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RITUALE|Dezember 2017<br />

Prosa<br />

Renate Aichinger<br />

Schauer über Sonnenheim<br />

Da schau her.<br />

Jetzt sind die schon so nah.<br />

Herzlich willkommen. Steht auf unserer Türmatte. Ja. So<br />

sind wir. Offen. Herzig. Bei uns daheim. Im gesegneten<br />

Zuhause. Und in der Tür hängt er. Der Hausfrieden, der<br />

glückselige, weil der Krieg weit weg. Und wenn man<br />

weiter rein geht, wenn man der Sache auf den Grund,<br />

hängt er: der für uns so viel gelitten, der ist aber leicht<br />

zu übersehen, weil er im toten Winkel, wir haben ihn nur<br />

leicht umgehängt, weil wir ja nicht immer an sein Leiden<br />

erinnert werden wollen, weil wir da lieber woanders hinschauen,<br />

aber abgehängt haben wir ihn noch nicht, zur<br />

Sicherheit, weil man ja nie wissen kann und stören tut er<br />

da ja nicht. Hängt da über der Eckbank, im toten Winkel,<br />

im rechten Eck.<br />

Hier wohnen wir. Seit Generationen. Haben uns unser<br />

kleines Reich geschaffen. Übernommen von den Eltern.<br />

Das Haus. Und ausaufgebaut. Passiv. Wir lassen lieber<br />

arbeiten, Geld und Menschen. Schwarz. Wir tragen Sonne<br />

in Heim und Herzen. Weil wir auf der Sonnenseite,<br />

weil wir immer auf die Butterseite fallen, sind wir wer.<br />

Und haben was. Vor. Mit Sonnensegel. Davor das Paradies.<br />

Parzelliertes Grün. Da kann man sich und seinen<br />

Traum bequem niederlassen, im Fertighaus. Und immer<br />

schön aufessen, damit das Wetter auch morgen schön.<br />

Schau. Hier hat jeder sein kleines Reich. Nettadrett. Unser<br />

Hochzeitsfoto in einem schicken Rahmen. Wir haben<br />

was geschaffen. Was aufgebaut. Auf vorhandenes Generationenfundament.<br />

Und unser netter Herr von der Bank<br />

macht sich auch ein Bild von unserem Rahmen. Soll er<br />

doch.<br />

Tür an Tür, Bett an Bett. Getrennt durch eine Wand, die<br />

alles mithört. Weil wir unseren Nächsten lieben. Wir haben<br />

keine Geheimnisse. Wir haben es uns so eingerichtet.<br />

Mit uns. Und jetzt wollen wir gemütlich sein. Gemeinsam<br />

beim Glaserl Schnapsen ums Pummerl.<br />

Aber da gibt es ein Problem: Über der Gemütlichkeit hat<br />

sich ein Tief ausgebreitet. Wolken ziehen auf. Hoch oben<br />

über Sonnenheim: Schau. Da kommen die, das geht<br />

doch nicht, das geht sich doch nicht aus. Und jetzt fängt<br />

es gleich an zu regnen und das mitten im Sommer, das<br />

hätte es früher nicht gegeben, das ist alles im Klimawandel<br />

inbegriffen. Den kriegen wir gleich mit dazu. Als<br />

Willkommensgeschenk.<br />

Herzlich willkommen, beim Eintreten. Weil das noch von<br />

unseren Eltern und wir Werte weitergeben. Wenn wir sie<br />

schon erben. Wenn die sterben. Das gilt für alle, die es<br />

bringen und uns was bringen, was rein- und einbringen,<br />

so lauten die Devisen, dann haben wir auch was davon<br />

und nichts dagegen, dann nehmen wir sie auch gern auf<br />

und herzlich. Und bringen sie unter.<br />

Aber, wenn die nicht mal eine Visakarte, da klaffen doch<br />

die sozialen Schichten. Cultureclash statt bares Cash –<br />

das bringt uns doch nichts. Das müssen die doch auch<br />

verstehen. Wir können uns ja auch nicht einfach ins Boot<br />

setzen. Und aus dem Vollen schöpfen. Weil der ganze<br />

Fluss voll. Die wollen doch zu uns. Hast du zugesperrt.<br />

Doppelt. Wenn es doch schlecht werden soll. Und es soll<br />

ja noch schlechter. Sonnensturm. Hat sich angekündigt,<br />

im Gegensatz zu ihnen. Die haben sich nicht angekündigt.<br />

Warum kommen die denn? Zu uns. Ausgerechnet.<br />

Haben sich nicht gemeldet, nicht zu Wort und nicht beim<br />

Amt. Aber die müssen sich auch hinten anstellen. Am<br />

richtigen Schalter. Bei der richtigen Beamtin. Die haben<br />

sich nicht angemeldet. Da war nirgends eine Ankündigung<br />

zu lesen. Die haben ihr Land einfach gekündigt,<br />

und jetzt sind sie da. Da hätte ja ein Aushang. Weil hier<br />

gelten andere Regeln. Da müssen auch die sich dran halten.<br />

Weil wir uns auch dran halten. Damit wir in Ruhe. Ja,<br />

in Ruhe vor allem. Und Frieden. Wir können auch nicht<br />

einfach Rasen mähen, wenn’s uns passt, wir können<br />

auch nicht einfach den Rasen nicht mähen, wenn’s uns<br />

passt. Weil wir gemein, also, weil wir eine Gemeinschaft.<br />

Die sich Rechenschaft schuldet – und der Bank Geld.<br />

Und jetzt kommen die. Die Geschwommenen, die so viel<br />

auf sich genommen, Kinder haben die mitgeschleppt,<br />

denen wurde alles genommen. Auch die Würde. Das<br />

letzte Gut. Das tut uns sehr leid, aber da können wir<br />

nichts tun. Dagegen. Die sollen nicht so schauen. Nicht<br />

so dreinschauen. Die. Die sind so viele. So viele Augen,<br />

die uns anstarren. Da schauen wir lieber gleich weg.<br />

Geschlossen und solidarisch. Weil wir uns das nicht antun<br />

wollen, das Elend, weil wir uns damit nicht belasten<br />

wollen. Weil es uns schon reicht, dass wir unser Konto<br />

belasten. Wo bleiben denn wir? Außer auf der Strecke.<br />

Wir sind nicht auf der Reise. Das sind doch die. Und jetzt<br />

sollen wir die Verlierer? Was, wenn wir alle untergehen?<br />

Da rettet uns unser Bier-Schnitzel-Schwimmreifen auch

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