etcetera 68
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ISSN: 1<strong>68</strong>2-9115 | NR.<strong>68</strong> 2017| PREIS: 7 EURO<br />
<strong>etcetera</strong><br />
Köpfe<br />
L i t e r a t u r u n d s o w e i t e r
2 3<br />
2 Köpfe|Mai 2017<br />
Köpfe|Mai 2017 3<br />
Inhalt<br />
Editorial<br />
03 Vorwort/Impressum<br />
Heftkünstlerin<br />
04 Heliane Wiesauer-Reiterer<br />
Interviews<br />
08 Bettina Schülke<br />
10 Jochen Peichl<br />
12 Labinsac<br />
14 Romana Maria Jäger: Mit Kleister und Schere<br />
oder Ästhetik überall!<br />
16 Helmut Seethaler: Ich bin mein eigenes Medium<br />
Essays<br />
20 Robert Müller: Gesichtsverlust<br />
23 Peter Mitmasser: Köpfe<br />
25 Klaus Ebner: Kopfball<br />
Berichte<br />
28 Hommage an die Künstlerin Hannah Höch<br />
Von Romana Maria Jäger<br />
30 Buchmesse Leipzig: Frühlingsbeginn- nicht nur in<br />
der Natur. Von Cornelia Stahl<br />
32 Soshana, eine dickköpfige Künstlerin<br />
Von Karoline Riebler<br />
34 Unica Zürn und Alexander Camaro<br />
Von Cornelia Stahl<br />
Prosa<br />
36 Gerhard Benigni: Der Stinker fängt den Fisch zu<br />
köpfen an<br />
38 Peter Pauritsch: Wir sind die Kinder des Unsinns u.a.<br />
41 Oliver Jung-Kostick: „Die Großkopfeten“<br />
44 Maximilian Hauptmann-Höbart: Kopfmensch<br />
46 Johanna Beck: König, Mullah, General und die<br />
schöne Layla<br />
50 Johannes Schmid: Die Enthauptung des Täufers<br />
52 Peter Paul Wiplinger: „Leben, leben...!“<br />
54 Eva Lugbauer: Dein Meer<br />
56 Andrea Travnik: Raumvision/Ruine<br />
58 Ingrid Svoboda: Sehr geehrter Herr Chef<br />
Cover: ©H.Wiesauer-Reiterer 2006 Kopf Holz 72x25x15,5<br />
Kyoka<br />
42 Hahnrei Wolf Käfer: Mit Dank an ...<br />
Lyrik<br />
48 Michael Burgholzer: 3 kopfkaskaden<br />
57 Martina Sens: Pakistans-Antigone<br />
58 Jordi Rabasa-Boronat: Köpfe<br />
Vereinsleben<br />
6o Rückblick Präsentation „<strong>etcetera</strong> 66 Venedig”<br />
6o Vorschau „FRAUEN, die auf Männer schauen”<br />
61 Eva Riebler P.E.N. Mitglied<br />
62 Rückblick Präsentation „<strong>etcetera</strong> 67 Drache”<br />
63 Vorschau Präsentation „<strong>etcetera</strong> <strong>68</strong> Köpfe”<br />
64 Rückblick Osterspaziergang<br />
Rezensionen<br />
65 Alfred Gelbmann: Vorläufig Lübeck<br />
65 Bernadette Németh: Der Rest der Zeit<br />
66 George Prochnik: Das unmögliche Exil. Stefan<br />
Zweig am Ende der Welt<br />
66 Kathrin Röggla: Nachtsendung<br />
66 Sacha Batthyany: Und was hat das mit mir zu tun<br />
67 Christian Adam: Der Traum vom Jahre Null<br />
67 Hans-Dieter Gelfert: Was ist ein gutes Gedicht?<br />
67 Safak Sariçiçek: Spurensuche<br />
LitGes Poetry Slam<br />
Do. 18.5.17, 20.30 Uhr<br />
LitGes Lesung<br />
Mittw. 24.5.17, 19 Uhr<br />
„<strong>etcetera</strong>“ <strong>68</strong><br />
Mittw. 24.5.17, 19 Uhr<br />
Details Seite 3<br />
Rücks.: ©H.Wiesauer-Reiterer 2006 Kopf Holzobj. 58x20x40<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser!<br />
Im Kopf steckt alles drinnen! Hirn oder hirnlos ist da nicht die Frage! Schon eher: Wovon werden<br />
meine Gedanken beeinflusst, wie geistvoll, konsequent, stringent etc. irrt mein Hirn! Was und<br />
wie raffiniert produziert es und wie unbegabt oder konzentriert setze ich es dann um? Auch ein<br />
kluger Kopf irrt ohne zutreffende Gedanken! Und - auch wer falsch liegt, kann üppig gedeihen!<br />
Zahlreiche spannende Autorentexte, Interviews oder Portraits liegen vor Ihnen. Jede der 30 Biografien<br />
zeugt von einem bestimmten Charakter, einem Kopf!<br />
Sich selbst zu glauben und sich zu bestätigen ist der übliche Grundgedanke, probieren Sie auf<br />
und in andere Köpfe zu sehen! Sie haben nun die Gelegenheit viele Bilder/Beobachtungen zu machen und Gedanken<br />
zu lesen!<br />
Ihre Eva Riebler-Übleis<br />
Impressum<br />
<strong>etcetera</strong> erscheint 4 mal jährlich<br />
ISSN: 1<strong>68</strong>2-9115<br />
Richtung der Zeitschrift: Literarisch-kulturelles<br />
Magazin mit thematischem Schwerpunkt.<br />
Namentlich bezeichnete Beiträge geben<br />
die Meinung der Autorin, bzw. des Autors<br />
wieder und müssen mit der Meinung von<br />
LeserInnerservice<br />
Werden Sie Mitglied der LitGes und erhalten<br />
Sie vierteljährlich <strong>etcetera</strong>, die<br />
Zeitschrift für Literatur. Mit Prosa- und<br />
Lyrikbeiträgen, Essays, Interviews, Rezensionen<br />
und Künstlerporträts sowie Einladungen<br />
zu unseren Veranstaltungen.<br />
Die nächsten <strong>etcetera</strong>-Ausgaben:<br />
Etcetera Heft 69<br />
LitArena VIII für AutorInnen unter 27<br />
Red. Cornelia Stahl & Juroren<br />
Einsendeschluss 15.6.2017<br />
siehe www.litges.at /LitArena<br />
Präsentation 10.10.2017, 19 Uhr Landesbibliothek<br />
St.Pölten, Regierungsviertel<br />
Herausgeberin und Redaktion nicht übereinstimmen!<br />
Herausgeber: Eva Riebler-Übleis<br />
Heftredaktion: Eva Riebler-Übleis<br />
Text und Ilustration © bei den Autoren<br />
Cover/Bilder: Heliane Wiesauer-Reiterer<br />
Gestaltung: G. H. Axmann<br />
Druck: Dockner, Kuffern 87, A-3125<br />
Abonnementspreis:<br />
24 Euro/Jahr = 4 Hefte; Einzelpreis 7 Euro<br />
Bestellung = Überweisung an:<br />
Sparkasse NÖ Mitte-West<br />
BLZ 20256, Konto-Nr. 55137<br />
IBAN: AT422025600000055137<br />
BIC: SPSPAT21<br />
Verwendungszweck: „<strong>etcetera</strong>-Abo“<br />
Bitte Namen und genaue Anschrift leserlich<br />
auf dem Erlagschein vermerken!<br />
Heftbestellungen: einzelne Exemplare<br />
an redaktion@litges.at<br />
Etcetera Heft 70<br />
RITUALE: Zwischen erstarrter Geste und<br />
lebendiger Struktur<br />
Red. Thomas Fröhlich<br />
Einsendeschluss 15. Aug. 2017<br />
Die nächsten LitGes Präsentationen:<br />
Do. 18.5.17, 20.30 Uhr Cinema Paradiso<br />
St.P. LitGes Poetry Slam mit Marlies &<br />
Andi. Meldungen gratis vorort, Jury aus<br />
dem Publikum. Preis & Abo zu gewinnen!<br />
Medieninhaber:<br />
Literarische Gesellschaft St. Pölten LitGes Jour-fixe Schreibwerkstätten Mittw. 24.5.17, 19 Uhr Stadtmuseum Prandauerstr.<br />
HG Eva Riebler-Übleis<br />
für alle Schreibenden und ZuhörerInnen!<br />
2 Lesung: Der NÖ-Autor Wolfgang<br />
Büro Steinergasse 3, 3100 St. Pölten Jeden ersten Mittw. im Monat zu vorgegebenen<br />
Mayer-König liest und das Trio Schwan<br />
Home/Info: www.litges.at<br />
Themen. Schreibzeit 20 Min. spielt & Shirin Bajalan singt Soul & Jazz.<br />
E–Mail: redaktion@litges.at<br />
LitGes Büro, Steinerg. 3, STP, 18 Uhr Moder. E. Riebler. Eintritt/Buffet frei<br />
Mittw. 31.5.17, 19 Uhr Stadtmuseum, Lit-<br />
Ges Präsentation „<strong>etcetera</strong>“ <strong>68</strong> KÖPFE<br />
mit dem Grazer Autor & Gedankenausbeuter<br />
Peter Pauritsch, am Kopf der Instrumente<br />
Werner Sandhacker. Mit Heliane<br />
Wiesauer-Reiterer. Eintritt/Buffet frei<br />
Vorwort/Impressum
4 Köpfe|Mai 2017<br />
Köpfe|Mai 2017 5<br />
Heliane Wiesauer-Reiterer<br />
Es gibt kein Bevorzugen. Bin ich im Krastal, im Steinbruch,<br />
Nein, eigentlich nicht! Als Betrachter sollte man sich auch<br />
geladen. Dort band ich aus Hartriegel vier Boote. Eines für<br />
arbeite ich primär mit Marmor oder Serpentinit, dem Ma-<br />
mit der Kunst auseinandersetzen. Das betrifft nicht nur die<br />
jeden von uns, für meine Kinder, meinen Mann und mich.<br />
Eva Riebler besuchte die Künstlerin in der Galerie „Gött-<br />
terial, das ich dort vorfinde. Hier in Neulengbach arbeite<br />
bildende Kunst sondern auch die Musik, Literatur, Philoso-<br />
licher“ in Krems-Stein und im Atelier in Neulengbach.<br />
ich neben der Malerei, Grafik und Fotografie auch dreidi-<br />
phie, eigentlich alles. Es ist auch ein Lernprozess Kunst zu<br />
Bleibst Du am Thema Kopf dran?<br />
mensional mit Ton, Holz und den Materialien, die ich hier<br />
sehen und zu verstehen. Dann können sich Welten öffnen.<br />
Ja, zum Thema „Kopf“ entstehen immer wieder neue Ar-<br />
in meinem Umfeld finde. Es ist oft eine Lust, ein Verlangen<br />
beiten. Zuletzt habe ich 2016 einige dreidimensionale Ar-<br />
mich auf ein bestimmtes Material einzulassen und zu se-<br />
Zeichnest Du Frauen? In der Lieglgalerie Neulengbach<br />
beiten zum Kopf gebaut. Manchmal fotografiere ich auch<br />
hen, was daraus wird. Die Lust zu malen, Schwarz zu the-<br />
sah ich vor 5 Jahren eine Ausstellung mit Papierar-<br />
meine frühen Köpfe und bearbeite sie im Computer wei-<br />
matisieren, mich in den Ton einzugraben oder einfach zu<br />
beiten von Dir.<br />
ter. Ich finde es sehr aufregend, wenn ich Neues entde-<br />
gehen und etwas zu finden.<br />
Ja, mich interessieren innere und äußere Spannungen und<br />
cke. Alles ist im Prozess, alles in Bewegung. Ich beginne<br />
Proportionen, menschliche Rhythmen und Bewegungsab-<br />
mit einem Kopf, dann entsteht oft eine ganze Werkgruppe.<br />
Zeigten Deine ersten Ausstellungen bereits Köpfe?<br />
läufe ebenso wie das Verharren in einer Position. Parallel<br />
Es ist wie ein bildliches Denken - ein Gedanke folgt dem<br />
Nein, 1972 in meiner ersten Einzelausstellung in der Wiener<br />
zu meinen reduzierten - abstrakten Arbeiten zeichne ich<br />
nächsten Gedanken. Offen und flexibel zu sein ist wichtig.<br />
Secession stellte ich Landschaften und Steinbrüche aus. Im<br />
seit einigen Jahren Frauen in Bewegung und versuche be-<br />
Ich bewege mich gerne im Experiment!<br />
Krastal stellte ich 1974 Kopf- und Figurenobjekte aus, die<br />
stimmte Positionen durch wenige Akzente und Linien fest-<br />
während des Bildhauersymposions entstanden waren. Mei-<br />
zuhalten, die ich dann später in meinem Atelier oft auch<br />
Ich danke Dir für das Gespräch und Deine Köpfe!<br />
ne erste Kopfausstellung fand 1982 in der Galerie Lang in<br />
überarbeite. Für mich ist die Auseinandersetzung mit der<br />
Wien statt.<br />
Figur, der Bewegung, der Natur wie ein Anker, eine Möglichkeit<br />
nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren, un-<br />
Heliane Wiesauer-Reiterer<br />
Bemaltest Du auch die Holzobjekte?<br />
ter Spannung zu bleiben, mich nicht ständig zu wiederho-<br />
Geb. 1948 in Salzburg, 1948–57 Kindheit und Schule in Buenos<br />
Ja, 1974 baute ich aus Holzbrettern Figuren und Köpfe, die<br />
len, immer wieder nach neuen Wegen zu suchen, Neues zu<br />
Aires/Argentinien, 1957–65 in Marne, Holstein/D. 1965/66 Foto-<br />
ich anschließend bemalte. In diese Werkgruppe gehören<br />
entdecken, den Betrachtungswinkel zu ändern.<br />
lehre in Wien, 1967 Werbefachschule WIFI/Wien und Wiener Kunst-<br />
eben meine ersten Kopfobjekte, die dann im Krastal am<br />
schule. 19<strong>68</strong>–72 Studium an der Akademie der bildenden Künste<br />
Ende eines Bildhauersymposions ausgestellt wurden.<br />
Recherchierst Du zu bestimmten Themen? Z.B. für Dei-<br />
Wien (bei Prof. Gustav Hessing, Diplom). Seit 1970 Mitarbeit am<br />
Vor Jahren fand ich im Steinbruch einen Teil eines vom Blitz<br />
nen Zyklus „Frauen in Pompeji“?<br />
[kunstwerk] krastal und am Aufbau der Werkstätte Krastal. 1982–<br />
©Foto Eva Riebler<br />
getroffenen Baumes, der mich an einen Vogelflügel erinnerte.<br />
Er hatte starke Verbrennungsspuren. Ich barg ihn,<br />
Nein, es ist weniger ein Recherchieren, mehr das Beobachten<br />
meiner Umwelt. Das schreckliche Drama, das in<br />
91 Verwaltung und Ausstellung des Nachlasses von Otto Eder.<br />
2004 Gründung des Vereins FOCUS kunst frei raum, Neulengbach.<br />
Liebe Heliane, Du gestaltest grafisch sehr reduziert,<br />
reinigte und bemalte ihn und gab ihm den Titel „Blauer Vo-<br />
Pompeji passiert ist, hat mich immer sehr beeindruckt und<br />
Lebt und arbeitet in Wien und Niederösterreich.<br />
und doch sehe ich von 1976 bis 2016 immer wieder<br />
gelflügel, Fall durch Zeit und Raum“.<br />
vieles davon ist sicherlich in meine Arbeiten eingeflossen.<br />
www.wiesauer-reiterer.com<br />
Kopfskulpturen aus Stein.<br />
Die dunklen, meist bewegten, aber auch in bestimmten<br />
Mitgliedschaften<br />
Ja, der Kopf, das Zentrum des Denkens, Fühlens und Emp-<br />
Du reduziertest Deine Objekte immer mehr?<br />
Positionen erstarrten Menschen(Frauen)Bilder, die ich vor<br />
Wiener Secession; [kunstwerk] krastal; Kunstforum Salzkammer-<br />
findens hatte für mich immer eine große Anziehungskraft<br />
Nach meiner sehr expressiven Auseinandersetzung wurden<br />
rotem Hintergrund malte, gaben die Assoziation und so<br />
gut, Gmunden; IG bildender KünstlerInnen, Wien; Künstlerhaus Kla-<br />
in der künstlerischen Auseinandersetzung. Mensch-Sein,<br />
meine Arbeiten immer reduzierter und abstrakter. Die Reduk-<br />
entstand der Titel dieser Bilder „Frauen von Pompeji“. Es ist<br />
genfurt; Künstlerhaus Wien<br />
Landschaft und Raum sind seit Anbeginn meine Themen,<br />
tion und Abstraktion ist die Essenz der Dinge. Sie beinhaltet<br />
wie ein Zitat - wie ein logischer Schluss.<br />
Preise, Stipendien<br />
die ich im Laufe der Jahre immer wieder neu und anders<br />
das Wesentliche, das Nebensächliche fällt weg, so auch bei<br />
1973 Förderungspreis der Österreichischen Nationalbank, Wien.<br />
interpretiere.<br />
der Reduktion und Abstraktion von Kopf, Figur, Landschaft,<br />
Im Katalog ist ein Boot abgebildet. Ist es aus Stein<br />
1978 Preis der Bundeshauptstadt Wien beim 16. Österreichischen<br />
Bereits 1977, als mein Vater starb, habe ich mich ganz in-<br />
Raum. Das Erspüren von Intensität, Konzentration, Span-<br />
oder Beton?<br />
Graphikwettbewerb Innsbruck; Arbeitsstipendium der Stadt Wien;<br />
tensiv mit dem Mensch-Sein bildnerisch auseinanderge-<br />
nung, geistigem Inhalt, die Balance der Proportionen, For-<br />
Nein, das Boot ist 2006 aus Papiermaché entstanden. Für<br />
Arbeitsstipendium des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst,<br />
setzt. Von 1977-1984 entstanden immer wieder Werkgrup-<br />
men und Farben untereinander unter Einbeziehung der Ma-<br />
mich hat ein Boot eine starke Symbolik. Ein Boot ist et-<br />
Wien. 1980 Förderungspreis des Bundesministeriums für Unterricht<br />
pen sehr expressiver Zeichnungen, Bilder und Skulpturen.<br />
terialien sind wesentliche Faktoren einer reduzierten oder<br />
was, das einen woanders hinträgt in ein neues Land, eine<br />
und Kunst, Wien. 1982 1. Preis beim Wettbewerb Franz von Assisi<br />
Meine Suche nach einer reduzierten und abstrakteren Zei-<br />
abstrakten Arbeit. Es ist vielleicht am ehesten vergleichbar<br />
bessere Zukunft. Das Boot als Symbol des Überganges, als<br />
heute, Krems. 1984 Arbeitsstipendium der Stadt Wien; Anerken-<br />
Interview<br />
chensprache hatte aber schon um 1973 begonnen und verdichtete<br />
sich im Laufe der Jahre immer mehr.<br />
Bevorzugst Du das plastische Gestalten von Holz- oder<br />
Steinköpfen?<br />
mit der reinen Musik, die sich ja auch aus Rhythmen, Proportionen,<br />
Spannungsfeldern u. a. aufbaut.<br />
Wird nicht die Reduktion für die Betrachter unverständlich?<br />
Hoffnungsträger. Meine Eltern wanderten kurz nach meiner<br />
Geburt mit mir und meiner Schwester aus. Wir fuhren<br />
mit einem Schiff nach Südamerika und kamen nach fast 10<br />
Jahren wieder per Schiff zurück. 2004 wurde ich von Kunst<br />
in der Natur zu einem Symposion nach Gars am Kamp ein-<br />
nungspreis des Landes Niederösterreich. 1985 Preisträgerin der Länderbank<br />
– Galerie Würthle Kooperation, Wien; Förderungspreis des<br />
Landes Niederösterreich. 1987 Arbeitsstipendium der Stadt Wien.<br />
1988 Preis des Landes Salzburg beim 21. Österreichischen Graphikwettbewerb<br />
Innsbruck. 1989 Förderungspreis der Stadt Wien<br />
Interview
6 Köpfe|Mai 2017<br />
Köpfe|Mai 2017<br />
7<br />
©Heliane Wiesauer-Reiterer2006 Köpfe bemalte Holzobjekte1
8 Köpfe|Mai 2017<br />
Köpfe|Mai 2017 9<br />
Bettina Schülke<br />
Eva Riebler besuchte die Künstlerin in Herzogenburg.<br />
Deine Themen sind?<br />
Ich verbinde z.B. das Thema Wasser eng mit der Thematik<br />
Sind es Bilder oder Objekte?<br />
Ich arbeite zwei- und dreidimensional, mit Installationen,<br />
Was sind Deine kurz zusammengefassten künstlerischen<br />
Aussagen, die Du einem Normalsterblichen<br />
des Raumes. Ich sehe Wasser immer im Dialog mit der Um-<br />
mit bewegten und Stillstandsbildern.<br />
mit auf den Weg geben möchtest?<br />
gebung, also als Spiegel. Hier interessiert mich sehr das Ele-<br />
Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass der Mensch<br />
ment der Bewegung und der Prozess zwischen flüssig und<br />
Ist das Haptische beabsichtigt?<br />
den eigenen Blick, das eigene Sehen bewusster wahr-<br />
Eis, also der Übergang der Aggregatszustände.<br />
Ja.<br />
nimmt. Ich versuche den Betrachter dorthin zu führen,<br />
dass er auch die Möglichkeit hat, sowohl den Blickwinkel<br />
Und Du dokumentierst dies?<br />
Darf das Objekt berührt werden?<br />
wie auch die Zeitphase zu gestalten.<br />
Bei manchen Arbeiten beginne ich zuerst mit Fotografie und<br />
Ja. Die Objekte animieren dazu.<br />
Er/Sie hat Bedeutung und Verantwortung!<br />
bearbeite und verwandle diese am Computer, um sie dann<br />
weiterzuentwickeln mittels Malerei und Zeichnung.<br />
Was hast Du in Wien auf der Akademie der Bildenden<br />
Danke für meine Verantwortung!<br />
©Daniel Pergamenschikow<br />
Künste studiert?<br />
Tapisserie, Textiles Gestalten und Malerei. Den Abschluss<br />
habe ich in Tapisserie.<br />
Warum gingst Du dann nach Finnland?<br />
Weil ich in Finnland an einer Fachhochschule und einer<br />
Universität Raum-Zeit und Installations-Kunst unterrich-<br />
Was sind Deine künstlerischen Interessen?<br />
tete. Dadurch erfuhr ich von der Möglichkeit ein künst-<br />
Diese sind eng an meine Forschungsarbeit gekoppelt.<br />
lerisches Doktorat zu machen. Das gab es damals noch<br />
Folgedessen ergeben sich aus dem heraus, meine künst-<br />
nicht in Österreich.<br />
lerischen Interessen. Das zentrale Thema ist die Auseinandersetzung<br />
mit Raum und wie das Thema Raum durch<br />
Das Wesentliche Deiner Doktoratsarbeit wird sein: …<br />
Kunst erforscht werden kann. Das Thema Raum ist weitreichend,<br />
bei dem es sehr viele thematische Zugangsweisen<br />
Wie der Raum in der künstlerischen Ausdrucksweise verstanden<br />
wird. Dafür untersuche ich verschiedene räum-<br />
©Textilfotos Bettina Schülke<br />
gibt.<br />
liche Konzepte und gehe davon aus, dass wir dringend<br />
Und ich bedanke mich für das Interview!<br />
Das räumliche Denken und Sehen und das Erleben, die kör-<br />
ein neues räumliches Konzept brauchen. Der Grund dafür<br />
perlichen Erlebnisse sind Grundlagen meiner Kunst.<br />
sind die neuen technologischen Entwicklungen!<br />
Meine Publikation TRANSACTION as INTERACTION: Art as<br />
an Extended sense of Space erscheint Ende Mai im Acta<br />
Das heißt?<br />
Werden die Ergebnisse großformatig und werden sie<br />
Du meinst…<br />
Universitatis Lapponiensis Verlag.<br />
Ich gehe z.b. vom Blickwickel, von der Bewegung des Bli-<br />
öffentlich präsentiert?<br />
Z.B. der physische Realraum erweitert sich hin zum<br />
ckes im Raum aus und frage: Wie funktioniert das Sehen im<br />
Ja die Werke sind meist großformatig und werden in Ausstel-<br />
virtuellen Raum im Cyberspace. Daraus ergeben sich<br />
Bettina Schülke<br />
Raum? Wie und wodurch verändert sich die Wahrnehmung?<br />
lungen gezeigt. Ein wesentlicher Teil meiner künstlerischen<br />
verschiedene Mischformen, die ich als „Hybrid Spatial<br />
Geb. 1967 in Herzogenburg, wohnhaft Wien, arbeitet an der<br />
Diese Fragen versuche ich mit diversen künstlerischen Me-<br />
Arbeiten ist die Interaktion zwischen Kunstwerk und dem<br />
Realities“ bezeichne. Es handelt sich um ein Practice-<br />
Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Technologie. Zahl-<br />
dien und Techniken zu bearbeiten.<br />
Betrachter.<br />
based research, d.h. mein eigener künstlerischer Pro-<br />
reiche Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen, z. B. 2.<br />
zess und die Kunstwerke selbst bilden die Grundlage für<br />
Thessaloniki Biennale, GR; Winkelhaak Design Museum, Antwer-<br />
Welche wären das?<br />
Ist das Werk ohne Betrachter nicht komplett?<br />
die Forschungsarbeit. Ich forsche über meinen eigenen<br />
pen, BE; Kemi Art Museum, Lume Mediakeskus, Helsinki; Arkti-<br />
Ich verwende traditionelle Techniken wie Zeichnung und<br />
Es sind zwei Dinge. Bei manchen Arbeiten spielt der Betrach-<br />
künstlerischen Prozess und spiegle diesen mit wissen-<br />
kum Museum and Arctic Science Centre, Rovaniemi, FI; MAK-nite<br />
Malerei und die neuen Medien wie digitale Fotografie, Com-<br />
ter insofern eine wesentliche Rolle, weil er die Arbeit erst<br />
schaftlichen Theorien und belege die künstlerischen Er-<br />
(Österreichisches Museum für angewandte Kunst/Gegenwarts-<br />
Interview<br />
puter und Video.<br />
Getrennt von einander?<br />
Dadurch dass ich mich so vieler verschiedener Medien<br />
beim selben Thema bediene, habe ich das künstlerische<br />
Konzept von Transaction entwickelt. Die prozessorientierte<br />
Arbeitsweise ist charakteristisch.<br />
animiert. Und zwar durch die physische Bewegung im Raum,<br />
wie es bei interaktiven Installationen der Fall ist. Meine<br />
Stereoscopic Textile Images sind erst durch die Bewegung<br />
des Betrachters im Raum in ihrer gesamten Erscheinung<br />
vollständig erfahrbar. Dadurch ergeben sich verschiedene<br />
Bildinhalte je nach Blickwinkel. Dass es zu einer räumlichen<br />
Erfahrung kommt, bedarf es der Bewegung.<br />
gebnisse.<br />
Z.B. arbeite ich mit Theorien von Michel Foucault oder<br />
Henri Lefebvre, oder eines der künstlerischen Projekte<br />
baute auf dem frühen Science Fiction Roman „Flatland: a<br />
romance of many dimensions“ von A. Edwin Abbott 1884<br />
auf. Das nimmt Bezug auf die Schwierigkeit, höhere Dimensionen<br />
zu verstehen.<br />
kunst), Wien, AT, oder Textilarbeiten im österreichischen Pavillion<br />
bei der 8. Architektur Biennale in Vendig, IT- Teilnahme und Präsentationen<br />
an Konferenzen, Workshops, Festivals, internationale<br />
kollaborative Projekte, Lehrtätigkeit in Finnland und Österreich.<br />
Ende Mai erscheint die Publikation ihrer Forschungsarbeit (Dissertation)<br />
TRANSACTION as INTERACTION: Art as an Extended<br />
Sense of Space, an der University of Lapland, FI.<br />
Interview
10 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 11<br />
Jochen Peichl<br />
Ist das Bauchgefühl so was wie das innere Kind?<br />
Macht und Ohnmacht im Leben und Belastungssituationen<br />
Gewalt ist ein Teil der Gesellschaft und wird sich daher<br />
Interview mit dem Therapeuten Jochen Peichl anlässlich<br />
Das Bauchgefühl ist Intuition und das innere Kind ist der kreative<br />
Anteil.<br />
nennen wir traumatisch, wenn sie hilflos machen. Hilflosigkeit<br />
geht einher mit dem Ausgeliefertsein. Das sind die<br />
auch in unseren Bildern ausdrücken.<br />
seines Malseminars in der alten Saline Bad Reichenhall.<br />
Über das innere Kind und das Bauchgefühl, über Macht und<br />
Ohnmacht und …- Text und Fotos Eva Riebler<br />
Aber Kreativität ist doch…<br />
Kreativität bringen wir mit. Es kommt auf die Förderung drauf<br />
drei typischen Gefühle für eine Traumaerfahrung!<br />
Und unser Gehirn ist eine Überlebensmaschine, alles was<br />
das Hirn tut, zielt darauf ab, zu überleben und sich anzu-<br />
Siehst Du den Psychologen Dr. Navradil aus der Anstalt<br />
Gugging als Vorreiter?<br />
Ja, die Patienten hatten keine Worte dafür und drückten in<br />
an, ob die Intuition oder die motorische Begabung gefördert<br />
für uns unfassbaren Bildern dies aus.<br />
wird. Malen hat etwas damit zu tun, dass z.B. das Spritzen, der<br />
Gestus etc. in Bewegung umgesetzt werden kann. Bewegungs-<br />
Bildinterpretation ist so eindimensional, finde ich,<br />
begabung hat die Möglichkeit der Umsetzung beim Malen, z.B.<br />
wenn der Maler viel Schwarz verwendet und der Be-<br />
Wenn wir therapieren, bauen wir mit Stühlen einen Raum: Wir<br />
trachter ihn fragt: Haben sie eine Depression?<br />
gestalten außen den Innenraum. Das Räumliche wirkt zurück<br />
Die moderne Hirnforschung zeigt uns, dass es eigentlich<br />
in die Seelenlandschaft. Deshalb kann Kunst die Seele heilen!<br />
keine Wahrnehmung gibt, sonder nur Wahrgebung!<br />
„Alles Seelische ist räumlich strukturiert“, sagt z.B. Gunther<br />
D. h. die Welt um uns herum ist vermutlich farblos grau,<br />
Schmidt.<br />
die Farben entstehen erst durch die Interpretation unseres<br />
Gehirns mittels Nervenimpulse, die durch die elektroma-<br />
Punkto Trauma sagst Du …<br />
gnetischen Wellen beim Sehvorgang angeregt werden!<br />
Wenn du eine Verletzung erlebt hast und malst, und jemand<br />
Ja eine Konstruktion des Gehirns, die so oder auch anders<br />
Du bist Psychotherapeut der inneren Welten. Wie<br />
muss/kann man sich das vorstellen?<br />
Ich habe 20 J. die Traumatheraphie in Nürnberg geleitet.<br />
Ich interessiere mich einfach dafür, was im Inneren eines<br />
Menschen passiert. Es gibt die Bühnenmetapher: die innere<br />
Bühne im Gegensatz zu der im Burgtheater. Im Inneren<br />
betrachtet das Bild, in dem Moment gibt es Zeugenschaft z.B.<br />
das abgehauene Ohr von Vincens van Gogh. Die Verweigerung<br />
von Zeugenschaft, oft durch die Mutter, schafft Wortlosigkeit,<br />
Leere.<br />
Beus machte die Aktion „zeigt her eure Wunden“. Er hat eine<br />
traurige Bio, denn in Russland wurde er abgeschossen und hatte<br />
starke Brandwunden am ganzen Körper. Seine Heilung war<br />
passen! Und wenn ich traumatischen Erfahrungen immer<br />
wieder ausgesetzt bin und weder flüchten noch kämpfen<br />
kann, was kleine Kinder ja nicht können, dann ist es eine<br />
Überlebensstrategie, sich in das Denken, Handeln und<br />
Planen eines Täters hineinzudenken, um eine gewisse<br />
Form von Überlebensstrategie zu entwickeln. Dieser ver-<br />
sein könnte!<br />
Es gibt den schönen Spruch, dass, wenn ein Bild pervers<br />
betitelt wird, dies mehr über den Betrachter als den Künstler<br />
aussagt! Die Schönheit liegt immer im Auge des Betrachters!<br />
Alles, was ist, ist nur eine Möglichkeit!<br />
ist man selber Regisseur, aber manchmal tun die Teile nicht<br />
das, was sie sollten und dann kommen Teile auch vorne<br />
an den Bühnenrand und machen Sachen. Z.B. der /mein<br />
das Einpacken in Schmalz. Das waren Wärmeträger, das war<br />
seine Überlebenserfahrung …<br />
zweifelte Versuch hat nur einen Nachteil: Durch die sog.<br />
Spiegelneuronen im Gehirn nehmen wir den Täter und sein<br />
Denken in uns auf und so nistet sich der äußere Täter als<br />
Ich danke Dir, lieber Jochen für das interessante Gespräch!<br />
Maler kommt nach vorne, der hat Wünsche sich auszudrü-<br />
Ego-Therapie, wie soll man sich das vorstellen?<br />
innerer Feind in uns ein. Und bedroht uns jetzt von innen,<br />
cken, was der erwachsene Jochen mit 67 erst einmal ver-<br />
Ego State Therapie, ist auf Deutsch die Teiletherapie. Die Grun-<br />
auch wenn das äußere Trauma schon längst vorbei ist.<br />
wunderlich findet.<br />
didee ist, dass unser Selbst nicht aus einer einheitlichen Struk-<br />
Jochen Peichl<br />
tur besteht.<br />
Der gute Therapeut erkennt und versucht zu erklären?<br />
FA für Psychotherapie und Psychosomatische Medizin, Psychiatrie<br />
Ist das der Begriff inneres Kind oder schon Täter?<br />
Unser Selbst besteht aus Modulen, aus Anteilen, die bilden<br />
Ja jedes Opfer hat eine potentielle Seite auch Täter zu wer-<br />
und Neurologie; bis Ende 2010 als OA in der Klinik für Psychoso-<br />
Nein, da können auch kindliche Seiten von mir nach vorne<br />
sich im Laufe deiner Entwicklung, die meisten in der Kindheit,<br />
den, was für viele Menschen erklärt, warum sie manchmal<br />
matik am Klinikum Nürnberg; jetzt in eigener Kassenpraxis, als<br />
kommen, ganz spielerische, vielleicht haben sie einen ganz<br />
wo du einordnest. Durch die Erzählgeschichte, die du über dich<br />
Dinge tun, die sie auf alle Fälle immer vermeiden wollten,<br />
Weiterbilder in Teiletherapie und Autor tätig. Meine Arbeitsschwer-<br />
romantischen Harmoniewunsch, der sich dann ausdrücken<br />
selbst erfindest, wird das manifestiert. Über die Jahre bilde ich<br />
auch machtvoll gegenüber Schwächeren auftreten, die<br />
punkte sind Somatoforme Störungen, Borderline-Störungen und<br />
möchte. Dann kommt so ein kleiner Rebell und haut mit<br />
eine Korporate Identity. Je mehr du davon hast, desto interes-<br />
eigenen Kinder schlagen, auch wenn man selbst massiv<br />
traumaassozierte Störungen. Weiterbildung als Psychoanalytiker<br />
Rot dazwischen!<br />
santer bist du als Mensch.<br />
geschlagen wurde, und sich immer vorgenommen hatte,<br />
am Lou-Andreas-Salome Institut Göttingen, Psychodramathera-<br />
Du bist nicht so eindimensional! „Wenn du nur einen Hammer<br />
dass einem so etwas nicht passiert.<br />
peut und Gruppentherapeut. Gründer der Station zur Behandlung<br />
Ich favorisiere immer den, der dazwischen haut! Und<br />
hast, ist die Welt nur ein Nagel“, sagt Yalom.<br />
So kann das Tätersein in der Gesellschaft transgenerativ<br />
von Menschen mit Traumafolge-Störungen 1993 in Nürnberg, Wei-<br />
Du?<br />
weitergegeben werden, wenn wir uns vorstellen, dass eine<br />
terbildung in EMDR-Therapie bei Arne Hofmann, in Ego-State-The-<br />
Interview<br />
Das macht auch viele Bilder erst spannend und interessant.<br />
Und die Bilder sind ja der Ausdruck der inneren Welt und<br />
der Bühne. In den Werken ist versteckt, wie es im Inneren<br />
zugeht.<br />
Es herrscht das Harmoniebedürfnis oder das Chaos vor …<br />
Das heißt man ist selber der Autor seines Selbst?<br />
Ja genau und damit auch der Maler seiner Bilder.<br />
Wo bleibt der Hilflose oder Tatenlose?<br />
Jeder von uns macht mehr oder weniger Erfahrungen von<br />
2014 gemachte europaweite Gewalt-Studie an Frauen gezeigt<br />
hat, dass 40 % aller Frauen bis zum 16. Lebensjahr,<br />
Gewalt erlebt haben. Davon 14 % juristisch verfolgbare Gewalt.<br />
In Deutschland gehen wir davon aus, dass 10% aller<br />
Kinder Gewalt erlebt haben.<br />
rapie bei Woltemade Hartman und Hypnotherapieweiterbildung bei<br />
Gunther Schmid und Bernhard Trenkle. Autor mehrerer Bücher und<br />
Fachartikel zum Thema: Hypnotherapeutische Arbeit mit inneren<br />
Anteilen. Gründer des Instituts für Hypno-analytische Teilearbeit<br />
und Ego-State-Therapie in Nürnberg 2010.<br />
Interview
12 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 13<br />
Labinsac<br />
lichkeit zu platzieren. Konfrontiert wird er erstmals in sei-<br />
Ich sehe mich als StreetArtKünstler, als jemand, der Kunst<br />
noch viel mehr bei uns Künstler. Aber sag niemals nie…<br />
ner Schule in St.Pölten mit Street Art und Künstlern wie<br />
im öffentlichen Raum macht, die durchaus anregen darf zum<br />
Susanne Klinger sprach mit Labinsac, einem scheuen<br />
Jean Michel Basquiat. Durch Susanne Kysela (damalige<br />
Nachdenken. Leider ist ja StreetArt zum Schimpfwort gewor-<br />
In Wien sind Graffitis aus dem Stadtbild eigentlich nicht<br />
St.Pöltner Spray – Künstler.©Foto Susanne Klinger<br />
Vizebürgemeisterin) erfährt er wohlwollende Unterstüt-<br />
den, was meiner Meinung nach völlig zu Unrecht passiert.<br />
mehr wegzudenken obwohl es immer noch ein kon-<br />
zung. Von 2003 bis 2007 arbeitet er in seinem eigenen<br />
troverses Thema ist oder vielleicht grad deswegen –<br />
Atelier, das sich im Backstagebereich vom frei:raum<br />
Where?<br />
St.Pölten braucht da länger?<br />
St.Pölten befand.<br />
Zur Zeit gibt’s keine aktuelle Ausstellung wobei, einen Labin-<br />
Es braucht die Rahmenbedingungen und letztendlich die Ju-<br />
Stadtmuseumsleiter Thomas Pulle erkennt sein Potenti-<br />
sac findet mann/frau in St.Pölten wenn er/sie mit offenen<br />
gendlichen, die es ausüben und das mit einer Leidenschaft.<br />
al. Es wird eine Ausstellung „a.e.r.o.s.o.l.i.u.m. cetium –<br />
Augen durch die Stadt marschiert, zum Beispiel in der Ein-<br />
Wir leben in einer Knopfdruckgeneration – Graffiti braucht<br />
st pölten sprüht. labinsac goes Wolf“ im Stadtmuseum<br />
kaufszone in der Promenade oder in der Kremser Straße …….<br />
Zeit und die Auseinandersetzung; es ist nicht nur rausgehen<br />
eingerichtet. (2013) Teile der Ausstellung findet man im<br />
Oder auf der Homepage, wo viele Arbeiten zu sehen sind.<br />
und ne Wand ansprühen und fertig.<br />
Stoagartl/Einkaufszentrum Promenade.<br />
Namen wie James Hetfield ( Frontman von Metallica); Liam<br />
Hak-Art 2016 ist eines seiner letzten Projekte in St.Pölten:<br />
Gallagher (Leadsänger von Oasis); Herold Hunter (US Skater<br />
Im Interview von Andreas Reichebner 06/2013 mit dem Titel<br />
Labinsac begleitete eine Klasse mehr als ein Jahr mit<br />
und Schauspieler) Frenk Schinkels (Fußballer); Armin Wolf<br />
„Der Mann mit dem scharfen Messer“ meintest Du: „Was<br />
einem Graffiti Projekt. Präsentation erfolgte zum Schul-<br />
(Österreichischer Journalist); Julian Assange (Journalist und<br />
ich mir wünschen würde, dass heimische, aktuelle Künst-<br />
schluss 2016. Geplant ist eine Fortsetzung dieses erfolg-<br />
politischer Aktivist); Marylin Monroe (US Schauspielerin);<br />
ler mehr in die Vermarktung, beim Image geben der Stadt<br />
reichen Projekts mit der HTL.<br />
Rodney Hunter (Elektronik-Musiker) usw.<br />
miteinbezogen werden. Für die Kids ist St. Pölten nicht cool.<br />
Die Schüler erarbeiteten selbst das Thema und waren mit<br />
Gerade eine Kunstszene, die pulsiert, die der Jugend etwas<br />
Feuer und Flamme dabei (StencilGraffiti ist eine Unter-<br />
Alles Auftragsarbeiten oder Menschen, die Dich durch<br />
zu sagen und zu bieten hat, kann da der Stadt ein ganz an-<br />
kategorie der Graffiti-Kunst bzw. Street-Art.) Anmerkung<br />
Ihr Sein inspirierten oder anders - Warum diese Men-<br />
deres Image geben.”<br />
von Labinsac: „StencilArbeiten sind insofern schwierig,<br />
schen?<br />
Ja, dazu muss man aber Rahmenbedingungen schaffen, wie<br />
weil Sie thematisch vorweg „auf den Punkt gebracht wer-<br />
Teils, teils. Liam Gallagher war zum Beispiel eine Sticker Ak-<br />
es zum Beispiel in Wien passierte mit der „Wiener Wand“.<br />
den müssen.“<br />
tion beim „Frequenzy Festival“, andere haben mich einfach<br />
(Wienerwand. Im Rahmen des Projektes Wienerwand bietet<br />
Ich hab` dir 3 Fragen von deiner Homepage quasi gestohlen<br />
angesprochen und es gab und gibt auch immer wieder Auf-<br />
die Stadt Wien jungen KünstlerInnen aus der Graffitiszene le-<br />
(siehe Google: labinsac)<br />
tragsarbeiten.<br />
gale Flächen an).<br />
How?<br />
Hast du jemals schon Strafe zahlen müssen?<br />
Jean Michel Basquiat sagte mal : „believe it or not, I can<br />
„Labinsac “, Dich um ein Interview zu bitten, hat mich natür-<br />
Begonnen hab ich mit der klassischen Spraydose und dann<br />
Na genug….in früheren Zeiten….<br />
actually draw”. Kannst du nachvollziehen, was er da-<br />
lich dazu veranlasst, viel zu recherchieren; nichts geht über eine<br />
kamen die Einflüsse von außen und ich hab quasi auch deren<br />
mals mit dieser Aussage „eigentlich“ sagen wollte?<br />
gute Vorbereitung.<br />
Ideen aufgeschnappt und versucht umzusetzen, und das mit<br />
Und nun ein bisschen was Persönliches. Gibt’s ein Lieb-<br />
Unwissende meinen ja immer noch, Graffiti ist einfach ein<br />
Ich kam dabei vom „Hundertsten ins Tausendste“. Unglaublich<br />
Leidenschaft. Selbst auferlegte Einschränkungen im Kopf:<br />
lingsbuch?<br />
Sprühen mit der Farbdose und das kann jeder. Mit der Dose<br />
spannende Biographien, die ich gelesen hab`, vor allem die von<br />
(….so einer wie Banksy kannst eh nicht werden…hab ich so-<br />
Nicht eines sondern mehrere. Zurzeit beschäftigt mich Ro-<br />
umgehen ist nicht so einfach und da sind wir noch gar nicht<br />
Jean Michel Basquiat, aber auch von Blek the Rat…<br />
fort umfunktioniert, indem ich meinen eigenen Stil kreierte:<br />
berto Saviagno (italienischer Schriftsteller); Michael Köhlmei-<br />
bei dreidimensionaler Technik. Ich empfehle jedem, der die-<br />
Einen winzig kleinen Einblick zu bekommen in die Gedanken-<br />
„Nicht kopieren, sondern höchstens als Inspiration für Eige-<br />
er (österreichischer Schriftsteller) und auch immer wieder<br />
sen geringschätzigen Gedanken in sich trägt, einen Versuch<br />
welt eines Graffiti-Künstlers, war es allemal wert, mich damit<br />
nes benutzen“, war die Devise. Irgendwann wurde aus der<br />
Jean Ziegler( Schweizer Soziologe und Sachbuchautor).<br />
zu starten und mit einer Spraydose ein Bild zu sprayen, voi-<br />
auseinanderzusetzen.<br />
Leidenschaft eine Profession; da hab ich auch begonnen,<br />
lá….! Als Graffitikünstler brauchst du die Idee des Zeichners<br />
Künstlerisch ist Labinsac drangeblieben, an dem, womit er sich<br />
meine ersten Buchstaben aus Zeitungen auszuschneiden.<br />
Aus einem früheren Interview konnte ich rauslesen,<br />
in dir!<br />
identifizieren kann und wovon er gleichzeitig weiß, dass der so-<br />
Wobei, meine ersten Stencils hab ich selbst gezeichnet und<br />
dass Du eine Einladung von der Stadt Mexico City erhal-<br />
genannte „mAINstreAM“ oder auf gut österreichisch der Mas-<br />
vielleicht beginne ich diese Idee wieder aufzunehmen und<br />
ten hattest, dort künstlerisch tätig zu werden. Bist Du<br />
Was sagst Du zur Kunstszene in St.Pölten?<br />
sengeschmack nicht „dranhängt“. Nur Kenner und Liebhaber<br />
daran weiterzuarbeiten.<br />
dieser Einladung gefolgt?<br />
Es gilt Rahmenbedingungen zu schaffen, wie z.B. eine zeitge-<br />
der Graffitikunst interessieren sich für Ausstellungen dieser Art.<br />
Die Rahmenbedingungen waren zur damaligen Zeit (auch<br />
nössische kleine Galerie im Zentrum, die ausschließlich die<br />
Interview<br />
Das Gespräch mit Dir, Labinsac, war allemal inspirierend für<br />
mich.<br />
„Wolf“ beginnt unter dem Künstlerpseudonym „labinsac“<br />
Mitte der achtziger Jahre sein erstes Graffiti in der Öffent-<br />
Why?<br />
Ich bin vom Naturell her jemand, der Herausforderung sucht.<br />
Graffiti hat mich damals sofort angesprochen, wobei zu Jugendzeiten<br />
die Illegalität ein gewisser Kick war und natürlich<br />
auch der damit verbundene Ausdruck von Protest.<br />
aus familiären Gründen heraus) nicht optimal. Für mich persönlich<br />
wäre es eine ziemliche Herausforderung gewesen.<br />
Sprayer in Rio de Janeiro sind „anders“ unterwegs wie zum<br />
Beispiel Sprayer bei uns oder in New York. Ein mediterraner<br />
Einfluss ist einfach spürbar im Wesen eines Menschen und<br />
neue St.Pöltner Kunstszene „featured“ bzw. Budgetmittel zur<br />
Verfügung zu stellen, z.B. für die Etablierung von „Artist in<br />
Residence Projekte“, um die Möglichkeit zu schaffen auch<br />
internationale KünsterInnen nach St.Pölten zu bringen. Und<br />
vor allem: Mehr Kunst im öffentlichen Raum St.Pölten!<br />
Interview
14 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 15<br />
Romana Maria Jäger<br />
Wie weit coacht Du dich selber?<br />
peut. Manches Mal lasse ich meine Klienten selbst Collagen<br />
Gebiert auch der emotionale Schmerz Kreativität?<br />
Mit Kleister und Schere<br />
oder Ästhetik überall!<br />
Ja ich bin Autodidaktin, hole mir aber fachspezifische<br />
Meinungen von Kollegen, z. B. vom jungen Schorn, er ist<br />
Kunsthändler, etc.<br />
machen und dadurch kommen diese in eine Interaktion mit<br />
ihren eigenen Wünschen, Gedanken, Träumen etc.<br />
Wenn es mir schlecht geht, schreibe ich kurze Prosa<br />
oder Gedichte oder in mein Tagebuch. Ich war Lesende<br />
am Tagebuchtag der LitGes 2016.<br />
Was ist „Outside-Art“?<br />
Über das Basteln von Köpfen. Das Interview mit der St.P.<br />
Wie weit sind Deine Werke absichtslos entstanden?<br />
Durch die Computerisierung ist die Kunst und die Aus-<br />
Erlebtest Du eine grausame Enge im kindlichen All-<br />
Künstlerin/Coacherin, die mit der Schere Versatzstücke aus<br />
Ja sicher zu 90 %, grundsätzlich also entstehen die The-<br />
stattung von Wohnräumen schon so weltfremd, unreal,<br />
tag?<br />
diversen Zeitschriften/Magazinen schneidet und sie zu neuen<br />
Zusammenhängen fügt/aufklebt, führte Eva Riebler.<br />
men aus dem Prozess heraus, z. B. arbeite ich jetzt im<br />
Frühjahr über Collagen-Kunst im Garten. Die Collagen<br />
durchdesignt geworden.<br />
Nein, aber das kleinbürgerliche Gefängnis hat dafür gesorgt,<br />
dass ich mich nicht als Subjekt wahrgenommen<br />
Im Rathaus St.P. waren ihre Werke unter dem Titel: „Die Viel-<br />
sind nicht alle auf und aus Papier, sondern werden z.T.<br />
Du meinst die Outside Künstler sind am Weg nach<br />
habe. Ich kam als Künstlerseele zur Welt und wurde ein-<br />
fältigkeit der schönen Frau“ gemeinsam mit den Fotos der<br />
gedruckt auf Aluplatten und diese werden direkt in Bäu-<br />
etwas Neuem, wie z.B. Picasso, Magritte?-<br />
gesperrt in diese Enge.<br />
St.P.ner Fotografin Gerda Jaeggi-Christ bis Ende April zu se-<br />
me gehängt oder auf Gitter montiert.<br />
Ja das ist meine Linie! René Magrittes Ölgemälde von<br />
hen. Jaeggi-Christ dokumentierte den Weg der Schaufenster-<br />
1929 „das ist keine Pfeife“ war nicht mein Vorbild, son-<br />
puppe Helena, Konfektionsgr. 42, durch die Modegeschäfte.<br />
dern ich machte eine Serie „This is not a cow“ und fand<br />
Danke für das Gespräch!<br />
dann einen Artikel über Margritte.<br />
Alles ist schon einmal da gewesen. Was macht Deine<br />
Kunst außergewöhnlich oder einzigartig?<br />
Vielleicht meine Intelligenz und meine rasche Umsetzung.<br />
Mein Gehirn, mein Blick sind wie ein Computer, oben wird<br />
die Frage eingegeben und unten kommt sie raus.<br />
Du abstrahierst rasch?<br />
Genau!<br />
Warum spielt die Perspektive kaum eine Rolle in Deinen<br />
Werken?<br />
Die Perspektive kommt genauso ins Spiel als Gestaltungsmöglichkeit.<br />
Ein Rahmen, ein Schatten oder Worte geben<br />
dem Bild oft erst den Sinn. Meine Worte sind treffsicher!<br />
Ich habe immer konkrete Botschaften!<br />
Du hast pro Bild eine eigene Bildfindung.<br />
Ja immer.<br />
Romana.Maria.Jäger<br />
Outside Art Künstlerin – geboren 1963 in Wilhelmsburg, Trainerin<br />
Kann man die Bildfindung als Kampf bezeichnen?<br />
in der Erwachsenenbildung, Lebens- und Sozialberaterin, Autorin,<br />
©Fotos Eva Riebler<br />
Nein, überhaupt nicht. Es ist eine Befreiung, eine subjektive<br />
Hinwendung zu mir selber.<br />
Die Künstlerin gestaltet Collagenbilder, designet Wohnräume (mit<br />
künstlerischen Unikaten), Gärten (mit Kunst&Pflanz), arbeitet als<br />
Hast Du Vorbilder?<br />
Und die Objekte, z. B. Köpfe sind dreidimensional?<br />
Gib mir eine Aufgabe – so finde ich die Lösung!<br />
freie Beraterin für künstlerische Gestaltungen in Firmen und im<br />
Im Prinzip hatte ich lange keine, weil sich meine Werke<br />
Nein, nur auf Papier oder eben Platte, die auf Baustellen-<br />
öffentlichen Raum, kuratiert Ausstellungen und Events, schreibt<br />
aus sich selber entwickelt haben. Ich verwende haupt-<br />
gitter montiert wird. Darunter z.B. wird Hopfen oder eine<br />
Wie schaut es aus mit Beobachtung/Analyse/ Um-<br />
Bilderbücher für Erwachsene.<br />
Interview<br />
sächlich Magazine, Werbeprospekte und reiße/schneide<br />
Teile von Fotos/Bildern heraus. Der italienische Collagenkünstler<br />
Mimo Cotello nennt dies Decollagen.<br />
D. h. etwas ist bereits gestaltet (Fotos/Bilder) und wird von<br />
mir neu thematisiert.<br />
Hänge-, Kletterpflanzen gesetzt, die sich hochrankt.<br />
Bezeichnest Du Dich als Gestaltungstherapeutin?<br />
Grundsätzlich nicht! Im Prozess entsteht ja eine Reflektion<br />
mit mir selber. Ich glaube, jeder Künstler ist ein Selbstthera-<br />
setzung als Weg?<br />
Die Inspiration ist meine Grundlage! Ästhetische Kunstwerke<br />
oder die Natur, Architektur etc.. sind Quelle der<br />
Inspiration. Ich höre gerne der Stimme André Hellers zu<br />
oder ich lese, um inspiriert zu werden.<br />
Ausstellungen seit 2014 Blindenmarkt (Kunst im Rohbau), Fürstenfeld<br />
(Galerie im alten Rathaus), Traismauer (Schloss), St. Pölten<br />
(Rathaus / NV Center) Demnächst eigene WohnArtGalerie,<br />
Schneckgasse 24 St. P. als Galerie moderner, leistbarer Kunst und<br />
Raum der kreativen Begegnung. Instagram_follow-denkkunst.ro<br />
Interview
16 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 17<br />
Helmut Seethaler<br />
Wickeln wegen der Museumsquartier-Sache [2010], als<br />
das Marianisten-Gymnasium gingen nur Bübchen von<br />
ich sie anfangs dort verteilt habe, mit Durchschlägen<br />
Ich bin mein eigenes Medium<br />
ich hunderte Anzeigen bekommen hab’, da erschienen<br />
sehr viele Berichte über mich. Was mich damals schwer<br />
der mittleren ÖVP-Szene. Die war sauteuer, aber weil wir<br />
arm waren – mein Vater war Schaffner, meine Mutter<br />
geschrieben und verteilt. Es war – das ist ein bisschen<br />
peinlich, entschuldigen Sie –, eine Methode, Frauen an-<br />
verunsichert hat, war, dass in den Zeitungen, die mich<br />
Hausfrau –, bekam ich sie gratis, extern.<br />
zuquatschen. Wenn ich Gedichte verteilt hab’, fielen die<br />
Seit 43 Jahren klebt Helmut Seethaler im öffentlichen Raum<br />
früher mit „Najoo, pfff, des is’ schlecht!“ abgetan haben,<br />
ungebildeten Mädchen gleich weg. Das klingt frauen-<br />
Pflückgedichte auf, die im Vorbeigehen zum Nachdenken<br />
plötzlich stand, meine Gedichte seien gut geschrieben.<br />
Besser extern als intern, oder?<br />
feindlich, aber es fielen auch die blöden Buben weg, also<br />
anregen. Diese Aktivität hat ihm mehr als 4000 Anzeigen<br />
Und am Land, wo ich zur Hälfte herkomm’, ist’s so, wenn<br />
Ja. Ein Monat lang war ich halbintern und es hat mir nicht<br />
jene Leute, die ich heute umso mehr erreichen will, weil<br />
eingebracht, obwohl er gesetzlich an deren Ausübung nicht<br />
Österreich oder die Kronenzeitung schreibt, du bist ein<br />
gefallen – das Essen! Also war das für mich eine normale<br />
die Leut’ ja oft echt nicht deppert sind, sondern nur dep-<br />
gehindert werden darf: Artikel 17a des Staatsgrundgesetzes<br />
guter Künstler, dann bist du ein guter Künstler. Sehr ver-<br />
Schule und man hat mich dort akzeptiert. Ich hab’ nie<br />
pert gemacht werden. Es freut mich am meisten, wenn<br />
schützt die Freiheit des künstlerischen Schaffens, die Ver-<br />
störend. Inzwischen habe ich ein neues Medium, Face-<br />
gemerkt, dass ich Unterschicht bin und die die Reichen.<br />
die Leute mit einem Gedicht in der Hand sagen: „Heast,<br />
mittlung von Kunst und deren Lehre. Dabei wird laut ei-<br />
book. Das ist eine Art Gegenöffentlichkeit. Vernünftig<br />
Ab Ende der Unterstufe und in der Oberstufe war ich im-<br />
bist du des gwesen? I hob’s do vorn gfunden!“ Wenn ich<br />
ner Grundsatzerkenntnis des Obersten Gerichtshofes von<br />
gebraucht ist Facebook wirklich nützlich, um einzugrei-<br />
mer Klassensprecher und zweiter Schulsprecher. Aber<br />
den Leuten, die sonst nicht lesen, entgegengehe – wenn<br />
einem offenen Kunstbegriff ausgegangen, der neben den<br />
fen. Wenn ich ein Foto von einem Tatort mache und es<br />
in der 7. Klasse hab’ ich in jedem Fach „Unbeurteilt“<br />
ich ihre Wege begehe, sie beschreibe und das dann hin-<br />
traditionellen Werkgattungen auch unkonventionelle und<br />
online stelle, dann sehen es in einer Stunde ungefähr<br />
bekommen, weil ich kaum dort war. Ich hab’ fast 1000<br />
picke – und wenn dann keine Tramway kommt, passiert<br />
experimentelle Formen einbezieht (OGH 8ObA15/08a). Der<br />
Zettelpoet erzählte Gisella Linschinger und Philipp<br />
Schmickl im Café Vindobona von seiner Schulzeit, gro-<br />
hundert Leute in Purkersdorf, Linz und New York. Und<br />
seit Neuestem kann ich eine Lesung aufnehmen und<br />
davon ein Video auf Facebook stellen. Dann können<br />
Fehlstunden gehabt, weil ich lieber spazieren gegangen<br />
bin. Ich hab’ aber gesagt, ich wiederhol’ die Klass’ gern,<br />
weil das so eine Art Weichenstellung für mich war. Da-<br />
Folgendes: „Aha, was ist denn das? Das ist von keiner<br />
Partei, auch keine Werbung...“ Und manchmal sehen sie<br />
mich und fragen: „Hast noch ein paar?“ Die Leut’ lesen<br />
bem Unfug und der gewista.<br />
mich die Leute auch hören. Andererseits machen mich<br />
mals hab’ ich überlegt: „Was will ich machen? Matura<br />
nie was. Aber das schon, weil ich ihnen eine kleine Dosis<br />
manche auf Facebook voll runter. Ist ihr Recht, jo, tut<br />
machen ja, aber nicht gleich.“ Ich wollte einfach herum-<br />
geb’.<br />
mir aber schon weh, jo. Der Höhepunkt war ein Satz im<br />
gehen, herumfahren. Mein Vater ist gestorben, als ich<br />
Online-Standard: „Er kann nur ein guter Autor werden,<br />
14 war, aber ich konnte bis 27 mit der Bahn fast gratis<br />
Das Reduzieren ist also eine wichtige Arbeitsweise<br />
wenn er keinen Satz mehr so schreibt wie bisher.“<br />
fahren. Und damals bitte – meine Töchter schimpfen eh<br />
für Sie?<br />
mit mir –, hat es genügt, auf der Uni zweimal im Jahr<br />
Genau. In wenigen Sätzen einen Gedanken formulie-<br />
Wann haben Sie angefangen zu veröffentlichen?<br />
zu inskribieren, und mit der Studienbestätigung hab’ ich<br />
ren, um die Leute in der kürzestmöglichen Zeit zu er-<br />
Meine ersten 72 schwachen Texte hab’ ich mit neun-<br />
freie Fahrt für die Straßenbahn, eine Halbwaisenrente<br />
reichen. Neulich hab’ ich wieder ein Mail bekommen:<br />
zehn zufällig verschickt. Eine Jugendsünde. Wolfgang<br />
und die Kinderbeihilfe gekriegt. Bis 27. Obwohl ich kaum<br />
„Geh, pick’ doch wieder auf der Friedensbrücke was an,<br />
Kraus schlug vor, ein Bändchen beim Europa-Verlag zu<br />
auf der Uni war. „Das hast du uns verdorben, Papa!“ Jo,<br />
es ist alles weg!“ Die gewista fetzt es manchmal herun-<br />
machen. Das war ein Frühstart, nicht gut, aber gekriegt<br />
eh. Ich hab’s echt ausgenützt. Es war ja legal. Und dann<br />
ter. Einmal hat mich ein gewista-Typ erwischt und mir<br />
hab’ ich dafür 20.000 Schilling. Meine Mutter hat ge-<br />
haben sie’s verschärft, das geht so nicht mehr.<br />
drei Tritte in den Hintern gegeben. Ich hab’ ihn nicht<br />
sagt: „Für den Bledsinn kriegt er a Geld und kann davon<br />
angezeigt, sondern die APA informiert und dann waren<br />
leben?“ [lacht] Meine Verwandten sind sehr sympathisch<br />
Wie haben Sie begonnen, sich für Literatur zu inte-<br />
sieben Berichte in den Medien. Auch die Stationswarte<br />
und harmlos, hatten aber keine Bildungschancen. Ich<br />
ressieren?<br />
der U-Bahnstationen sind manchmal brutal, aber nur die<br />
Fotocredit: Gisella Linschinger<br />
hab’ sie nie lesend gesehen. Meine Eltern nicht, die Leute<br />
am Land auch nicht.<br />
Das weiß ich nicht. Einmal hat mir ein Professor in der<br />
Pause Die Pest von Camus gegeben. Camus und Sartre<br />
Männer: „Du Trottl, des is mei’ Station, den Schas klebst<br />
ned auf!“ Das ist UNSERE Station! Nicht seine! Meine<br />
Sie haben mich gebeten, Sie vor unserem Treffen zu<br />
waren mir wichtig. Und noch während der Schulzeit ver-<br />
Töchter haben gesagt, das sind Revierkämpfe zwischen<br />
googlen. Dabei ist mir aufgefallen, dass es in den<br />
Nur „Zeitung schauen“?<br />
spürte ich den Drang, selbst irgendwas zu probieren.<br />
Hündchen. Die Stationswartinnen hingegen sagen, ich<br />
Berichten über Sie oft mehr um die Aufregung geht<br />
Kronenzeitung, aber auch die war zu teuer, am Wochen-<br />
Das war halt nicht ernst zu nehmen. Das Schreiben ist<br />
muss das aufschreiben und melden, und dann reden wir.<br />
und weniger um die Inhalte.<br />
ende manchmal. Zuhause hatte ich also keine Vorbilder.<br />
durch das Notieren von Gedanken gekommen, durch<br />
Es gibt ungefähr hundert grantige Wiener, die schreien<br />
So ist’s oft als Einstieg, aber daraus entwickeln sich<br />
Aber sie wollten, dass ich in ein Gymnasium gehe und<br />
das Diskutieren mit Freunden. In meiner Klasse waren<br />
mich zusammen, reißen Gedichte herunter, lesen sie<br />
oft Gespräche über den Inhalt. Aber, ganz konkret: Ich<br />
haben mich in eine katholische Privatschule gesteckt.<br />
interessante Leute, die inzwischen alle völlig normal<br />
nicht und gehen befreit nach Hause. Das Nicht-Lesen<br />
brauch’ euch nicht. Ich brauch’ die Medien nicht. Ich bin<br />
Ich war Ministrant bei Sankt Brigitta. Es gab keinen<br />
geworden sind, die genau das geworden sind, was ihre<br />
ist deren Therapie. Und das ist ihr Recht. Sie suchen<br />
Interview<br />
mein eigenes Medium. Aber manchmal macht’s wirklich<br />
Spaß, wenn die Leute interessiert sind. Ich hab’ manche<br />
Anfragen schon abgelehnt, weil ich gespürt hab’, dass<br />
die kommen, weil man von mir gesagt hat: „Des is’ ganz<br />
a Extremer.“ Das will ich nicht. Auf dem Höhepunkt der<br />
Missbrauch, die Pfarrer waren super. Drei Priester – das<br />
war vor langer Zeit, bitte – haben unsere Jungschar-<br />
Madln praktisch weggeheiratet, die älteren. Da waren<br />
wir angefressen, aber sonst war es eine gute Zeit. Ministrieren<br />
war lustig, halt inhaltslos, ein Schauspiel. In<br />
Eltern waren. Gleich nach der Matura hab’ ich mir die<br />
Frage gestellt, was mach’ ich mit dem, was ich schreibe?<br />
Wo kommt das hin? Das ist aber die falsche Frage!<br />
Wo kommt es denn her? Die Gedichte entstanden in<br />
der Schule, in der Uni, und dort blieben sie auch, indem<br />
etwas, wogegen sie heute sein könnten, und dann sehen<br />
sie mich plakatieren: „Ich hol’ die Polizei!“ – „Da ist<br />
die Kamera, die wissen eh Bescheid.“ Wenn die Polizei<br />
kommt, beruhigen sie nicht mich, sondern die Leute, die<br />
einen Hass auf alle Künstlerinnen und Künstler haben.<br />
Interview
18 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 19<br />
Die Jelinek, den Nitsch, die Oper kriegen sie nicht, aber<br />
mich kriegen sie. Von Seiten der Polizeibeamten habe<br />
ich noch nie Gewalt erlebt, obwohl ich oft festgenommen<br />
wurde. In manchen anderen Ländern hätten sie<br />
mich längst weggeräumt. Hier bekomm’ ich als armer<br />
Dichter einen Anwalt gratis. Vor der ersten Anzeige hatte<br />
ich schon Angst, aber dann nicht mehr, weil ich erkannt<br />
habe, hoppala, es gibt Rechtsmittel. Die Behörden fürchten<br />
sich vor jemanden, der immer Berufung einlegt und<br />
immer gewinnt. Dann suchen sie neue Paragraphen. Das<br />
Schlimmste war, als man mich zu einer Richterin und einer<br />
Amtsärztin vorgeladen hat.<br />
Der IG Autoren-Chef Gerhard Ruiss sagte: „Geh’ nicht<br />
hin.“ Ich bin trotzdem hingegangen und habe sachlich<br />
dargelegt, was ich tue. Die beiden haben sich danach bei<br />
mir entschuldigt und ich hab’s amtlich schriftlich bestätigt,<br />
dass ich das Gegenteil von deppert bin. Wer hat das<br />
schon? Letztendlich unterstützt mich derselbe Staat, der<br />
mich anzeigt, mit der Begründung, die Inhalte und nicht<br />
die Form zu fördern.<br />
Haben Sie neue Projekte?<br />
Ja, die gibt es, aber darüber rede ich noch nicht. Manches<br />
ist kindisch, teilweise grober Unfug, und das tut so gut.<br />
Da wird man nie krank.<br />
Kann man wegen groben Unfugs eingesperrt werden?<br />
Ja, schon. Aber wenn alles leicht gehen tät’, dann wäre<br />
es eh fad. Man muss selbstkritisch bleiben und braucht<br />
Grantigkeit, so kommen einem Ideen für neue Projekte.<br />
Das ist dann gesunder Grant. Manche Ideen verwirkliche<br />
ich schon, aber nicht in meinem Heimatbezirk. Im<br />
Sommer fahre ich auch weit hinaus, mit der letzten Tram<br />
zum Beispiel bis Stammersdorf, und dann schau’ ich, wie<br />
weit ich bis fünf Uhr früh komme. Heuer habe ich vor, mir<br />
eine Netzkarte zu kaufen und in allen größeren Städten<br />
von Österreich zu kleben. Dann fahr’ ich mit dem letzten<br />
Zug nach Linz, Innsbruck, Salzburg.<br />
Gibt es MitstreiterInnen bei Ihren Aktionen?<br />
Es gab einen, Christian Hintze, den Gründer der Schule<br />
der Dichtung. Wir haben ein Jahr lang um die Wette Gedichte<br />
verteilt und uns gegenseitig angestachelt. Ohne<br />
ihn wäre es fad gewesen. Danach hat er beschlossen,<br />
Bücher zu schreiben und Sprechplatten zu machen.<br />
Wir hatten uns ausgemacht, im Alter wieder Gedichte<br />
zu verteilen. Ich bin ihm echt böse, dass er gestorben<br />
ist. Meine Töchter haben versprochen, wenn ich einmal<br />
nicht mehr kann, werden sie mich im Rollstuhl herumschieben.<br />
Helmut Seethaler<br />
Geb. 1953 in Wien. Teilstudium der Philosophie. Verfasste bisher<br />
mehr als 11.400 Pflückgedichte, die er millionenfach an Laternen,<br />
Säulen, Bäumen, Lichtmasten und Wänden ablösbar, abwischoder<br />
abwaschbar anbringt. Seethaler erhält dafür unzählige<br />
Droh- und Fanbriefe sowie Anzeigen wegen Verschmutzung, Ordnungsstörung,<br />
Sachbeschädigung, Behinderung der Fußgänger<br />
etc. Abgesehen von sieben Fällen wurde er jedes Mal von den<br />
Vorwürfen freigesprochen. Der Gedichtband Texte für DENKENDE<br />
+ gegen das DENK-ENDE ist 2017 im hochroth Verlag erschienen<br />
(ISBN 978-3-902871-84-8). www.zettelpoet.at<br />
Interview<br />
War es früher einfacher, vom Schreiben zu leben?<br />
Früher hat es das Kulturservice gegeben. Dadurch konnten<br />
ich und andere Schreiberlinge im Juni für einen Tausender<br />
in Schilling fünf, sechs Lesungen in Schulen machen.<br />
Das war bestens bezahlt. Im ganzen letzten Jahr<br />
hingegen waren es insgesamt zwei Schullesungen. Heute<br />
können die Schulen einladen, wen sie wollen, und machen<br />
lieber Konzerte. Nur Lesung ist für mich eine Form<br />
von Vorgestern. Deshalb lege ich Wert auf Diskussion<br />
und Interaktivität. Wenn drei verschiedene Menschen einen<br />
meiner Text vorlesen, meint man, es seien drei verschiedene<br />
Texte, weil jede Person ihn so liest, wie sie ihn<br />
für sich brauchen kann.<br />
Gisella Linschinger<br />
Geb. 1983 in Gmunden/OÖ. Studium der Linguistik und<br />
Internationalen Entwicklung an der Universität Wien. Absolventin<br />
des Lehrgangs „Angewandte Fotografie“ an der FH St. Pölten.<br />
Lehrtätigkeit als Universitätslektorin in Frankreich und der<br />
Tschechischen Republik. Lebt als freie Journalistin in Wien.<br />
Philipp Schmickl<br />
Geb. 1980 in Wien. Studium der Kultur- und Sozialanthropologie an<br />
der Universität Wien. Gründer und Herausgeber der Bücherserie<br />
THEORAL ~ oral music histories and interesting interviews<br />
www.theral.org. Betreiber des Blogs THEFUCKLE. Beschreibungen<br />
der Gegenwart www.thefuckle.wordpree.com<br />
©Heliane Wiesauer-Reiterer1974 Kopfobjekt Holz, Gips, Draht 63 x20x14
20 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 21<br />
Robert Müller<br />
Gesichtsverlust<br />
Einen Arsch kriegt man geschenkt, aber ein Gesicht<br />
muss man sich erst verdienen<br />
der Gegend kaum gibt). Das ist gut und richtig. Aber haben<br />
wir durch die Modernisierung auch unser Gesicht verloren?<br />
Hier am Land diese blassen, indifferenten Gesichter, welche<br />
nicht mehr von Wetter und Arbeit geprägt sind! Diese<br />
Menschen könnten auch Regalbetreuer im Supermarkt<br />
sein, oder Friseure, oder Staplerfahrer o.ä., austauschbar<br />
immer vier ist und nicht morgen fünf und übermorgen drei,<br />
bei dem die Sonne immer frühmorgens aufgeht, der sich<br />
seinen Platz in der Welt mit Fleiß und Energie geschaffen<br />
und seine Wurzeln fest im Boden verankert hat?<br />
Ein Mensch, sagte man noch vor Jahren, wird zu je einem<br />
den „Klassefrauen“ nachlesen: „Sind sie nicht pfuiteuflisch<br />
anzuschauen? Plötzlich färben sich die Klassefrauen – weil<br />
es Mode ist ...“.<br />
Gewiss hat die plastische Chirurgie vielen Menschen,<br />
die durch Unfall oder seit Geburt schwer entstellt waren,<br />
Am Palmsonntag besuchten wir eine befreundete Bauernfamilie<br />
in der Buckligen Welt (Niederösterreich). Vor<br />
einem halben Jahrhundert bin ich dort in den Ferien Hüterbub<br />
gewesen, darum waren mir die bäuerliche Arbeitswelt,<br />
die Gegend und die Menschen heimatlich vertraut, es<br />
zieht mich immer wieder in diese noch einigermaßen heile<br />
Welt. Aber heuer war es anders, irgendetwas fehlte. Schon<br />
bei der Palmweihe am Hauptplatz spürte ich es, ohne die<br />
Ursache nennen zu können, und beim Eintritt in die Kirche<br />
wusste ich es: Die alte Ordnung bestand nicht mehr,<br />
und die altvertrauten, prägnanten Bauerngesichter fehlten<br />
schon fast gänzlich.<br />
und verwechselbar. Damals hatte noch der letzte Tagwerker<br />
oder Flickschuster, wenn schon nichts anderes, so<br />
doch sein eigenes Gesicht, in dem Lebenslauf, Charakter<br />
und Stimmung des Trägers abzulesen waren wie in einem<br />
schönen alten Bilderbuch; man wusste verlässlich, wer dieser<br />
Mensch war.<br />
Dazu meinte der Schriftsteller Jörg Mauthe in seinem<br />
„Nachdenkbuch für Österreicher“ S. 50: “Und was für einund<br />
ausdrucksvolle Köpfe die Leute dort hatten, wenn sie<br />
alt wurden: Da saßen am Sonntag in der Kirche lauter Kokoschkas<br />
und Grillparzers und Ebner-Eschenbachs, mit Gesichtern,<br />
wie man sie heutzutage nur mehr selten sieht.“<br />
Drittel geformt aus Erbmasse, Umgebung und eigenem<br />
Dazutun. Die Form der Nase, die sog. „Habsburgerlippe“<br />
usw. sind wohl Familien-Erbstücke, aber ob die Adlernase<br />
zu einem stolzen, eigenständigen Gesicht gehört oder<br />
zu dem einer feigen, gierig-schlauen menschlichen Ratte,<br />
das macht erst das Leben daraus. Ein Gesicht wird in langen<br />
Jahren von Arbeit, Verantwortung, Leid, Güte, Verbitterung,<br />
Geistigkeit, Befehlsgewalt, Angst, Witterung und<br />
vielem mehr geprägt. Der Kanzler Kreisky, der Tiroler Landeshauptmann<br />
Wallnöfer, der Wiener Kardinal König, die<br />
Schauspieler Fernandel, Jean Gabin, Hans Moser und Heinz<br />
Rühmann zum Beispiel haben sich ihre Gesichter in langen<br />
(und nicht immer leichten) Jahren erworben, die waren<br />
ein großes Stück Selbstbewusstsein und Lebensfreude<br />
geschenkt. Aber wenn sie missbraucht wird und sie aus<br />
einem durchaus tadellosen Frauengesicht ein Mode- oder,<br />
noch schlimmer, ein „Puppengesicht“ schneidern soll, verleugnet<br />
die Trägerin wohl ihre eigene Persönlichkeit! Und<br />
wenn es schief geht? Da lag die hübsche junge Frau eines<br />
Prominenten nach der Operation zwei Jahre lang im Koma,<br />
weil sie ihre tadellose Nase unbedingt „verbessern“ lassen<br />
wollte. Da war in der Wiener „Seitenblicke-Gesellschaft“ öfters<br />
eine Frau zu sehen, deren Antlitz durch mehrere Operationen<br />
zu einem Puppengesicht mit übergroßem Mund<br />
dermaßen erstarrt ist, dass es zu keinerlei Mimik mehr<br />
fähig ist. Einem Gesicht, das in Freude und Trauer, in Är-<br />
Essay<br />
Der lange geübte Brauch ließ mich beim Eintritt in die Kirche<br />
meine Frau mahnen: „Bitte setzen wir uns irgendwo<br />
hinten hin, die Leute hier haben ihre angestammten Bänke,<br />
für die sie bezahlen.“ Aber ich wurde belehrt, das gäbe es<br />
seit dem letzten Konzil nicht mehr. Ich wandte ein, dass wir<br />
hier am Land wären, weit weg von Rom, aber es stimmte<br />
leider. Na schön. Und dass seit wohl tausend Jahren rechts<br />
in der Bankreihe die Männer saßen und die linke traditionell<br />
die an den vielen Kopftüchern kenntliche Frauenseite war,<br />
hat sich seit der „Modernisierung“ und dem heftigen Zuzug<br />
von Städtern auch aufgehört. Na ja, soll sein. Aber dass<br />
man nach einem Blick auf die Kirchenbesucher nicht mehr<br />
erkennen konnte, wo in der Welt man hier war, empfand<br />
ich als Verlust, ich fühlte mich nicht mehr richtig daheim in<br />
der Welt meiner Kindheit. Die gottlob unveränderte spätmittelalterliche<br />
Wehrkirche, der Gasthof, die Brücke, das<br />
„Kaufhaus“, die Wiesen und Felder, sogar der Geruch nach<br />
Holzfeuer, Kuhmist und Wald, alles noch wie damals – aber<br />
wo sind die zugehörigen Menschen geblieben???<br />
Haben wir durch Technisierung, Rationalisierung und die<br />
beginnende Globalisierung unsere Identität verloren? Es<br />
ist den Bauern wirklich zu gönnen, dass sich die heutzutage<br />
unvorstellbare körperliche Schinderei in Feld und Wald<br />
und Hof aufgehört hat, ja. Und dass man sich heute mehr<br />
leisten kann, auch wenn man kein Großbauer ist (die es in<br />
Genauso sagte es der Schriftsteller Carl Zuckmayer (in seinem<br />
Buch „Als wär’s ein Stück von mir“ S. 22) über die<br />
Menschen seiner Salzburger Heimat (Köstendorf am Wallersee)<br />
vor dem Zweiten Weltkrieg: „Die Menschen in diesem<br />
Dorf hatten noch Gesichter, persönliche, ausgeprägte,<br />
eigenwillige, wie man sie auf den Bildern der mittelalterlichen<br />
Meister, bei den Holzfiguren der Pacher und Riemenschneider,<br />
findet.“ Und auf Seite 23: „Mit ihren herben Zügen<br />
und ihrem bäurischen Wesen wirkten die beiden, Josef<br />
und Justina, in ihrer Weise schön, und man freute sich ihres<br />
Anblicks, weil sie natürlich waren, stolz und mit sich selbst<br />
im Einklang.“<br />
Und heute?<br />
Die alten und daher weiseren Asiaten hatten zu Recht<br />
Angst, „ihr Gesicht zu verlieren“ – das war schlimmer als<br />
alles andere, weil es Schande bedeutete. Wir sollten das<br />
nicht geringschätzig belächeln. Denn in einer immer geldgierigeren,<br />
„amerikanisierten“ Welt, wo nur der schnelle<br />
Profit zählt, wo eine eiskalte „Gewinn-Maximierung“ alles<br />
ist, braucht und fördert „man“ die Austauschbarkeit der<br />
Konsum- und Maschinensklaven, die Flexibilität („Du heute<br />
Kassierin und morgen putzen Dreck“) und Mobilität (Pendler)<br />
– was soll man da mit einem Menschen, der ein Gesicht<br />
hat??? Und sich womöglich danach benimmt! Der ein eigenes<br />
Weltbild hat und es auch lebt, bei dem zwei mal zwei<br />
nicht austauschbar – man wusste, wen man vor sich hatte.<br />
Die wichtigsten und unverzichtbaren Bestandteile des Gesichts<br />
sind die Augen. Man kann ein Gesicht ohne Nase,<br />
Ohren, Lippen, Haare etc. zeichnen – wenn nur zwei Augen<br />
und die Mund-Linie vorhanden sind, ist es erkennbar<br />
(s. den „smily“). Auch den Namen hat unser Thema von<br />
den Augen, die man auch als den „Gesichts-Sinn“ bezeichnet.<br />
Demzufolge sind beim Beurteilen eines Gesichtes –<br />
sagen Fachleute – die Augen das Entscheidende. Und die<br />
Erweiterung (bei Gefallen) oder Verengung der Pupille (bei<br />
Missfallen) kann der Träger nicht willentlich steuern, d.h.<br />
die Gefühle eines Menschen sieht man auch den Augen an.<br />
Aber wie ein Mensch charakterlich ist bzw. was er mitgemacht<br />
hat und wie er sich gibt, das sagt ebenso deutlich<br />
sein Mund und die Falten herum (erzählte mir ein akademischer<br />
Maler).<br />
Millionen Menschen leben von der kosmetischen Industrie,<br />
deren Werbung vielen Leuten einredet, sie müssten ihre<br />
Gesichter mit Chemie „verschönern“. Aber werden dann<br />
die Menschen auch anders? Oder sehen sie dann nur dem<br />
jeweiligen Werbungs-Zeitgeist ähnlicher? Wer der (Kosmetik-)<br />
Mode nachläuft, schätzt sich selbst wohl nicht gerade<br />
hoch ein. Und ist dann out, wenn die Mode sich ändert<br />
– und das tut sie immer rascher! Wer sich seiner selbst<br />
nicht sicher ist, möge bei Erich Kästner das Gedicht von<br />
ger und Behagen immer gleich aussieht wie das einer alten<br />
Porzellan-Puppe. Schon schlimm, wenn man sich freut und<br />
es nicht zeigen kann!!!<br />
Wer ein rötliches Gesicht hat, ist so gut wie nie ein Melancholiker,<br />
selten ein Phlegmatiker, fallweise Sanguiniker<br />
und oft ein Choleriker (mit zu hohem Blutdruck). Aber es<br />
gibt auch Menschengruppen mit von Natur aus rötlichen<br />
Gesichtern – zum Beispiel viele rothaarige oder weißblonde<br />
Menschen. Ein gelbliches Gesicht deutet fallweise auf<br />
Leberprobleme, wenn das Gelb einen grünlichen Stich<br />
bekommt ist möglicherweise ein Nierenversagen die Ursache.<br />
Ein Gesicht, dessen Träger zu wenig Bewegung macht<br />
und daher schlecht durchblutet ist (bei Rauchern auch einen<br />
„Graustich“ haben kann), kann durch plötzlich aufwallenden<br />
Zorn oder eine andere, heftige Gemütserregung in<br />
Sekundenbruchteilen rot werden. Bei ein bisschen Verlegenheit<br />
kann es richtig „erröten“. Den englischen Mädchen<br />
sagte man nach, dass sie beim erfreuten Lächeln (zum Beispiel<br />
wenn der Geliebte zu ihnen kommt) allerliebste rosige<br />
Wangen bekämen. Die Japaner wieder grinsen immer<br />
mechanisch – der Reiseschriftsteller Richard Katz warnt<br />
davor, es als ehrlich erfreut aufzufassen.<br />
Menschen mit Dauer-Schmerzen entwickeln oft einen galligen<br />
Humor und bekommen meist harte Züge – oder (eher<br />
selten) sie verklären im Leid (Madonnen-Gesicht). Wer lan-<br />
Essay
22 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 23<br />
ge Zeit viel Alkohol trinkt, dessen Gesicht bekommt mit<br />
ein „Gummi-Gesicht“ nachsagte, das jede soziale Stellung/<br />
Peter Mitmasser<br />
die Spitze ihrer Unternehmungen stellen. Aber damit habe<br />
den Jahren oft eine grau-rote Färbung, die Nase wird vom<br />
Wein rot und vom jahrzehntelangen Schnapskonsum blau.<br />
Personalchefs reagieren dann eher vorsichtig. Aber es gibt<br />
jeden Charakter glaubhaft wiedergeben konnte. Aber man<br />
täusche sich nicht: In ungewohnten Situationen, die viel<br />
Kraft und seelische Stärke erfordern, kann man Züge an<br />
KÖPFE<br />
sie ja noch lange nichts für die monarchische Staatsform<br />
bewiesen.“<br />
(Alles: „Die Fackel“, Heft Nr. 577-582, XXIII. Jahr, Novem-<br />
vereinzelt auch Abstinenzler, die so eine Nase entwickeln.<br />
einem Menschen wahrnehmen, die man ihm nie zugetraut<br />
Es gab eine Zeit, in der die jeweiligen Obrigkeiten jene<br />
ber 1921).<br />
hätte. Und viele von uns haben es schon erlebt, dass in<br />
Menschen, die ihre Vorschriften nicht befolgten oder ih-<br />
Der große Reformer Kaiser Joseph II hat die Todesstrafe<br />
Im fünfbändigen Lexikon „Der neue Brockhaus“ von 1973<br />
Momenten tief empfundenen Glücks ein Gesicht von innen<br />
nen nicht sympathisch oder gescheiter als sie selber wa-<br />
zum Leidwesen der braven Bürger, die in Ermangelung von<br />
sind auf einer Seite die „typischen“ Gesichter verschie-<br />
zu „leuchten“ beginnt.<br />
ren, aber zu dumm, es zu verbergen, gerne vom Leben zum<br />
Film und Fernsehen gerne der Vollstreckung von Todesur-<br />
dener Nationalitäten abgebildet. Nun sieht unbestritten<br />
Tode befördern ließen.<br />
teilen beiwohnten, 1761 abgeschafft, sie wurde dann aber<br />
z.B. ein Mongole anders aus als ein Italiener oder Afrikaner,<br />
Und was schreibt man nun an den Schluss von solchen „Be-<br />
Schlinge um den Hals; Kienspan an den Scheiterhaufen:<br />
nach seinem Tod (1790) für Hoch- und Landesverrat 1795<br />
aber dermaßen unkritisch würde man heute nicht mehr die<br />
trachtungen“? Vielleicht, dass man sich einmal mit einem<br />
Köpfen.<br />
wieder eingeführt. 1919 wurde sie für das ordentliche Ver-<br />
Menschen nach ihrem Aussehen einteilen – noch dazu, weil<br />
Menschen seines Vertrauens vor den großen Spiegel stel-<br />
Das Köpfen – häufig auch „um einen Kopf kürzer machen“<br />
fahren wieder abgeschafft, 1934 neu eingeführt und ab<br />
sich inzwischen auch die Lebensbedingungen „globalisiert“<br />
len könnte, neugierig und ohne Vorurteile sein eigenes Ge-<br />
genannt – scheint am beliebtesten gewesen zu sein.<br />
1938 von den Nationalsozialisten gegen „Verräter“ – z.B.<br />
haben und die veränderte Lebensweise auch in den Ge-<br />
sicht betrachtend, dabei laut denkend, was wohl darin zu<br />
Das Haupt auf den Richtblock legen, der Scharfrichter prüft<br />
SR Restituta vom Krankenhaus Mödling, die wegen der Ver-<br />
sichtern Spuren hinterlässt. Der Eskimo lebt inzwischen im<br />
lesen sei, was in den Lebensjahren sich da eingeprägt habe<br />
noch einmal mit dem Daumen die Schärfe der Klinge sei-<br />
breitung von Schmähschriften zum Tode verurteilt und am<br />
Holzhaus mit Fernsehapparat, der Buschmann lebt – wenn<br />
– was sieht man da im eigenen Gesicht und was sieht der<br />
nes Schwertes oder die der Axt und mit nur einem einzigen<br />
30. März 1943 als erste von 19 Delinquenten an diesem<br />
noch vorhanden – im Ghetto, und der mehr oder minder<br />
andere? Wenn es der Mensch neben dir ernsthaft bestäti-<br />
Schlag - wenn der zum Tode Verurteilte Pech oder vor der<br />
Tag mit dem Fallbeil geköpft wird - angewendet. 1950 wur-<br />
„reinrassige“ Indianer arbeitet am Hochbau und geht dann<br />
gen kann, dass es auch Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt,<br />
Exekution dem Henker kein Trinkgeld gegeben hatte, auch<br />
de sie dann eingestellt.<br />
auf ein Bier usw. Von den Tausenden menschlichen Genen<br />
Selbstvertrauen, Interesse an der Umwelt, und es vielleicht<br />
erst nach mehreren Hieben – fällt der Kopf in einen Korb,<br />
Die Todesstrafe wird in kultivierten Staaten abgelehnt,<br />
sind verschwindend wenige für Hautfarbe und Gesicht zu-<br />
noch in den Mundwinkeln eine Schmunzel-Falte gibt, kann<br />
aus dem ihm schon ein anderer Kopf entgegen grinst, ein<br />
dort, wo sie in zivilisierten Ländern wie manchen US-<br />
ständig, weshalb sich die sogenannte „Rassenlehre“ der<br />
man zufrieden sein.<br />
Strom von Blut ergießt sich aus dem schlaff gewordenen<br />
Bundesstaaten noch immer praktiziert wird, wird sie per<br />
unseligen NS-Zeit inzwischen als unwissenschaftlicher<br />
Körper. Aus. Ende. In Zeiten von erhöhtem Arbeitsanfall,<br />
Elektrischem Stuhl oder „Todesspritze“ vollzogen. Das blu-<br />
Schwachsinn erwiesen hat. Immerhin hat zum Beispiel ein<br />
Robert Müller<br />
wie etwa der Französischen Revolution, musste das Verfah-<br />
tige Geschehen des Köpfens wird nur noch von rohen und<br />
Gorilla oder Schimpanse zu etwa 95% die gleichen Gene<br />
Geb.1943 in Wien. Seit 2003 Pensionist und Kellergassenführer,<br />
ren effizienter werden.<br />
von abstrusen Gedanken angetriebenen „Wilden“ wie den<br />
wie der Mensch.<br />
seit 2011 Mag. phil der Europäischen Ethnologie an der Uni Wien.<br />
Man erfand die Guillotine, bei der ein schräg geschnittenes<br />
IS-Männern (und Frauen?) praktiziert und per Video zum<br />
1987 mit Kalendergedichten und Kurzgeschichten (Eigenverlag) zu<br />
Fallbeil auf Schienen aus einer bestimmten Höhe den Kopf<br />
Schrecken ihrer Gefangenen, die nicht wissen, ob und wenn<br />
Kann man sagen, dass die Art der Arbeit und/oder der<br />
schreiben begonnen, im Herbst 1993 an der „Schule für Dichtung in<br />
des Delinquenten vom Rumpf trennte. Da gab es keinen<br />
ja wann auch ihnen dieses Schicksal droht, verbreitet.<br />
soziale Stand die Gesichtszüge mitprägen? Es ist wohl mit<br />
Wien“ die Klasse von H.C. Artmann besucht. Im Mai 2015 erschien<br />
Fehlschlag, da traf das Fallbeil genau dort, wo es präzise<br />
Vorsicht zu bejahen, aber nicht wissenschaftlich nachzu-<br />
der Sammelband „Gmischte Kost für alle Tag“ im PILUM-Verlag.<br />
treffen musste. Kopf ab, der Nächste bitte.<br />
Noch ist der Kopf das wichtigste Arbeitsmittel der Manager,<br />
weisen und immer individuell zu beurteilen. In der Mehr-<br />
Manchmal waren es auch königliche Köpfe, wie der der<br />
obwohl „Industrie 4.0“ bereits viele dieser Jobs gestrichen<br />
zahl halten sich „Verantwortungsträger“ oder eine wie<br />
Tochter der Kaiserin Maria Theresia, Schwester des Kaisers<br />
bzw. durch Roboter mit ai (artificial inelligence) besetzt hat.<br />
immer „befehlsgewohnte“ Berufsgruppe (Offiziere, Direk-<br />
Josef II, Marie Antoinette, durch Heirat mit Ludwig XVI Kö-<br />
Die Kopf-Menschen, die hier früher ihre durchaus verant-<br />
toren, Politiker und selbständige Unternehmer, Bauern,<br />
nigin von Frankreich. Die „Autrichienne“, wie sie genannt<br />
wortungsvollen Aufgaben erfüllt haben und gesellschaftlich<br />
Ärzte, Rechtsanwälte und auch Chefsekretärinnen großer<br />
wurde, bewahrte bis zum Schluss Haltung - was man in<br />
der gehobenen Mittelklasse angehörten, sind längst schon<br />
Firmen etc.) etwas straffer in den Schultern und blicken<br />
diesem speziellen Zusammenhang ein bisschen paradox<br />
abgerutscht in die untere Mittelklasse oder sogar in die<br />
mehr in die Ferne, während „dienende“ Arbeitnehmer eher<br />
gerne auch „Kopf hoch“ nennt – und ihr hoch angerechnet<br />
Arbeitslosigkeit und damit aus der Mittelklasse herausge-<br />
gewohnt sind, ihren Rücken/die Schultern bei der Arbeit<br />
worden sein soll.<br />
fallen.<br />
zu krümmen und das Gesichtsfeld auf das näher liegende<br />
Karl Kraus behauptete ( Haupt = Kopf!) , dass die gefähr-<br />
Das hat eine gewisse Radikalisierung dieser immer mehr<br />
Werkstück zu richten.<br />
lichste Funktion von Monarchen die wäre, sogar denkende<br />
werdenden Innovationsverlierer mit sich gebracht, die als<br />
Menschen um einen Kopf kürzer zu machen, ohne dazu<br />
greifbare Schuldige an ihrem Unglück Zuwanderer verant-<br />
Man kann sie nicht mit wissenschaftlich haltbaren Kenn-<br />
aber den Henker bemühen zu müssen. Der Kronreif auf<br />
wortlich machen. Begehen diese ein schweres Verbrechen,<br />
zeichen festlegen, aber es gibt sie: Die „Kleine-Leute-Ge-<br />
dem Haupt des Monarchen beenge sogar „so erlauchte<br />
gar eine Vergewaltigung oder einen Mord, so fordern sie<br />
sichter (wie Rühmann sie erfolgreich darstellte), „Gentle-<br />
Geister wie Goethe und Schopenhauer“, die sich deshalb<br />
von der Regierung, die Todesstrafe für solche Gewalttäter<br />
Essay<br />
man-Gesichter“ (deren Verkörperung David Niven viel Geld<br />
einbrachte), auch im höheren Alter noch immer prägnante<br />
„Lausbuben-Gesichter“, während man z. B.: Shirly Mc Laine<br />
©H.Wiesauer-Reiterer1976 Kopf Caput Mortum roter Marmor<br />
für das monarchische System als von der Natur vorgegeben<br />
ausgesprochen haben.<br />
Kraus: „Gewiss werden die Kamele das größte Kamel an<br />
wieder einzuführen, was diese aus humanitären Gründen<br />
immer ablehnt. Wenn aber einmal die Mehrheit die Wiedereinführung<br />
fordert, was dann? Die Türkei wird die Todesstra-<br />
Essay
24 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 25<br />
fe wieder einführen, um sich ihrer schärfsten Widersacher<br />
Wo der Verstand wächst, müssen die Haare weichen.<br />
Klaus Ebner<br />
Zur Inauguration erschien der zu diesem Zeitpunkt erst desi-<br />
und Kritiker unter dem Titel „Hochverrat“ zu entledigen.<br />
Verlieren diese ihre Köpfe, so verliert auch die Opposition<br />
ihren Kopf. Gleichgültig, ob die EU das als das Überschrei-<br />
Was – wenn ich recht sehe - auch nicht immer stimmt,<br />
denn Beethoven, Einstein und Goethe trugen zu ihrem unzweifelhaften<br />
Verstand wallendes Haupthaar.<br />
Kopfball<br />
gnierte Präsident mit seiner Frau, einem ehemaligen Mannequin,<br />
die selbstverständlich perfekt gestylt auftrat. Sie wurde<br />
in Slowenien geboren und wuchs dort auf, soll als Fremd-<br />
ten einer „Roten Linie“ bezeichnet. Die Türkei nimmt damit<br />
Aus Köpfen werden, so sie wirklich etwas geleistet haben<br />
Findige Köpfe heben sich aus der Masse, indem sie Farbe<br />
sprachen unter anderem Französisch, Italienisch und sogar<br />
in Kauf, dass die EU die Zusage, die Türkei aufzunehmen,<br />
wie die vorhin genannten drei Geistesgrößen, Büsten aus<br />
in den Einheitsbrei der Gesellschaft bringen, Ideen verwirk-<br />
Deutsch beherrschen. Und natürlich Englisch – das für sie ja<br />
wenn der viele Punkte umfassende Katalog abgearbeitet<br />
Marmor oder Bronze, um sie für die Ewigkeit zu konservie-<br />
lichen, die andere nicht einmal im Traum in Betracht zogen,<br />
nichts anderes ist als eine Fremdsprache, wovon sich alle, die<br />
und die türkischen Regeln, Gesetze, Vorschriften an die in<br />
ren.<br />
und Sinnvolles mit Nützlichem verbinden. Sie beachten das<br />
mal bei CNN oder BBC reinschauen, leicht selbst überzeugen<br />
der EU Geltenden in jahrelanger Arbeit angepasst worden<br />
Auf dem Heldenberg im niederösterreichischen Weinviertel<br />
Einfache kaum und setzen sogleich zum Kopfball an. Man<br />
können. Ich halte ihr inzwischen die Daumen, dass ihr Mann<br />
sind, wieder zurückziehen wird.<br />
stehen viele derartige Büsten von Feldherren und Generä-<br />
könnte auch sagen, sie bringen die Menschheit weiter, und<br />
sie bei einem seiner vielen Ausgrenzungsdekrete nicht über<br />
Sie wird sich von Europa ab- und mehr Russland zuwenden,<br />
len. Sie haben zwar nichts in Mathematik, Lyrik und Mu-<br />
jene, die ihre grundsätzlich soziale Ader mit einem starken<br />
Nacht des Landes verweist. Dabei hat der neue Präsident<br />
das mit der türkischen Todesstrafe keine Probleme hat.<br />
sik geleistet, aber als Schlachtenlenker haben sie viele zur<br />
Willen verbinden, lenken unsere Geschicke. So weit die (po-<br />
doch eine ausgesprochene Vorliebe für Migrantinnen. Seine<br />
Schlachtbank geführt, wo das Schlachten noch sehr viel<br />
sitive) Theorie.<br />
erste Frau, ebenfalls ein Model, stammte aus der Tschecho-<br />
Zurück zu den Köpfen:<br />
effizienter erfolgt als mit der Guillotine. Sie sind zweifellos<br />
Den Kopf als Pars pro Toto für die ganze Person zu sehen, hat<br />
slowakei.<br />
„Die besten Köpfe“ werden in der Krise aufgerufen, um<br />
auch der Verewigung würdige Köpfe. Ein Heereslieferant<br />
eine lange Geschichte. Ob sie die Erzeugung von Kopfskulp-<br />
Zugegeben, die Mauer soll nicht in Mitteleuropa oder an der<br />
Ideen und Lösungen zu erarbeiten.<br />
hatte diese Büsten anfertigen und aufstellen lassen, als<br />
turen, Büsten und Porträts in der Kunst anstieß oder zumin-<br />
Atlantikküste gebaut werden, sondern an der Südgrenze zu<br />
Egal, ob in Unternehmen oder Regierungen. Manchmal<br />
kleinen Dank ans Vaterland für diesen Krieg, weil es ihm<br />
dest anfachte, sei dahingestellt. In der heutigen sogenannten<br />
Mexiko. Mir fällt dazu automatisch die Große Chinesische<br />
hilft es, manchmal auch nicht, wie etwa in der Finanzkrise,<br />
selbst nicht vergönnt war, sein Leben für dieses Vaterland<br />
modernen Welt verloren künstlerische Artefakte ihren (einst<br />
Mauer ein. (Wie wirkungsvoll diese gegen die Mongolen war,<br />
die 2008 ausgebrochen ist und noch immer anhält. Wer<br />
und seinen von Gott gesandten Kaiser hinzugeben, so dass<br />
hohen) Stellenwert und müssen sich vielfach einer Mode un-<br />
erfährt man im Geschichtsunterricht.) Gegen China hat der<br />
weiß, vielleicht wäre die Krise noch viel dramatischer, hät-<br />
er einen Teil des Vermögens, das sozusagen zwangsweise<br />
terordnen, und in diesem Sinne küren diverse Zeitschriften<br />
Präsident ebenfalls einen gewissen Widerwillen an den Tag<br />
ten nicht die besten Köpfe sie schon und noch immer be-<br />
angefallen ist, in diese Büsten investiert hat. Auch wenn er<br />
quasi als traditionelle Modeerscheinung einen Kopf des Jah-<br />
gelegt, getrieben von den wirtschaftlichen Gegebenheiten<br />
kämpft.<br />
nicht gerade ein Einstein war, rechnen konnte er gut und<br />
res. Bei manchen handelt es sich um international bekannte<br />
und Verflechtungen, und wer weiß, vielleicht schwirrt ihm<br />
Wilde schneiden die Köpfe ihrer besiegten Feinde ab und<br />
wusste, dass auch nach diesen Büsten noch genug Vermö-<br />
Nachrichtenmagazine, die, seit der Vorwurf der Fake News im<br />
auch der Gedanke an eine neue chinesische Mauer im Kopf<br />
machen aus konservierungs- technischen Gründen daraus<br />
gen übrig war. Die Feldherren und Generäle hatten ja en-<br />
Raum steht, auf eine überraschende Art in Verruf gerieten.<br />
herum. Bezahlen werden eine solche indes auch die Chine-<br />
Schrumpfköpfe.<br />
orm viel Schlachtmaterial benötigt.<br />
Der aktuelle Kopf des Jahres ist nämlich der neue amerika-<br />
sen nicht, denn sie haben ja schon eine.<br />
Vor hunderten Jahren hat man als Rabenfutter und Sieges-<br />
Da waren sicherlich auch des Konservierens würdige Köpfe<br />
nische Präsident, was sage ich: Er ist der Kopf jener vier Jah-<br />
Was eine Kopfgeburt ist und was nicht, entscheidet der Präsi-<br />
zeichen die Köpfe der besiegten Feinde auf den Mauern der<br />
darunter, aber unter einem Helm sind sie halt nicht so recht<br />
re, die mit dem heurigen angebrochen sind. Und vier bleiben<br />
dent des mächtigsten Landes dieser Erde selbst. Auf den er-<br />
besiegten bzw. verteidigten Stadt aufgespießt.<br />
zur Geltung gekommen.<br />
es auch nur dann, wenn sich nicht genügend in ihrer eigenen<br />
sten Blick sieht dieser Satz harmlos aus, doch er bezieht sich<br />
Sicht kluge Köpfe finden, die für eine zweite Auflage einer sol-<br />
auch auf Bereiche der Wissenschaft und des sozialen Lebens.<br />
Die besten Köpfe schafften es, gleichzeitig das ultimative<br />
chen Politik sorgen.<br />
Schulen, die korrekterweise Evolutionsbiologie unterrichten,<br />
Mittel zum Massenselbstmord – die Atombombe – und das<br />
Schon die ersten Wochen machten den Präsidenten zum<br />
riskieren staatliche Unterstützungen zu verlieren. (Bisher war<br />
zur Heilung vom schlimmsten inneren Feind der Menschen,<br />
Kopfjäger, das heißt, gemäß seiner propagierten Intention<br />
das nur der Wunsch religiöser Fanatiker gewesen.) Klimawan-<br />
die Chemo- und die punktgenaue Anwendung der Strahlen-<br />
Peter Mitmasser<br />
zum Jäger jener Köpfe, die es, wie sie grausam und vielfach<br />
del und alle damit verbundenen Implikationen werden auch<br />
therapie zu entwickeln.<br />
Geb. 13. 06. 1939 Wien, Österreicher, verh, 2 Kinder. Nach Flucht<br />
bewiesen haben, bevorzugen, uns alle zu köpfen. Vom Ansatz<br />
mit Hilfe entsprechend geeichter Minister geleugnet. Vermut-<br />
1945 von NÖ über Vorarlberg und Kärnten in OÖ aufgewachsen,<br />
her ein Ansinnen, das ein Aufatmen mit sich bringen müsste.<br />
lich ist das erst der Anfang, und dass in den USA heute Wis-<br />
Manche besonderen Köpfe sehen etwas, was die normalen<br />
HAK Wels, Übersiedlung nach NÖ, Einkaufsleiter. Nebenberufl.<br />
Dass er freilich mit der Art und Weise, in welcher er sein Vor-<br />
senschaftler (denen viele eine gewisse Eigenbrötlerei nachsa-<br />
Köpfe nicht sehen können: Die Seher. „Du wirst ein großes<br />
Studium Promotion Dr.phil. 1983 „Einkäufer des Jahres“ des ÖPWZ<br />
haben per Dekret umzusetzen gedenkt, Millionen Unschuldige<br />
gen) geeint auf die Straße gehen und gegen solche Aussagen<br />
Reich zerstören“ hat die Seherin Pythia dem Krösus vorher-<br />
Fachartikel, Beitrag „Handbuch Beschaffung“, Hanser, 2003.<br />
trifft und beleidigt, während die wirklichen Köpfer zweifellos<br />
und deren rechtliche Konsequenzen protestieren, stimmt<br />
gesagt für den Fall, dass er den Halys überschreite. Krösus<br />
Soziale Aktivitäten, Gemeinderat, Schriftführer Umweltschutz-<br />
andere Wege finden, in sein und unser Land zu gelangen, steht<br />
besorgt. Vielleicht wäre es sinnvoll, analog zum Verbot der<br />
dachte, sie meine ein anderes Reich als er und überschritt<br />
Verein. 2002 Pension. Für österreichisches Weiterbildungsinstitut<br />
auf einem anderen Blatt und scheint ihn nicht zu kümmern:<br />
Auschwitzlüge auch Bestimmungen gegen die Leugnung von<br />
frohgemut den Halys. Und erst da, zu spät, sah auch er,<br />
für Erwachsene tätig. Literarisches Schreiben, 2 Romane, viele<br />
Wie er sich mit den Gerichten und selbst den Höchstrichtern<br />
Evolution, Klimaveränderung, Umweltverschmutzung und so<br />
welches Reich die Pythia zerstört gesehen hat.<br />
Publikationen in Anthologien und Literatur-Magazinen, mehrere<br />
anlegt, kann längst nicht mehr als eine inneramerikanische<br />
weiter einzurichten. Freilich hätte das nur Sinn, wenn sie auf<br />
Preise, zuletzt 2015 1. Preis Literaturbewerb Ü/70 der Schweizer<br />
Marotte abgetan werden. Fakt ist: Es geht gegen viele Mus-<br />
globaler Ebene von allen Staaten akzeptiert und ins nationale<br />
Essay<br />
Manche Köpfe werden blank rasiert getragen, um<br />
dem Publikum eine Glatze zu zeigen, so dass es daran<br />
den ihnen innewohnenden Verstand erkenne, denn:<br />
Stiftung Kreatives Alter, Zürich.Texte zu 2 Sachbüchern: „Mödling,<br />
Impressionen einer Stadt“, 2014, KRAL-Verlag„Mödling, Ja die Zeit<br />
ändert viel“, 2016, KRAL-Verlag<br />
lime und gegen Mexikaner. (Welche Erinnerungen einem da<br />
in einem Land mit einer Geschichte, wie Österreich sie hat,<br />
hochkommen, mag ich gar nicht aussprechen.)<br />
Recht übernommen würden, womit sich dieser Gedanke leider<br />
als echte Kopfgeburt erweist.<br />
Im reflexartigen Erzürnen über die Ohnmacht so vieler ge-<br />
Essay
26 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 27<br />
genüber einem Einzelnen fällt mir der Herzkönigin Schrei<br />
»Kopf ab!« aus Alice im Wunderland ein. Die Geschichte eines<br />
Mädchens, das den Kopf hoch trägt und das nötige Selbstbewusstsein<br />
besitzt, die allerdings (von einem geistlichen<br />
Mathematiker) geschrieben wurde, um der reellen Alice mit<br />
einem gehörigen Augenzwinkern vermeintliche Flausen auszutreiben.<br />
Irgendwie erinnert das an die rhetorische Keule<br />
der Fake News. Purer Zufall?<br />
Möglicherweise sollten wir positiv denken und den amerikanischen<br />
Präsidenten nicht an seinen Worten, sondern den<br />
in aller Öffentlichkeit gewollt hat, dann scheren nämlich<br />
die wichtigsten Staaten aus (obwohl natürlich alle wichtig<br />
sind), und der klägliche Rest zerbröselt von allein, getrieben<br />
von selbstgefälligen Parteien, denen Geschichte und<br />
ein Zusammenstehen der Völker scheißegal sind. Und dann<br />
gibt es innerhalb weniger Jahrzehnte wieder Krieg in Europa.<br />
Nur ein Kindskopf kann diese Zusammenhänge ignorieren.<br />
Was tut derweil Europa, um der dschihadistischen Gefahr<br />
zu begegnen? Österreich denkt an ein Kopftuchverbot. Das<br />
das sich am Ende nicht als Eigentor erweist. Herauszufinden,<br />
wie das am besten geht, erfordert viel Zeit und Hirnschmalz.<br />
Vor allem aber: die Bereitschaft, es gemeinsam zu<br />
tun und sich nicht kopflos einem trügerischen Fatalismus<br />
zu ergeben. Obwohl es dermaßen logisch klingt, muss ich<br />
es (besonders in Richtung der sich unangreifbar und mächtig<br />
Fühlenden) aussprechen: Wir haben unseren Kopf nicht,<br />
um mit ihm durch die Wand zu wollen – wir haben ihn zum<br />
Denken!<br />
geszeitungen. In der 90er Jahren veröffentlichte Ebner hauptsächlich<br />
informationstechnische Artikel und Bücher, etwa für die<br />
Verlage Markt & Technik und Microsoft Press. Sein Brotberuf ist<br />
im Bereich der Informatik und IT-Ausbildung angesiedelt. Seit<br />
ca. 2004 veröffentlicht der Autor wieder verstärkt in Literaturzeitschriften,<br />
etwa in Literatur und Kritik, Podium, die Rampe,<br />
außerdem, Gegenwind, Neue Sirene und Macondo, und 2007 erscheint<br />
die erste eigenständige Buchpublikation, ein Band Kurzgeschichten.<br />
Ebner schreibt Lyrik auf Deutsch und Katalanisch.<br />
Der erste katalanische Lyrikband erschien 2009 in Katalonien.<br />
Taten beurteilen (hatten wir das nicht schon mal?). Unterstel-<br />
ist nicht ganz wörtlich zu verstehen (obwohl die Presse flei-<br />
Klaus Ebner<br />
Öffentliche Lesungen hielt der Autor unter anderem in Wien,<br />
len wir ihm nicht, alles auf den Kopf stellen zu wollen! Aber<br />
ßig dieses Wort strapaziert – aber das sind vielleicht auch<br />
Geb.1964 in Wien. Nach der Matura 1982 studierte er Germa-<br />
Barcelona und München. Er ist Mitglied der Grazer Autorinnen<br />
können wir das? Er spricht von Selbstbesinnung, von Eigen-<br />
nur Fake News), denn offiziell geht es »nur« um Burka und<br />
nistik, Romanische Philologie und Translationswissenschaft.<br />
Autorenversammlung (GAV), des Österreichischen Schriftstel-<br />
bezug, von Abschottung. Die USA sollen sich viel mehr auf<br />
Niqab. Immerhin, und die Verweise auf eine Unterdrückung<br />
Während der Studienzeit erfolgten erste Veröffentlichungen in<br />
lerverbandes (OeSV), der Associació d'Escriptors den Llengua<br />
sich selbst besinnen, das heißt auch: mit sich selbst begnü-<br />
von Frauen sind nicht von der Hand zu weisen und daher<br />
österreichischen und deutschen Literaturzeitschriften und Ta-<br />
Catalana (AELC) und des katalanischen PEN-Zentrums.<br />
gen. Ist das in politischer Hinsicht klug? Die Köpfenden haben<br />
durchaus ernst zu nehmen. Aber sind Vollverschleierung<br />
den Menschen in aller Welt den (so sehr ich diesen Begriff<br />
und Kopftuch tatsächlich Symbole des gewalttätigen Isla-<br />
auch hasse) totalen Krieg erklärt, darunter auch notabene<br />
mismus? Mir fallen zum Thema Dschihadismus eher die<br />
der überwältigenden Mehrheit der Muslime. In dieser Situa-<br />
typischen Rauschebärte der Männer ein. Erstens wird di-<br />
tion das westliche Verteidigungsbündnis aufzukündigen, wie<br />
ese Gewalt fast hundertprozentig von Männern ausgeführt<br />
mehrmals angedroht und dann wieder relativiert wurde (auch<br />
(weil den Frauen in der engen Welt des IS bloß die Rolle<br />
ein Fall von Fake News?), klingt gelinde gesagt ungeschickt.<br />
von Kinderzüchterinnen und Fickstuten zugestanden wird),<br />
Dabei geht es meines Erachtens gar nicht so sehr darum, ob<br />
zweitens tragen fast alle Dschihadisten Vollbärte in einer<br />
Europa ausreichend in seine eigene Verteidigung investiert<br />
eigenen und äußerlich leicht kenntlichen Manier. Warum<br />
oder nicht, es geht darum zusammenzustehen und dieses<br />
kommt niemand auf die Idee, diese Barttracht zu verbie-<br />
globale Problem gemeinsam und vereint anzupacken, denn<br />
ten? Zugegeben, ob sie uns bärtig oder bartlos ermorden,<br />
anders wird es sich nicht lösen lassen. Anders ausgedrückt:<br />
spielt im Grunde keine Rolle, doch die öffentliche Attacke<br />
Wer sich einbildet, im Alleingang mit einem Phänomen wie<br />
gegen Niqab und Kopftuch scheint mir eine Art Stellvertre-<br />
dem Islamischen Staat fertigzuwerden, wird sehr unsanft auf<br />
terkrieg zu sein, der nur Öl (das wir den Islamisten zuvor<br />
den Kopf fallen.<br />
teuer abkauften) ins Feuer gießt, aber, so wie es aussieht,<br />
Freilich ist es leicht, vom Alten Kontinent aus über den Groß-<br />
nicht das Geringste zu einer Besserung der Situation bei-<br />
en Teich zu schimpfen, so, als liefe bei uns alles pipifein. Man<br />
trägt. Gibt es unter all den Politikern, hierzulande, in der<br />
braucht indes seinen Kopf gar nicht besonders anstrengen,<br />
Europäischen Union und in den USA, tatsächlich keinen<br />
um zu sehen, dass auch hier einiges im Argen liegt. Nach<br />
hellen Kopf, der das erkennt? Die Politik läuft planlos um<br />
dem Verrat (sic!) Großbritanniens am Gemeinsamen Europa<br />
sich schlagend herum und mit ihnen die Boulevardpresse<br />
wittern Ultrarechte ihre Chance und veranstalten einen Trom-<br />
und viele Bürgerinnen und Bürger, die entweder längst den<br />
melwirbel, der einen ganz schwurbelig macht. Neologismen<br />
Kopf in den Sand gesteckt oder den Kopfhörer so laut ge-<br />
wie Frexit, Öxit und Nexit tauchten in den Medien auf, und es<br />
dreht haben, dass sie tatsächlich meinen, es ginge ohnehin<br />
würde mich nicht wundern, hätte ich ein paar weitere nach<br />
nur um eine lästige Kopfbedeckung.<br />
diesem Muster glatt übersehen. Warum fühlen sich alle plötz-<br />
Ein Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen, wie er<br />
lich so stark, dass sie meinen, mit einem Köpfler ins eiskalte<br />
anscheinend immer häufiger praktiziert oder zumindest<br />
Wasser und ganz allein die Geschicke des Planeten lenken zu<br />
vorgehabt wird, ist keine Lösung. Wenn wir solches zulas-<br />
können, ohne dass ihnen irgendwer dazwischenreden dürfe?<br />
sen, wandeln sich Vorurteile zu Gesetzen, und das endet,<br />
Essay<br />
Vielmehr sieht es so aus: Gewinnt der Kopf der Nationalfront<br />
die französischen Präsidentschaftswahlen, dann<br />
zerbricht Europa, so wie der amerikanische Präsident es<br />
wie wir aus unserer Geschichte wissen, am Kopfbahnhof.<br />
Also gilt es, einen Kopfball abzufangen, ihn mit Köpfchen<br />
in die richtige Bahn zu bugsieren und ein Tor zu schießen,<br />
©Heliane Wiesauer-Reiterer 2005 Kopf Marmor<br />
Essay
28 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 29<br />
Bericht<br />
Hommage an die Künstlerin<br />
Hannah Höch<br />
von Romana Maria Jäger<br />
Anne Therese Johanne Höch (1.Nov.1889 bis 31.Mai 1978)<br />
„Ich bin immer um die Dinge herumgegangen“, zitierte Peter<br />
Krieger sie in einer Publikation zu einer Gedächtnisausstellung<br />
der Künstlerin Hannah Höch<br />
Hannah Höch, eine interessante Figur der Kunstszene,<br />
eine Feministin in einer Zeit, als man besser nicht auffällig<br />
wurde, weil Krieg herrschte, weil Menschen verschwanden,<br />
denunziert, getötet wurden, weil sie anders waren,<br />
anders dachten. Lange bevor sie Dada Künstlerin war,<br />
klebte sie schon Blätter aus bunten Papieren zusammen.<br />
1904 gestaltete sie ihre erste Collage – im Deutschlandfunk.de<br />
findet sich ein Gedicht darüber. Ihr war wichtig,<br />
wann sie damit begonnen hatte.<br />
Hannah Höch, sie wuchs als Älteste von 5 Kindern in bürgerlichen<br />
Verhältnissen auf. Ihr künstlerisches Talent hatte<br />
sie wohl von ihrer Mutter erhalten – diese malte und<br />
zeichnete und förderte ihre Tochter diesbezüglich. Wie<br />
es damals üblich war, musste Hannah Höch bereits mit<br />
15 Jahren die Höhere Töchterschule verlassen. Zu Hause<br />
wurde sie wohl als Kindermädchen für die jüngste Schwester<br />
gebraucht.<br />
1912 zog Hannah nach Berlin, studierte an einer privaten<br />
Kunstgewerbeschule in Charlottenburg Gestaltung (Harold<br />
Bengen) Graphik und Buchkunst (Emil Orlik) und man<br />
fand sie alsbald im expressionistischen Künstlerkreis<br />
„Der Sturm“.<br />
Als Künstlerin beschäftigte sie sich zeitlebens mit neuen<br />
Tendenzen der Formgestaltung, Fotomontagen, Collagen.<br />
Grundlage für ihre Kunstwerke waren oft Zeitungsausschnitte.<br />
Als Illustratorin bei Ullstein (größter deutscher<br />
Verlag dieser Zeit) hatte sie ein sicheres Einkommen und<br />
den Zugang zum Grundmaterial Papier für ihre Arbeiten.<br />
Es war wohl ihre Liaison mit dem Künstler Raoul Hausmann,<br />
die sie zu der Berliner Dada Bewegung führte –<br />
dazu muss gesagt werden, dass Sie ihrem verheirateten<br />
Liebhaber sonst keinerlei Einmischung in ihr Leben gestattete!<br />
So wie sie überhaupt ein selbstbestimmtes, aber<br />
eben kein leichtes Leben führte, entschied sie sich im<br />
Leben noch oft genug für Trennungen, um ungestört arbeiten<br />
zu können.<br />
1917 und 1918 erzielte sie bereits Erfolge. Es entstanden<br />
in der Zeit ihre ersten Fotomontagen – die Grundlage ihrer<br />
späteren Berühmtheit. Hannah Höch hatte sich bereits<br />
während ihrer Ausbildung mit dem Verfahren der Collage<br />
beschäftigt. Das erste von ihr bekannte Klebebild ist<br />
„Weiße Wolke“ von 1916.<br />
Hannah Höch war eine Frau, die sich mit den gängigen<br />
Rollenklischees ihrer Zeit beschäftigte – sie begann Frauenbilder<br />
zu montieren, überspitzte und dekonstruierte die<br />
damals gültigen Klischees der Geschlechter. 1919 stand<br />
sie z.B. in einer Dada Revue mit einer Kinderpistole und<br />
Topfdeckeln auf der Bühne.<br />
Die Trennung vom verheirateten Liebhaber Hausmann war<br />
eine Art Befreiungsschlag für Hannah. Sie intensivierte<br />
den Kontakt zu befreundeten KünstlerInnen und arbeitete<br />
„Die Journalisten”1925/dpa/picture alliance/Stephanie Pilick<br />
sehr viel. Zu der Zeit verabschiedete sie sich auch von der<br />
Dada Bewegung.<br />
Über ihren Freund Kurt Schwitters lernte sie Mitglieder<br />
der niederländischen Avantgarde-Kunstbewegung kennen.<br />
1926 fuhr sie in die Niederlande und blieb 3 Jahre.<br />
Dort traf sie ihre große Liebe, die Schriftstellerin Til Brugmann<br />
mit ihr teilte sie die nächsten 9 Jahre ihres Lebens.<br />
Auch in dieser Zeit blieb sie Deutschland künstlerisch verbunden.<br />
Ab 1929 zogen die beiden Frauen zusammen wieder zurück<br />
nach Berlin, in diesem Jahr hatte sie auch ihre ersten<br />
Einzelausstellungen.<br />
Hannah war eine Frau, die experimentierte, probierte, sie<br />
lebte ihre Kunst aus, ihre Weiblichkeit, wohl auch die sexuellen<br />
Orientierungen<br />
Hannah beteiligte sich 1931 an der Ausstellung „Frauen<br />
in Not“ – ein Aufruf zur Akzeptanz des Paragraphen 218 –<br />
dem Recht auf Abtreibung. Im gleichen Jahr nahm sie Teil<br />
an der Ausstellung „Fotomontage“ bei der die Klebekunst,<br />
die Montage, ihre Kunstrichtung, zum ersten Mal als eigenständige<br />
Kunstform anerkannt wurde.<br />
Hannah widmete ihre Kunst in vielen Dimensionen dem<br />
Rollenbild und der Definition von Weiblichkeit, deren Wurzeln<br />
sie immer wieder hinterfragte. Vielleicht kann man<br />
diese Künstlerin auch als eine Feministin der ersten Stunde<br />
bezeichnen.<br />
Als Hitler 1933 die Macht übernahm, blieb sie mit ihrer<br />
Lebensgefährtin Brugmann in Berlin. Sie reagierte künstlerisch<br />
auf die politische Situation, Ausstellungen hatte<br />
sie in dieser Zeit eher nicht. 1936 trennte sich das Paar<br />
Höch-Brugmann – danach kam der Handelsreisende Kurt<br />
Heinz Matthies in ihr Leben, welchen sie 1938 heiratete.<br />
Diese Verbindung stillte wohl einen ganz eigenen Hunger<br />
nach Inspiration - sie begleitete ihren Mann während seiner<br />
Arbeitsreisen und besuchte währenddessen Museen.<br />
Die Verbindung zerbrach dann wohl durch die Krankheit<br />
ihres Mannes – der Exhibitionist wurde verurteilt und wohl<br />
auch entmannt. Dies belastete Hannah Höch schwer.<br />
Ebenso schwer nahm sie wohl die künstlerischen Entwicklungen<br />
in ihrer Heimat – Ausstellungen wie „Entartete<br />
Kunst“ – „Säuberung des Kunsttempels“ und die Tatsache,<br />
dass Frauen zu dieser Zeit in der Kunst so gut wie<br />
gar nicht vertreten waren.<br />
Hannah versuchte während der ganzen Nazi -Zeit möglichst<br />
unauffällig zu leben und ihren Werten und Zielen<br />
trotzdem treu zu bleiben. In dieser Zeit entstanden symbolträchtige<br />
Bilder zu ihrem Lebensweg – Blumen- und<br />
Pflanzenstillleben.<br />
1939 kaufte sie ein Haus in Berlin Heiligensee, weit weg<br />
vom Zentrum der Stadt. Hier hatte sie einen Garten, der<br />
ihr wohl in schweren Zeiten Lebenswillen gab und für<br />
Nahrung sorgte. Dort hat sie während des 2. Weltkrieges<br />
anscheinend tief einsam gelebt „Manchmal sprach ich<br />
monatelang keine Wort“, liest man in ihrem Tagebuch aus<br />
dieser Zeit. Erst 1946 werden ihre Fotomontagen in Berlin<br />
wieder gezeigt. 2 Jahre später beteiligte sie sich an einer<br />
Retrospektive der Dada Künstler im Museum of Modern<br />
Art in New York.<br />
Einige von Höchs späten Werken (1956 bis 58) strahlen<br />
die grelle Künstlichkeit von Folien, Autolack oder Plastik<br />
aus. Protest und Toleranz waren für sie untrennbar verbunden.<br />
Gestorben ist Hannah Höch nach einem wohl schwierigen,<br />
aber künstlerisch sehr reichen Leben im Alter von 88 Jahren<br />
am 31. Mai 1978 in ihrem Haus in Berlin Heiligensee.<br />
Ihre Wärme und kritische Distanz charakterisieren eine<br />
große Künstlerin.<br />
Leid, sagt man, verändere die Menschen, zum Guten oder<br />
zum Bösen. Bei Höch ist es wohl zum Guten geworden,<br />
die Distanz und der Menschenverstand haben sie milde<br />
gestimmt, sie zu einer besonderen Frau und Künstlerin<br />
gemacht. Leider werden ihre Tagebücher aus dem Nachlass<br />
der Öffentlichkeit nicht oder nur zu einem kleinen Teil<br />
zugänglich gemacht. Aber ich warte auf die Zeit, in der<br />
sich das ändert, denn, wann immer dies geschieht, werde<br />
ich die Erste sein, die sich diesen Texten widmet, und<br />
sicher wird dann die Welt noch mehr erfahren über die<br />
Dame Höch.<br />
Hannah Höch<br />
Anne Therese Johanne Höch, geb. 1889, Gotha; gest. 1978,<br />
West Berlin war eine deutsche Künstlerin - Malerin, Grafikerin.<br />
Sie gilt als eine der Begründerinnen der Bildermontagen bzw.<br />
Fotocollagen und Mitbegründerin des Dadaismus. Sie wurde<br />
1965 an die Akademie der Künste in Berlin berufen, war Mitglied<br />
im Deutschen Künstlerbund. Sie setzte sich besonders für den<br />
Feminismus ein.<br />
Romana Maria Jäger<br />
Geb. in St. Pölten, lebt in St. Pölten. Autorin/Projektentwicklerin,<br />
Trainerin/Künstlerin Lebens&Sozialberaterin.<br />
Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch<br />
für das, was wir nicht tun! (Mollier)<br />
©Heliane Wiesauer-Reiterer 2006 Kopf Holz 28x29x13,5<br />
Bericht
30 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 31<br />
Buchmesse Leipzig<br />
Frühlingsbeginnnicht<br />
nur in der Natur<br />
Alljährlich findet die Leipziger Buchmesse im Frühjahr statt,<br />
als Auftakt eines neuen Buchjahres, das zunehmend von<br />
Umsatzzahlen getrieben wird. In den Mittelpunkt rückt, was<br />
gesellschaftlich „nachgefragt“ wird und langfristig Erfolg verspricht.<br />
- Cornelia Stahl - ©Fotos Cornelia Stahl<br />
legerverbands, bemerkte, dass Litauen ein kleines Land sei<br />
mit wenigen Lesern. Daher sind Bücher relativ teuer. Besonders<br />
seit der Finanzkrise 2008/2009 erlebte die Verlagsbranche<br />
einen Rückgang und hat sich bis dato nicht erholt.<br />
Vor 2009 erschienen 4500 neue Titel pro Jahr. 2017 verzeichnete<br />
sie kaum 3400 neue Titel. Die meisten litauischen<br />
Neuerscheinungen werden vom österreichischen Übersetzer<br />
und Autor Cornelius Hell betreut.<br />
Was gibt’s Neues?<br />
Natürlich, jetzt komme ich zu den Neuigkeiten, die auf der<br />
Buchmesse erstmals vertreten waren: im „Startup Village“<br />
wurden digitales Publishing und Online-Lernplattformen vorgestellt.<br />
Zwischen Reformationsjubiläum und Oktoberrevolu-<br />
In der Begründung der Jury heißt es: „Barbara Stollberg-Rilingers<br />
große Biographie über die Habsburgerin ist tatsächlich<br />
bahnbrechend: Zum einen rückt sie eine der bedeutenden<br />
Gestalten in der europäischen Geschichte endlich in das ihr<br />
gebührende Licht. (...) Sie beschreibt (...) dieses Leben als<br />
Inszenierung eines Spiels in vielen verschiedenen, aber gleichzeitigen<br />
Rollen.“ Die Autorin erschließt durch die Person<br />
Maria Theresia zugleich eine ganze Epoche.<br />
In der Kategorie Übersetzung erhielt Eva Lüdi Kong mit ihrem<br />
Buch „Die Reise in den Westen“ (Reclam-Verlag, 2017) den<br />
mir in Leipzig erschloss, klingen positiv nach, z.B. die vertrauensvollen<br />
Gespräche mit Annegrat Heine von der Agentur<br />
Graf Text, Limbach-Oberfrohna oder mit Jens Kuhbandner<br />
vom Notschriften-Verlag Radebeul (bei Dresden), der die<br />
Kostbarkeiten des herausragenden Lyrikers Hanns Cibulka<br />
verlegt.<br />
Wer weiterlesen und sich ausführlicher informieren möchte,<br />
dem empfehle ich die Seiten:<br />
www.preis-der-leipziger-buchmesse.de,<br />
www.leipziger-buchmesse.de<br />
Nähere Infos zu Litauens Literatur, unter<br />
www.deutschlandradiokultur.de,vom 7.02.2017.<br />
tion stach der Themenschwerpunkt „Europa 21“ hervor. Un-<br />
Neuerscheinungen aus Litauen:<br />
ter dem Fokus „WIR in Europa - wofür wollen wir einstehen?“<br />
Undinė Radzevičiūte: Fische und Drachen. Übersetzt<br />
wurden verschiedene Diskurse geführt. Wie im letzten Jahr,<br />
von Cornelius Hell. Residenz Verlag<br />
waren auch heuer die Manga- und Cosplay-Fans angereist,<br />
Anatanas Škėma: Das weiße Leintuch. Übersetzt von<br />
kostümiert versteht sich, um die „Manga-Comic-Con“ zu be-<br />
Claudia Sinnig. Guggolz Verlag<br />
suchen.<br />
Tomas Venclova, Ellen Hinsey: Der magnetische<br />
Zum Reformationsjubiläum 2017 präsentierten sich zahl-<br />
Norden. Gespräche. Übersetzt von Claudia Sinnig.<br />
reiche Städte mit eigenen Programmen. „Barfuß ins Him-<br />
Suhrkamp<br />
melreich? - Martin Luther und die Bettelorden in Erfurt-“ war<br />
Alvydas Šlepikas: Der Regengott und andere Erzählun-<br />
eine herausragende Ausstellung, die hervorstach aus der<br />
Preis der Leipziger Buchmesse. Das Werk gilt als das pop-<br />
gen. Übersetzt von Markus Roduner. Mitteldeutscher<br />
Fülle der Angebote und vom 18.5.2017 bis 12.11.2017 im<br />
ulärste Buch der chinesischen Literatur. Bis heute lebt es fort<br />
Verlag<br />
Stadtmuseum Erfurt zu sehen sein wird, begleitet von Paral-<br />
in Mangas, Computerspielen und Filmen, ist ungefähr 400<br />
Eugenijus Ališanka: Streifzüge. Risse. Fluchtpunkte.<br />
lelveranstaltungen in und um Erfurt.<br />
Jahre alt und hat es bisher nicht auf Deutsch gegeben, nur in<br />
Übersetzt von Claudia Sinnig. Klak Verlag<br />
Preise, Preise, und nochmals Preise ...<br />
versprenkelten Ausschnitten. Der Verdienst, dass es nun als<br />
Laimonas Briedis: Vilnius. Reisen in die ferne Nähe.<br />
Die Preise der Leipziger Buchmesse 2017 gingen heuer<br />
Gesamtwerk erschienen ist, geht auf die Übersetzerin Eva<br />
Übersetzt von Cornelius Hell. Wieser Verlag<br />
in der Kategorie Belletristik an Natascha Wodin mit ihrem<br />
Lüdi Kong zurück, die selbst 25 Jahre in China lebte. Mit viel<br />
Renata Šerelytė: Der Windreiter. Übersetzt von Corne-<br />
Buch: „Sie kam aus Mariupol“, das im Rowohlt-Verlag er-<br />
Liebe zum Detail und überdimensionalem Aufwand hat sie<br />
lius Hell. Wieser Verlag<br />
schienen ist. In einer früheren Ausgabe der Zeitschrift Alter-<br />
sich die Mühe gemacht, den Kosmos der chinesischen Kul-<br />
Jurgis Kunčinas: Tula. Übersetzt von Markus Roduner.<br />
Bericht<br />
Parallel zur Leipziger Buchmesse fanden hunderte Veranstaltungen<br />
unter dem Thema „Leipzig liest“ in der ganzen<br />
Stadt und an verschiedenen Standorten statt. Unter der<br />
gestiegenen Anzahl an Ausstellern (2400 statt 2250 im Jahr<br />
2015) befanden sich auch 206 aus Österreich.<br />
Schwerpunktland Litauen<br />
Als Schwerpunktland präsentierte sich Litauen mit Literatur<br />
und Kultur. Eine Repräsentantin der Literatur Litauens<br />
war Undinė Radzevičiūte, die „unlitauischste litauische<br />
Schriftstellerin“, wie der Standard vom 18.März 2017 anmerkte.<br />
In ihrem Roman „Fische und Drachen“ (übersetzt<br />
von Cornelius Hell, Residenz-Verlag, 2017) erzählt sie vom<br />
Zusammenprall zweier Kulturen.<br />
Aida Dobkeviciute, Geschäftsführerin des litauischen Ver-<br />
native (11/2016) berichtete ich von der Ausstellung „Zwangsarbeit<br />
im Nationalsozialismus“, die 2016 im Museum der<br />
Arbeitswelt Steyr gezeigt wurde. Im Buch „Sie kam aus<br />
Mariupol“ forscht Natascha Wodin nach den Lebensspuren<br />
ihrer ukrainischen Mutter Jewgenia. Sie stößt dabei auf<br />
das Schicksal ihrer Tante Lidia. Während die Mutter 1943<br />
mit ihrem russischen Mann als Zwangsarbeiterin in einem<br />
Leipziger Montagewerk für Kriegsflugzeuge arbeiten musste,<br />
kam die Tante zehn Jahre zuvor in ein sowjetisches Straflager.<br />
Eine Parallelität, die die Familiengeschichte zerteilt. „Sie kam<br />
aus Mariupol“ erzählt anhand einer persönlichen Geschichte<br />
von den Brüchen des 20. Jahrhunderts.<br />
Den Preis der Leipziger Buchmesse 2017 in der Kategorie<br />
Sachbuch/Essayistik wurde an Barbara Stollberg-Rilinger<br />
vergeben, für ihr Buch „Maria Theresia“ (C.H. Beck-Verlag).<br />
tur in eine für Europäer verständliche Sprache zu bringen,<br />
einschließlich der konfuzianischen, buddhistischen, daoistischen,<br />
alchemistischen Traditionen. Eva Lüdi Kong hat somit<br />
Transfer- und Vermittlungsarbeit zwischen den Kulturen<br />
geleistet.<br />
Im Dschungel der Veranstaltungen, Lichter und Monitore,<br />
auf denen Heldinnen und Heldinnen der Litearur herabblickten<br />
auf die Leserschar, dachte ich an kleinere Messen wie<br />
die „Buch Wien“ zurück oder an die Kritischen Literaturtage,<br />
die jedes Jahr in Wien stattfinden und auf denen Begegnung<br />
zwischen Autoren/Autorinnen und Leser/Leserinnen<br />
auf Augenhöhe stattfinden, und anschließend Gespräche<br />
entstehen lassen, in denen Autoren/Autorinnen lebendig/<br />
greifbar/angreifbar werden. Eine lebendige Art der Literaturvermittlung<br />
eben. Die kleinen, feinen Kontakte, die ich<br />
Corso Verlag<br />
Giedra Radvilavičiūte: Der lange Spaziergang auf der<br />
kurzen Mole. Übersetzt von Cornelius Hell. Corso Verlag<br />
Laurynas Katkus: Moskauer Pelmeni.Übersetzt von<br />
Claudia Sinnig. Leipziger Literaturverlag<br />
Ingė Lukšaitė: Die Reformation im Großfürstentum<br />
Litauen und in Preußisch-Litauen. Übersetzt von Lilija<br />
Künstling. Leipziger Universitätsverlag<br />
Cornelia Stahl<br />
Redakteurin „Literaturfenster Österreich“ bei Radio Orange, www.<br />
o94.at, schreibt für bn-Bibliotheksnachrichten Salzburg, „Die Alternative“,<br />
„Tarantel“ und „<strong>etcetera</strong>“, ist Redakteurin und Jurorin des<br />
LitArena Heftes „<strong>etcetera</strong> 69”, das am 10.10.17 in der Landesbibliothek<br />
STP präsentiert wird.<br />
Bericht
32 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 33<br />
Soshana,<br />
eine dickköpfige Künstlerin<br />
in den folgenden Jahrzehnten. Sie bereiste Südostasien,<br />
Afrika, Südamerika und setzte sich intensiv mit den jeweili-<br />
Wie das Malen zum Ausdruck ihres Leidens, der Einsamkeit,<br />
ihrer oft depressiven Stimmungen und melancho-<br />
einer neuen Weise fassbar – wir erhalten einen Eindruck<br />
von einer stets um Emanzipation ringenden Frau, einer<br />
gen geistigen und künstlerischen Traditionen auseinander.<br />
lischen Gefühlen wurde, so entsprang auch das Aufschrei-<br />
verzweifelten Mutter, einer dickköpfigen Künstlerin, einer<br />
Karoline Riebler beschäftigt sich seit 4 Jahren mit der<br />
Im Jahr 1985 kehrte sie schließlich wieder in ihre Geburts-<br />
ben ihrer Tätigkeiten und Erlebnisse in ihren auf den<br />
nie zur Ruhe gekommenen Weltensammlerin.<br />
jüdischen Künstlerin, die 1938 mit 11 Jahren ihre Heimat<br />
stadt Wien zurück. Mit vielen ihrer Landsleute teilt sie das<br />
Reisen mitgeführten Tagebüchern einem fast täglichen<br />
Wien verlassen musste. Nun (ab Juli 2017) liegt der Band<br />
Schicksal, dass ihre im Ausland erworbene künstlerische<br />
Dokumentationszwang. Gearbeitet hat Soshana auf ihren<br />
„Soshana. Die Tagebücher”.<br />
„Soshana. Die Tagebücher” im Handel vor.<br />
Anerkennung und Wertschätzung mit großer Verzögerung<br />
Reisen, da sie aus Platz- und Transportgründen nicht im-<br />
Ich bin eine Weltensammlerin. die<br />
mer die Möglichkeit hatte, auf Leinwänden zu malen, oft<br />
Tagebücher der Künstlerin Soshana.<br />
auf Papier. In den Tagebüchern dokumentierte sie ihren<br />
Amos Schueller und Karoline Riebler<br />
Tagesablauf recht sachlich. Mehr oder weniger detailliert<br />
(Hrsg.), 260 Seiten mit Farbabbildungen<br />
beschreibt sie ihre Ausflüge, die von ihr besichtigten Se-<br />
in Deutsch und Englisch, De Gruyter Ver-<br />
henswürdigkeiten, Hotelgegebenheiten, das Klima, ihr<br />
lag, ISBN 978-3-11-053400-9<br />
gesundheitliches Befinden sowie Bekanntschaften: Soshana<br />
bewegte sich sowohl im New Yorker Künstler- und<br />
Intellektuellenmilieu als auch in den Pariser Kreisen der<br />
BUCHPRÄSENTATION „Soshana. Die Tagebücher”<br />
europäischen Avantgarde. Sie war befreundet mit Adolph<br />
am Mittwoch, 13.9.2017 in der Österreichischen National-<br />
Gottlieb, Mark Rothko, Pablo Picasso, Alberto Giacometti,<br />
bibliothek Wien. www.onb.ac.at<br />
Jean-Paul Sartre, Albert Schweitzer, Yves Klein und unzäh-<br />
Mehr Infos über Soshana unter: www.soshana.com<br />
ligen anderen Persönlichkeiten ihrer Zeit.<br />
Aber auch sehr persönliche Erlebnisse werden beschrie-<br />
Soshana<br />
ben: Sie dokumentiert ihre Zukunftssorgen, die Suche<br />
Geb.1927 in Wien (bürgerlicher Name: Susanne Schüller) nach dem<br />
nach Liebe und ihre Männerbekanntschaften, das schlech-<br />
Anschluss Österreichs an Deutschland verlässt sie Wien mit ihren<br />
te Gewissen, ihren Sohn Amos in Österreich zurückgelas-<br />
Eltern und ihrem Bruder, kurzer Aufenthalt in der Schweiz und in<br />
sen zu haben, das Leben und den Stand als Künstlerin<br />
Paris dann Umzug nach England, Northwood College Besuch der<br />
in der Gesellschaft. Internationale gesellschaftliche Pro-<br />
Chelsea Polytechnic School in London, Mal- und Zeichenkurse,<br />
bleme oder Gedanken über die (noch nicht erreichte)<br />
Emigration nach Amerika. Besuch der Washington Irving High<br />
Gleichstellung der Frauen respektive Künstlerinnen mit<br />
School, New York. Sie beginnt unter der Anleitung von Beys Afroyim<br />
den Männern im Allgemeinen respektive Künstlerkollegen<br />
zu malen. 1951 Studium an der Hochschule für angewandte Kunst<br />
im Besonderen, über die Angst vor weiteren Kriegen und<br />
in Wien.1952 Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien<br />
andere heute immer noch aktuelle Themen fanden Auf-<br />
unter Prof. Sergius Pauser, Albert P. Gütersloh und Prof. Herbert<br />
nahme in ihre Notizen.<br />
Boeckl.1952 Umzug nach Paris.1953 Soshana arbeitet im ehema-<br />
Soshana, Self-Portrait (1951) Oil on Canvas 75cm x 48cm<br />
Soshana, Self-Portrait II. (2001) Oil on Canvas 60cm x 40cm<br />
Um einen Einblick in diese hier nur kurz skizzierte Situation<br />
zu geben, wurden für die vorliegende Publikation –<br />
ligen Atelier von Paul Gauguin, Picasso lädt Soshana zu sich nach<br />
Vallauris ein.1954 Soshana wird von Picasso portraitiert.1964<br />
Die Tagebücher der österreichischen Künstlerin Soshana<br />
in Österreich wahrgenommen wurde. So erfolgten erst in<br />
ausgehend von Amos Schuellers Idee, Eintragungen aus<br />
Beginn längerer Aufenthalte und Ausstellungen in Mexiko.19<strong>68</strong><br />
umfassen eine Zeitspanne von über einem halben Jahrhun-<br />
den letzten Jahren Ehrungen durch die Stadt Wien und die<br />
Soshanas Tagebüchern in der öffentlichen Lesung „So-<br />
Weltreise, u.a. in die Südsee, in die Karibik, nach Thailand, Bali,<br />
dert (1952-2003) und dokumentieren ihre bemerkenswer-<br />
Republik Österreich. Im Dezember 2015 verstarb Soshana<br />
shana. Eine Wienerin in Paris. Ein Monat aus Soshanas<br />
Australien, Indien, Sikkim, Nepal, Afghanistan, den Iran und Israel.<br />
te Biografie als Künstlerin und Kosmopolitin ebenso wie<br />
in ihrem 89 Lebensjahr, die Jubiläumspublikation „Sosha-<br />
Tagebuch” zu präsentieren (2014) – Textstellen aus den<br />
1972 Umzug nach nach Jerusalem und1974 nach New York.1985<br />
ihre Rolle als sensible Zeitzeugin. Geprägt war der Lebens-<br />
na. Die Tagebücher”, welche in Deutsch und Englisch er-<br />
Jahren 1941 bis 1979 aus Soshanas zahlreichen, im Besitz<br />
Soshana zieht wieder nach Wien. 2005 - 2008 Lebt und arbeitet<br />
weg der 1927 in Wien in eine jüdische Familie geborenen<br />
scheint, ist der österreichischen Künstlerin zu ihrem 90.<br />
der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien befind-<br />
sie in Wien; Ausstellungen weltweit. 2009 Soshana wird mit dem<br />
Susanne Schüller zunächst von der Vertreibung ihrer Fa-<br />
Geburtstag gewidmet.<br />
lichen Tagebüchern ausgewählt. Diese Textstellen werden<br />
Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien geehrt. Am Mittwoch,<br />
milie durch das NS-Regime. Sie flüchteten 1938 über die<br />
in den Kontext ihres zeitgleichen künstlerischen Schaf-<br />
9. Dezember 2015 verstirbt Soshana in ihrem 89. Lebensjahr in<br />
Schweiz nach England. Es folgten Jahre im amerikanischen<br />
„All day I run from place to place across the globe. Yet I<br />
fens gesetzt: Die Tagebuchauszüge sind Soshanas zeitlich<br />
ihrem Geburtsort Wien.<br />
Bericht<br />
Exil; doch erst in der Kunstmetropole Paris fand Soshana<br />
schließlich für viele Jahre eine neue Heimat und Anschluss<br />
an die künstlerische Avantgarde dieser Zeit. Zahlreiche<br />
ausgedehnte Reisen bestimmten das Leben der Künstlerin<br />
cannot find peace […]<br />
Maybe my soul has to be tormented to create – with pain.<br />
Like giving birth to life!“<br />
(Zitat aus Soshanas Tagebüchern, 28. Jänner 1957)<br />
parallel entstandenen Gemälden, Zeichnungen und Fotografien<br />
gegenübergestellt, wodurch unser Bild von Soshana<br />
abgerundet wird. Soshanas vielschichtige Persönlichkeit,<br />
ihr Leben und künstlerisches Schaffen werden in<br />
Karoline Riebler<br />
Geb. 1988 in St. Pölten. Studium der Kunstgeschichte (Mag. Phil.)<br />
an der Universität Wien. Mehrere Jahre im Kulturmarketing tätig.<br />
Bericht
34 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 35<br />
Unica Zürn und Alexander<br />
Camaro<br />
haltes bei Freunden entwickelt sich ein intensiver Briefwechsel<br />
zwischen Unica Zürn und Alexander Camaro. Gegenseitige<br />
ben. Sie verfällt seiner magischen Anziehungskraft und Ausstrahlung.<br />
Durch den Impuls des Klopfens entstehen Zeich-<br />
Literaturhinweise und Quellen<br />
Deutsche Nationalbibliothek: Zürn, Unica. Publikationen. Online ver-<br />
Ermunterungen, reger künstlerischer Austausch über das<br />
nungen, doch entwickelt sich der Schreibimpuls zeitweise zur<br />
fügbar unter https://portal.dnb.de/opac.htm?query=118928<strong>68</strong>6<br />
Entdeckte Briefe eröffnen neue Sicht auf die Anagrammdichterin<br />
Unica Zürn – ein Bericht von Cornelia Stahl<br />
Leben am anderen Ort sind Inhalte der Briefe. Die Korrespondenz<br />
zwischen beiden Künstlern dauert ungefähr vier Jahre.<br />
Manie. Wahnvorstellungen entstehen. Sie hört die Schläge<br />
eines Mannes, dem sie unterlegen ist, der ihr seinen Willen<br />
&method=simpleSearch&cqlMode=true, abgerufen am 10.03.2017<br />
u.a.<br />
So lange hält auch die Beziehung. Die Briefe verschwinden,<br />
aufzwingt. Vermutungen liegen nahe, dass sich Missbrauch<br />
Zürn, Unica: Anagramme. Entnommen aus der Gesamtausgabe,<br />
fein säuberlich geordnet, in Kisten verpackt.<br />
(durch den Bruder) und Entfremdungen miteinander vermi-<br />
Band 1, Verlag Brinkmann und Bose, Berlin 1988. Online verfügbar<br />
1953 begegnet Unica Zürn bei einer Berliner Ausstellungs-<br />
schen. Der entfremdete Vater, dem Unica Zürn nie wirklich<br />
unter<br />
http://www.iti.fh-flensburg.de/lang/fun/anagram/uni-<br />
eröffnung in der Galerie von Rudolf Springer dem Surrea-<br />
nahe sein konnte. Auf der anderen Seite die Unterlegenheit<br />
ca/ana1.htm, abgerufen am 10.03.2017. WebCite®-Archivfassung:<br />
listen Hans Bellmer, der Mitte der dreißiger Jahre nach Paris<br />
als „Puppe“ und „Missbrauch“ als Objekt für Bellmers künst-<br />
http://www.webcitation.org/6ajGZ2NhO.<br />
©Johannes Lederer, Unica Zürn, 1953,Brinkmann & Bose<br />
Zürn, Unica: Hexentexte. 10 Zeichnungen und 10 Anagramm-Texte. Mit einem Nachwort<br />
von Hans Bellmer. Galerie Springer Berlin. 1954.<br />
lerische Installationen und Experimente.<br />
Kälte und Lieblosigkeit der Mutter im Kindesalter vermischen<br />
sich mit gegenwärtigen Erfahrungen, äußern sich unmittelbar<br />
in Zeichnungen und Anagrammgedichten der Künstlerin. Die<br />
„Erdachten Briefe“ und „Les Jeux a Deux“ sind Spiele einer<br />
ungefährlichen Wirklichkeit. Es sind Spiele, die für sie zum<br />
gefährlichen Spiel mit der Unwirklichkeit werden. Als Anfang<br />
der 60er Jahre „paranoide Schizophrenie“ bei Zürn diagnostiziert<br />
wird, beginnen Phasen ekstatischen Schaffens, die sich<br />
abwechseln mit depressiven Lähmungszuständen, irrealen<br />
Vorstellungen und Wahnideen. „Indem ich alle Hoffnungen auf<br />
Wärme aufgebe, morde ich die Kälte“, äußert sich die Künstlerin.<br />
Negativ paradoxe Bewegungen ihres Denkens spiegeln<br />
sich in ihren Zeichnungen. Sie bergen unerträgliche Spannungen<br />
in sich, sind teilweise überfüllt, verweisen auf strenge<br />
Umgrenzungen. Anders ihre Anagramme, die einem strengen<br />
formalen Gesetz unterliegen, sich jedoch öffnen, spielerisch<br />
wandeln mit den Buchstaben. Bewusstes und Unbewusstes<br />
vermischen einander. „Blauer Mittagshimmel des Frühlings.<br />
Wie oft bist du schwarz geworden, schlagartig; sowie das<br />
Drehen beginnt, das sich plötzliche Auflösen…“ (aus: Hexentexte.<br />
Zehn Zeichnungen und zehn Anagramm-Texte. Mit<br />
Zürn, Unica (1954): Hexentexte. Zehn Zeichnungen und zehn Anagrammtexte.<br />
Berlin. Galerie Springer.<br />
Zürn, Unica (1986): Das Haus der Krankheiten. Geschichten und<br />
Bilder einer Gelbsucht ; vom Ende April bis Anfang Mai 58 notiert und<br />
gezeichnet in Ermenonville/Oise. Berlin. Brinkmann & Bose. 1999.<br />
Zürn, Unica (1969): Dunkler Frühling. Erzählung. 3. Aufl. Gifkendorf.<br />
Merlin. 2008 (Kaleidoskop Merlin)<br />
Zürn, Unica (1977): Der Mann im Jasmin. Frankfurt am Main, Berlin.<br />
Ullstein. 1992 (Ullstein-Bücher, 30288 : Die Frau in der Literatur)<br />
Zürn, Unica (1980): Im Staub dieses Lebens. Dreiundsechzig Anagramme.<br />
Berlin. Alphëus.<br />
Zürn, Unica (1981): Das Weisse mit dem roten Punkt. Unveröffentlichte<br />
Texte und Zeichnungen. Herausgegeben von Inge Morgenroth.<br />
Berlin. Lilith.<br />
Gesamtausgabe Zürn, Unica (1988): Anagramme. 1. Aufl. Berlin.<br />
Brinkmann & Bose. (Gesamtausgabe in 8 Bänden / Unica Zürn. Hrsg.<br />
v. Günter Bose, 1)<br />
Zürn, Unica (1989): Les jeux à deux. Berlin. Langner & Bose.<br />
Zürn, Unica (1989): Prosa 1. 1. Aufl. Berlin. Brinkmann & Bose. (Gesamtausgabe<br />
in 8 Bänden / Unica Zürn. Hrsg. v. Günter Bose, 2)<br />
Zürn, Unica (1991): Prosa 2. 1. Aufl. Berlin. Brinkmann & Bose. (Gesamtausgabe<br />
in 8 Bänden / Unica Zürn. Hrsg. v. Günter Bose, 3)<br />
immigriert war. Dessen Frau war bereits 1938 verstorben. Zwi-<br />
einem Nachwort von Hans Bellmer. Galerie Springer Berlin).<br />
Zürn, Unica (2005): Drawings from the 1960s. Ausstellungskatalog.<br />
Bekannt wurde die 1916 in Berlin geborene Künstlerin Unica<br />
schen beiden Künstlern entspinnt sich eine fruchtbringende<br />
Reizvoll war das Leben neben oder mit Hans Bellmer, jedoch<br />
New York. Ubu Gallery. (Volltext (PDF))<br />
Zürn (als Nora Berta Ruth Zürn) durch ihre Anagrammgedichte.<br />
Beziehung. Für Unica Zürn eine ebenso gefährliche, denn in<br />
erschütterte es das Selbstbewusstsein und den Selbstwert<br />
Zürn, Unica (2009): Alben. Bücher und Zeichenhefte. Herausgegeben<br />
Ihre Freundschaft mit dem Maler Alexander Camaro blieb bis-<br />
seiner neuen Partnerin sah Hans Bellmer eine lebende „Pou-<br />
der Künstlerin Unica Zürn. Die vergeblichen Versuche, sich<br />
von Erich Brinkmann. Berlin. Brinkmann & Bose.<br />
her unbeachtet. Die Alexander und Renata Camaro - Stiftung<br />
pée“, die er schnürt, malt, fotografiert. Zuvor hatte der Sur-<br />
aus der Beziehung mit Hans Bellmer zu lösen, hat Unica Zürn<br />
Hinweis: Der Ausstellungskatalog „Unica Zürn, Camaro und Hans<br />
zeigte 2016 eine Ausstellung in Berlin, die das Zuammenwir-<br />
realist Bellmer dies nur mit seinen selbst gebauten Figuren<br />
in ihren letzten Jahren mit ihrer Freundin Ruth Henry geteilt.<br />
Bellmer in Berlin. Der 40er bis 60er Jahre. Unica Zürn zum 100. Geburt-<br />
ken der drei Künstler Alexander Camaro, Unica Zürn und Hans<br />
praktiziert. Auf Anregung Bellmers beginnt Zürn 1953 mit dem<br />
Henry hat Zürns Romane „Der Mann im Jasmin“ und „Dunkler<br />
stag.“ ist im Verlag Brinkmann&Bose, 2016 erschienen.<br />
Bellmer näher beleuchtete. Kürzlich entdeckte Briefe eröffnen<br />
Schreiben von Anagrammgedichten, welches sie nicht mehr<br />
Frühling“ ins Französische übersetzt und sich für deren Veröf-<br />
eine neue Sicht auf die Künstlerin.<br />
loslässt und dass sie sogartig und leidenschaftlich praktiziert.<br />
fentlichungen eingesetzt.<br />
1951 schickt Unica Zürn dem Künstler Camaro eine zum Krin-<br />
Es bereitet ihr großes Vergnügen: das Suchen in einem Satz<br />
Während einer kurweiligen Beurlaubung und Entlassung aus<br />
Cornelia Stahl<br />
Bericht<br />
gel gedrehte Strähne, eine sogenannte Dichterlocke, dazu<br />
eine getrocknete Blume und eine Halskette von Wiesbaden<br />
nach Berlin. Unterschrieben ist der Brief mit dem Kürzel: „deine<br />
Gespensterbraut“. Während ihres zweimonatigen Aufent-<br />
nach einem neuen. Irgendwann entspinnen sich diese zu<br />
einem Orakel, nehmen Gestalt an.<br />
Nach der Begegnung mit Henri Michaux, 1957/58, beginnt<br />
Unica Zürn mit dem automatischen Zeichnen und Schrei-<br />
dem Spital besucht Unica Zürn Hans Bellmer in seiner Pariser<br />
Wohnung und stürzt sich dort am 19. Oktober 1970 aus dem<br />
Fenster. Im Juli 2017 jährt sich der Geburtstag der Surrealistin<br />
zum 101. Mal.<br />
Redakteurin „Literaturfenster Österreich“ bei Radio Orange, www.<br />
o94.at, schreibt für bn-Bibliotheksnachrichten Salzburg, „Die Alternative“,<br />
„Tarantel“ und „<strong>etcetera</strong>“. Redakteurin und Jurorin von LitArena<br />
VIII. Heft 69 f. junge AutorInnen. Einsendungen bis 15.6.17<br />
Bericht
36 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 37<br />
Gerhard Benigni<br />
mal nicht. Doch glaubt man dem Hauptmann? Der stellt<br />
größeren Kopf.“ Ha, da wiehert der Amtsschimmel. Höch-<br />
Der Stinker fängt den Fisch zu köpfen an<br />
sich nicht still ins Woyzeck. Der marschiert verkleidet ins<br />
Rathaus. Zwar schlägt er keine Köpfe ab, stößt jedoch<br />
stens am Kopf einen Pony. Hätte sie gerne. Meine Frau.<br />
Aber bei dem widerspenstigen Lockenkopf. Keine Chance<br />
Alles begann mit Hühnerstreifen. Ich meine diesen Film.<br />
„Chicken Run“. Wenn Hennen rennen. Denke ich daran,<br />
läuft gleich wieder mein Kopfkino. Lauter aufgescheuchte<br />
Hühner. Nicht nur Suppenhenne Hanna. Voll in Panik.<br />
Keine halben Hühnchen. Running Chicken. Kein Fleisch.<br />
Running Sushi. Kein Fisch. Running Gag. Jetzt bloß keinen<br />
Vegetarierwitz. Bitte nicht. Nein! Die sind doch allesamt<br />
abgedroschener als Hühnerköpfe. Doch zu spät. Armin<br />
Assinger kann es nicht lassen: „Wissen Sie eigentlich, wo<br />
das Wort Vegetarier ursprünglich herkommt? Darauf kommen<br />
Sie nie. Das stammt aus dem Indianischen und heißt<br />
,Der zu blöd zum Jagen ist‘.“ Schallendes Gelächter. Ich<br />
schalte genervt von der Millionenshow auf „Luis und seine<br />
außerirdischen Kohlköpfe“ um. Die Kholeriker sind gelandet.<br />
Schnell merke ich jedoch, dass auch blähungsgeplagte<br />
Greise meinem vegetativen Nervenkostüm keinen<br />
Hauch weniger zusetzen als der pfeifende Komantsche,<br />
dem ich eine Kohlkopfentzündung an den Hals wünsche.<br />
So ein kopflästiges Programm muss man erst einmal verdauen.<br />
Zwar ist jedem Wehwehchen ein Krautkopf gewachsen,<br />
aber weder die trockenen Fürze noch der Witz<br />
crowd to present.<br />
Besteht eine Zylinderkopfdichtung aus Kopfzeilen? Mein<br />
Kopf, der trägt Zylinder. Ein Hut wär’ meinem Kopf zu minder,<br />
weil ein Zylinder besser dichtet. In Syrien wird hingerichtet.<br />
Wie? Was? Wie komme ich plötzlich auf Syrien?<br />
Damit auch Sie sich einen Reim darauf machen können:<br />
Volkshochschule Damaskus. Der absolute Renner. Ein<br />
12-stündiger Köpferkurs. Danach werden sie eröffnet,<br />
die Hauptrollenspiele. An die Köpfe, fertig, los! Zippzapp,<br />
Rübe ab. Da fragt dich keiner „Kopf oder Zahl?“. Ja, in<br />
Syrien, da wird die Exekutive ihrem Namen halt noch gerecht,<br />
wage ich, zu enthaupten. Aber zum Henker, Schluss<br />
damit! Bei Köpfen hört sich der Spaß auf. In Österreich<br />
geht es da zum Glück etwas gemäßigter zu. Zumindest<br />
ein wenig weniger grausam. Die Endlosdiskussion ums<br />
Kopftuch. Verbot? Ja oder nein. Tuchfühlung wird tunlichst<br />
vermieden, doch in Schweigen hüllt man sich nicht. Irgendworan<br />
muss es doch kranken. Schädel-Hirn-Trauma.<br />
Eindeutig. Bezüglich weiterer Beschwerden gibt man sich<br />
bedeckt.<br />
Alles in Deckung! Sie kommen. Sie werden uns heimtürkisch<br />
überrollen. Nicht die Köpfe. Die abgeschlagenen.<br />
stattdessen selbige dort vor den Kopf, verhaftet den Bürgermeister,<br />
fälscht Unterschriften und raubt die Stadtkasse<br />
aus. Auf seinen Kopf wird eine Belohnung ausgesetzt.<br />
Vier Jahre Haft. Vorzeitig begnadigt. Später dann großes<br />
Theater. Noch später verfilmt. In der Hauptrolle der Rühmann<br />
als Hauptmann. Liegt der Schuhmacher eigentlich<br />
immer noch im Koma? Was mich das überhaupt angeht?<br />
Na gut, dann über Haupt wieder zum Kopf.<br />
Was in manchen Köpfen vorgeht. Auch in meinem. Das<br />
muss man nicht verstehen. Doch eines ist klar: Trotz Kopf<br />
fällt manchen das Denken schwer. Es ist zum Kopfkratzen.<br />
Mich juckt viel mehr, wie ich jetzt die Kurve kratze. Und<br />
das möglichst schnell. Kurven. Speed. Rennen. Formel<br />
1. Alles dreht sich im Kreis. Kopf an Kopf rennen? Muss<br />
nicht sein. Dann schon lieber mit dem Kopf durch die<br />
Wand als gegen einen Sturschädel prallen. Kopfschmerz,<br />
lass nach. Schädelbasisbruch. Will vielleicht jemand<br />
Schafkopf mit mir spielen? Keine Angst. Ohne Scherkopf.<br />
Manchmal, da bin ich ein echter Wirrkopf. So wird das nie<br />
was mit meiner Karriere. Die besten Köpfe braucht das<br />
Land. Und das Kabinett der besten Köpfe. Ein Wasserkopf<br />
als Umweltminister. Ein Eierkopf als Landwirtschaftsmi-<br />
auf Zähmung. Wegen ihrer Dauerwelle ist sie ständig im<br />
Wickel mit ihrem Friseur. Krauskopf. Blonder Peter. Alles<br />
lieber als Glatzkopf. Kahler Harry. Wüste Beschimpfung.<br />
Früher, da ist er noch gerne ausgegangen, der Harry. Heute<br />
machen das seine Haare ohne ihn. Die wenigen, die er<br />
noch hat. Haare und Freunde. Überhaupt ausgehen. Ein<br />
Januswort. Wie? Ich und zweideutige Texte? Niemals. Mag<br />
sein, dass ich wie viele Menschen zwei Gesichter habe.<br />
Aber doch keine zwei Köpfe. Ein Januskopf kommt selten<br />
allein. Sieh an, sieh an. Siam. Und bei George und<br />
Amal demnächst gecloonte Zwillinge. Warum mir jetzt<br />
Presskopf einfällt? Wenn, dann wohl doppelter Rauspresso.<br />
Aber eines nach dem anderen. Irgendwann kommt<br />
die Wahrheit ja doch ans Licht. Dann sage ich es lieber<br />
gleich. Was mir die ganze Zeit, während ich mich hier um<br />
Kopf und Kragen schreibe, im Hinterkopf herumgeistert:<br />
Ich sollte ihn endlich wechseln. Nicht den Beruf als Autor.<br />
Den Duschkopf. Bevor meine Frau mir an die Gurgel geht.<br />
Oder vielleicht doch beides?<br />
Gerhard Benigni<br />
Lebt, arbeitet und schreibt in Villach. Kurzgeschichten von ihm<br />
sind in Literaturzeitschriften, Anthologien und seinen drei Bü-<br />
Prosa<br />
So, so, ein Crowdkopf? Ein Jungunternehmer. Ein trendiger<br />
Anglogermanismus für Spendengeldsammler. Aber<br />
die paar Münzen machen die Crowd doch auch nicht fett.<br />
Lediglich ein Funding. Hauptsache, das Venture macht<br />
Spaß. Unbeteiligten sagt das jetzt vermutlich nichts. Ich<br />
meine Start-ups. Neu gegründete Firmen. Nicht so alteingesessene<br />
wie Apple. Deren Chef heißt übrigens nicht<br />
Bos(s)kop. Er ist auch kein Hamburger Fischkopp. Aber<br />
wen interessiert das? Lasst mich doch in Kraut damit. Warum<br />
zerbreche ich mir meinen Kopf über andere Köpfe?<br />
Ich bin ohnehin genug mit mir selbst beschäftigt. Mein<br />
innerer Kampf. Ich gegen mich. Kopfhörer kontra Bauchfühler.<br />
Immer und immer wieder. Oft stundenlang. Im besten<br />
Fall sagt meine Kopfstimme dann irgendwann: „Hör<br />
auf deinen Bauch! Der ist größer.“ Aber so einfach ist das<br />
nicht. Nur weil mein Bauch ein Dickkopf ist, hat er doch<br />
nicht per se recht. Manchmal wünsche ich mir, ich wäre<br />
kopflos. Dann würden mir Fragen und Gedanken wie diese<br />
erspart bleiben.<br />
Die Menschenmassen. Ihre Zelte werden sie aufschlagen.<br />
Vor Wien. Wie einst. Kern sagt Kurz: „Keine Türkenbelaberung<br />
in Wien.“ Keine getürkten Wahlkampfhandlungen in<br />
unserem Land. Auch nicht in Deutschland. Die wollen kein<br />
Bosporussia Dortmund. Als beleidigte Reaktion osmanisch-depressive<br />
Stimmung bei Erdogan. Keine Freunde<br />
in Europa. Böhmermann... ähm... böser Mann. Alle schieben<br />
ihm den Ziegenpeter zu. Das Schreckensszenario im<br />
Kopf zu Ende gesponnen: Endstation Wien-Kopfbahnhof.<br />
Die Türken schießen selbsttätig. Bitte nicht mehr einschleimen.<br />
Es ist zu spät.<br />
Ich merke schon, die Köpfe rauchen. Ziemlich nebulös,<br />
das Ganze. Da hilft es auch nichts, den Kopf schief zu halten.<br />
Wenn sie erst einmal raus sind aus meinem Kopf und<br />
zu Papier gebracht, meine Gedanken, dann ist Kopf und<br />
Schmalz verloren. So bin ich nun mal. Ich kann und will<br />
mich nicht verstellen. Nicht wie dieser berühmt-berüchtigte<br />
Hauptmann von Köpfenicht. Schuhmacher, bleib bei<br />
deiner Leistung. Aber ein unechter Soldat schweigt nun<br />
nister. Und als Verteidigungsminister vielleicht ein Nuklearsprengkopf?<br />
Nein, so geht das nicht. Dann wäre ja<br />
jeder Quatschkopf als Pressesprecher geeignet. So geht<br />
das wirklich nicht. Aber wo wir jetzt schon bei der Politik<br />
sind. America next. Mount Rushmore soll demnächst<br />
eine begehbare Plattform bekommen. Eine Erweiterung<br />
um den Kopf von Donald Trump ist angedacht. Da kann<br />
man dann entlang der Föhnwelle nach vorne schreiten<br />
und den tiefen Fall des Landes betrachten. Doch es war<br />
der freie Fehlerwille. Einen Hitzkopf als Präsidenten. Und<br />
jetzt haben die den Kopfsalat. Wir haben dafür den Häupl.<br />
Ich für mich, ich kann mir nicht helfen. Mich erinnert er<br />
stark an einen Schwachkopf. Und für ihn wäre ich als Autor<br />
wohl ein Schreibkopf. Doch auch Leseköpfe sind ganz<br />
anders positioniert. Selbst Druckköpfe haben nur entfernt<br />
mit Büchern zu tun. Wie auch immer. Dummkopf bleibt<br />
Dummkopf. Großer Denker wird aus dem bestimmt keiner<br />
mehr. Da wette ich tausend Pferde drauf.<br />
Apropos, wer kennt ihn nicht, den weisen Spruch? „Das<br />
Denken soll man den Pferden überlassen. Die haben den<br />
chern zu finden. Mehr über den Autor unter www.gerhardbenignialleineistdochvielzukurzalshomepagename.at.<br />
©Heliane Wiesauer-Reiterer 2006 Kopfstück Holz bemalt 36x33x16<br />
Prosa
38 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 39<br />
Peter Pauritsch<br />
Wir sind die Kinder des Unsinns.<br />
Sich selbst zu glauben ist eine grundlegende<br />
Eigenart unseres Denkens.<br />
Schwierig aber ist es, sein Dasein beim springenden<br />
In der Zwischenwelt<br />
Es gibt uns nur als Schläfer oder als Träumer. Als Schläfer<br />
ruhen wir in unserem dogmatischen Schlummer und als<br />
Man sieht nicht nur mit dem Auge, denn auch<br />
das Gehirn schaut immer mit.<br />
Unser Denken folgt einem Gefühl, einer Vorstellung und<br />
Zum einen denken wir in einem fort, wissen aber nicht, ob<br />
Punkt zu beobachten. Dies vor allem, da wir den Punkt<br />
Träumer schnarchen wir in unserem ideologischen Nicker-<br />
nicht Tatsachen. Deshalb bleiben uns Gefühl und Vorstel-<br />
wir uns auch genug dabei überlegen und zum anderen un-<br />
nicht nur springen, wir wollen ihn gerne auch tanzen las-<br />
chen.<br />
lung oder widerlegte Wahrheit und verkehrter Glauben<br />
terlaufen uns bei unseren geraden Denkübungen schräge<br />
sen. Weshalb man zwar auf den Punkt denkt, immer aber<br />
Unsere Illusionen sind nämlich im Preis inbegriffen. Man<br />
auch dann, wenn uns die Argumente ausgehen. So wissen<br />
Denkfehler.<br />
hemmungslos über das Ziel hinausschießt. Denn wir wol-<br />
kann gescheit sein und irren oder ein Depp sein und recht<br />
wir, ohne nachschauen zu müssen, und so sehen wir, was<br />
Mein Nonsens ist deshalb die Kunst, Unsinn zu formulieren<br />
len das Stroh im Kopf nicht nur dreschen, wir wollen es<br />
haben. Selbst ein kluger Kopf irrt ohne zutreffenden Ge-<br />
wir uns nur im Kopf einbilden.<br />
und Sätze zu würfeln. Denn wenn die Maßlosigkeit das Lebensprinzip<br />
der Welt und des Universums ist, dann liefern nur<br />
Halluzinationen die dazu passenden Texte.<br />
Weshalb ich lieber taufrisch als tropfnass sein will. Weshalb in<br />
meinem Kopf rollende Landstraßen und geistige Luftbrücken<br />
wohnen. Weshalb ich für die Beibehaltung der Nasenspitzen<br />
auch anzünden.<br />
Wer von uns kann schon seinem Kopf die<br />
Stirn bieten?<br />
Die Wirklichkeit versteckt sich immer hinter der Realität.<br />
Mit Sehen ist da nicht viel zu machen. Denn oft hat man<br />
danken. Man muss sich nämlich beim Denken immer auch<br />
das Richtige denken. Auch im aufgeklärtesten Kopf kann<br />
ein verirrtes Gehirn stecken.<br />
Zum Vogel im Kopf habe ich noch ein Zwitschern<br />
im Gehirn.<br />
Das Bruttogenialprodukt<br />
Zur Arbeit des Denkens gehört für uns immer ein Glaube,<br />
weshalb wir nur an das glauben wollen, wofür wir auch<br />
arbeiteten. Wobei ich den Begriff des Glaubens weiter<br />
streue.<br />
und gegen das Verdrehen von Zipfelmützen bin. Lieber in ei-<br />
nicht nur Sand in den Augen, sondern auch noch ein Brett<br />
Die Gedanken sind frei, oft aber fehlen die Flügel.<br />
Das Bruttogenialprodukt erwirtschaften uns unentbehr-<br />
ner Lausbubenklasse sein als in einem Mädchenpensionat.<br />
vor dem Kopf.<br />
Wie ein Vogel will ich beim Denken aber beides haben: Flü-<br />
liche Sterngucker und Zahlenverehrer, Diätfaster und Na-<br />
Lieber bin ich ein begnadeter Spinner als ein unbegabter Träu-<br />
Mir ist der Mensch übertrieben anspruchsvoll, er will in<br />
gel und Krallen und keine Horde keppelnder Spatzen.<br />
turverkoster, Gottesanbeter und Eigenbrötler, Kopfvermes-<br />
mer. Denn wer falsch liegt, kann trotzdem üppig gedeihen.<br />
Somit will ich neutral bleiben, den Gleichgestrickten genauso<br />
wohlgesonnen wie den Aufgeladenen sein und den Humor<br />
seine Luftschlösser nur Nägel mit Köpfen hämmern.<br />
Spucken<br />
Das Tüfteln<br />
Das Denken ist immer abstrakt.<br />
ser und Gesangsvertoner, Wurzelstecher und Impfgegner,<br />
Raumfahrtscottys und Fernsehtrottel, Krimiintelligenzen<br />
und Psychotanten usw.<br />
als religiöse, esoterische und ideologische Dienstleistung, als<br />
Ich will nach Worten suchen, um sie den Menschen an<br />
Es ist nur eine Frage in welche Richtung man abstrakt<br />
Die Ernte aber will ich Gartenzwerg und Humoristenkas-<br />
skeptischen Abschleppdienst sehen.<br />
den Kopf zu werfen und vor die Füße zu spucken.<br />
denkt.<br />
perl einfahren.<br />
Prosa<br />
©Heliane Wiesauer-Reiterer 1976 Kopf Marmor 25x40x40cm Sammlung Gal.Kämmerich<br />
©Heliane Wiesauer-Reiterer 1975 Kopf Marmor43x55x30<br />
Prosa
40 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 41<br />
Zu viele Menschen, zu wenig Trolle.<br />
Die Gleichgültigkeit<br />
Im Kopf also haben wir viel Platz, wir können dort nur<br />
Oliver Jung-Kostick<br />
Für die Badewannenstöpsel und Wurstsemmeldeppen<br />
gehören die Gutmenschen zu den Blödmenschen. Oft<br />
also ist ein Idiot wahrlich ein Idiot: Aber nur manchmal<br />
So mancher Gedanke überfordert das Denken, er lässt<br />
sich nur mit Begeisterung, Ablehnung oder Gleichgültigkeit<br />
bewältigen. Don Quijote sah als wirklich Einge-<br />
nicht richtig aufräumen.<br />
Jedes Feindbild verblödet!<br />
„Die Großkopfeten“<br />
I<br />
ist das eine Erkenntnis, gerne ein Vorurteil.<br />
weihter Riesen, der ungebildete Sancho Pansa aber nur<br />
Die Wahrheit glauben wir dann gefunden zu haben, wenn<br />
Wie Zardoz lebe ich in einem riesigen Kopf und dominiere<br />
Wir sollten deshalb immer bedenken: Auch einfache<br />
Windmühlen.<br />
alle im Kopf wohnenden Vorurteile erfüllt werden. Nur<br />
den Leib, der mich bewegt und ernährt.<br />
Menschen sind nicht einfach, und wie in einem Holzkopf<br />
Der Geist ist also flexibler als die Materie. Die Gedanken<br />
das ist für uns wahr, was uns ins Konzept passt.<br />
Er fürchtet mich, da ich keine Rücksicht auf ihn nehme. Und<br />
wirklich gerne ein Holzkopf steckt, steckt in einem Radi-<br />
kann man stärker verdrehen als den Kopf.<br />
Leider aber ist man viel zu häufig zu wenig kompetent,<br />
ich nehme keine Rücksicht,<br />
kalzwerg gerne ein Extremwichtel.<br />
Klug sind deshalb all jene, die nicht nur vollmotorisiert<br />
Der Mensch irrt, die Natur aber übertreibt!<br />
zu schnell überrascht und zu leicht empört. Weshalb wir<br />
den besten Teil unseres Lebens mit dem Erfinden von<br />
Da ich ein grausamer Grundherr bin.<br />
hinken, sondern auch noch geistesgegenwärtig hopsen.<br />
Während sich ein ehrlicher Industriedesigner sagt: „Die<br />
Windmühlen verbringen, um eingebildete Riesen zu be-<br />
Hoffentlich begreift er nie, wer wirklich<br />
Der Kopf<br />
Klobrille muss zum Arsch passen“, schneidet Mutter Natur<br />
beinhart ihren Geschöpfen den Kopf ab, wenn der<br />
kämpfen.<br />
Der Herr in unserem Hause ist.<br />
Das wäre das Ende<br />
Man kann den Verstand verlieren, ohne seinen Kopf zu<br />
Hut nicht passt.<br />
- und ein Neuanfang.<br />
verlieren.<br />
Man kann ohne Verstand in dieser Welt leben, nicht aber<br />
Die Sprösslinge<br />
II<br />
ohne Kopf.<br />
Meine Sprösslinge müssen auch mir erst einmal verzei-<br />
Es gibt so viele brillante Köpfe, die mich<br />
Das Leben ist ein Fest und manchmal wird<br />
auch Menschenfleisch serviert.<br />
hen, dass auch ich das nicht geworden bin, was ich von<br />
ihnen erwarte. Mir also ist die Jugend nur so verdorben,<br />
wie wir Erwachsenen ihr ein schlechtes Vorbild sind.<br />
Mit Ehrfurcht erfüllen.<br />
...Aber es waren auch ihre Herzen,<br />
Meine Wahrheit ist dem Menschen zumutbar, auch wenn<br />
Wenn ich hier trotzdem den Pädagogen mime: Eltern<br />
Die das Unvergessliche schufen,<br />
er sich dagegen wehrt!<br />
sind in der Erziehung ihrer Kinder immer nur Anfänger.<br />
Vielleicht sogar vorrangig<br />
Ich will seinen Kopf freimachen, um ihn mit meinem Ho-<br />
Zugegeben, die Kinder dürfen ihren Eltern nicht über den<br />
Ihre Herzen.<br />
kuspokus vollzustopfen.<br />
Kopf wachsen, die Eltern aber sollten ihrem Nachwuchs<br />
Ich will seinem Verlängerungskabel den richtigen Gar-<br />
auch nicht aus dem Hals hängen.<br />
Die Augen, die Ohren, die Hände auch<br />
tenschlauch verpassen.<br />
Ich will die Welt wieder an den Anfang bringen, sie ins<br />
Chaos stürzen.<br />
Zumindest die Unterkunft hat die Natur gerecht<br />
verteilt.<br />
- aber vorrangig ihre Herzen.<br />
III<br />
Ich will meinen komischen Glauben noch vor vorsich-<br />
Jeder wohnt gerne in seinem eigenen Kopf. Keiner will in<br />
Das Gehirn selbst ist unfähig, Schmerz zu empfinden.<br />
tigem Denken lehren.<br />
einen anderen umziehen.<br />
Ist es dann<br />
Ich will die Schäfchen bekehren, die sturen Böcke aber<br />
will ich schlachten.<br />
Hand und Fuß<br />
Die Abwesenheit von Hirn, die Migräne erzeugt?<br />
Ich habe meinen Vorrat an Kopfschmerzen für diese<br />
Denn unser schwaches Fleisch, soll durch Zweifel nicht<br />
weich werden. Ich will es mit absonderlichen Glauben<br />
Ein Realist will die Welt vom Kopf auf die Füße stellen. Er<br />
will also anstatt mit dem Kopf mit seinen Füßen denken.<br />
©Kurt Halbritter/Rechte Peter Pauritsch<br />
Und die nächsten paar Inkarnationen aufgebraucht.<br />
Mit fortschreitendem Alter macht es<br />
stärken.<br />
Er will sich vorsorglich einen realistischen Scheibenwi-<br />
Den Eindruck, als sei mir ein Gehirn gewachsen.<br />
Wenn ich könnte, ich würde meine Wahrheit militärisch<br />
scher zulegen, der ihm den Blick freihalten soll, zu sei-<br />
Peter Pauritsch<br />
bewachen. Alle würde ich bedrängen, die es wagen wür-<br />
nen ungeschminkten Illusionen. Gerne vergisst er aber,<br />
Geb. 1963, in Graz Gärtner, Gartengestalter, Stubenhocker,<br />
Denn mein Kopf tut nicht mehr weh,<br />
den, anderes zu denken, anderes zu glauben und über<br />
dass die Dinge nicht nur Hand und Fuß haben sollten,<br />
Couch-Potato und Taxifahrer. Volksschule, Hauptschule, Be-<br />
Zumindest nicht, solange ich nicht versuche,<br />
anderes wohlwollend zu schreiben.<br />
sondern auch ein einfallsreiches Gehirn.<br />
rufsschule und Gärtnermeisterprüfung mit Erfolg bestanden,<br />
Durch die Wand zu gehen, und das<br />
Die ließe ich alle observieren, kastrieren, terminieren!<br />
Ideologisch geht es mir um die Verseuchung des Erd-<br />
Das Gehirn<br />
ansonsten bei vielen anderen Bildungsinstituten durchgefallen.<br />
Einmeterzweiundachtzig groß, dünn und hässlich, schiefmäulig,<br />
Versuch ich nicht, weil meistens<br />
Nebendran eine Tür offensteht.<br />
balls, ja weiter noch, um die Verseuchung aller bewohn-<br />
Das Gehirn gibt Orientierung, auch wenn man sich lange<br />
schmalschultrig, spitzbauchig, dünnbeinig. Lebt mit einer Frau,<br />
Prosa<br />
barer Planeten.<br />
Mein Dreck heiligt alle Mittel.<br />
Den Weltenbummlern soll mein Katzenjammer folgen!<br />
schon verlaufen hat. Eigentlich ist es nur Ort unsicherer<br />
Behauptungen. Ohne Gehirn würden wir die Wirklichkeit<br />
gar nicht bemerken. Mit Gehirn können wir sie falsch<br />
interpretieren. Es ist Lichtbringer wie Schattenspender.<br />
zwei Kindern, einem Hund, zwei Hasen, zwei Katzen, einem Hamster<br />
und einer Schildkröte in Kalsdorf bei Graz.<br />
Der Autor ist eingeladen bei der Heftpräsentation am 31.5.17 um<br />
19 Uhr im Stadtmuseum St.Pölten zu lesen.<br />
Oliver Jung-Kostick<br />
Lebt in Lichtenfels, Oberfranken, Deutschland. Autorenporträt auf<br />
https://www.autorenwelt.de/users/oliver-jung-kostick<br />
Facebook-Profil https://www.facebook.com/ojk96215lif/<br />
Prosa
42 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 43<br />
Hahnrei Wolf Käfer<br />
Mit Dank an Bill Gates<br />
Mit Dank an ...<br />
Seid in der Schule<br />
nett zu Sonderlingen. Es<br />
ist leicht möglich, dass<br />
Mit Dank an Aristoteles<br />
ihr bei dem, den ihr heut mobbt,<br />
‘Für das Land hab ich<br />
eines Tages recht gern jobt.<br />
nicht Hoffnung, die Jugend ist<br />
verantwortungslos.’<br />
Mit Dank an Bill Clinton<br />
Wer dafür - man überlegt -<br />
Wer treu bleiben will<br />
die Verantwortung wohl trägt?<br />
(und sei’s buchstabengetreu),<br />
verzichtet standhaft<br />
Mit Dank an Seneca<br />
bloß aufs M bei der Moral<br />
‘Von Jahr zu Jahr nimmt<br />
und treibt fröhlich es oral.<br />
die Begabung der Jugend<br />
ab.’ Er hat so recht,<br />
Mit Dank an Camus<br />
feuerlos hocken wir bald<br />
Fürs reine Dasein<br />
nackt in Höhlen tief im Wald.<br />
kriegt man doch kein Honorar.<br />
D’rum bitt ich, dass man<br />
Mit Dank an Georg Christoph Lichtenberg<br />
mit der Frage mich verschont,<br />
‘An Einfällen bin<br />
ob sich denn das Leben ‘lohnt’.<br />
ich ein Sonntagskind’, sagt er.<br />
Aber ist nicht ein<br />
Mit Dank an Helmut Qualtinger<br />
Einfall, seien wir ehrlich,<br />
Da setzt einem ein<br />
pro Woche etwas spärlich?<br />
Dichter eine Brille auf,<br />
schon trifft man ob in<br />
Mit Dank an René Pollesch<br />
Hohenems, Krems, Schrems, Klein-Arl<br />
Liebe ist doch wie<br />
oder Wien nur noch Herrn Karl.<br />
Wirtschaftswachstum, sagt Pollesch.<br />
Man muss nur, worauf<br />
Mit Dank an Georg Kreisler<br />
man einst begehrlich schaute,<br />
Wie schön wäre Wien<br />
abstoßen. Vor der Flaute.<br />
ohne Wiener. Coq au vin,<br />
Pizza, Paella,<br />
Mit Dank an Helmut Seethaler<br />
Suschi als Gaumenkitzel.<br />
Aufgekettelt auf<br />
Alles! Nur keine Schnitzel!<br />
Klebebändern Lyrik. Es<br />
Kyoka<br />
ist Seins, statt Streit (als<br />
würd er um Watschen betteln)<br />
Gedichte anzuzetteln.<br />
Mit Dank an Marcel Proust<br />
Schon wieder zu spät!<br />
Wie kommt das? Nun, sie vertut<br />
doch auf der Suche<br />
nach der verlorenen Zeit<br />
täglich eine Ewigkeit.<br />
Mit Dank an Saint Exupery<br />
Wer nur im Kopf wohnt,<br />
hat den knappsten Horizont.<br />
Doch wo das Hirn der<br />
Seele dient, sieht man vielleicht<br />
weiter als das Herzaug reicht.<br />
Hahnrei Wolf Käfer<br />
HWK: Freischaffender Autor, zuletzt ‚Geliebte Dirne‘ (edition art<br />
science, 2016) ein Langpoem über die Sprache .<br />
www.hwkaefer.jimdo.com Die mit dem täglichen Kyoka<br />
©Heliane Wiesauer-Reiterer 2005 Kopf Marmor
44 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 45<br />
Prosa<br />
Maximilian<br />
Hauptmann-Höbart<br />
Kopfmensch<br />
Alles, was ich jemals wollte, war, meine Sprache zu dem Zuhause<br />
meiner Wirklichkeit zu machen. Ich habe es versucht,<br />
einige Jahre lang, habe geheftete Normseiten an Literaturmagazine<br />
geschickt, ganz nach dem Leitsatz des Zeitgeists:<br />
Wenn du nicht weißt, worüber du schreiben sollst, dann<br />
schreib genau darüber. Aber das ist lange her, und mittlerweile<br />
wandere ich bloß noch durch die Buchhandlungen<br />
Wiens auf der Suche nach Buchcovern, die mir genug verraten,<br />
um das Buch nicht kaufen zu müssen. Vielleicht bin<br />
ich doch nicht, was mein Vater immer einen Kopfmenschen<br />
geschimpft hat.<br />
Kopfmenschen, pflegte er zu sagen, wenn etwas nicht nach<br />
seinen politischen Vorstellungen lief, alles Kopfmenschen.<br />
Und da war ich, sein Sohn, der in Wien Germanistik studierte,<br />
und seine freie Zeit mit geliehenen Büchern in einem Café<br />
verbrachte, das einen nicht gleich rauswarf, wenn man eine<br />
Stunde an dem gleichen Tee nippte. Mein Leben war eine<br />
Flucht vor der Praxisorientierung. Das Tragische dabei war<br />
nicht, dass er, sondern dass ich es wusste. Ich habe niemals<br />
akzeptiert, was mein Vater über die gesellschaftliche Relevanz<br />
von Kopfmenschen zu sagen hatte, aber damals habe<br />
ich es auch nicht verstanden. Das hat sich mittlerweile geändert.<br />
Vor acht Jahren habe ich entdeckt, dass Imposanz eine Eigenschaft<br />
ist, die man einem Gebäude verleiht, wenn man<br />
Nackenschmerzen bekommt beim Versuch, es zu betrachten.<br />
Das Hauptgebäude der Universität Wien war so ein imposantes<br />
Gebäude. Damals lief ich durch die Eingangshalle<br />
und hinaus in den Arkadenhof und betrachtete die steinernen<br />
Gesichter und dachte, da ist noch Platz für einen Schriftsteller.<br />
Wie sich herausstellen sollte, gab es in der gesamten<br />
Uni Wien nicht mal Platz für einen Universitätsassistenten.<br />
Wie jeder Student war ich jung und zu unterbeschäftigt, um<br />
mich mit dem zu konfrontieren, was mein Vater wohl die Realität<br />
nennen würde, befände er sich nicht schon sein ganzes<br />
Leben in ihr. Dass es etwas geben konnte, das sich neben<br />
ihr abspielte, hinter ihr, und das dennoch ihre Erklärung und<br />
ihre Vorbedingung war, das hätte er wohl naiv genannt, oder<br />
kindisch. Dinge für Kopfmenschen eben, die nie richtig erwachsen<br />
geworden waren und deren Steuern nicht dieselbe<br />
Unterstützung für die Allgemeinheit darstellten, wie die eines<br />
ehrlich arbeitenden Menschen. Aber das macht Freiheit mit<br />
dir, sie pflanzt dir Ideen ins Hirn, und regnet es dir durch<br />
die Ohren rein, dann werden Träume daraus. Der Kopf als<br />
Spiegel deiner Arbeitsintensivität, Worte als Kompetenznachweis,<br />
was bleibt davon, wenn die Miete am Monatsende<br />
beglichen werden muss oder die Freundin zum Abendessen<br />
ausgeführt werden will?<br />
Willst du Erfolg haben, muss du ein Gläubiger werden. Das<br />
weiße Blatt wird deine Kirche, der Schreibtisch dein Altar,<br />
und das Opfer? Zeit, Geduld, Freunde, Selbstbewusstsein.<br />
Kopfarbeit, Kopfmensch, Kopfschuss. Prosa entsteht nicht<br />
aus Genie, sie entsteht vor einem Arbeitsplatz, dessen Ruhe<br />
nicht von Babygeschrei durchdrungen wird.<br />
Ich habe geglaubt. Die Absage einer Literaturzeitschrift? Wenigstens<br />
eine Absage. Keine Rückmeldung eines Verlags auf<br />
das unverlangt eingesendete Manuskript? Wenigstens keine<br />
Absage. Die dritte Mahnung der Bank? Wenigstens trägt sie<br />
die Portokosten selbst.<br />
Jeden Abend, wann auch immer ich eine Absage erhalten<br />
hatte, kehrte ich zu meinem Schreibtisch zurück, der eher<br />
flach als klein war, blickte nach draußen auf die Favoritenstraße,<br />
sah nichts, was mir wertvoll genug für eine Inspiration<br />
erschien, und glaubte. Neben meinem Schreibtisch hing<br />
ein Zitat von Thomas Mann an der Wand. Die Jahre hatten<br />
es von Staub und Putz beinahe unleserlich gemacht. Dort<br />
stand: Niemandem fällt das Schreiben so schwer, wie dem<br />
Schriftsteller. Träume sind luzide, nachtaktiv, hilflos unter<br />
Sonnenlicht, las ich in den deutschen, französischen, amerikanischen<br />
Büchern der Postmoderne oder Pop-Literatur.<br />
Bücher, die sich unter den verschiedenen Lichtverhältnissen<br />
dieser Welt Millionen Mal verkauft hatten. Kopfarbeit, die zu<br />
Geld geworden war. Wie ein Zaubertrick war nicht etwa Ware<br />
gegen Ware getauscht worden, sondern Idee gegen Materie.<br />
Aus Nichts wurde Etwas und aus diesem Etwas wurde Geld.<br />
Diese Kopfmenschen lachten über die verdammte Praxisorientierung.<br />
Und es ist dieser Erfolg, der dich zweifeln lässt. Traurig, was?<br />
Es gab diese Leute, die mit wenigen Sätzen die Mundwinkel<br />
von Millionen Menschen zu unkontrollierbarem Zucken<br />
zwingen konnten, unschlüssig, ob sie weinen oder lachen<br />
sollten bei den ambivalenten, unklassifizierbaren Emotionen,<br />
denen sie sich ausgeliefert sahen, und die ganz schön Geld<br />
mit diesem Mundwinkelspiel machten – und dann gab es<br />
noch mich. In dieser Situation gibt es für den, der glaubt,<br />
zwei Möglichkeiten: er kann noch stärker glauben, noch<br />
länger beten, noch hingebungsvoller auf ein Glück warten,<br />
dass er natürlich gar nicht verdient hat und deswegen auch<br />
nicht enttäuscht sein wird, wenn er es nicht erfährt. Oder er<br />
wendet sich ab, verbrennt seine Reliquien, verschließt seine<br />
Heiligen Bücher und sucht das, was mein Vater in all seiner<br />
praxisbezogenen Weisheit die Realität nennen würde. Und<br />
ich, ich habe sie nicht nur gesucht – hier und heute habe ich<br />
sie gefunden.<br />
Also, wie diese Realität aussieht: Universitätsassistent der<br />
Uni Wien, Institut für Germanistik, bisschen unsicher auf<br />
langfristige Sicht vielleicht, aber damit hab ich den Fuß in<br />
der Tür, in der Tür zu einer akademischen Karriere. Auch das<br />
ist Kopfarbeit, ich werd´ kein Millionär damit, aber wann war<br />
denn schon Quantität ein Garant für Qualität? Fragt doch<br />
mal das Feuilleton, Banausen.<br />
Und das wichtigste zum Schluss, wo es hingehört, wo es<br />
niemand sieht und bald wieder jeder vergessen hat: monatliches<br />
Gehalt. Geld, auf das ich mich verlassen kann. Das ist<br />
besser als anders herum, die letzten Jahre haben mir das<br />
bewiesen.<br />
Elf Uhr Vormittag, Stiege 7, zweiter Stock, Sekretariat für<br />
Germanistik, Hauptgebäude der Universität Wien. Bis jetzt<br />
ist alles gut gegangen, ich stehe vor dem Hauptgebäude. Ich<br />
blicke schon lange nicht mehr nach oben, wenn ich durch<br />
die Eingangstür trete. Dort oben, zwischen Dachfresken und<br />
Sonne, könnten sich noch Überreste schriftstellerischer Ambitionen<br />
verbergen und herabgesegelt kommen, um mich<br />
wieder in die Sackgasse des ewigen Versuchens zu katapultieren.<br />
Try. Fail. Try again. Fail better. Natürlich nicht von mir,<br />
von Beckett. Auch das steht über meinem Schreibtisch.<br />
Außerdem möchte ich das Bewerbungsgespräch nicht mit<br />
steifem Genick führen. Nach wenigen Schritten durch das<br />
Foyer bin ich im Arkadenhof. In diesem Freiluftquadrat studentischer<br />
Betriebsamkeit habe ich mich schon immer wohl<br />
gefühlt, vermutlich deshalb, weil hier nie etwas passiert, das<br />
nicht auf morgen verschoben werden könnte.<br />
Bis zur Stiege 7 sind es noch wenige Meter. Drei Schritte,<br />
dann muss ich mich nur noch nach links wenden, die Tür<br />
aufstoßen, an eine braune, große, schwere Holztür klopfen<br />
und eine besonders höfliche Begrüßungsformel murmeln.<br />
Nur noch ein Schritt, und ich bin drin.<br />
„Einen Moment, Junge.“<br />
Ich drehe mich um. Hinter mir ist niemand. Vor mir auch<br />
nicht. Stressbedingte Einbildung?<br />
„Bevor du da reingehst, solltest du noch mal darüber nachdenken,<br />
was dort drinnen ist“, sagt die Stimme.<br />
Ich mache einige Schritte von der Tür weg, gehe in das Innere<br />
des Arkadenhofs, aber auch hier ist niemand. Warum<br />
auch, das Semester beginnt erst in zwei Wochen.<br />
„Du bist nicht von der schnellen Sorte, was?“ Dort, wo ich<br />
das Geräusch verorte, ist bloß das Profil von Anton Bruckner<br />
in die Wand eingelassen. Langsam komme ich näher, bis ich<br />
mit meiner Nasenspritze fast die linke Hälfte von Bruckners<br />
krummer Nase berühre.<br />
„Noch nie eine halbe Nase gesehen, Junge?“, sagt er. Ich<br />
springe zurück, knalle mit dem Rücken gegen einen Marmorpfeiler,<br />
stürze auf den kalten Boden. Bruckners linke<br />
Gesichtshälfte lächelt.<br />
„Ich war auch mal so behäbig wie du, Junge. Erst entschuldigt<br />
einen die Jugend, dann das Alter, und dazwischen die<br />
Dummheit. Wobei ich natürlich nie dumm war.“ Bruckners<br />
Profil kicherte.<br />
„Ist das... träume ich?“, frage ich, wohlwissend, dass so eine<br />
Frage noch nie in einem richtigen Traum gestellt worden ist.<br />
„Natürlich nicht“, sagt Bruckner, oder zumindest der Teil<br />
von ihm, der in der Wand steckt. „Du siehst nur, was sonst<br />
keiner sieht. Aber lassen wir das, ich habe nicht ein ganzes<br />
Jahrhundert Zeit. Wir sollten zum Punkt kommen.“<br />
„Und der wäre?“<br />
„Warum gibt es so viele Stiegen in diesem Gebäude?“ Das<br />
Profil wartet nicht auf meine Antwort, aber immerhin ist<br />
es das von Anton Bruckner, also nehme ich ihm das nicht<br />
weiter übel. „Damit du dir auf dem Weg überlegen kannst,<br />
wohin du eigentlich gerade gehst. Kurze Wege sind gefährlich,<br />
denn bevor man umkehren kann, ist man schon angekommen.“<br />
„Diese Geschichte ist erlogen.“ „Tun wir so, als wäre sie es<br />
nicht“, sagt das Denkmal. „Glaubst du, ich hab meine Symphonien<br />
zwischen zwei Vorlesungen komponiert? Glaubst<br />
du, sie sind mir während eines Seminars eingefallen?“<br />
„Lässt sich leicht sagen, wenn die Kirche für einen aufkommt“,<br />
antworte ich. „Hören Sie, Sie sind ein Genie, ich<br />
bin noch nicht mal Universitätsassistent. In meiner Wohnung<br />
ist es gesünder, zu rauchen, als die Zimmerluft einzuatmen.“<br />
Ich drehe mich wieder um und fasse den Eingang<br />
zu Stiege 7 in den Blick.<br />
„Genie ist man immer erst danach“, sagt das Profil von<br />
Bruckner, „niemals davor oder währenddessen. Geh nach<br />
Hause“, sagt er ruhig.<br />
Langsam werde ich wütend. Ich will dieses Gespräch bloß<br />
hinter mich bringen. Keine Fragen mehr, auf die ich nicht<br />
mit rhetorischen Floskeln antworten kann. Ich will doch nur<br />
diesen Job, und dann will ich das, was angeblich ein norma-<br />
Prosa
46 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 47<br />
les Leben sein soll. Ist das denn so schwer? „Träume sind<br />
schön, solange sie nicht an der Wirklichkeit gemessen werden.<br />
Einen Job wie den hier, den bekomme ich oder eben<br />
nicht, ich behalte ihn oder nicht, und wenn ich ihn verliere,<br />
dann sehe ich mich nach was anderem um. Aber jedes Mal,<br />
Johanna Beck<br />
König, Mullah, General und<br />
die schöne Layla<br />
Vater nahm den König, den Mullah und den General damals<br />
in die dunklen Keller mit. Für den großen Platz, auf dem er<br />
sonst spielte, hatte er andere Puppen und er spielte andere<br />
Geschichten.<br />
Manchmal durfte ich Vater begleiten, wenn er abends in die<br />
draußen. Vater spricht wenig und Mutter lächelt nicht<br />
mehr, als sei ihr Lächeln auf dem Wasser geblieben. Seit<br />
wir geflohen und mit dem Schlauchboot über das Meer gekommen<br />
sind, hat Mutter kein Lächeln mehr.<br />
wenn ich erkennen muss, dass die Wörter verschwendet<br />
waren, wobei wir ohnehin so wenige davon haben... Ich<br />
möchte einfach ein wenig Gleichgültigkeit in meinem Leben!“,<br />
schreie ich. „Alles hat ein Ablaufdatum, aber wenn<br />
mir der Verfall egal ist, dann ist da kein Schmerz.“<br />
„Wenn du durch diese Tür gehst, wirst du den Job bekommen“,<br />
sagt er und seine Stimme ist jetzt genauso kalt wie der<br />
Stein, aus dem sie kommt. „Und in ein paar Jahren, wenn du<br />
deine Professorenstelle hast und dir das Abo einer Monatszeitung<br />
leisten kannst, ohne Kredit aufnehmen zu müssen,<br />
wirst du dir wünschen, es wäre etwas in deinem Leben, wofür<br />
du bereit bist, Schmerz zu empfinden.“ Ich spüre, wie meine<br />
Netzhaut zu brennen beginnt. Wenn ich mich jetzt nicht kontrollieren<br />
kann, ist das Vorstellungsgespräch vorbei, bevor<br />
es angefangen hat. Dann kann ich das alles hier vergessen.<br />
„Der größte Fehler, den du machen kannst“, höre ich eine<br />
sanfte Stimme hinter mir. Sie klingt gar nicht nach Granit<br />
oder Marmor. Ich gehe an das Ende des Säulenganges, und<br />
blicke Marie von Ebner-Eschenbach in die Augen.<br />
„Das alles hier vergessen? Nimm das hier mit, aber nicht zu<br />
deinem Vorstellungsgespräch. Pack es ein, geh nach Hause,<br />
setz dich hinter deinen Schreitisch und fang an. Fang immer<br />
wieder an. Wenn du wirklich schreiben willst, dann wirst du<br />
nie aufhören, anzufangen.“ Sie blickt mich an, und endlich<br />
habe ich erkannt, was der Unterschied ist zwischen Realität<br />
und Fiktion: Es ist die Ehrlichkeit, die wir uns selbst gegenüber<br />
aufbringen.<br />
Langsam gehe ich an der Stiege 7 vorbei. Als ich aus dem<br />
Hauptgebäude trete, fange ich an zu laufen. Dreißig Minuten<br />
später bin ich in meiner Wohnung. Ich wische den Staub von<br />
meinen Zitaten, zwänge meine Füße unter den Schreibtisch<br />
Der König hat dunkle, kurze Haare und einen kleinen Bart<br />
auf der Oberlippe. Vater hat ihn aus hellem Holz geschnitzt.<br />
Eine bunte Krawatte hängt vor seiner Brust und ein feiner<br />
Anzug versteckt das bewegliche Gestell darunter. Er trägt<br />
keine Krone oder so. Dass er der König ist, erkennt man<br />
eigentlich nur daran, dass er im Spiel immer in einem feinen<br />
Polstersessel sitzt und sagt, dass ihm das Land gehöre<br />
und alle anderen Terroristen seien. Und dann stellt Vater<br />
das Tonband mit den Kampfjets an, sodass man gar nichts<br />
mehr versteht. Wenn die Jets vorüber sind, greift der König<br />
zum Telefon und bedankt sich bei König Putin für den Lufteinsatz.<br />
Dann lachen alle.<br />
Und es gibt den Prediger. Der trägt einen schwarzen Umhang<br />
und hat auch einen schwarzen Turban auf dem Kopf.<br />
Vater nennt ihn einen Sayyed, einen Nachkommen unseres<br />
Propheten Mohammed. Zum Prediger gehört eine dunkle<br />
Brille und das Mikrofon. Oft wird er wütend und gestikuliert<br />
mit seinen besonders großen Händen. Er redet sehr<br />
eindringlich, als wollte er seine Botschaft in unsere Herzen<br />
eingravieren.<br />
Ich halte mir die Ohren zu, wenn er spricht, damit die Worte<br />
nicht in mich hineinschlüpfen können. Er sagt, dass wir Mohammed<br />
nachfolgen müssten, aber genau so, wie er es uns<br />
predigt, ja, genau so, wie er es lehrt. Dabei lässt Vater den<br />
Kopf des Mullahs zittern, bis ihm der Turban herunterfällt.<br />
Dann lachen wieder alle Männer.<br />
Dann gibt es auch Ali, den General mit dem schwarzen<br />
Bart und der gefleckten Uniform. Alis Kopf ist aus dunklem<br />
Olivenholz. Er hat viele Runzeln. Auf der Bühne spricht er<br />
Hinterhöfe ging und von dort in die Keller hinunterstieg. Dort<br />
saßen nur Männer beisammen, Vaters Freunde. Es war stickig,<br />
die Shishas blubberten und die Männer sprachen leise.<br />
Sie lachten, wenn Vaters Puppen auftraten, wenn der König<br />
wieder zum Telefon griff, der Turban des Predigers herunterfiel<br />
und Ali wild das Maschinengewehr schüttelte.<br />
Aber es war ein anderes Lachen als das der Kinder am Platz,<br />
ein eingesperrtes, dunkles, eines, das mir Angst machte.<br />
- Warum, Vater, warum sind alle, die von Mohammed sprechen,<br />
so böse und so wütend? War Mohammed auch böse?<br />
- Nein, Amir, Mohammed ist unser Prophet. Die Männer sagen,<br />
dass es ihnen um die Religion gehe, aber eigentlich wollen<br />
sie alle nur die Prinzessin Layla stehlen.<br />
- Layla, weshalb?<br />
- Layla bedeutet Zauber der Nacht und Königin der Nacht. Layla<br />
ist geheimnisvoll und schön. Sie ist eine Prinzessin, Layla<br />
tut, was ihr Freude bereitet, und keiner darf ihr Vorschriften<br />
machen. Aber das ärgert die bösen Männer. Sie wollen die<br />
Prinzessin einfangen und wegsperren. Wem die schöne Layla<br />
gehorcht, dem gehorchen alle anderen auch, denken sie,<br />
dem gehört das Land und der darf alles bestimmen.<br />
- Vater, das sagt unser König doch immer, dass ihm das Land<br />
gehöre und alle anderen seinen Befehlen folgen müssten.<br />
Hat der König denn die Prinzessin?<br />
- Nein, der König hat sie auch nicht, sonst müsste ihm der<br />
russische König Putin nicht mit seiner Armee beistehen.<br />
Prinzessin Layla ist fortgelaufen. Der König weiß nicht, wo<br />
sie ist und wie er sie nur wiederfinden könnte.<br />
Unsere Layla-Puppe ist in hellblaues Seidenpapier gewickelt.<br />
Vater hält die Schachtel mit den Marionetten am Fußende<br />
seines Bettes unter der Matratze verborgen. Er hat ein<br />
großes, gestreiftes Handtuch darübergebreitet. Damit er<br />
sich mit den Schuhen aufs Bett legen kann, sagt er. Aber<br />
ich weiß, dass er die Puppen versteckt hält, er zeigt sie<br />
keinem. Nur wenn wir alleine sind, holt er sie manchmal<br />
hervor. Sie sind das Einzige, was wir von zu Hause mitgebracht<br />
haben.<br />
Er wickelt Layla vorsichtig aus dem Seidenpapier und gibt<br />
sie mir. Ich lasse sie ein wenig auf und ab gehen. Ich kann<br />
das schon, wenn ich groß bin, werde ich auch Puppenspieler<br />
wie Vater. Layla geht zu Mutters Pritsche hinüber und<br />
tippt sie an: Mama, Mama! Mutter hat sich zur Wand gedreht<br />
und reagiert nicht. Schläft sie denn schon?<br />
Vater nimmt Majnun aus der Schachtel. Majnun ist der<br />
Prinz, der Layla liebt. Er ist klug und mutig und muss viele<br />
Abenteuer bestehen, damit er Layla zur Frau bekommt.<br />
Layla geht zu Majnun und fragt ihn, ob wir denn nun immer<br />
hier bleiben müssten, hier, wo Mutter so traurig ist, wo die<br />
Sonne sich wochenlang nicht zeigt und Schnee vor der Tür<br />
liegt. Sie fragt ihn auch, wer denn jetzt in unserem schönen<br />
Haus wohne und ob in unserer Stadt noch Kinder auf dem<br />
großen Platz spielten.<br />
Majnun reißt den Kopf nach hinten, als sei er erschrocken.<br />
Er schüttelt seinen schönen Prinzenkopf, schlägt die Hände<br />
vor dem Mund zusammen und macht mmh, mmh, mmmhh,<br />
als könne er nicht sprechen.<br />
Ich weiß, dass die Puppen aus Holz sind und sich nicht verändern,<br />
aber Majnuns große, schwarze Augen sind jetzt so<br />
traurig, wie ich sie noch nie gesehen habe.<br />
und starte den Laptop.<br />
durch einen Karton, der aussieht wie der Bildschirm eines<br />
Vater achtet sehr darauf, dass sich ihre Fäden nie verwirren.<br />
Und dann beginne ich zu schreiben.<br />
Computers. Wenn Vater das Hintergrundrauschen anstellt,<br />
Sie trägt ein schönes Kopftuch mit einem Blumenmuster und<br />
meint man, Ali spreche eine Videobotschaft. Auch Ali nennt<br />
ein langes, blaues Kleid, das hübsch schwingt, wenn Vater<br />
oft den Namen des Propheten und er spricht von einem<br />
sie tanzen lässt. Ihr Gesicht gleicht Mutters Gesicht auf dem<br />
Kalifat, einem Gottesstaat, den er errichten werde. Wenn<br />
Foto, das Mutter und Vater an ihrem Hochzeitstag zeigt, da-<br />
Johanna Beck<br />
Maximilian Hauptmann-Höbart<br />
Ali schreit, dass er alle Ungläubigen aus ihren Löchern zie-<br />
mals, als wir noch zuhause waren, als oft Besuch zu uns kam<br />
Geb. in München. Studien der Philosophie, Pädagogik und Land-<br />
Prosa<br />
Geb.1996 in St. Pölten und wuchs in Herzogenburg auf. Mittlerweile<br />
studiert er Vergleichende Literaturwissenschaft und Philosophie<br />
in Wien.<br />
www.maxi.hauptmann.123@gmail.com<br />
hen und erschießen wird, fürchte ich mich. Und, wenn er<br />
das Kinn mit dem schwarzen Bart vorstreckt und den Arm<br />
mit dem Maschinengewehr hochreißt, erschrecke ich jedes<br />
Mal.<br />
und wir an den kühlen Abenden im Hof zusammensaßen. Die<br />
Erwachsenen tranken süßen Tee und redeten miteinander.<br />
Damals lächelte Mama noch so wie Layla.<br />
Jetzt liegt sie den ganzen Tag auf dem Bett und es schneit<br />
schaftsarchitektur. Johanna Beck lebt als Freiberuflerin und Autorin<br />
in Wien. 2011 Veröffentlichung des Romans „Märzsonne“ (Seifert<br />
Verlag, Wien), Kurzgeschichten und Beiträge zu Zeitthemen in<br />
Tageszeitungen.<br />
Prosa
48 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 49<br />
Michael Burgholzer<br />
wo du es rollig<br />
3 kopfkaskaden<br />
weiter tanzend<br />
wiegst und schwenkst,<br />
benetzt den boden<br />
judith, unberührte<br />
um die aufgewühlten<br />
witwe nach manasse,<br />
mitten reichlich<br />
dem zur zeit<br />
frisches blut<br />
der gerstenernte<br />
der sciroccowind<br />
den kopf verglüht<br />
versicherst dich<br />
dir, kriemhild,<br />
der hilfe deiner magd<br />
ausgerastete gemahlin<br />
und schneidest<br />
deines hunnen,<br />
ungevögelt<br />
ist der kopf des bruders<br />
holofernes,<br />
nicht genug, der ihm<br />
der besoffen röchelt,<br />
auf dein geheiß hin<br />
mit dem schwert<br />
abgeschlagen wird<br />
die rübe ab<br />
mit beiden händen<br />
bedenkst mit ihr<br />
packst du balmung<br />
dein volk, begehrte<br />
und enthauptest auch<br />
heldin, das sie stolz<br />
den tronjer, der dich<br />
an eine zinne pinnt<br />
auslacht bis zuletzt<br />
und sich dein leben<br />
lang umsonst<br />
den kalten männern<br />
nach dir verzehrt<br />
bleibt dein wüten<br />
unerträglich,<br />
und der letzte<br />
schlägt auch dich<br />
noch tot und geht<br />
du, salome, du<br />
schleierhafte tochter<br />
ab jetzt herrscht frieden<br />
der herodias,<br />
verdrehst durch<br />
deinen tanz<br />
keiner trauert, keiner lebt<br />
dem angetörnten könig<br />
seinen kopf so weit,<br />
dass er dir bringen lässt,<br />
was deine mutter<br />
Michael Burgholzer<br />
flapsig wünscht<br />
Geb. 1963 in Linz, selbständiger IT-Dienstleister, 4 Kinder, wohnt<br />
und arbeitet in Bürmoos, mehrere Literaturpreise und -förder-<br />
die schale<br />
preise, zahlreiche Veröffentlichungen von Texten und Fotografien<br />
Lyrik<br />
mit dem fahlen haupt<br />
des täufers, eilig<br />
abgetrennt vom rumpf<br />
in Anthologien und Literaturzeitschriften (“<strong>etcetera</strong>”, “Salz”, “Die<br />
Rampe”, “Krautgarten”, “Sterz”, “Landstrich”, “silbende_kunst”,<br />
“Off-the-Coast”).<br />
©Heliane Wiesauer-Reiterer Köpfe Marmor bis ca H 40cm
50 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 51<br />
Prosa<br />
Johannes Schmid<br />
Die Enthauptung des Täufers<br />
Die Oberhäupter der adeligen Geschlechter, die ranghöchsten<br />
Militärs, die gewissenlose Meute der raffgierigsten<br />
Händler hat er, der Bramarbas und Völlerer, wieder zur Feier<br />
seines Geburtstages geladen. Er thront, ich kann es gleichsam<br />
durch das festgefügte Gewölbe meines Kerkers sehen,<br />
an der Spitze der Tafel, zu seiner Rechten die ruchlose Dirne<br />
Herodias, zu seiner Linken Salome, den scheuen Blick<br />
zu Boden gesenkt, gerötet die Wangen aus Scham, wenn<br />
die derben Zoten der trunkenen Männer an ihr Ohr dringen;<br />
denn gelöst ist die Zunge der Schmeichler und Liebediener<br />
durch die erlesensten Weine, die im Land der Israeliten gedeihen.<br />
Und doch sagt man, dass er, König Herodes, bei<br />
aller Verstocktheit seines Herzens, bei all seinem Unwillen<br />
gegenüber moralischer Belehrung und sittlichen Appellen,<br />
mich stets gerne vernahm, ja zu mir in die Einöde jenseits<br />
des Jordan kam, um meine Bußpredigt zu hören, auch wenn<br />
sie seinem eigenen Lebenswandel widerstritt. Solange ich<br />
ihn nicht selbst mit meinem Wort geißelte, war er ein gelassener,<br />
bisweilen vielleicht ein wenig ratloser oder verlegener<br />
Zuhörer. Aber dieser eine Vorwurf, klar und deutlich vor dem<br />
lauschenden Volk kundgetan, traf ihn wie einen Keulenhieb,<br />
machte mit einem Schlage seine Gunst, sein Wohlwollen zunichte,<br />
versetzte den immerfort Brünstigen in jähen Zorn:<br />
„Du darfst die Frau deines Bruders Philipp nicht haben!”<br />
Oder gab er nur vor entrüstet zu sein, um dieses Weibes<br />
willen, der weitschößigen, geifernden Vettel Herodias, und<br />
ließ mich, den er einst bewundert, wenn nicht gar geliebt<br />
hatte, einkerkern und in Ketten legen, des Glaubens, ihr einen<br />
Gefallen zu erweisen? Herodes hörig einer ungebildeten<br />
und launischen Tyrannin? – Aber Salome, die Stieftochter<br />
von betörender Schönheit - sie fand öfter den Weg zu mir<br />
als jeder andere und berauschte sich an meiner Suada, am<br />
harten, metallischen Klang meiner Stimme, welche den<br />
Schwächsten aufzurichten und den Hoffärtigsten in die Knie<br />
zu zwingen vermochte? War sie nicht bei mir von der ersten<br />
Stunde meines Auftretens an? Salome, mit dem schwarzen,<br />
glänzenden Haar, das ihr schmales Gesicht lieblich umrahmt,<br />
dem eine edel gebildete Nase, üppige, blutvolle Lippen,<br />
ein heller und weicher Teint den unbezwingbaren Charme<br />
der Jugend verleihen! Von ihrem schlanken und zierlichen<br />
Wuchs, von der schön geformten Brust geht ein Zauber<br />
aus, der den Betrachter trunken macht und toll. Sie erinnert<br />
mich an den zart keimenden Trieb einer Palme, den ich einst<br />
als Knabe in einem Garten Jerusalems bestaunt habe. Ihr<br />
ängstlicher und sorgenvoller Blick verrät ein nicht geringes<br />
Unbehagen, das das Leben am Hof, voll Intrigen, Rachsucht<br />
und erotischer Schwüle ihrer sanften Seele verursacht. Sie<br />
wird, dessen bin ich gewiss, niemals Teil des verkommenen<br />
Klüngels von Herodes werden, stets wird sie innerlich Protest<br />
erheben und leiden – still, geduldig, widerspruchslos leiden.<br />
- Dich, Salome, erblickte mein Auge immer zuerst in der<br />
dicht gedrängten Schar der Bußfertigen, die mich lauschend<br />
umgaben und an meinen Lippen hingen wie Kinder. Deine<br />
zarte, deine berückende Gestalt strahlte hervor wie ein helles<br />
Gestirn am nächtlichen Firmament. Du standst meist<br />
stumm und regungslos da und hieltest den Blick unverwandt<br />
auf mich gerichtet, indes die Kaskaden meiner Rede auf die<br />
erstaunte Masse niederstürzten. –Natterngezücht, wähnt<br />
ihr etwa dem bevorstehenden Zorn entrinnen zu können?<br />
Bringt Früchte, die euren Sinneswandel bezeugen, und hofft<br />
nicht, in euch sagen zu dürfen: Wir rühmen uns, Abraham<br />
zum Vater zu haben. Denn, dessen seid sicher, Gott vermag<br />
aus diesen toten Steinen vor euch Kinder für Abraham erstehen<br />
zu lassen. Die Axt ist schon an die Wurzel der Bäume<br />
gelegt, und jeder Baum, der nur Misswuchs hervorbringt,<br />
wird herausgeschlagen und in lodernder Flamme vernichtet.<br />
– Ihr fragt, was ihr tun sollt? Wer im Besitz zweier Gewänder<br />
ist, schenke eines demjenigen, der keines hat, und wer von<br />
euch über genug Speise verfügt, der möge in gleicher Weise<br />
handeln. Und ihr, o Zöllner, die ihr im Dienst der Besatzungsmacht<br />
steht, kassiert nicht mehr an Steuern als das, was<br />
festgesetzt und rechtens ist. Die Soldaten hinwieder mögen<br />
sich fernhalten von Gewalttat und Erpressung und mit ihrem<br />
Sold das Auslangen finden!“ Solche Worte, Salome, schlugen<br />
dich in meinen Bann; denn du liebtest meine Predigten über<br />
Redlichkeit, Scham und Ehrgefühl, über Tugenden, die du in<br />
dir trägst, aber keiner deiner Nächsten bemerkt und bemerken<br />
will. Auch du ließest dich von mir taufen, der ich mit Eifer<br />
das Auftreten dessen ankündigte, dem die Schuhriemen zu<br />
lösen ich nicht würdig bin und der dazu ausersehen ist, mit<br />
dem Heiligen Geist und mit Feuer zu taufen. „Die Spreu”, so<br />
rief ich, „wird er vom Weizen trennen, den Weizen aber in<br />
seiner Scheune bergen und die Spreu in unauslöschlichem<br />
Feuer verbrennen!”<br />
Dann aber kam er selbst von Galiläa – du sahst mich erfüllt<br />
von tiefer Demut – und verlangte von mir getauft zu werden.<br />
Mit bebenden Lippen sprach ich zu ihm, der in die Welt geboren<br />
war, um als Retter allen Fleisches auf Erden eine neue<br />
Heilszeit anzukündigen: „Wäre nicht ich verpflichtet, von dir,<br />
der du uns verheißen bist, die Taufe zu erbitten, und du, du<br />
kommst zu mir?“ Er entgegnete knapp: „Lass es nur zu! Nur<br />
so können wir der rettenden Gerechtigkeit, die Gott von uns<br />
verlangt, genügen.” Ich fügte mich bereitwillig diesem Wort<br />
und taufte ihn im Bewusstsein meiner Niedrigkeit mit dem<br />
Wasser des Jordan. Als er aus dem Fluss stieg, da sahen wir<br />
die Himmel sich auftun und den Heiligen Geist körperlich, in<br />
Gestalt einer Taube auf ihn herabschweben und auf ihm verweilen,<br />
indes eine Stimme von oben erklang: „Du bist mein<br />
geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.”<br />
Meine Aufgabe war erfüllt. Ich, der in der Einöde mahnend<br />
die Stimme zum Volk erhob, hatte dem Gesalbten die Bahn<br />
geebnet. Doch bald kam die Stunde meines Verhängnisses,<br />
dessen Zeugin du wider Willen geworden bist: Die Häscher<br />
des Herodes legten während einer Predigt Hand an mich,<br />
zwängten meinen dürren Leib mit aller Gewalt in Ketten<br />
und führten mich unter Peitschenhieben ab. Jäh warst du<br />
erblasst, zitternd vor Furcht, und ein Schrei des Entsetzens<br />
entrang sich deiner Kehle: „Nicht ihn! Lasst ab! Ich …!“ Sie<br />
warfen mich in dieses Verlies, wo ich schmachte bei Wasser<br />
und Brot.<br />
Deines geliebten Anblicks bin ich beraubt, dennoch kann<br />
ich dich sehen, schmal und demütig gebeugt vor Herodes,<br />
hören, wie du in ängstlicher Scheu zu ihm sprichst: „Ihr<br />
fordert mich auf zu tanzen, König? Auf diese Kunst verstehe<br />
ich mich nicht. Wahrlich nicht! Ihr würdet lachen über<br />
meine Ungeschicklichkeit. Jammervoll und beklagenswert<br />
erschiene ich Euch und dem Hofstaat. Ich ersuche Euch<br />
daher, mir diese Bloßstellung zu ersparen!” Vorzüglich entgegnet,<br />
Salome! Lass dich nicht bereden! Du bist keine Straßendirne,<br />
die ihre Reize feilbieten muss. Achte nicht auf die<br />
Schmeichelworte des Herodes, der dir verspricht, alles zu<br />
geben, wonach du verlangst, bis zur Hälfte seines Königsreichs,<br />
wenn du nur seinen Willen erfüllst, knechtisch und<br />
dich selbst entäußernd! - Er gibt sich nicht geschlagen in<br />
seiner Lüsternheit, der Bock: „Der Zauber deiner Schönheit<br />
bestrickt uns, Salome. Nenne mir deinen Wunsch! Ich<br />
schwöre dir vor allen Gästen, dass er nicht unerfüllt bleiben<br />
wird.” „Ich kann nicht! Lasst mich gehen! Meine schwächliche<br />
Natur verbietet!” Wanke nicht! Bewahre deine Würde,<br />
deinen Stolz! - Jetzt erhebt Herodias drohend ihre Stimme:<br />
„Du hast nicht das Recht, dich einem Befehl des Königs<br />
zu verweigern, Tochter. Seine Huld ist übergroß, sein Zorn<br />
vernichtend! Bedenke dies!” „Ich will es versuchen. Aber<br />
…“ Bleib standhaft! Widersetze dich den Drohungen dieser<br />
Hure! „So sag, was du begehrst!“ „Ich begehre, was du begehrst,<br />
Mutter!“ „Man bringe mir hier und jetzt auf einem<br />
Teller das Haupt Johannes des Täufers!” Was? Ist jene Bestie<br />
völlig wahnsinnig geworden? Der König wird dieses Verlangen<br />
von sich weisen. Ich bin überzeugt. Er zögert. Was gibt<br />
es hier zu überlegen? - Herodes wird schwach, ich sehe es<br />
seiner Miene an. Er hätte nicht schwören sollen; er ist zu<br />
feige, um seinen Schwur vor den Gästen zu widerrufen. Nun<br />
wendet er sich an seine Wache - und erteilt Befehl: „Soldaten,<br />
tut, was Eure Herrin angeordnet hat!“ – Gewiss, ich<br />
werde sterben. Aber ich erleide den Tod als Blutzeuge für<br />
den, in dessen Dienst ich mein Leben stellte. Die Palme des<br />
Sieges ist allen verheißen, die bis zum Schluss ausharren<br />
und sich nicht beirren lassen. Den gewaltsamen Untergang<br />
willig hinzunehmen, ist die Erfüllung meines Schicksals. - Ich<br />
höre ihre Schritte widerhallen. Sie entriegeln die Tür. – Führt<br />
aus, wozu ihr gekommen seid! Ich leiste keinen Widerstand.<br />
Johannes Schmid<br />
Geb. 1966, Studium der klassischen Philologie in Wien. Im<br />
LitGes-Vorstand seit 2006. Mehrere Veröffentlichungen im<br />
<strong>etcetera</strong> und LOG.<br />
©Heliane Wiesauer-Reiterer 1983-2003 überm Ei Tu Pa 53x38<br />
Prosa
52 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 53<br />
Peter Paul Wiplinger<br />
beide Dichter sind, und uns das Wort nahe - sagen wir viel-<br />
„ein großes Herz“ - wie man das bei Euch nennt - im Leben<br />
eine Umarmung verbinden uns viel mehr als alle Worte zu-<br />
„Leben, leben...!“<br />
Begegnungen mit dem bosnischen Dichter Izet Sarajlić<br />
leicht wieder: am Herzen - liegt; nein, immer sind es Bilder,<br />
Erinnerungsbilder, die auftauchen und damals auftauchten<br />
in mir. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, daß ich<br />
und in der Poesie.<br />
Oft habe ich mich, da die schrecklichen Tage und Nächte,<br />
sammen, bergen uns und unsere Gefühle, eben unser eigenes<br />
Ich und unsere Erinnerung.<br />
fotografiere und schon in Bildern „denke“, und diese Foto-<br />
Wochen und Monate der Belagerung von Sarajevo waren,<br />
Wo wir uns zum ersten Mal begegnet sind, weiß ich nicht<br />
bilder so in mir speichere; was weiß ich, ist ja auch egal; es<br />
mit all den Massakern, gefragt, wie es Dir wohl geht, ob Du<br />
Wien, 14. März 1998<br />
mehr; du sicher auch nicht. - War es 1982 in Struga, beim<br />
ist halt so. - Du würdest jetzt, genau bei dieser Überlegung,<br />
noch lebst, und wenn ja, wie. Erreichen konnte ich Dich nie,<br />
Poesiefestival; oder war es 1984 in Sarajevo, bei den dani<br />
jene Handbewegung machen, die ich von Dir kenne, und<br />
mit keinem Brief, keinem Telefonanruf. Da habe ich mich an<br />
Peter Paul Wiplinger<br />
poezije, da ich das erste Mal daran teilnahm? Ein bleibender<br />
die bedeutet: Egal, lassen wir das, unwichtig! Du hast einen<br />
Dich erinnert. Auch an unser Zusammensein - vor dieser<br />
Geb. 1939 in Haslach, Oberösterreich. Schriftsteller und künst-<br />
Eindruck, der nicht nur unvergessen blieb, sondern mitbe-<br />
Sinn für das Faktische, aber auch für das Hintergründige,<br />
Schreckenszeit. Dieser herrliche Abend, diese Nacht, die<br />
lerischer Fotograf. Lebt seit 1960 in Wien. Studium der Thea-<br />
stimmend war für meine weiteren Beziehungen dahinunter.<br />
das Wirkliche, so wie es ist, auch im Denken; unwichtige<br />
Abschiedsfeier in einem Restaurant hoch oben in den Ber-<br />
terwissenschaft, Germanistik, Philosophie. Vorwiegend Lyriker.<br />
Egal, das würdest auch du sagen. Hauptsache: wir sind uns<br />
Zusammenhänge, Scheinkonstruktionen interessieren Dich<br />
gen. Wir alle an den Sarajevski dani poezije teilnehmenden<br />
Seine Gedichte wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt und<br />
begegnet und haben einander kennengelernt; denn das war<br />
nicht. Du bist ein Dichter, das vor allem, oder eigentlich nur<br />
Dichter bekamen damals eine Art Teilnehmerdiplom, kunst-<br />
als Gedichtbände publiziert. Bisher 46 Buchpublikationen, zuletzt:<br />
ganz gut so für uns beide.<br />
das; und daraus erklärst Du alles und erklärt sich Dir al-<br />
voll und schön gestaltet, kalligraphisch eingetragen der<br />
„Lebensbilder - Geschichten aus der Erinnerung“ (2003), Podium-<br />
les. Über sogenannte „Intellektuelle“ lächelst Du spöttisch<br />
Name. Jeder wurde aufgerufen, Du sagtest zu jedem ein<br />
Porträt „Peter Paul Wiplinger - Aussagen und Gedichte“ (2004),<br />
Wir haben einiges gemeinsam und das wissen wir. Auf je-<br />
- oder es folgt die eben beschriebene Handbewegung von<br />
paar treffende, auch witzige Worte, sangst Passagen eines<br />
der Prosaband „ausgestoßen“ (2006), „Steine im Licht“, Gedichte<br />
den Fall auch gemeinsame Erinnerungen, auch an etwas,<br />
Dir als Geste, als Zeichen, als Kennzeichnung - für sie und<br />
Liedes, etwas das zur Person des jeweiligen Autors paßte.<br />
und Prosa aus Rom (2005), „Segni di vita / Lebenszeichen“<br />
das wunderbar war und jetzt zerstört ist und das es nicht<br />
auch für Deine Beziehung zu dieser Art von Intelligenz und<br />
Als die Reihe an mir war, um auch mich vorzustellen, sag-<br />
(2010), „Schriftstellerbegegnungen 1960-2010“ (2010), „Lebens-<br />
mehr gibt. Ich meine nicht nur Gebäude, „unser“ Sarajevo,<br />
Bosnien-Herzegowina als das, was es einmal war; ich meine<br />
ganz einfach und vor allem den zerstörten Menschen,<br />
Geistigkeit. Ich glaube, von der sogenannten „Intelligenzija“<br />
hältst Du nicht viel, jetzt weniger denn je; was hat sie denn<br />
auch schon bewirkt: nichts!<br />
test Du: „Wiplinger, kennen wir, ist lange, von uns; aber ist<br />
schlecht, hat in so viele Zeit nie gut Serbokroatisch gelernt,<br />
Wiplinger, das dein Fehler, ja!“ Und dann lachtest Du, um-<br />
wege - Geschichten aus der Erinnerung“ (2011), „Sprachzeichen“<br />
(2011), „Schattenzeit“ (2013) sowie „Positionen 1960-2012“<br />
(2014), „Tagtraumnotizen“ (2016). www.wiplinger.eu<br />
tausendfach, hunderttausendfach: die ihrer Heimat Be-<br />
armtest mich. Und während ich wieder zu meinem Platz<br />
raubten, die um ihr Leben Betrogenen, die Gedemütigten,<br />
Wir haben aber auch nie über irgendwelche „Probleme“<br />
ging, sangst Du plötzlich und wie immer laut: „Adieu, mein<br />
Erniedrigten, Gequälten, die Verstümmelten, die Ermor-<br />
gesprochen; wie hätten wir das auch können, ich mit mei-<br />
kleiner Gardeoffizier, adieu! adieu!, und vergiß mich nicht!<br />
deten, die Toten. Reden wir nicht von Gerechtigkeit, von<br />
nen paar Brocken Serbokroatisch, Du mit Deinem Deutsch,<br />
und vergiß mich nicht!“ Ich war überrascht und gerührt zu-<br />
Sühne; das gibt es nicht. Es gibt nur den Wahnsinn dieses<br />
das Du, glaub ich, in einem Arbeitslager in Nazideutschland<br />
gleich. Oft habe ich später an diesen Augenblick und an<br />
Krieges, diesen planmäßigen und ungehindert ausgeführten<br />
gelernt hast (gesprochen hast Du darüber nie) ; aber ver-<br />
Dich gedacht, als ich die schrecklichen Bilder der medialen<br />
Genozid, diesen Terror, diese Vernichtung; dieses Mensch-<br />
standen haben wir uns trotzdem gut, vor allem wenn wir<br />
Kriegsberichterstattung sah. Und in meine Empörung, in<br />
gegen-Mensch, das wir nicht für möglich gehalten hätten,<br />
gemeinsam getrunken haben - wann haben wir das nicht?!,<br />
meine Wut, in meinen Zorn mischte sich auch die persön-<br />
niemals. Kein weiteres Wort; mir steht das auch nicht zu.<br />
wir haben keine Gelegenheit dazu ausgelassen - und die<br />
liche Trauer; und die Angst - um Dich und um Euch alle. Und<br />
Ich gebe nur ein Zeichen, ein Zeichen des Gedenkens, das<br />
letzten waren, die vom Tisch aufgestanden sind, manchmal<br />
die Hoffnung war nur sehr schwach.<br />
auch uns beide verbindet. Du verstehst das, ich weiß es.<br />
schon im Morgengrauen. Erinnerst Du Dich noch an jene<br />
Zwischen uns brauchen wir nicht viele Worte, brauchten<br />
Nacht in der Baščaršija in Skopje? Ich wollte wenigstens um<br />
Dann hörte ich endlich, daß Du lebst; aber ich wußte nicht,<br />
und wollten wir nie. Immer sprachen unsere Herzen; so<br />
zwei Uhr gehen, aber Du redetest und sangst und trankst<br />
wo und wie. Plötzlich standest Du mir in Bled in Slowenien<br />
würde man vielleicht poetisch in Bosnien sagen: Ausdruck<br />
bis zum Morgengrauen; und wir - Emina und ich - blieben<br />
im Mai 1997 gegenüber. Und ich wußte nicht, was ich sa-<br />
der „slawischen Seele“. Wir wissen beide, daß das auch<br />
bei Dir; und dann sind wir heimgewankt, Dich in der Mitte,<br />
gen sollte; ich war verlegen. Aber da hörte ich schon Deine<br />
eine ist, die voll Haß und Mord sein kann. Immer ist das auf<br />
über die Brücke über den Vardar, bis zum Hotel. Die Sonne<br />
Stimme: „Wiplinger“, sagtest Du, „Wiplinger!“ Und dann<br />
der anderen Seite der Liebe; oder mit ihr zugleich, sogar im<br />
stand schon knapp unter dem Horizont. Und als ich nicht<br />
umarmten wir uns. Und später, in dieser Nacht, tranken wir<br />
selben Menschen.<br />
aufhörte zu räsonieren wegen der durchzechten Nacht - so<br />
zusammen; ich sprach auch viel, sprach auch von meinem<br />
ein Wahnsinn, das vor der Heimfahrt! - antwortetest Du<br />
Mich-schuldig-fühlen („Wir haben so wenig für Euch getan,<br />
Also, wenn ich mich an Dich, an uns erinnere - und das tat<br />
wieder mit einer Deiner mir bekannten Gesten: „Egal, egal,<br />
viel zu wenig!“); es war wie ein Bekenntnis, und ich wollte<br />
Prosa<br />
ich sehr oft in der Zeit dieses Wahnsinnskrieges, als es keinerlei<br />
Kontaktmöglichkeit zwischen uns gab (ich hörte nur<br />
von Deiner Verwundung und daß eine Granate dem Nermin<br />
Tulić beide Beine abgerissen hat) - dann habe ich keine<br />
Erinnerungen an Worte oder in Worten, obwohl wir doch<br />
Wiplinger! - Leben, leben!“ Das war mehr als nur ein Ausspruch,<br />
das war ein Bekenntnis! Dionysisch, ja! So bist Du,<br />
und das gefällt mir. Und so etwas bleibt in Erinnerung: als<br />
Erlebnis, als Erkenntnis, auch der eines Menschen, einer<br />
Person. Und das verbindet, auch in Freundschaft. Du hast<br />
so etwas wie eine Absolution von Dir und durch Dich. Du<br />
hast mich verstanden. „Wiplinger, trink!“, sagtest Du; und:<br />
„ruhig! ruhig!“ - Da waren wir wieder dort, in unserer Gemeinsamkeit:<br />
daß wir beide wissen, daß Worte nie alles erfassen<br />
und aussprechen können. Ein Blick, eine Berührung,<br />
©Heliane Wiesauer-Reiterer 1988<br />
Prosa
54 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 55<br />
Eva Lugbauer<br />
Dein Meer<br />
Während du vielleicht stirbst, sitze ich hier und Tränen<br />
tropfen in den Kaffee. Wenn du jetzt stirbst, denke ich,<br />
werde ich nicht kommen können. Und dass ich mir nicht<br />
sicher bin, ob es meine Tränen sind, das denke ich auch.<br />
Ob es nicht vielleicht deine Tränen sind, die in den Kaffee<br />
hineintropfen, aus meinen Augen heraus. Dich habe ich<br />
nie weinen gesehen.<br />
Auf eurem Hochzeitsfoto hast du nicht gelacht, fällt mir ein.<br />
Das hing über eurem Bett. Sechzehn Jahre warst du alt bei<br />
der Hochzeit. Und ein schwarzes Kleid hast du getragen,<br />
schwarz. Mit weißem Rüschenkragen, aber sonst schwarz.<br />
So sei das früher gewesen, im sechsundvierziger Jahr, hast<br />
du gesagt. Da habe man froh sein müssen, überhaupt ein<br />
Kleid zu haben.<br />
Ernst hast du in die Kamera geschaut und einen Blumenstrauß<br />
vor deinen Bauch gehalten. Damit man ihn nicht<br />
sieht, vielleicht, den Bauch. Er muss schon groß gewesen<br />
sein, das denke ich mir heute. Im November neunzehnhun-<br />
Ich schaue in die schwarze Suppe in der Tasse. Er will nicht<br />
schmecken heute, der Kaffee, denke ich und, dass du nie<br />
am Meer gewesen bist, bis heute nicht. Hast nie einen Fuß<br />
über die österreichische Grenze gesetzt.<br />
Ich wollte dich mitnehmen, einmal, auf Urlaub, schon vor<br />
Jahren. „Einmal ans Meer, Oma“, sagte ich. Du hast gesagt<br />
nein, das sei dem Großvater nicht recht. Das hier, das sei<br />
ein Bauernhof und auf einem Bauernhof müsse gearbeitet<br />
werden. Die Kühe hätten Hunger und überhaupt Urlaub,<br />
das sei nichts für euch, hast du gesagt. Für euch, das<br />
Du nicht und dein Schweigen auch nicht. Ich werde mich<br />
also nicht mehr neben dich setzen können und wir werden<br />
nicht mehr nebeneinander auf die Felder schauen und<br />
schweigen können. Dort wird es leer sein, auf der Bank vor<br />
dem Hof. Statt deines Schweigens wird dort nichts sein.<br />
Nichts auf der Bank. Und in meinem Kopf die Erinnerung.<br />
Die Erinnerung, die sich nicht löschen lässt. Meine nicht,<br />
glücklicherweise. Und deine auch nicht, leider.<br />
Du kannst mein Meer nicht sehen. Ich kann dein Meer nicht<br />
sehen.<br />
Du hast viel gelacht. Besonders, wenn ich Urlaub in eurem<br />
Schlafzimmer gemacht habe. Früh morgens an manchen<br />
Sonntagen war das. Nur zwei Türen von meinem Kinderzimmer<br />
entfernt und trotzdem jedesmal ein kleiner Urlaub.<br />
Für mich. Und auch für dich, wahrscheinlich. Großvater<br />
musste früh aus dem Bett, jeden Tag, in den Stall zu<br />
den Kühen. Du normal auch. Aber wenn ich bei euch im<br />
Schlafzimmer Urlaub gemacht habe, hast du zu Großvater<br />
gesagt „Kopfweh“ oder „Magenverstimmung“ und bist<br />
liegen geblieben, bei mir. Dann lagen wir zwei allein unter<br />
der Decke in eurem Bett.<br />
Ich frage mich, ob du das noch weißt. Ob du dich noch<br />
erinnerst.<br />
Du bist dann irgendwann aus dem Bett gesprungen und<br />
hast „jetzt fahren wir auf Urlaub“ gerufen, und „da kommt<br />
die Eisenbahn“, und „bitte einsteigen“. Ich habe meine<br />
Hände auf deinen Hintern gelegt und unsere Eisenbahn<br />
- ich im Pyjama, du im Nachthemd - tuckerte durch das<br />
Schlafzimmer. Endstation Fenster. Dort hast du den Vorhang<br />
zur Seite geschoben, auf die Felder beim Horizont<br />
gedeutet und gesagt, „siehst du das Meer?“. Ich war noch<br />
nie am Meer gewesen, aber dass es nicht dort hinter den<br />
Feldern war, das wusste ich. Hinter den Feldern war das<br />
Waldviertel und hinter dem Waldviertel war, wie du gesagt<br />
hast, ein eiserner Vorhang. Das Meer war weit weg<br />
von uns. Aber das war egal. Frühmorgens im Dämmerlicht<br />
sahen die Felder beim Horizont aus wie das Meer. Unser<br />
dertsechsundvierzig musst du schon einen großen Bauch<br />
gehabt haben, ein kleines, neues Leben in dir drinnen. Meine<br />
Mutter. Wäre sie nicht passiert, hättet ihr vielleicht gar<br />
nicht geheiratet. Und ich würde nicht hier sitzen.<br />
Er schmeckt nicht salzig, der Kaffee, trotz der Tränen,<br />
denke ich. Er schmeckt ganz normal. Bitter, denke ich und<br />
frage mich, wie es sich wohl anfühlen wird, das Sterben. Ob<br />
es sticht. Oder drückt. Oder zieht. Was du fühlst in diesem<br />
Moment? Was dir durch den Kopf geht? Ich würde dir gern<br />
helfen, denke ich, beim Sterben. So wie ich dir früher immer<br />
gern geholfen hätte, beim Leben. Zum Lachen habe ich<br />
dich gebracht früher, das zumindest. Aber zuletzt? Ich habe<br />
dich schon lange nicht mehr lachen gesehen. Ich glaube,<br />
schon zwanzig Jahre nicht.<br />
Ob dir das Rindsgulasch geschmeckt hat, habe ich dich bei<br />
meinem letzten Besuch gefragt, ein paar Monate ist das<br />
her. Auf der Bank vor dem Hof bist du gesessen. „Rindsgulasch?“,<br />
hast du gesagt und mich angeschaut mit deinen<br />
Augen, aus denen ich nie eine Träne fließen gesehen habe.<br />
Keine Träne, denke ich, und trotzdem traurige Augen. Oder<br />
gerade deswegen.<br />
Du hast eine Weile nichts gesagt zum Rindsgulasch. Du<br />
hast überlegt, glaube ich. Dann hast du gesagt: „Die Zeitung<br />
bringt jeden Tag der Herr Aulitzky.“ Wie es denn dem<br />
Herrn Aulitzky gehe, habe ich dich gefragt. „Aber heute ist<br />
doch Donnerstag“, hast du gesagt. Ich sagte, Sonntag, es<br />
hast du gesagt. Aber für Großvater, das hast du gemeint,<br />
glaube ich. Weil Urlaub für ihn nichts wert war. Arbeit war<br />
etwas wert. Die Kühe füttern, weil sie dann gute Milch gaben.<br />
Oder Jagen, weil man dann Fleisch hatte. Holzhacken,<br />
weil man Holz zum Heizen brauchte. So sah das Großvater.<br />
Nicht du, denke ich. Und trinke einen Schluck von meinem<br />
bitteren Kaffee. Aber wen wundert es, denke ich dann. Wen<br />
wundert es, dass jemand der seine Kindheit im Krieg verbringen<br />
musste, sich ein Leben lang nicht an das Genießen<br />
gewöhnen kann.<br />
Ich schütte Zucker in meinen Kaffee jetzt. Aber das macht<br />
ihn auch nicht besser. Kaffee in Long Island schmeckt einfach<br />
nicht, denke ich, da hilft auch der Zucker nichts. Plörre<br />
ist Plörre. Und Krieg ist Krieg. Krieg, das ist ein harter Start<br />
ins Leben, denke ich. Vielleicht muss man sich nicht wundern,<br />
dass ich nie eine Träne aus deinen Augen gesehen<br />
habe.<br />
„Wie war denn das, im Krieg, Oma?“, habe ich dich später<br />
manchmal gefragt. „Das war keine schöne Zeit“, hast du<br />
nur gesagt. „Die löschen wir.“ Sonst nichts.<br />
Soviel du früher gelacht hast, soviel hast du später geschwiegen.<br />
Auf der Bank vor dem Hof bist du gesessen und<br />
auf die Felder beim Horizont hast du geschaut. Stundenlang.<br />
Ohne zu reden. Was in deinem Kopf vorgegangen sein<br />
mag? Ob du an den Krieg gedacht hast? Oder ans Meer?<br />
Das denke ich und schütte die Plörre endgültig in den Sand<br />
hinter mir. Die Tränen tropfen in die leere Tasse jetzt. Du<br />
bist achtundachzig Jahre alt, man kann nicht sagen, dass<br />
das zu jung ist zum Sterben. Die Tränen tropfen trotzdem.<br />
Meine Tränen. Deine Tränen. Was weiß ich. Sie hören jedenfalls<br />
nicht auf zu tropfen heute. Genau genommen fließen<br />
sie jetzt. Weil du soviel gelacht hast, früher. Weil du so<br />
viel geschwiegen hast, später. Weil du nie mit mir ans Meer<br />
gekommen bist. Weil deine Tränen nie geflossen sind.<br />
Vielleicht, das denke ich mir und schaue auf den blauen<br />
Horizont, vielleicht würden weniger Tränen aus meinen Augen<br />
fließen, wenn du einmal mit mir ans Meer gekommen<br />
wärst.<br />
Jetzt sitze ich hier, weit weg von dir, weit weg von deinem<br />
Meer. Und wenn du jetzt stirbst, denke ich, dann werde<br />
ich nicht kommen können, ich werde nicht an deinem Grab<br />
stehen und dort die Tränen in dein Grab tropfen lassen<br />
können. Sei mir nicht böse, Oma. Aber ich bin auf Reisen,<br />
ich bin am Meer. Frisch geschieden, außerdem. Und jetzt<br />
ein Jahr lang fast immer am Meer. Ich glaube, du verstehst<br />
mich.<br />
Meer.<br />
„Heute frühstücken wir am Strand“, hast du gesagt. Und<br />
gelacht.<br />
sei Sonntag heute. Und du hast gesagt, „weißt du, der Bert<br />
schläft.“ Wer denn der Bert nun wieder sei, wollte ich wissen.<br />
„Am liebsten esse ich eigentlich Polstern“, hast du ge-<br />
Jetzt, in diesem Augenblick, sitzt oder liegst du irgendwo<br />
und denkst an, ich weiß nicht was, und schaust, ich weiß<br />
nicht wohin, vielleicht auf die Felder beim Horizont, wäh-<br />
Eva Lugbauer<br />
Geb. 1985 in NÖ, lebt in Wien. Studium an der Universität<br />
Wien. Arbeitete als Journalistin, Kindergärtnerin, Kellnerin,<br />
Prosa<br />
Und jetzt stirbst du wahrscheinlich bald, in diesem Augenblick<br />
vielleicht. Während ich hier in der Sonne sitze und<br />
den Kaffee mit den Tränen trinke.<br />
sagt. Wann es denn wieder einmal Polstern gebe, wolltest<br />
du wissen. Und ich gab auf. „Polstern“, sagte ich, „gibt es<br />
morgen wieder.“ „Gut“, hast du gesagt. Und in die Ferne<br />
geschaut. Auf die Felder beim Horizont.<br />
rend du vielleicht stirbst. Und ich sitze hier am Meer mit<br />
meiner Plörre und frage mich, was mir fehlen wird, wenn<br />
du nicht mehr da sein wirst. Du wirst nicht mehr auf der<br />
Bank vor dem Hof sitzen, wenn ich euch besuchen fahre.<br />
Fremdenführerin, Sektretärin. Unter den zehn Finalisten<br />
beim FM4-Kurzgeschichtenwettbewerb Wortlaut 2015. Ihr<br />
erster Roman erscheint 2018 im Verlag Wortreich.<br />
Mail: eva.lugbauer@gmx.at<br />
Prosa
56 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 57<br />
Prosa<br />
Andrea Travnik<br />
Raumvision<br />
Sie schwitzt am Körper,<br />
Schweiß rinnt ihr in die Augen,<br />
sie bekommt kaum Luft,<br />
röchelt und kriecht<br />
am Boden Richtung Bett.<br />
Der Weg von ihm zur Matratze<br />
ist kurz<br />
und eine angelehnte Tür<br />
trennt die Räume.<br />
Er soll sehen,<br />
wie schwer sie sich tut,<br />
soll erkennen,<br />
dass sie kämpft.<br />
Sie erreicht das Bett<br />
und erst dann bemerkt er,<br />
sie ist krank.<br />
Sie soll sich doch hinlegen,<br />
sie muss doch bemerkt haben,<br />
sie ist krank.<br />
Mühsam zieht sie sich auf die Matratze, während er noch in<br />
seiner Zeitung blättert. Endlich liegt sie, darf sein in ihrem<br />
Schmerz, in der Krankheit, die nun erkannt wurde. Und doch<br />
wäre es schön, würde sie nicht alleine vor die Hunde gehen.<br />
Sie müsste etwas tun, arbeiten, ein neuer Auftrag, vielleicht<br />
Klienten besuchen, der Posteingang ist übervoll und er bringt<br />
sich erst ein, wenn die Wohnungstür aufgemacht und ihm<br />
der Hut gereicht wird.<br />
Mit zitternden Händen greift sie zum Nachttisch. Die Medikamente<br />
fallen bei dem Versuch, ihren Laptop zu greifen, auf<br />
den Boden. Sie hört ein Schnaufen im Nebenraum. War es<br />
an sie gerichtet? Die Kleidung, derer sie sich in den Stunden<br />
davor nicht entledigt hatte, im Delirium, ist nass und ihre<br />
Haut kühlt ab und heizt sich auf, kühlt ab.<br />
Sie hört, wie er die Zeitung auf den Tisch wirft und mit<br />
schnellen Schritten Richtung Bett trampelt. Sie liegt nun gerade<br />
auf dem Rücken, die Nachttischlampe wirft einen Lichtkegel<br />
auf die glänzende Stirn. Er setzt sich an ihr Bett, nähert<br />
sich ihrem Körper und beugt seinen Kopf zu ihrem. Lange<br />
wird er in dieser doch unbequemen Position nicht ausharren<br />
können, er berührt sie nicht mit seinen Händen. Sie öffnet<br />
die Lippen und ihre Zungenspitzen streicheln sich. Heiße<br />
Zunge, kalte Zunge.<br />
Keine Worte, keinen Blick richtet er an sie. Er steht auf, langsam<br />
und sicher bewegt er sich wieder zu seiner Zeitung ins<br />
Nebenzimmer. Stark fiebert sie vor Glück und Dankbarkeit.<br />
Dann wacht sie auf. Die Medikamente liegen am Boden, sie<br />
hängt über der Bettkante, ihr Nacken schmerzt.<br />
Ruine<br />
Sie hat ihm beim Sterben zugesehen<br />
und immer wieder<br />
einen Stein auf sein Gesicht geworfen.<br />
Nach jedem Wurf<br />
wurde sein Gesicht älter<br />
und kränker,<br />
bis es zu einer Krankenmaske wurde,<br />
dann zu einem Totenkopf.<br />
Einen Wurf machte sie noch<br />
und sein Gesicht zerfiel<br />
zu einem kleinen Knochenhaufen.<br />
Sie wartete auf das Gefühl<br />
von Sicherheit und Freude,<br />
aber es setzte nur ganz kurz<br />
und nur deshalb ein,<br />
weil sie es sich so stark erhofft hatte.<br />
Es war nicht echt,<br />
also lief sie davon.<br />
Ins Haus nebenan,<br />
das ihr eigenes,<br />
das längst verlassen<br />
und bestimmt nicht sicher war.<br />
vor dem ergusse<br />
zu schreiben, bevor die gedanken es treiben, treiben es mit<br />
weiteren gedanken, verstrickt die körper. teile werden zu<br />
bildern zu bewegten medien zu worten zu stöhnen zu gerüchen<br />
zu schweiß zu schleim zu ergusse.<br />
die hand fallen gelassen, zwei fingernass und heiß und taub<br />
und täter. Selbst das opfer, der richter, der henker und verräter.<br />
Und leise, so leise atmend, schwer nach luft schnappend,<br />
doch still, wer will so was hören nach dem ergusse?<br />
und weiter das programm im kopf, in den lenden, die gefühle<br />
überschlagen und wenden sich zu perversionen, so<br />
scheint es dir, tierisch, du bist ein tier, tief und tiefer in<br />
dir drin verlierst du das menschliche, das heilige, das was<br />
du glaubst zu sein, du stöhnst, willst schreien, willst kreischen<br />
und beißen und kratzen, schneidest fratzen alleine<br />
auf deinem bett, halb nackt, es könnte wer kommen, du<br />
ganz sicher, früher oder später kommen sie alle und sehen<br />
dich halb mensch, halb tier in deinem eigenen safte weinen,<br />
wimmern, voller schuld, minder sühne. Sie sind das<br />
publikum und du auf der bühne, lauernd, denn die gedanken<br />
werden gelesen, auch die tiefsten sind nie geheim gewesen,<br />
als frau so was nicht erlaubt, ein engel, die mutter,<br />
das geschlecht geraubt.<br />
aus der mutterblase entwichen und zur mutter gemacht,<br />
zur engelsgestalt mit schönem gesicht und wunden händen<br />
und unterhalb des herzens ein platz für weitere mütter, deren<br />
geschlecht eigentlich geschlechtslos ist und es immer<br />
sein wird, weil der hahn zu den gedanken abgetrennt wurde<br />
und wurde somit blockiert und wenn doch –<br />
ein tröpfchen Ich durchsickern sollte, wollte, nicht anders<br />
konnte, fühlst du dich als hure (was ist das?), als schlampe<br />
(was ist das?), die mutter wird bestraft und ist für immer<br />
eine figur, eine witzfigur, der clown, traurig.<br />
vor dem ergusse zu schreiben, die gedanken treiben lassen,<br />
weil nicht anders möglich, weil mensch, weil tier, weil<br />
du willst sein, ein dich, dein, dir. Und schon immer wolltest,<br />
nicht konntest, dich ekeltest, dich wehrtest.<br />
frau<br />
du bist frau<br />
du spürst nicht<br />
nicht deines<br />
du vergisst<br />
nicht<br />
die frau in deinem kopf, die frau, deren rolle du spielst, sie<br />
spielt dich, spielt mit dir und er spielt mit, kennt die regeln,<br />
hat sie gemacht und selbst übernommen.<br />
frau, ärgere dich.<br />
Andrea Travnik<br />
Geb.1989, in Wien lebend, studierte an der Universität Wien Slawistik<br />
und Vergleichende Literaturwissenschaften, Master im Jahr<br />
2016. Seit 2012 arbeitet sie als Lektorin in verschiedenen Verlagen<br />
und Zeitungsredaktionen, um auch in ihrem Beruf so nah als<br />
möglich dort zu bleiben, wo sie sich am zufriedensten fühlt: Beim<br />
Wort. Für NZZ.at hat sie Film- und Buchrezensionen verfasst.<br />
a_travnik@gmx.net<br />
Martina Sens<br />
P<br />
A N T I G O N E<br />
K<br />
I wissend um die gefahr kämpfend<br />
S für recht und gleichheit<br />
T doch statt des verdienten ordens<br />
A traf dich die kugel<br />
N verbohrter feiglinge<br />
S<br />
wissend um die wichtigkeit des wissens<br />
und die allmacht der bildung<br />
diese einfordernd für alle<br />
traf dich der neid derer die sie haben<br />
doch zu primitiv zu ihrer nutzung sind<br />
wissend um deinen mut und deine kraft<br />
tugenden die uns selbst oft fehlen<br />
schreiben wir worte nieder<br />
beschämt über alle menschen<br />
die unterscheiden zwischen mensch und<br />
mensch<br />
Martina Sens<br />
Geb. 1964 in Bürstadt, Hessen. Studium an der Universität Mannheim<br />
(Germanistik, Soziologie, Pädagogik). Mittlerweile Heilpraktikerin,<br />
Wirbelsäulentherapeutin nach Dorn- und Breuß, Mutter<br />
und Autorin. Lebt seit 1991 in Österreich, seit 1992 in Pramet.<br />
Schreibt um zu überleben. www.martina-sens.net<br />
©Heliane Wiesauer-Reiterer 1983-2003 überm Ei Tu Pa 53x38<br />
Prosa
58 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 59<br />
Jordi Rabasa-Boronat<br />
Köpfe<br />
Es gibt rasierte Köpfe<br />
mit tätowiertem Hackenkreuz<br />
und launische türkische Köpfe,<br />
die auf den Islamismus schwören,<br />
gegen das Recht der Aufklärung:<br />
Brüderlichkeit, Gleichheit, Freiheit.<br />
Und dann es gibt auch liebende<br />
friedliche Köpfe,<br />
verschleierte Köpfe,<br />
feministische Köpfe,<br />
Macho Köpfe.<br />
In Einzelform, Kopf!<br />
Universum der Ideen,<br />
Haus des Gehirns,<br />
von Rache fähig<br />
bis Willens durstig,<br />
Aber kreative positive Köpfe<br />
bewegen die Welt.<br />
Du wählst die Richtung!!<br />
Jordi Rabasa-Boronat<br />
Ingrid Svoboda<br />
Sehr geehrter Herr Chef,<br />
da mir von Ihrer Assistentin mitgeteilt wurde, Sie könnten<br />
keine fünf Minuten erübrigen, um mich in Ihrem Büro zu<br />
empfangen, hoffe ich nun, dass Sie meinem schriftlich vorgetragenen<br />
Anliegen Beachtung schenken werden. Bitte<br />
verzeihen Sie mir meine Hartnäckigkeit.<br />
Aber bevor ich mein Anliegen erläutere, möchte ich Ihnen<br />
zum hundertjährigen Bestehen Ihres Betriebes auf das<br />
Herzlichste gratulieren. Erst dank Ihrer unternehmerischen<br />
Fähigkeiten wurde er zu dem, was er heute ist. Trotzdem<br />
will ich die Verdienste Ihres Herrn Vaters nicht außer Acht<br />
lassen, leistete er doch einen keinesfalls unerheblichen<br />
Beitrag zum Gedeihen des Betriebes, obwohl das Schicksal<br />
seinem Schaffensdrang viel zu früh ein Ende setzte. Erbarmungslos<br />
entriss es ihn seiner Familie sowie den Arbeitern<br />
und Angestellten. Voll Bewunderung bin ich auch für Ihren<br />
Herrn Großvater, der mit einer sensationellen Idee den<br />
Grundstein für erstaunliche Erfolge legte.<br />
Gratulieren möchte ich Ihnen weiters zu der Rede, die Sie<br />
bei der Jubiläumsfeier hielten. Ihre Worte sind nun in aller<br />
Munde. Warum sollte wohl irgendjemand denken, sie<br />
seien als Geheimnis zu bewahren? Im Freien sprachen<br />
Sie, auf dem weitläufigen Rasen zwischen Ihrem Haus und<br />
dem See vor einer großen Anzahl ehrenwerter und bedeutender<br />
Gäste, sogar das Servicepersonal durfte sie hören.<br />
Ganz gewiss waren alle Anwesenden tief berührt von der<br />
zu gestatten, über die nicht alle verfügen können – warum<br />
auch immer. Dieser Mangel scheint mir jedoch nebensächlich,<br />
deshalb möchte ich nicht näher darauf eingehen und<br />
schon gar nicht Sie damit belästigen. Stattdessen will ich<br />
jetzt endlich wagen, mein Anliegen vorzubringen.<br />
Sehr geehrter Herr Chef, nehmen Sie – bitte - das Porträt<br />
Ihres Herrn Großvaters sowie das Ihres Herrn Vaters von<br />
der Wand in Ihrem Büro, beziehungsweise lassen Sie beide<br />
abnehmen - es ist nicht mein Wunsch, dass Sie von der Leiter<br />
fallen und sich verletzen. Was ich von Ihnen möchte ist,<br />
dafür zu sorgen, dass die Gemälde innerhalb der nächsten<br />
zwei Tage transportbereit sind. Ihr Einverständnis vorausgesetzt,<br />
werde ich sie danach in meinen Heim aufhängen.<br />
Hoffentlich denken Sie nun nicht, dass dies für Ihre von mir<br />
sehr verehrten Vorfahren eine Erniedrigung bedeuten würde.<br />
Ihr Herr Großvater lebte viele Jahre noch bescheidener<br />
als die Mitglieder meiner Familie, und Ihr Herr Vater fühlte<br />
sich in dem kleinen Haus meiner Eltern durchaus wohl. Gerne<br />
erinnere ich mich an seinen Besuch, als meine Mutter<br />
schwerkrank war. Ich, damals mit dem unterentwickelten<br />
Verstand einer Neunjährigen, dachte, es müsse so sein,<br />
dass ein Chef sich höchstpersönlich über Gesundheitszustand<br />
und Pflege einer bettlägrigen Arbeiterin informiert.<br />
Keineswegs war ich erstaunt, als er plötzlich einen Schuh<br />
auszog und stöhnte: „Verdammtes Hühnerauge!“ Was ich<br />
allerdings begriff, das war seine von Herzen kommende<br />
Freundlichkeit; eine Tasse Tee bot ihm mein Vater an, der<br />
Ihre schien darüber erfreut und bekam ein übelriechendes<br />
Gebräu. Vermutlich war es lauwarm, leider die übliche Tem-<br />
sen, Festangestellte durch Leiharbeiter ersetzt. Außerdem<br />
gelangte ich zufällig in den Besitz von Unterlagen, die nachweisen,<br />
dass der letzte Großauftrag mittels Transfer einer<br />
beachtlichen Summe in eine Steueroase zustande kam.<br />
Ich möchte diesen Umstand aber nicht dazu verwenden,<br />
um den bereits gekündigten Arbeitsplatz letztendlich doch<br />
noch zu behalten; im Klaren bin ich mir darüber, dass ich<br />
ein Alter erreicht habe, in dem eine Angestellte nicht mehr<br />
gut genug ist für einen Betrieb, der Wert legt auf ein in allen<br />
Bereichen repräsentatives Erscheinungsbild. Ach, wenn<br />
ich an die Sekretärin Ihres Herrn Vaters denke! Erinnern<br />
Sie sich an sie? Frau Berta wurde sie von allen genannt.<br />
Stets trug sie lange dunkle Röcke und Blümchenblusen,<br />
sie humpelte ein wenig, und eine dicke Warze war auf der<br />
spitzen Nase. Verglichen mit ihr bin ich immer noch recht<br />
ansehnlich.<br />
Doch ich will mich nicht selbst beschönigen, sondern Ihnen<br />
nahelegen, Ihrem Herrn Vater und ebenso Ihrem Herrn<br />
Großvater Ehre zu erweisen, indem Sie ihre Porträts mir<br />
anvertrauen. Wahre Hochachtung werde ich ihnen entgegenbringen<br />
und auf diese Weise tagtäglich für viele Jahre<br />
Wohlwollen und berufliche Sicherheit danken.<br />
Übermorgen ist mein letzter Arbeitstag. Mein Schwiegersohn<br />
wird mich abholen und mir beim Transport der Gemälde<br />
helfen.<br />
Obwohl ich leider davon ausgehen muss, dass Sie für meine<br />
Zukunft nicht das geringste Interesse aufbringen, wünsche<br />
ich Ihnen von ganzem Herzen alles, was Sie verdienen.<br />
Geb. 1962 in Katalonien, lebt seit 1994 in Österreich/Petzen-<br />
Schlichtheit, mit der Sie die Verdienste sowohl die Ihres<br />
peratur, wenn mein Vater Tee zubereitete. Trotzdem nahm<br />
kirchen. Begann als18-Jähriger auf Katalanisch und Spanisch zu<br />
schreiben, seit zwei Jahren auch auf Deutsch. jordi-weinemitherz@gmx.at<br />
Herrn Großvaters als auch die Ihres Herrn Vaters nahezu<br />
eine Stunde lang priesen. Ach, wie gerne wäre ich dabei<br />
gewesen!<br />
Ihr Herr Vater keinen Anstoß, sondern trank die Tasse in<br />
einem Zug leer und sagte: „Dankeschön! Das hat jetzt richtig<br />
gutgetan! So einen Tee werde ich nicht bald wieder be-<br />
Helene Cäcilia Rumpelmanninger<br />
(derzeit noch in der Buchhaltung beschäftigt)<br />
Verzeihen Sie mir bitte nochmals, anmaßend ist dieser<br />
Gedanke - ich weiß es! Die Einladung zum Fest auf Angestellte<br />
und Arbeiter auszudehnen, hätte den Rahmen des<br />
für das Büfett vorgesehene Budget zweifelsfrei gesprengt,<br />
kommen!“ Später zog er unter Seufzen seinen Schuh wieder<br />
an und verabschiedete sich mit den besten Wünschen<br />
für die baldige Genesung meiner Mutter. Wenige Tage danach<br />
war sie auf dem Weg der Besserung. Damals meinte<br />
PS: Mit Hochachtungsvoll will ich meinen Brief nicht beenden.<br />
Zu Freundlichen Grüßen kann ich mich nicht aufraffen.<br />
Etwas anderes fällt mir leider nicht ein.<br />
noch dazu wegen Personen, die an Luxus nicht gewöhnt<br />
ich tatsächlich, dieses große Glück hätten wir Ihrem Herrn<br />
Prosa<br />
©Heliane Wiesauer-Reiterer 1987<br />
sind, diesen daher unter keinen Umständen entsprechend<br />
zu würdigen wissen. Sogar mir, einer mit Arbeit geringen<br />
Anspruchs betrauten Angestellten, ist klar, dass die richtige<br />
Abwägung zwischen dem Notwendigen und dem Überflüssigen<br />
zu den Kriterien gehört, die den Erfolg eines Unternehmens<br />
ermöglichen. Außerdem war es in Würdigung des<br />
Anlasses sowie mit Rücksicht auf das gediegene Ambiente<br />
erforderlich, Zutritt nur mit ebenfalls gediegener Kleidung<br />
Vater zu verdanken. Nun, wer kann es wissen?<br />
Mit absoluter Sicherheit weiß ich jedoch, dass Ihr Büro<br />
weder für das Porträt Ihres Herrn Großvaters noch für das<br />
Ihres Herrn Vaters einen geeigneten Platz darstellt; immer<br />
wieder werden dort Entscheidungen getroffen, die mit den<br />
Grundsätzen der Menschlichkeit nicht vereinbar sind. Unbezahlte<br />
Überstunden werden ohne Rücksicht auf familiäre<br />
Umstände gefordert, ältere Arbeitnehmer werden entlas-<br />
Ingrid Svoboda<br />
Geb. 1941. War Sekretärin von Beruf. Lebt in Wien. Begann<br />
spät mit dem Schreiben. Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften<br />
und Anthologien. 2012 Münchner Kurzgeschichtenwettbewerb<br />
Preis der Jury, 2016 Menantes-Preis<br />
für erotische Dichtung Publikumspreis.<br />
Prosa
60 Köpfe|Mai 2017 Vereinsleben Vereinsleben Köpfe|Mai 2017<br />
61<br />
Wien-Präsentation „<strong>etcetera</strong> 66”<br />
Venedig-Sehnsucht und Untergang<br />
FRAUEN, die auf Männer schauen<br />
Eva Riebler - P.E.N. Mitglied<br />
Nur nix Bürokratisches!<br />
als willkommene Anlässe für Lesungen, Heftpräsentationen<br />
sowie der Veranstaltung des alljährlichen Tagebuchtages –<br />
Bericht und ©Foto Hermann F. Fischl<br />
Im Stadtmuseums St.P., Prandtauerstr. 2 bis 28. Mai<br />
Die Landeshauptstadt lud unter der Kuratorin Ingrid Loibl<br />
Eines schönen Abends saß ich mit meinem Tanzpartner im<br />
oh, ich schweife vom Thema ab….<br />
Ja. Jedenfalls wischten wir uns im Roma den Mund an der<br />
und der Organisation durch die Fotografin Edith Haiderer<br />
Roma und zog genüsslich die Spaghetti vom tiefen Teller in<br />
Serviette ab und nickten, der PEN sei schon eine tolle in-<br />
& Mag. Art Margareta Weichart-Antony weitere 17 Künstle-<br />
den Mund. Wir unterhielten<br />
ternationale Organisation mit zahlreichen Hilfestellungen<br />
rinnen ein zu diesem Thema ihre Arbeiten der Öffentlichkeit<br />
uns, darüber, ob man/<br />
für Literaten/Journalisten in kriegsführenden Ländern, Be-<br />
vorzustellen.<br />
frau oder ich zum PEN-<br />
tätigungsfeldern für die Jugend-, Frauen- bis zur Writers in<br />
Ihr Blick ist kritisch, liebevoll, selbstironisch, heiter oder phi-<br />
Club dazugehen sollte. Ne-<br />
Prison –Schiene etc. und von Siegmund Freud bis Stefan<br />
losophisch ausgefallen.<br />
ben 6x Tanzen pro Woche<br />
Zweig, und vor allem mein verehrter Thomas Bernhard wa-<br />
Drei Altersgenerationen von Künstlerinnen haben sich<br />
und dem Arbeitspensum<br />
ren einst Mitglied und und …<br />
dieses Themas angenommen. Die Jüngste ist wohl Linda<br />
für jährlich 4 Zeitschriften<br />
Ja, es würde eine Mitgliedschaft meinerseits sehr erfreulich<br />
Partaj mit 25 Jahren. Sie wird auch die Heftkünstlerin des Ju-<br />
mit über 70 Seiten Umfang<br />
sein. Ich sollte ansuchen. Im Stillen wusste ich natürlich, es<br />
gendheftes „<strong>etcetera</strong> 69 LitArena“ sein, das am 10.10.17 im<br />
sei das vielleicht gar nicht<br />
würde scheitern, da ich Aversionen vor Bürokratischem, wie<br />
Landesmuseum der Stadt St.P. im Regierungsviertel präsen-<br />
überlegenswert.<br />
z.B. dem Abschicken von Ansuchen, habe…<br />
tiert wird. Linda Partaj sieht im Betrachten der Bilder auch<br />
Wie bin ich überhaupt auf<br />
Mein Handy läutete, und das um 22 Uhr! Da muss man/<br />
immer eine gewisse Identitätssuche und die Älteste, Elisa-<br />
das Thema PEN gekom-<br />
frau abheben. „Du bist heute Nachmittag in den PEN-Ö und<br />
beth Temnitschka meint: „Wir Frauen sind gut dran, mehr<br />
men?<br />
den PEN International einstimmig aufgenommen worden!“,<br />
und liebevoller auf uns selber zu schauen und uns mehr um<br />
Die Verschränkungen gab<br />
tönte es in meinen Ohren.<br />
uns selber zu kümmern. Dann wird sich auch unser Blick auf<br />
es immer, denn in der<br />
„Die Grundbedingung, zwei Publikationen hast Du ja 1999<br />
Männer entspannen können.“<br />
Zeitschrift „<strong>etcetera</strong>“, ver-<br />
schon erfüllt und 55 Hefte „<strong>etcetera</strong>“ obendrein herausge-<br />
Die Frage, ob Frauen anders schauen als Männer, sei im Ge-<br />
öffentliche ich seit 2003<br />
geben und … und, jetzt lehn ja nicht ab!”<br />
nder-Zeitalter dahingestellt. Es ist der Blick der Frau sicher<br />
stets Einreichungen des<br />
So ist die innere Bereitschaft quasi kurz nach der äußeren<br />
aufrechter/selbstbewusster und vielleicht klarer geworden.<br />
PEN-NÖ Präsidenten und<br />
Aufnahme vollzogen worden.<br />
Ihr Spannbogen des Betrachtens sowie der des Schauens<br />
anderer Mitglieder. Einige<br />
auf ihren Nachwuchs oder der ihr Anvertrauten ist ein grö-<br />
Jahre konnte ich Helmut<br />
Ich bin als PEN-Mitglied keine andere geworden. Die Texte,<br />
ßerer. Sie hat ja, ob in der dominanten oder servilen Rolle,<br />
A. Niederle überzeugen,<br />
die wir unter den Einreichungen aussuchen, beurteilten wir<br />
gelernt, dass Schauen nicht gleich Schauen ist. Der Blick re-<br />
eine Kolumne „Writers in<br />
(und da kann ich für alle RedakteurInnen sprechen) stets<br />
Von links: Heftkünstler Hermann F. Fischl, Redakteur Thomas Fröhlich,<br />
MORD UND MUSIK-Geschäftsführer Walter Robotka und Au-<br />
giert. Der Blick schafft den Kontakt, die Distanz oder lässt<br />
Nähe zu.<br />
©Foto und Bericht Eva Riebler<br />
Prison“ für die literarisch<br />
ambitionierten Gefange-<br />
ohne Ansehen der Biografie, ob PEN- oder GAV-Mitglied<br />
etc., Orden oder Goldene Medaillen…etc. … stets ist die<br />
tor Daniel Weber.<br />
Klar ist, dass der Mann das betrachtete Objekt (vielleicht so-<br />
nen, meist aus dem Nahen Osten oder Afrika, zu betreuen.<br />
Qualität oder Originalität der zugesandten Texte ausschlag-<br />
gar der Begierde!) und die Frau die Betrachterin des Mannes<br />
Es war stets sehr spannend die Texte aus ganz anderen<br />
gebend.<br />
Am 23.3. abends fand die Wien-Präsentation der <strong>etcetera</strong>-<br />
Ausgabe VENEDIG - SEHNSUCHT UND UNTERGANG mit<br />
dem Autor Daniel Weber statt. Da Webers Texte mitunter<br />
recht unheimlich sind, bot sich die "Special Interest"-Buchhandlung<br />
"MORD UND MUSIK" als Ort der Lesung perfekt<br />
an. Geschäftsführer Walter Robotka, der seinen Buch- (und<br />
CD-)Laden auch als Treffpunkt und verlängertes Wohnzimmer<br />
für einschlägig Interessierte sieht, war - wie immer<br />
- ein wunderbarer Gastgeber. Nach kurzen einleitenden<br />
Worten von Redakteur Thomas Fröhlich las Weber seine<br />
Story "Der Gondoliere". Danach ließ man den Abend bei<br />
dem einen oder anderen Glas Wein ausklingen. Unter den<br />
Anwesenden befanden sich auch Heftkünstler Hermann F.<br />
Fischl, Autor Daniel Krcal und Musiker Gerhard Hallstatt.<br />
aus ihrer Perspektive ist. Bei 19 Künstlerinnen ist die Herangehensweise<br />
vielschichtig und zeigt auch die Metaebene, sozusagen<br />
sich selbst beim Betrachten zu betrachten oder die<br />
Rolle der Frau als Beobachtende oder sogar als Beobachtete.<br />
Fotografien, Multimediaarbeiten, Arbeiten aus Ton (Elisabeth<br />
Temnitschka) in Acryl oder Öl, Grafiken, Objekte mit Herrenmascherln<br />
auf Hirschgeweih mit dem Titel „WeidFrauHeil<br />
– WeidFrauDank“ (Eva Riebler) oder Bilder mit Krawatten<br />
durchwebt (Weichart-Antony), Gott als Frau, die den Adam<br />
als Sexpuppe zum Leben erweckt (Ingrid Reichel) etc. sind in<br />
über 8 Räumen zu sehen.<br />
Am 20. Mai gibt es eine Führung durch die Ausstellung mit<br />
Lesungen im Rahmen des Museumsfrühlings.<br />
Geöffnet Mi – So 10 – 17 Uhr, Katalog im Museumsshop<br />
Kulturen und Sorgen-Bereichen zu lesen. Leider konnte er<br />
die Rubrik nicht mehr betreuen, da er Präsident des PEN-Ö<br />
und PEN-International wurde.<br />
Auf die Idee, eine Mitgliedschaft beim PEN-Österreich anzustreben,<br />
bin ich noch nie gekommen, mir fiel bei meiner letzten<br />
Rezension des 46. (!) Werkes unseres Ehrenobmannes<br />
Wolfgang Mayer König, der seit dem Vorjahr PEN-Vorstandsmitglied<br />
ist, allerdings auf, dass 37 oder 38 der 40 Essays<br />
in seinem Band durch Themenvorgaben der Zeitschrift<br />
„<strong>etcetera</strong>“ oder auf der alljährlichen Schreibwerkstätte im<br />
Schloss Drosendorf entstanden waren. Der Band wurde<br />
vom und im PEN Ö herausgegeben und am 24.Mai wird er<br />
im Stadtmuseum St. Pölten präsentiert. Die Festwochen der<br />
Stadt finde ich stets wie auch den Blätterwirbel im Herbst<br />
Literarisch kann ich nicht mehr aktiver werden. Ich schreibe<br />
kein weiteres Buch, ich bin ein „Writer in Prison“ – ein<br />
Gefangener meiner selbst. Aus dem engen Kastl komm ich<br />
nicht raus, da wickle ich mich ein – Skorpion eben - . Außerdem<br />
lese ich so herausragende literarische Einsendungen,<br />
dass mir die Latte zu hoch liegt!<br />
Mein Betätigungsfeld beinhaltet nun nichts Neues, sondern<br />
die Intensivierung von bereits Probatem. Nämlich wieder<br />
Schachzüge Richtung Einführung/Aufnahme der Kolumne<br />
„Writers in Prison“ sowie Jugendarbeit, für das nächste Heft,<br />
das LitArena, das für die AutorInnen unter 27 J. vorgesehen<br />
ist. Und dafür versuche ich das PEN-Mitglied Wolfgang Martin<br />
Roth zur Zusammenarbeit zu gewinnen. Eva Riebler
62 Köpfe|Mai 2017 Vereinsleben Vereinsleben Köpfe|Mai 2017<br />
63<br />
DRACHEN & KÖPFE<br />
Rück-Vorschau Eva Riebler Fotos©Günter Hieger<br />
Präsentation März 2017 Heft <strong>etcetera</strong><br />
67 „Drachen“ im Stadtmuseum St.P.<br />
Ein spannendes Heft ist es geworden! Bei der Präsentation<br />
war nicht nur das Publikum, das kaum mehr im Raum Platz<br />
fand, begeistert – auch die Mitwirkenden hatte das Thema<br />
angespornt! Der Flötenspieler Johann Falter übte und improvisierte<br />
bereits seit zwei Monaten auf sieben verschiedenen<br />
Flöten, um die 7-köpfige Hydra in die Flucht zu schlagen,<br />
bzw. den feuerspeienden Drachen zumindest zu besänftigen!<br />
Es gelang ihm in seinen abwechslungsreichen sieben<br />
Stücken vortrefflich.<br />
Aus dem Lindwurmland war wie fast jedes Jahr Egyd Gstättner<br />
angereist. Er berichtete, wie er den Lindwurm verschluckt,<br />
wie er dem Klagenfurter Bürgermeister vorgeschlagen hatte,<br />
die Lindwurmbüste vom Neuen Platz durch eine überlebensgroße<br />
goldene Büste seiner Person zu ersetzen und wie er<br />
als Mr. Dragon später der Frau Bürgermeisterin vorgeschlagen<br />
hatte, dass sie seinen literarischen Vorlass aufkaufe und<br />
er Spaghetti auf Lebenszeit bekäme, da er durch das viele<br />
Feuerspeien nur mehr 7 Zähne hätte und natürlich auf das<br />
Reiterstandbild seiner selbst in Gold gegossen auf dem Art<br />
Pferd, sprich Lindwurm bzw. Wollnashorn bestehe.<br />
Spannend entwickelte sich das Gespräch mit dem Lilienfelder<br />
Gerald Axelrod - vertretungsweise alias Thomas Fröhlich<br />
– zum Thema Dracula aus der Walachei und Bram Stoker<br />
(1897), dem letzten Reiters auf der Vampierwelle des 19.<br />
Jhdts.<br />
Der Ehrenobmann der Litges, Wolfgang Mayer-König brachte<br />
auszugsweise einige Gedanken seines Essays und stimmte<br />
das Publikum für seine Lesung im Haus am 24.5. ein.<br />
Informativ war die Vorstellung der historischen Figur des Hl.<br />
Georg von Johannes Schmid, der aus der lateinischen Legenda<br />
aurea berichtete. Georg war ein römischer Tribun aus<br />
Kappadokien und kam, als er in Libyen weilte, nur zufällig an<br />
den Rand der Stadt Silena, die ein Monster in Schach hielt,<br />
indem es einen Sohn oder eine Tochter diesem zum Fraß<br />
vorwarf. Das Los war diesmal auf die einzige Tochter des Königs<br />
gefallen und …<br />
Das Gespräch Eva Rieblers mit dem 92-jährigen Heftkünstler<br />
Josef Winkler aus Wien stellte dem Publikum nicht nur seine<br />
Arbeitsweise und sein Oevre vor, sondern vor allem die Lebensphilosophie<br />
bzw. die Todesphilosophie. Er selbst erklärte<br />
keines seiner im Raum aufgestellten Bilder, da er meint:<br />
„Ja, wenn ich das Bild erst erklären muss, dann ist das Bild<br />
schlecht!“.<br />
Mit auf dem Gemeinschaftsfoto ist Dkfm. Anton Figl, der in<br />
seiner St.Pöltner Galerie Josef Winkler 2006 und 2016 eine<br />
Soloausstellung ausrichtete. Er vertrat den Künstler auch<br />
2015 und heuer bei der Art Austria im Leopoldmuseum und<br />
bei der Antiquitätenmesse im Palais Ferstl und momentan<br />
in Laxenburg, wo er seine gesamte Koje den abstrakten und<br />
existentiellen Werken Winklers widmet.<br />
Ja, die Präsentation im Stadtmuseum war eine spannende<br />
und nun wird es so oder ganz anders am<br />
31.Mai, 19 Uhr im Stadtmuseum St.P.<br />
Vorstellung des neuen <strong>etcetera</strong> Heftes<br />
<strong>68</strong> KÖPFE.<br />
Begleitend, sitzend am Kopf mehrerer Instrumente der letzte<br />
Harlekin Werner Sandhacker. Er hat neue Stücke im Kopf,<br />
sagt er - und hat er nicht, so generiert er neu vom Gassenhauer<br />
zum Ohrwurm.<br />
Lesend, aus Graz angereist, Peter Pauritsch. Er nennt sich<br />
„mehr Gedankenausbeuter als Geschichtenerzählter. Mancher<br />
seiner Sätze würde als Aphorismus und mancher Text<br />
als schlechter Witz durchgehen. Ein paar kautzige Textchen:<br />
„Denn in jedem Text steckt irgendwo ein Kopf drin.”, so sein<br />
Vorspann zu seiner Einsendung zum Thema des Heftes.<br />
Dargeboten werden nicht nur Brötchen, sondern KÖPFE der<br />
Heftkünstlerin Heliane Wiesauer-Reiterer aus Neulengbach.
64 Köpfe|Mai 2017 Vereinsleben Rezensionen Köpfe|Mai 2017<br />
65<br />
Ihr Metier ist die Reduktion, ob in Holz, Stein oder auf Papier.<br />
reinschnuppernde Franz Jansky wird beim Tagebuchtag der<br />
Sie wird uns ihre strenge, reduzierte Arbeitsweise in Expona-<br />
LitGes lesen, diesmal gab er jedoch keine eigenen Gedanken<br />
Alfred Gelbmann:<br />
ten zeigen und näher bringen. Sie meint: „So taste ich immer<br />
vor Publikum preis.<br />
Vorläufig Lübeck<br />
Bernadette Németh:<br />
wieder aufs Neue meine Welt ab und suche nach einer neu-<br />
Eva Riebler stellte mit einer Textprobe über den positiven<br />
Roman, Verlag Sisyphus,<br />
Der Rest der Zeit<br />
en Definition. Ich entdecke und erforsche mich und meine<br />
und negativen Mut das Buch André Hellers „Uhren gibt es<br />
Klagenfurt ,<br />
Roman, Verlag Wortreich,<br />
Welt. Ich experimentiere.“<br />
nicht mehr” (Gespräche mit meiner Mutter in ihrem102.Le-<br />
2017 242 Seiten<br />
Wien 2016, 322 Seiten<br />
Ich freue mich auf diesen Abend! Er wird wie immer kein Ex-<br />
bensjahr) vor. Und wer diesesmal keinen Mut zum Vortrag<br />
ISBN 978-3-903125-10-0<br />
ISBN 978-3-903091-23-8<br />
periment, sondern ein vielfältiger, um nicht zu sagen – ein<br />
hatte, wird es das nächste Mal versuchen.<br />
erlesener - Genuss!<br />
Nach dem Eierpecken und der Jause klang in der Seedose<br />
Vorläufiges: Alfred Gelbmann erzählt die Geschichte<br />
Fassadentexten vorgezeichnet.« (S. 148) Darüber hinaus<br />
Geschwister: Die Ärztin Tünde wird an der Halswirbel-<br />
bei einem Kaffee-Gespräch der Spaziergang aus und die<br />
von Moser. Vielleicht ist es sogar Moser selbst, der diese<br />
gerät Moser auf die schiefe Bahn; seine Missetaten, zu-<br />
säule operiert, ausgerechnet zu Silvester, und das Risi-<br />
Osterspaziergang der<br />
Literarischen Gesellschaft St. Pölten<br />
Karsamstag 15.4.17 an der Traisen. Eva Riebler berichtet.<br />
Runde strebte lachend wieder auseinander.<br />
Die gelungenen Fotos verdanken wir wie alljährlich ©Alfred<br />
Nagl, der sie auch zu dem Bericht von Eva Jancak auf<br />
deren Literaturblog „Literaturgeflüster“ gestellt hat.<br />
Geschichte erzählt, auf seinen Sudelblättern, die danach<br />
von einem fiktiven Erzähler in Buchform gebracht wurden.<br />
Oder von Alfred Gelbmann. Was möglicherweise<br />
dasselbe ist. Nun, bleiben wir bei Gelbmann. Vorläufig.<br />
meist nur Verdachtsmomente, kommen kaum konkret<br />
zur Sprache; er sitzt wiederholt ein, und seine zweifelhafte<br />
Karriere endet auf dem Schafott. Die Existenz der<br />
Todesstrafe einerseits und örtliche wie auch zeitliche<br />
ko einer Querschnittslähmung steht im Raum. Das ist<br />
Ausgangspunkt und zugleich Rahmenhandlung. »Der<br />
Rest der Zeit« der österreichischen Autorin Bernadette<br />
Németh, die nicht ganz zufällig ebenfalls Ärztin ist. Der<br />
Alfred Gelbmann wurde 1946 in Linz geboren. Er ist<br />
Hinweise auf das Nachkriegsösterreich andererseits<br />
Roman erzählt von drei Geschwistern, Tünde, Melinda<br />
nicht nur Autor, sondern führte einen Literaturverlag,<br />
machen nachdenklich, weil das nicht zusammenpasst.<br />
und Adam, und deren Eltern, die während des Ungarn-<br />
und er ist Literaturwissenschaftler. Eine ganze Menge<br />
Aber vielleicht lebt Moser einfach in einer vorläufigen<br />
aufstandes nach Österreich gekommen waren. Es geht<br />
seiner Vorlieben und seines Wissens hat er dem fiktiven<br />
Erzählzeit.<br />
vordergründig um die Lebensbeziehungen der drei und<br />
Erzähler beziehungsweise der Hauptperson Moser mit<br />
Unstetes, Vorläufiges, Unverbindliches – Erinnerungen<br />
hintergründig um die Art und Weise, wie man sich im<br />
auf den Weg gegeben.<br />
an Peter Weiss‘ spielerische Gespräche dreier Gehender<br />
Leben zurechtfindet und was man daraus macht.<br />
Moser, so erfahren wir gleich am Beginn, geht mit der<br />
werden wach – arbeiten mit einem Sprachwitz, der an<br />
Tünde wollte immer schon Schriftstellerin sein, doch der<br />
Lehner. Oder die Lehner geht mit ihm. Jedenfalls ist di-<br />
den Reichtum der Literatur anspielt und verblüffende<br />
Arztberuf hat diesen Weg nahezu verbaut. Melinda ist<br />
ese Beziehung immer vorläufig. Sie endet so rasch, wie<br />
sowie großartige Formulierungen hervorbringt. »Im<br />
Malerin,, und möchte ihre künstlerische Tätigkeit nicht<br />
Manfred Lagler-Regall<br />
Susanne Huslisti<br />
sie begann, doch stets kommen die beiden aufs Neue<br />
zusammen, gehen wieder miteinander oder auch nicht.<br />
Flachen, sagt der [Berliner] Chefredakteur, hätte man<br />
andere, offenere Ansichten von Körperlichkeit als in<br />
wegen des Kindes an den Nagel hängen, wie einst ihre<br />
Mutter.. Adam hingegen ist so etwas wie ein katho-<br />
Wie immer war um 15 Uhr Treffpunkt an der Seedose am Vie-<br />
Eva hingegen ist nur eine kurze, aber gefühlvolle Episo-<br />
jenen aussichtslos vermitterten und zugewaggerlten<br />
lischer Fundamentalist mit haarsträubenden Vorstel-<br />
hofner See in St.Pölten. Ein Dankeschön an alle Beteiligten!<br />
de, die wunderschöne Sätze hervorbringt: »Als Moser<br />
Bergdörfern.« (S. 148)<br />
lungen; den Priesterberuf verlor er aber wegen seiner<br />
15 Literaturambitionierte waren gekommen. Da Friedericke<br />
geht, legt die Eva ihre Wange unendlich lange fünf Se-<br />
Und was ist mit Lübeck? Dort möchte Moser zeitlebens<br />
Liebe zu einer Frau, nun arbeitet er als Religionslehrer<br />
Meyer diesmal nicht dabei war, zitierte niemand das Gedicht<br />
kunden an seine.« (S. 77) Beide, Moser und die Lehner,<br />
hin. Die Stadt von Thomas Mann und den Budden-<br />
und versucht sich als Bücher schreibender Theologe. Alle<br />
aus Goethes Faust II „Vom Eise befreit sind Strom und Bä-<br />
stammen aus der Muldenstraße. Diese ist Synonym für<br />
brooks, ein Fernziel, eine Sehnsucht. Oftmals bricht Mo-<br />
drei stehen gewissermaßen vor Wendepunkten.<br />
che“, das Faust am Osterspaziergang gemeinsam mit dem<br />
ein Industrieviertel, eine proletarische Umgebung, in<br />
ser auf, um nach Lübeck zu gelangen, scheitert, bleibt<br />
Den Hauptteil des Romans, dessen Schicksalswege<br />
Hören der heimatlichen Kirchturmglocken wieder Lebensmut<br />
der sich alles ums Stahlwerk dreht, und auch Moser geht<br />
irgendwo davor hängen. Vielleicht in der Literatur, die<br />
abwechselnd ins Rampenlicht gelangen und fein mitei-<br />
gegeben und ihn vom Selbstmord abgehalten hatte.<br />
in den Stahl. Die Muldenstraße, ein Stahlwerk, Linz – da<br />
in der Lage ist, unser Zeitgefüge zu irritieren: »Wenn er<br />
nander verwoben sind, bildet wohl Tündes Geschichte.<br />
Manfred Lagler las zwei eigens verfasste Texte, beginnend<br />
klingen durchaus Interferenzen an.<br />
allerdings tatsächlich der Einladung der beiden Freunde<br />
Die LeserInnen erfahren viel von der ärztlichen Ausbil-<br />
mit einer Reflexion über Jean Paul Sartre und endend beim<br />
lieben Gott.<br />
Ingrid Messing<br />
Ingrid Müller<br />
Moser liest. Hauptsächlich Bouvard und Pécuchet, Flauberts<br />
Roman, von dem Moser stets ein, mit der Zeit sehr<br />
Bouvard und Pécuchet nach Chavignolles gefolgt ist, gerät<br />
die Zeitrechnung gehörig durcheinander.« (S. 102)<br />
dung. Was die Protagonistin in einem katholischen Spital<br />
erlebt, lässt inständig hoffen, dass die Autorin bloß<br />
Ingrid Müller hatte Skurilles über ein Stinktier verfasst, das<br />
abgegriffenes, Exemplar mit sich herumträgt. Die Lite-<br />
Moser kehrt stets zurück, zur Lehner und in die Mulden-<br />
seltene Einzelfälle zu einer ganzen Geschichte verbaut<br />
einen schweren Geburtsfehler aufwies, es duftete nämlich<br />
ratur hält an vielen Stellen Einzug, Autor Alfred Gelb-<br />
straße. Zumindest vorläufig.<br />
hat. Die Tatsache, dass sie selbst Ärztin ist, suggeriert<br />
statt zu stinken. Eine herzliche Erzählung Andersartigkeit zu<br />
mann spielt an Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek<br />
Vorläufig Lübeck ist ein großartiger Roman, der vielfach<br />
freilich, dass es tatsächlich eine ganze Menge solcher<br />
bedenken und zu akzeptieren.<br />
an, Dante, Cervantes und Samuel Beckett lugen um die<br />
zum Denken anregt und schmunzeln macht. Und wir<br />
unkollegialer, teamunfähiger, cholerischer und narzis-<br />
Susanne Huslisti war neu und hatte trotzdem den Mut ein<br />
Ecke, manches entdecken Lesende, wenn überhaupt,<br />
sollten uns glücklich schätzen, dass der Sisyphus-Verlag<br />
stischer Mediziner in unserem Gesundheitssystem ge-<br />
langes Liebesgedicht vorzulesen.<br />
vielleicht erst bei einer zweiten oder dritten Lektüre. In<br />
dieses Werk nicht nur vorläufig, sondern als richtiges<br />
ben könnte, wie dieses Buch sie beschreibt.<br />
Eva Jancak hatte ihren Text, den sie für dieses Heft KÖPFE<br />
einer der vielen Charakterisierungen der Muldenstraße<br />
Buch herausgebracht hat.<br />
Der Erzählfluss reißt mit, man möchte unbedingt wis-<br />
eingereicht hatte mitgebracht und Ingrid Messing eine Ver-<br />
heißt es: »Was Mosers Vorstellung von der Muldenstra-<br />
Klaus Ebner<br />
sen, ob und wie die von Bernadette Németh ausge-<br />
kostung eines Textes für ihre Lesung am Tagebuchtag am<br />
24.Okt 17 im Stadtmuseum. Auch der neu in die Litges he-<br />
Eva Jancak<br />
Eva Riebler<br />
ße betrifft, nachdem er aus Berlin zurückgekehrt ist,<br />
findet er sie in Waltraud Seidlhofers menschenleeren<br />
legten Fäden am Ende wieder miteinander verknüpft<br />
werden.<br />
Cornelia Stahl
66 Köpfe|Mai 2017 Rezensionen Rezensionen Köpfe|Mai 2017<br />
67<br />
George Prochnik:<br />
Christian Adam:<br />
Şafak Sariçiçek:<br />
Das unmögliche Exil.<br />
Kathrin Röggla:<br />
Sacha Batthyany:<br />
Der Traum vom Jahre Null.<br />
Hans-Dieter Gelfert:<br />
Spurensuche<br />
Stefan Zweig am Ende<br />
Nachtsendung:<br />
Und was hat das<br />
Die Neuord. der Bücher-<br />
Was ist ein gutes Gedicht?<br />
HG Kristian Kühn,<br />
der Welt.<br />
unheimliche Geschichten.<br />
mit mir zu tun.<br />
welt in Ost und West nach<br />
Eine Einf. in 33 Schritten<br />
Illustr. Sven Kalb<br />
München: C.H.Beck, 2016.<br />
S. Fischer, Frankfurt/ Main<br />
Köln: Kiepenheuer& Witsch<br />
1945 Berlin: Verlag Galiani<br />
Verlag C.H.Beck, München<br />
Nettetal/BRD, Elif Verlag<br />
397 Seiten<br />
2016, 288 Seiten<br />
2016, 254 Seiten.<br />
2016, 441 Seiten.<br />
2016, 224 Seiten<br />
2017, 136 Seiten<br />
ISBN: 978-3-406-69756-2<br />
ISBN: 978-3-10-002487-9<br />
ISBN: 978-3-462- 04831-5<br />
ISBN: 978-3-86971-122-5<br />
ISBN 978-3-406-69729-6<br />
ISBN: 978-3-9817509-9-7<br />
„Ein Gefühl von Heimat habe ich nur noch unter-<br />
Fiktion trifft<br />
Realität - 42 unheimliche Ge-<br />
Familienereignisse und ihr Einfluss auf die<br />
Stöbern im Bücherschrank der Eltern. Der Ger-<br />
Die titelgebende Frage wird kaum allgemeingültig<br />
Starke Essenzen: Nicht nur der Autor ist auf Spuren-<br />
wegs“, schreibt der aus Anatolien stammende und in<br />
schichten: „Wir schlafen nicht“ war Kathrin Rögglas<br />
Gegenwart: In der Nacht des 25. März 1945 feiert die<br />
manist und Literaturwissenschaftler Christian Adam<br />
zu beantworten sein. Daher wohl der Untertitel. Aus 33<br />
suche, auch der begabte Illustrator mit seinen lavierten<br />
Wien lebende Schauspieler, Regisseur und Autor Duran<br />
bekanntes Prosawerk, in dem sie vom rasanten Alltag im<br />
Gräfin Batthyany auf ihrem Schloss im burgenländischen<br />
bewies bereits in seinem Buch „Lesen unter Hitler“ ein<br />
Richtungen nähert sich der Autor dem Thema „guter“ Ly-<br />
Tuschezeichnungen ist flott unterwegs, als würde er die<br />
Durmus Dogan in seinem Buch „Heimat unterwegs“<br />
Turbokapitalismus erzählte (S. Fischerverlag, 2004/06).<br />
Rechnitz, inmitten von SS-Offizieren und Gestapo-<br />
feines Sensorium für Lesegewohnheiten während des<br />
rik. Er greift dafür auf Anthologien zurück, deren Titel wie<br />
Essenzen der Gedichte Şariçiçeks möglichst rasch, natür-<br />
(Klak-Verlag Berlin, 2016). Würde Stefan Zweig diese<br />
Als eine Art Fortsetzung kann der nun vorliegende Roman<br />
Führern, ein rauschendes Fest. Um Mitternacht werden<br />
Nationalsozialismus. Adam, am Zentrum für Militärge-<br />
„Die besten deutschen Gedichte“ (ausgew. v. M.Reich-Ra-<br />
lich ohne Schnörkel & Plattitüde einfangen wollen. Ab<br />
Auffassung teilen?<br />
„Nachtsendung” gelesen werden. In gewohnter Manier<br />
180 jüdische Zwangsarbeiter erschossen. Kurz darauf<br />
schichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in<br />
nicki, 2003) oder „Die schönsten deutschen Gedichte“ (L.<br />
Seite 101 zeigt er Akte in Bewegung, äußerst rasch mit<br />
Georg Prochnik, New Yorker Journalist und Schriftstel-<br />
seziert die Autorin den Alltag des Menschen, als Getrie-<br />
fliehen die Täter ins Ausland, Schloss Rechnitz fällt den<br />
Potsdam tätig, untersucht in seinem 2016 erschienenen<br />
Moritz) nahelegen, dass die darin versammelten Gedichte<br />
Kohle oder Tusche hingeworfen – einfach ausdrucks-<br />
ler, Studium an der Hebräischen Universität Jerusalem,<br />
bener in der Maschinerie der Selbstoptimierung gefan-<br />
Flammen zum Opfer. Strafverfahren enden nach dem<br />
Buch „Der Traum vom Jahre Null“ die Chancen des Neu-<br />
als solche anzusehen sein sollten. Was ihn nicht davon ab-<br />
stark! So direkt und doch frei, wie Sven Kalb auszudrü-<br />
Nachfahre Wiener Emigranten, erzählt in seinem Buch<br />
gen, verliert er zunehmend die Beziehung zum eigenen<br />
Krieg im Nirgendwo. Elfriede Jelinek hat die Ereignisse<br />
anfangs für die Literatur nach 1945. Die Vergangenheit<br />
hält, eigene kritische Standpunkte zu entwickeln.<br />
cken vermag, schreibt auch Şariçiçek. Dieser fängt bei<br />
„Das unmögliche Exil“ den Aufbruch Stefan Zweigs von<br />
Selbst und scheitert letztendlich. Brüche und Umbrüche<br />
von Rechnitz im Theaterstück „Der Würgeengel“ bear-<br />
nach Ende des Krieges mit all seinen „Altlasten“ zu<br />
Anhand zahlreicher Beispiele dekliniert der pensionierte<br />
alltäglichen Beobachtungen an und lässt Gefühltes und<br />
Wien aus in eine neue Welt, nach Brasilien. Nicht frei-<br />
im Leben scheinen die einzige Konstante zu sein, der ewi-<br />
beitet. Sacha Batthyany, ehem. Red. der Neuen Zürcher<br />
ignorieren, war für die Bücherwelt illusorisch. Gelesen<br />
Professor für englische Literatur verschiedene Ansätze<br />
Erkanntes dann ohne Anklage oder Larmorants stehen<br />
willig verlässt er Österreich, sondern ist als Jude auf der<br />
ge Kitt, der alles zusammenhält.<br />
Zeitung, dagegen hat einen sehr persönlichen Zugang zu<br />
wurde, was man im Bücherschrank der Eltern vorfand,<br />
durch: Von der formalen Definition des Gedichts, über<br />
oder ins Weite gleiten.<br />
Flucht vor den Nationalsozialisten. Prochnik lässt Passa-<br />
Röggla spart nicht mit Gesellschaftskritik oder Kritik an<br />
Rechnitz. Ausgerechnet Batthyany´s Großtante war 1945<br />
einschließlich Nationalsozialistischer Literatur. Adam<br />
„Wiederholung und Variation“, „Objektivierung und Au-<br />
Zum einen sind es die sorgfältig gewählten Worte und<br />
gen aus Zweigs Buch „Die Welt von gestern“ einfließen,<br />
Medieneinflüssen und Konsumterror. Von Bürgerbeteili-<br />
im Mordgeschehen involviert. Der Journalist begibt sich<br />
fasst seine Forschungsergebnisse wie folgt zusammen:<br />
thenzität“ bis zu Positionen, die ein Dichter einnehmen<br />
zum anderen ist es immer wieder eine gewisse Ruhe<br />
ebenso eigene Kindheitserfahrungen.<br />
gung und Klassentreffen ist die Rede, und von Politikern,<br />
auf Spurensuche, insbesondere nach seiner Großtante,<br />
Nach intensiver Beschäftigung mit Autorenbiografien<br />
kann: „Weltkind“, Visionär, Magier, Prophet... Neben den<br />
und Schwerelosigkeit, die Halt gibt. Einen ungewissen<br />
Der Autor sucht Antworten auf die ungeklärte Frage:<br />
die auf dem Europäischen Forum Alpach spazieren gehen.<br />
Gräfin Margit Thyssen-Batthyany. Reisen führen ihn nach<br />
sowie Akteuren aus dem Verlagswesen wird deutlich,<br />
großen Namen aus mehreren Jahrhunderten würdigt er<br />
zwar, aber jegliche Traurigkeit scheint gebannt und<br />
Warum scheiterte der österreichischen Autor im Exil?<br />
Die Autorin nimmt Parallelwelten unter die Lupe, Welten,<br />
Ungarn, ins Österreich der Nachkriegszeit, in die Schweiz,<br />
wie zahlreich Autoren und Autoren nach 1945 unbehel-<br />
Dichter wie E.Kästner, J.Ringelnatz und R.Gernhardt. Ent-<br />
unwesentlich. Liebesbriefe lassen sich einfach in Rauch<br />
Prochnik ringt nach Erklärungszusammenhängen der<br />
die nebeneinander existieren, in denen Menschen he-<br />
und nach Moskau, wo er mit seinem Vater das GULAG-<br />
ligt ihre Karrieren fortsetzen konnten (S.17).<br />
gegen mancher Lehrmeinung erläutert er, wie auch Witz<br />
auflösen und S. 123 „…jetzt / winden sich kleine lügen<br />
inneren Unruhe Zweigs: Waren es Erinnerungen an die<br />
ranwachsen, die geprägt sind von gestörten (Sozial)<br />
Museum besucht. Bis nach Sibirien reist er, wo einst der<br />
In dreizehn Kapiteln entblättert der Autor Schritt für<br />
und Ironie ein Gedicht zu einem guten machen können.<br />
aus druckerschwärze / wie graue säulen in die luft / und<br />
Flucht aus Wien vor den Nazis, die ihn im Exil nicht zur<br />
Beziehungen und fehlendem Wirklichkeitsbezug. Digitale<br />
Großvater Gefangener im Lager des GULAG war.<br />
Schritt die Geschichte, einschließlich der Vorgeschichte<br />
Als weitere Zitatequelle diente Gelfert die englische Lite-<br />
diffundieren: …“<br />
Ruhe kommen ließen und der eigenen schöpferischen<br />
User ersetzen reelle Begegnungen zwischen Menschen<br />
Um das Konvolut an Informationen zu verarbeiten, be-<br />
der Lesegewohnheiten in Deutschland, und bezieht die<br />
ratur. Hier spürt man seine Sachkunde, die er mit eigenen<br />
Lakonisch werden Baustellen des Lebens hingenommen<br />
Tätigkeit im Weg standen? Wie konnte Zweig sein in-<br />
mit Facebook- Likes. Und: statt konstruktiver Streitkultur<br />
gibt sich der Journalist zu einem Psychoanalytiker und zu<br />
Jahre vor dem Krieg ein: „Wir begannen nicht im Jahre<br />
Übersetzungen der ausgewählten Werke belegt. Wer<br />
und versucht Antidepressiva zu finden, Orientierung zu<br />
neres Gleichgewicht wiederfinden? George Prochnik<br />
wachsen Hasspostings im Netz wie Unkraut im Gemüse-<br />
einem Auschwitzüberlebenden in Buenos-Aires. Batthy-<br />
Null“, er spricht über die Neuordnung der Bücherwelt,<br />
hätte gedacht, dass ein hochaktuelles Gedicht über die<br />
wahren S. 65 „aber schweiß auf meiner stirn, / ein we-<br />
weist darauf hin: „Zweigs Leben wirft einmal mehr<br />
garten. Aussteiger erkennen plötzlich, dass man der Wirt-<br />
any durchbricht, was er dem Tagebuch der Großmutter<br />
das Erzählen vom Krieg und Lager, die „Rückkehr“ der<br />
Umweltzerstörung bereits einem Zeitgenossen Shake-<br />
nig / im wechsel: ruhe und angst aus ungewissheit.“ In<br />
die ... Frage nach der Verantwortung des Künstlers in<br />
schaftskrise nicht wirklich entfliehen kann. Deprimierend<br />
entnahm: „ Wir waren eine Familie aus Maulwürfen. Wir<br />
Autoren sowie den Literaturaustausch zwischen Ost und<br />
speares (T.Bastard) aus der Feder geflossen ist? Allerdings<br />
diesem u. a. Gedichten beschäftigten Şafak, der 1992 in<br />
Zeiten der Krise auf“ (S.14). Kann man von Mitschuld<br />
kommen die Geschichten keineswegs daher! Rögglas<br />
zogen uns zurück, glaubten an nichts mehr“. Er folgt der<br />
West. Adam geht auf die Problematik des Ost-West-<br />
erscheint diese Auswahl recht einseitig. Auch andere Lite-<br />
Istanbul geboren und nun in Heidelberg Rechtswissen-<br />
des Weltautors sprechen? Prochnik gelingt die charak-<br />
skurriler Stil spiegelt den kontrastreichen Großstadtall-<br />
Forderung nach schonungsloser Wahrheit, will Schweigen<br />
Konflikts ein und erinnert an Schulbuchautoren und<br />
raturen wären durchaus mal ein Zitat wert gewesen.<br />
schaft studiert, auch die politischen Vorgänge in seiner<br />
teristische Beschreibung von Menschen, die sich auf der<br />
tag auf humorvolle Weise wider, beschreibt die Auswir-<br />
durchbrechen. Dem Autor gelingt es, Kriegsverbrechen<br />
Lektoren, die historische Ereignisse geschickt umschrie-<br />
Der Autor übernimmt eine mathematische Formel<br />
Heimat. Diese Zeilen sind während es Putsches am<br />
Flucht befinden, skizziert immer wieder Zweigs innere<br />
kungen der Digitalisierung auf den Alltag. Aber es gibt sie<br />
und Traumata zeitgemäß zu erzählen und Verbindungsli-<br />
ben. Negativ beladene Wörter wie Bücherverbrennung,<br />
zur Definition des ästhetischen Werts: Es wird klar, er<br />
16.juli 2016 in der Türkei geschrieben.<br />
Zerrissenheit.<br />
noch, die reale Welt: In „Wochenplan oder Heilige Maria<br />
nien zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu ziehen.<br />
Exil oder Holocaust wurden von ihnen einfach wegge-<br />
kritisiert den Deutschunterricht, wenngleich in guter<br />
In „licht des handybildschirmes“ S.53 liegt die Müdig-<br />
Die Sehnsucht des Schriftstellers Zweig nach der ver-<br />
der Nonbook-Ecke” berichtet die Protagonistin Maria Föt-<br />
Batthyany öffnet sich, gibt persönliche Schwächen preis,<br />
lassen. Dass neun Prozent der Literaturpreisträger in der<br />
Absicht: (Künftige) Leser sollten angehalten werden,<br />
keit wie „augenblei“ auf den Lidern und wenn „das<br />
trauten Heimat in Salzburg und Wien blieb bis zum<br />
tinger: „Montags gehe sie immer zum AA-Meeting in der<br />
lässt den Leser nah an sich heran. Neben Sabine Bodes<br />
ehemaligen DDR ursprünglich Nazis waren (im Westen<br />
ein eigenes Geschmacksurteil zu bilden. Nicht alles von<br />
handylicht / verschwindet in der schwärze. / die armee<br />
Lebensende.<br />
Christopheruskiche. () Wenn man dort sei, habe man im-<br />
„Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen<br />
Deutschlands zwölf Prozent), verwundert nach Ende der<br />
Goethe ist erhaben; auch Rilke schrieb Kitsch; und man-<br />
stürmt die wälle / schlaf / bricht herein, welt im traum /<br />
Prochnik hat ein gründlich recherchiertes, teilweise<br />
mer das Gefühl, die halbe Welt bestehe aus Alkoholikern<br />
ihr Schweigen“ (Klett-Cotta, 2015) ist Batthyanys Buch<br />
Lektüre nicht mehr.<br />
che Zeitgenossen schreiben kaum verständlich.<br />
modus: traum/tore“ - spricht genauso von Realität.<br />
ambivalent geschriebenes Buch vorgelegt. Sehr emp-<br />
und die andere Hälfte aus den Angehörigen”<br />
hilfreich zur Identitäts- und Wahrheitsfindung der nach-<br />
Adam liefert spannenden Lesestoff, der dazu anregt, im<br />
Letztlich gelangt Gelfert zu plausiblen Thesen, die für<br />
Und wer soll in unserer Rush-Hour-Zeit einen Lyrikband<br />
fehlenswert! Passend zum 75.Todestag Stefan Zweigs,<br />
Die Autorin verwebt Humor und Gesellschaftskritik!<br />
wachsenden Generation. Das Stück Rechnitz (Der Wür-<br />
eigenen und im Bücherschrank der Eltern (Großeltern)<br />
gute Qualität sprechen. – Eine Ermunterung für Lesende<br />
zur Hand nehmen? Der Eilige – würde ich sagen – denn<br />
der heuer am 23.2.2017 war.<br />
Ohne erhobenen Zeigefinger macht sie aufmerksam auf<br />
geengel) ist am Niederösterreichischen Landestheater<br />
zu stöbern!<br />
wie Schreibende, sich ernsthaft und mit Humor auf Lyrik<br />
kontemplatorische Weisheit kann man eben nur in<br />
Cornelia Stahl<br />
menschlichen Schwächen.<br />
Cornelia Stahl<br />
St.Pölten ab 17.5.2017 zu sehen.<br />
Cornelia Stahl<br />
Cornelia Stahl<br />
einzulassen.<br />
Wolfgang Stock<br />
Häppchen genießen!<br />
Eva Riebler
www.litges.at