Im Sinkflug - GEW
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4<br />
Schwerpunkt<br />
„<br />
Klaus Tovar,<br />
Leiter SPD-Parteischule<br />
Standpunkt:<br />
Wenn ich mich<br />
politisch bilde, will<br />
ich einen freudvollen<br />
Lernprozess erleben,<br />
Wissensvorsprünge,<br />
Erkenntniszuwachs<br />
und neue Möglichkeiten<br />
gewinnen.<br />
Politische Bildung<br />
sollte Werte und<br />
Haltungen thematisieren<br />
und Partei<br />
für die Demokratie<br />
ergreifen.<br />
“<br />
Rechtsextremismus<br />
Keine Selbstbilder zementieren<br />
<strong>Im</strong> Kampf gegen Rechtsextremismus<br />
spielt die politische Bildung<br />
eine wichtige Rolle. Sie kann<br />
nur erfolgreich sein, wenn sie<br />
an den Erfahrungen der Teilnehmer<br />
ansetzt.<br />
Wenn rechtsextreme<br />
Parteien bei Landtagswahlenüberdurchschnittlich<br />
viele Stimmen<br />
bekommen, wie jüngst in Teilen<br />
Sachsens mit 20 Prozent, ertönt<br />
der Ruf nach der politischen Bildung.<br />
Häufig folgt der Vorwurf,<br />
die politische Bildung habe versagt.<br />
Selten wird gefragt, ob die<br />
Wahlergebnisse nicht auch Ausdruck<br />
gesellschaftlicher Veränderungen<br />
und Folge neuer Strategien<br />
rechtsextremer Parteien<br />
sind. Wie die der NPD Sachsen,<br />
die sich auf die Entwicklung<br />
einer rechtsextremen und antidemokratischen<br />
Kultur in bestimmten<br />
Regionen konzentrierte, auf<br />
Gewalttaten verzichtete, Biedermänner<br />
einband und<br />
damit höchst erfolgreich<br />
war. Selten wird<br />
dem Einstellungswandel<br />
in der Bevölkerung,<br />
den fremdenfeindlichenVorurtei-<br />
Evaluationsstudie<br />
Startschuss für Diskussionen<br />
<strong>Im</strong> Auftrag von<br />
Bundesjugend- und<br />
Bundesbildungsministerium<br />
ist die<br />
politische JugendundErwachsenenbildung<br />
in Deutschland<br />
erstmals evaluiert<br />
worden. Die<br />
Ergebnisse liefern<br />
eine solide Basis für<br />
Debatten über die<br />
Perspektiven der<br />
politischen Bildungsarbeit.<br />
Wenn man<br />
nach der<br />
Wertschätzung<br />
politischer<br />
Bildung fragt, geben<br />
weniger die offiziellen<br />
Statements, die<br />
stets die öffentliche<br />
Verantwortung betonen,<br />
als vielmehr der<br />
faktische Rückbau<br />
der politischen Bildung<br />
Auskunft. Derzeit<br />
machen der<br />
Jugend- und Erwachsenenbildungförderungspolitische<br />
Restriktionen zu schaffen<br />
(siehe Interview Seite drei). In<br />
einer solchen Lage entdeckt die<br />
Politik gern einen Klärungsbedarf<br />
eigener Art: Sie lässt evaluieren.<br />
Das heißt, sie lässt den Betrieb<br />
len und seinen Ursachen auf den<br />
Grund gegangen.<br />
Rechtsextreme und antidemokratische<br />
Einstellungen dürfen in der<br />
politischen Debatte weder legitimiert<br />
noch verharmlost werden;<br />
notwendig ist die Auseinandersetzung<br />
mit den strukturellen Ursachen.<br />
Dies gilt gleichermaßen für<br />
staatliche Stellen und Parteien<br />
wie für gesellschaftliche Organisationen.<br />
Aufgabe der politischen<br />
Bildung, verstanden als Förderung<br />
des demokratischen Bewusstseins,<br />
ist es, gemeinsam mit<br />
anderen Bildungsbereichen, Menschen<br />
anzuregen, aktiv am politischen<br />
Leben teilzunehmen. Dieser<br />
Auftrag ist letztlich nur zu<br />
erfüllen, wenn er parteiisch umgesetzt<br />
wird: Indem er die Menschen-<br />
und Minderheitenrechte<br />
sowie die Grundwerte unserer<br />
Verfassung unterstützt.<br />
Angesichts der Zunahme rechtsextremer<br />
Einstellungen scheint es<br />
zumindest fraglich, ob die vorhandenen<br />
Konzeptionen und<br />
pädagogischen Programme der<br />
politischen Bildung zur Bekämpfung<br />
des Rechtsextremismus zwei<br />
Herausforderungen hinreichend<br />
wahrnehmen: Erstens die gesellschaftlichen<br />
Bedingungen und<br />
von externer, wissenschaftlicher<br />
Seite systematisch aus- und<br />
bewerten – neben seinem Berichts-<br />
und Auswertungswesen,<br />
neben der laufenden organisatorischen<br />
und pädagogischen<br />
Selbstreflexion.<br />
Zwei Evaluationen<br />
Die Evaluation der politischen<br />
Jugend- und Erwachsenenbildung<br />
haben auf Bundesebene zwei wissenschaftliche<br />
Teams vorgenommen.<br />
<strong>Im</strong> Auftrag des Bundesjugendministeriums<br />
untersuchte ein<br />
Team unter Leitung von Achim<br />
Schröder, Professor für Kulturpädagogik<br />
und Jugendarbeit an<br />
der Fachhochschule Darmstadt,<br />
die Jugendbildung. Lothar Böhnisch,<br />
Professor für Sozialisation<br />
der Lebensalter an der Technischen<br />
Universität Dresden, und<br />
seine Mitarbeiter evaluierten im<br />
Auftrag des Bundesbildungsministeriums<br />
die Erwachsenendbildung.<br />
Start für Diskussion<br />
Der groß angelegte Prozess endete<br />
im Dezember 2004. Der Abschluss<br />
hatte den Charakter eines<br />
Startschusses: Jetzt kann über<br />
Sachstand, Leistungsfähigkeit und<br />
Perspektiven der Bildungsarbeit<br />
auf einer verlässlichen, detaillierten<br />
Materialbasis diskutiert werden.<br />
Darin waren sich die Exper-<br />
Ursachen des Rechtsextremismus,<br />
zweitens die mit der Einwanderungsgesellschaft<br />
verbundenen<br />
Konfliktfelder. Die Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer der außerschulischen<br />
Demokratiebildung<br />
bringen eigene gesellschaftliche<br />
Erfahrungen und oft verfestigte<br />
politische Orientierungen mit.<br />
Eine Pädagogik, die diese Erfahrungen<br />
ignoriert, wird allenfalls<br />
Daten und Fakten zur Zementierung<br />
der Selbst- und Fremdbilder<br />
beitragen.<br />
An Erfahrungen ansetzen<br />
Notwendig ist es, die pädagogischen<br />
Prozesse als Prozesse zur<br />
Selbstbildung zu verstehen – egal,<br />
ob es um Menschenrechtspädagogik,<br />
interkulturelle Bildung oder<br />
Diversity-Trainings geht. Die politische<br />
Bildung muss an der Erfahrung<br />
der Teilnehmer ansetzen und<br />
sich mit ihnen über die Wertmaßstäbe<br />
des Grundgesetzes und der<br />
Gesellschaft auseinandersetzen.<br />
Politische Bildung hat auch die<br />
Aufgabe, die Partizipationsmöglichkeiten<br />
von Minderheiten zu<br />
verbessern, indem sie die Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer in die<br />
Lage versetzt, ihre Interessen zu<br />
artikulieren und Strategien zur<br />
ten aus Politik, Wissenschaft und<br />
Bildungspraxis einig – trotz einzelner<br />
Anfragen zu Methoden<br />
und Interpretationen der Erhebung.<br />
Die drei wichtigsten Ergebnisse:<br />
● <strong>Im</strong> außerschulischen Bereich<br />
mit seinen zahlreichen gesellschaftlichen<br />
Organisationen und<br />
Initiativen – vom großen, bundeszentralen<br />
Bildungswerk bis zum<br />
lokalen Ein-Mann-Betrieb – ist<br />
eine breite Infrastruktur mit<br />
einem pluralen und vielschichtigen<br />
Angebot entstanden. Das ist<br />
ein eindeutiges Plus für den deutschen<br />
Bildungsstandort. Das breit<br />
gefächerte Angebot trifft dabei auf<br />
große Nachfrage, muss sich aber<br />
weiter flexibilisieren.<br />
● Bei den hauptamtlichen pädagogischen<br />
Mitarbeiterinnen und<br />
Eine Kurzfassung des Berichts zur<br />
Jugendbildung wurde in Praxis<br />
Politische Bildung 1/04, zur Erwachsenenbildung<br />
in Praxis Politische<br />
Bildung 1/05 veröffentlicht.<br />
Literatur<br />
Schröder,Achim und andere:<br />
Politische Jugendbildung auf dem<br />
Prüfstand – Ergebnisse einer<br />
bundesweiten Evaluation.<br />
Juventa Verlag.Weinheim u.a.<br />
2004. 232 Seiten.<br />
18,– Euro. (im Buchhandel)<br />
politischen Teilhabe zu entwickeln.<br />
Um in der Bildungspraxis<br />
entsprechende Grundlagen zu verankern,<br />
müssen die Lehrkräfte<br />
nachhaltig aus- und weitergebildet<br />
und begleitet werden.<br />
Strategisch einbetten<br />
Auch kurzzeitpädagogische Maßnahmen<br />
der politischen Bildung<br />
und die dort gewonnenen Erfahrungen<br />
und Anregungen lassen<br />
sich für die Auseinandersetzung<br />
mit dem Rechtsextremismus nutzen.<br />
Politische Bildung stößt dort<br />
an ihre Grenzen, wo Ausgrenzung<br />
und Rassismus toleriert werden<br />
sowie politisches und gesellschaftliches<br />
Handeln gegen rechtsextreme<br />
Gewalt fehlen. Politische Bildung<br />
muss daher eingebettet sein<br />
in eine Strategie, die darauf<br />
abzielt, Menschen unabhängig<br />
von sozialer und ethnischer Herkunft,<br />
Hautfarbe, Religion, Behinderung,<br />
Geschlecht, Alter und<br />
sexueller Identität als gleichberechtigt<br />
anzuerkennen.<br />
Volker Roßocha, DGB-Bundesvorstand,<br />
Referat Migrationspolitik, AG Rechtsextremismus<br />
Weitere Infos:<br />
Schwerpunkt Rechtsextremismus<br />
in der März-Ausgabe der „Erziehung<br />
und Wissenschaft“<br />
Mitarbeitern in der politischen<br />
Jugend- und Erwachsenenbildung<br />
hat sich ein professionelles<br />
Profil herausgebildet, das über<br />
die unterrichtende Tätigkeit weit<br />
hinausgeht und Planung, Konzeptbildung,<br />
Bildungsberatung,<br />
Marketing, Vernetzung einbezieht.<br />
Dieses breite Kompetenzspektrum<br />
ist ein wichtiges Element<br />
der Infrastruktur und muss<br />
durch eine zielgerichtete Förderungspolitik<br />
sichergestellt werden.<br />
● Eine besondere Stärke des<br />
außerschulischen Bildungssektors<br />
besteht darin, dass er sich konsequent<br />
um Innovationen bemüht.<br />
Er fungiert als Experimentierort<br />
für das gesamte Bildungssystem.<br />
„Die außerschulische politische<br />
Bildung nimmt“, so heißt es im<br />
Abschlussbericht zur Jugendbildung,<br />
„eine Vorreiterrolle in der<br />
Entwicklung neuer Lernformen<br />
und Methoden ein.“<br />
Jetzt kommt es darauf an, dass<br />
sich die pädagogischen Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter in den<br />
weiteren Diskussionsprozess einschalten.<br />
Denn die Interpretation<br />
der Ergebnisse bedarf gerade der<br />
Erfahrung derjenigen, die die Arbeit<br />
in der Praxis leisten.<br />
Johannes Schillo,<br />
Redakteur der vom Bundesausschuss Politische<br />
Bildung (bap) herausgegebenen Fachzeitschrift<br />
Praxis Politische Bildung