Mietervereinen<br />
Mieten-Move in Hamburg Stadt spart 130.000 Euro ein<br />
Kein anderes Thema beschäftigt die Seit 15 Jahren kooperiert die Stadt<br />
Hamburger derzeit so stark wie steigende<br />
Mieten. Das geht aus einer aknimmt<br />
die Mitgliedsbeiträge für<br />
mit den Mietervereinen und übertuellen<br />
Forsa-Umfrage hervor. Trotz Hilfeempfänger, die Stress mit ihrem<br />
hoher Neubauzahlen sind die Mietpreise<br />
laut Mietenspiegel in den ver-<br />
Die Stadt trägt die Miete der Hilfe-<br />
Vermieter haben. Aus gutem Grund:<br />
gangenen zehn Jahren um rund 30 empfänger. Die können sich durch<br />
Prozent gestiegen. Initiativen aus dem die Kooperation gegen unberechtigte<br />
Netzwerk Recht auf Stadt und das Forderungen der Vermieter wehren.<br />
Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot Das zahlte sich auch 2017 wieder aus:<br />
machen jetzt mobil und rufen am Die Beiträge betrugen zwar stattliche<br />
2. Juni zu einer Parade gegen Mietenwahnsinn<br />
und Verdrängung auf. Der 190.000 Euro. De facto musste die<br />
59.300 Euro, aber die Stadt sparte<br />
sogenannte Mieten-Move startet um Stadt also 130.000 Euro weniger<br />
13 Uhr am Spielbudenplatz. JOF<br />
•<br />
bezahlen. JOF<br />
•<br />
Bürgerschaft<br />
CDU gegen Saga-Mieterhöhung<br />
Für fünf Jahre will die CDU künftig<br />
Mieterhöhungen bei der Saga<br />
aussetzen. Diese Forderung erhob<br />
Mitte April der Fraktionsvorstand<br />
André Trepoll. Sogar Investoren will<br />
er das Leben erschweren. Auf städtischen<br />
Flächen sollen sie „für bis zu 30<br />
Jahren eine Miete deutlich unter den<br />
üblichen Marktpreisen garantieren“.<br />
Die Forderungen sind pikant. Zehn<br />
Jahre lang regierte die CDU in<br />
Hamburg, von 2001 bis 2011. Damals<br />
machte es nicht den Eindruck,<br />
als würden die Christdemokraten<br />
besonderen Wert auf das städtische<br />
Wohnungsunternehmen Saga legen.<br />
Ein Teil des Bestandes wurde gar<br />
veräußert und die Mieten der Saga<br />
schnellten um 25 Prozent in die<br />
Höhe. Damit nicht genug: Die Zahl<br />
der Sozialwohnungen schrumpfte<br />
dramatisch zusammen, weil kaum<br />
neue gebaut wurden: von 150.899<br />
auf 98.916. JOF<br />
•<br />
Mehr Infos und Nachrichten unter:<br />
www.hinzundkunzt.de<br />
12
NEU.<br />
FÜR HAMBURG.<br />
EINE STADT.<br />
EINE GESCHICHTE.<br />
EIN MAGAZIN.<br />
AUSGABE ACHT<br />
HAMBURG HISTORY LIVE<br />
WAS U N S ALLE VERBINDET: DIE GE<br />
SCHICH TE DER STADT U ND DES N O RDENS<br />
Die Relaunch-Ausgabe der<br />
HAMBURG HISTORY LIVE<br />
widmet sich den wilden Anfängen:<br />
Die Revolution in Hamburg<br />
erkämpft unsere Demokratie<br />
Die Neustadt offenbart den<br />
Ursprung unserer Hafenmetropole<br />
Der Künstler Jochen Hein spricht<br />
über die Ursache seiner Gemälde<br />
u. v. m.<br />
NEUSTADT<br />
Bewegtes Leben im<br />
Herzen Hamburgs<br />
JOCHEN HEIN<br />
Fotorealistische Studien<br />
von Mensch und Natur<br />
KLASSIZISMUS<br />
Meisterwerke dänischer<br />
Baukultur in Altona<br />
REVO<br />
LUTI<br />
ON<br />
IN HAMBURG<br />
ANNO 1918: AUFTAKT<br />
UNSERER DEMOKRATIE<br />
IM HANDEL UND ONLINE ERHÄLTLICH!<br />
www.hamburg-history-live.de
Esther Muinjangue<br />
engagiert sich für die<br />
Nama und Herero.<br />
Im Rathaus bedankte<br />
sie sich bei Kultursenator<br />
Brosda:<br />
„Wenn Angela Merkel<br />
und ihre Regierung<br />
Ihre Einstellung hätten,<br />
könnten wir das<br />
Problem morgen lösen.“<br />
Die Wunden sind noch<br />
nicht verheilt<br />
Vor 110 Jahren endete der deutsche Kolonialkrieg gegen die<br />
Völker der Nama und Herero. Bis heute stockt die Aufarbeitung der Verbrechen.<br />
Nachfahren der Opfer forderten jetzt in Hamburg Wiedergutmachung.<br />
TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Wenn der Schädel sprechen<br />
könnte, hätte er<br />
gesagt: „Bring mich<br />
nach Hause!“ Da ist sich<br />
Esther Muinjangue sicher. Sie konnte<br />
im Uniklinikum Eppendorf (UKE) den<br />
Herero-Schädel betrachten, der dort<br />
seit Jahrzehnten lagert. Den Menschen,<br />
zu dem der Kopf gehörte, trieben<br />
deutsche Soldaten 1904 im heutigen<br />
Namibia vermutlich in die Wüste, wo er<br />
verdurstete. Muinjangue sagt, sie fühle<br />
sich wie die Urenkelin des Schädels.<br />
Denn als Sprecherin des „Ovaherero<br />
Genocide Committees“ setzt sich die<br />
Dozentin für soziale Arbeit seit Jahren<br />
für Wiedergutmachung ein.<br />
Vertreter der Volksgruppen Herero<br />
und Nama waren im April nach Hamburg<br />
gekommen, um an einem Kongress<br />
teilzunehmen. Dabei besuchten<br />
sie auch Orte in der Stadt, an denen der<br />
Kolonialismus Spuren hinterlassen hat.<br />
Wie das UKE, wo neben dem Herero-<br />
Schädel mehr als 75 weitere menschliche<br />
Überreste gelagert sind, die nach<br />
der Kolonialzeit nach Hamburg gebracht<br />
worden waren.<br />
14<br />
„Man merkt bis heute im Stadtbild,<br />
dass Hamburg eine zentrale Rolle im<br />
deutschen Kolonialreich spielte“, sagt<br />
der Hamburger Geschichtswissenschaftler<br />
Jürgen Zimmerer. Vor allem<br />
der Hafen sei wichtig gewesen: Fast alle<br />
der 19.000 im Krieg von 1904–1908<br />
eingesetzten Soldaten wurden von hier<br />
in die Kolonie Deutsch-Südwestafrika<br />
verschifft. „Unter großer Anteilnahme<br />
der Bevölkerung“, sagt Zimmerer.<br />
Dort angekommen, beteiligten sie<br />
sich am Völkermord an den Nama und<br />
Herero. Der Befehl von Generalleut-
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
nant Lothar von Trotha war mehr als<br />
deutlich: „Innerhalb der deutschen<br />
Grenze wird jeder Herero mit oder ohne<br />
Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen,<br />
ich nehme keine Weiber und keine<br />
Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem<br />
Volke zurück oder lasse auch auf sie<br />
schießen.“ Bis zu 100.000 Menschen<br />
starben, 80 Prozent der Herero und die<br />
Hälfte der Nama verloren ihr Leben.<br />
Über Jahrzehnte tat man sich in<br />
Deutschland äußerst schwer mit der<br />
Auseinandersetzung mit den Verbrechen,<br />
die von den Kolonialisten begangen<br />
worden sind. Das hält teilweise bis<br />
heute an. Der Hamburger Senat hat<br />
immerhin 2014 beschlossen, das koloniale<br />
Erbe der Stadt aufzuarbeiten, und<br />
eine Forschungsstelle eingerichtet, die<br />
Jürgen Zimmerer leitet.<br />
Esther Muinjangue und ihre Mitstreiter<br />
hat der Senat nun zu einem<br />
Empfang ins Rathaus eingeladen. Kultursenator<br />
Carsten Brosda (SPD) gibt<br />
sich bei seiner Rede im prunkvollen<br />
Kaisersaal demütig: „Ich bitte Sie ausdrücklich<br />
um Vergebung für die Beteiligung<br />
unserer Stadt an dem Leid, das<br />
Ihren Vorfahren und Ihren Völkern in<br />
deutschem Namen angetan wurde und<br />
dessen verheerende Folgen bis heute<br />
nachwirken“, sagt er.<br />
Das Treffen in Hamburg steht<br />
dennoch unter dem Eindruck der<br />
Spannungen zwischen den Nama- und<br />
Herero-Organisationen und der Bundesregierung.<br />
Zwar erkennt diese inzwischen<br />
endlich den Völkermord an und<br />
verhandelt seit 2015 mit der namibischen<br />
Regierung über eine offizielle<br />
Entschuldigung und eine deutsch-namibische<br />
„Zukunftsstiftung“. Doch<br />
längst nicht alle Nachfahren der Opfer<br />
leben in Namibia – und ihre Organisationen<br />
sind an den Verhandlungen<br />
nicht beteiligt. Das macht sie wütend:<br />
„Gebt uns einen Platz am Verhandlungstisch!“,<br />
fordert Esther Muinjangue<br />
im Rathaus.<br />
„Wir sind diejenigen, die immer<br />
noch den Schmerz spüren“, sagt sie.<br />
„Die Wunden der Vergangenheit sind<br />
noch nicht verheilt.“ Was sie damit<br />
meint, erklärt sie später im Gespräch<br />
mit Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Ihre Urgroßmutter<br />
habe nach dem Krieg im Haus eines<br />
Deutschen gearbeitet, so wie viele<br />
„Ich bitte Sie<br />
ausdrücklich um<br />
Vergebung.“<br />
CARSTEN BROSDA, KULTURSENATOR<br />
Herero damals. „Dort wurde sie von<br />
einem deutschen Soldaten vergewaltigt“,<br />
erzählt Muinjangue. „In meinem<br />
Stammbaum gibt es einen weißen<br />
Fleck“, sagt sie. „Ich kannte meinen<br />
Urgroßvater nie und ich werde ihn<br />
nie kennen.“ Nur seinen Vornamen<br />
kennt sie: Matthias. Und sie weiß: Ihr<br />
Großvater ist das Produkt dieser Ver -<br />
gewaltigung.<br />
Beileibe kein Einzelfall. Und so<br />
verwundert es nicht, dass Nama und<br />
Herero für sich Gerechtigkeit einfordern.<br />
Doch ohne Reibung läuft die<br />
Wiedergutmachung selten ab. Das UKE<br />
etwa möchte den Herero-Schädel zwar<br />
nach Namibia überführen. „Die sterblichen<br />
Überreste sind weder in einer<br />
wissenschaftlichen Sammlung noch in<br />
einem Museum korrekt aufgehoben“,<br />
sagte schon vor einem Jahr Uwe Koch-<br />
Gromus, Dekan der medizinischen Fakultät<br />
der Universität. Doch seitdem hat<br />
sich nichts getan – obwohl sich das Auswärtige<br />
Amt der Sache angenommen<br />
und eigentlich eine Überführung für vergangenen<br />
Dezember angekündigt hatte.<br />
Am liebsten hätte das UKE nun den<br />
Schädel den Besuchern aus Namibia<br />
mitgegeben, so wie die es gefordert hatten.<br />
Doch Berlin plant die Rückgabe<br />
jetzt erst für den Sommer – und wohl<br />
ohne Beteiligung der Herero-Organisationen.<br />
Auf Nachfrage wollte sich die<br />
Bunderegierung aber nicht zu Details<br />
äußern.<br />
Den Hamburg-Besuch verbucht<br />
Esther Muinjangue dennoch als Erfolg,<br />
denn ihr geht es vor allem um Anerkennung.<br />
An Kultursenator Brosda gerichtet<br />
sagt sie: „Wenn Angela Merkel<br />
und ihre Regierung Ihre Einstellung<br />
hätten, könnten wir das Problem morgen<br />
lösen.“<br />
•<br />
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15
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Zahlen des Monats<br />
Das Diesel-Urteil und die Folgen<br />
Ein paar Straßenschilder<br />
reichen nicht<br />
6000<br />
Bundesbürger – mindestens! – sind allein 2014 an Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />
gestorben, die durch hohe Stickstoffdioxid-Belastungen ausgelöst wurden. Das ergaben<br />
wissenschaftliche Berechnungen im Auftrag des Umweltbundesamts (UBA).<br />
Der Studie zufolge sind zudem jeder siebte Fall von Asthma und jede zwölfte<br />
Diabetes-(Blutzucker-)Erkrankung auf das Atemgift zurückzuführen.<br />
Dazu UBA-Präsidentin Maria Krautzberger: „Gerade in den verkehrsreichen Städten<br />
besteht Handlungsbedarf.“<br />
Hauptverursacher von Stickstoffdioxid (kurz Stickoxid oder NO 2 ) sind Dieselfahrzeuge.<br />
Weil Deutschland die 2010 eingeführten EU-Grenzwerte für die Konzentration des<br />
Abgases bis heute vielerorts nicht einhält, droht die Europäische Kommission<br />
mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Vergangenes Jahr wurde<br />
die erlaubte Höchstbelastung in 70 deutschen Städten überschritten,<br />
auch in Hamburg. Sollte es zu einer Verurteilung kommen, drohen den Kommunen<br />
Strafzahlungen von bis zu 10.000 Euro pro Tag.<br />
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass Städte Fahrverbote verhängen<br />
dürfen, um die EU-Vorgaben durchzusetzen. Als Reaktion darauf hat der Senat zwei<br />
Durchfahrtsbeschränkungen beschlossen: Dieselfahrzeuge, die nicht der EU-Abgasnorm 6<br />
entsprechen, dürfen 600 Meter der Max-Brauer-Allee nicht mehr befahren, außerdem ist<br />
ein Stück der Stresemannstraße nun für Diesel-Lkw tabu. An beiden vielbefahrenen<br />
Straßen stehen zwei der vier Messstationen in Hamburg, die die Ignoranz von Politik und<br />
Behörden seit Jahren dokumentieren.<br />
Zwar wird das Atemgift durch die Durchfahrtsbeschränkungen nur umverteilt,<br />
doch versichert Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne): „Auf den Ausweichrouten wird es<br />
nicht zu neuen Überschreitungen der EU-Grenzwerte kommen.“ Jüngsten Messungen<br />
der Deutschen Umwelthilfe zufolge liegt die NO 2 -Konzentration an mindestens sieben<br />
weiteren Straßen in Hamburg über dem Erlaubten. Abgesehen davon halten<br />
Umweltbundesamt und Verbände Fahrverbote für ganze Stadtzonen für sinnvoller.<br />
Offen ist, inwieweit Bundesregierung und Europäische Union nun die Autoindustrie<br />
in die Haftung nehmen – immerhin haben mehrere Konzerne offenbar jahrelang<br />
Diesel-Pkw-Käufer und Politik betrogen. Software-Updates und Umtauschprämien<br />
reichen jedenfalls nicht, um die Luft, wie von der EU gefordert, zu verbessern,<br />
so Umweltbundesamt-Chefin Krautzberger: „Wir brauchen dringend die<br />
Hardware-Nachrüstung der Autos.“ Die allerdings lehnt die Autoindustrie bislang ab. •<br />
TEXT: ULRICH JONAS<br />
ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />
Mehr Infos im Internet unter www.umweltbundesamt.de und www.duh.de<br />
17
Betten für die einen,<br />
Platten für die anderen<br />
Nach dem Winternotprogramm sind viele Obdachlose wieder auf der Straße.<br />
Manche hatten Glück und konnten in eine andere Unterkunft umziehen.<br />
Die Chancen auf eine richtige Wohnung stehen schlecht.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER, BENJAMIN LAUFER<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
18
Stadtgespräch<br />
Die Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer<br />
Bonnie und Clyde müssen nun<br />
wieder sehen, wo sie ihre Habseligkeiten<br />
lagern können. Eine<br />
gemeinsame Unterkunft für<br />
Paare ist nur schwer zu finden.<br />
Eigentlich bräuchten sie alle eine<br />
Wohnung: In den letzten Tagen<br />
des Winternotprogramms für<br />
Obdachlose übernachteten teilweise fast<br />
800 Menschen in den Notunterkünften<br />
der Stadt. Am Dienstag nach Ostern<br />
mussten sie alle raus, das Winternotprogramm<br />
endete. Was ist aus ihnen geworden?<br />
231 Obdachlosen hat der Betreiber<br />
fördern&wohnen einen Platz in einer<br />
dauerhaften Unterkunft vermittelt. Für<br />
die Sozialbehörde ist die Zahl ein Erfolg.<br />
Sie bedeutet aber auch, dass den meisten<br />
Menschen im Winternotprogramm<br />
keine Perspektive geboten wurde.<br />
Am Morgen nach der letzten Nacht<br />
in der Notunterkunft an der Friesenstraße<br />
in Hammerbrook machen viele<br />
Obdachlose ein langes Gesicht. Wo sie<br />
jetzt schlafen werden? „Straße“, hören<br />
wir oft, meist in gebrochenem Deutsch.<br />
Die Hinz&Künztler Bonnie und Clyde<br />
können ihr Gepäck kaum tragen. Ihr<br />
Hab und Gut hatten sie die vergangenen<br />
Monate über im Schrank in ihrem<br />
Zimmer gelagert. Jetzt haben sie alles in<br />
diverse Rucksäcke, Plastiktaschen und<br />
einen Rollkoffer gepackt und kämpfen<br />
sich mit Mühe über den nassen Asphalt.<br />
Sie wollen damit zum Stützpunkt der<br />
Caritas am Klosterwall. Dort können<br />
Obdachlose tagsüber in 24 Schließfächern<br />
ihr Gepäck lagern.<br />
Die Zeit im Winternotprogramm<br />
hat den beiden sichtlich gut getan. Und<br />
eigentlich wollten sie auch nicht wieder<br />
auf die Straße zurück. Sie hatten darauf<br />
gehofft, aus der Einrichtung in der<br />
Friesenstraße heraus in eine dauerhafte<br />
Unterkunft umziehen zu können. Nur<br />
hätten die Sozialarbeiter ihnen dort<br />
keine Beratung angeboten, sagen Bonnieund<br />
Clyde. f&w widerspricht: „Nahezu<br />
jeden Abend“ sei ihnen ein Beratungsgespräch<br />
angeboten worden, das<br />
sie aber stets abgelehnt hätten. Die beiden<br />
weisen das empört zurück: „Das ist<br />
19<br />
eine Lüge!“, sagt Clyde. So oder so: Seit<br />
dem Ende des Winternotprogramms<br />
macht das Paar wieder Platte in der<br />
Mönckebergstraße. Sozialarbeiter der<br />
Diakonie setzen sich nun dafür ein, dass<br />
sie endlich einen Unterkunftsplatz bekommen.<br />
Doch für Paare, die gemeinsam<br />
wohnen wollen, sei das schwierig,<br />
sagen sie. Von einer eigenen Wohnung<br />
ganz zu schweigen.<br />
Am Dienstag<br />
nach Ostern<br />
mussten alle raus<br />
auf die Straße.<br />
Andere hatten mehr Glück: „Das ist<br />
jetzt mein Reich“, sagt Guido und öffnet<br />
die Tür zu seiner neuen Bleibe. Seit<br />
Anfang April lebt der Wohnungslose<br />
jetzt in der Unterkunft in Bergedorf,<br />
zusammen mit 160 weiteren alleinstehenden<br />
Männern. Gerade mal zwei<br />
Wochen habe er in der Friesenstraße<br />
übernachtet, doch für die Sozialarbeiter<br />
dort offenbar genug Zeit, eine Bleibe<br />
für ihn zu finden. „Da kann man wirklich<br />
von Glück reden“, sagt er.<br />
Und ob! Sein Zimmer ist allerdings<br />
karg eingerichtet: Ein Bett, ein Tisch,<br />
ein Kühlschrank. Auf der Fensterbank<br />
lagert er Bücher und anderen Besitz.<br />
Dem Raum sieht man an, dass hier länger<br />
nicht renoviert wurde. Guido stört<br />
das aber nicht: „Ich bin zufrieden“, sagt<br />
er. Bad und Küche teilt der Rheinländer<br />
sich mit einem Nachbarn. Und bald<br />
wird er sich auch das Zimmer teilen<br />
müssen – mit einem Mitbewohner. „Solange<br />
er mich in Ruhe lässt, ist mir das<br />
egal“, sagt Guido.
Guido hat Glück gehabt: Schon nach zwei Wochen im<br />
Winternotprogramm konnte er in eine Unterkunft in Bergedorf<br />
umziehen. Bald bekommt er einen Mitbewohner.<br />
Unterkunftsleiter Andi Lürssen berichtet,<br />
dass es auf den Zimmern oft Streit<br />
gibt. „Manchmal ist es schlimmer als<br />
im Kindergarten“, sagt er. Viele der Bewohner<br />
hier sind entweder Pflegefälle<br />
oder psychisch Kranke, viele hat das<br />
Leben auf der Straße hart gezeichnet.<br />
Menschen, für die es nirgendwo sonst<br />
in der Stadt einen Platz gibt – Lürssen<br />
kümmert sich mit seinem kleinen Team<br />
um sie, so gut es eben geht.<br />
Im vergangenen Jahr hätten gerade<br />
einmal zwei Bewohner in eine normale<br />
Wohnung umziehen können. Guido ist<br />
noch frohen Mutes, irgendwann etwas<br />
Eigenes zu finden – doch Lürssen<br />
macht ihm wenig Hoffnung. „In Hamburg<br />
findet man keine Wohnung“, sagt<br />
er. „Es ist katastrophal.“ Nicht selten<br />
blieben die Bewohner bis zum Tod hier<br />
wohnen: Endstation öffentlich-rechtliche<br />
Unterbringung.<br />
Die Sozialbehörde hat die Unterkunftsplätze<br />
für Wohnungslose zuletzt<br />
massiv ausgebaut – von rund 2600 im<br />
Jahr 2015 auf inzwischen mehr als<br />
4600. Einen Platz in einer solchen<br />
Einrichtung zu bekommen geht heute<br />
deutlich schneller als noch vor einigen<br />
Jahren. So konnte auch die Zahl der<br />
Oft bleiben<br />
Bewohner bis<br />
zum Tod in einer<br />
Unterkunft.<br />
Wohnungslosen, die die Behörde behelfsmäßig<br />
in Hotels untergebracht hat,<br />
stark reduziert werden – von 1610 im<br />
Jahr 2015 auf 76 Ende vergangenen<br />
Jahres. Dennoch reichen die Plätze<br />
noch immer nicht aus.<br />
20<br />
Schon im Januar 2017 hatte die Behörde<br />
einen zusätzlichen Bedarf von 1500<br />
Plätzen festgestellt – und das Ziel ausgegeben,<br />
diese binnen Jahresfrist zu<br />
schaffen. Doch bis März dieses Jahres<br />
fehlten davon immer noch 174. Die<br />
Unterkunft in der Friesenstraße hat die<br />
Behörde trotzdem erst mal geschlossen.<br />
Wie sie im Sommer genutzt werde, werde<br />
noch geprüft, hieß es.<br />
Und dann gibt es auf Hamburgs<br />
Straßen noch die vielen Obdachlosen,<br />
die auf eine städtische Unterkunft gar<br />
keine Chance haben. Der Rumäne Stelian<br />
schläft deswegen seit Anfang April<br />
wieder auf der Straße. Zwischendurch<br />
versuchte er, im Pik As unterzukommen.<br />
Doch aus dem städtischen Notasyl<br />
wurde er nach einer Woche erneut zurück<br />
auf die Straße geschickt.<br />
Laut Sozialbehörde hat der 61-Jährige<br />
keinen Anspruch auf einen Platz,<br />
weil er bislang in Deutschland keiner<br />
sozialversicherungspflichtigen Arbeit
Drei Fragen an Dr. Aoukal<br />
Boxer helfen<br />
Obdachlosen<br />
nachging. Vielmehr soll Stelian im Winternotprogramm<br />
während einer sogenannten<br />
Perspektivberatung gegenüber<br />
f&w angegeben haben, dass er vor zwei<br />
Jahren sein Haus in Rumänien verkauft<br />
habe. Mit den finanziellen Mitteln<br />
könne sich der Obdachlose selbst über<br />
Wasser halten, folgerten daraus die<br />
Mitarbeiter.<br />
Dabei hatte Stelian später beteuert,<br />
das Geld aus dem Hausverkauf nicht<br />
mehr zu besitzen. Er habe vielmehr<br />
Schulden. Vergeblich. Stelian erhielt im<br />
Winternotprogramm nicht einmal ein<br />
Bett. Er wurde auf die städtische Wärmestube<br />
verwiesen, wo er monatelang<br />
auf dem Fußboden schlief.<br />
Tatsächlich sieht Stelian nicht aus,<br />
wie man sich Obdachlose möglicherweise<br />
vorstellt. Frisch rasiert, ordentliche<br />
Kleidung und ein seriöses Auftreten.<br />
Er fällt nicht auf, wenn er tagsüber<br />
ziellos durch die Stadt streift. Mittags<br />
kehre er regelmäßig zum Essen in die<br />
Mit 61 Jahren auf der Straße: Stelian aus Rumänien hatte<br />
keinen Anspruch auf ein Bett im Winternotprogramm. Monatelang<br />
schlief er in der städtischen Wärmestube auf dem Fußboden.<br />
Tagesaufenthaltsstätte in der Bundesstraße<br />
ein, erzählt Stelian mithilfe eines<br />
Übersetzers.<br />
Inzwischen besucht er einen Sprachkurs<br />
bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Zusammen mit<br />
einem anderen obdachlosen Rumänen<br />
hat er sich zum Schlafen ein ruhiges<br />
Eckchen in der Stadt gesucht. Wo, das<br />
will er lieber nicht sagen.<br />
Stattdessen verrät der Senior, dass er<br />
sich für Tennis begeistert und schwärmt<br />
von rumänischen Tennisgrößen wie Ilie<br />
N stase und Ion Tiriac. Und er erzählt<br />
von seinen Zukunftsplänen: Am liebsten<br />
würde er als Platzwart arbeiten, Sand<br />
walzen, Linien nachziehen und Hobbysportlern<br />
beim Spielen zuschauen.<br />
Ein Traum, der vielleicht sogar Wirklichkeit<br />
werden könnte. Aber dafür<br />
bräuchte er, so wie auch Bonnie, Clyde<br />
und die anderen Obdachlosen, erst mal<br />
eine eigene richtige Wohnung. •<br />
Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Als die Temperaturen<br />
in Hamburg Anfang März<br />
weit unter den Gefrierpunkt sanken,<br />
öffneten die Boxer der Giants<br />
die Trainingshalle des Hamburger<br />
Boxverbandes für Obdachlose. Sie<br />
sind Verbandsarzt und haben die<br />
Menschen vor Ort untersucht.<br />
SAMIR AOUKAL: In der Halle<br />
schliefen 15 Obdachlose –<br />
die meisten kamen aus Rumänien.<br />
Sie hatten zuvor in<br />
einem Park geschlafen und<br />
befanden sich in einem kritischen<br />
Zustand.<br />
Woran konnte man das sehen?<br />
Sie hatten Erfrierungen an<br />
Füßen und Händen. Einer<br />
hatte schon stark geschwollene<br />
Hände, weil seine Blutzirkulation<br />
nicht mehr richtig<br />
funktionierte. Die Haut wird<br />
brüchig und kann sehr leicht<br />
reißen. Wenn das passiert,<br />
sind Infektionen bis hin zu einer<br />
Blutvergiftung möglich.<br />
Was hilft in solch einer Situation?<br />
Wärme und Hygiene sind<br />
enorm wichtig. Die Finger<br />
müssen eingecremt und<br />
Wunden verbunden werden.<br />
Drei, vier weitere Tage in der<br />
Kälte und man hätte seine<br />
Finger vielleicht amputieren<br />
müssen. Ich glaube, die Aktion<br />
der Boxer hat diesem Obdachlosen<br />
wohl seine Finger<br />
gerettet. •<br />
Samir Aoukal (39) ist Arzt des<br />
Hamburger Boxverbandes und<br />
betreut auch die Deutsche<br />
Box-Nationalmannschaft.<br />
21
Ein Foto aus<br />
besseren Tagen.<br />
Inzwischen wurden<br />
Ralf beide Beine<br />
amputiert.<br />
„Ich habe<br />
überlebt!“<br />
Die Geschichte von Ralf, der in den<br />
eisigen Märztagen fast erfroren wäre.<br />
TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />
FOTO: SYBILLE ARENDT<br />
Es fällt schwer, die Geschichte<br />
von Ralf zu erzählen. Ralf,<br />
der fast erfroren wäre, keine<br />
50 Meter von unserem<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Büro entfernt. Fast, wenn<br />
sich sein Kumpel Mike nicht auf die<br />
Suche nach ihm begeben hätte.<br />
„Kannst du mir mal helfen?“, hörte<br />
Mike aus einem Kleiderberg, in dem er<br />
keinen Menschen, geschweige denn seinen<br />
Freund Ralf vermutet hätte. „Wie<br />
ein Käfer“ auf dem Rücken lag Ralf<br />
da, erzählt uns Mike später. Die Hände<br />
blau gefroren. Er konnte sie nicht mehr<br />
bewegen. Er konnte sich überhaupt<br />
nicht mehr bewegen.<br />
Und jetzt besuchen mein Kollege<br />
Stephan Karrenbauer und ich Ralf im<br />
Krankenhaus. Und dieser Bär von einem<br />
Mann sitzt im Rollstuhl. Beide<br />
Beine bis zum Knie amputiert, Folge<br />
der schweren Erfrierungen. Die Fingerkuppen<br />
sind schwarz – sie werden auch<br />
noch abgenommen. „Eine Zwei-Meter-<br />
Matratze brauche ich jetzt nicht mehr“,<br />
sagt er. Seinen makabren Humor hat er<br />
jedenfalls behalten.<br />
Angefangen hatte alles in den eisigen<br />
Märztagen mit zweistelligen Minusgraden.<br />
Ralf, der alkoholkrank ist,<br />
„Auf die Straße<br />
muss ich jetzt<br />
bestimmt nicht<br />
mehr.“ RALF<br />
22<br />
hatte sich einen Magen-Darm-Virus<br />
eingefangen. Wir dachten, er sei bei einem<br />
Freund untergekommen. Aber den<br />
wollte er nicht anstecken – und ging zurück<br />
auf die Straße. Trotz seiner<br />
Krankheit schaffte es der 47-Jährige<br />
aufzustehen, rüberzugehen zum Einwohnermeldeamt,<br />
wo er die Toilette<br />
benutzte, runter an den Kiosk im<br />
Hauptbahnhof, wo er Nachschub an<br />
Bier und Apfelkorn kaufte und andere<br />
Obdachlose traf.<br />
„Schleichend ging es mir immer<br />
schlechter, aber das habe ich nicht richtig<br />
gemerkt“, sagt er. Er erinnert sich<br />
nur noch daran, dass ihm anfangs Passanten<br />
Wasser und etwas zu essen gegeben<br />
hätten. Virus, Alkohol und Kälte –<br />
das war zu viel. „Irgendwann war<br />
Feierabend.“ Mehrere Tage lang muss<br />
er weggetreten gewesen sein. Irgendwann<br />
kam er wieder zu sich. Wohl genau<br />
in dem Moment, als Mike an ihm<br />
vorbeiging. „Plötzlich habe ich ihn gesehen,<br />
wie durch einen Schleier.“ Mike<br />
rief sofort den Krankenwagen.<br />
Insgesamt 17 Jahre hat Ralf auf<br />
der Straße verbracht. Immer gut ausgestattet<br />
für die kalten Tage: Isomatte und<br />
drei Schlafsäcke. Ein Passant hatte ihm<br />
sogar noch einen Winterschlafsack ge-
Stadtgespräch<br />
schenkt. Natürlich wissen wir – und schreiben das ja<br />
immer wieder: Draußen schlafen ist lebensgefährlich.<br />
In den knapp 25 Jahren, in denen es Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
gibt, haben wir immer wieder Todesfälle gehabt, bei<br />
denen die Witterung auf jeden Fall eine Rolle spielte.<br />
Natürlich weiß auch Ralf, wie lebensgefährlich<br />
Obdachlosigkeit ist. Aber lautstark betonte er immer<br />
wieder, dass ihn keine zehn Pferde ins Winternotprogramm<br />
brächten. Was nur die halbe Wahrheit ist:<br />
Denn ein Bett hätte er schon gerne. Aber eben ein<br />
Einzelzimmer oder ein Zimmer zu zweit. Nicht in einer<br />
Großunterkunft, wo angeblich geklaut würde, wo<br />
es zu viele andere Menschen mit Problemen gibt –<br />
und wo er nicht trinken darf.<br />
Was er nur auf Nachfrage erzählt: Er hätte so<br />
gerne einen Platz in einem der Wohncontainer gehabt,<br />
die die Kirchen im Winter aufstellen. Um einen<br />
Platz dort zu ergattern, hat er zwei Nächte vor der<br />
Tagesaufenthaltsstätte in der Bundesstraße geschlafen.<br />
Hier werden Anfang November immer die rund 100<br />
Plätze vergeben. Diese Art von Winternotprogramm<br />
würden fast alle Obdachlosen annehmen: Man ist<br />
allein, höchstens zu zweit im Container, hat einen<br />
Schlüssel, kann kommen oder gehen, wann man will.<br />
Ralf ging bei der Vergabe der Containerplätze – wie<br />
so viele andere Obdachlose – leer aus.<br />
Derzeit steht Ralf unter Morphium, beweist vielleicht<br />
auch deshalb Galgenhumor. Wir sitzen verzagt<br />
vor ihm und er sagt Sätze wie: „Ey, Leute, ich habe<br />
überlebt!“ Und: „Auf die Straße brauche ich jetzt<br />
bestimmt nicht mehr.“<br />
Nein, bestimmt nicht! Was er sich wünscht? „20<br />
Quadratmeter mit Dusche und Toilette, dass ich mit<br />
dem Bus oder der Bahn gut hinkomme. Tisch, Fernseher,<br />
kleine Küche, mehr will ich doch gar nicht.“ Dann<br />
schaut er schelmisch: „Doch, mit den Krankenschwestern<br />
hier flirten.“ Eins ist jedenfalls klar. Unterkriegen<br />
lassen will Ralf sich nicht. Trotz alledem. •<br />
<br />
Museumsfrachter auf große Fahrt:<br />
Freitag, den 15. Juni <strong>2018</strong><br />
Fahrt auf der Elbe von Hamburg nach Cuxhaven<br />
Samstag, den 16. Juni <strong>2018</strong><br />
Fahrt auf der Elbe und dem Nord-Ostseee-Kanal (Cuxhaven-Rendsburg)<br />
Sonntag, den 17. Juni <strong>2018</strong><br />
Fahrt auf dem Nord-Ostsee-Kanal und der Kieler Förde (Rendsburg-Kiel)<br />
Freitag, den 29. Juni <strong>2018</strong><br />
Fahrt auf der Kieler Förde und dem Nord-Ostsee-Kanal (Kiel-Rendsburg)<br />
Samstag, den 30. Juni <strong>2018</strong><br />
Fahrt auf dem Nord-Ostseee-Kanal und der Elbe (Rendsburg-Cuxhaven)<br />
Sonntag, den 01. Juli <strong>2018</strong><br />
Fahrt auf der Elbe von Cuxhaven nach Hamburg<br />
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www.capsandiego.de<br />
Nähere Infos und die Termine finden Sie auf unserer<br />
Internetseite unter der Rubrik „Fahrten“.<br />
Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />
Obdachlose durchgehend unterbringen!<br />
Obdachlosigkeit ist lebensgefährlich. Das beweisen die<br />
Zahlen: Laut einer Studie der Hamburger Rechtsmedizin<br />
sterben Langzeit-Obdachlose in Hamburg durchschnittlich<br />
mit 47 Jahren. Die Hinz&Künztler, die in den<br />
vergangenen Jahren starben, waren durchschnittlich<br />
51 Jahre alt, und das, obwohl viele von ihnen wieder<br />
eine Wohnung hatten. Deshalb fordert die Obdachlosenhilfe<br />
wie auch Hinz&<strong>Kunzt</strong> seit Jahren, Obdachlose<br />
durchgehend unterzubringen – in Doppel- oder Einzelzimmern,<br />
und das Winternotprogramm ganztägig und<br />
für alle Menschen in Not zu öffnen.<br />
23<br />
HAMBURG 1918/19<br />
25.04.<strong>2018</strong> – 25.02.2019<br />
#hamburg18_19<br />
www.hamburg-18-19.de
Hafenleben<br />
hautnah<br />
Von<br />
der Industrie im Hafen geht eine<br />
Schönheit aus, die einem die Sprache<br />
verschlägt. Das war gestern und<br />
ist heute so. Im Hafenmuseum und am<br />
Kai der Stiftung Hamburg Maritim wird<br />
der Wandel im Hafen erlebbar.<br />
Wer dann noch das Glück hat, Taklern<br />
bei ihrem traditionellen Handwerk<br />
zuschauen zu dürfen, weiß genau,<br />
warum er Hamburg liebt.<br />
TEXT: ANNETTE WOYWODE<br />
FOTOS: LENA MAJA WÖHLER
Abgewrackter mobiler Baukran<br />
in erster Lage: Auf dem Gelände<br />
der Stiftung Hamburg<br />
Maritim gibt’s einen der tollsten<br />
Ausblicke auf die Stadt.
Die alten Krane<br />
wirken von unten<br />
fast wie eine<br />
Kathedrale –<br />
wenn es nicht<br />
so nach Hafen<br />
riechen würde.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Hafengeburtstag<br />
Takeln, ganz traditionell:<br />
Elena (unten) und Carla<br />
überholen Stahlseile, die zur<br />
historischen Viermastbark<br />
Peking gehören und an Deck<br />
die Masten aufrechthalten.<br />
Etwa die Hälfte dieses<br />
sogenannten „stehenden<br />
Gutes“ ist noch in so gutem<br />
Zustand, dass es restauriert<br />
werden kann. Den Rest<br />
fertigt das Takler-Team neu.<br />
H<br />
ier riecht es gut. Nach<br />
Holzteer, Metall und nach<br />
Arbeit. Und tatsächlich<br />
wurde in dem geräumigen<br />
Schuppen 50A auf dem Kleinen<br />
Grasbrook gerade noch kräftig geschuftet.<br />
Dicke, bis zu 250 Kilo schwere<br />
Drahtseile schlängelten sich quer durch<br />
das Schaudepot des Hamburger Hafenmuseums,<br />
aufgebockt auf Holzpaletten.<br />
Drum herum Frauen und Männer<br />
in Arbeitskluft: gelernte Bootsbauer,<br />
Tischler oder Segelmacher. Sie alle<br />
haben sich aufs Takeln spezialisiert, dieses<br />
historische Handwerk rund um die<br />
Stahlseile, die die Schiffsmasten aufrecht<br />
an Deck halten. Gerade überholen<br />
sie die Takelage des historischen<br />
Frachtseglers Peking, der vom Jahr<br />
1911 an zwischen Chile und Europa<br />
pendelte. Die Peking wird derzeit in der<br />
schleswig-holsteinischen Peterswerft<br />
in Wewelsfleth restauriert. Aber die<br />
Taklerarbeiten unter der Leitung von<br />
Jochen Gnass laufen in Hamburg. Bis<br />
Ende April konnte man im Museum<br />
dabei zuschauen. Wann dazu mal wieder<br />
Gelegenheit besteht, stand bei Redaktionsschluss<br />
noch nicht fest. Derzeit<br />
laufen die Arbeiten andernorts weiter.<br />
27<br />
Gerade ist Carla Enchelmaier dabei,<br />
mithilfe einer sogenannten Kleetkeule<br />
das zuvor schon mit Segeltuch ummantelte<br />
Drahtseil straff und lückenlos mit<br />
geteertem Garn zu umwickeln. Unermüdlich<br />
drückt sie den Stiel der Keule,<br />
die aussieht wie der zu groß geratene
Wie viel Kilogramm<br />
Bananen passen wohl<br />
in so einen Container?<br />
Es sind 21.600.<br />
Antworten auf diese<br />
und mehr spannende<br />
Fragen rund um den<br />
maritimen Warentransport<br />
sind im Hafenmuseum<br />
zu finden.<br />
Das Bild rechts zeigt<br />
einen VW-Käfer-<br />
Old timer mit originalem<br />
Lade geschirr – so als<br />
würde er gleich an<br />
Bord gehoben werden.<br />
Hammer eines Auktionators, um das<br />
Seil herum. Damit soll der darunterliegende<br />
Draht gegen Rost konserviert<br />
werden. Außerdem werden an der<br />
Takelage die Webeleinen befestigt, an<br />
denen man am Mast hochklettern<br />
kann. Die umwickelte Takelage hilft,<br />
1958 wurde der Stückgutfrachter<br />
MS Bleichen gebaut,<br />
er ist der letzte seiner Art.<br />
An Deck und auf der Brücke<br />
entspricht er modernen Anforderungen.<br />
Wer will, kann an<br />
Bord eine Führung mitmachen<br />
oder eine Fahrt buchen.<br />
dass die Webeleinen nicht verrutschen,<br />
erklärt Kollegin Elena Schwarz.<br />
Unermüdlich dreht Carla die<br />
Kleet keule – eine Sisyphusarbeit, angesichts<br />
des geschätzt 25 Meter langen<br />
Seiles. „Ich muss mir mal ’ne Schicht<br />
ausziehen“, schnauft sie und lacht.<br />
28<br />
Anstrengend ist das, bestätigt die<br />
29-Jährige, „aber dafür muss ich abends<br />
nicht ins Fitnessstudio“. „Außerdem<br />
kann man vieles durch gute Techniken<br />
ausgleichen“, sagt Elena. Die 28-Jährige<br />
takelt seit zwei Jahren, hat auch<br />
schon geholfen, die Rickmer Rickmers<br />
zu überholen.<br />
Viele Kniffe habe sie von Jochen<br />
Gnass gelernt, erzählt sie, denn als<br />
Lehrberuf gibt es dieses Traditionshandwerk<br />
schon seit Ende der 1970er-<br />
Jahre nicht mehr. Jochen Gnass selbst<br />
sagt, er habe Glück gehabt. „Ich bin in<br />
Övelgönne geboren und quasi im Mu-
Hafengeburtstag<br />
Unser Rat<br />
zählt.<br />
seumshafen aufgewachsen“, erzählt der 57-Jährige.<br />
Fürs klassische Takeln hat er sich schon früh interessiert,<br />
und damals gab es noch „alte Meister, die froh<br />
waren, ihr Handwerk weitergeben zu können“.<br />
Die Restaurierungsarbeiten an der Peking werden<br />
sich noch hinziehen. Voraussichtlich 2019 oder 2020<br />
soll das Projekt abgeschlossen sein. Dann wird die bei<br />
Blohm+Voss gebaute Viermastbark aus Schleswig-<br />
Holstein in ihren Heimathafen Hamburg zurückgeschleppt<br />
und am Kleinen Grasbrook festmachen –<br />
mitsamt der Takelage. •<br />
879 79-0<br />
Beim Strohhause 20<br />
Mieterverein zu Hamburg<br />
im Deutschen Mieterbund<br />
20097 Hamburg<br />
Fan werden<br />
mieterverein-hamburg.de<br />
Kontakt: annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />
E X TR ACA R D<br />
Hafenwelt zum Anfassen<br />
Das Hafenmuseum als Ableger des Museums der Arbeit<br />
unterhält seit 2005 im historischen Kaischuppen 50A<br />
ein Schaudepot. Auf rund 2500 Quadratmetern sind<br />
zahlreiche Objekte zur Hafenarbeit und Seefahrt,<br />
zum Hafenumschlag und Schiffbau ausgestellt: von<br />
Schiffsmodellen und Taucherausrüstung, Navigationsund<br />
Kommunikationstechnik bis hin zu Werkzeugen und<br />
Warenproben.<br />
Steigt der Besucher auf dem Außengelände über eine<br />
Flutschutzmauer, öffnet sich der Blick auf die Kaianlage,<br />
die gesäumt ist von gigantischen Hafenkranen. Auf dem<br />
Gelände der Stiftung Hamburg Maritim liegt die<br />
MS Bleichen vor Anker, zu sehen sind auch ein Schutensauger<br />
und ein Schwimmkran aus dem Jahr 1917.<br />
Hafenmuseum Hamburg, Australiastraße, Kopfbau<br />
Schuppen 50A, geöffnet Mo, Mi, Do und Fr von<br />
10–17 Uhr, Sa, So und feiertags von 10–18 Uhr,<br />
1. <strong>Mai</strong> geschlossen, 6,50/4 Euro, Kinder und Jugendliche<br />
unter 18 Jahren frei, www.hafenmuseum-hamburg.de<br />
29<br />
H<br />
I N Z & K U N Z T<br />
HINZ&KUNZT<br />
UND<br />
EXTRACARD<br />
WERDEN 25!<br />
EIN GANZES JAHR LANG<br />
BUCHEN UND SPAREN<br />
WWW.EXTRACARD.DE
EIN LEBEN<br />
OHNE ODO?<br />
„DA WÄRST DU<br />
IM ARSCH“<br />
Butter bei die Brötchen: zu Besuch in<br />
Odos Kaffeeklappe im Hamburger Hafen.<br />
TEXT: ANNETTE WOYWODE<br />
FOTOS: LENA MAJA WÖHLER<br />
Kurzer Zwischenstopp:<br />
Odo Mario Wehr bei der<br />
Containerpackstation Conpac.<br />
30
Der Mann fährt wie ein Wahnsinniger! Er ist im<br />
Verzug … Stau vor der Kattwykbrücke. Es ist 8<br />
Uhr, und Odo Mario Wehr ist auf dem Weg zum<br />
Hafenzoll. „Jetzt kannst du gleich mal sehen, wie<br />
ich mich da ankündigen muss!“, sagt der 46-Jährige. Fotografieren<br />
geht da gar nicht. Sicherheitsbestimmungen. So, wie<br />
Odo redet, rechnet seine Beifahrerin mit dem Schlimmsten:<br />
abtasten, durchleuchten, Ausweis vorzeigen, so was. Doch<br />
dann betritt Odo völlig unbehelligt das Gebäude und bleibt<br />
in einem langen Flur stehen, von dem links und rechts Büros<br />
abzweigen. Mit den Händen formt er einen Trichter vor dem<br />
Mund. Er holt tief Luft. Dann brüllt er: „Brötchen sind da!!!“<br />
Das war alles? Der Betreiber von „Odos Kaffeklappe“<br />
grinst zufrieden über den verdatterten Gesichtsausdruck seines<br />
Gastes. Ein bisschen Show machen, das liegt ihm. Dann<br />
versorgt er schnell die<br />
fröhlichen Zollbeamten, die<br />
dem Brötchenruf folgen und sich<br />
draußen am Wagen einfinden. Und weiter<br />
geht’s. Schließlich haben die Menschen, die im Hafen<br />
arbeiten – egal ob im Büro, auf der Werft oder in der Container-Packstation<br />
–, Hunger. Hunger auf Odos mit Spiegelei,<br />
Leberkäse oder Mettwurst belegte Brötchen, auf Frikadellen<br />
oder Croissants, die hinten in seinem Transporter verstaut<br />
liegen. Später dann auch auf ein warmes Mittagessen. Odo<br />
braust auf einem Rundparcours zu denen, die eine Bestellung<br />
aufgegeben haben. Und das sind einige, denn im Hafen<br />
gibt es kaum noch einen Imbiss, geschweige denn ein Restaurant<br />
(siehe Infokasten). Wer nicht in der Kantine essen kann<br />
oder will, ist froh über den Lieferservice.<br />
31
Hafengeburtstag<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>303</strong>/MAI <strong>2018</strong><br />
Meistens weiß Tanja eh, was die Kunden wollen. Viele kommen täglich, so wie Norbert. Kaffee trinken, schnacken, dann los zur Maloche.<br />
Die Spiegeleibrötchen sind der Renner, am besten noch mit Leberkäse drunter. Odo (rechts) sorgt immer für genügend Nachschub.<br />
Fünf Uhr früh. Lkw rumpeln laut über das Kopfsteinpflaster<br />
am Reiherdamm. Nur aus den beleuchteten, von außen vergitterten<br />
Fenstern eines Containers dringt Licht: Odos Kaffeeklappe.<br />
Wer von der drei mal sechs Meter kleinen Kiste<br />
unweit des Alten Elbtunnels nichts weiß, fährt glatt daran<br />
vorbei, so unscheinbar ist sie.<br />
32<br />
Drinnen quetschen sich drei<br />
Hafenarbeiter um einen Minitisch,<br />
auf dem eine Thermoskanne<br />
Kaffee, Einwegbecher,<br />
Milch, Zucker und Ketchup stehen.<br />
An der einen Wand lehnt<br />
ein Regal mit Süßkram, Pornoheftchen<br />
und hartem Alkohol, an<br />
der anderen ein Schrank mit Kakao und Erdbeermilch.<br />
Rechts vom Eingang Bierkisten und ein Tresen. Dahinter:<br />
Karin und Tanja, die den Laden schmeißen. Nachnamen?<br />
„Das interessiert hier keinen, hier duzen sich alle“, sagt Karin.<br />
Sie löst gerade Tanja ab. Die hat schon seit 1 Uhr nachts<br />
Brötchen aufgebacken, geschmiert und 100 Prozent gemüsefrei<br />
belegt. „Hier sind nur Männer“, sagt die 39-Jährige und<br />
lacht. „Männer wollen Fleisch, die essen kein Grünfutter.“<br />
Der Chef steht nur noch selten hinterm Tresen. 2001 hat<br />
Odo die Kaffeeklappe gegründet. „Früher“, erzählt er, „haben<br />
wir hier von Blohm+Voss gelebt.“ Aber 2008 kam die<br />
Wirtschaftskrise und brachte Kurzarbeit auf der Werft. Der<br />
Containerumschlag im Hafen sank und somit kamen auch<br />
weniger Lkw-Fahrer zu Odo. Der musste sich etwas einfallen<br />
lassen, um nicht in die Knie zu gehen – und baute seinen Lieferparcours<br />
auf. Auf der Peute<br />
„Hier sind nur Männer.<br />
Männer wollen Fleisch, die<br />
essen kein Grünfutter.“<br />
steht ein zweiter Containerimbiss.<br />
Dort brutzelt und kocht<br />
ein Team das, was Odo anschließend<br />
ausliefert. Auch die<br />
Kaffeeklappe am Reiherdamm<br />
fährt er auf der Tour<br />
immer wieder an und bringt<br />
frischen Nudel- und Kartoffelsalat<br />
oder Suppe. Gekocht wird hier nicht, hier gibt es nämlich<br />
nicht mal einen Wasseranschluss. Das Wasser für den<br />
frisch gebrühten Kaffee kommt aus Kanistern. Und gerade<br />
bringt ein Mann aus einem benachbarten Büro einen Eimer<br />
mit heißem Putzwasser rum. Nett ist das. „Ja“, sagt Karin<br />
und lacht, „aber die sagen, ich bin auch nett.“<br />
Karin ist 68 Jahre alt, hat aber das Lachen eines jungen<br />
Mädchens. Seit zehn Jahren arbeitet sie in Odos Kaffeeklappe.<br />
Mit den Hafenarbeitern kommt sie super zurecht. Man<br />
müsse halt Kontra geben können: „Mein Chef sagt immer,<br />
KARIN
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Hafengeburtstag<br />
du hast nicht das letzte Wort, du hast das allerletzte Wort“,<br />
erzählt sie. Tanja pflichtet bei: „So ’ne zarte Büro pflanze<br />
dürfte hier nicht rein. Der Hafenschnack ist ehrlich und direkt,<br />
und wenn einer Mist baut, sagt man auch: ,Du Arsch.‘“<br />
Gerade ist der Kaffee am Minitisch alle. Ein Arbeiter<br />
reicht die Thermoskanne über den Tresen. „Wolln wir mal<br />
tauschen?“, fragt er und nimmt eine volle Kanne entgegen.<br />
„Hier muss jeder mitarbeiten“, sagt Karin fröhlich. „Genau<br />
wie zu Hause.“ Die Männer lachen. Sie sind Lagerarbeiter,<br />
Bordkontrolleure, Staplerfahrer oder Kutscher. Kutscher?<br />
„Wir fahren im Hafen rum“, erklärt einer, „von einem Imbiss<br />
zum anderen.“ Aber nee, im Ernst. Wenn es Odos Kaffeeklappe<br />
nicht gäbe, „da wärst du im Arsch. Da musst du zur<br />
Tanke.“ Wäre Ex-Bürgermeister Ole von Beust nicht gewesen,<br />
hätte Odo 2008 schon dichtmachen müssen. Die Hamburg<br />
Port Authority fand, Odos Kaffeeklappe sei nicht hafenkonform<br />
und wollte den Weiterbetrieb nicht genehmigen.<br />
Aber Odo sammelte Unterschriften bei seinen Kunden.<br />
„Und dann ist von Beust hier persönlich mit einem neuen<br />
Mietvertrag aufgeschlagen“, erzählt Thomas. „Musst du mal<br />
in der Bild-Zeitung nachlesen.“<br />
Er und sein Kollege Norbert treffen sich hier jeden<br />
Morgen, trinken Kaffee, quatschen für zehn Minuten. Man<br />
kriegt viel mit hier über die Stimmung im Hafen. Zumindest<br />
unter den Lkw-Fahrern scheint die momentan nicht so rosig<br />
zu sein. Gerade kommt Isa rein, eine der wenigen Frauen, die<br />
man hier zu Gesicht bekommt. Sie hat erst vor Kurzem ihren<br />
Lkw-Führerschein gemacht – „das Kind ist groß und jetzt<br />
startet die Alte noch mal durch“ – und ist gestern Abend ihren<br />
Container nicht mehr losgeworden. Seit Ende November<br />
vergangenen Jahres dürfen Container-Trucker die Terminals<br />
nur noch anfahren, wenn sie zuvor einen „Slot“ gebucht<br />
haben. Eigentlich soll der Containertransport im Hafen<br />
dadurch schneller und effizienter werden, „aber man wird<br />
dadurch nur noch ausgebremst“, schimpft ein Brummifahrer.<br />
„Die müssen da was ändern, so kann man kein Geld mehr<br />
verdienen.“ Isa sieht’s entspannter. Für den Moment zumindest,<br />
denn so musste sie hier im Lkw pennen und konnte jetzt<br />
noch schnell bei Odo rein: „Die Brötchen sind super toll, der<br />
Pott Kaffee ist super gut und günstig und die Menschen hinterm<br />
Tresen sind immer gut gelaunt.“<br />
Nu aber genug gesabbelt. Isa verabschiedet sich. Sie fährt<br />
jetzt rüber nach Wismar. Und auch Odo muss weiter. Vorhin<br />
hatte er auf seiner Rundtour keine Frikadellen dabei, obwohl<br />
ein Kunde immer welche bestellt. Der war nun total enttäuscht:<br />
„Was, keine Frickies heute?“ Gaaaanz langes Gesicht.<br />
„Ich komm nachher noch mal rum“, hat Odo fest versprochen.<br />
Seit 0 Uhr ist er auf den Beinen, wirkt aber noch<br />
immer topfit. Gegen 15 Uhr macht er Feierabend. Dann<br />
nach Hause und „Entertainment“ für die vier Kinder.<br />
Irgendwas Aktives machen, Halbmarathon laufen zum<br />
Beispiel. Wann schläft der Mann? „Früher habe ich gesagt,<br />
Ende des Monats, aber das haut auch nicht mehr hin.“ Nun<br />
aber los. Zwei „Frickies“ liegen in Folie verpackt hinten im<br />
Wagen. Noch sind sie schön warm. •<br />
Kontakt: annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />
Odos Kaffeeklappe,<br />
Reiherdamm 10, geöffnet Mo–Do, 3–16 Uhr, und Fr, 3–14 Uhr<br />
Kaffeeklappen<br />
1887 wurde der „Verein für Volkskaffeehallen“ gegründet. Seine<br />
Aufgabe im Hafen war es, „den weniger Bemittelten möglichst<br />
billige und der Gesundheit förderliche Speisen und Getränke“<br />
anzubieten, heißt es im „Kleinen Lexikon der Hafenberufe und<br />
-einrichtungen“, einer Reihe von Flyern, die im Hafenmuseum<br />
Hamburg (siehe auch Seite 24) ausliegen. Die Hafenarbeiter<br />
nannten die Volkskaffeehallen schnell einfach nur Kaffeeklappen,<br />
da Speisen und Getränke meist durch eine Klappe ausgegeben<br />
wurden. Um 1914 gab es circa 20 Kaffeeklappen im<br />
Hafengebiet. Sie hatten auch eine wichtige soziale Funktion, da<br />
sich die Arbeiter hier untereinander austauschten. 1985 wurde<br />
die letzte Kaffeeklappe im Kaiser-Wilhelm-Hafen geschlossen.<br />
Eine bewirtschaftete, historische Hamburger Klappe befindet<br />
sich – stark verkleinert – heute nur noch im Hafenmuseum.<br />
33
Acht einsame Monate<br />
auf hoher See<br />
Zehn Millionen philippinische Arbeitsmigranten schuften weltweit fürs Überleben –<br />
so wie Angelito und seine Kollegen auf einem Frachtschiff irgendwo im Ärmelkanal.<br />
TEXT UND FOTOS: KLAUS PETRUS<br />
34
Hafengeburtstag<br />
Trotz mieser Löhne erwirtschaften<br />
philippinische Arbeitsmigranten<br />
20 Milliarden Dollar jährlich. Nur wenig<br />
davon bleibt bei den Arbeitern hängen.<br />
Reis, gedörrter Fisch, Sojasoße, eine<br />
Flasche Cola. In Wahrheit ist ihm nicht<br />
nach Reden, dem Bootsmann aus Manila,<br />
denn er ist krank vor Heimweh,<br />
munkeln die anderen. Angelito, seit einem<br />
dreiviertel Jahr ununterbrochen<br />
auf See, ist einer von sechs Filipinos an<br />
Bord. Die anderen fünf – der Kapitän,<br />
seine Offiziere, die Ingenieure – sind<br />
Russen und mit Ausnahme von Vladimir<br />
mürrisch. Kein Scherz, kein Anflug<br />
von einem heiteren Lächeln, kein sinnreicher<br />
Seufzer. Nicht einmal ein Wort<br />
der Begrüßung für die Filipinos, nur<br />
Befehle und ein anmaßendes Knurren<br />
den ganzen Tag.<br />
„Philippinische<br />
Seeleute kosten<br />
fast nichts.“ DENIS, OFFIZIER<br />
Sie haben keine Ahnung, wie eng<br />
es hier sein kann. 130 Meter<br />
vorwärts, 15 Meter nach rechts,<br />
130 Meter zurück, hi nab in den<br />
Maschinenraum, ein paar Decks hoch<br />
auf die Kommandobrücke, runter in<br />
die Kabine, zwei auf drei Meter, eine<br />
Koje, ein Tisch, eine Toilette, basta.<br />
Und das Tage, Wochen, ganze Monate<br />
lang. Rundherum nur Wasser und Wellen<br />
und Wind und Wetter. Und manchmal<br />
ein Hafen, so gigantisch, als wäre<br />
er nicht von dieser Welt.<br />
Der Horizont ist hinter dem Nebel<br />
verschwunden und mehr als tausend<br />
Container wippen auf und ab, rote, gelbe,<br />
grüne, blaue, graue, weiße. Ich bin<br />
auf einem Frachter irgendwo zwischen<br />
Rotterdam und Dublin, und Angelito,<br />
55, sagt: „Wir reden nicht viel.“ Das<br />
klingt wie eine Entschuldigung. Es ist<br />
Mittag, auf dem Tisch stehen Salat,<br />
35<br />
Dabei sind die philippinischen Seefahrer,<br />
weltweit um die 300.000, angeblich<br />
so beliebt: „Sie reden Englisch, sind anständig,<br />
flexibel, willig, genügsam“, sagt<br />
Denis, erster Offizier, leicht untersetzt<br />
und noch knurriger als die anderen.<br />
Sein Gesicht grinst. „Und sie kosten fast<br />
nichts.“ Die perfekte Investition also für<br />
alle Treiber und Profiteure einer Globalisierung,<br />
die ohne Schifffahrt gar nicht<br />
auszumalen wäre.<br />
Ob Bananen, Autotüren, T-Shirts,<br />
Kugelschreiber oder Kopfkissen: 90<br />
Prozent aller Waren, die wir kaufen,<br />
werden verschifft. 60.000 Frachter<br />
durchkreuzen jedes Jahr die Weltmeere,<br />
beladen mit 500 Millionen Containern,<br />
die 1964 auf 8 Fuß Breite (2438 Meter)<br />
und 20 bzw. 40 Fuß (6096 Meter beziehungsweise<br />
12.192 Meter) Höhe normiert<br />
wurden und seither auf jeden Laster<br />
und Güterzug der Welt passen. Mit<br />
diesen Stahlkisten ist der Transport auf<br />
hoher See überhaupt erst rentabel, da
ichtig billig geworden. Entfernungen<br />
spielen keine Rolle mehr. Heute lassen<br />
sich 20 Tonnen beliebigen Frachtguts<br />
für gerade mal 300 Euro über den Pazifik<br />
verschiffen. Wer seinen Lachs, in<br />
norwegischen Gewässern gefangen,<br />
nicht in China filetieren lässt, um ihn<br />
dann auf dem Fischmarkt in Bergen zu<br />
verkaufen, dem ist nicht zu helfen.<br />
Zwar brauchen die Frachter Tage<br />
oder gar Wochen von einem Hafen<br />
zum anderen, doch das machen sie mit<br />
ihrem Volumen wett. Und das wächst<br />
und wächst. 1997 setzte die Susan<br />
Maersk mit ihren 6600 Containern<br />
neue Standards, weniger als 20 Jahre<br />
später sticht die Al Muraykh mit 18.600<br />
Containern in See. Und es werden noch<br />
mehr sein, sagen die Experten; sie setzen<br />
die Obergrenze bei 30.000 Behältern<br />
an. Das wäre Platz für umgerechnet<br />
1333 Milliarden Bananen. Macht<br />
eine Banane für jeden Inder. Plus eine<br />
für alle in Deutschland und eine für die<br />
Schweizer. Unvorstellbar viele Bananen<br />
auf nur einem Frachter wären das.<br />
Dass viele Reedereien so hemmungslos<br />
Profit schlagen – die dänische<br />
Maersk erzielt mit ihren 90.000 Angestellten<br />
Jahresumsätze bis 50 Milliarden<br />
Dollar, das ist fast so viel wie Google –,<br />
geht auf Kosten der Seeleute. „Wir arbeiten<br />
70 Stunden die Woche, einen<br />
Mindestlohn haben wir nicht.“ Auch<br />
deshalb würden viele Reedereien unter<br />
fremder Flagge fahren – von Panama<br />
etwa oder Gibraltar –, um Löhne und<br />
Steuern einzusparen, erklärt Angelito.<br />
„Wir arbeiten<br />
70 Stunden die<br />
Woche, ohne<br />
Mindestlohn.“<br />
ANGELITO, SEEMANN<br />
Aber er will nicht klagen. Es ist, wie es<br />
ist, und er weiß: Hier hat er seine Heuer,<br />
zu Hause wäre er, mit seinen 55 Jahren,<br />
ohne Arbeit und Ansehen. Aber<br />
der Preis ist hoch. „Wir sind acht Monate<br />
im Jahr auf dem Schiff. Dann fliegen<br />
wir nach Hause und hoffen auf den<br />
nächsten Vertrag. Wenn einer von uns<br />
nicht kann, stehen zehn andere bereit.“<br />
In seinen 30 Jahren Seefahrt war<br />
Angelito nur zweimal an Weihnachten<br />
36<br />
daheim, die Geburtstage seiner Töchter<br />
ziehen an ihm vorüber wie Kreuzfahrtschiffe<br />
und seine Frau hat er schwanger,<br />
mit großem Bauch und Blumen im<br />
Haar, nur auf Bildern gesehen. Die<br />
meiste Zeit haben die Seemänner weder<br />
Telefonverbindung noch Internet.<br />
Dann sitzen sie – zwischen Schrubben,<br />
Schmieren, Schweißen, Löten, Hämmern,<br />
Ölen, Pinseln und dem Abwasch<br />
– in ihrer Kajüte, schauen sich Videos<br />
an oder hören am Fernsehen einem<br />
Prediger zu. Lange Tage und lange<br />
Nächte sind das, sagt Angelito, aber was<br />
will man machen.<br />
Mehr Sorgen bereiten ihm die<br />
Kopf schmerzen, dieses dumpfe, schwerfällige<br />
Klopfen im Schädel, das nicht<br />
mehr aufhören will seit ein paar Jahren.<br />
Das kommt mit dem Alter, meint Angelito,<br />
der nie ruhig ist. Oder vom Wind,<br />
vom Krachen der Wellen, dem schlechten<br />
Schlaf, dem Gestank der Motoren,<br />
dem schweren, trüben Himmel, der<br />
ewigen Sehnsucht. Oder vom ranzigen<br />
Fett aus der Schiffsküche?, frage ich.<br />
Wer weiß, sagt Angelito.<br />
Philip rollt mit den Augen, solche<br />
Späße mag er nicht. Der Filippino, mit<br />
Jahrgang 1982 der Jüngste an Bord,<br />
stellt die Pfanne mit dem Fisch vom
Lange Tage, lange Nächte: Seit<br />
30 Jahren fährt Angelito zur See.<br />
Die Arbeit ist hart, die Zeit an Bord<br />
vergeht nur langsam. Weihnachtsfeste<br />
mit der Familie hat der<br />
Seemann von den Philippinen<br />
ebenso verpasst wie die Geburtstage<br />
seiner Kinder. An Land noch<br />
mal neu anzufangen will er mit<br />
55 Jahren nicht mehr riskieren.<br />
Herd und wäscht Kartoffeln. Das Kochen<br />
hat ihm die Großmutter beigebracht.<br />
Später belegte er in Manila<br />
Kurse der Philippinischen Behörde für<br />
Arbeiter in Übersee (POEA), eine staatliche<br />
Einrichtung mit dem Ziel, die Jugend<br />
des 100 Millionen Inselstaates für<br />
die Arbeit im Ausland fit zu machen: als<br />
Krankenpfleger, Hausangestellter, Barmixer,<br />
Fensterputzer, Installateur oder<br />
Schiffskoch.<br />
Für die Regierung ist das ein flottes<br />
Geschäft. Die zehn Millionen philippinischen<br />
Arbeitsmigranten bringen jedes<br />
Jahr zwischen 15 und 20 Milliarden<br />
US-Dollar nach Hause. Das sind fast<br />
zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts<br />
eines Landes, in dem immer noch jeder<br />
Dritte ohne Arbeit ist.<br />
Seit gut zehn Jahren ist Philip jetzt<br />
auf See, er würde eine andere Arbeit<br />
nehmen, wenn er könnte, das spürt<br />
man. Eine bei ihm zu Hause. Um bei<br />
den Kindern zu sein, bei seiner Frau,<br />
den Eltern, die ihm alles bedeuten. Wie<br />
die anderen, schickt auch er jeden Monat<br />
pünktlich seinen Verdienst nach<br />
Manila. Doch investieren kann er nicht,<br />
das Geld versickert. „Unser Problem<br />
sind nicht die Taifune, es sind die Korrupten,<br />
Dubiosen, Kriminellen. Gottlob<br />
räumt unser Präsident jetzt auf.“ Ihr<br />
Präsident, das ist Rodrigo Duterte, 73<br />
Jahre alt. Beim Amtsantritt im Juni<br />
2016 versprach er, allen Verbrechern in<br />
seinem Land das Leben zur Hölle zu<br />
machen, mindestens. Inzwischen sind<br />
die Gefängnisse überfüllt, Tausende<br />
Verdächtigte wurden hingerichtet.<br />
Das ist nach Philips Gusto, er steht<br />
dazu. Und ist damit nicht allein. Während<br />
der Westen Dutertes Menschenjagd<br />
verurteilt, verehren ihn viele Filipinos<br />
als Messias. Dass sich dieser Erlöser<br />
37<br />
gerne mit Hitler vergleicht, scheint niemanden<br />
zu stören. Nur einmal war Philip,<br />
der zweifache Familienvater und<br />
tiefgläubige Katholik, über seinen Präsidenten<br />
entsetzt. In einer Rede hatte dieser<br />
nicht bloß Obama einen „Hurensohn“<br />
genannt, sondern auch den Papst.<br />
Das war unerhört. Davon abgesehen ist<br />
Dutertes Kurs, sagt Philip, aber genau<br />
richtig, weil rabiat.<br />
„Erst wenn wir die Korruption und<br />
Kriminalität in den Griff bekommen,<br />
können wir unser Geld anlegen und an<br />
der Zukunft bauen.“ Philip, der Schiffskoch,<br />
redet auf einmal wie ein Politiker.<br />
Dabei ist sein Blick voller Fragen, wie<br />
der eines Kindes, das man beschützen<br />
möchte.<br />
Die nächsten Jahre will Philip noch<br />
sparen. Ein Haus für seine Familie<br />
möchte er bauen, ein zweites für die Eltern,<br />
und wenn es reicht, ein kleines<br />
Geschäft für seine Frau, etwas mit<br />
Schmuck oder feinen Kleidern soll es<br />
sein. Dass Arbeitsmigranten wie er ihre<br />
besten Jahre in der Fremde hergeben,<br />
müsse sich am Ende doch lohnen, sagt<br />
Philip. „Hier draußen sind wir allein.<br />
Aber daheim sind wir Helden.“ •<br />
Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>303</strong>/MAI <strong>2018</strong><br />
Meldungen (2)<br />
Politik & Soziales<br />
Augenwischerei“, sagt Petersen. „Die verlängerten Öffnungszeiten wurden öffentlich<br />
nicht beworben. Viele Obdachlose wussten daher nicht Bescheid.“ JOF<br />
Nach einer ersten Untersuchung vor<br />
•<br />
Ort sagte eine Polizeisprecherin, ein<br />
Bewohner sei wohl bereits einige<br />
Ein besonderer Tag im Leben von<br />
Jörg Petersen: Der ehemalige Obdachlose<br />
überreichte am 7. Februar<br />
im Rathaus die Online-Petition.<br />
Online-Petition zum Winternotprogramm<br />
Billbrook<br />
Hausmeister findet zwei<br />
Post für Hinz&Künztler Jörg<br />
Tote in Wohnheim für<br />
Hamburg wird auch in Zukunft das Winternotprogramm für Obdachlose nicht<br />
tagsüber und für alle öffnen. Gefordert hatte das der ehemalige Obdachlose Jörg<br />
Petersen zusammen mit Hinz&<strong>Kunzt</strong> und dafür online 94.983 Unterschriften<br />
gesammelt. Ende März, anderthalb Monate nach der Petitionsübergabe, erhielt<br />
der Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer jetzt die Ablehnung durch die Senatskanzlei in einem<br />
persönlichen Schreiben. Eine generelle Tagesöffnung sei nicht möglich. Während<br />
der Kältewelle habe man aber die Öffnungszeiten erweitert. „Das ist doch<br />
Wohnungslose<br />
In einer Unterkunft für wohnungslose<br />
Männer in Hamburg-Billbrook hat<br />
ein Hausmeister die Leichen zweier<br />
58-jähriger Bewohner gefunden.<br />
Einer lag im Bett, der andere saß<br />
nach Angaben der Polizei daneben.<br />
Tage früher verstorben als der<br />
Hamburger Spendenparlament Eichtalpark in Wandsbek<br />
andere. Er sei erst vor Kurzem aus<br />
Hilfe für Obdachlosenprojekte Obdachloser ertrinkt im Fluss dem Krankenhaus entlassen worden.<br />
weiterhin Menschen in Not kostenlos Blutalkoholgehalt. Fremdeinwirkung oder Suizid. Eine Obduktion soll<br />
juristisch beraten lassen. SIM/JOF<br />
•<br />
wurde ausgeschlossen. JOF<br />
•<br />
die Todesursache klären. BELA<br />
•<br />
Mit 44.000 Euro unterstützt das<br />
Hamburger Spendenparlament zwei<br />
Projekte für Obdachlose: 27.000 Euro<br />
gehen an die Praxis ohne Grenzen,<br />
die täglich Menschen ohne Krankenversicherung<br />
versorgt, vor allem Obdachlose<br />
und Migranten. Ein finanzieller<br />
Engpass wiederum wird bei der<br />
Law Clinic abgefedert. Dadurch können<br />
sich an der Bucerius Law School<br />
Anfang April entdeckte ein Spaziergänger<br />
einen Leichnam in der<br />
Wandse. Bei dem Toten handelte es<br />
sich um einen 46-jährigen Obdachlosen,<br />
der nach Zeugenaussagen in<br />
einem Zelt unweit des Fundortes<br />
genächtigt hatte. Der Obdachlose war<br />
ertrunken, wurde bei der anschließenden<br />
Obduktion festgestellt. Zum<br />
Todeszeitpunkt hatte er einen hohen<br />
Fünf Tage zuvor habe ein Mitarbeiter<br />
der Unterkunft bei einem<br />
routinemäßigen Rundgang einen<br />
der Bewohner an seiner Zimmertür<br />
angetroffen, sagte die Sprecherin<br />
des Betreibers fördern&wohnen,<br />
Susanne Schwendtke: „Der Mann<br />
sagte, es ginge ihm gut.“<br />
Laut Polizei gab es zunächst keine<br />
Hinweise auf Fremdverschulden<br />
38<br />
FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Debatte über Hartz IV<br />
Scheele will Miet-Sanktionen abschaffen<br />
Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, hat<br />
sich dafür ausgesprochen, die Zahlungen der Mietkosten bei Verstößen gegen<br />
Auflagen der Jobcenter nicht mehr wie bislang üblich zu kürzen. „Drohende<br />
Wohnungslosigkeit hilft uns bei der Vermittlung und auch sonst nicht weiter“,<br />
sagte der frühere Hamburger Sozialsenator. Auch Sanktionen bei jugendlichen<br />
Hartz-IV-Empfängern kritisierte Scheele. Ihnen werden bislang bereits beim<br />
ersten Regelverstoß, der über ein sogenanntes Meldeversäumnis hinausgeht, zu<br />
100 Prozent die Sozialleistungen gestrichen. Kommt innerhalb eines Jahres ein<br />
weiterer Pflichtverstoß dazu, kann auch die Miete gekürzt werden. „Das bereitet<br />
uns Sorge, weil die strikten Sonderregelungen bei Jugendlichen zu besonders<br />
einschneidenden Leistungskürzungen führen“, sagte Scheele. Innerhalb der SPD<br />
läuft seit Ende März eine Debatte über eine Reform von Hartz IV, die Berlins<br />
Bürgermeister Michael Müller losgetreten hatte. Parteiintern gehen die<br />
Meinungen stark auseinander: von der Forderung nach der Einrichtung eines<br />
„sozialen Arbeitsmarkts“ bis hin zur Abschaffung von Hartz IV. BELA<br />
•<br />
Hartz-IV-Empfänger<br />
Immer länger arbeitslos<br />
Hartz-IV-Empfänger bleiben immer<br />
länger ohne Job: Waren sie 2011 noch<br />
durchschnittlich 555 Tage arbeitslos,<br />
stieg die Dauer bis 2017 auf 650 Tage<br />
an. Auf diese Zahlen der Arbeitsagentur<br />
hat die Bundestagsabgeordnete<br />
Sabine Zimmermann (Linke) hingewiesen<br />
und mehr Geld für die Unterstützung<br />
Langzeitarbeitsloser gefordert.<br />
Bundesarbeitsminister Hubertus<br />
Heil (SPD) hat genau das angekündigt:<br />
Die Regierung werde in den<br />
kommenden vier Jahren vier<br />
Milliarden Euro für „Qualifizierung,<br />
Vermittlung und Reintegration“<br />
Langzeitarbeitsloser bereitstellen – genug<br />
für bis zu 150.000 Menschen.<br />
Insgesamt waren im März allerdings<br />
845.000 langzeitarbeitslos. BELA<br />
•<br />
Steilshoop<br />
Vonovia-Mieter protestieren<br />
Der Wohnungskonzern Vonovia soll<br />
die Instandhaltung von Wohnungen<br />
nicht länger als Modernisierung verkaufen<br />
und angekündigte Mieterhöhungen<br />
zurücknehmen: Das fordert<br />
die Mieterinitiative Steilshoop gemeinsam<br />
mit 500 Mietern. Laut<br />
Gesetz dürfen nur Modernisierungs-,<br />
aber nicht Instandhaltungskosten teilweise<br />
auf die Miete umgelegt werden.<br />
„Wir erwarten, dass die Vonovia unsere<br />
Forderungen ernst nimmt. Und<br />
dass die Politik erkennt: Da steigen die<br />
Mieten so drastisch, da müssen wir etwas<br />
tun“, so Initiativensprecher Pierre<br />
Endries gegenüber Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Vonovia bestreitet die Vorwürfe:<br />
Für Härtefälle gebe es zudem<br />
„individu elle Lösungen“. UJO/JOF<br />
•<br />
Anlaufstelle für Obdachlose<br />
Aus Winter Café wird<br />
Sonnenschein Café<br />
Auch nach dem Winter betreibt der<br />
Verein Clubkinder sein Café für Obdachlose<br />
in der Sternstraße 67 weiter.<br />
Immer sonntags von 13 bis 17 Uhr<br />
wird in der „Hamburger Botschaft“<br />
Gästen mit und ohne Wohnung ein<br />
abwechslungsreiches Programm<br />
geboten. Zum Kuchen gibt’s oft Livemusik,<br />
Ärzte und Friseure kümmern<br />
sich um die Wohnungslosen. „Auf<br />
der Straße ist Sonntag der schlechteste<br />
Tag“, sagt Mitorganisator Dominik<br />
Bloh. Die meisten Einrichtungen für<br />
Obdachlose seien geschlossen. Das<br />
Café soll diese Lücke schließen,<br />
zunächst bis zum 10. Juni – und vielleicht<br />
sogar darüber hinaus. BELA<br />
•<br />
Projekt Zimmerfrei<br />
Hilfe für junge Geflüchtete<br />
Unter Geflüchteten, die in Hamburg<br />
ankommen, befinden sich viele Jugendliche<br />
ohne Familienangehörige.<br />
Sie leben meist seit vielen Monaten<br />
alleine in Flüchtlingsunterkünften.<br />
Dabei bräuchten sie Ruhe und ein<br />
gefestigtes Umfeld. Damit Chancen<br />
auf solch einen Neustart steigen,<br />
vermittelt das Projekt Zimmerfrei<br />
Wohnraum für diese Geflüchteten.<br />
Ein Teil unserer Auflage enthält eine<br />
Beilage, mit der das Projekt Vermieter<br />
sucht, die helfen wollen. JOF<br />
•<br />
Mehr Infos und Nachrichten unter:<br />
www.hinzundkunzt.de<br />
abasto<br />
ökologische Energietechnik<br />
Für mehr soziale Wärme<br />
und eine klimaschonende<br />
Strom- und Wärmeversorgung.<br />
www.abasto.de<br />
Ambulanter Pflegedienst<br />
Wir stellen ein:<br />
Pflegekräfte mit Examen und/oder<br />
Vorerfahrungen in Teilzeit mit Pkw-FS<br />
Lagerstr. 30-32, 20357 Hamburg<br />
Tel.: 040 – 38 68 66 -0<br />
Email: info@solihilfe.de<br />
www.solihilfe.de
Der mühsame<br />
Kampf gegen die<br />
Abzock-Vermieter<br />
Mit Großeinsätzen geht die Stadt Hamburg gegen Abzock-Vermieter<br />
vor. Vier Kontrollen gab es bereits. Aber was bringen sie wirklich?<br />
Ein halbes Jahr ist seit der ersten Überprüfung in der<br />
Seehafenstraße in Harburg vergangen. Wir waren noch mal dort.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Ein halbes Jahr ist vergangen,<br />
seit das Wohnhaus des Rumänen<br />
Gheorge hamburgweit in<br />
die Schlagzeilen geriet. Vom<br />
„Kakerlaken-Haus von Harburg“ war<br />
die Rede. Die Sozialbehörde hatte zusammen<br />
mit Bezirk und Zoll den ersten<br />
„Aktionstag Sozialleistungsmissbrauch“<br />
durchgeführt. Der Verdacht: Überbelegung,<br />
ausbeuterische Strukturen und<br />
Abzocke. Tatsächlich trafen die Kontrolleure<br />
neben Gheorge weitere 141 Menschen<br />
an. Verteilt auf gerade einmal<br />
zwei Häuser. Ein klarer Fall von Überbelegung.<br />
Und der Vorwurf des Betrugs<br />
hat sich erhärtet: Nach Angaben der Sozialbehörde<br />
und des Jobcenters Hamburg<br />
haben die Eigentümer in etlichen<br />
Fällen falsche Angaben bei der Wohnungsgröße<br />
gemacht und die überhöhten<br />
Mieten unrechtmäßig vom Jobcenter<br />
kassiert. In der Seehafenstraße 7 wichen<br />
die Quadratmeterangaben in den Mietverträgen<br />
in neun Fällen sogar um mehr<br />
als 50 Prozent ab. Nur drei der fehlerhaften<br />
Angaben gab es hingegen in<br />
Gheorges Wohnhaus. Peter Funk, Eigentümer<br />
der Seehafenstraße 9, teilt gegenüber<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> mit, dass die Zahlen<br />
stets korrekt berechnet wurden. Er<br />
habe daher bald einen Gesprächstermin<br />
mit der Behörde. Das Jobcenter wiederum<br />
wird jetzt einen Anwalt einschalten<br />
und unberechtigte Zahlungen im Nachbarhaus<br />
rückfordern.<br />
Die rechtlichen Streitigkeiten werden<br />
Hinz&Künztler Gheorge nicht betreffen.<br />
Nicht das Amt, sondern er selbst<br />
zahlt die Miete. Durch Zeitungsverkauf,<br />
Pfandsammeln und einen Mini-Job<br />
finanziert er seine Mietkosten von 700<br />
Euro. Er kommt knapp über die Runden.<br />
Trotzdem sieht Gheorge für sich<br />
und seine Familie in Hamburg mehr<br />
Chancen als in Rumänien.<br />
Dabei wohnt er mit seiner Frau, seinen<br />
Kindern und Enkelkindern total beengt:<br />
Zwei Zimmer, 27 Qua dratmeter.<br />
Dazu ein Mietpreis fernab des Mietenspiegels,<br />
den man wohl eher rund um<br />
die Alster erwarten würde. Aber als<br />
Rumäne ohne festen Arbeitsvertrag war<br />
der 42-Jährige vor vier Jahren froh, dass<br />
er überhaupt eine Wohnung in Hamburg<br />
fand. Auch wenn er sich Klo und<br />
Küche mit einer weiteren rumänischen<br />
Familie teilt, die im rechten Flügel der<br />
Wohnung lebt. Tagsüber werden Betten<br />
zu Sofas und der Fernseher kommt<br />
„Endlich raus.<br />
Nie wieder<br />
See hafenstraße.“<br />
LOREDANA<br />
runter vom Tisch, wenn die Kinder<br />
Hausaufgaben machen. Die Einrichtung<br />
hat er sich durch Spenden von Lesern<br />
und Gebrauchtmöbel zusammengestellt.<br />
Möbel von Ikea könnte er sich gar nicht<br />
leisten. Dabei könnte er bei dem Möbelhersteller<br />
passende Lösungen für kleine<br />
Räume bewundern. Auf der Homepage<br />
heißt es: „Es geht darum, kreativ zu sein,<br />
ein bisschen rebellisch vielleicht. Und<br />
darum, zu tun, wovon du träumst.“<br />
Wenn er tun könnte, wovon er<br />
träumt, dann wäre Gheorge längst raus<br />
aus der Seehafenstraße. „Gerne würde<br />
ich ausziehen. In eine bessere Wohnung“,<br />
sagt der 41-Jährige. Es ist nicht<br />
nur die räumliche Enge, die Gheorge zu<br />
schaffen macht, sondern generell der katastrophale<br />
Zustand des Wohnhauses.<br />
Den bemängelten auch die Kontrolleure<br />
und belegten die Eigentümer mit Auflagen.<br />
In der Folge wurde beispielsweise<br />
„der Hinterhof komplett betoniert und<br />
dadurch sämtliche Rattenschlupflöcher<br />
geschlossen“, teilt das Bezirksamt mit.<br />
Auch gegen die Kakerlaken im Haus<br />
ging ein Fachbetrieb gezielt vor. Gheorge<br />
bestätigt das. In seiner Wohnung hatte<br />
er bereits zuvor selbst Löcher und Ritzen<br />
abgedichtet, um das Ungeziefer aus<br />
den Wohnräumen fernzuhalten.<br />
Endlich! In Harburg haben Izvoras und Loredana eine Dreizimmerwohnung gefunden –<br />
für sich ganz allein. Derzeit ist Loredanas Mutter zu Besuch.<br />
41
Äußerst beengt lebt<br />
Gheorge (2. von links)<br />
mit seiner Familie in der<br />
Seehafenstraße im<br />
Harburger Hafengebiet.
Stadtgespräch<br />
Kommentar<br />
Bruchbude als<br />
Sprungbrett<br />
Am baulichen Zustand des Gebäudes<br />
hat sich allerdings in den vergangenen<br />
Monaten nichts verändert. Man sei<br />
„mit dem Vermieter weiter im Gespräch“,<br />
betont der Bezirk. Ein erster<br />
Erfolg: „Einige Zimmer sind inzwischen<br />
leer und nicht neu vermietet.“<br />
Gheorges Nachbar Sebastian hat<br />
diese Entwicklung eher verunsichert als<br />
beruhigt. Er habe Angst, auf der Straße<br />
zu landen, sagt der zweifache Familienvater.<br />
„Ich habe Kinder. Das wäre eine<br />
Katastrophe.“ Während der 39-Jährige<br />
erzählt, streicht seine Frau gerade den<br />
oberen Teil des Treppenhauses. Normalerweise<br />
eine Aufgabe für den Vermieter.<br />
Auf den würden eigentlich noch viel<br />
mehr Arbeiten warten. Denn der Sanierungsstau<br />
in dem Altbau ist massiv. Erst<br />
„Wir würden<br />
gerne hier<br />
ausziehen.“<br />
GHEORGE<br />
im Oktober hatte der Eigentümer gegenüber<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> angekündigt, „zunächst<br />
in den beiden oberen Etagen zu<br />
renovieren“. Bislang ist nichts passiert.<br />
Lediglich ein weiteres Zimmer steht jetzt<br />
leer. Die Tür ist verriegelt.<br />
Frei wurde das Zimmer durch den<br />
Auszug von Izvoras und Loredana. Das<br />
rumänische Pärchen stammt aus demselben<br />
Dorf wie Gheorges Familie und<br />
hat inzwischen eine Dreizimmerwohnung<br />
gefunden. Eigenständig. Ebenfalls<br />
in Harburg. Dieses Mal nicht über<br />
dubiose Mittelsmänner, sondern bei<br />
einem „echten Hamburger Vermieter“,<br />
wie Izvoras stolz erzählt. Die Miete<br />
zahlt er jetzt nicht mehr bar gegen<br />
Quittung, sondern per monatlicher<br />
Überweisung. „Wie ganz normale<br />
Menschen“, sagt Loredana und<br />
schmunzelt. Ihre Tochter musste nicht<br />
einmal die Schule wechseln.<br />
Die Wohnung ist teurer. Aber dafür<br />
müssen sie sich Klo und Küche mit niemandem<br />
mehr teilen. Loredana strahlt<br />
über beide Ohren, als sie ihre Wohnung<br />
präsentiert. Sie erinnert sich noch gut<br />
daran, wie ihre Tochter nach den Kontrollen<br />
in der Schule gehänselt wurde,<br />
weil sie im „Kakerlaken-Haus“ wohnte.<br />
Regelmäßig besuchen sie ihre alten<br />
Nachbarn. Verändert habe sich seit ihrem<br />
Auszug so gut wie nichts, sagt Loredana.<br />
Der Bezirk könnte den Druck erhöhen<br />
und Zwangsgelder verhängen.<br />
Aber ganz offensichtlich ist man froh,<br />
dass Eigentümer Peter Funk immerhin<br />
leer werdende Zimmer und Wohnungen<br />
nicht wieder neu vermietet.<br />
In dem vor zwei Monaten kontrollierten<br />
Wohnhaus im Reetwerder 3 in<br />
Bergedorf herrschten im Vergleich dazu<br />
viel schlimmere Zustände. Dort entdeckten<br />
die Bezirksmitarbeiter eine defekte<br />
Gastherme und kaputte Heizungen.<br />
Mitten im Winter. Die Gastherme wurde<br />
umgehend repariert. Weil der Bezirk<br />
die Handwerker anheuerte und die Kosten<br />
jetzt nach Angaben der Sozialbehörde<br />
der Eigentümerin in Rechnung stellt.<br />
Die Kontaktaufnahme zu ihr oder ihrem<br />
Ehemann war Hinz&<strong>Kunzt</strong> nicht möglich.<br />
Ob sie jemals zahlen wird, ist unklar,<br />
heißt es aus der Behörde. Zumal die<br />
Gemengelage offenbar kompliziert ist.<br />
Denn die Miete – so munkelt man in der<br />
Verwaltung – treibt offenbar ihr Ex-<br />
Mann Daniel F. ein. Und das teilweise<br />
gar bewaffnet.<br />
Sollten sich die Gerüchte verdichten<br />
und tatsächlich kriminelle Machenschaften<br />
vorliegen, dann muss die Stadt<br />
dagegen vorgehen. Vier Großkontrollen<br />
hat die Sozialbehörde bislang<br />
durchgeführt. In Harburg, Wilhelmsburg,<br />
Bergedorf und zuletzt in Wandsbek.<br />
„Wir wollen an die Hinterleute“,<br />
sagt Sprecher Marcel Schweitzer. Die<br />
Auswertung der Kontrollen in Bergedorf<br />
und Wandsbek dauert an. Für die<br />
Mieter kann man nur auf Besserung<br />
hoffen. Dass sich an dem baulichen Zustand<br />
wenig ändert, das wird jetzt schon<br />
in der Seehafenstraße deutlich. Schneller<br />
ginge es offenbar nur, wenn die Stadt<br />
selbst handelt und nicht auf das Entgegenkommen<br />
der Eigentümer hofft. •<br />
Kontakt: jonas.fuellner@hinzundkunzt.de<br />
VON BIRGIT MÜLLER<br />
Mit Aktionstagen<br />
geht die<br />
Stadt Hamburg<br />
gegen<br />
Abzockvermieter<br />
vor.<br />
Richtig so!<br />
Die Kehrseite<br />
ist: Die Vermieter sitzen die<br />
Kritik oft aus. Die Leidtragenden<br />
sind die Mieter, meist aus<br />
Osteuropa. Sie verlieren womöglich<br />
ihre Bleibe – und damit<br />
ihre mühsam aufgebaute,<br />
kleine Existenz.<br />
Wir haben oft erlebt, dass<br />
die Bruchbude eine Art Ankunftswohnung<br />
ist, das Sprungbrett<br />
für ein besseres Leben:<br />
Als Mieter können sie ihre<br />
Kinder nachholen und als Familie<br />
zusammenleben, einen<br />
Job annehmen und auf eine<br />
bessere Wohnung hinarbeiten.<br />
In Hamburg gibt es derzeit<br />
nur Ankunftswohnungen – in<br />
anderen Metropolen der Welt<br />
sind es regelrechte Ankunftsstädte.<br />
Alle leben dort erst mal<br />
in Bruchbuden. In seinem<br />
Buch „Arrival City“ beschreibt<br />
Doug Saunders, was eine Stadt<br />
tun kann, damit diese Ankunftsstädte<br />
Orte des Aufstiegs<br />
sind und kein Slum entsteht.<br />
Wichtig ist, dass die Menschen<br />
möglichst schnell Arbeit<br />
finden und sich integrieren.<br />
Auch in Hamburg wäre es<br />
wichtig, Lösungen zu entwickeln,<br />
zumal bei uns die Anzahl<br />
der Zuwanderer überschaubar<br />
ist. Am besten wären<br />
echte Ankunftshäuser mit bezahlbaren<br />
Mieten, Deutschund<br />
Integrationskursen und einer<br />
Arbeitsvermittlung. Das<br />
wäre für alle ein Gewinn: In<br />
der Pflege und in der Gastronomie<br />
werden immer Mitarbeiter<br />
gesucht, die Zuwanderer<br />
hätten eine Perspektive –<br />
und den Abzockern wäre das<br />
Handwerk gelegt. •<br />
43
Freunde<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>303</strong>/MAI <strong>2018</strong><br />
Peter Friedrich mal ohne seine Klarinette – aber mit<br />
dem Ehren-Verkäuferausweis von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Von der Zuschauerbank<br />
auf die Bühne<br />
Früher war er Bankkaufmann, seitdem er Rentner ist, spielt<br />
Peter Friedrich jedes Jahr bei Benefizkonzerten für Hinz&<strong>Kunzt</strong> –<br />
und da hört seine Hilfe noch nicht auf.<br />
TEXT: MISHA LEUSCHEN<br />
FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />
A<br />
n Peter Friedrichs Hemdtasche<br />
baumelt ein ganz besonderer<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäuferausweis,<br />
extra für ihn<br />
angefertigt: Der Ehren-Verkäuferausweis<br />
ist ein Unikat. Den hat er sich auch<br />
verdient. Bei den jährlichen Benefiz-<br />
Konzerten, die die Musikerfreunde unter<br />
der Leitung von Klaus Stöckel in<br />
Wentorf und Büchen veranstalten,<br />
schnappt sich der Klarinettist in der<br />
Pause jedes Mal eifrig ein Bündel Magazine<br />
und unterstützt unseren Verkäufer<br />
beim Verkauf der aktuellen Ausgabe.<br />
„Wenn einer der Musiker da für das<br />
Magazin trommelt, dann bringt das<br />
noch mal was“, glaubt der 79-Jährige.<br />
Seit 24 Jahren spielen die Musiker<br />
regelmäßig für Hinz&<strong>Kunzt</strong>, meist zu<br />
Neujahr. Mit einem bunten Potpourri<br />
aus Klassik und Pop, Jazz und Tanzmusik<br />
bringen die fünf Musiker – zwei<br />
Frauen und drei Männer – die Martin-<br />
Luther-Kirche in Wentorf zum Swingen.<br />
Die meisten sind Heeresmusiker<br />
der Bundeswehr. „Das sind Profis“, sagt<br />
44<br />
Peter Friedrich respektvoll, „ich bin der<br />
einzige Laie.“ Fünf Jahre lang hatte er<br />
bei den Konzerten im Publikum gesessen,<br />
bis er sich 2007 traute, mal nachzufragen,<br />
ob sie ihn vielleicht brauchen<br />
könnten. „Klaus Stöckel hatte mich mal<br />
im Gottesdienst spielen hören“, erzählt<br />
er – vorspielen musste er also nicht. Seitdem<br />
ist er mit Freuden dabei und hat<br />
seine Nische gefunden: Zwei Klezmer-<br />
Stücke spielt er beim Konzert, eins davon<br />
ist als Stimmungsbringer zum Mitsingen<br />
für die Zuschauer gedacht. „Die
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Leute lieben es, zu singen“, freut sich<br />
Peter Friedrich.<br />
Seine Liebe zum Musizieren hatte<br />
jahrelang auf Eis gelegen, erst nach der<br />
Pensionierung fand der Bankkaufmann<br />
„Das sind Profis,<br />
ich bin der<br />
einzige Laie.“<br />
PETER FRIEDRICH<br />
Wir danken allen, die im April an uns<br />
gespendet haben, sowie allen Mitgliedern<br />
im Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
für die Unterstützung unserer Arbeit!<br />
DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />
• IPHH • wk it services<br />
• Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
• Hamburger Tafel • Axel Ruepp Rätselservice<br />
• Hamburger Kunsthalle<br />
• bildarchiv-hamburg.de • Röder-Stiftung<br />
• Dennis Tepper und seinem Team vom<br />
Brauhaus ALTES MÄDCHEN,<br />
die das Charity-Frühlingsfest in den<br />
Schanzenhöfen organisiert haben.<br />
Mit dabei waren: Hamburger Gabenzaun<br />
am Hauptbahnhof Verein i. Gr. und<br />
die Musiker Adam Brixton, Khalil Kry,<br />
Miss Allie und Jan Pape.<br />
Sponsoren waren: elbgold, fritz-kola,<br />
Freunde<br />
Dankeschön<br />
wieder Zeit für sein Hobby. Dabei hatte<br />
er schon als Zehnjähriger mit der Musik<br />
begonnen. „Blockflöte … die habe<br />
ich gehasst!“ Beim Singen lief es besser,<br />
Peter Friedrich sang im Knabenchor<br />
Sopran und war stolz wie Oskar, als er<br />
1948 in der Hamburger Musikhalle bei<br />
der Matthäus-Passion mitsingen durfte.<br />
Die Klarinette entdeckte er mit dem<br />
Jazz der 1950er-Jahre, mit 20 nahm er<br />
den ersten Unterricht. Jazz ist seine große<br />
Liebe geblieben, auch wenn das Instrument<br />
Jahre nicht zum Einsatz kam.<br />
Familie und Beruf ließen keine Zeit.<br />
1987 holte er es wieder aus dem Kasten<br />
– es ist immer noch der erste – und fing<br />
wieder an. „Die Klarinette ist ein ganz<br />
besonderes Instrument“, findet er. „Sie<br />
hat einen großen Tonumfang, mehr als<br />
Streicher und Bläser, und ist ausdrucksstark<br />
wie die menschliche Stimme.“<br />
Sein großes Klezmer-Vorbild, der Klarinettist<br />
Giora Feidman, nannte das Instrument<br />
„Singende Klarinette“. Seine<br />
Musik brachte Peter Friedrich auch zum<br />
Klezmer-Spielen. „Das sind einfache<br />
Melodien, wie Lieder – das habe ich mir<br />
zugetraut.“ Die meisten Lieder spielt er<br />
nach Gehör.<br />
Für die Benefiz-Konzerte finden<br />
sich die Musiker zwei Stunden vorher<br />
zur Generalprobe zusammen, alle Stücke<br />
werden durchgespielt. „Das war’s.“<br />
Dann geht’s ab auf die Bühne – und in<br />
der Pause ist der Ehrenverkäufer wieder<br />
für Hinz&<strong>Kunzt</strong> unterwegs. •<br />
Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
LandWert Schulbauernhof e. V.,<br />
• Nordmann Getränke Hamburg<br />
und der Ratsherrn Brauerei<br />
Tommaso <strong>Mai</strong>occhi für den<br />
Erlös aus dem Kalenderverkauf<br />
• Carlshof GmbH<br />
NEUE FREUNDE:<br />
• Florian Albrecht • Janine Arnold<br />
• Karin Brose • Ramona Brunner<br />
• Margot Döhring • Michael Fiebig<br />
• Sabine Fischer • Hans-Jürgen Fuß<br />
• Kartini Kowalska • Irene Laxa-Heckmann<br />
• Friedrich Moehle v. H. • Lorenzo Mögling<br />
• Jossie Moormann • Thomas Mustroph<br />
• Corinna Öhler • Bärbel Ralf<br />
• Lucas Romero • Bert Rothkugel<br />
• Melanie Schehl • Heike Schierenbeck<br />
• Inge Schmidt • Thomas Steege<br />
• Daniel Süß • Cindy Ta<br />
JA,<br />
ICH WERDE<br />
MITGLIED<br />
IM HINZ&KUNZT-<br />
FREUNDESKREIS.<br />
Damit unterstütze ich die<br />
Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Meine Jahresspende beträgt:<br />
60 Euro (Mindestbeitrag für<br />
Schüler/Studenten/Senioren)<br />
100 Euro<br />
Euro<br />
Datum; Unterschrift<br />
Ich möchte eine Bestätigung<br />
für meine Jahresspende erhalten.<br />
(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />
Meine Adresse:<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Nr.<br />
PLZ, Ort<br />
Telefon<br />
E-<strong>Mai</strong>l<br />
Beruf<br />
Geburtsjahr<br />
Einzugsermächtigung:<br />
Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />
Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />
Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />
IBAN<br />
BIC<br />
Bankinstitut<br />
Wir versichern, dass Ihre Angaben nur für interne<br />
Zwecke bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> verwendet werden. Ihre<br />
Mitgliedschaft im Freundeskreis ist jederzeit kündbar.<br />
Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />
Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />
Oder online im Freundeskreis anmelden unter<br />
www.hinzundkunzt.de/freundeskreis<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />
45<br />
HK <strong>303</strong>
Buh&Beifall<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>303</strong>/MAI <strong>2018</strong><br />
Was unsere Leser meinen<br />
„Spahn auf eine Hartz-IV-Diät zu setzen, ist eine gute Idee“<br />
Zu viel Geld oder wenig Verstand?<br />
H&K 300, Gut&Schön<br />
Im Februar-Heft steht: „Endlich<br />
ein Wohncontainer für Rolf“, und<br />
wenn ich in unseren Park gehe, dann<br />
sehe ich, wie ein geräumiges Haus<br />
verkommt. Wie passt das zusammen?<br />
Da liest man immer wieder, dass<br />
Wohnraum knapp und teuer ist, wie ist<br />
es da zu erklären, dass ein Haus mit viel<br />
Wohnraum einfach nicht genutzt, sondern<br />
dem Verfall preisgegeben wird?<br />
Hat da jemand zu viel Geld oder zu<br />
wenig Verstand?<br />
ERNST BROERS<br />
Spahn auch mit Hartz IV sorglos<br />
H&K Online, „Jens Spahn soll von Hartz IV<br />
leben“<br />
Spahn auf eine Hartz-IV-Diät zu<br />
setzen, ist natürlich eine gute Idee und<br />
wäre für ihn sicherlich eine extreme<br />
Erfahrung. Aber eine wirkliche<br />
Armutserfahrung hätte Spahn auch<br />
nach einem Monat mit 400 Euro noch<br />
nicht, denn dazu gehört ja die allwöchentliche<br />
Sorge darüber, wie man die<br />
nächsten Rechnungen bezahlt, wie<br />
man die Waschmaschine repariert bekommt,<br />
wie man die Wünsche der<br />
Kids erfüllen kann, wie man am Endes<br />
des Monats noch gutes Essen auf<br />
den Tisch bringen kann et cetera.<br />
NORBERT GESTRING<br />
Obdachlose in Gefahr<br />
H&K Online, „Unbekannte enthaupten<br />
Obdachlosen“<br />
Leider werden Obdachlose immer<br />
häufiger Opfer von feigen und<br />
verachtenswerten Übergriffen. Ich<br />
hoffe, dass diese Tat schnell aufgeklärt<br />
werden kann.<br />
MAXIMILIAN HOLMES<br />
Diffuse Vorstellung<br />
H&K Sonderheft „Lust auf Grün“, „Mein<br />
keiner grüner Kaktus“ – Lesergeschichten<br />
Ich habe Saids Artikel Freunden<br />
und Bekannten gezeigt (Said ist ein<br />
Gefl üchteter aus Afghanistan, Anm. der Red.)<br />
und bin erstaunt über die positive Wirkung.<br />
Es existiert so eine diffuse Vorstellung<br />
darüber, wie Flüchtlinge in der<br />
Heimat gelebt haben mögen. Und der<br />
Blick auf eine Obstplantage, wo die<br />
Bäume auch in Reih und Glied stehen<br />
wie bei uns die Apfelbäume im Alten<br />
Land, beweist eindrucksvoll, dass Menschen<br />
in einem fremden Land auch die<br />
Erde bestellt, auch bodenständig gelebt<br />
und gearbeitet haben. ERIKA FUNK-BLÜMEL<br />
Leserbriefe geben die Meinung des Verfassers<br />
wieder, nicht die der Redaktion. Wir behalten<br />
uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />
HAMBURGER NEBENSCHAUPLÄTZE<br />
DER ETWAS<br />
ANDERE<br />
STADTRUNDGANG<br />
Wir trauern um<br />
Petrea Brandiu<br />
23. Juni 1960 – 1. April <strong>2018</strong><br />
Petrea war erst seit September 2017 bei uns, hatte sich aber schnell<br />
einen Stammplatz vor Edeka Lade im Hofweg aufgebaut.<br />
Die Verkäufer und das Team von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Wollen Sie Hamburgs City einmal mit anderen Augen sehen?<br />
Abseits der teuren Fassaden zeigt Hinz&<strong>Kunzt</strong> Orte, die in<br />
keinem Reiseführer stehen: Bahnhofs mission statt Rathausmarkt,<br />
Drogenberatungsstelle statt Alsterpavillon, Tages aufent halts stätte<br />
statt Einkaufspassage.<br />
Anmeldung: Bequem online buchen unter<br />
www.hinzundkunzt.de oder Telefon: 040/32 10 83 11<br />
Kostenbeitrag: 10/5 Euro,<br />
nächste Termine: 13. + 27.5.2017, 15 Uhr<br />
Wer möchte leben<br />
ohne den Trost der Bäume!<br />
Günter Eich<br />
trostwerk - andere bestattungen<br />
Osterstraße 149, HH - Eimsbüttel ° 040/43 27 44 11
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Entspannt: Besuch in Buxtehude bei ESC-Teilnehmer Michael Schulte (S. 48).<br />
Eigensinnig: Das Krass Kultur Crash Festival feiert rebellische Kunst (S. 52).<br />
Eifrig: Hinz&Künztler Lukas spricht sechs Sprachen – jetzt lernt er Deutsch (S. 58).<br />
Tanz spielte im Paris der 1920er-Jahre eine<br />
große Rolle. Das Museum für Kunst und<br />
Gewerbe (MKG) zeigt seine eindrucksvolle<br />
Art-Déco-Sammlung ab dem 4. <strong>Mai</strong> (S. 53).<br />
ILLUSTRATION: „JOSEPHINE BAKER TANZT“,<br />
PAUL COLIN/VG BILD-KUNST, BONN 2017
Singt über seinen Vater,<br />
wird bald selbst einer:<br />
ESC-Teilnehmer<br />
Michael Schulte in seiner<br />
Wahl heimat Buxtehude.<br />
Normalo –<br />
na und?<br />
Michael Schulte ist unser Mann für den<br />
Eurovision Song Contest. Der 28-Jährige<br />
geht den Wettbewerb total entspannt an.<br />
TEXT: SIMONE DECKNER<br />
FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK, NDR PRESSESTELLE (S. 50)
Konfetti bei der<br />
Kür: Im Februar<br />
setzte sich Michael<br />
Schulte als ESC-<br />
Kandidat durch.<br />
Der Mann, dem bald geschätzte<br />
200 Millionen<br />
Menschen bei der Arbeit<br />
zuschauen werden, sitzt alleine<br />
vor einem Straßencafé. Unter seinen<br />
Füßen Kopfsteinpflaster, hinter<br />
ihm ein schmuckes Fachwerkhaus, das<br />
Heimatmuseum von Buxtehude, errichtet<br />
1913. Würde Michael Schulte jetzt<br />
von seinem Smartphone aufschauen, er<br />
könnte direkt auf das Haus gucken, in<br />
dem sich ein Nagelstudio und eine Psychotherapeutenpraxis<br />
den Eingang teilen.<br />
Er guckt aber nicht.<br />
Der 28-Jährige ist übernächtigt.<br />
Stundenlang saß er in einem Flieger<br />
auf Fuerteventura fest. Ein Computer<br />
in Brüssel war abgestürzt, ein ziemlich<br />
wichtiger. Kein Flugzeug durfte mehr<br />
starten und landen. Gegen 4 Uhr kam<br />
er dann doch noch an. Von Hannover<br />
nahm er ein Taxi nach Buxtehude, hier<br />
ist er seit Mitte 2017 zu Hause.<br />
Michael Schulte ist dieses Jahr „die<br />
deutsche Hoffnung“ beim Eurovision<br />
Song Contest, kurz ESC. Er nimmt diese<br />
Aufgabe sehr ernst. Die Zeiten,<br />
in denen Stefan Raab im goldenen Glitzeranzug<br />
mit „Wadde hadde dudde<br />
da?“ den Wettbewerb ironisierte oder<br />
Guildo Horn mit bis zum Bauchnabel<br />
offenem Hippiehemd „Guildo hat euch<br />
lieb!“ sang, sie sind lange vorbei. Der<br />
ESC, er ist spätestens seit dem deutschen<br />
Sieg von Lena im Jahr 2010 wieder<br />
zu einer ernsten nationalen Angelegenheit<br />
geworden. Für Schulte steht<br />
viel auf dem Spiel. Das Gute: Er ist sich<br />
dessen voll bewusst. Das Erstaunliche:<br />
Er scheint nicht sonderlich nervös zu<br />
sein. „Noch bin ich total entspannt“,<br />
sagt er. Schulte, der Aufgeräumte.<br />
Ballade über<br />
den verstorbenen Vater<br />
Das Lied, mit dem er für Deutschland<br />
antritt, ist eine Ballade. „You Let Me<br />
Walk Alone“ handelt von seinem Vater,<br />
der starb, als Schulte 14 Jahre alt war. Im<br />
Songtext heißt es: „My childhood hero<br />
will always be you / And no one else<br />
comes close / I thought you’d lead me<br />
when life’s misleading / That’s when I<br />
miss you most.“ Sätze, die er nicht mal<br />
eben so aus dem Ärmel geschüttelt hat.<br />
Schulte sagt aber auch: „Es ist jetzt 13<br />
Jahre her. Ich bin gewachsen.“<br />
Er hat auch schon zuvor Songs<br />
über seinen Vater geschrieben. Nur<br />
nicht so viel darüber geredet. Wenn jemand<br />
sein Lied als Hinweis verstehe,<br />
öfter mal bei den Eltern anzurufen,<br />
freut er sich. „Man weiß ja nicht, wie<br />
lange man sie noch hat“, sagt Schulte.<br />
Bis heute vermisst er Männergespräche<br />
mit seinem Vater. Der brachte<br />
ihm die ersten Akkorde auf der Gitarre<br />
bei, da war Michael sieben. Früher sind<br />
sie oft bei der Kieler Woche gewesen,<br />
haben „eine irische Folkband, die keiner<br />
kennt“, angefeuert, so Schulte. Damals<br />
entstand seine Liebe für diese Art<br />
50<br />
handgemachter Musik. Der ESC war<br />
Pflichttermin bei Schultes. „Als kleiner<br />
Junge habe ich mir sogar vorgestellt,<br />
wie das wohl ist, auf so einer Bühne zu<br />
stehen und für Deutschland zu singen“,<br />
so der Sänger im Weserkurier.<br />
Jetzt passiert es wirklich. Seit Schulte<br />
im Februar den Vorentscheid gewann,<br />
gibt er Interview um Interview.<br />
Er besucht Radiostationen, die alle sagen,<br />
sie spielen „die beste Musik“, er<br />
wird in sogenannten Pre-Shows auftreten<br />
und Schnappschüsse davon mit seinen<br />
mehr als 24.000 Instagram-Followern<br />
teilen. Er sei jetzt eben „der Eine“<br />
für den ESC, sagt Schulte. So wie er es<br />
sagt, klingt es beinahe entschuldigend.<br />
Schulte wurde 1990 geboren. Acht<br />
Jahre zuvor hatte Nicole mit „Ein bisschen<br />
Frieden“ zum ersten Mal die europäische<br />
Schlagerkrone nach Deutschland<br />
geholt. Jetzt soll Schulte in ihre<br />
Fußstapfen treten. Ihren Segen dafür<br />
hat er immerhin schon. Neulich hat er<br />
Nicole kennengelernt. Das sei „schon<br />
ein besonderer Moment“ gewesen, sagt<br />
er. „Auf der anderen Seite habe ich<br />
auch gemerkt, sie ist halt auch eine ganz<br />
normale, ganz liebe Frau.“<br />
In Alltagsklamotten<br />
zum großen Finale<br />
Normal, das ist das Stichwort: Kritiker<br />
mäkeln, Schulte sei zu normal. Zu wenig<br />
Glamour, zu wenig außergewöhnlich<br />
und dann noch dieser Name!
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Michael Schulte, geht es noch langweiliger?<br />
Schulte lächelt. Im Gegensatz zu<br />
anderen Künstlern liest er fast alles, was<br />
über ihn geschrieben wird. „Vielleicht<br />
bin ich der Normalo-Guy mit den roten<br />
Locken“, sagt er, „aber das ist in Ordnung,<br />
damit identifizieren sich auch<br />
Menschen.“ Er wird beim Finale wieder<br />
seine normalen Alltagsklamotten<br />
tragen: Jeans und T-Shirt, fertig. „Wieso<br />
soll ich Boots und Ketten und Lederjacke<br />
überziehen? Das bin einfach nicht<br />
ich“, sagt er.<br />
Beim deutschen Musikmagazin<br />
Rolling Stone war man von seinem Beitrag<br />
wenig beeindruckt: „Eine energielos<br />
startende und nicht wirklich zupackende<br />
Power-Ballade, wie sie beim<br />
ESC schon tausendfach zu hören war“,<br />
hieß es da. Vorhersage: „Das wird doch<br />
wieder nix!“, so wie die vergangenen<br />
Jahre. Schulte nippt an seinem Cappuccino.<br />
„Solche Leute würde ich gern mal<br />
„Ich habe keine<br />
Angst, dass<br />
danach alles<br />
vorbei ist.“<br />
MICHAEL SCHULTE<br />
persönlich fragen: Steht ihr wirklich dahinter<br />
oder schreibt ihr so was nur, um<br />
aufzufallen?“ Nicht sein Stil.<br />
Buxtehude als Ruhepol<br />
Schulte mag es bodenständig. Deswegen<br />
auch Buxtehude. Seit einem dreiviertel<br />
Jahr ist das Städtchen mit seinen<br />
39.500 Einwohnern, seinen Pfeifenbedarfsläden,<br />
den Blumenrabatten und<br />
Menschen, die sich beim Markteinkauf<br />
freundlich grüßen, sein Zuhause. „Hier<br />
kann ich zur Ruhe kommen, aber der<br />
nächste Flughafen ist auch nur eine<br />
50-minütige S-Bahnfahrt entfernt.“<br />
Er ist seiner Freundin, die hier als<br />
Logopädin arbeitet, gefolgt. Schwer ist<br />
ihm das nicht gefallen, er wuchs selbst<br />
in dem 80-Einwohner-Dorf Lindau an<br />
der Schlei auf, später zog die Familie<br />
nach Dollerup bei Flensburg. Er und<br />
seine beiden Geschwister gingen auf<br />
51<br />
die dänische Schule. Wenn ihn ein Interviewer<br />
dazu nötigt, grüßt er die Zuschauer<br />
auch schon mal in fließendem<br />
Dänisch. Er ist sowieso sehr freundlich<br />
zu Interviewern. Wenn man ihn fragt,<br />
wieso er nicht in Hamburg oder Berlin<br />
wohne, antwortet er: „Ich habe immer<br />
gesagt, irgendwann in Richtung Familienplanung<br />
will ich auch wieder dörflicher<br />
werden.“ Im Sommer wird der<br />
28-Jährige zum ersten Mal Vater. Er hat<br />
das schon gewusst, als er „You Let Me<br />
Walk Alone“ schrieb.<br />
Früher wollte er Fußballprofi werden,<br />
schaffte es sogar bis in die Landesauswahl.<br />
Nach dem Abi machte Schulte<br />
dann ein Jahr lang Straßenmusik in<br />
Eckernförde – dank zahlungskräftiger<br />
Touristen „gar kein so schlechtes Geschäft“,<br />
wie er dem NDR erzählte.<br />
2012 wurde Schulte bei der Castingshow<br />
„The Voice“ Dritter, tourte danach<br />
mit Max Giesinger. Im selben Jahr<br />
veröffentlichten sie einen gemeinsamen<br />
Coversong von „Somebody That I<br />
Used to Know“ auf YouTube. Das Video<br />
wurde bis heute mehr als 4,7 Millionen<br />
Mal angeklickt. Sein letztes Album<br />
hat Schulte 2017 herausgebracht,<br />
es ist eines von acht. Schulte ist kein<br />
blutiger Anfänger.<br />
Vielleicht geht er den ESC auch<br />
deshalb „völlig entspannt“ an. Er habe<br />
eine Basis, „und deshalb habe ich diese<br />
Angst auch nicht so, dass danach alles<br />
vorbei ist“. Für die Zeit nach dem ESC<br />
hat er vorgesorgt – ganz gleich, wie es<br />
ausgehen wird. Er wird touren und seine<br />
neue Single veröffentlichen. Und<br />
dann wartet ja bald die Vaterrolle.<br />
„Wenn ich nicht der nächste Weltstar<br />
werde, ist das überhaupt gar nicht<br />
schlimm“, sagt Michael Schulte, „ich<br />
bin auch so ein glücklicher Mensch.“ •<br />
Kontakt: simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />
ESC im TV und auf St. Pauli<br />
Sa, 12. <strong>Mai</strong>, Eurovision Song Contest,<br />
ARD, 21 Uhr – und live auf dem<br />
Spielbudenplatz der „Countdown für<br />
Lissabon“ und „Grand Prix Party“ mit<br />
Revolverheld, Mary Roos, Max Giesinger<br />
und anderen. Moderation: Barbara<br />
Schöneberger. 19 Uhr, Eintritt frei.<br />
<br />
AVERY SUNSHINE<br />
<br />
KARI BREMNES + BAND<br />
<br />
QUEEN MACHINE<br />
<br />
OLEXESH<br />
<br />
LUDOVICO EINAUDI<br />
<br />
LUKA BLOOM<br />
<br />
WHY DON'T WE<br />
<br />
WE ARE SCIENTISTS<br />
<br />
SONS OF KEMET<br />
<br />
SCARLXRD<br />
<br />
DEVIN DAWSON<br />
<br />
ALEXANDER KNAPPE<br />
<br />
MOVING SHADOWS<br />
<br />
JONATHAN DAVIS<br />
<br />
ALMA<br />
<br />
BAD RELIGION<br />
<br />
REA GARVEY<br />
<br />
MALUMA<br />
<br />
JASON DERULO<br />
<br />
PER GESSLE'S<br />
ROXETTE<br />
<br />
SASHA<br />
<br />
ANGELO BRANDUARDI<br />
<br />
NIGHTMARES ON WAX<br />
<br />
LIAM GALLAGHER<br />
TICKETS: KJ.DE
Kult<br />
Tipps für den<br />
Monat <strong>Mai</strong>: subjektiv<br />
und einladend<br />
Kult<br />
Tipps für<br />
Dezember: subjektiv<br />
und einladend<br />
Festival<br />
Kunstvolle Absage an die Repression<br />
52<br />
The Wedding Orchestra huldigt mit „DIVA: Celebrating Oum<br />
Kalthoum“ der ägyptischen Ikone für ihre grenzenlose Musik.<br />
Zweifache Todes-Fatwa gegen Shahin<br />
Najafi – weil sich der iranische Musiker<br />
gegen die Vermischung von Politik und<br />
Religion aussprach. Skandal um den<br />
kroatischen Theaterregisseur Oliver<br />
Frlji , der es gewagt hatte, die polnische<br />
Gesellschaft auf die Schippe zu nehmen.<br />
Und auch Pussy Riot kann von<br />
politischer Verfolgung gegen aufmüpfige<br />
Künstlerinnen ein Lied singen. Beim<br />
Krass Kultur Crash Festival auf Kampnagel<br />
kommen all diese Rebellen groß<br />
raus: Der Repression nationalistischer<br />
Staatsapparate setzen die Festivalmacher<br />
einen demonstrativen Kulturaustausch<br />
entgegen und zeigen, wie grenzüberschreitende<br />
Kunst hilft, bessere<br />
Gesellschaftssysteme aufzubauen. •<br />
Kampnagel, Jarrestraße 20, 3.–13.5.,<br />
Eintritt 6–32 Euro, Workshops frei,<br />
www.kampnagel.de
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Ausstellung<br />
Reklame mit Stil<br />
Zwischen Jugendstil und modernem<br />
Design verlaufen die fein geschwungenen<br />
Linien des Art Déco, wie<br />
wir es von alten Vasen, Lampen<br />
und Sofas kennen. Das Museum für<br />
Kunst und Gewerbe stellt Grafiken<br />
dieser Stilrichtung aus. Dabei kommt<br />
auch die Werbeanzeige zu ihrem<br />
Recht – stilvoll, wie sie damals war. •<br />
MK&G, Steintorplatz, ab Fr, 4.5., Di–So,<br />
10–18 Uhr, Do, 10–21 Uhr, Eintritt 12/8<br />
Euro, www.mkg-hamburg.de<br />
FOTOS: DOROTHEA TUCH, JAN BECKMANN, REINHARDT REIMANN<br />
Kinder<br />
Rätseln über den Tod<br />
Wo landen wir, wenn wir nicht mehr auf der Welt sind? Die Frage ist beinahe zu<br />
aufregend. Doch alle stellen sie sich. Grund genug also, sich ein Herz zu fassen und<br />
den Tod näher kennenzulernen – so wie die alte Ophelia im Kindertheaterstück<br />
„Vom Schatten und vom Licht“. Mit ihrem Goldfisch ist sie dem großen Unbekannten<br />
auf der Spur und trifft die Schatten anderer Suchender: den Professor<br />
mit dem unvollendeten Lebenswerk oder den Bärenjäger, der glaubt, der Tod habe<br />
ihn vergessen. Und den Superagenten James Blond, der einen heroischeren<br />
Abgang verlangt als seinen schnöden Schlaganfall. Die Reihe im Fundus Theater<br />
geht das Thema Tod mal ganz anders an und nimmt ihm so seinen Schrecken. •<br />
Fundus Theater, Hasselbrookstraße 25, 6.–17.5., 5–9,50 Euro, www.fundus-theater.de<br />
Draußen<br />
Bilder eines anderen Hafens<br />
Die Jungs von der Waterkant sind ein<br />
stehender Begriff. Und was ist mit<br />
den Mädels? Dass Hafenarbeit nicht<br />
nur Männersache war, zeigt die<br />
FrauenFreiluftGalerie anlässlich des<br />
Hafengeburtstags mit einem Rundgang.<br />
Vom Fischmarkt aus das Elbufer<br />
entlang illustrieren haushohe Wandgemälde<br />
den Wandel weiblicher<br />
Wirtschaftskraft im Hafen seit 1900.<br />
Die Werke von14 internationalen<br />
Künstlerinnen machen so auf eine<br />
Hamburger Lebenswelt aufmerksam,<br />
die in den Shantys nicht vorkommt. •<br />
FrauenFreiluftGalerie, Treffpunkt Große<br />
Elbstraße 132, Do, 10.5., 13 Uhr, Eintritt<br />
5/3 Euro, www.frauenfreiluftgalerie.de<br />
Die Wandbilder zeigen weibliche<br />
Hafenarbeit mit kritischem Blick.<br />
Was passiert, wenn ich tot bin? Im Fundus Theater<br />
begeben sich auch „Die Azubis“ auf Spurensuche.<br />
Draußen<br />
Frühlingserwachen im Park<br />
Diesen Sommer Jonglieren lernen?<br />
Wer darauf Lust hat, kann beim<br />
Fest zum Saisonauftakt im<br />
Wilhelms burger Inselpark den<br />
Anfang machen. Dazu gibt es<br />
Spiele, Akrobatik und Freilufttheater,<br />
kurzum: all das, worauf wir einen<br />
Winter lang gewartet haben. •<br />
Inselpark, Kurt-Emmerich-Platz,<br />
So, 6.5., ab 12 Uhr, Eintritt frei,<br />
www.kulturnordlichter.de<br />
Konzert<br />
Gogol Bordello auf dem Kiez<br />
Früher spielten sie auf Roma-Hochzeiten,<br />
heute nennen sie sich Zigeuner-<br />
Punks – die Band Gogol Bordello<br />
bringt jede Tanzfläche zum Überkochen.<br />
So sehr sie den wilden Stilmix<br />
feiern, bleiben die Musiker doch<br />
ihren Wurzeln treu und singen auf<br />
Englisch, Ukrainisch und Romani. •<br />
Große Freiheit 36, Di, 8.5., 19 Uhr, Eintritt<br />
28 Euro (VVK), www.grossefreiheit36.de<br />
Museum<br />
Kultur genießen mit Demenz<br />
Auch wer tüdelig wird, kann sich an<br />
Kunst freuen. Die Deichtorhallen<br />
bieten dazu eine besondere Führung<br />
für Menschen mit Demenz. Es zählt<br />
der Augenblick, in dem es Klick<br />
macht – gerade in der Fotokunst. •<br />
Deichtorhallen, Deichtorstraße 1–2,<br />
Mi, 9.5., 15 Uhr, Eintritt 6 Euro,<br />
www.museumsdienst-hamburg.de<br />
53
Ausstellung<br />
Meisterfälschern auf der Spur<br />
Finde den Fehler: Ist es Marc Chagall<br />
oder doch sein Fälscher Lothar Malskat?<br />
Ist das überhaupt echt? Diese Frage<br />
stellt sich auf dem Kunstmarkt öfter<br />
als gedacht – einigen Theorien zufolge<br />
sind 40 bis 60 Prozent aller gehandelten<br />
Werke gefälscht. Doch nicht<br />
jede Kopie ist gleich perfider Betrug.<br />
Manche Fälscher kopieren ganz unverhohlen<br />
große Meister und werden damit<br />
sogar berühmt, andere haben die<br />
Lizenz zur Verfielfältigung. Nicht nur<br />
zwischen Original und Fälschung verläuft<br />
also die Trennlinie, sondern auch<br />
zwischen „falsch, aber okay“ und „echt<br />
falsch“. Um diesen feinen Unterschied<br />
geht es in der Fabrik der Künste, die<br />
den Fälschungen eine Ausstellung widmet.<br />
Dazu gibt es Vorträge, etwa<br />
von Polizisten, betrogenen Sammlern,<br />
Galeristen und Kunsthistorikern, die<br />
erläutern, wie sie kriminellen Fälschern<br />
auf die Schliche kommen. •<br />
Fabrik der Künste, Kreuzbrook 10–12,<br />
ab Mi, 30.5., 19 Uhr, Eintritt 5/3 Euro,<br />
www.fabrikderkuenste.de<br />
54
FOTOS: FÄLSCHERMUSEUM WIEN, CHARLES REAGAN, PRIVAT<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Konzert<br />
Big Freedia bringt den Kiez zum Beben<br />
Achtung, Hamburg, hier kommt Big Freedia! Die Urgewalt der Bounce-Music-<br />
Szene rollt den Kiez von unten auf und eins steht schon fest: Gegen ihren<br />
Hüftschwung sehen die Tanzenden Türme stocksteif aus. Big Freedia ist nicht<br />
nur offizielle Weltrekordhalterin im Twerking, dem provokanten Zucken von<br />
Po und Hüfte. Sie hat es auch als schwule Transgender-Ikone im machodominierten<br />
Hip-Hop zum Star gebracht und mit ihrem unerbittlichen Willen,<br />
auf den Putz zu hauen, neue Maßstäbe geschaffen. Wer sie live sieht, wird sie so<br />
bald nicht vergessen – und am nächsten Morgen mit Muskelkater aufwachen. •<br />
Mojo Club, Reeperbahn 1, Mi, 23.5., 19 Uhr, Eintritt 19 Euro (VVK), www.mojo.de<br />
Lesung<br />
Unter Palmen aus Stahl<br />
Noch vor zweieinhalb Jahren war er<br />
obdachlos und half Geflüchteten, indem<br />
er Spenden in der Kleiderkammer<br />
der Hamburger Messehalle sammelte.<br />
Inzwischen ist Dominik Bloh<br />
längst weg von der Straße. Er ist Autor,<br />
Kolumnist und angestellt bei einem<br />
Bildungsträger. Dort hilft er jungen<br />
Erwachsenen beim Übergang<br />
von der Schule in den Beruf. Die Vergangenheit<br />
würde ihn selbst zwar immer<br />
wieder einholen, erzählte Bloh<br />
im Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Interview (H&K<br />
300). Aber es hätten sich neue Türen<br />
für ihn geöffnet. „Ich möchte, dass<br />
auch Türen für andere aufgehen.“<br />
Deswegen unterstützt Bloh jetzt mit<br />
einer Lesung aus seinem Buch „Unter<br />
Palmen aus Stahl“ das Straßenmagazin<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>. •<br />
Nochtspeicher, Bernhard-Nocht-Straße<br />
69a, Do, 31.5., 19.30 Uhr, Eintritt 10/8<br />
Euro, www.nochspeicher.de<br />
Schwestern, zieht euch nicht zu<br />
warm an! Big Freedia heizt ein.<br />
Ausstellung<br />
Kunst aus dem Operndorf<br />
Von Christoph Schlingensiefs<br />
„Operndorf Afrika“ in Burkina Faso<br />
haben viele schon mal gehört, doch<br />
was geht da eigentlich vor? Künstler<br />
Per Schumann kann das beantworten:<br />
Anfang des Jahres zog er in das<br />
Dorf, das Regisseur Schlingensief<br />
kurz vor seinem Tod als interkulturelles<br />
Kunstprojekt gegründet hatte,<br />
um dort zu leben und zu arbeiten.<br />
Die dort entstandenen Werke zeigt er<br />
nun in einer Ausstellung: Videoinstallationen<br />
und Zeichnungen, die Eindrücke<br />
aus dem Dorf vermitteln. •<br />
Multiple Box, Admiralitätsstraße 76, ab Do,<br />
17.5., Di–Fr, 11–19 Uhr, Sa, 11–17 Uhr,<br />
Eintritt frei, www.operndorf-afrika.com<br />
Über Tipps für Juni freut sich Annabel<br />
Trautwein. Bitte bis zum 10. <strong>Mai</strong><br />
schicken: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Kinofilm des Monats<br />
Buchladen im<br />
Nirgendwo<br />
Ich kenne da einen Ausdruck<br />
für all diese netten kleinen<br />
Läden und Restaurants, die<br />
ambitioniert eröffnen, wahnsinnig<br />
kreativ und toll sind<br />
und nach kurzer Zeit wieder<br />
schließen: „Träumekiller“.<br />
Ich fühle mich manchmal<br />
schuldig, wenn ich an den<br />
„Räumungsverkauf“-Schildern<br />
vorbeifahre. Da wollte<br />
ich immer mal rein, aber<br />
dann war es schon zu spät.<br />
Im Laufe der Romanverfilmung<br />
„Der Buchladen der<br />
Florence Green“ ahnt man,<br />
dass dieser auch so ein verlorener<br />
Traum werden könnte.<br />
Englands Ostküste der<br />
1950er-Jahre, Nieselregen,<br />
kalter Wind – als hätte Rosamunde<br />
Pilcher Herbstdepressionen.<br />
Die jung verwitwete<br />
Florence Green ist neu in der<br />
Stadt und eröffnet in einem<br />
leeren Haus mit viel Enthusiasmus<br />
eine Buchhandlung.<br />
Das gefällt kaum jemandem.<br />
Schnell werden Intrigen gegen<br />
„die Neue“ gesponnen,<br />
schmallippige Borniertheit<br />
der Kulturbourgeoise gesellt<br />
sich zu tumber Ablehnung.<br />
Nur der verschrobene Einzelgänger<br />
Edmund Brundish,<br />
der seine Villa nie verlässt,<br />
zeigt Interesse.<br />
„Der Buchladen der Florence<br />
Green“ ist vor allem<br />
ambitioniertes Pärchenkino,<br />
das zu Herzen geht, aber dort<br />
nicht lange bleibt. Was soll’s?<br />
Ein Traum kann auch eindimensional<br />
schön sein.<br />
Dann tut es weniger weh,<br />
wenn er ungewollt beendet<br />
wird. Kinostart: 10.5. •<br />
André Schmidt<br />
geht seit<br />
Jahren für uns<br />
ins Kino.<br />
Er arbeitet in<br />
der PR-Branche.<br />
55
<strong>Kunzt</strong>&Comic<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>303</strong>/MAI <strong>2018</strong><br />
56
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Rätsel<br />
ILLUSTRATION (BLEISTIFT IM IMPRESSUM): BERND MÖLCK-TASSEL<br />
Holzblasinstrument<br />
zusammenlegbares<br />
Sitzmöbel<br />
lichte<br />
Glut<br />
Karte im<br />
Tarockspiel<br />
Dauerbezug<br />
einer<br />
Zeitschrift<br />
Dramengestalt<br />
bei<br />
Schiller<br />
Strom<br />
zum Balchaschsee<br />
Sportgerät<br />
der<br />
Werfer<br />
Bundesland<br />
Österreichs<br />
Vorname<br />
des<br />
Sängers<br />
Jürgens †<br />
hinterer<br />
Teil<br />
eines<br />
Wagens<br />
germanische<br />
Jugendgöttin<br />
Marktplatz<br />
in<br />
altgriech.<br />
Städten<br />
kein<br />
einziges<br />
Mal<br />
geschnittener<br />
Schmuckstein<br />
2<br />
7<br />
5<br />
1<br />
9<br />
3<br />
2<br />
2<br />
3<br />
8<br />
6<br />
4<br />
Damenbekleidungsstück<br />
politische<br />
Grundvorstellung<br />
3<br />
7<br />
3<br />
2<br />
1<br />
8<br />
3<br />
6<br />
2<br />
4<br />
4<br />
5<br />
deutsche<br />
TV-Journalistin<br />
(Maybrit)<br />
eh. dt. Eiskunstläuferin<br />
(Marika)<br />
9<br />
1<br />
10<br />
5<br />
9<br />
4<br />
8<br />
altrömische<br />
Silbermünze<br />
amtlicher<br />
Name von<br />
Norwegen<br />
norddeutsch:<br />
Iltis<br />
Stamm v.<br />
Sportlern<br />
in einem<br />
Team<br />
Kosename<br />
Staat im für die<br />
Himalaja Großmutter<br />
Stadt im<br />
alten<br />
Griechenland<br />
Schiff<br />
Iasons<br />
(griech.<br />
Sage)<br />
Vorname<br />
der<br />
Dagover<br />
† 1980<br />
Wahlzettelkasten<br />
Keimträger<br />
norddeutsch:<br />
Kümmelschnaps<br />
Theaterplatz<br />
Indianervolk<br />
in<br />
Nordamerika<br />
Örtlichkeit<br />
Untergewand<br />
im alten<br />
Rom<br />
süddt.:<br />
bebautes<br />
Ortsgebiet<br />
Niederschlag<br />
Mittelmeerhafen<br />
in Frankreich<br />
Donau-<br />
Zufluss in<br />
Bayern<br />
bestimmter<br />
Artikel<br />
Botin der<br />
nord.<br />
Göttin<br />
Frigg<br />
straußenähnlicher<br />
Laufvogel<br />
hinteres<br />
Wortteil<br />
griechische<br />
Vorsilbe:<br />
neu...<br />
Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
per Fax an 040 32 10 83 50 oder per E-<strong>Mai</strong>l an info@hinzundkunzt.de.<br />
Einsendeschluss: 28. <strong>Mai</strong> <strong>2018</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />
Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />
zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle gewinnen oder eine von<br />
zwei Graphic Novels „Das leere Gefäß“ von Magdalena Kaszuba<br />
(Avant-Verlag).<br />
Das April-Lösungswort beim Kreuzworträtsel lautete: Regenbogen.<br />
Die Sudoku-Zahlenreihe war: 185 734 962.<br />
6<br />
2<br />
6<br />
9<br />
5<br />
7<br />
2<br />
7<br />
9<br />
8<br />
6<br />
4<br />
9<br />
1<br />
10<br />
8<br />
7 AR1115-1118_4<br />
Füllen Sie das Gitter so<br />
aus, dass die Zahlen von<br />
1 bis 9 nur je einmal in<br />
jeder Reihe, in jeder<br />
Spalte und in jedem<br />
Neun-Kästchen-Block<br />
vorkommen.<br />
Als Lösung schicken<br />
Sie uns bitte die<br />
unterste, farbig gerahmte<br />
Zahlenreihe.<br />
Impressum<br />
Redaktion und Verlag<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />
Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />
Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 32 10 83 50<br />
Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />
E-<strong>Mai</strong>l info@hinzundkunzt.de, www.hinzundkunzt.de<br />
Herausgeber<br />
Landespastor Dirk Ahrens, Diakonisches Werk Hamburg<br />
Externer Beirat<br />
Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />
Mathias Bach (Kaufmann), Dr. Marius Hoßbach (Rechtsanwalt),<br />
Rüdiger Knott (ehem. NDR 90,3-Programmchef),<br />
Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />
Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />
Beate Behn (Lawaetz-Service GmbH), Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung),<br />
Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds),<br />
Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />
Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />
Redaktion Birgit Müller (bim; v.i.S.d.P.),<br />
Annette Woywode (abi; Stellv., CvD),<br />
Mitarbeit Simone Deckner (sim), Jonas Füllner (jof), Ulrich Jonas (ujo),<br />
Benjamin Laufer (bela), Misha Leuschen (leu),<br />
Annabel Trautwein (atw), Uta Sternsdorff und Kerstin Weber<br />
Redaktionsassistenz Sonja Conrad, Cedric Horbach<br />
Online-Redaktion Simone Deckner, Jonas Füllner, Benjamin Laufer<br />
Artdirektion grafikdeerns.de<br />
Öffentlichkeitsarbeit Sybille Arendt, Friederike Steiffert<br />
Anzeigenleitung Sybille Arendt<br />
Anzeigenvertretung Christoph Wahring,<br />
Wahring & Company, Tel. 040 284 09 40, info@wahring.de<br />
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 23 vom 1. Januar <strong>2018</strong><br />
Vertrieb Christian Hagen (Leitung), Marcus Chomse,<br />
Sigi Pachan, Jürgen Jobsen, Meike Lehmann, Sergej Machov,<br />
Frank Nawatzki, Elena Pacuraru, Reiner Rümke, Cristina Stanculescu,<br />
Marcel Stein, Cornelia Tanase, Silvia Zahn<br />
Rechnungswesen/Systemadministration Frank Belchhaus<br />
Spendenmarketing Gabriele Koch<br />
Spendenverwaltung Susanne Wehde<br />
Sozialarbeit Stephan Karrenbauer (Leitung), Ana-Maria Ilisiu, Isabel Kohler<br />
Das Stadtrundgang-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />
Chris Schlapp, Harald Buchinger<br />
Das BrotRetter-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />
Stefan Calin, Gogan Dorel, Ionel Lupu<br />
Das Team von Spende Dein Pfand am Airport Hamburg<br />
Stephan Karrenbauer (Leitung), Uwe Tröger, Jonas Gengnagel,<br />
Klaus Petersdorfer, Herbert Kosecki<br />
Litho PX2@ Medien GmbH & Co. KG<br />
Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />
Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />
Umschlag-Druck Neef+Stumme premium printing GmbH & Co. KG<br />
Verarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei<br />
und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />
Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
IBAN: DE56 2005 0550 1280 1678 73<br />
BIC: HASPDEHHXXX<br />
Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />
Freistellungsbescheid des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer<br />
17/414/00797, vom 15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />
des Körperschaftssteuergesetzes von der Körperschaftssteuer und nach<br />
§3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />
Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als<br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH im Handelsregister<br />
beim Amtsgericht Hamburg HRB 59669 eingetragen. Wir bestätigen,<br />
dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> einsetzen.<br />
Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.<br />
Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf www.hinzundkunzt.de.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das obdachlosen und<br />
ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />
Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose und<br />
ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter<br />
unterstützen die Verkäufer.<br />
Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />
Gesellschafter<br />
Durchschnittliche monatliche<br />
Druckauflage 1. Quartal <strong>2018</strong>:<br />
86.666 Exemplare<br />
57
Momentaufnahme<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>303</strong>/MAI <strong>2018</strong><br />
Bescheiden, freundlich, kollegial –<br />
und das in sechs Sprachen: Lukas<br />
ist viel herumgekommen.<br />
Obdach-, aber nicht<br />
hoffnungslos<br />
Lukas (31) verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> vor REWE City, Altonaer Straße.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER<br />
FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />
Es war nicht so gedacht, dass Bedürftige<br />
in unserer <strong>Kunzt</strong>Küche (Seite 6) für das<br />
Essen zahlen. Küchenchef Lutz Bornhöft<br />
war also baff, als ein 10-Euro-<br />
Schein auf dem Tisch lag, an dem eben<br />
noch der Typ mit Sidecut im abgewetzten<br />
Punk-Shirt gesessen und gegessen<br />
hatte – sein Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer aus<br />
der Nachbarschaft.<br />
Am nächsten Tag klärte den Obdachlosen<br />
eine Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Mitarbeiterin<br />
auf: „Lukas, du musst doch nicht<br />
so viel zahlen.“ Doch, alles habe seine<br />
Richtigkeit, entgegnete der 31-Jährige.<br />
Er habe vor, weitere Tage dort essen<br />
zu gehen. Aber nicht umsonst. Lukas<br />
suchte nach den richtigen Worten. „Wie<br />
nennt ihr das hier? Kollegial?“<br />
Auch an den kommenden Tagen<br />
war er zu Gast in der <strong>Kunzt</strong>Küche. Leckeres<br />
Essen. Dazu noch die Gelegenheit,<br />
andere Verkäufer zu treffen, die in<br />
der Küche mitarbeiteten. Das habe ihm<br />
sehr gut gefallen, erklärt er schüchtern<br />
in leicht gebrochenem Deutsch.<br />
„Die Sprache habe ich auf der<br />
Straße gelernt“, sagt Lukas, der in<br />
Swansea in Wales geboren wurde. Halb<br />
Brite, halb Slowake ist der junge Mann.<br />
Neben Englisch, Slowakisch, Tschechisch<br />
und Polnisch beherrscht er auch<br />
noch Kroatisch.<br />
Seine Eltern trennten sich früh. Sein<br />
Vater lebte in Großbritannien, die Mutter<br />
ging zurück in die Slowakei. Lukas<br />
wuchs zwischen beiden Ländern auf.<br />
Die Schule schloss er in Großbritannien<br />
ab. Anschließend arbeitete er als Grafikdesigner.<br />
Wieso landet so jemand<br />
fünf Jahre später bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> in<br />
Hamburg? Lukas lächelt verlegen. „Ich<br />
bin Trinker“, räumt er freimütig ein<br />
und erzählt, wie er mit Alkohol und<br />
Aufputschmitteln in Kontakt kam. In<br />
seiner Branche war das sehr verbreitet.<br />
Lukas trank regelmäßig. Hinzu kamen<br />
Amphetamine, dann Crystal Meth.<br />
„Ich habe viel Scheiß gemacht“, sagt er<br />
rückblickend.<br />
Lukas verlor seinen Job, seine Wohnung.<br />
Mit 26 Jahren schlief er zum ersten<br />
Mal auf der Straße. Nirgendwo<br />
blieb er lange. Reiste von Prag durch<br />
Deutschland bis nach Frankreich und<br />
wieder zurück.<br />
Vor zwei Jahren wurde er „sesshaft“<br />
auf Hamburgs Straßen. „Die Stadt hat<br />
Charme“, sagt Lukas. „Ich bin fertig<br />
mit dem Wechsel von einer Stadt zur<br />
anderen.“ Damals erhielt er die Diagnose,<br />
die sein Leben veränderte: HIVpositiv.<br />
Es war ein Schlag, von dem sich<br />
Lukas auch seelisch bis heute nicht erholt<br />
hat. Aber er hat sein Leben wieder<br />
fester im Griff. Alkohol und Drogen hat<br />
er abgeschworen. Bei der Krankenkasse<br />
ist er wieder angemeldet. Im Winter<br />
hatte er erstmals wieder ein eigenes<br />
Zimmer: im Winternotprogramm von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Derzeit kommt er bei Freunden unter.<br />
Die Wohnungssuche geht weiter.<br />
Der nächste Schritt? „Ich spare gerade<br />
– für einen Sprachkurs und den dazugehörigen<br />
Test für das Zertifikat“, sagt<br />
Lukas. Sein Lebensmotto? „You can be<br />
homeless, but not hopeless.“ •<br />
A. Beig<br />
Druckerei und Verlag<br />
GmbH & Co. KG<br />
Damm 9-19, 25421 Pinneberg<br />
Tel. 0 41 01/5 35-0<br />
Wir sorgen für den nötigen Druck!<br />
In unserer modernen und leistungsstarken Druckerei in Pinneberg<br />
produzieren wir neben unseren eigenen Publikationen auch zahlreiche<br />
Fremdaufträge. Wir stellen jährlich so ca. 90 Mio. Zeitungen her<br />
und verarbeiten über 350 Mio. Beilagen.<br />
www.a-beig.de
KUNZT-<br />
KOLLEKTION<br />
BESTELLEN SIE DIESE UND WEITERE PRODUKTE BEI: Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH,<br />
www.hinzundkunzt.de/shop, shop@hinzundkunzt.de, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
Tel. 32 10 83 11. Preise zzgl. Versandkostenpauschale 4 Euro, Ausland auf Anfrage.<br />
Versand ab 100 Euro Warenwert kostenlos.<br />
1. „Gegens Abstempeln“<br />
Zehn selbstklebende 70-Cent-Briefmarken mit<br />
Porträts von Hinz&Künztlern im A5-Heftchen.<br />
Konzeption: Agentur Lukas Lindemann Rosinski.<br />
Preis: 12 Euro<br />
4.<br />
2. „Macht auch wach!“<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Kaffeemischung,<br />
100% Arabica gemahlen, 250-g-Beutel<br />
oder Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Espresso, italienische<br />
Mischung, kräftiger Geschmack,<br />
ungemahlen, 250-g-Beutel, exklusiv von der<br />
Kaffeerösterei Burg aus Hamburg.<br />
Preis: jeweils 5,95 Euro<br />
5.<br />
1.<br />
2.<br />
3. Frühstücksbrettchen<br />
Exklusiv für Hinz&<strong>Kunzt</strong> aus der<br />
Serie „Schöne Aussichten“, Pension<br />
für Produkte Hamburg.<br />
Design: Wolfgang Vogler,<br />
Material: Esche geölt (aus heimischen Wäldern),<br />
lasergraviert. Jedes Brett ist ein Unikat,<br />
in Deutschland gefertigt.<br />
Preis: 15,90 Euro<br />
4. „Einer muss ja das Maul aufmachen“<br />
T-Shirt vom Modelabel „Fairliebt“ aus<br />
100% Biobaumwolle, sozialverträglich<br />
genäht in Bangladesch und<br />
von Hand bedruckt in Deutschland.<br />
Größen: S, M, L, XL. Farben: Petrol für Herren,<br />
Meerwassertürkis für Damen.<br />
Preis: 24,90 Euro<br />
6.<br />
3.<br />
5. „Heiße Hilfe“<br />
Bio-Rotbuschtee, aromatisiert mit<br />
Kakao-Orangen-Note. Zutaten: Rotbuschtee<br />
(k. b. A.), Kakaoschalen, Zimt, Orangenschalen,<br />
natürliches Orangenaroma<br />
mit anderen natürlichen Aromen.<br />
Dose, 75 g, abgefüllt<br />
von Dethlefsen&Balk, Hamburg.<br />
Preis: 7,50 Euro<br />
6. Tasse „Fischkopp“<br />
Sonderedition für Hinz&<strong>Kunzt</strong> von der<br />
Hamburger Firma AHOI MARIE.<br />
Qualitätsporzellan von Kahla aus Thüringen.<br />
Design: Jan-Hendrik Holst.<br />
Keramischer Siebdruck.<br />
Maße: D: 9 cm, H: 9 cm,<br />
Mikrowellen- und spülmaschinentauglich.<br />
Preis: 13,90 Euro<br />
7.<br />
7. „Ein mittelschönes Leben“<br />
Eine Geschichte für Kinder<br />
über Obdachlosigkeit von Kirsten Boie,<br />
illustriert von Jutta Bauer.<br />
Preis: 4,80 Euro
<strong>Mai</strong> <strong>2018</strong><br />
Älter werden &<br />
Erneuerung<br />
und andere Themen, die Hamburger bewegen<br />
Di 15.05. | 19.00 Uhr | Buchpremiere<br />
Der Stoff, aus dem das Neue ist Allerorten werden innovative Kräfte beschworen. Doch gerade<br />
Deutschland tut sich schwer mit Veränderungen. Was Erneuerung wirklich bedeutet, zeigt Wolf Lotter<br />
in seinem Buch »Innovation«. Mit dem Journalisten Holger Noltze spricht er über radikale Gedankenfreiheit,<br />
die Aktivierung kreativer Ressourcen und den Mut zum Risiko.<br />
Mi 16.05. | 19.00 Uhr | Diskussion<br />
Hamburg 2030. Radweg oder Rad weg? Im Koalitionsvertrag 2015 steht: Hamburg wird Fahrradstadt!<br />
Doch aktuelle Umfragen sorgen für Ernüchterung. Die Hamburger Radverkehrskoordinatorin<br />
Kirsten Pfaue, Dennis Thering, CDU-Fachsprecher für Verkehr, und Dirk Lau vom ADFC ziehen eine<br />
Zwischenbilanz. Es moderieren Daniel Kaiser, NDR 90,3 und Claudia Brüninghaus, Körber-Stiftung.<br />
Di 29.05. | 19.00 Uhr | Gespräch<br />
Morgen werden wir 100 Schwer vorstellbar, aber statistisch belegt: Uns alle erwartet ein deutlich<br />
längeres Leben als vorherige Generationen. Wie wir daraus mehr machen können, zeigen<br />
Lynda Gratton und Andrew Scott in ihrem Buch »Morgen werden wir 100«. Mit Rudolf Novotny, ZEIT<br />
Chancen, sprechen sie darüber, warum älter zu werden heute heißt, Wahlmöglichkeiten zu entdecken.<br />
Do 31.05. | 19.00 Uhr | Gespräch<br />
Aufbrüche aus dem Exil Pedro Kadivar ist ein gefragter Autor und Theaterregisseur in Paris und<br />
Berlin. Mit 16 Jahren flüchtete er einst aus dem Iran. Sein »Kleines Buch der Migrationen« verbindet<br />
literarische und biografische Erfahrungen. Mit der Literaturwissenschaftlerin Doerte Bischoff spricht<br />
er über das Fremdsein und darüber, wie Migration unsere Wahrnehmung verändert.<br />
Stand: 04 / <strong>2018</strong>, Änderungen vorbehalten. groothuis.de Fotos: Sarah Esther Paulus, BWVI, Lukas Kroulik, Bariran<br />
Eintritt frei, Anmeldung erforderlich: www.koerberforum.de<br />
KörberForum | Kehrwieder 12 | 20457 Hamburg | U Baumwall<br />
Telefon 040 · 80 81 92 - 0 | E-<strong>Mai</strong>l info@koerberforum.de<br />
Veranstalter ist die gemeinnützige Körber-Stiftung.