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etcetera 68

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ISSN: 1<strong>68</strong>2-9115 | NR.<strong>68</strong> 2017| PREIS: 7 EURO<br />

<strong>etcetera</strong><br />

Köpfe<br />

L i t e r a t u r u n d s o w e i t e r


2 3<br />

2 Köpfe|Mai 2017<br />

Köpfe|Mai 2017 3<br />

Inhalt<br />

Editorial<br />

03 Vorwort/Impressum<br />

Heftkünstlerin<br />

04 Heliane Wiesauer-Reiterer<br />

Interviews<br />

08 Bettina Schülke<br />

10 Jochen Peichl<br />

12 Labinsac<br />

14 Romana Maria Jäger: Mit Kleister und Schere<br />

oder Ästhetik überall!<br />

16 Helmut Seethaler: Ich bin mein eigenes Medium<br />

Essays<br />

20 Robert Müller: Gesichtsverlust<br />

23 Peter Mitmasser: Köpfe<br />

25 Klaus Ebner: Kopfball<br />

Berichte<br />

28 Hommage an die Künstlerin Hannah Höch<br />

Von Romana Maria Jäger<br />

30 Buchmesse Leipzig: Frühlingsbeginn- nicht nur in<br />

der Natur. Von Cornelia Stahl<br />

32 Soshana, eine dickköpfige Künstlerin<br />

Von Karoline Riebler<br />

34 Unica Zürn und Alexander Camaro<br />

Von Cornelia Stahl<br />

Prosa<br />

36 Gerhard Benigni: Der Stinker fängt den Fisch zu<br />

köpfen an<br />

38 Peter Pauritsch: Wir sind die Kinder des Unsinns u.a.<br />

41 Oliver Jung-Kostick: „Die Großkopfeten“<br />

44 Maximilian Hauptmann-Höbart: Kopfmensch<br />

46 Johanna Beck: König, Mullah, General und die<br />

schöne Layla<br />

50 Johannes Schmid: Die Enthauptung des Täufers<br />

52 Peter Paul Wiplinger: „Leben, leben...!“<br />

54 Eva Lugbauer: Dein Meer<br />

56 Andrea Travnik: Raumvision/Ruine<br />

58 Ingrid Svoboda: Sehr geehrter Herr Chef<br />

Cover: ©H.Wiesauer-Reiterer 2006 Kopf Holz 72x25x15,5<br />

Kyoka<br />

42 Hahnrei Wolf Käfer: Mit Dank an ...<br />

Lyrik<br />

48 Michael Burgholzer: 3 kopfkaskaden<br />

57 Martina Sens: Pakistans-Antigone<br />

58 Jordi Rabasa-Boronat: Köpfe<br />

Vereinsleben<br />

6o Rückblick Präsentation „<strong>etcetera</strong> 66 Venedig”<br />

6o Vorschau „FRAUEN, die auf Männer schauen”<br />

61 Eva Riebler P.E.N. Mitglied<br />

62 Rückblick Präsentation „<strong>etcetera</strong> 67 Drache”<br />

63 Vorschau Präsentation „<strong>etcetera</strong> <strong>68</strong> Köpfe”<br />

64 Rückblick Osterspaziergang<br />

Rezensionen<br />

65 Alfred Gelbmann: Vorläufig Lübeck<br />

65 Bernadette Németh: Der Rest der Zeit<br />

66 George Prochnik: Das unmögliche Exil. Stefan<br />

Zweig am Ende der Welt<br />

66 Kathrin Röggla: Nachtsendung<br />

66 Sacha Batthyany: Und was hat das mit mir zu tun<br />

67 Christian Adam: Der Traum vom Jahre Null<br />

67 Hans-Dieter Gelfert: Was ist ein gutes Gedicht?<br />

67 Safak Sariçiçek: Spurensuche<br />

LitGes Poetry Slam<br />

Do. 18.5.17, 20.30 Uhr<br />

LitGes Lesung<br />

Mittw. 24.5.17, 19 Uhr<br />

„<strong>etcetera</strong>“ <strong>68</strong><br />

Mittw. 24.5.17, 19 Uhr<br />

Details Seite 3<br />

Rücks.: ©H.Wiesauer-Reiterer 2006 Kopf Holzobj. 58x20x40<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser!<br />

Im Kopf steckt alles drinnen! Hirn oder hirnlos ist da nicht die Frage! Schon eher: Wovon werden<br />

meine Gedanken beeinflusst, wie geistvoll, konsequent, stringent etc. irrt mein Hirn! Was und<br />

wie raffiniert produziert es und wie unbegabt oder konzentriert setze ich es dann um? Auch ein<br />

kluger Kopf irrt ohne zutreffende Gedanken! Und - auch wer falsch liegt, kann üppig gedeihen!<br />

Zahlreiche spannende Autorentexte, Interviews oder Portraits liegen vor Ihnen. Jede der 30 Biografien<br />

zeugt von einem bestimmten Charakter, einem Kopf!<br />

Sich selbst zu glauben und sich zu bestätigen ist der übliche Grundgedanke, probieren Sie auf<br />

und in andere Köpfe zu sehen! Sie haben nun die Gelegenheit viele Bilder/Beobachtungen zu machen und Gedanken<br />

zu lesen!<br />

Ihre Eva Riebler-Übleis<br />

Impressum<br />

<strong>etcetera</strong> erscheint 4 mal jährlich<br />

ISSN: 1<strong>68</strong>2-9115<br />

Richtung der Zeitschrift: Literarisch-kulturelles<br />

Magazin mit thematischem Schwerpunkt.<br />

Namentlich bezeichnete Beiträge geben<br />

die Meinung der Autorin, bzw. des Autors<br />

wieder und müssen mit der Meinung von<br />

LeserInnerservice<br />

Werden Sie Mitglied der LitGes und erhalten<br />

Sie vierteljährlich <strong>etcetera</strong>, die<br />

Zeitschrift für Literatur. Mit Prosa- und<br />

Lyrikbeiträgen, Essays, Interviews, Rezensionen<br />

und Künstlerporträts sowie Einladungen<br />

zu unseren Veranstaltungen.<br />

Die nächsten <strong>etcetera</strong>-Ausgaben:<br />

Etcetera Heft 69<br />

LitArena VIII für AutorInnen unter 27<br />

Red. Cornelia Stahl & Juroren<br />

Einsendeschluss 15.6.2017<br />

siehe www.litges.at /LitArena<br />

Präsentation 10.10.2017, 19 Uhr Landesbibliothek<br />

St.Pölten, Regierungsviertel<br />

Herausgeberin und Redaktion nicht übereinstimmen!<br />

Herausgeber: Eva Riebler-Übleis<br />

Heftredaktion: Eva Riebler-Übleis<br />

Text und Ilustration © bei den Autoren<br />

Cover/Bilder: Heliane Wiesauer-Reiterer<br />

Gestaltung: G. H. Axmann<br />

Druck: Dockner, Kuffern 87, A-3125<br />

Abonnementspreis:<br />

24 Euro/Jahr = 4 Hefte; Einzelpreis 7 Euro<br />

Bestellung = Überweisung an:<br />

Sparkasse NÖ Mitte-West<br />

BLZ 20256, Konto-Nr. 55137<br />

IBAN: AT422025600000055137<br />

BIC: SPSPAT21<br />

Verwendungszweck: „<strong>etcetera</strong>-Abo“<br />

Bitte Namen und genaue Anschrift leserlich<br />

auf dem Erlagschein vermerken!<br />

Heftbestellungen: einzelne Exemplare<br />

an redaktion@litges.at<br />

Etcetera Heft 70<br />

RITUALE: Zwischen erstarrter Geste und<br />

lebendiger Struktur<br />

Red. Thomas Fröhlich<br />

Einsendeschluss 15. Aug. 2017<br />

Die nächsten LitGes Präsentationen:<br />

Do. 18.5.17, 20.30 Uhr Cinema Paradiso<br />

St.P. LitGes Poetry Slam mit Marlies &<br />

Andi. Meldungen gratis vorort, Jury aus<br />

dem Publikum. Preis & Abo zu gewinnen!<br />

Medieninhaber:<br />

Literarische Gesellschaft St. Pölten LitGes Jour-fixe Schreibwerkstätten Mittw. 24.5.17, 19 Uhr Stadtmuseum Prandauerstr.<br />

HG Eva Riebler-Übleis<br />

für alle Schreibenden und ZuhörerInnen!<br />

2 Lesung: Der NÖ-Autor Wolfgang<br />

Büro Steinergasse 3, 3100 St. Pölten Jeden ersten Mittw. im Monat zu vorgegebenen<br />

Mayer-König liest und das Trio Schwan<br />

Home/Info: www.litges.at<br />

Themen. Schreibzeit 20 Min. spielt & Shirin Bajalan singt Soul & Jazz.<br />

E–Mail: redaktion@litges.at<br />

LitGes Büro, Steinerg. 3, STP, 18 Uhr Moder. E. Riebler. Eintritt/Buffet frei<br />

Mittw. 31.5.17, 19 Uhr Stadtmuseum, Lit-<br />

Ges Präsentation „<strong>etcetera</strong>“ <strong>68</strong> KÖPFE<br />

mit dem Grazer Autor & Gedankenausbeuter<br />

Peter Pauritsch, am Kopf der Instrumente<br />

Werner Sandhacker. Mit Heliane<br />

Wiesauer-Reiterer. Eintritt/Buffet frei<br />

Vorwort/Impressum


4 Köpfe|Mai 2017<br />

Köpfe|Mai 2017 5<br />

Heliane Wiesauer-Reiterer<br />

Es gibt kein Bevorzugen. Bin ich im Krastal, im Steinbruch,<br />

Nein, eigentlich nicht! Als Betrachter sollte man sich auch<br />

geladen. Dort band ich aus Hartriegel vier Boote. Eines für<br />

arbeite ich primär mit Marmor oder Serpentinit, dem Ma-<br />

mit der Kunst auseinandersetzen. Das betrifft nicht nur die<br />

jeden von uns, für meine Kinder, meinen Mann und mich.<br />

Eva Riebler besuchte die Künstlerin in der Galerie „Gött-<br />

terial, das ich dort vorfinde. Hier in Neulengbach arbeite<br />

bildende Kunst sondern auch die Musik, Literatur, Philoso-<br />

licher“ in Krems-Stein und im Atelier in Neulengbach.<br />

ich neben der Malerei, Grafik und Fotografie auch dreidi-<br />

phie, eigentlich alles. Es ist auch ein Lernprozess Kunst zu<br />

Bleibst Du am Thema Kopf dran?<br />

mensional mit Ton, Holz und den Materialien, die ich hier<br />

sehen und zu verstehen. Dann können sich Welten öffnen.<br />

Ja, zum Thema „Kopf“ entstehen immer wieder neue Ar-<br />

in meinem Umfeld finde. Es ist oft eine Lust, ein Verlangen<br />

beiten. Zuletzt habe ich 2016 einige dreidimensionale Ar-<br />

mich auf ein bestimmtes Material einzulassen und zu se-<br />

Zeichnest Du Frauen? In der Lieglgalerie Neulengbach<br />

beiten zum Kopf gebaut. Manchmal fotografiere ich auch<br />

hen, was daraus wird. Die Lust zu malen, Schwarz zu the-<br />

sah ich vor 5 Jahren eine Ausstellung mit Papierar-<br />

meine frühen Köpfe und bearbeite sie im Computer wei-<br />

matisieren, mich in den Ton einzugraben oder einfach zu<br />

beiten von Dir.<br />

ter. Ich finde es sehr aufregend, wenn ich Neues entde-<br />

gehen und etwas zu finden.<br />

Ja, mich interessieren innere und äußere Spannungen und<br />

cke. Alles ist im Prozess, alles in Bewegung. Ich beginne<br />

Proportionen, menschliche Rhythmen und Bewegungsab-<br />

mit einem Kopf, dann entsteht oft eine ganze Werkgruppe.<br />

Zeigten Deine ersten Ausstellungen bereits Köpfe?<br />

läufe ebenso wie das Verharren in einer Position. Parallel<br />

Es ist wie ein bildliches Denken - ein Gedanke folgt dem<br />

Nein, 1972 in meiner ersten Einzelausstellung in der Wiener<br />

zu meinen reduzierten - abstrakten Arbeiten zeichne ich<br />

nächsten Gedanken. Offen und flexibel zu sein ist wichtig.<br />

Secession stellte ich Landschaften und Steinbrüche aus. Im<br />

seit einigen Jahren Frauen in Bewegung und versuche be-<br />

Ich bewege mich gerne im Experiment!<br />

Krastal stellte ich 1974 Kopf- und Figurenobjekte aus, die<br />

stimmte Positionen durch wenige Akzente und Linien fest-<br />

während des Bildhauersymposions entstanden waren. Mei-<br />

zuhalten, die ich dann später in meinem Atelier oft auch<br />

Ich danke Dir für das Gespräch und Deine Köpfe!<br />

ne erste Kopfausstellung fand 1982 in der Galerie Lang in<br />

überarbeite. Für mich ist die Auseinandersetzung mit der<br />

Wien statt.<br />

Figur, der Bewegung, der Natur wie ein Anker, eine Möglichkeit<br />

nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren, un-<br />

Heliane Wiesauer-Reiterer<br />

Bemaltest Du auch die Holzobjekte?<br />

ter Spannung zu bleiben, mich nicht ständig zu wiederho-<br />

Geb. 1948 in Salzburg, 1948–57 Kindheit und Schule in Buenos<br />

Ja, 1974 baute ich aus Holzbrettern Figuren und Köpfe, die<br />

len, immer wieder nach neuen Wegen zu suchen, Neues zu<br />

Aires/Argentinien, 1957–65 in Marne, Holstein/D. 1965/66 Foto-<br />

ich anschließend bemalte. In diese Werkgruppe gehören<br />

entdecken, den Betrachtungswinkel zu ändern.<br />

lehre in Wien, 1967 Werbefachschule WIFI/Wien und Wiener Kunst-<br />

eben meine ersten Kopfobjekte, die dann im Krastal am<br />

schule. 19<strong>68</strong>–72 Studium an der Akademie der bildenden Künste<br />

Ende eines Bildhauersymposions ausgestellt wurden.<br />

Recherchierst Du zu bestimmten Themen? Z.B. für Dei-<br />

Wien (bei Prof. Gustav Hessing, Diplom). Seit 1970 Mitarbeit am<br />

Vor Jahren fand ich im Steinbruch einen Teil eines vom Blitz<br />

nen Zyklus „Frauen in Pompeji“?<br />

[kunstwerk] krastal und am Aufbau der Werkstätte Krastal. 1982–<br />

©Foto Eva Riebler<br />

getroffenen Baumes, der mich an einen Vogelflügel erinnerte.<br />

Er hatte starke Verbrennungsspuren. Ich barg ihn,<br />

Nein, es ist weniger ein Recherchieren, mehr das Beobachten<br />

meiner Umwelt. Das schreckliche Drama, das in<br />

91 Verwaltung und Ausstellung des Nachlasses von Otto Eder.<br />

2004 Gründung des Vereins FOCUS kunst frei raum, Neulengbach.<br />

Liebe Heliane, Du gestaltest grafisch sehr reduziert,<br />

reinigte und bemalte ihn und gab ihm den Titel „Blauer Vo-<br />

Pompeji passiert ist, hat mich immer sehr beeindruckt und<br />

Lebt und arbeitet in Wien und Niederösterreich.<br />

und doch sehe ich von 1976 bis 2016 immer wieder<br />

gelflügel, Fall durch Zeit und Raum“.<br />

vieles davon ist sicherlich in meine Arbeiten eingeflossen.<br />

www.wiesauer-reiterer.com<br />

Kopfskulpturen aus Stein.<br />

Die dunklen, meist bewegten, aber auch in bestimmten<br />

Mitgliedschaften<br />

Ja, der Kopf, das Zentrum des Denkens, Fühlens und Emp-<br />

Du reduziertest Deine Objekte immer mehr?<br />

Positionen erstarrten Menschen(Frauen)Bilder, die ich vor<br />

Wiener Secession; [kunstwerk] krastal; Kunstforum Salzkammer-<br />

findens hatte für mich immer eine große Anziehungskraft<br />

Nach meiner sehr expressiven Auseinandersetzung wurden<br />

rotem Hintergrund malte, gaben die Assoziation und so<br />

gut, Gmunden; IG bildender KünstlerInnen, Wien; Künstlerhaus Kla-<br />

in der künstlerischen Auseinandersetzung. Mensch-Sein,<br />

meine Arbeiten immer reduzierter und abstrakter. Die Reduk-<br />

entstand der Titel dieser Bilder „Frauen von Pompeji“. Es ist<br />

genfurt; Künstlerhaus Wien<br />

Landschaft und Raum sind seit Anbeginn meine Themen,<br />

tion und Abstraktion ist die Essenz der Dinge. Sie beinhaltet<br />

wie ein Zitat - wie ein logischer Schluss.<br />

Preise, Stipendien<br />

die ich im Laufe der Jahre immer wieder neu und anders<br />

das Wesentliche, das Nebensächliche fällt weg, so auch bei<br />

1973 Förderungspreis der Österreichischen Nationalbank, Wien.<br />

interpretiere.<br />

der Reduktion und Abstraktion von Kopf, Figur, Landschaft,<br />

Im Katalog ist ein Boot abgebildet. Ist es aus Stein<br />

1978 Preis der Bundeshauptstadt Wien beim 16. Österreichischen<br />

Bereits 1977, als mein Vater starb, habe ich mich ganz in-<br />

Raum. Das Erspüren von Intensität, Konzentration, Span-<br />

oder Beton?<br />

Graphikwettbewerb Innsbruck; Arbeitsstipendium der Stadt Wien;<br />

tensiv mit dem Mensch-Sein bildnerisch auseinanderge-<br />

nung, geistigem Inhalt, die Balance der Proportionen, For-<br />

Nein, das Boot ist 2006 aus Papiermaché entstanden. Für<br />

Arbeitsstipendium des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst,<br />

setzt. Von 1977-1984 entstanden immer wieder Werkgrup-<br />

men und Farben untereinander unter Einbeziehung der Ma-<br />

mich hat ein Boot eine starke Symbolik. Ein Boot ist et-<br />

Wien. 1980 Förderungspreis des Bundesministeriums für Unterricht<br />

pen sehr expressiver Zeichnungen, Bilder und Skulpturen.<br />

terialien sind wesentliche Faktoren einer reduzierten oder<br />

was, das einen woanders hinträgt in ein neues Land, eine<br />

und Kunst, Wien. 1982 1. Preis beim Wettbewerb Franz von Assisi<br />

Meine Suche nach einer reduzierten und abstrakteren Zei-<br />

abstrakten Arbeit. Es ist vielleicht am ehesten vergleichbar<br />

bessere Zukunft. Das Boot als Symbol des Überganges, als<br />

heute, Krems. 1984 Arbeitsstipendium der Stadt Wien; Anerken-<br />

Interview<br />

chensprache hatte aber schon um 1973 begonnen und verdichtete<br />

sich im Laufe der Jahre immer mehr.<br />

Bevorzugst Du das plastische Gestalten von Holz- oder<br />

Steinköpfen?<br />

mit der reinen Musik, die sich ja auch aus Rhythmen, Proportionen,<br />

Spannungsfeldern u. a. aufbaut.<br />

Wird nicht die Reduktion für die Betrachter unverständlich?<br />

Hoffnungsträger. Meine Eltern wanderten kurz nach meiner<br />

Geburt mit mir und meiner Schwester aus. Wir fuhren<br />

mit einem Schiff nach Südamerika und kamen nach fast 10<br />

Jahren wieder per Schiff zurück. 2004 wurde ich von Kunst<br />

in der Natur zu einem Symposion nach Gars am Kamp ein-<br />

nungspreis des Landes Niederösterreich. 1985 Preisträgerin der Länderbank<br />

– Galerie Würthle Kooperation, Wien; Förderungspreis des<br />

Landes Niederösterreich. 1987 Arbeitsstipendium der Stadt Wien.<br />

1988 Preis des Landes Salzburg beim 21. Österreichischen Graphikwettbewerb<br />

Innsbruck. 1989 Förderungspreis der Stadt Wien<br />

Interview


6 Köpfe|Mai 2017<br />

Köpfe|Mai 2017<br />

7<br />

©Heliane Wiesauer-Reiterer2006 Köpfe bemalte Holzobjekte1


8 Köpfe|Mai 2017<br />

Köpfe|Mai 2017 9<br />

Bettina Schülke<br />

Eva Riebler besuchte die Künstlerin in Herzogenburg.<br />

Deine Themen sind?<br />

Ich verbinde z.B. das Thema Wasser eng mit der Thematik<br />

Sind es Bilder oder Objekte?<br />

Ich arbeite zwei- und dreidimensional, mit Installationen,<br />

Was sind Deine kurz zusammengefassten künstlerischen<br />

Aussagen, die Du einem Normalsterblichen<br />

des Raumes. Ich sehe Wasser immer im Dialog mit der Um-<br />

mit bewegten und Stillstandsbildern.<br />

mit auf den Weg geben möchtest?<br />

gebung, also als Spiegel. Hier interessiert mich sehr das Ele-<br />

Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass der Mensch<br />

ment der Bewegung und der Prozess zwischen flüssig und<br />

Ist das Haptische beabsichtigt?<br />

den eigenen Blick, das eigene Sehen bewusster wahr-<br />

Eis, also der Übergang der Aggregatszustände.<br />

Ja.<br />

nimmt. Ich versuche den Betrachter dorthin zu führen,<br />

dass er auch die Möglichkeit hat, sowohl den Blickwinkel<br />

Und Du dokumentierst dies?<br />

Darf das Objekt berührt werden?<br />

wie auch die Zeitphase zu gestalten.<br />

Bei manchen Arbeiten beginne ich zuerst mit Fotografie und<br />

Ja. Die Objekte animieren dazu.<br />

Er/Sie hat Bedeutung und Verantwortung!<br />

bearbeite und verwandle diese am Computer, um sie dann<br />

weiterzuentwickeln mittels Malerei und Zeichnung.<br />

Was hast Du in Wien auf der Akademie der Bildenden<br />

Danke für meine Verantwortung!<br />

©Daniel Pergamenschikow<br />

Künste studiert?<br />

Tapisserie, Textiles Gestalten und Malerei. Den Abschluss<br />

habe ich in Tapisserie.<br />

Warum gingst Du dann nach Finnland?<br />

Weil ich in Finnland an einer Fachhochschule und einer<br />

Universität Raum-Zeit und Installations-Kunst unterrich-<br />

Was sind Deine künstlerischen Interessen?<br />

tete. Dadurch erfuhr ich von der Möglichkeit ein künst-<br />

Diese sind eng an meine Forschungsarbeit gekoppelt.<br />

lerisches Doktorat zu machen. Das gab es damals noch<br />

Folgedessen ergeben sich aus dem heraus, meine künst-<br />

nicht in Österreich.<br />

lerischen Interessen. Das zentrale Thema ist die Auseinandersetzung<br />

mit Raum und wie das Thema Raum durch<br />

Das Wesentliche Deiner Doktoratsarbeit wird sein: …<br />

Kunst erforscht werden kann. Das Thema Raum ist weitreichend,<br />

bei dem es sehr viele thematische Zugangsweisen<br />

Wie der Raum in der künstlerischen Ausdrucksweise verstanden<br />

wird. Dafür untersuche ich verschiedene räum-<br />

©Textilfotos Bettina Schülke<br />

gibt.<br />

liche Konzepte und gehe davon aus, dass wir dringend<br />

Und ich bedanke mich für das Interview!<br />

Das räumliche Denken und Sehen und das Erleben, die kör-<br />

ein neues räumliches Konzept brauchen. Der Grund dafür<br />

perlichen Erlebnisse sind Grundlagen meiner Kunst.<br />

sind die neuen technologischen Entwicklungen!<br />

Meine Publikation TRANSACTION as INTERACTION: Art as<br />

an Extended sense of Space erscheint Ende Mai im Acta<br />

Das heißt?<br />

Werden die Ergebnisse großformatig und werden sie<br />

Du meinst…<br />

Universitatis Lapponiensis Verlag.<br />

Ich gehe z.b. vom Blickwickel, von der Bewegung des Bli-<br />

öffentlich präsentiert?<br />

Z.B. der physische Realraum erweitert sich hin zum<br />

ckes im Raum aus und frage: Wie funktioniert das Sehen im<br />

Ja die Werke sind meist großformatig und werden in Ausstel-<br />

virtuellen Raum im Cyberspace. Daraus ergeben sich<br />

Bettina Schülke<br />

Raum? Wie und wodurch verändert sich die Wahrnehmung?<br />

lungen gezeigt. Ein wesentlicher Teil meiner künstlerischen<br />

verschiedene Mischformen, die ich als „Hybrid Spatial<br />

Geb. 1967 in Herzogenburg, wohnhaft Wien, arbeitet an der<br />

Diese Fragen versuche ich mit diversen künstlerischen Me-<br />

Arbeiten ist die Interaktion zwischen Kunstwerk und dem<br />

Realities“ bezeichne. Es handelt sich um ein Practice-<br />

Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Technologie. Zahl-<br />

dien und Techniken zu bearbeiten.<br />

Betrachter.<br />

based research, d.h. mein eigener künstlerischer Pro-<br />

reiche Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen, z. B. 2.<br />

zess und die Kunstwerke selbst bilden die Grundlage für<br />

Thessaloniki Biennale, GR; Winkelhaak Design Museum, Antwer-<br />

Welche wären das?<br />

Ist das Werk ohne Betrachter nicht komplett?<br />

die Forschungsarbeit. Ich forsche über meinen eigenen<br />

pen, BE; Kemi Art Museum, Lume Mediakeskus, Helsinki; Arkti-<br />

Ich verwende traditionelle Techniken wie Zeichnung und<br />

Es sind zwei Dinge. Bei manchen Arbeiten spielt der Betrach-<br />

künstlerischen Prozess und spiegle diesen mit wissen-<br />

kum Museum and Arctic Science Centre, Rovaniemi, FI; MAK-nite<br />

Malerei und die neuen Medien wie digitale Fotografie, Com-<br />

ter insofern eine wesentliche Rolle, weil er die Arbeit erst<br />

schaftlichen Theorien und belege die künstlerischen Er-<br />

(Österreichisches Museum für angewandte Kunst/Gegenwarts-<br />

Interview<br />

puter und Video.<br />

Getrennt von einander?<br />

Dadurch dass ich mich so vieler verschiedener Medien<br />

beim selben Thema bediene, habe ich das künstlerische<br />

Konzept von Transaction entwickelt. Die prozessorientierte<br />

Arbeitsweise ist charakteristisch.<br />

animiert. Und zwar durch die physische Bewegung im Raum,<br />

wie es bei interaktiven Installationen der Fall ist. Meine<br />

Stereoscopic Textile Images sind erst durch die Bewegung<br />

des Betrachters im Raum in ihrer gesamten Erscheinung<br />

vollständig erfahrbar. Dadurch ergeben sich verschiedene<br />

Bildinhalte je nach Blickwinkel. Dass es zu einer räumlichen<br />

Erfahrung kommt, bedarf es der Bewegung.<br />

gebnisse.<br />

Z.B. arbeite ich mit Theorien von Michel Foucault oder<br />

Henri Lefebvre, oder eines der künstlerischen Projekte<br />

baute auf dem frühen Science Fiction Roman „Flatland: a<br />

romance of many dimensions“ von A. Edwin Abbott 1884<br />

auf. Das nimmt Bezug auf die Schwierigkeit, höhere Dimensionen<br />

zu verstehen.<br />

kunst), Wien, AT, oder Textilarbeiten im österreichischen Pavillion<br />

bei der 8. Architektur Biennale in Vendig, IT- Teilnahme und Präsentationen<br />

an Konferenzen, Workshops, Festivals, internationale<br />

kollaborative Projekte, Lehrtätigkeit in Finnland und Österreich.<br />

Ende Mai erscheint die Publikation ihrer Forschungsarbeit (Dissertation)<br />

TRANSACTION as INTERACTION: Art as an Extended<br />

Sense of Space, an der University of Lapland, FI.<br />

Interview


10 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 11<br />

Jochen Peichl<br />

Ist das Bauchgefühl so was wie das innere Kind?<br />

Macht und Ohnmacht im Leben und Belastungssituationen<br />

Gewalt ist ein Teil der Gesellschaft und wird sich daher<br />

Interview mit dem Therapeuten Jochen Peichl anlässlich<br />

Das Bauchgefühl ist Intuition und das innere Kind ist der kreative<br />

Anteil.<br />

nennen wir traumatisch, wenn sie hilflos machen. Hilflosigkeit<br />

geht einher mit dem Ausgeliefertsein. Das sind die<br />

auch in unseren Bildern ausdrücken.<br />

seines Malseminars in der alten Saline Bad Reichenhall.<br />

Über das innere Kind und das Bauchgefühl, über Macht und<br />

Ohnmacht und …- Text und Fotos Eva Riebler<br />

Aber Kreativität ist doch…<br />

Kreativität bringen wir mit. Es kommt auf die Förderung drauf<br />

drei typischen Gefühle für eine Traumaerfahrung!<br />

Und unser Gehirn ist eine Überlebensmaschine, alles was<br />

das Hirn tut, zielt darauf ab, zu überleben und sich anzu-<br />

Siehst Du den Psychologen Dr. Navradil aus der Anstalt<br />

Gugging als Vorreiter?<br />

Ja, die Patienten hatten keine Worte dafür und drückten in<br />

an, ob die Intuition oder die motorische Begabung gefördert<br />

für uns unfassbaren Bildern dies aus.<br />

wird. Malen hat etwas damit zu tun, dass z.B. das Spritzen, der<br />

Gestus etc. in Bewegung umgesetzt werden kann. Bewegungs-<br />

Bildinterpretation ist so eindimensional, finde ich,<br />

begabung hat die Möglichkeit der Umsetzung beim Malen, z.B.<br />

wenn der Maler viel Schwarz verwendet und der Be-<br />

Wenn wir therapieren, bauen wir mit Stühlen einen Raum: Wir<br />

trachter ihn fragt: Haben sie eine Depression?<br />

gestalten außen den Innenraum. Das Räumliche wirkt zurück<br />

Die moderne Hirnforschung zeigt uns, dass es eigentlich<br />

in die Seelenlandschaft. Deshalb kann Kunst die Seele heilen!<br />

keine Wahrnehmung gibt, sonder nur Wahrgebung!<br />

„Alles Seelische ist räumlich strukturiert“, sagt z.B. Gunther<br />

D. h. die Welt um uns herum ist vermutlich farblos grau,<br />

Schmidt.<br />

die Farben entstehen erst durch die Interpretation unseres<br />

Gehirns mittels Nervenimpulse, die durch die elektroma-<br />

Punkto Trauma sagst Du …<br />

gnetischen Wellen beim Sehvorgang angeregt werden!<br />

Wenn du eine Verletzung erlebt hast und malst, und jemand<br />

Ja eine Konstruktion des Gehirns, die so oder auch anders<br />

Du bist Psychotherapeut der inneren Welten. Wie<br />

muss/kann man sich das vorstellen?<br />

Ich habe 20 J. die Traumatheraphie in Nürnberg geleitet.<br />

Ich interessiere mich einfach dafür, was im Inneren eines<br />

Menschen passiert. Es gibt die Bühnenmetapher: die innere<br />

Bühne im Gegensatz zu der im Burgtheater. Im Inneren<br />

betrachtet das Bild, in dem Moment gibt es Zeugenschaft z.B.<br />

das abgehauene Ohr von Vincens van Gogh. Die Verweigerung<br />

von Zeugenschaft, oft durch die Mutter, schafft Wortlosigkeit,<br />

Leere.<br />

Beus machte die Aktion „zeigt her eure Wunden“. Er hat eine<br />

traurige Bio, denn in Russland wurde er abgeschossen und hatte<br />

starke Brandwunden am ganzen Körper. Seine Heilung war<br />

passen! Und wenn ich traumatischen Erfahrungen immer<br />

wieder ausgesetzt bin und weder flüchten noch kämpfen<br />

kann, was kleine Kinder ja nicht können, dann ist es eine<br />

Überlebensstrategie, sich in das Denken, Handeln und<br />

Planen eines Täters hineinzudenken, um eine gewisse<br />

Form von Überlebensstrategie zu entwickeln. Dieser ver-<br />

sein könnte!<br />

Es gibt den schönen Spruch, dass, wenn ein Bild pervers<br />

betitelt wird, dies mehr über den Betrachter als den Künstler<br />

aussagt! Die Schönheit liegt immer im Auge des Betrachters!<br />

Alles, was ist, ist nur eine Möglichkeit!<br />

ist man selber Regisseur, aber manchmal tun die Teile nicht<br />

das, was sie sollten und dann kommen Teile auch vorne<br />

an den Bühnenrand und machen Sachen. Z.B. der /mein<br />

das Einpacken in Schmalz. Das waren Wärmeträger, das war<br />

seine Überlebenserfahrung …<br />

zweifelte Versuch hat nur einen Nachteil: Durch die sog.<br />

Spiegelneuronen im Gehirn nehmen wir den Täter und sein<br />

Denken in uns auf und so nistet sich der äußere Täter als<br />

Ich danke Dir, lieber Jochen für das interessante Gespräch!<br />

Maler kommt nach vorne, der hat Wünsche sich auszudrü-<br />

Ego-Therapie, wie soll man sich das vorstellen?<br />

innerer Feind in uns ein. Und bedroht uns jetzt von innen,<br />

cken, was der erwachsene Jochen mit 67 erst einmal ver-<br />

Ego State Therapie, ist auf Deutsch die Teiletherapie. Die Grun-<br />

auch wenn das äußere Trauma schon längst vorbei ist.<br />

wunderlich findet.<br />

didee ist, dass unser Selbst nicht aus einer einheitlichen Struk-<br />

Jochen Peichl<br />

tur besteht.<br />

Der gute Therapeut erkennt und versucht zu erklären?<br />

FA für Psychotherapie und Psychosomatische Medizin, Psychiatrie<br />

Ist das der Begriff inneres Kind oder schon Täter?<br />

Unser Selbst besteht aus Modulen, aus Anteilen, die bilden<br />

Ja jedes Opfer hat eine potentielle Seite auch Täter zu wer-<br />

und Neurologie; bis Ende 2010 als OA in der Klinik für Psychoso-<br />

Nein, da können auch kindliche Seiten von mir nach vorne<br />

sich im Laufe deiner Entwicklung, die meisten in der Kindheit,<br />

den, was für viele Menschen erklärt, warum sie manchmal<br />

matik am Klinikum Nürnberg; jetzt in eigener Kassenpraxis, als<br />

kommen, ganz spielerische, vielleicht haben sie einen ganz<br />

wo du einordnest. Durch die Erzählgeschichte, die du über dich<br />

Dinge tun, die sie auf alle Fälle immer vermeiden wollten,<br />

Weiterbilder in Teiletherapie und Autor tätig. Meine Arbeitsschwer-<br />

romantischen Harmoniewunsch, der sich dann ausdrücken<br />

selbst erfindest, wird das manifestiert. Über die Jahre bilde ich<br />

auch machtvoll gegenüber Schwächeren auftreten, die<br />

punkte sind Somatoforme Störungen, Borderline-Störungen und<br />

möchte. Dann kommt so ein kleiner Rebell und haut mit<br />

eine Korporate Identity. Je mehr du davon hast, desto interes-<br />

eigenen Kinder schlagen, auch wenn man selbst massiv<br />

traumaassozierte Störungen. Weiterbildung als Psychoanalytiker<br />

Rot dazwischen!<br />

santer bist du als Mensch.<br />

geschlagen wurde, und sich immer vorgenommen hatte,<br />

am Lou-Andreas-Salome Institut Göttingen, Psychodramathera-<br />

Du bist nicht so eindimensional! „Wenn du nur einen Hammer<br />

dass einem so etwas nicht passiert.<br />

peut und Gruppentherapeut. Gründer der Station zur Behandlung<br />

Ich favorisiere immer den, der dazwischen haut! Und<br />

hast, ist die Welt nur ein Nagel“, sagt Yalom.<br />

So kann das Tätersein in der Gesellschaft transgenerativ<br />

von Menschen mit Traumafolge-Störungen 1993 in Nürnberg, Wei-<br />

Du?<br />

weitergegeben werden, wenn wir uns vorstellen, dass eine<br />

terbildung in EMDR-Therapie bei Arne Hofmann, in Ego-State-The-<br />

Interview<br />

Das macht auch viele Bilder erst spannend und interessant.<br />

Und die Bilder sind ja der Ausdruck der inneren Welt und<br />

der Bühne. In den Werken ist versteckt, wie es im Inneren<br />

zugeht.<br />

Es herrscht das Harmoniebedürfnis oder das Chaos vor …<br />

Das heißt man ist selber der Autor seines Selbst?<br />

Ja genau und damit auch der Maler seiner Bilder.<br />

Wo bleibt der Hilflose oder Tatenlose?<br />

Jeder von uns macht mehr oder weniger Erfahrungen von<br />

2014 gemachte europaweite Gewalt-Studie an Frauen gezeigt<br />

hat, dass 40 % aller Frauen bis zum 16. Lebensjahr,<br />

Gewalt erlebt haben. Davon 14 % juristisch verfolgbare Gewalt.<br />

In Deutschland gehen wir davon aus, dass 10% aller<br />

Kinder Gewalt erlebt haben.<br />

rapie bei Woltemade Hartman und Hypnotherapieweiterbildung bei<br />

Gunther Schmid und Bernhard Trenkle. Autor mehrerer Bücher und<br />

Fachartikel zum Thema: Hypnotherapeutische Arbeit mit inneren<br />

Anteilen. Gründer des Instituts für Hypno-analytische Teilearbeit<br />

und Ego-State-Therapie in Nürnberg 2010.<br />

Interview


12 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 13<br />

Labinsac<br />

lichkeit zu platzieren. Konfrontiert wird er erstmals in sei-<br />

Ich sehe mich als StreetArtKünstler, als jemand, der Kunst<br />

noch viel mehr bei uns Künstler. Aber sag niemals nie…<br />

ner Schule in St.Pölten mit Street Art und Künstlern wie<br />

im öffentlichen Raum macht, die durchaus anregen darf zum<br />

Susanne Klinger sprach mit Labinsac, einem scheuen<br />

Jean Michel Basquiat. Durch Susanne Kysela (damalige<br />

Nachdenken. Leider ist ja StreetArt zum Schimpfwort gewor-<br />

In Wien sind Graffitis aus dem Stadtbild eigentlich nicht<br />

St.Pöltner Spray – Künstler.©Foto Susanne Klinger<br />

Vizebürgemeisterin) erfährt er wohlwollende Unterstüt-<br />

den, was meiner Meinung nach völlig zu Unrecht passiert.<br />

mehr wegzudenken obwohl es immer noch ein kon-<br />

zung. Von 2003 bis 2007 arbeitet er in seinem eigenen<br />

troverses Thema ist oder vielleicht grad deswegen –<br />

Atelier, das sich im Backstagebereich vom frei:raum<br />

Where?<br />

St.Pölten braucht da länger?<br />

St.Pölten befand.<br />

Zur Zeit gibt’s keine aktuelle Ausstellung wobei, einen Labin-<br />

Es braucht die Rahmenbedingungen und letztendlich die Ju-<br />

Stadtmuseumsleiter Thomas Pulle erkennt sein Potenti-<br />

sac findet mann/frau in St.Pölten wenn er/sie mit offenen<br />

gendlichen, die es ausüben und das mit einer Leidenschaft.<br />

al. Es wird eine Ausstellung „a.e.r.o.s.o.l.i.u.m. cetium –<br />

Augen durch die Stadt marschiert, zum Beispiel in der Ein-<br />

Wir leben in einer Knopfdruckgeneration – Graffiti braucht<br />

st pölten sprüht. labinsac goes Wolf“ im Stadtmuseum<br />

kaufszone in der Promenade oder in der Kremser Straße …….<br />

Zeit und die Auseinandersetzung; es ist nicht nur rausgehen<br />

eingerichtet. (2013) Teile der Ausstellung findet man im<br />

Oder auf der Homepage, wo viele Arbeiten zu sehen sind.<br />

und ne Wand ansprühen und fertig.<br />

Stoagartl/Einkaufszentrum Promenade.<br />

Namen wie James Hetfield ( Frontman von Metallica); Liam<br />

Hak-Art 2016 ist eines seiner letzten Projekte in St.Pölten:<br />

Gallagher (Leadsänger von Oasis); Herold Hunter (US Skater<br />

Im Interview von Andreas Reichebner 06/2013 mit dem Titel<br />

Labinsac begleitete eine Klasse mehr als ein Jahr mit<br />

und Schauspieler) Frenk Schinkels (Fußballer); Armin Wolf<br />

„Der Mann mit dem scharfen Messer“ meintest Du: „Was<br />

einem Graffiti Projekt. Präsentation erfolgte zum Schul-<br />

(Österreichischer Journalist); Julian Assange (Journalist und<br />

ich mir wünschen würde, dass heimische, aktuelle Künst-<br />

schluss 2016. Geplant ist eine Fortsetzung dieses erfolg-<br />

politischer Aktivist); Marylin Monroe (US Schauspielerin);<br />

ler mehr in die Vermarktung, beim Image geben der Stadt<br />

reichen Projekts mit der HTL.<br />

Rodney Hunter (Elektronik-Musiker) usw.<br />

miteinbezogen werden. Für die Kids ist St. Pölten nicht cool.<br />

Die Schüler erarbeiteten selbst das Thema und waren mit<br />

Gerade eine Kunstszene, die pulsiert, die der Jugend etwas<br />

Feuer und Flamme dabei (StencilGraffiti ist eine Unter-<br />

Alles Auftragsarbeiten oder Menschen, die Dich durch<br />

zu sagen und zu bieten hat, kann da der Stadt ein ganz an-<br />

kategorie der Graffiti-Kunst bzw. Street-Art.) Anmerkung<br />

Ihr Sein inspirierten oder anders - Warum diese Men-<br />

deres Image geben.”<br />

von Labinsac: „StencilArbeiten sind insofern schwierig,<br />

schen?<br />

Ja, dazu muss man aber Rahmenbedingungen schaffen, wie<br />

weil Sie thematisch vorweg „auf den Punkt gebracht wer-<br />

Teils, teils. Liam Gallagher war zum Beispiel eine Sticker Ak-<br />

es zum Beispiel in Wien passierte mit der „Wiener Wand“.<br />

den müssen.“<br />

tion beim „Frequenzy Festival“, andere haben mich einfach<br />

(Wienerwand. Im Rahmen des Projektes Wienerwand bietet<br />

Ich hab` dir 3 Fragen von deiner Homepage quasi gestohlen<br />

angesprochen und es gab und gibt auch immer wieder Auf-<br />

die Stadt Wien jungen KünstlerInnen aus der Graffitiszene le-<br />

(siehe Google: labinsac)<br />

tragsarbeiten.<br />

gale Flächen an).<br />

How?<br />

Hast du jemals schon Strafe zahlen müssen?<br />

Jean Michel Basquiat sagte mal : „believe it or not, I can<br />

„Labinsac “, Dich um ein Interview zu bitten, hat mich natür-<br />

Begonnen hab ich mit der klassischen Spraydose und dann<br />

Na genug….in früheren Zeiten….<br />

actually draw”. Kannst du nachvollziehen, was er da-<br />

lich dazu veranlasst, viel zu recherchieren; nichts geht über eine<br />

kamen die Einflüsse von außen und ich hab quasi auch deren<br />

mals mit dieser Aussage „eigentlich“ sagen wollte?<br />

gute Vorbereitung.<br />

Ideen aufgeschnappt und versucht umzusetzen, und das mit<br />

Und nun ein bisschen was Persönliches. Gibt’s ein Lieb-<br />

Unwissende meinen ja immer noch, Graffiti ist einfach ein<br />

Ich kam dabei vom „Hundertsten ins Tausendste“. Unglaublich<br />

Leidenschaft. Selbst auferlegte Einschränkungen im Kopf:<br />

lingsbuch?<br />

Sprühen mit der Farbdose und das kann jeder. Mit der Dose<br />

spannende Biographien, die ich gelesen hab`, vor allem die von<br />

(….so einer wie Banksy kannst eh nicht werden…hab ich so-<br />

Nicht eines sondern mehrere. Zurzeit beschäftigt mich Ro-<br />

umgehen ist nicht so einfach und da sind wir noch gar nicht<br />

Jean Michel Basquiat, aber auch von Blek the Rat…<br />

fort umfunktioniert, indem ich meinen eigenen Stil kreierte:<br />

berto Saviagno (italienischer Schriftsteller); Michael Köhlmei-<br />

bei dreidimensionaler Technik. Ich empfehle jedem, der die-<br />

Einen winzig kleinen Einblick zu bekommen in die Gedanken-<br />

„Nicht kopieren, sondern höchstens als Inspiration für Eige-<br />

er (österreichischer Schriftsteller) und auch immer wieder<br />

sen geringschätzigen Gedanken in sich trägt, einen Versuch<br />

welt eines Graffiti-Künstlers, war es allemal wert, mich damit<br />

nes benutzen“, war die Devise. Irgendwann wurde aus der<br />

Jean Ziegler( Schweizer Soziologe und Sachbuchautor).<br />

zu starten und mit einer Spraydose ein Bild zu sprayen, voi-<br />

auseinanderzusetzen.<br />

Leidenschaft eine Profession; da hab ich auch begonnen,<br />

lá….! Als Graffitikünstler brauchst du die Idee des Zeichners<br />

Künstlerisch ist Labinsac drangeblieben, an dem, womit er sich<br />

meine ersten Buchstaben aus Zeitungen auszuschneiden.<br />

Aus einem früheren Interview konnte ich rauslesen,<br />

in dir!<br />

identifizieren kann und wovon er gleichzeitig weiß, dass der so-<br />

Wobei, meine ersten Stencils hab ich selbst gezeichnet und<br />

dass Du eine Einladung von der Stadt Mexico City erhal-<br />

genannte „mAINstreAM“ oder auf gut österreichisch der Mas-<br />

vielleicht beginne ich diese Idee wieder aufzunehmen und<br />

ten hattest, dort künstlerisch tätig zu werden. Bist Du<br />

Was sagst Du zur Kunstszene in St.Pölten?<br />

sengeschmack nicht „dranhängt“. Nur Kenner und Liebhaber<br />

daran weiterzuarbeiten.<br />

dieser Einladung gefolgt?<br />

Es gilt Rahmenbedingungen zu schaffen, wie z.B. eine zeitge-<br />

der Graffitikunst interessieren sich für Ausstellungen dieser Art.<br />

Die Rahmenbedingungen waren zur damaligen Zeit (auch<br />

nössische kleine Galerie im Zentrum, die ausschließlich die<br />

Interview<br />

Das Gespräch mit Dir, Labinsac, war allemal inspirierend für<br />

mich.<br />

„Wolf“ beginnt unter dem Künstlerpseudonym „labinsac“<br />

Mitte der achtziger Jahre sein erstes Graffiti in der Öffent-<br />

Why?<br />

Ich bin vom Naturell her jemand, der Herausforderung sucht.<br />

Graffiti hat mich damals sofort angesprochen, wobei zu Jugendzeiten<br />

die Illegalität ein gewisser Kick war und natürlich<br />

auch der damit verbundene Ausdruck von Protest.<br />

aus familiären Gründen heraus) nicht optimal. Für mich persönlich<br />

wäre es eine ziemliche Herausforderung gewesen.<br />

Sprayer in Rio de Janeiro sind „anders“ unterwegs wie zum<br />

Beispiel Sprayer bei uns oder in New York. Ein mediterraner<br />

Einfluss ist einfach spürbar im Wesen eines Menschen und<br />

neue St.Pöltner Kunstszene „featured“ bzw. Budgetmittel zur<br />

Verfügung zu stellen, z.B. für die Etablierung von „Artist in<br />

Residence Projekte“, um die Möglichkeit zu schaffen auch<br />

internationale KünsterInnen nach St.Pölten zu bringen. Und<br />

vor allem: Mehr Kunst im öffentlichen Raum St.Pölten!<br />

Interview


14 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 15<br />

Romana Maria Jäger<br />

Wie weit coacht Du dich selber?<br />

peut. Manches Mal lasse ich meine Klienten selbst Collagen<br />

Gebiert auch der emotionale Schmerz Kreativität?<br />

Mit Kleister und Schere<br />

oder Ästhetik überall!<br />

Ja ich bin Autodidaktin, hole mir aber fachspezifische<br />

Meinungen von Kollegen, z. B. vom jungen Schorn, er ist<br />

Kunsthändler, etc.<br />

machen und dadurch kommen diese in eine Interaktion mit<br />

ihren eigenen Wünschen, Gedanken, Träumen etc.<br />

Wenn es mir schlecht geht, schreibe ich kurze Prosa<br />

oder Gedichte oder in mein Tagebuch. Ich war Lesende<br />

am Tagebuchtag der LitGes 2016.<br />

Was ist „Outside-Art“?<br />

Über das Basteln von Köpfen. Das Interview mit der St.P.<br />

Wie weit sind Deine Werke absichtslos entstanden?<br />

Durch die Computerisierung ist die Kunst und die Aus-<br />

Erlebtest Du eine grausame Enge im kindlichen All-<br />

Künstlerin/Coacherin, die mit der Schere Versatzstücke aus<br />

Ja sicher zu 90 %, grundsätzlich also entstehen die The-<br />

stattung von Wohnräumen schon so weltfremd, unreal,<br />

tag?<br />

diversen Zeitschriften/Magazinen schneidet und sie zu neuen<br />

Zusammenhängen fügt/aufklebt, führte Eva Riebler.<br />

men aus dem Prozess heraus, z. B. arbeite ich jetzt im<br />

Frühjahr über Collagen-Kunst im Garten. Die Collagen<br />

durchdesignt geworden.<br />

Nein, aber das kleinbürgerliche Gefängnis hat dafür gesorgt,<br />

dass ich mich nicht als Subjekt wahrgenommen<br />

Im Rathaus St.P. waren ihre Werke unter dem Titel: „Die Viel-<br />

sind nicht alle auf und aus Papier, sondern werden z.T.<br />

Du meinst die Outside Künstler sind am Weg nach<br />

habe. Ich kam als Künstlerseele zur Welt und wurde ein-<br />

fältigkeit der schönen Frau“ gemeinsam mit den Fotos der<br />

gedruckt auf Aluplatten und diese werden direkt in Bäu-<br />

etwas Neuem, wie z.B. Picasso, Magritte?-<br />

gesperrt in diese Enge.<br />

St.P.ner Fotografin Gerda Jaeggi-Christ bis Ende April zu se-<br />

me gehängt oder auf Gitter montiert.<br />

Ja das ist meine Linie! René Magrittes Ölgemälde von<br />

hen. Jaeggi-Christ dokumentierte den Weg der Schaufenster-<br />

1929 „das ist keine Pfeife“ war nicht mein Vorbild, son-<br />

puppe Helena, Konfektionsgr. 42, durch die Modegeschäfte.<br />

dern ich machte eine Serie „This is not a cow“ und fand<br />

Danke für das Gespräch!<br />

dann einen Artikel über Margritte.<br />

Alles ist schon einmal da gewesen. Was macht Deine<br />

Kunst außergewöhnlich oder einzigartig?<br />

Vielleicht meine Intelligenz und meine rasche Umsetzung.<br />

Mein Gehirn, mein Blick sind wie ein Computer, oben wird<br />

die Frage eingegeben und unten kommt sie raus.<br />

Du abstrahierst rasch?<br />

Genau!<br />

Warum spielt die Perspektive kaum eine Rolle in Deinen<br />

Werken?<br />

Die Perspektive kommt genauso ins Spiel als Gestaltungsmöglichkeit.<br />

Ein Rahmen, ein Schatten oder Worte geben<br />

dem Bild oft erst den Sinn. Meine Worte sind treffsicher!<br />

Ich habe immer konkrete Botschaften!<br />

Du hast pro Bild eine eigene Bildfindung.<br />

Ja immer.<br />

Romana.Maria.Jäger<br />

Outside Art Künstlerin – geboren 1963 in Wilhelmsburg, Trainerin<br />

Kann man die Bildfindung als Kampf bezeichnen?<br />

in der Erwachsenenbildung, Lebens- und Sozialberaterin, Autorin,<br />

©Fotos Eva Riebler<br />

Nein, überhaupt nicht. Es ist eine Befreiung, eine subjektive<br />

Hinwendung zu mir selber.<br />

Die Künstlerin gestaltet Collagenbilder, designet Wohnräume (mit<br />

künstlerischen Unikaten), Gärten (mit Kunst&Pflanz), arbeitet als<br />

Hast Du Vorbilder?<br />

Und die Objekte, z. B. Köpfe sind dreidimensional?<br />

Gib mir eine Aufgabe – so finde ich die Lösung!<br />

freie Beraterin für künstlerische Gestaltungen in Firmen und im<br />

Im Prinzip hatte ich lange keine, weil sich meine Werke<br />

Nein, nur auf Papier oder eben Platte, die auf Baustellen-<br />

öffentlichen Raum, kuratiert Ausstellungen und Events, schreibt<br />

aus sich selber entwickelt haben. Ich verwende haupt-<br />

gitter montiert wird. Darunter z.B. wird Hopfen oder eine<br />

Wie schaut es aus mit Beobachtung/Analyse/ Um-<br />

Bilderbücher für Erwachsene.<br />

Interview<br />

sächlich Magazine, Werbeprospekte und reiße/schneide<br />

Teile von Fotos/Bildern heraus. Der italienische Collagenkünstler<br />

Mimo Cotello nennt dies Decollagen.<br />

D. h. etwas ist bereits gestaltet (Fotos/Bilder) und wird von<br />

mir neu thematisiert.<br />

Hänge-, Kletterpflanzen gesetzt, die sich hochrankt.<br />

Bezeichnest Du Dich als Gestaltungstherapeutin?<br />

Grundsätzlich nicht! Im Prozess entsteht ja eine Reflektion<br />

mit mir selber. Ich glaube, jeder Künstler ist ein Selbstthera-<br />

setzung als Weg?<br />

Die Inspiration ist meine Grundlage! Ästhetische Kunstwerke<br />

oder die Natur, Architektur etc.. sind Quelle der<br />

Inspiration. Ich höre gerne der Stimme André Hellers zu<br />

oder ich lese, um inspiriert zu werden.<br />

Ausstellungen seit 2014 Blindenmarkt (Kunst im Rohbau), Fürstenfeld<br />

(Galerie im alten Rathaus), Traismauer (Schloss), St. Pölten<br />

(Rathaus / NV Center) Demnächst eigene WohnArtGalerie,<br />

Schneckgasse 24 St. P. als Galerie moderner, leistbarer Kunst und<br />

Raum der kreativen Begegnung. Instagram_follow-denkkunst.ro<br />

Interview


16 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 17<br />

Helmut Seethaler<br />

Wickeln wegen der Museumsquartier-Sache [2010], als<br />

das Marianisten-Gymnasium gingen nur Bübchen von<br />

ich sie anfangs dort verteilt habe, mit Durchschlägen<br />

Ich bin mein eigenes Medium<br />

ich hunderte Anzeigen bekommen hab’, da erschienen<br />

sehr viele Berichte über mich. Was mich damals schwer<br />

der mittleren ÖVP-Szene. Die war sauteuer, aber weil wir<br />

arm waren – mein Vater war Schaffner, meine Mutter<br />

geschrieben und verteilt. Es war – das ist ein bisschen<br />

peinlich, entschuldigen Sie –, eine Methode, Frauen an-<br />

verunsichert hat, war, dass in den Zeitungen, die mich<br />

Hausfrau –, bekam ich sie gratis, extern.<br />

zuquatschen. Wenn ich Gedichte verteilt hab’, fielen die<br />

Seit 43 Jahren klebt Helmut Seethaler im öffentlichen Raum<br />

früher mit „Najoo, pfff, des is’ schlecht!“ abgetan haben,<br />

ungebildeten Mädchen gleich weg. Das klingt frauen-<br />

Pflückgedichte auf, die im Vorbeigehen zum Nachdenken<br />

plötzlich stand, meine Gedichte seien gut geschrieben.<br />

Besser extern als intern, oder?<br />

feindlich, aber es fielen auch die blöden Buben weg, also<br />

anregen. Diese Aktivität hat ihm mehr als 4000 Anzeigen<br />

Und am Land, wo ich zur Hälfte herkomm’, ist’s so, wenn<br />

Ja. Ein Monat lang war ich halbintern und es hat mir nicht<br />

jene Leute, die ich heute umso mehr erreichen will, weil<br />

eingebracht, obwohl er gesetzlich an deren Ausübung nicht<br />

Österreich oder die Kronenzeitung schreibt, du bist ein<br />

gefallen – das Essen! Also war das für mich eine normale<br />

die Leut’ ja oft echt nicht deppert sind, sondern nur dep-<br />

gehindert werden darf: Artikel 17a des Staatsgrundgesetzes<br />

guter Künstler, dann bist du ein guter Künstler. Sehr ver-<br />

Schule und man hat mich dort akzeptiert. Ich hab’ nie<br />

pert gemacht werden. Es freut mich am meisten, wenn<br />

schützt die Freiheit des künstlerischen Schaffens, die Ver-<br />

störend. Inzwischen habe ich ein neues Medium, Face-<br />

gemerkt, dass ich Unterschicht bin und die die Reichen.<br />

die Leute mit einem Gedicht in der Hand sagen: „Heast,<br />

mittlung von Kunst und deren Lehre. Dabei wird laut ei-<br />

book. Das ist eine Art Gegenöffentlichkeit. Vernünftig<br />

Ab Ende der Unterstufe und in der Oberstufe war ich im-<br />

bist du des gwesen? I hob’s do vorn gfunden!“ Wenn ich<br />

ner Grundsatzerkenntnis des Obersten Gerichtshofes von<br />

gebraucht ist Facebook wirklich nützlich, um einzugrei-<br />

mer Klassensprecher und zweiter Schulsprecher. Aber<br />

den Leuten, die sonst nicht lesen, entgegengehe – wenn<br />

einem offenen Kunstbegriff ausgegangen, der neben den<br />

fen. Wenn ich ein Foto von einem Tatort mache und es<br />

in der 7. Klasse hab’ ich in jedem Fach „Unbeurteilt“<br />

ich ihre Wege begehe, sie beschreibe und das dann hin-<br />

traditionellen Werkgattungen auch unkonventionelle und<br />

online stelle, dann sehen es in einer Stunde ungefähr<br />

bekommen, weil ich kaum dort war. Ich hab’ fast 1000<br />

picke – und wenn dann keine Tramway kommt, passiert<br />

experimentelle Formen einbezieht (OGH 8ObA15/08a). Der<br />

Zettelpoet erzählte Gisella Linschinger und Philipp<br />

Schmickl im Café Vindobona von seiner Schulzeit, gro-<br />

hundert Leute in Purkersdorf, Linz und New York. Und<br />

seit Neuestem kann ich eine Lesung aufnehmen und<br />

davon ein Video auf Facebook stellen. Dann können<br />

Fehlstunden gehabt, weil ich lieber spazieren gegangen<br />

bin. Ich hab’ aber gesagt, ich wiederhol’ die Klass’ gern,<br />

weil das so eine Art Weichenstellung für mich war. Da-<br />

Folgendes: „Aha, was ist denn das? Das ist von keiner<br />

Partei, auch keine Werbung...“ Und manchmal sehen sie<br />

mich und fragen: „Hast noch ein paar?“ Die Leut’ lesen<br />

bem Unfug und der gewista.<br />

mich die Leute auch hören. Andererseits machen mich<br />

mals hab’ ich überlegt: „Was will ich machen? Matura<br />

nie was. Aber das schon, weil ich ihnen eine kleine Dosis<br />

manche auf Facebook voll runter. Ist ihr Recht, jo, tut<br />

machen ja, aber nicht gleich.“ Ich wollte einfach herum-<br />

geb’.<br />

mir aber schon weh, jo. Der Höhepunkt war ein Satz im<br />

gehen, herumfahren. Mein Vater ist gestorben, als ich<br />

Online-Standard: „Er kann nur ein guter Autor werden,<br />

14 war, aber ich konnte bis 27 mit der Bahn fast gratis<br />

Das Reduzieren ist also eine wichtige Arbeitsweise<br />

wenn er keinen Satz mehr so schreibt wie bisher.“<br />

fahren. Und damals bitte – meine Töchter schimpfen eh<br />

für Sie?<br />

mit mir –, hat es genügt, auf der Uni zweimal im Jahr<br />

Genau. In wenigen Sätzen einen Gedanken formulie-<br />

Wann haben Sie angefangen zu veröffentlichen?<br />

zu inskribieren, und mit der Studienbestätigung hab’ ich<br />

ren, um die Leute in der kürzestmöglichen Zeit zu er-<br />

Meine ersten 72 schwachen Texte hab’ ich mit neun-<br />

freie Fahrt für die Straßenbahn, eine Halbwaisenrente<br />

reichen. Neulich hab’ ich wieder ein Mail bekommen:<br />

zehn zufällig verschickt. Eine Jugendsünde. Wolfgang<br />

und die Kinderbeihilfe gekriegt. Bis 27. Obwohl ich kaum<br />

„Geh, pick’ doch wieder auf der Friedensbrücke was an,<br />

Kraus schlug vor, ein Bändchen beim Europa-Verlag zu<br />

auf der Uni war. „Das hast du uns verdorben, Papa!“ Jo,<br />

es ist alles weg!“ Die gewista fetzt es manchmal herun-<br />

machen. Das war ein Frühstart, nicht gut, aber gekriegt<br />

eh. Ich hab’s echt ausgenützt. Es war ja legal. Und dann<br />

ter. Einmal hat mich ein gewista-Typ erwischt und mir<br />

hab’ ich dafür 20.000 Schilling. Meine Mutter hat ge-<br />

haben sie’s verschärft, das geht so nicht mehr.<br />

drei Tritte in den Hintern gegeben. Ich hab’ ihn nicht<br />

sagt: „Für den Bledsinn kriegt er a Geld und kann davon<br />

angezeigt, sondern die APA informiert und dann waren<br />

leben?“ [lacht] Meine Verwandten sind sehr sympathisch<br />

Wie haben Sie begonnen, sich für Literatur zu inte-<br />

sieben Berichte in den Medien. Auch die Stationswarte<br />

und harmlos, hatten aber keine Bildungschancen. Ich<br />

ressieren?<br />

der U-Bahnstationen sind manchmal brutal, aber nur die<br />

Fotocredit: Gisella Linschinger<br />

hab’ sie nie lesend gesehen. Meine Eltern nicht, die Leute<br />

am Land auch nicht.<br />

Das weiß ich nicht. Einmal hat mir ein Professor in der<br />

Pause Die Pest von Camus gegeben. Camus und Sartre<br />

Männer: „Du Trottl, des is mei’ Station, den Schas klebst<br />

ned auf!“ Das ist UNSERE Station! Nicht seine! Meine<br />

Sie haben mich gebeten, Sie vor unserem Treffen zu<br />

waren mir wichtig. Und noch während der Schulzeit ver-<br />

Töchter haben gesagt, das sind Revierkämpfe zwischen<br />

googlen. Dabei ist mir aufgefallen, dass es in den<br />

Nur „Zeitung schauen“?<br />

spürte ich den Drang, selbst irgendwas zu probieren.<br />

Hündchen. Die Stationswartinnen hingegen sagen, ich<br />

Berichten über Sie oft mehr um die Aufregung geht<br />

Kronenzeitung, aber auch die war zu teuer, am Wochen-<br />

Das war halt nicht ernst zu nehmen. Das Schreiben ist<br />

muss das aufschreiben und melden, und dann reden wir.<br />

und weniger um die Inhalte.<br />

ende manchmal. Zuhause hatte ich also keine Vorbilder.<br />

durch das Notieren von Gedanken gekommen, durch<br />

Es gibt ungefähr hundert grantige Wiener, die schreien<br />

So ist’s oft als Einstieg, aber daraus entwickeln sich<br />

Aber sie wollten, dass ich in ein Gymnasium gehe und<br />

das Diskutieren mit Freunden. In meiner Klasse waren<br />

mich zusammen, reißen Gedichte herunter, lesen sie<br />

oft Gespräche über den Inhalt. Aber, ganz konkret: Ich<br />

haben mich in eine katholische Privatschule gesteckt.<br />

interessante Leute, die inzwischen alle völlig normal<br />

nicht und gehen befreit nach Hause. Das Nicht-Lesen<br />

brauch’ euch nicht. Ich brauch’ die Medien nicht. Ich bin<br />

Ich war Ministrant bei Sankt Brigitta. Es gab keinen<br />

geworden sind, die genau das geworden sind, was ihre<br />

ist deren Therapie. Und das ist ihr Recht. Sie suchen<br />

Interview<br />

mein eigenes Medium. Aber manchmal macht’s wirklich<br />

Spaß, wenn die Leute interessiert sind. Ich hab’ manche<br />

Anfragen schon abgelehnt, weil ich gespürt hab’, dass<br />

die kommen, weil man von mir gesagt hat: „Des is’ ganz<br />

a Extremer.“ Das will ich nicht. Auf dem Höhepunkt der<br />

Missbrauch, die Pfarrer waren super. Drei Priester – das<br />

war vor langer Zeit, bitte – haben unsere Jungschar-<br />

Madln praktisch weggeheiratet, die älteren. Da waren<br />

wir angefressen, aber sonst war es eine gute Zeit. Ministrieren<br />

war lustig, halt inhaltslos, ein Schauspiel. In<br />

Eltern waren. Gleich nach der Matura hab’ ich mir die<br />

Frage gestellt, was mach’ ich mit dem, was ich schreibe?<br />

Wo kommt das hin? Das ist aber die falsche Frage!<br />

Wo kommt es denn her? Die Gedichte entstanden in<br />

der Schule, in der Uni, und dort blieben sie auch, indem<br />

etwas, wogegen sie heute sein könnten, und dann sehen<br />

sie mich plakatieren: „Ich hol’ die Polizei!“ – „Da ist<br />

die Kamera, die wissen eh Bescheid.“ Wenn die Polizei<br />

kommt, beruhigen sie nicht mich, sondern die Leute, die<br />

einen Hass auf alle Künstlerinnen und Künstler haben.<br />

Interview


18 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 19<br />

Die Jelinek, den Nitsch, die Oper kriegen sie nicht, aber<br />

mich kriegen sie. Von Seiten der Polizeibeamten habe<br />

ich noch nie Gewalt erlebt, obwohl ich oft festgenommen<br />

wurde. In manchen anderen Ländern hätten sie<br />

mich längst weggeräumt. Hier bekomm’ ich als armer<br />

Dichter einen Anwalt gratis. Vor der ersten Anzeige hatte<br />

ich schon Angst, aber dann nicht mehr, weil ich erkannt<br />

habe, hoppala, es gibt Rechtsmittel. Die Behörden fürchten<br />

sich vor jemanden, der immer Berufung einlegt und<br />

immer gewinnt. Dann suchen sie neue Paragraphen. Das<br />

Schlimmste war, als man mich zu einer Richterin und einer<br />

Amtsärztin vorgeladen hat.<br />

Der IG Autoren-Chef Gerhard Ruiss sagte: „Geh’ nicht<br />

hin.“ Ich bin trotzdem hingegangen und habe sachlich<br />

dargelegt, was ich tue. Die beiden haben sich danach bei<br />

mir entschuldigt und ich hab’s amtlich schriftlich bestätigt,<br />

dass ich das Gegenteil von deppert bin. Wer hat das<br />

schon? Letztendlich unterstützt mich derselbe Staat, der<br />

mich anzeigt, mit der Begründung, die Inhalte und nicht<br />

die Form zu fördern.<br />

Haben Sie neue Projekte?<br />

Ja, die gibt es, aber darüber rede ich noch nicht. Manches<br />

ist kindisch, teilweise grober Unfug, und das tut so gut.<br />

Da wird man nie krank.<br />

Kann man wegen groben Unfugs eingesperrt werden?<br />

Ja, schon. Aber wenn alles leicht gehen tät’, dann wäre<br />

es eh fad. Man muss selbstkritisch bleiben und braucht<br />

Grantigkeit, so kommen einem Ideen für neue Projekte.<br />

Das ist dann gesunder Grant. Manche Ideen verwirkliche<br />

ich schon, aber nicht in meinem Heimatbezirk. Im<br />

Sommer fahre ich auch weit hinaus, mit der letzten Tram<br />

zum Beispiel bis Stammersdorf, und dann schau’ ich, wie<br />

weit ich bis fünf Uhr früh komme. Heuer habe ich vor, mir<br />

eine Netzkarte zu kaufen und in allen größeren Städten<br />

von Österreich zu kleben. Dann fahr’ ich mit dem letzten<br />

Zug nach Linz, Innsbruck, Salzburg.<br />

Gibt es MitstreiterInnen bei Ihren Aktionen?<br />

Es gab einen, Christian Hintze, den Gründer der Schule<br />

der Dichtung. Wir haben ein Jahr lang um die Wette Gedichte<br />

verteilt und uns gegenseitig angestachelt. Ohne<br />

ihn wäre es fad gewesen. Danach hat er beschlossen,<br />

Bücher zu schreiben und Sprechplatten zu machen.<br />

Wir hatten uns ausgemacht, im Alter wieder Gedichte<br />

zu verteilen. Ich bin ihm echt böse, dass er gestorben<br />

ist. Meine Töchter haben versprochen, wenn ich einmal<br />

nicht mehr kann, werden sie mich im Rollstuhl herumschieben.<br />

Helmut Seethaler<br />

Geb. 1953 in Wien. Teilstudium der Philosophie. Verfasste bisher<br />

mehr als 11.400 Pflückgedichte, die er millionenfach an Laternen,<br />

Säulen, Bäumen, Lichtmasten und Wänden ablösbar, abwischoder<br />

abwaschbar anbringt. Seethaler erhält dafür unzählige<br />

Droh- und Fanbriefe sowie Anzeigen wegen Verschmutzung, Ordnungsstörung,<br />

Sachbeschädigung, Behinderung der Fußgänger<br />

etc. Abgesehen von sieben Fällen wurde er jedes Mal von den<br />

Vorwürfen freigesprochen. Der Gedichtband Texte für DENKENDE<br />

+ gegen das DENK-ENDE ist 2017 im hochroth Verlag erschienen<br />

(ISBN 978-3-902871-84-8). www.zettelpoet.at<br />

Interview<br />

War es früher einfacher, vom Schreiben zu leben?<br />

Früher hat es das Kulturservice gegeben. Dadurch konnten<br />

ich und andere Schreiberlinge im Juni für einen Tausender<br />

in Schilling fünf, sechs Lesungen in Schulen machen.<br />

Das war bestens bezahlt. Im ganzen letzten Jahr<br />

hingegen waren es insgesamt zwei Schullesungen. Heute<br />

können die Schulen einladen, wen sie wollen, und machen<br />

lieber Konzerte. Nur Lesung ist für mich eine Form<br />

von Vorgestern. Deshalb lege ich Wert auf Diskussion<br />

und Interaktivität. Wenn drei verschiedene Menschen einen<br />

meiner Text vorlesen, meint man, es seien drei verschiedene<br />

Texte, weil jede Person ihn so liest, wie sie ihn<br />

für sich brauchen kann.<br />

Gisella Linschinger<br />

Geb. 1983 in Gmunden/OÖ. Studium der Linguistik und<br />

Internationalen Entwicklung an der Universität Wien. Absolventin<br />

des Lehrgangs „Angewandte Fotografie“ an der FH St. Pölten.<br />

Lehrtätigkeit als Universitätslektorin in Frankreich und der<br />

Tschechischen Republik. Lebt als freie Journalistin in Wien.<br />

Philipp Schmickl<br />

Geb. 1980 in Wien. Studium der Kultur- und Sozialanthropologie an<br />

der Universität Wien. Gründer und Herausgeber der Bücherserie<br />

THEORAL ~ oral music histories and interesting interviews<br />

www.theral.org. Betreiber des Blogs THEFUCKLE. Beschreibungen<br />

der Gegenwart www.thefuckle.wordpree.com<br />

©Heliane Wiesauer-Reiterer1974 Kopfobjekt Holz, Gips, Draht 63 x20x14


20 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 21<br />

Robert Müller<br />

Gesichtsverlust<br />

Einen Arsch kriegt man geschenkt, aber ein Gesicht<br />

muss man sich erst verdienen<br />

der Gegend kaum gibt). Das ist gut und richtig. Aber haben<br />

wir durch die Modernisierung auch unser Gesicht verloren?<br />

Hier am Land diese blassen, indifferenten Gesichter, welche<br />

nicht mehr von Wetter und Arbeit geprägt sind! Diese<br />

Menschen könnten auch Regalbetreuer im Supermarkt<br />

sein, oder Friseure, oder Staplerfahrer o.ä., austauschbar<br />

immer vier ist und nicht morgen fünf und übermorgen drei,<br />

bei dem die Sonne immer frühmorgens aufgeht, der sich<br />

seinen Platz in der Welt mit Fleiß und Energie geschaffen<br />

und seine Wurzeln fest im Boden verankert hat?<br />

Ein Mensch, sagte man noch vor Jahren, wird zu je einem<br />

den „Klassefrauen“ nachlesen: „Sind sie nicht pfuiteuflisch<br />

anzuschauen? Plötzlich färben sich die Klassefrauen – weil<br />

es Mode ist ...“.<br />

Gewiss hat die plastische Chirurgie vielen Menschen,<br />

die durch Unfall oder seit Geburt schwer entstellt waren,<br />

Am Palmsonntag besuchten wir eine befreundete Bauernfamilie<br />

in der Buckligen Welt (Niederösterreich). Vor<br />

einem halben Jahrhundert bin ich dort in den Ferien Hüterbub<br />

gewesen, darum waren mir die bäuerliche Arbeitswelt,<br />

die Gegend und die Menschen heimatlich vertraut, es<br />

zieht mich immer wieder in diese noch einigermaßen heile<br />

Welt. Aber heuer war es anders, irgendetwas fehlte. Schon<br />

bei der Palmweihe am Hauptplatz spürte ich es, ohne die<br />

Ursache nennen zu können, und beim Eintritt in die Kirche<br />

wusste ich es: Die alte Ordnung bestand nicht mehr,<br />

und die altvertrauten, prägnanten Bauerngesichter fehlten<br />

schon fast gänzlich.<br />

und verwechselbar. Damals hatte noch der letzte Tagwerker<br />

oder Flickschuster, wenn schon nichts anderes, so<br />

doch sein eigenes Gesicht, in dem Lebenslauf, Charakter<br />

und Stimmung des Trägers abzulesen waren wie in einem<br />

schönen alten Bilderbuch; man wusste verlässlich, wer dieser<br />

Mensch war.<br />

Dazu meinte der Schriftsteller Jörg Mauthe in seinem<br />

„Nachdenkbuch für Österreicher“ S. 50: “Und was für einund<br />

ausdrucksvolle Köpfe die Leute dort hatten, wenn sie<br />

alt wurden: Da saßen am Sonntag in der Kirche lauter Kokoschkas<br />

und Grillparzers und Ebner-Eschenbachs, mit Gesichtern,<br />

wie man sie heutzutage nur mehr selten sieht.“<br />

Drittel geformt aus Erbmasse, Umgebung und eigenem<br />

Dazutun. Die Form der Nase, die sog. „Habsburgerlippe“<br />

usw. sind wohl Familien-Erbstücke, aber ob die Adlernase<br />

zu einem stolzen, eigenständigen Gesicht gehört oder<br />

zu dem einer feigen, gierig-schlauen menschlichen Ratte,<br />

das macht erst das Leben daraus. Ein Gesicht wird in langen<br />

Jahren von Arbeit, Verantwortung, Leid, Güte, Verbitterung,<br />

Geistigkeit, Befehlsgewalt, Angst, Witterung und<br />

vielem mehr geprägt. Der Kanzler Kreisky, der Tiroler Landeshauptmann<br />

Wallnöfer, der Wiener Kardinal König, die<br />

Schauspieler Fernandel, Jean Gabin, Hans Moser und Heinz<br />

Rühmann zum Beispiel haben sich ihre Gesichter in langen<br />

(und nicht immer leichten) Jahren erworben, die waren<br />

ein großes Stück Selbstbewusstsein und Lebensfreude<br />

geschenkt. Aber wenn sie missbraucht wird und sie aus<br />

einem durchaus tadellosen Frauengesicht ein Mode- oder,<br />

noch schlimmer, ein „Puppengesicht“ schneidern soll, verleugnet<br />

die Trägerin wohl ihre eigene Persönlichkeit! Und<br />

wenn es schief geht? Da lag die hübsche junge Frau eines<br />

Prominenten nach der Operation zwei Jahre lang im Koma,<br />

weil sie ihre tadellose Nase unbedingt „verbessern“ lassen<br />

wollte. Da war in der Wiener „Seitenblicke-Gesellschaft“ öfters<br />

eine Frau zu sehen, deren Antlitz durch mehrere Operationen<br />

zu einem Puppengesicht mit übergroßem Mund<br />

dermaßen erstarrt ist, dass es zu keinerlei Mimik mehr<br />

fähig ist. Einem Gesicht, das in Freude und Trauer, in Är-<br />

Essay<br />

Der lange geübte Brauch ließ mich beim Eintritt in die Kirche<br />

meine Frau mahnen: „Bitte setzen wir uns irgendwo<br />

hinten hin, die Leute hier haben ihre angestammten Bänke,<br />

für die sie bezahlen.“ Aber ich wurde belehrt, das gäbe es<br />

seit dem letzten Konzil nicht mehr. Ich wandte ein, dass wir<br />

hier am Land wären, weit weg von Rom, aber es stimmte<br />

leider. Na schön. Und dass seit wohl tausend Jahren rechts<br />

in der Bankreihe die Männer saßen und die linke traditionell<br />

die an den vielen Kopftüchern kenntliche Frauenseite war,<br />

hat sich seit der „Modernisierung“ und dem heftigen Zuzug<br />

von Städtern auch aufgehört. Na ja, soll sein. Aber dass<br />

man nach einem Blick auf die Kirchenbesucher nicht mehr<br />

erkennen konnte, wo in der Welt man hier war, empfand<br />

ich als Verlust, ich fühlte mich nicht mehr richtig daheim in<br />

der Welt meiner Kindheit. Die gottlob unveränderte spätmittelalterliche<br />

Wehrkirche, der Gasthof, die Brücke, das<br />

„Kaufhaus“, die Wiesen und Felder, sogar der Geruch nach<br />

Holzfeuer, Kuhmist und Wald, alles noch wie damals – aber<br />

wo sind die zugehörigen Menschen geblieben???<br />

Haben wir durch Technisierung, Rationalisierung und die<br />

beginnende Globalisierung unsere Identität verloren? Es<br />

ist den Bauern wirklich zu gönnen, dass sich die heutzutage<br />

unvorstellbare körperliche Schinderei in Feld und Wald<br />

und Hof aufgehört hat, ja. Und dass man sich heute mehr<br />

leisten kann, auch wenn man kein Großbauer ist (die es in<br />

Genauso sagte es der Schriftsteller Carl Zuckmayer (in seinem<br />

Buch „Als wär’s ein Stück von mir“ S. 22) über die<br />

Menschen seiner Salzburger Heimat (Köstendorf am Wallersee)<br />

vor dem Zweiten Weltkrieg: „Die Menschen in diesem<br />

Dorf hatten noch Gesichter, persönliche, ausgeprägte,<br />

eigenwillige, wie man sie auf den Bildern der mittelalterlichen<br />

Meister, bei den Holzfiguren der Pacher und Riemenschneider,<br />

findet.“ Und auf Seite 23: „Mit ihren herben Zügen<br />

und ihrem bäurischen Wesen wirkten die beiden, Josef<br />

und Justina, in ihrer Weise schön, und man freute sich ihres<br />

Anblicks, weil sie natürlich waren, stolz und mit sich selbst<br />

im Einklang.“<br />

Und heute?<br />

Die alten und daher weiseren Asiaten hatten zu Recht<br />

Angst, „ihr Gesicht zu verlieren“ – das war schlimmer als<br />

alles andere, weil es Schande bedeutete. Wir sollten das<br />

nicht geringschätzig belächeln. Denn in einer immer geldgierigeren,<br />

„amerikanisierten“ Welt, wo nur der schnelle<br />

Profit zählt, wo eine eiskalte „Gewinn-Maximierung“ alles<br />

ist, braucht und fördert „man“ die Austauschbarkeit der<br />

Konsum- und Maschinensklaven, die Flexibilität („Du heute<br />

Kassierin und morgen putzen Dreck“) und Mobilität (Pendler)<br />

– was soll man da mit einem Menschen, der ein Gesicht<br />

hat??? Und sich womöglich danach benimmt! Der ein eigenes<br />

Weltbild hat und es auch lebt, bei dem zwei mal zwei<br />

nicht austauschbar – man wusste, wen man vor sich hatte.<br />

Die wichtigsten und unverzichtbaren Bestandteile des Gesichts<br />

sind die Augen. Man kann ein Gesicht ohne Nase,<br />

Ohren, Lippen, Haare etc. zeichnen – wenn nur zwei Augen<br />

und die Mund-Linie vorhanden sind, ist es erkennbar<br />

(s. den „smily“). Auch den Namen hat unser Thema von<br />

den Augen, die man auch als den „Gesichts-Sinn“ bezeichnet.<br />

Demzufolge sind beim Beurteilen eines Gesichtes –<br />

sagen Fachleute – die Augen das Entscheidende. Und die<br />

Erweiterung (bei Gefallen) oder Verengung der Pupille (bei<br />

Missfallen) kann der Träger nicht willentlich steuern, d.h.<br />

die Gefühle eines Menschen sieht man auch den Augen an.<br />

Aber wie ein Mensch charakterlich ist bzw. was er mitgemacht<br />

hat und wie er sich gibt, das sagt ebenso deutlich<br />

sein Mund und die Falten herum (erzählte mir ein akademischer<br />

Maler).<br />

Millionen Menschen leben von der kosmetischen Industrie,<br />

deren Werbung vielen Leuten einredet, sie müssten ihre<br />

Gesichter mit Chemie „verschönern“. Aber werden dann<br />

die Menschen auch anders? Oder sehen sie dann nur dem<br />

jeweiligen Werbungs-Zeitgeist ähnlicher? Wer der (Kosmetik-)<br />

Mode nachläuft, schätzt sich selbst wohl nicht gerade<br />

hoch ein. Und ist dann out, wenn die Mode sich ändert<br />

– und das tut sie immer rascher! Wer sich seiner selbst<br />

nicht sicher ist, möge bei Erich Kästner das Gedicht von<br />

ger und Behagen immer gleich aussieht wie das einer alten<br />

Porzellan-Puppe. Schon schlimm, wenn man sich freut und<br />

es nicht zeigen kann!!!<br />

Wer ein rötliches Gesicht hat, ist so gut wie nie ein Melancholiker,<br />

selten ein Phlegmatiker, fallweise Sanguiniker<br />

und oft ein Choleriker (mit zu hohem Blutdruck). Aber es<br />

gibt auch Menschengruppen mit von Natur aus rötlichen<br />

Gesichtern – zum Beispiel viele rothaarige oder weißblonde<br />

Menschen. Ein gelbliches Gesicht deutet fallweise auf<br />

Leberprobleme, wenn das Gelb einen grünlichen Stich<br />

bekommt ist möglicherweise ein Nierenversagen die Ursache.<br />

Ein Gesicht, dessen Träger zu wenig Bewegung macht<br />

und daher schlecht durchblutet ist (bei Rauchern auch einen<br />

„Graustich“ haben kann), kann durch plötzlich aufwallenden<br />

Zorn oder eine andere, heftige Gemütserregung in<br />

Sekundenbruchteilen rot werden. Bei ein bisschen Verlegenheit<br />

kann es richtig „erröten“. Den englischen Mädchen<br />

sagte man nach, dass sie beim erfreuten Lächeln (zum Beispiel<br />

wenn der Geliebte zu ihnen kommt) allerliebste rosige<br />

Wangen bekämen. Die Japaner wieder grinsen immer<br />

mechanisch – der Reiseschriftsteller Richard Katz warnt<br />

davor, es als ehrlich erfreut aufzufassen.<br />

Menschen mit Dauer-Schmerzen entwickeln oft einen galligen<br />

Humor und bekommen meist harte Züge – oder (eher<br />

selten) sie verklären im Leid (Madonnen-Gesicht). Wer lan-<br />

Essay


22 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 23<br />

ge Zeit viel Alkohol trinkt, dessen Gesicht bekommt mit<br />

ein „Gummi-Gesicht“ nachsagte, das jede soziale Stellung/<br />

Peter Mitmasser<br />

die Spitze ihrer Unternehmungen stellen. Aber damit habe<br />

den Jahren oft eine grau-rote Färbung, die Nase wird vom<br />

Wein rot und vom jahrzehntelangen Schnapskonsum blau.<br />

Personalchefs reagieren dann eher vorsichtig. Aber es gibt<br />

jeden Charakter glaubhaft wiedergeben konnte. Aber man<br />

täusche sich nicht: In ungewohnten Situationen, die viel<br />

Kraft und seelische Stärke erfordern, kann man Züge an<br />

KÖPFE<br />

sie ja noch lange nichts für die monarchische Staatsform<br />

bewiesen.“<br />

(Alles: „Die Fackel“, Heft Nr. 577-582, XXIII. Jahr, Novem-<br />

vereinzelt auch Abstinenzler, die so eine Nase entwickeln.<br />

einem Menschen wahrnehmen, die man ihm nie zugetraut<br />

Es gab eine Zeit, in der die jeweiligen Obrigkeiten jene<br />

ber 1921).<br />

hätte. Und viele von uns haben es schon erlebt, dass in<br />

Menschen, die ihre Vorschriften nicht befolgten oder ih-<br />

Der große Reformer Kaiser Joseph II hat die Todesstrafe<br />

Im fünfbändigen Lexikon „Der neue Brockhaus“ von 1973<br />

Momenten tief empfundenen Glücks ein Gesicht von innen<br />

nen nicht sympathisch oder gescheiter als sie selber wa-<br />

zum Leidwesen der braven Bürger, die in Ermangelung von<br />

sind auf einer Seite die „typischen“ Gesichter verschie-<br />

zu „leuchten“ beginnt.<br />

ren, aber zu dumm, es zu verbergen, gerne vom Leben zum<br />

Film und Fernsehen gerne der Vollstreckung von Todesur-<br />

dener Nationalitäten abgebildet. Nun sieht unbestritten<br />

Tode befördern ließen.<br />

teilen beiwohnten, 1761 abgeschafft, sie wurde dann aber<br />

z.B. ein Mongole anders aus als ein Italiener oder Afrikaner,<br />

Und was schreibt man nun an den Schluss von solchen „Be-<br />

Schlinge um den Hals; Kienspan an den Scheiterhaufen:<br />

nach seinem Tod (1790) für Hoch- und Landesverrat 1795<br />

aber dermaßen unkritisch würde man heute nicht mehr die<br />

trachtungen“? Vielleicht, dass man sich einmal mit einem<br />

Köpfen.<br />

wieder eingeführt. 1919 wurde sie für das ordentliche Ver-<br />

Menschen nach ihrem Aussehen einteilen – noch dazu, weil<br />

Menschen seines Vertrauens vor den großen Spiegel stel-<br />

Das Köpfen – häufig auch „um einen Kopf kürzer machen“<br />

fahren wieder abgeschafft, 1934 neu eingeführt und ab<br />

sich inzwischen auch die Lebensbedingungen „globalisiert“<br />

len könnte, neugierig und ohne Vorurteile sein eigenes Ge-<br />

genannt – scheint am beliebtesten gewesen zu sein.<br />

1938 von den Nationalsozialisten gegen „Verräter“ – z.B.<br />

haben und die veränderte Lebensweise auch in den Ge-<br />

sicht betrachtend, dabei laut denkend, was wohl darin zu<br />

Das Haupt auf den Richtblock legen, der Scharfrichter prüft<br />

SR Restituta vom Krankenhaus Mödling, die wegen der Ver-<br />

sichtern Spuren hinterlässt. Der Eskimo lebt inzwischen im<br />

lesen sei, was in den Lebensjahren sich da eingeprägt habe<br />

noch einmal mit dem Daumen die Schärfe der Klinge sei-<br />

breitung von Schmähschriften zum Tode verurteilt und am<br />

Holzhaus mit Fernsehapparat, der Buschmann lebt – wenn<br />

– was sieht man da im eigenen Gesicht und was sieht der<br />

nes Schwertes oder die der Axt und mit nur einem einzigen<br />

30. März 1943 als erste von 19 Delinquenten an diesem<br />

noch vorhanden – im Ghetto, und der mehr oder minder<br />

andere? Wenn es der Mensch neben dir ernsthaft bestäti-<br />

Schlag - wenn der zum Tode Verurteilte Pech oder vor der<br />

Tag mit dem Fallbeil geköpft wird - angewendet. 1950 wur-<br />

„reinrassige“ Indianer arbeitet am Hochbau und geht dann<br />

gen kann, dass es auch Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt,<br />

Exekution dem Henker kein Trinkgeld gegeben hatte, auch<br />

de sie dann eingestellt.<br />

auf ein Bier usw. Von den Tausenden menschlichen Genen<br />

Selbstvertrauen, Interesse an der Umwelt, und es vielleicht<br />

erst nach mehreren Hieben – fällt der Kopf in einen Korb,<br />

Die Todesstrafe wird in kultivierten Staaten abgelehnt,<br />

sind verschwindend wenige für Hautfarbe und Gesicht zu-<br />

noch in den Mundwinkeln eine Schmunzel-Falte gibt, kann<br />

aus dem ihm schon ein anderer Kopf entgegen grinst, ein<br />

dort, wo sie in zivilisierten Ländern wie manchen US-<br />

ständig, weshalb sich die sogenannte „Rassenlehre“ der<br />

man zufrieden sein.<br />

Strom von Blut ergießt sich aus dem schlaff gewordenen<br />

Bundesstaaten noch immer praktiziert wird, wird sie per<br />

unseligen NS-Zeit inzwischen als unwissenschaftlicher<br />

Körper. Aus. Ende. In Zeiten von erhöhtem Arbeitsanfall,<br />

Elektrischem Stuhl oder „Todesspritze“ vollzogen. Das blu-<br />

Schwachsinn erwiesen hat. Immerhin hat zum Beispiel ein<br />

Robert Müller<br />

wie etwa der Französischen Revolution, musste das Verfah-<br />

tige Geschehen des Köpfens wird nur noch von rohen und<br />

Gorilla oder Schimpanse zu etwa 95% die gleichen Gene<br />

Geb.1943 in Wien. Seit 2003 Pensionist und Kellergassenführer,<br />

ren effizienter werden.<br />

von abstrusen Gedanken angetriebenen „Wilden“ wie den<br />

wie der Mensch.<br />

seit 2011 Mag. phil der Europäischen Ethnologie an der Uni Wien.<br />

Man erfand die Guillotine, bei der ein schräg geschnittenes<br />

IS-Männern (und Frauen?) praktiziert und per Video zum<br />

1987 mit Kalendergedichten und Kurzgeschichten (Eigenverlag) zu<br />

Fallbeil auf Schienen aus einer bestimmten Höhe den Kopf<br />

Schrecken ihrer Gefangenen, die nicht wissen, ob und wenn<br />

Kann man sagen, dass die Art der Arbeit und/oder der<br />

schreiben begonnen, im Herbst 1993 an der „Schule für Dichtung in<br />

des Delinquenten vom Rumpf trennte. Da gab es keinen<br />

ja wann auch ihnen dieses Schicksal droht, verbreitet.<br />

soziale Stand die Gesichtszüge mitprägen? Es ist wohl mit<br />

Wien“ die Klasse von H.C. Artmann besucht. Im Mai 2015 erschien<br />

Fehlschlag, da traf das Fallbeil genau dort, wo es präzise<br />

Vorsicht zu bejahen, aber nicht wissenschaftlich nachzu-<br />

der Sammelband „Gmischte Kost für alle Tag“ im PILUM-Verlag.<br />

treffen musste. Kopf ab, der Nächste bitte.<br />

Noch ist der Kopf das wichtigste Arbeitsmittel der Manager,<br />

weisen und immer individuell zu beurteilen. In der Mehr-<br />

Manchmal waren es auch königliche Köpfe, wie der der<br />

obwohl „Industrie 4.0“ bereits viele dieser Jobs gestrichen<br />

zahl halten sich „Verantwortungsträger“ oder eine wie<br />

Tochter der Kaiserin Maria Theresia, Schwester des Kaisers<br />

bzw. durch Roboter mit ai (artificial inelligence) besetzt hat.<br />

immer „befehlsgewohnte“ Berufsgruppe (Offiziere, Direk-<br />

Josef II, Marie Antoinette, durch Heirat mit Ludwig XVI Kö-<br />

Die Kopf-Menschen, die hier früher ihre durchaus verant-<br />

toren, Politiker und selbständige Unternehmer, Bauern,<br />

nigin von Frankreich. Die „Autrichienne“, wie sie genannt<br />

wortungsvollen Aufgaben erfüllt haben und gesellschaftlich<br />

Ärzte, Rechtsanwälte und auch Chefsekretärinnen großer<br />

wurde, bewahrte bis zum Schluss Haltung - was man in<br />

der gehobenen Mittelklasse angehörten, sind längst schon<br />

Firmen etc.) etwas straffer in den Schultern und blicken<br />

diesem speziellen Zusammenhang ein bisschen paradox<br />

abgerutscht in die untere Mittelklasse oder sogar in die<br />

mehr in die Ferne, während „dienende“ Arbeitnehmer eher<br />

gerne auch „Kopf hoch“ nennt – und ihr hoch angerechnet<br />

Arbeitslosigkeit und damit aus der Mittelklasse herausge-<br />

gewohnt sind, ihren Rücken/die Schultern bei der Arbeit<br />

worden sein soll.<br />

fallen.<br />

zu krümmen und das Gesichtsfeld auf das näher liegende<br />

Karl Kraus behauptete ( Haupt = Kopf!) , dass die gefähr-<br />

Das hat eine gewisse Radikalisierung dieser immer mehr<br />

Werkstück zu richten.<br />

lichste Funktion von Monarchen die wäre, sogar denkende<br />

werdenden Innovationsverlierer mit sich gebracht, die als<br />

Menschen um einen Kopf kürzer zu machen, ohne dazu<br />

greifbare Schuldige an ihrem Unglück Zuwanderer verant-<br />

Man kann sie nicht mit wissenschaftlich haltbaren Kenn-<br />

aber den Henker bemühen zu müssen. Der Kronreif auf<br />

wortlich machen. Begehen diese ein schweres Verbrechen,<br />

zeichen festlegen, aber es gibt sie: Die „Kleine-Leute-Ge-<br />

dem Haupt des Monarchen beenge sogar „so erlauchte<br />

gar eine Vergewaltigung oder einen Mord, so fordern sie<br />

sichter (wie Rühmann sie erfolgreich darstellte), „Gentle-<br />

Geister wie Goethe und Schopenhauer“, die sich deshalb<br />

von der Regierung, die Todesstrafe für solche Gewalttäter<br />

Essay<br />

man-Gesichter“ (deren Verkörperung David Niven viel Geld<br />

einbrachte), auch im höheren Alter noch immer prägnante<br />

„Lausbuben-Gesichter“, während man z. B.: Shirly Mc Laine<br />

©H.Wiesauer-Reiterer1976 Kopf Caput Mortum roter Marmor<br />

für das monarchische System als von der Natur vorgegeben<br />

ausgesprochen haben.<br />

Kraus: „Gewiss werden die Kamele das größte Kamel an<br />

wieder einzuführen, was diese aus humanitären Gründen<br />

immer ablehnt. Wenn aber einmal die Mehrheit die Wiedereinführung<br />

fordert, was dann? Die Türkei wird die Todesstra-<br />

Essay


24 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 25<br />

fe wieder einführen, um sich ihrer schärfsten Widersacher<br />

Wo der Verstand wächst, müssen die Haare weichen.<br />

Klaus Ebner<br />

Zur Inauguration erschien der zu diesem Zeitpunkt erst desi-<br />

und Kritiker unter dem Titel „Hochverrat“ zu entledigen.<br />

Verlieren diese ihre Köpfe, so verliert auch die Opposition<br />

ihren Kopf. Gleichgültig, ob die EU das als das Überschrei-<br />

Was – wenn ich recht sehe - auch nicht immer stimmt,<br />

denn Beethoven, Einstein und Goethe trugen zu ihrem unzweifelhaften<br />

Verstand wallendes Haupthaar.<br />

Kopfball<br />

gnierte Präsident mit seiner Frau, einem ehemaligen Mannequin,<br />

die selbstverständlich perfekt gestylt auftrat. Sie wurde<br />

in Slowenien geboren und wuchs dort auf, soll als Fremd-<br />

ten einer „Roten Linie“ bezeichnet. Die Türkei nimmt damit<br />

Aus Köpfen werden, so sie wirklich etwas geleistet haben<br />

Findige Köpfe heben sich aus der Masse, indem sie Farbe<br />

sprachen unter anderem Französisch, Italienisch und sogar<br />

in Kauf, dass die EU die Zusage, die Türkei aufzunehmen,<br />

wie die vorhin genannten drei Geistesgrößen, Büsten aus<br />

in den Einheitsbrei der Gesellschaft bringen, Ideen verwirk-<br />

Deutsch beherrschen. Und natürlich Englisch – das für sie ja<br />

wenn der viele Punkte umfassende Katalog abgearbeitet<br />

Marmor oder Bronze, um sie für die Ewigkeit zu konservie-<br />

lichen, die andere nicht einmal im Traum in Betracht zogen,<br />

nichts anderes ist als eine Fremdsprache, wovon sich alle, die<br />

und die türkischen Regeln, Gesetze, Vorschriften an die in<br />

ren.<br />

und Sinnvolles mit Nützlichem verbinden. Sie beachten das<br />

mal bei CNN oder BBC reinschauen, leicht selbst überzeugen<br />

der EU Geltenden in jahrelanger Arbeit angepasst worden<br />

Auf dem Heldenberg im niederösterreichischen Weinviertel<br />

Einfache kaum und setzen sogleich zum Kopfball an. Man<br />

können. Ich halte ihr inzwischen die Daumen, dass ihr Mann<br />

sind, wieder zurückziehen wird.<br />

stehen viele derartige Büsten von Feldherren und Generä-<br />

könnte auch sagen, sie bringen die Menschheit weiter, und<br />

sie bei einem seiner vielen Ausgrenzungsdekrete nicht über<br />

Sie wird sich von Europa ab- und mehr Russland zuwenden,<br />

len. Sie haben zwar nichts in Mathematik, Lyrik und Mu-<br />

jene, die ihre grundsätzlich soziale Ader mit einem starken<br />

Nacht des Landes verweist. Dabei hat der neue Präsident<br />

das mit der türkischen Todesstrafe keine Probleme hat.<br />

sik geleistet, aber als Schlachtenlenker haben sie viele zur<br />

Willen verbinden, lenken unsere Geschicke. So weit die (po-<br />

doch eine ausgesprochene Vorliebe für Migrantinnen. Seine<br />

Schlachtbank geführt, wo das Schlachten noch sehr viel<br />

sitive) Theorie.<br />

erste Frau, ebenfalls ein Model, stammte aus der Tschecho-<br />

Zurück zu den Köpfen:<br />

effizienter erfolgt als mit der Guillotine. Sie sind zweifellos<br />

Den Kopf als Pars pro Toto für die ganze Person zu sehen, hat<br />

slowakei.<br />

„Die besten Köpfe“ werden in der Krise aufgerufen, um<br />

auch der Verewigung würdige Köpfe. Ein Heereslieferant<br />

eine lange Geschichte. Ob sie die Erzeugung von Kopfskulp-<br />

Zugegeben, die Mauer soll nicht in Mitteleuropa oder an der<br />

Ideen und Lösungen zu erarbeiten.<br />

hatte diese Büsten anfertigen und aufstellen lassen, als<br />

turen, Büsten und Porträts in der Kunst anstieß oder zumin-<br />

Atlantikküste gebaut werden, sondern an der Südgrenze zu<br />

Egal, ob in Unternehmen oder Regierungen. Manchmal<br />

kleinen Dank ans Vaterland für diesen Krieg, weil es ihm<br />

dest anfachte, sei dahingestellt. In der heutigen sogenannten<br />

Mexiko. Mir fällt dazu automatisch die Große Chinesische<br />

hilft es, manchmal auch nicht, wie etwa in der Finanzkrise,<br />

selbst nicht vergönnt war, sein Leben für dieses Vaterland<br />

modernen Welt verloren künstlerische Artefakte ihren (einst<br />

Mauer ein. (Wie wirkungsvoll diese gegen die Mongolen war,<br />

die 2008 ausgebrochen ist und noch immer anhält. Wer<br />

und seinen von Gott gesandten Kaiser hinzugeben, so dass<br />

hohen) Stellenwert und müssen sich vielfach einer Mode un-<br />

erfährt man im Geschichtsunterricht.) Gegen China hat der<br />

weiß, vielleicht wäre die Krise noch viel dramatischer, hät-<br />

er einen Teil des Vermögens, das sozusagen zwangsweise<br />

terordnen, und in diesem Sinne küren diverse Zeitschriften<br />

Präsident ebenfalls einen gewissen Widerwillen an den Tag<br />

ten nicht die besten Köpfe sie schon und noch immer be-<br />

angefallen ist, in diese Büsten investiert hat. Auch wenn er<br />

quasi als traditionelle Modeerscheinung einen Kopf des Jah-<br />

gelegt, getrieben von den wirtschaftlichen Gegebenheiten<br />

kämpft.<br />

nicht gerade ein Einstein war, rechnen konnte er gut und<br />

res. Bei manchen handelt es sich um international bekannte<br />

und Verflechtungen, und wer weiß, vielleicht schwirrt ihm<br />

Wilde schneiden die Köpfe ihrer besiegten Feinde ab und<br />

wusste, dass auch nach diesen Büsten noch genug Vermö-<br />

Nachrichtenmagazine, die, seit der Vorwurf der Fake News im<br />

auch der Gedanke an eine neue chinesische Mauer im Kopf<br />

machen aus konservierungs- technischen Gründen daraus<br />

gen übrig war. Die Feldherren und Generäle hatten ja en-<br />

Raum steht, auf eine überraschende Art in Verruf gerieten.<br />

herum. Bezahlen werden eine solche indes auch die Chine-<br />

Schrumpfköpfe.<br />

orm viel Schlachtmaterial benötigt.<br />

Der aktuelle Kopf des Jahres ist nämlich der neue amerika-<br />

sen nicht, denn sie haben ja schon eine.<br />

Vor hunderten Jahren hat man als Rabenfutter und Sieges-<br />

Da waren sicherlich auch des Konservierens würdige Köpfe<br />

nische Präsident, was sage ich: Er ist der Kopf jener vier Jah-<br />

Was eine Kopfgeburt ist und was nicht, entscheidet der Präsi-<br />

zeichen die Köpfe der besiegten Feinde auf den Mauern der<br />

darunter, aber unter einem Helm sind sie halt nicht so recht<br />

re, die mit dem heurigen angebrochen sind. Und vier bleiben<br />

dent des mächtigsten Landes dieser Erde selbst. Auf den er-<br />

besiegten bzw. verteidigten Stadt aufgespießt.<br />

zur Geltung gekommen.<br />

es auch nur dann, wenn sich nicht genügend in ihrer eigenen<br />

sten Blick sieht dieser Satz harmlos aus, doch er bezieht sich<br />

Sicht kluge Köpfe finden, die für eine zweite Auflage einer sol-<br />

auch auf Bereiche der Wissenschaft und des sozialen Lebens.<br />

Die besten Köpfe schafften es, gleichzeitig das ultimative<br />

chen Politik sorgen.<br />

Schulen, die korrekterweise Evolutionsbiologie unterrichten,<br />

Mittel zum Massenselbstmord – die Atombombe – und das<br />

Schon die ersten Wochen machten den Präsidenten zum<br />

riskieren staatliche Unterstützungen zu verlieren. (Bisher war<br />

zur Heilung vom schlimmsten inneren Feind der Menschen,<br />

Kopfjäger, das heißt, gemäß seiner propagierten Intention<br />

das nur der Wunsch religiöser Fanatiker gewesen.) Klimawan-<br />

die Chemo- und die punktgenaue Anwendung der Strahlen-<br />

Peter Mitmasser<br />

zum Jäger jener Köpfe, die es, wie sie grausam und vielfach<br />

del und alle damit verbundenen Implikationen werden auch<br />

therapie zu entwickeln.<br />

Geb. 13. 06. 1939 Wien, Österreicher, verh, 2 Kinder. Nach Flucht<br />

bewiesen haben, bevorzugen, uns alle zu köpfen. Vom Ansatz<br />

mit Hilfe entsprechend geeichter Minister geleugnet. Vermut-<br />

1945 von NÖ über Vorarlberg und Kärnten in OÖ aufgewachsen,<br />

her ein Ansinnen, das ein Aufatmen mit sich bringen müsste.<br />

lich ist das erst der Anfang, und dass in den USA heute Wis-<br />

Manche besonderen Köpfe sehen etwas, was die normalen<br />

HAK Wels, Übersiedlung nach NÖ, Einkaufsleiter. Nebenberufl.<br />

Dass er freilich mit der Art und Weise, in welcher er sein Vor-<br />

senschaftler (denen viele eine gewisse Eigenbrötlerei nachsa-<br />

Köpfe nicht sehen können: Die Seher. „Du wirst ein großes<br />

Studium Promotion Dr.phil. 1983 „Einkäufer des Jahres“ des ÖPWZ<br />

haben per Dekret umzusetzen gedenkt, Millionen Unschuldige<br />

gen) geeint auf die Straße gehen und gegen solche Aussagen<br />

Reich zerstören“ hat die Seherin Pythia dem Krösus vorher-<br />

Fachartikel, Beitrag „Handbuch Beschaffung“, Hanser, 2003.<br />

trifft und beleidigt, während die wirklichen Köpfer zweifellos<br />

und deren rechtliche Konsequenzen protestieren, stimmt<br />

gesagt für den Fall, dass er den Halys überschreite. Krösus<br />

Soziale Aktivitäten, Gemeinderat, Schriftführer Umweltschutz-<br />

andere Wege finden, in sein und unser Land zu gelangen, steht<br />

besorgt. Vielleicht wäre es sinnvoll, analog zum Verbot der<br />

dachte, sie meine ein anderes Reich als er und überschritt<br />

Verein. 2002 Pension. Für österreichisches Weiterbildungsinstitut<br />

auf einem anderen Blatt und scheint ihn nicht zu kümmern:<br />

Auschwitzlüge auch Bestimmungen gegen die Leugnung von<br />

frohgemut den Halys. Und erst da, zu spät, sah auch er,<br />

für Erwachsene tätig. Literarisches Schreiben, 2 Romane, viele<br />

Wie er sich mit den Gerichten und selbst den Höchstrichtern<br />

Evolution, Klimaveränderung, Umweltverschmutzung und so<br />

welches Reich die Pythia zerstört gesehen hat.<br />

Publikationen in Anthologien und Literatur-Magazinen, mehrere<br />

anlegt, kann längst nicht mehr als eine inneramerikanische<br />

weiter einzurichten. Freilich hätte das nur Sinn, wenn sie auf<br />

Preise, zuletzt 2015 1. Preis Literaturbewerb Ü/70 der Schweizer<br />

Marotte abgetan werden. Fakt ist: Es geht gegen viele Mus-<br />

globaler Ebene von allen Staaten akzeptiert und ins nationale<br />

Essay<br />

Manche Köpfe werden blank rasiert getragen, um<br />

dem Publikum eine Glatze zu zeigen, so dass es daran<br />

den ihnen innewohnenden Verstand erkenne, denn:<br />

Stiftung Kreatives Alter, Zürich.Texte zu 2 Sachbüchern: „Mödling,<br />

Impressionen einer Stadt“, 2014, KRAL-Verlag„Mödling, Ja die Zeit<br />

ändert viel“, 2016, KRAL-Verlag<br />

lime und gegen Mexikaner. (Welche Erinnerungen einem da<br />

in einem Land mit einer Geschichte, wie Österreich sie hat,<br />

hochkommen, mag ich gar nicht aussprechen.)<br />

Recht übernommen würden, womit sich dieser Gedanke leider<br />

als echte Kopfgeburt erweist.<br />

Im reflexartigen Erzürnen über die Ohnmacht so vieler ge-<br />

Essay


26 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 27<br />

genüber einem Einzelnen fällt mir der Herzkönigin Schrei<br />

»Kopf ab!« aus Alice im Wunderland ein. Die Geschichte eines<br />

Mädchens, das den Kopf hoch trägt und das nötige Selbstbewusstsein<br />

besitzt, die allerdings (von einem geistlichen<br />

Mathematiker) geschrieben wurde, um der reellen Alice mit<br />

einem gehörigen Augenzwinkern vermeintliche Flausen auszutreiben.<br />

Irgendwie erinnert das an die rhetorische Keule<br />

der Fake News. Purer Zufall?<br />

Möglicherweise sollten wir positiv denken und den amerikanischen<br />

Präsidenten nicht an seinen Worten, sondern den<br />

in aller Öffentlichkeit gewollt hat, dann scheren nämlich<br />

die wichtigsten Staaten aus (obwohl natürlich alle wichtig<br />

sind), und der klägliche Rest zerbröselt von allein, getrieben<br />

von selbstgefälligen Parteien, denen Geschichte und<br />

ein Zusammenstehen der Völker scheißegal sind. Und dann<br />

gibt es innerhalb weniger Jahrzehnte wieder Krieg in Europa.<br />

Nur ein Kindskopf kann diese Zusammenhänge ignorieren.<br />

Was tut derweil Europa, um der dschihadistischen Gefahr<br />

zu begegnen? Österreich denkt an ein Kopftuchverbot. Das<br />

das sich am Ende nicht als Eigentor erweist. Herauszufinden,<br />

wie das am besten geht, erfordert viel Zeit und Hirnschmalz.<br />

Vor allem aber: die Bereitschaft, es gemeinsam zu<br />

tun und sich nicht kopflos einem trügerischen Fatalismus<br />

zu ergeben. Obwohl es dermaßen logisch klingt, muss ich<br />

es (besonders in Richtung der sich unangreifbar und mächtig<br />

Fühlenden) aussprechen: Wir haben unseren Kopf nicht,<br />

um mit ihm durch die Wand zu wollen – wir haben ihn zum<br />

Denken!<br />

geszeitungen. In der 90er Jahren veröffentlichte Ebner hauptsächlich<br />

informationstechnische Artikel und Bücher, etwa für die<br />

Verlage Markt & Technik und Microsoft Press. Sein Brotberuf ist<br />

im Bereich der Informatik und IT-Ausbildung angesiedelt. Seit<br />

ca. 2004 veröffentlicht der Autor wieder verstärkt in Literaturzeitschriften,<br />

etwa in Literatur und Kritik, Podium, die Rampe,<br />

außerdem, Gegenwind, Neue Sirene und Macondo, und 2007 erscheint<br />

die erste eigenständige Buchpublikation, ein Band Kurzgeschichten.<br />

Ebner schreibt Lyrik auf Deutsch und Katalanisch.<br />

Der erste katalanische Lyrikband erschien 2009 in Katalonien.<br />

Taten beurteilen (hatten wir das nicht schon mal?). Unterstel-<br />

ist nicht ganz wörtlich zu verstehen (obwohl die Presse flei-<br />

Klaus Ebner<br />

Öffentliche Lesungen hielt der Autor unter anderem in Wien,<br />

len wir ihm nicht, alles auf den Kopf stellen zu wollen! Aber<br />

ßig dieses Wort strapaziert – aber das sind vielleicht auch<br />

Geb.1964 in Wien. Nach der Matura 1982 studierte er Germa-<br />

Barcelona und München. Er ist Mitglied der Grazer Autorinnen<br />

können wir das? Er spricht von Selbstbesinnung, von Eigen-<br />

nur Fake News), denn offiziell geht es »nur« um Burka und<br />

nistik, Romanische Philologie und Translationswissenschaft.<br />

Autorenversammlung (GAV), des Österreichischen Schriftstel-<br />

bezug, von Abschottung. Die USA sollen sich viel mehr auf<br />

Niqab. Immerhin, und die Verweise auf eine Unterdrückung<br />

Während der Studienzeit erfolgten erste Veröffentlichungen in<br />

lerverbandes (OeSV), der Associació d'Escriptors den Llengua<br />

sich selbst besinnen, das heißt auch: mit sich selbst begnü-<br />

von Frauen sind nicht von der Hand zu weisen und daher<br />

österreichischen und deutschen Literaturzeitschriften und Ta-<br />

Catalana (AELC) und des katalanischen PEN-Zentrums.<br />

gen. Ist das in politischer Hinsicht klug? Die Köpfenden haben<br />

durchaus ernst zu nehmen. Aber sind Vollverschleierung<br />

den Menschen in aller Welt den (so sehr ich diesen Begriff<br />

und Kopftuch tatsächlich Symbole des gewalttätigen Isla-<br />

auch hasse) totalen Krieg erklärt, darunter auch notabene<br />

mismus? Mir fallen zum Thema Dschihadismus eher die<br />

der überwältigenden Mehrheit der Muslime. In dieser Situa-<br />

typischen Rauschebärte der Männer ein. Erstens wird di-<br />

tion das westliche Verteidigungsbündnis aufzukündigen, wie<br />

ese Gewalt fast hundertprozentig von Männern ausgeführt<br />

mehrmals angedroht und dann wieder relativiert wurde (auch<br />

(weil den Frauen in der engen Welt des IS bloß die Rolle<br />

ein Fall von Fake News?), klingt gelinde gesagt ungeschickt.<br />

von Kinderzüchterinnen und Fickstuten zugestanden wird),<br />

Dabei geht es meines Erachtens gar nicht so sehr darum, ob<br />

zweitens tragen fast alle Dschihadisten Vollbärte in einer<br />

Europa ausreichend in seine eigene Verteidigung investiert<br />

eigenen und äußerlich leicht kenntlichen Manier. Warum<br />

oder nicht, es geht darum zusammenzustehen und dieses<br />

kommt niemand auf die Idee, diese Barttracht zu verbie-<br />

globale Problem gemeinsam und vereint anzupacken, denn<br />

ten? Zugegeben, ob sie uns bärtig oder bartlos ermorden,<br />

anders wird es sich nicht lösen lassen. Anders ausgedrückt:<br />

spielt im Grunde keine Rolle, doch die öffentliche Attacke<br />

Wer sich einbildet, im Alleingang mit einem Phänomen wie<br />

gegen Niqab und Kopftuch scheint mir eine Art Stellvertre-<br />

dem Islamischen Staat fertigzuwerden, wird sehr unsanft auf<br />

terkrieg zu sein, der nur Öl (das wir den Islamisten zuvor<br />

den Kopf fallen.<br />

teuer abkauften) ins Feuer gießt, aber, so wie es aussieht,<br />

Freilich ist es leicht, vom Alten Kontinent aus über den Groß-<br />

nicht das Geringste zu einer Besserung der Situation bei-<br />

en Teich zu schimpfen, so, als liefe bei uns alles pipifein. Man<br />

trägt. Gibt es unter all den Politikern, hierzulande, in der<br />

braucht indes seinen Kopf gar nicht besonders anstrengen,<br />

Europäischen Union und in den USA, tatsächlich keinen<br />

um zu sehen, dass auch hier einiges im Argen liegt. Nach<br />

hellen Kopf, der das erkennt? Die Politik läuft planlos um<br />

dem Verrat (sic!) Großbritanniens am Gemeinsamen Europa<br />

sich schlagend herum und mit ihnen die Boulevardpresse<br />

wittern Ultrarechte ihre Chance und veranstalten einen Trom-<br />

und viele Bürgerinnen und Bürger, die entweder längst den<br />

melwirbel, der einen ganz schwurbelig macht. Neologismen<br />

Kopf in den Sand gesteckt oder den Kopfhörer so laut ge-<br />

wie Frexit, Öxit und Nexit tauchten in den Medien auf, und es<br />

dreht haben, dass sie tatsächlich meinen, es ginge ohnehin<br />

würde mich nicht wundern, hätte ich ein paar weitere nach<br />

nur um eine lästige Kopfbedeckung.<br />

diesem Muster glatt übersehen. Warum fühlen sich alle plötz-<br />

Ein Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen, wie er<br />

lich so stark, dass sie meinen, mit einem Köpfler ins eiskalte<br />

anscheinend immer häufiger praktiziert oder zumindest<br />

Wasser und ganz allein die Geschicke des Planeten lenken zu<br />

vorgehabt wird, ist keine Lösung. Wenn wir solches zulas-<br />

können, ohne dass ihnen irgendwer dazwischenreden dürfe?<br />

sen, wandeln sich Vorurteile zu Gesetzen, und das endet,<br />

Essay<br />

Vielmehr sieht es so aus: Gewinnt der Kopf der Nationalfront<br />

die französischen Präsidentschaftswahlen, dann<br />

zerbricht Europa, so wie der amerikanische Präsident es<br />

wie wir aus unserer Geschichte wissen, am Kopfbahnhof.<br />

Also gilt es, einen Kopfball abzufangen, ihn mit Köpfchen<br />

in die richtige Bahn zu bugsieren und ein Tor zu schießen,<br />

©Heliane Wiesauer-Reiterer 2005 Kopf Marmor<br />

Essay


28 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 29<br />

Bericht<br />

Hommage an die Künstlerin<br />

Hannah Höch<br />

von Romana Maria Jäger<br />

Anne Therese Johanne Höch (1.Nov.1889 bis 31.Mai 1978)<br />

„Ich bin immer um die Dinge herumgegangen“, zitierte Peter<br />

Krieger sie in einer Publikation zu einer Gedächtnisausstellung<br />

der Künstlerin Hannah Höch<br />

Hannah Höch, eine interessante Figur der Kunstszene,<br />

eine Feministin in einer Zeit, als man besser nicht auffällig<br />

wurde, weil Krieg herrschte, weil Menschen verschwanden,<br />

denunziert, getötet wurden, weil sie anders waren,<br />

anders dachten. Lange bevor sie Dada Künstlerin war,<br />

klebte sie schon Blätter aus bunten Papieren zusammen.<br />

1904 gestaltete sie ihre erste Collage – im Deutschlandfunk.de<br />

findet sich ein Gedicht darüber. Ihr war wichtig,<br />

wann sie damit begonnen hatte.<br />

Hannah Höch, sie wuchs als Älteste von 5 Kindern in bürgerlichen<br />

Verhältnissen auf. Ihr künstlerisches Talent hatte<br />

sie wohl von ihrer Mutter erhalten – diese malte und<br />

zeichnete und förderte ihre Tochter diesbezüglich. Wie<br />

es damals üblich war, musste Hannah Höch bereits mit<br />

15 Jahren die Höhere Töchterschule verlassen. Zu Hause<br />

wurde sie wohl als Kindermädchen für die jüngste Schwester<br />

gebraucht.<br />

1912 zog Hannah nach Berlin, studierte an einer privaten<br />

Kunstgewerbeschule in Charlottenburg Gestaltung (Harold<br />

Bengen) Graphik und Buchkunst (Emil Orlik) und man<br />

fand sie alsbald im expressionistischen Künstlerkreis<br />

„Der Sturm“.<br />

Als Künstlerin beschäftigte sie sich zeitlebens mit neuen<br />

Tendenzen der Formgestaltung, Fotomontagen, Collagen.<br />

Grundlage für ihre Kunstwerke waren oft Zeitungsausschnitte.<br />

Als Illustratorin bei Ullstein (größter deutscher<br />

Verlag dieser Zeit) hatte sie ein sicheres Einkommen und<br />

den Zugang zum Grundmaterial Papier für ihre Arbeiten.<br />

Es war wohl ihre Liaison mit dem Künstler Raoul Hausmann,<br />

die sie zu der Berliner Dada Bewegung führte –<br />

dazu muss gesagt werden, dass Sie ihrem verheirateten<br />

Liebhaber sonst keinerlei Einmischung in ihr Leben gestattete!<br />

So wie sie überhaupt ein selbstbestimmtes, aber<br />

eben kein leichtes Leben führte, entschied sie sich im<br />

Leben noch oft genug für Trennungen, um ungestört arbeiten<br />

zu können.<br />

1917 und 1918 erzielte sie bereits Erfolge. Es entstanden<br />

in der Zeit ihre ersten Fotomontagen – die Grundlage ihrer<br />

späteren Berühmtheit. Hannah Höch hatte sich bereits<br />

während ihrer Ausbildung mit dem Verfahren der Collage<br />

beschäftigt. Das erste von ihr bekannte Klebebild ist<br />

„Weiße Wolke“ von 1916.<br />

Hannah Höch war eine Frau, die sich mit den gängigen<br />

Rollenklischees ihrer Zeit beschäftigte – sie begann Frauenbilder<br />

zu montieren, überspitzte und dekonstruierte die<br />

damals gültigen Klischees der Geschlechter. 1919 stand<br />

sie z.B. in einer Dada Revue mit einer Kinderpistole und<br />

Topfdeckeln auf der Bühne.<br />

Die Trennung vom verheirateten Liebhaber Hausmann war<br />

eine Art Befreiungsschlag für Hannah. Sie intensivierte<br />

den Kontakt zu befreundeten KünstlerInnen und arbeitete<br />

„Die Journalisten”1925/dpa/picture alliance/Stephanie Pilick<br />

sehr viel. Zu der Zeit verabschiedete sie sich auch von der<br />

Dada Bewegung.<br />

Über ihren Freund Kurt Schwitters lernte sie Mitglieder<br />

der niederländischen Avantgarde-Kunstbewegung kennen.<br />

1926 fuhr sie in die Niederlande und blieb 3 Jahre.<br />

Dort traf sie ihre große Liebe, die Schriftstellerin Til Brugmann<br />

mit ihr teilte sie die nächsten 9 Jahre ihres Lebens.<br />

Auch in dieser Zeit blieb sie Deutschland künstlerisch verbunden.<br />

Ab 1929 zogen die beiden Frauen zusammen wieder zurück<br />

nach Berlin, in diesem Jahr hatte sie auch ihre ersten<br />

Einzelausstellungen.<br />

Hannah war eine Frau, die experimentierte, probierte, sie<br />

lebte ihre Kunst aus, ihre Weiblichkeit, wohl auch die sexuellen<br />

Orientierungen<br />

Hannah beteiligte sich 1931 an der Ausstellung „Frauen<br />

in Not“ – ein Aufruf zur Akzeptanz des Paragraphen 218 –<br />

dem Recht auf Abtreibung. Im gleichen Jahr nahm sie Teil<br />

an der Ausstellung „Fotomontage“ bei der die Klebekunst,<br />

die Montage, ihre Kunstrichtung, zum ersten Mal als eigenständige<br />

Kunstform anerkannt wurde.<br />

Hannah widmete ihre Kunst in vielen Dimensionen dem<br />

Rollenbild und der Definition von Weiblichkeit, deren Wurzeln<br />

sie immer wieder hinterfragte. Vielleicht kann man<br />

diese Künstlerin auch als eine Feministin der ersten Stunde<br />

bezeichnen.<br />

Als Hitler 1933 die Macht übernahm, blieb sie mit ihrer<br />

Lebensgefährtin Brugmann in Berlin. Sie reagierte künstlerisch<br />

auf die politische Situation, Ausstellungen hatte<br />

sie in dieser Zeit eher nicht. 1936 trennte sich das Paar<br />

Höch-Brugmann – danach kam der Handelsreisende Kurt<br />

Heinz Matthies in ihr Leben, welchen sie 1938 heiratete.<br />

Diese Verbindung stillte wohl einen ganz eigenen Hunger<br />

nach Inspiration - sie begleitete ihren Mann während seiner<br />

Arbeitsreisen und besuchte währenddessen Museen.<br />

Die Verbindung zerbrach dann wohl durch die Krankheit<br />

ihres Mannes – der Exhibitionist wurde verurteilt und wohl<br />

auch entmannt. Dies belastete Hannah Höch schwer.<br />

Ebenso schwer nahm sie wohl die künstlerischen Entwicklungen<br />

in ihrer Heimat – Ausstellungen wie „Entartete<br />

Kunst“ – „Säuberung des Kunsttempels“ und die Tatsache,<br />

dass Frauen zu dieser Zeit in der Kunst so gut wie<br />

gar nicht vertreten waren.<br />

Hannah versuchte während der ganzen Nazi -Zeit möglichst<br />

unauffällig zu leben und ihren Werten und Zielen<br />

trotzdem treu zu bleiben. In dieser Zeit entstanden symbolträchtige<br />

Bilder zu ihrem Lebensweg – Blumen- und<br />

Pflanzenstillleben.<br />

1939 kaufte sie ein Haus in Berlin Heiligensee, weit weg<br />

vom Zentrum der Stadt. Hier hatte sie einen Garten, der<br />

ihr wohl in schweren Zeiten Lebenswillen gab und für<br />

Nahrung sorgte. Dort hat sie während des 2. Weltkrieges<br />

anscheinend tief einsam gelebt „Manchmal sprach ich<br />

monatelang keine Wort“, liest man in ihrem Tagebuch aus<br />

dieser Zeit. Erst 1946 werden ihre Fotomontagen in Berlin<br />

wieder gezeigt. 2 Jahre später beteiligte sie sich an einer<br />

Retrospektive der Dada Künstler im Museum of Modern<br />

Art in New York.<br />

Einige von Höchs späten Werken (1956 bis 58) strahlen<br />

die grelle Künstlichkeit von Folien, Autolack oder Plastik<br />

aus. Protest und Toleranz waren für sie untrennbar verbunden.<br />

Gestorben ist Hannah Höch nach einem wohl schwierigen,<br />

aber künstlerisch sehr reichen Leben im Alter von 88 Jahren<br />

am 31. Mai 1978 in ihrem Haus in Berlin Heiligensee.<br />

Ihre Wärme und kritische Distanz charakterisieren eine<br />

große Künstlerin.<br />

Leid, sagt man, verändere die Menschen, zum Guten oder<br />

zum Bösen. Bei Höch ist es wohl zum Guten geworden,<br />

die Distanz und der Menschenverstand haben sie milde<br />

gestimmt, sie zu einer besonderen Frau und Künstlerin<br />

gemacht. Leider werden ihre Tagebücher aus dem Nachlass<br />

der Öffentlichkeit nicht oder nur zu einem kleinen Teil<br />

zugänglich gemacht. Aber ich warte auf die Zeit, in der<br />

sich das ändert, denn, wann immer dies geschieht, werde<br />

ich die Erste sein, die sich diesen Texten widmet, und<br />

sicher wird dann die Welt noch mehr erfahren über die<br />

Dame Höch.<br />

Hannah Höch<br />

Anne Therese Johanne Höch, geb. 1889, Gotha; gest. 1978,<br />

West Berlin war eine deutsche Künstlerin - Malerin, Grafikerin.<br />

Sie gilt als eine der Begründerinnen der Bildermontagen bzw.<br />

Fotocollagen und Mitbegründerin des Dadaismus. Sie wurde<br />

1965 an die Akademie der Künste in Berlin berufen, war Mitglied<br />

im Deutschen Künstlerbund. Sie setzte sich besonders für den<br />

Feminismus ein.<br />

Romana Maria Jäger<br />

Geb. in St. Pölten, lebt in St. Pölten. Autorin/Projektentwicklerin,<br />

Trainerin/Künstlerin Lebens&Sozialberaterin.<br />

Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch<br />

für das, was wir nicht tun! (Mollier)<br />

©Heliane Wiesauer-Reiterer 2006 Kopf Holz 28x29x13,5<br />

Bericht


30 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 31<br />

Buchmesse Leipzig<br />

Frühlingsbeginnnicht<br />

nur in der Natur<br />

Alljährlich findet die Leipziger Buchmesse im Frühjahr statt,<br />

als Auftakt eines neuen Buchjahres, das zunehmend von<br />

Umsatzzahlen getrieben wird. In den Mittelpunkt rückt, was<br />

gesellschaftlich „nachgefragt“ wird und langfristig Erfolg verspricht.<br />

- Cornelia Stahl - ©Fotos Cornelia Stahl<br />

legerverbands, bemerkte, dass Litauen ein kleines Land sei<br />

mit wenigen Lesern. Daher sind Bücher relativ teuer. Besonders<br />

seit der Finanzkrise 2008/2009 erlebte die Verlagsbranche<br />

einen Rückgang und hat sich bis dato nicht erholt.<br />

Vor 2009 erschienen 4500 neue Titel pro Jahr. 2017 verzeichnete<br />

sie kaum 3400 neue Titel. Die meisten litauischen<br />

Neuerscheinungen werden vom österreichischen Übersetzer<br />

und Autor Cornelius Hell betreut.<br />

Was gibt’s Neues?<br />

Natürlich, jetzt komme ich zu den Neuigkeiten, die auf der<br />

Buchmesse erstmals vertreten waren: im „Startup Village“<br />

wurden digitales Publishing und Online-Lernplattformen vorgestellt.<br />

Zwischen Reformationsjubiläum und Oktoberrevolu-<br />

In der Begründung der Jury heißt es: „Barbara Stollberg-Rilingers<br />

große Biographie über die Habsburgerin ist tatsächlich<br />

bahnbrechend: Zum einen rückt sie eine der bedeutenden<br />

Gestalten in der europäischen Geschichte endlich in das ihr<br />

gebührende Licht. (...) Sie beschreibt (...) dieses Leben als<br />

Inszenierung eines Spiels in vielen verschiedenen, aber gleichzeitigen<br />

Rollen.“ Die Autorin erschließt durch die Person<br />

Maria Theresia zugleich eine ganze Epoche.<br />

In der Kategorie Übersetzung erhielt Eva Lüdi Kong mit ihrem<br />

Buch „Die Reise in den Westen“ (Reclam-Verlag, 2017) den<br />

mir in Leipzig erschloss, klingen positiv nach, z.B. die vertrauensvollen<br />

Gespräche mit Annegrat Heine von der Agentur<br />

Graf Text, Limbach-Oberfrohna oder mit Jens Kuhbandner<br />

vom Notschriften-Verlag Radebeul (bei Dresden), der die<br />

Kostbarkeiten des herausragenden Lyrikers Hanns Cibulka<br />

verlegt.<br />

Wer weiterlesen und sich ausführlicher informieren möchte,<br />

dem empfehle ich die Seiten:<br />

www.preis-der-leipziger-buchmesse.de,<br />

www.leipziger-buchmesse.de<br />

Nähere Infos zu Litauens Literatur, unter<br />

www.deutschlandradiokultur.de,vom 7.02.2017.<br />

tion stach der Themenschwerpunkt „Europa 21“ hervor. Un-<br />

Neuerscheinungen aus Litauen:<br />

ter dem Fokus „WIR in Europa - wofür wollen wir einstehen?“<br />

Undinė Radzevičiūte: Fische und Drachen. Übersetzt<br />

wurden verschiedene Diskurse geführt. Wie im letzten Jahr,<br />

von Cornelius Hell. Residenz Verlag<br />

waren auch heuer die Manga- und Cosplay-Fans angereist,<br />

Anatanas Škėma: Das weiße Leintuch. Übersetzt von<br />

kostümiert versteht sich, um die „Manga-Comic-Con“ zu be-<br />

Claudia Sinnig. Guggolz Verlag<br />

suchen.<br />

Tomas Venclova, Ellen Hinsey: Der magnetische<br />

Zum Reformationsjubiläum 2017 präsentierten sich zahl-<br />

Norden. Gespräche. Übersetzt von Claudia Sinnig.<br />

reiche Städte mit eigenen Programmen. „Barfuß ins Him-<br />

Suhrkamp<br />

melreich? - Martin Luther und die Bettelorden in Erfurt-“ war<br />

Alvydas Šlepikas: Der Regengott und andere Erzählun-<br />

eine herausragende Ausstellung, die hervorstach aus der<br />

Preis der Leipziger Buchmesse. Das Werk gilt als das pop-<br />

gen. Übersetzt von Markus Roduner. Mitteldeutscher<br />

Fülle der Angebote und vom 18.5.2017 bis 12.11.2017 im<br />

ulärste Buch der chinesischen Literatur. Bis heute lebt es fort<br />

Verlag<br />

Stadtmuseum Erfurt zu sehen sein wird, begleitet von Paral-<br />

in Mangas, Computerspielen und Filmen, ist ungefähr 400<br />

Eugenijus Ališanka: Streifzüge. Risse. Fluchtpunkte.<br />

lelveranstaltungen in und um Erfurt.<br />

Jahre alt und hat es bisher nicht auf Deutsch gegeben, nur in<br />

Übersetzt von Claudia Sinnig. Klak Verlag<br />

Preise, Preise, und nochmals Preise ...<br />

versprenkelten Ausschnitten. Der Verdienst, dass es nun als<br />

Laimonas Briedis: Vilnius. Reisen in die ferne Nähe.<br />

Die Preise der Leipziger Buchmesse 2017 gingen heuer<br />

Gesamtwerk erschienen ist, geht auf die Übersetzerin Eva<br />

Übersetzt von Cornelius Hell. Wieser Verlag<br />

in der Kategorie Belletristik an Natascha Wodin mit ihrem<br />

Lüdi Kong zurück, die selbst 25 Jahre in China lebte. Mit viel<br />

Renata Šerelytė: Der Windreiter. Übersetzt von Corne-<br />

Buch: „Sie kam aus Mariupol“, das im Rowohlt-Verlag er-<br />

Liebe zum Detail und überdimensionalem Aufwand hat sie<br />

lius Hell. Wieser Verlag<br />

schienen ist. In einer früheren Ausgabe der Zeitschrift Alter-<br />

sich die Mühe gemacht, den Kosmos der chinesischen Kul-<br />

Jurgis Kunčinas: Tula. Übersetzt von Markus Roduner.<br />

Bericht<br />

Parallel zur Leipziger Buchmesse fanden hunderte Veranstaltungen<br />

unter dem Thema „Leipzig liest“ in der ganzen<br />

Stadt und an verschiedenen Standorten statt. Unter der<br />

gestiegenen Anzahl an Ausstellern (2400 statt 2250 im Jahr<br />

2015) befanden sich auch 206 aus Österreich.<br />

Schwerpunktland Litauen<br />

Als Schwerpunktland präsentierte sich Litauen mit Literatur<br />

und Kultur. Eine Repräsentantin der Literatur Litauens<br />

war Undinė Radzevičiūte, die „unlitauischste litauische<br />

Schriftstellerin“, wie der Standard vom 18.März 2017 anmerkte.<br />

In ihrem Roman „Fische und Drachen“ (übersetzt<br />

von Cornelius Hell, Residenz-Verlag, 2017) erzählt sie vom<br />

Zusammenprall zweier Kulturen.<br />

Aida Dobkeviciute, Geschäftsführerin des litauischen Ver-<br />

native (11/2016) berichtete ich von der Ausstellung „Zwangsarbeit<br />

im Nationalsozialismus“, die 2016 im Museum der<br />

Arbeitswelt Steyr gezeigt wurde. Im Buch „Sie kam aus<br />

Mariupol“ forscht Natascha Wodin nach den Lebensspuren<br />

ihrer ukrainischen Mutter Jewgenia. Sie stößt dabei auf<br />

das Schicksal ihrer Tante Lidia. Während die Mutter 1943<br />

mit ihrem russischen Mann als Zwangsarbeiterin in einem<br />

Leipziger Montagewerk für Kriegsflugzeuge arbeiten musste,<br />

kam die Tante zehn Jahre zuvor in ein sowjetisches Straflager.<br />

Eine Parallelität, die die Familiengeschichte zerteilt. „Sie kam<br />

aus Mariupol“ erzählt anhand einer persönlichen Geschichte<br />

von den Brüchen des 20. Jahrhunderts.<br />

Den Preis der Leipziger Buchmesse 2017 in der Kategorie<br />

Sachbuch/Essayistik wurde an Barbara Stollberg-Rilinger<br />

vergeben, für ihr Buch „Maria Theresia“ (C.H. Beck-Verlag).<br />

tur in eine für Europäer verständliche Sprache zu bringen,<br />

einschließlich der konfuzianischen, buddhistischen, daoistischen,<br />

alchemistischen Traditionen. Eva Lüdi Kong hat somit<br />

Transfer- und Vermittlungsarbeit zwischen den Kulturen<br />

geleistet.<br />

Im Dschungel der Veranstaltungen, Lichter und Monitore,<br />

auf denen Heldinnen und Heldinnen der Litearur herabblickten<br />

auf die Leserschar, dachte ich an kleinere Messen wie<br />

die „Buch Wien“ zurück oder an die Kritischen Literaturtage,<br />

die jedes Jahr in Wien stattfinden und auf denen Begegnung<br />

zwischen Autoren/Autorinnen und Leser/Leserinnen<br />

auf Augenhöhe stattfinden, und anschließend Gespräche<br />

entstehen lassen, in denen Autoren/Autorinnen lebendig/<br />

greifbar/angreifbar werden. Eine lebendige Art der Literaturvermittlung<br />

eben. Die kleinen, feinen Kontakte, die ich<br />

Corso Verlag<br />

Giedra Radvilavičiūte: Der lange Spaziergang auf der<br />

kurzen Mole. Übersetzt von Cornelius Hell. Corso Verlag<br />

Laurynas Katkus: Moskauer Pelmeni.Übersetzt von<br />

Claudia Sinnig. Leipziger Literaturverlag<br />

Ingė Lukšaitė: Die Reformation im Großfürstentum<br />

Litauen und in Preußisch-Litauen. Übersetzt von Lilija<br />

Künstling. Leipziger Universitätsverlag<br />

Cornelia Stahl<br />

Redakteurin „Literaturfenster Österreich“ bei Radio Orange, www.<br />

o94.at, schreibt für bn-Bibliotheksnachrichten Salzburg, „Die Alternative“,<br />

„Tarantel“ und „<strong>etcetera</strong>“, ist Redakteurin und Jurorin des<br />

LitArena Heftes „<strong>etcetera</strong> 69”, das am 10.10.17 in der Landesbibliothek<br />

STP präsentiert wird.<br />

Bericht


32 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 33<br />

Soshana,<br />

eine dickköpfige Künstlerin<br />

in den folgenden Jahrzehnten. Sie bereiste Südostasien,<br />

Afrika, Südamerika und setzte sich intensiv mit den jeweili-<br />

Wie das Malen zum Ausdruck ihres Leidens, der Einsamkeit,<br />

ihrer oft depressiven Stimmungen und melancho-<br />

einer neuen Weise fassbar – wir erhalten einen Eindruck<br />

von einer stets um Emanzipation ringenden Frau, einer<br />

gen geistigen und künstlerischen Traditionen auseinander.<br />

lischen Gefühlen wurde, so entsprang auch das Aufschrei-<br />

verzweifelten Mutter, einer dickköpfigen Künstlerin, einer<br />

Karoline Riebler beschäftigt sich seit 4 Jahren mit der<br />

Im Jahr 1985 kehrte sie schließlich wieder in ihre Geburts-<br />

ben ihrer Tätigkeiten und Erlebnisse in ihren auf den<br />

nie zur Ruhe gekommenen Weltensammlerin.<br />

jüdischen Künstlerin, die 1938 mit 11 Jahren ihre Heimat<br />

stadt Wien zurück. Mit vielen ihrer Landsleute teilt sie das<br />

Reisen mitgeführten Tagebüchern einem fast täglichen<br />

Wien verlassen musste. Nun (ab Juli 2017) liegt der Band<br />

Schicksal, dass ihre im Ausland erworbene künstlerische<br />

Dokumentationszwang. Gearbeitet hat Soshana auf ihren<br />

„Soshana. Die Tagebücher”.<br />

„Soshana. Die Tagebücher” im Handel vor.<br />

Anerkennung und Wertschätzung mit großer Verzögerung<br />

Reisen, da sie aus Platz- und Transportgründen nicht im-<br />

Ich bin eine Weltensammlerin. die<br />

mer die Möglichkeit hatte, auf Leinwänden zu malen, oft<br />

Tagebücher der Künstlerin Soshana.<br />

auf Papier. In den Tagebüchern dokumentierte sie ihren<br />

Amos Schueller und Karoline Riebler<br />

Tagesablauf recht sachlich. Mehr oder weniger detailliert<br />

(Hrsg.), 260 Seiten mit Farbabbildungen<br />

beschreibt sie ihre Ausflüge, die von ihr besichtigten Se-<br />

in Deutsch und Englisch, De Gruyter Ver-<br />

henswürdigkeiten, Hotelgegebenheiten, das Klima, ihr<br />

lag, ISBN 978-3-11-053400-9<br />

gesundheitliches Befinden sowie Bekanntschaften: Soshana<br />

bewegte sich sowohl im New Yorker Künstler- und<br />

Intellektuellenmilieu als auch in den Pariser Kreisen der<br />

BUCHPRÄSENTATION „Soshana. Die Tagebücher”<br />

europäischen Avantgarde. Sie war befreundet mit Adolph<br />

am Mittwoch, 13.9.2017 in der Österreichischen National-<br />

Gottlieb, Mark Rothko, Pablo Picasso, Alberto Giacometti,<br />

bibliothek Wien. www.onb.ac.at<br />

Jean-Paul Sartre, Albert Schweitzer, Yves Klein und unzäh-<br />

Mehr Infos über Soshana unter: www.soshana.com<br />

ligen anderen Persönlichkeiten ihrer Zeit.<br />

Aber auch sehr persönliche Erlebnisse werden beschrie-<br />

Soshana<br />

ben: Sie dokumentiert ihre Zukunftssorgen, die Suche<br />

Geb.1927 in Wien (bürgerlicher Name: Susanne Schüller) nach dem<br />

nach Liebe und ihre Männerbekanntschaften, das schlech-<br />

Anschluss Österreichs an Deutschland verlässt sie Wien mit ihren<br />

te Gewissen, ihren Sohn Amos in Österreich zurückgelas-<br />

Eltern und ihrem Bruder, kurzer Aufenthalt in der Schweiz und in<br />

sen zu haben, das Leben und den Stand als Künstlerin<br />

Paris dann Umzug nach England, Northwood College Besuch der<br />

in der Gesellschaft. Internationale gesellschaftliche Pro-<br />

Chelsea Polytechnic School in London, Mal- und Zeichenkurse,<br />

bleme oder Gedanken über die (noch nicht erreichte)<br />

Emigration nach Amerika. Besuch der Washington Irving High<br />

Gleichstellung der Frauen respektive Künstlerinnen mit<br />

School, New York. Sie beginnt unter der Anleitung von Beys Afroyim<br />

den Männern im Allgemeinen respektive Künstlerkollegen<br />

zu malen. 1951 Studium an der Hochschule für angewandte Kunst<br />

im Besonderen, über die Angst vor weiteren Kriegen und<br />

in Wien.1952 Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien<br />

andere heute immer noch aktuelle Themen fanden Auf-<br />

unter Prof. Sergius Pauser, Albert P. Gütersloh und Prof. Herbert<br />

nahme in ihre Notizen.<br />

Boeckl.1952 Umzug nach Paris.1953 Soshana arbeitet im ehema-<br />

Soshana, Self-Portrait (1951) Oil on Canvas 75cm x 48cm<br />

Soshana, Self-Portrait II. (2001) Oil on Canvas 60cm x 40cm<br />

Um einen Einblick in diese hier nur kurz skizzierte Situation<br />

zu geben, wurden für die vorliegende Publikation –<br />

ligen Atelier von Paul Gauguin, Picasso lädt Soshana zu sich nach<br />

Vallauris ein.1954 Soshana wird von Picasso portraitiert.1964<br />

Die Tagebücher der österreichischen Künstlerin Soshana<br />

in Österreich wahrgenommen wurde. So erfolgten erst in<br />

ausgehend von Amos Schuellers Idee, Eintragungen aus<br />

Beginn längerer Aufenthalte und Ausstellungen in Mexiko.19<strong>68</strong><br />

umfassen eine Zeitspanne von über einem halben Jahrhun-<br />

den letzten Jahren Ehrungen durch die Stadt Wien und die<br />

Soshanas Tagebüchern in der öffentlichen Lesung „So-<br />

Weltreise, u.a. in die Südsee, in die Karibik, nach Thailand, Bali,<br />

dert (1952-2003) und dokumentieren ihre bemerkenswer-<br />

Republik Österreich. Im Dezember 2015 verstarb Soshana<br />

shana. Eine Wienerin in Paris. Ein Monat aus Soshanas<br />

Australien, Indien, Sikkim, Nepal, Afghanistan, den Iran und Israel.<br />

te Biografie als Künstlerin und Kosmopolitin ebenso wie<br />

in ihrem 89 Lebensjahr, die Jubiläumspublikation „Sosha-<br />

Tagebuch” zu präsentieren (2014) – Textstellen aus den<br />

1972 Umzug nach nach Jerusalem und1974 nach New York.1985<br />

ihre Rolle als sensible Zeitzeugin. Geprägt war der Lebens-<br />

na. Die Tagebücher”, welche in Deutsch und Englisch er-<br />

Jahren 1941 bis 1979 aus Soshanas zahlreichen, im Besitz<br />

Soshana zieht wieder nach Wien. 2005 - 2008 Lebt und arbeitet<br />

weg der 1927 in Wien in eine jüdische Familie geborenen<br />

scheint, ist der österreichischen Künstlerin zu ihrem 90.<br />

der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien befind-<br />

sie in Wien; Ausstellungen weltweit. 2009 Soshana wird mit dem<br />

Susanne Schüller zunächst von der Vertreibung ihrer Fa-<br />

Geburtstag gewidmet.<br />

lichen Tagebüchern ausgewählt. Diese Textstellen werden<br />

Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien geehrt. Am Mittwoch,<br />

milie durch das NS-Regime. Sie flüchteten 1938 über die<br />

in den Kontext ihres zeitgleichen künstlerischen Schaf-<br />

9. Dezember 2015 verstirbt Soshana in ihrem 89. Lebensjahr in<br />

Schweiz nach England. Es folgten Jahre im amerikanischen<br />

„All day I run from place to place across the globe. Yet I<br />

fens gesetzt: Die Tagebuchauszüge sind Soshanas zeitlich<br />

ihrem Geburtsort Wien.<br />

Bericht<br />

Exil; doch erst in der Kunstmetropole Paris fand Soshana<br />

schließlich für viele Jahre eine neue Heimat und Anschluss<br />

an die künstlerische Avantgarde dieser Zeit. Zahlreiche<br />

ausgedehnte Reisen bestimmten das Leben der Künstlerin<br />

cannot find peace […]<br />

Maybe my soul has to be tormented to create – with pain.<br />

Like giving birth to life!“<br />

(Zitat aus Soshanas Tagebüchern, 28. Jänner 1957)<br />

parallel entstandenen Gemälden, Zeichnungen und Fotografien<br />

gegenübergestellt, wodurch unser Bild von Soshana<br />

abgerundet wird. Soshanas vielschichtige Persönlichkeit,<br />

ihr Leben und künstlerisches Schaffen werden in<br />

Karoline Riebler<br />

Geb. 1988 in St. Pölten. Studium der Kunstgeschichte (Mag. Phil.)<br />

an der Universität Wien. Mehrere Jahre im Kulturmarketing tätig.<br />

Bericht


34 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 35<br />

Unica Zürn und Alexander<br />

Camaro<br />

haltes bei Freunden entwickelt sich ein intensiver Briefwechsel<br />

zwischen Unica Zürn und Alexander Camaro. Gegenseitige<br />

ben. Sie verfällt seiner magischen Anziehungskraft und Ausstrahlung.<br />

Durch den Impuls des Klopfens entstehen Zeich-<br />

Literaturhinweise und Quellen<br />

Deutsche Nationalbibliothek: Zürn, Unica. Publikationen. Online ver-<br />

Ermunterungen, reger künstlerischer Austausch über das<br />

nungen, doch entwickelt sich der Schreibimpuls zeitweise zur<br />

fügbar unter https://portal.dnb.de/opac.htm?query=118928<strong>68</strong>6<br />

Entdeckte Briefe eröffnen neue Sicht auf die Anagrammdichterin<br />

Unica Zürn – ein Bericht von Cornelia Stahl<br />

Leben am anderen Ort sind Inhalte der Briefe. Die Korrespondenz<br />

zwischen beiden Künstlern dauert ungefähr vier Jahre.<br />

Manie. Wahnvorstellungen entstehen. Sie hört die Schläge<br />

eines Mannes, dem sie unterlegen ist, der ihr seinen Willen<br />

&method=simpleSearch&cqlMode=true, abgerufen am 10.03.2017<br />

u.a.<br />

So lange hält auch die Beziehung. Die Briefe verschwinden,<br />

aufzwingt. Vermutungen liegen nahe, dass sich Missbrauch<br />

Zürn, Unica: Anagramme. Entnommen aus der Gesamtausgabe,<br />

fein säuberlich geordnet, in Kisten verpackt.<br />

(durch den Bruder) und Entfremdungen miteinander vermi-<br />

Band 1, Verlag Brinkmann und Bose, Berlin 1988. Online verfügbar<br />

1953 begegnet Unica Zürn bei einer Berliner Ausstellungs-<br />

schen. Der entfremdete Vater, dem Unica Zürn nie wirklich<br />

unter<br />

http://www.iti.fh-flensburg.de/lang/fun/anagram/uni-<br />

eröffnung in der Galerie von Rudolf Springer dem Surrea-<br />

nahe sein konnte. Auf der anderen Seite die Unterlegenheit<br />

ca/ana1.htm, abgerufen am 10.03.2017. WebCite®-Archivfassung:<br />

listen Hans Bellmer, der Mitte der dreißiger Jahre nach Paris<br />

als „Puppe“ und „Missbrauch“ als Objekt für Bellmers künst-<br />

http://www.webcitation.org/6ajGZ2NhO.<br />

©Johannes Lederer, Unica Zürn, 1953,Brinkmann & Bose<br />

Zürn, Unica: Hexentexte. 10 Zeichnungen und 10 Anagramm-Texte. Mit einem Nachwort<br />

von Hans Bellmer. Galerie Springer Berlin. 1954.<br />

lerische Installationen und Experimente.<br />

Kälte und Lieblosigkeit der Mutter im Kindesalter vermischen<br />

sich mit gegenwärtigen Erfahrungen, äußern sich unmittelbar<br />

in Zeichnungen und Anagrammgedichten der Künstlerin. Die<br />

„Erdachten Briefe“ und „Les Jeux a Deux“ sind Spiele einer<br />

ungefährlichen Wirklichkeit. Es sind Spiele, die für sie zum<br />

gefährlichen Spiel mit der Unwirklichkeit werden. Als Anfang<br />

der 60er Jahre „paranoide Schizophrenie“ bei Zürn diagnostiziert<br />

wird, beginnen Phasen ekstatischen Schaffens, die sich<br />

abwechseln mit depressiven Lähmungszuständen, irrealen<br />

Vorstellungen und Wahnideen. „Indem ich alle Hoffnungen auf<br />

Wärme aufgebe, morde ich die Kälte“, äußert sich die Künstlerin.<br />

Negativ paradoxe Bewegungen ihres Denkens spiegeln<br />

sich in ihren Zeichnungen. Sie bergen unerträgliche Spannungen<br />

in sich, sind teilweise überfüllt, verweisen auf strenge<br />

Umgrenzungen. Anders ihre Anagramme, die einem strengen<br />

formalen Gesetz unterliegen, sich jedoch öffnen, spielerisch<br />

wandeln mit den Buchstaben. Bewusstes und Unbewusstes<br />

vermischen einander. „Blauer Mittagshimmel des Frühlings.<br />

Wie oft bist du schwarz geworden, schlagartig; sowie das<br />

Drehen beginnt, das sich plötzliche Auflösen…“ (aus: Hexentexte.<br />

Zehn Zeichnungen und zehn Anagramm-Texte. Mit<br />

Zürn, Unica (1954): Hexentexte. Zehn Zeichnungen und zehn Anagrammtexte.<br />

Berlin. Galerie Springer.<br />

Zürn, Unica (1986): Das Haus der Krankheiten. Geschichten und<br />

Bilder einer Gelbsucht ; vom Ende April bis Anfang Mai 58 notiert und<br />

gezeichnet in Ermenonville/Oise. Berlin. Brinkmann & Bose. 1999.<br />

Zürn, Unica (1969): Dunkler Frühling. Erzählung. 3. Aufl. Gifkendorf.<br />

Merlin. 2008 (Kaleidoskop Merlin)<br />

Zürn, Unica (1977): Der Mann im Jasmin. Frankfurt am Main, Berlin.<br />

Ullstein. 1992 (Ullstein-Bücher, 30288 : Die Frau in der Literatur)<br />

Zürn, Unica (1980): Im Staub dieses Lebens. Dreiundsechzig Anagramme.<br />

Berlin. Alphëus.<br />

Zürn, Unica (1981): Das Weisse mit dem roten Punkt. Unveröffentlichte<br />

Texte und Zeichnungen. Herausgegeben von Inge Morgenroth.<br />

Berlin. Lilith.<br />

Gesamtausgabe Zürn, Unica (1988): Anagramme. 1. Aufl. Berlin.<br />

Brinkmann & Bose. (Gesamtausgabe in 8 Bänden / Unica Zürn. Hrsg.<br />

v. Günter Bose, 1)<br />

Zürn, Unica (1989): Les jeux à deux. Berlin. Langner & Bose.<br />

Zürn, Unica (1989): Prosa 1. 1. Aufl. Berlin. Brinkmann & Bose. (Gesamtausgabe<br />

in 8 Bänden / Unica Zürn. Hrsg. v. Günter Bose, 2)<br />

Zürn, Unica (1991): Prosa 2. 1. Aufl. Berlin. Brinkmann & Bose. (Gesamtausgabe<br />

in 8 Bänden / Unica Zürn. Hrsg. v. Günter Bose, 3)<br />

immigriert war. Dessen Frau war bereits 1938 verstorben. Zwi-<br />

einem Nachwort von Hans Bellmer. Galerie Springer Berlin).<br />

Zürn, Unica (2005): Drawings from the 1960s. Ausstellungskatalog.<br />

Bekannt wurde die 1916 in Berlin geborene Künstlerin Unica<br />

schen beiden Künstlern entspinnt sich eine fruchtbringende<br />

Reizvoll war das Leben neben oder mit Hans Bellmer, jedoch<br />

New York. Ubu Gallery. (Volltext (PDF))<br />

Zürn (als Nora Berta Ruth Zürn) durch ihre Anagrammgedichte.<br />

Beziehung. Für Unica Zürn eine ebenso gefährliche, denn in<br />

erschütterte es das Selbstbewusstsein und den Selbstwert<br />

Zürn, Unica (2009): Alben. Bücher und Zeichenhefte. Herausgegeben<br />

Ihre Freundschaft mit dem Maler Alexander Camaro blieb bis-<br />

seiner neuen Partnerin sah Hans Bellmer eine lebende „Pou-<br />

der Künstlerin Unica Zürn. Die vergeblichen Versuche, sich<br />

von Erich Brinkmann. Berlin. Brinkmann & Bose.<br />

her unbeachtet. Die Alexander und Renata Camaro - Stiftung<br />

pée“, die er schnürt, malt, fotografiert. Zuvor hatte der Sur-<br />

aus der Beziehung mit Hans Bellmer zu lösen, hat Unica Zürn<br />

Hinweis: Der Ausstellungskatalog „Unica Zürn, Camaro und Hans<br />

zeigte 2016 eine Ausstellung in Berlin, die das Zuammenwir-<br />

realist Bellmer dies nur mit seinen selbst gebauten Figuren<br />

in ihren letzten Jahren mit ihrer Freundin Ruth Henry geteilt.<br />

Bellmer in Berlin. Der 40er bis 60er Jahre. Unica Zürn zum 100. Geburt-<br />

ken der drei Künstler Alexander Camaro, Unica Zürn und Hans<br />

praktiziert. Auf Anregung Bellmers beginnt Zürn 1953 mit dem<br />

Henry hat Zürns Romane „Der Mann im Jasmin“ und „Dunkler<br />

stag.“ ist im Verlag Brinkmann&Bose, 2016 erschienen.<br />

Bellmer näher beleuchtete. Kürzlich entdeckte Briefe eröffnen<br />

Schreiben von Anagrammgedichten, welches sie nicht mehr<br />

Frühling“ ins Französische übersetzt und sich für deren Veröf-<br />

eine neue Sicht auf die Künstlerin.<br />

loslässt und dass sie sogartig und leidenschaftlich praktiziert.<br />

fentlichungen eingesetzt.<br />

1951 schickt Unica Zürn dem Künstler Camaro eine zum Krin-<br />

Es bereitet ihr großes Vergnügen: das Suchen in einem Satz<br />

Während einer kurweiligen Beurlaubung und Entlassung aus<br />

Cornelia Stahl<br />

Bericht<br />

gel gedrehte Strähne, eine sogenannte Dichterlocke, dazu<br />

eine getrocknete Blume und eine Halskette von Wiesbaden<br />

nach Berlin. Unterschrieben ist der Brief mit dem Kürzel: „deine<br />

Gespensterbraut“. Während ihres zweimonatigen Aufent-<br />

nach einem neuen. Irgendwann entspinnen sich diese zu<br />

einem Orakel, nehmen Gestalt an.<br />

Nach der Begegnung mit Henri Michaux, 1957/58, beginnt<br />

Unica Zürn mit dem automatischen Zeichnen und Schrei-<br />

dem Spital besucht Unica Zürn Hans Bellmer in seiner Pariser<br />

Wohnung und stürzt sich dort am 19. Oktober 1970 aus dem<br />

Fenster. Im Juli 2017 jährt sich der Geburtstag der Surrealistin<br />

zum 101. Mal.<br />

Redakteurin „Literaturfenster Österreich“ bei Radio Orange, www.<br />

o94.at, schreibt für bn-Bibliotheksnachrichten Salzburg, „Die Alternative“,<br />

„Tarantel“ und „<strong>etcetera</strong>“. Redakteurin und Jurorin von LitArena<br />

VIII. Heft 69 f. junge AutorInnen. Einsendungen bis 15.6.17<br />

Bericht


36 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 37<br />

Gerhard Benigni<br />

mal nicht. Doch glaubt man dem Hauptmann? Der stellt<br />

größeren Kopf.“ Ha, da wiehert der Amtsschimmel. Höch-<br />

Der Stinker fängt den Fisch zu köpfen an<br />

sich nicht still ins Woyzeck. Der marschiert verkleidet ins<br />

Rathaus. Zwar schlägt er keine Köpfe ab, stößt jedoch<br />

stens am Kopf einen Pony. Hätte sie gerne. Meine Frau.<br />

Aber bei dem widerspenstigen Lockenkopf. Keine Chance<br />

Alles begann mit Hühnerstreifen. Ich meine diesen Film.<br />

„Chicken Run“. Wenn Hennen rennen. Denke ich daran,<br />

läuft gleich wieder mein Kopfkino. Lauter aufgescheuchte<br />

Hühner. Nicht nur Suppenhenne Hanna. Voll in Panik.<br />

Keine halben Hühnchen. Running Chicken. Kein Fleisch.<br />

Running Sushi. Kein Fisch. Running Gag. Jetzt bloß keinen<br />

Vegetarierwitz. Bitte nicht. Nein! Die sind doch allesamt<br />

abgedroschener als Hühnerköpfe. Doch zu spät. Armin<br />

Assinger kann es nicht lassen: „Wissen Sie eigentlich, wo<br />

das Wort Vegetarier ursprünglich herkommt? Darauf kommen<br />

Sie nie. Das stammt aus dem Indianischen und heißt<br />

,Der zu blöd zum Jagen ist‘.“ Schallendes Gelächter. Ich<br />

schalte genervt von der Millionenshow auf „Luis und seine<br />

außerirdischen Kohlköpfe“ um. Die Kholeriker sind gelandet.<br />

Schnell merke ich jedoch, dass auch blähungsgeplagte<br />

Greise meinem vegetativen Nervenkostüm keinen<br />

Hauch weniger zusetzen als der pfeifende Komantsche,<br />

dem ich eine Kohlkopfentzündung an den Hals wünsche.<br />

So ein kopflästiges Programm muss man erst einmal verdauen.<br />

Zwar ist jedem Wehwehchen ein Krautkopf gewachsen,<br />

aber weder die trockenen Fürze noch der Witz<br />

crowd to present.<br />

Besteht eine Zylinderkopfdichtung aus Kopfzeilen? Mein<br />

Kopf, der trägt Zylinder. Ein Hut wär’ meinem Kopf zu minder,<br />

weil ein Zylinder besser dichtet. In Syrien wird hingerichtet.<br />

Wie? Was? Wie komme ich plötzlich auf Syrien?<br />

Damit auch Sie sich einen Reim darauf machen können:<br />

Volkshochschule Damaskus. Der absolute Renner. Ein<br />

12-stündiger Köpferkurs. Danach werden sie eröffnet,<br />

die Hauptrollenspiele. An die Köpfe, fertig, los! Zippzapp,<br />

Rübe ab. Da fragt dich keiner „Kopf oder Zahl?“. Ja, in<br />

Syrien, da wird die Exekutive ihrem Namen halt noch gerecht,<br />

wage ich, zu enthaupten. Aber zum Henker, Schluss<br />

damit! Bei Köpfen hört sich der Spaß auf. In Österreich<br />

geht es da zum Glück etwas gemäßigter zu. Zumindest<br />

ein wenig weniger grausam. Die Endlosdiskussion ums<br />

Kopftuch. Verbot? Ja oder nein. Tuchfühlung wird tunlichst<br />

vermieden, doch in Schweigen hüllt man sich nicht. Irgendworan<br />

muss es doch kranken. Schädel-Hirn-Trauma.<br />

Eindeutig. Bezüglich weiterer Beschwerden gibt man sich<br />

bedeckt.<br />

Alles in Deckung! Sie kommen. Sie werden uns heimtürkisch<br />

überrollen. Nicht die Köpfe. Die abgeschlagenen.<br />

stattdessen selbige dort vor den Kopf, verhaftet den Bürgermeister,<br />

fälscht Unterschriften und raubt die Stadtkasse<br />

aus. Auf seinen Kopf wird eine Belohnung ausgesetzt.<br />

Vier Jahre Haft. Vorzeitig begnadigt. Später dann großes<br />

Theater. Noch später verfilmt. In der Hauptrolle der Rühmann<br />

als Hauptmann. Liegt der Schuhmacher eigentlich<br />

immer noch im Koma? Was mich das überhaupt angeht?<br />

Na gut, dann über Haupt wieder zum Kopf.<br />

Was in manchen Köpfen vorgeht. Auch in meinem. Das<br />

muss man nicht verstehen. Doch eines ist klar: Trotz Kopf<br />

fällt manchen das Denken schwer. Es ist zum Kopfkratzen.<br />

Mich juckt viel mehr, wie ich jetzt die Kurve kratze. Und<br />

das möglichst schnell. Kurven. Speed. Rennen. Formel<br />

1. Alles dreht sich im Kreis. Kopf an Kopf rennen? Muss<br />

nicht sein. Dann schon lieber mit dem Kopf durch die<br />

Wand als gegen einen Sturschädel prallen. Kopfschmerz,<br />

lass nach. Schädelbasisbruch. Will vielleicht jemand<br />

Schafkopf mit mir spielen? Keine Angst. Ohne Scherkopf.<br />

Manchmal, da bin ich ein echter Wirrkopf. So wird das nie<br />

was mit meiner Karriere. Die besten Köpfe braucht das<br />

Land. Und das Kabinett der besten Köpfe. Ein Wasserkopf<br />

als Umweltminister. Ein Eierkopf als Landwirtschaftsmi-<br />

auf Zähmung. Wegen ihrer Dauerwelle ist sie ständig im<br />

Wickel mit ihrem Friseur. Krauskopf. Blonder Peter. Alles<br />

lieber als Glatzkopf. Kahler Harry. Wüste Beschimpfung.<br />

Früher, da ist er noch gerne ausgegangen, der Harry. Heute<br />

machen das seine Haare ohne ihn. Die wenigen, die er<br />

noch hat. Haare und Freunde. Überhaupt ausgehen. Ein<br />

Januswort. Wie? Ich und zweideutige Texte? Niemals. Mag<br />

sein, dass ich wie viele Menschen zwei Gesichter habe.<br />

Aber doch keine zwei Köpfe. Ein Januskopf kommt selten<br />

allein. Sieh an, sieh an. Siam. Und bei George und<br />

Amal demnächst gecloonte Zwillinge. Warum mir jetzt<br />

Presskopf einfällt? Wenn, dann wohl doppelter Rauspresso.<br />

Aber eines nach dem anderen. Irgendwann kommt<br />

die Wahrheit ja doch ans Licht. Dann sage ich es lieber<br />

gleich. Was mir die ganze Zeit, während ich mich hier um<br />

Kopf und Kragen schreibe, im Hinterkopf herumgeistert:<br />

Ich sollte ihn endlich wechseln. Nicht den Beruf als Autor.<br />

Den Duschkopf. Bevor meine Frau mir an die Gurgel geht.<br />

Oder vielleicht doch beides?<br />

Gerhard Benigni<br />

Lebt, arbeitet und schreibt in Villach. Kurzgeschichten von ihm<br />

sind in Literaturzeitschriften, Anthologien und seinen drei Bü-<br />

Prosa<br />

So, so, ein Crowdkopf? Ein Jungunternehmer. Ein trendiger<br />

Anglogermanismus für Spendengeldsammler. Aber<br />

die paar Münzen machen die Crowd doch auch nicht fett.<br />

Lediglich ein Funding. Hauptsache, das Venture macht<br />

Spaß. Unbeteiligten sagt das jetzt vermutlich nichts. Ich<br />

meine Start-ups. Neu gegründete Firmen. Nicht so alteingesessene<br />

wie Apple. Deren Chef heißt übrigens nicht<br />

Bos(s)kop. Er ist auch kein Hamburger Fischkopp. Aber<br />

wen interessiert das? Lasst mich doch in Kraut damit. Warum<br />

zerbreche ich mir meinen Kopf über andere Köpfe?<br />

Ich bin ohnehin genug mit mir selbst beschäftigt. Mein<br />

innerer Kampf. Ich gegen mich. Kopfhörer kontra Bauchfühler.<br />

Immer und immer wieder. Oft stundenlang. Im besten<br />

Fall sagt meine Kopfstimme dann irgendwann: „Hör<br />

auf deinen Bauch! Der ist größer.“ Aber so einfach ist das<br />

nicht. Nur weil mein Bauch ein Dickkopf ist, hat er doch<br />

nicht per se recht. Manchmal wünsche ich mir, ich wäre<br />

kopflos. Dann würden mir Fragen und Gedanken wie diese<br />

erspart bleiben.<br />

Die Menschenmassen. Ihre Zelte werden sie aufschlagen.<br />

Vor Wien. Wie einst. Kern sagt Kurz: „Keine Türkenbelaberung<br />

in Wien.“ Keine getürkten Wahlkampfhandlungen in<br />

unserem Land. Auch nicht in Deutschland. Die wollen kein<br />

Bosporussia Dortmund. Als beleidigte Reaktion osmanisch-depressive<br />

Stimmung bei Erdogan. Keine Freunde<br />

in Europa. Böhmermann... ähm... böser Mann. Alle schieben<br />

ihm den Ziegenpeter zu. Das Schreckensszenario im<br />

Kopf zu Ende gesponnen: Endstation Wien-Kopfbahnhof.<br />

Die Türken schießen selbsttätig. Bitte nicht mehr einschleimen.<br />

Es ist zu spät.<br />

Ich merke schon, die Köpfe rauchen. Ziemlich nebulös,<br />

das Ganze. Da hilft es auch nichts, den Kopf schief zu halten.<br />

Wenn sie erst einmal raus sind aus meinem Kopf und<br />

zu Papier gebracht, meine Gedanken, dann ist Kopf und<br />

Schmalz verloren. So bin ich nun mal. Ich kann und will<br />

mich nicht verstellen. Nicht wie dieser berühmt-berüchtigte<br />

Hauptmann von Köpfenicht. Schuhmacher, bleib bei<br />

deiner Leistung. Aber ein unechter Soldat schweigt nun<br />

nister. Und als Verteidigungsminister vielleicht ein Nuklearsprengkopf?<br />

Nein, so geht das nicht. Dann wäre ja<br />

jeder Quatschkopf als Pressesprecher geeignet. So geht<br />

das wirklich nicht. Aber wo wir jetzt schon bei der Politik<br />

sind. America next. Mount Rushmore soll demnächst<br />

eine begehbare Plattform bekommen. Eine Erweiterung<br />

um den Kopf von Donald Trump ist angedacht. Da kann<br />

man dann entlang der Föhnwelle nach vorne schreiten<br />

und den tiefen Fall des Landes betrachten. Doch es war<br />

der freie Fehlerwille. Einen Hitzkopf als Präsidenten. Und<br />

jetzt haben die den Kopfsalat. Wir haben dafür den Häupl.<br />

Ich für mich, ich kann mir nicht helfen. Mich erinnert er<br />

stark an einen Schwachkopf. Und für ihn wäre ich als Autor<br />

wohl ein Schreibkopf. Doch auch Leseköpfe sind ganz<br />

anders positioniert. Selbst Druckköpfe haben nur entfernt<br />

mit Büchern zu tun. Wie auch immer. Dummkopf bleibt<br />

Dummkopf. Großer Denker wird aus dem bestimmt keiner<br />

mehr. Da wette ich tausend Pferde drauf.<br />

Apropos, wer kennt ihn nicht, den weisen Spruch? „Das<br />

Denken soll man den Pferden überlassen. Die haben den<br />

chern zu finden. Mehr über den Autor unter www.gerhardbenignialleineistdochvielzukurzalshomepagename.at.<br />

©Heliane Wiesauer-Reiterer 2006 Kopfstück Holz bemalt 36x33x16<br />

Prosa


38 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 39<br />

Peter Pauritsch<br />

Wir sind die Kinder des Unsinns.<br />

Sich selbst zu glauben ist eine grundlegende<br />

Eigenart unseres Denkens.<br />

Schwierig aber ist es, sein Dasein beim springenden<br />

In der Zwischenwelt<br />

Es gibt uns nur als Schläfer oder als Träumer. Als Schläfer<br />

ruhen wir in unserem dogmatischen Schlummer und als<br />

Man sieht nicht nur mit dem Auge, denn auch<br />

das Gehirn schaut immer mit.<br />

Unser Denken folgt einem Gefühl, einer Vorstellung und<br />

Zum einen denken wir in einem fort, wissen aber nicht, ob<br />

Punkt zu beobachten. Dies vor allem, da wir den Punkt<br />

Träumer schnarchen wir in unserem ideologischen Nicker-<br />

nicht Tatsachen. Deshalb bleiben uns Gefühl und Vorstel-<br />

wir uns auch genug dabei überlegen und zum anderen un-<br />

nicht nur springen, wir wollen ihn gerne auch tanzen las-<br />

chen.<br />

lung oder widerlegte Wahrheit und verkehrter Glauben<br />

terlaufen uns bei unseren geraden Denkübungen schräge<br />

sen. Weshalb man zwar auf den Punkt denkt, immer aber<br />

Unsere Illusionen sind nämlich im Preis inbegriffen. Man<br />

auch dann, wenn uns die Argumente ausgehen. So wissen<br />

Denkfehler.<br />

hemmungslos über das Ziel hinausschießt. Denn wir wol-<br />

kann gescheit sein und irren oder ein Depp sein und recht<br />

wir, ohne nachschauen zu müssen, und so sehen wir, was<br />

Mein Nonsens ist deshalb die Kunst, Unsinn zu formulieren<br />

len das Stroh im Kopf nicht nur dreschen, wir wollen es<br />

haben. Selbst ein kluger Kopf irrt ohne zutreffenden Ge-<br />

wir uns nur im Kopf einbilden.<br />

und Sätze zu würfeln. Denn wenn die Maßlosigkeit das Lebensprinzip<br />

der Welt und des Universums ist, dann liefern nur<br />

Halluzinationen die dazu passenden Texte.<br />

Weshalb ich lieber taufrisch als tropfnass sein will. Weshalb in<br />

meinem Kopf rollende Landstraßen und geistige Luftbrücken<br />

wohnen. Weshalb ich für die Beibehaltung der Nasenspitzen<br />

auch anzünden.<br />

Wer von uns kann schon seinem Kopf die<br />

Stirn bieten?<br />

Die Wirklichkeit versteckt sich immer hinter der Realität.<br />

Mit Sehen ist da nicht viel zu machen. Denn oft hat man<br />

danken. Man muss sich nämlich beim Denken immer auch<br />

das Richtige denken. Auch im aufgeklärtesten Kopf kann<br />

ein verirrtes Gehirn stecken.<br />

Zum Vogel im Kopf habe ich noch ein Zwitschern<br />

im Gehirn.<br />

Das Bruttogenialprodukt<br />

Zur Arbeit des Denkens gehört für uns immer ein Glaube,<br />

weshalb wir nur an das glauben wollen, wofür wir auch<br />

arbeiteten. Wobei ich den Begriff des Glaubens weiter<br />

streue.<br />

und gegen das Verdrehen von Zipfelmützen bin. Lieber in ei-<br />

nicht nur Sand in den Augen, sondern auch noch ein Brett<br />

Die Gedanken sind frei, oft aber fehlen die Flügel.<br />

Das Bruttogenialprodukt erwirtschaften uns unentbehr-<br />

ner Lausbubenklasse sein als in einem Mädchenpensionat.<br />

vor dem Kopf.<br />

Wie ein Vogel will ich beim Denken aber beides haben: Flü-<br />

liche Sterngucker und Zahlenverehrer, Diätfaster und Na-<br />

Lieber bin ich ein begnadeter Spinner als ein unbegabter Träu-<br />

Mir ist der Mensch übertrieben anspruchsvoll, er will in<br />

gel und Krallen und keine Horde keppelnder Spatzen.<br />

turverkoster, Gottesanbeter und Eigenbrötler, Kopfvermes-<br />

mer. Denn wer falsch liegt, kann trotzdem üppig gedeihen.<br />

Somit will ich neutral bleiben, den Gleichgestrickten genauso<br />

wohlgesonnen wie den Aufgeladenen sein und den Humor<br />

seine Luftschlösser nur Nägel mit Köpfen hämmern.<br />

Spucken<br />

Das Tüfteln<br />

Das Denken ist immer abstrakt.<br />

ser und Gesangsvertoner, Wurzelstecher und Impfgegner,<br />

Raumfahrtscottys und Fernsehtrottel, Krimiintelligenzen<br />

und Psychotanten usw.<br />

als religiöse, esoterische und ideologische Dienstleistung, als<br />

Ich will nach Worten suchen, um sie den Menschen an<br />

Es ist nur eine Frage in welche Richtung man abstrakt<br />

Die Ernte aber will ich Gartenzwerg und Humoristenkas-<br />

skeptischen Abschleppdienst sehen.<br />

den Kopf zu werfen und vor die Füße zu spucken.<br />

denkt.<br />

perl einfahren.<br />

Prosa<br />

©Heliane Wiesauer-Reiterer 1976 Kopf Marmor 25x40x40cm Sammlung Gal.Kämmerich<br />

©Heliane Wiesauer-Reiterer 1975 Kopf Marmor43x55x30<br />

Prosa


40 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 41<br />

Zu viele Menschen, zu wenig Trolle.<br />

Die Gleichgültigkeit<br />

Im Kopf also haben wir viel Platz, wir können dort nur<br />

Oliver Jung-Kostick<br />

Für die Badewannenstöpsel und Wurstsemmeldeppen<br />

gehören die Gutmenschen zu den Blödmenschen. Oft<br />

also ist ein Idiot wahrlich ein Idiot: Aber nur manchmal<br />

So mancher Gedanke überfordert das Denken, er lässt<br />

sich nur mit Begeisterung, Ablehnung oder Gleichgültigkeit<br />

bewältigen. Don Quijote sah als wirklich Einge-<br />

nicht richtig aufräumen.<br />

Jedes Feindbild verblödet!<br />

„Die Großkopfeten“<br />

I<br />

ist das eine Erkenntnis, gerne ein Vorurteil.<br />

weihter Riesen, der ungebildete Sancho Pansa aber nur<br />

Die Wahrheit glauben wir dann gefunden zu haben, wenn<br />

Wie Zardoz lebe ich in einem riesigen Kopf und dominiere<br />

Wir sollten deshalb immer bedenken: Auch einfache<br />

Windmühlen.<br />

alle im Kopf wohnenden Vorurteile erfüllt werden. Nur<br />

den Leib, der mich bewegt und ernährt.<br />

Menschen sind nicht einfach, und wie in einem Holzkopf<br />

Der Geist ist also flexibler als die Materie. Die Gedanken<br />

das ist für uns wahr, was uns ins Konzept passt.<br />

Er fürchtet mich, da ich keine Rücksicht auf ihn nehme. Und<br />

wirklich gerne ein Holzkopf steckt, steckt in einem Radi-<br />

kann man stärker verdrehen als den Kopf.<br />

Leider aber ist man viel zu häufig zu wenig kompetent,<br />

ich nehme keine Rücksicht,<br />

kalzwerg gerne ein Extremwichtel.<br />

Klug sind deshalb all jene, die nicht nur vollmotorisiert<br />

Der Mensch irrt, die Natur aber übertreibt!<br />

zu schnell überrascht und zu leicht empört. Weshalb wir<br />

den besten Teil unseres Lebens mit dem Erfinden von<br />

Da ich ein grausamer Grundherr bin.<br />

hinken, sondern auch noch geistesgegenwärtig hopsen.<br />

Während sich ein ehrlicher Industriedesigner sagt: „Die<br />

Windmühlen verbringen, um eingebildete Riesen zu be-<br />

Hoffentlich begreift er nie, wer wirklich<br />

Der Kopf<br />

Klobrille muss zum Arsch passen“, schneidet Mutter Natur<br />

beinhart ihren Geschöpfen den Kopf ab, wenn der<br />

kämpfen.<br />

Der Herr in unserem Hause ist.<br />

Das wäre das Ende<br />

Man kann den Verstand verlieren, ohne seinen Kopf zu<br />

Hut nicht passt.<br />

- und ein Neuanfang.<br />

verlieren.<br />

Man kann ohne Verstand in dieser Welt leben, nicht aber<br />

Die Sprösslinge<br />

II<br />

ohne Kopf.<br />

Meine Sprösslinge müssen auch mir erst einmal verzei-<br />

Es gibt so viele brillante Köpfe, die mich<br />

Das Leben ist ein Fest und manchmal wird<br />

auch Menschenfleisch serviert.<br />

hen, dass auch ich das nicht geworden bin, was ich von<br />

ihnen erwarte. Mir also ist die Jugend nur so verdorben,<br />

wie wir Erwachsenen ihr ein schlechtes Vorbild sind.<br />

Mit Ehrfurcht erfüllen.<br />

...Aber es waren auch ihre Herzen,<br />

Meine Wahrheit ist dem Menschen zumutbar, auch wenn<br />

Wenn ich hier trotzdem den Pädagogen mime: Eltern<br />

Die das Unvergessliche schufen,<br />

er sich dagegen wehrt!<br />

sind in der Erziehung ihrer Kinder immer nur Anfänger.<br />

Vielleicht sogar vorrangig<br />

Ich will seinen Kopf freimachen, um ihn mit meinem Ho-<br />

Zugegeben, die Kinder dürfen ihren Eltern nicht über den<br />

Ihre Herzen.<br />

kuspokus vollzustopfen.<br />

Kopf wachsen, die Eltern aber sollten ihrem Nachwuchs<br />

Ich will seinem Verlängerungskabel den richtigen Gar-<br />

auch nicht aus dem Hals hängen.<br />

Die Augen, die Ohren, die Hände auch<br />

tenschlauch verpassen.<br />

Ich will die Welt wieder an den Anfang bringen, sie ins<br />

Chaos stürzen.<br />

Zumindest die Unterkunft hat die Natur gerecht<br />

verteilt.<br />

- aber vorrangig ihre Herzen.<br />

III<br />

Ich will meinen komischen Glauben noch vor vorsich-<br />

Jeder wohnt gerne in seinem eigenen Kopf. Keiner will in<br />

Das Gehirn selbst ist unfähig, Schmerz zu empfinden.<br />

tigem Denken lehren.<br />

einen anderen umziehen.<br />

Ist es dann<br />

Ich will die Schäfchen bekehren, die sturen Böcke aber<br />

will ich schlachten.<br />

Hand und Fuß<br />

Die Abwesenheit von Hirn, die Migräne erzeugt?<br />

Ich habe meinen Vorrat an Kopfschmerzen für diese<br />

Denn unser schwaches Fleisch, soll durch Zweifel nicht<br />

weich werden. Ich will es mit absonderlichen Glauben<br />

Ein Realist will die Welt vom Kopf auf die Füße stellen. Er<br />

will also anstatt mit dem Kopf mit seinen Füßen denken.<br />

©Kurt Halbritter/Rechte Peter Pauritsch<br />

Und die nächsten paar Inkarnationen aufgebraucht.<br />

Mit fortschreitendem Alter macht es<br />

stärken.<br />

Er will sich vorsorglich einen realistischen Scheibenwi-<br />

Den Eindruck, als sei mir ein Gehirn gewachsen.<br />

Wenn ich könnte, ich würde meine Wahrheit militärisch<br />

scher zulegen, der ihm den Blick freihalten soll, zu sei-<br />

Peter Pauritsch<br />

bewachen. Alle würde ich bedrängen, die es wagen wür-<br />

nen ungeschminkten Illusionen. Gerne vergisst er aber,<br />

Geb. 1963, in Graz Gärtner, Gartengestalter, Stubenhocker,<br />

Denn mein Kopf tut nicht mehr weh,<br />

den, anderes zu denken, anderes zu glauben und über<br />

dass die Dinge nicht nur Hand und Fuß haben sollten,<br />

Couch-Potato und Taxifahrer. Volksschule, Hauptschule, Be-<br />

Zumindest nicht, solange ich nicht versuche,<br />

anderes wohlwollend zu schreiben.<br />

sondern auch ein einfallsreiches Gehirn.<br />

rufsschule und Gärtnermeisterprüfung mit Erfolg bestanden,<br />

Durch die Wand zu gehen, und das<br />

Die ließe ich alle observieren, kastrieren, terminieren!<br />

Ideologisch geht es mir um die Verseuchung des Erd-<br />

Das Gehirn<br />

ansonsten bei vielen anderen Bildungsinstituten durchgefallen.<br />

Einmeterzweiundachtzig groß, dünn und hässlich, schiefmäulig,<br />

Versuch ich nicht, weil meistens<br />

Nebendran eine Tür offensteht.<br />

balls, ja weiter noch, um die Verseuchung aller bewohn-<br />

Das Gehirn gibt Orientierung, auch wenn man sich lange<br />

schmalschultrig, spitzbauchig, dünnbeinig. Lebt mit einer Frau,<br />

Prosa<br />

barer Planeten.<br />

Mein Dreck heiligt alle Mittel.<br />

Den Weltenbummlern soll mein Katzenjammer folgen!<br />

schon verlaufen hat. Eigentlich ist es nur Ort unsicherer<br />

Behauptungen. Ohne Gehirn würden wir die Wirklichkeit<br />

gar nicht bemerken. Mit Gehirn können wir sie falsch<br />

interpretieren. Es ist Lichtbringer wie Schattenspender.<br />

zwei Kindern, einem Hund, zwei Hasen, zwei Katzen, einem Hamster<br />

und einer Schildkröte in Kalsdorf bei Graz.<br />

Der Autor ist eingeladen bei der Heftpräsentation am 31.5.17 um<br />

19 Uhr im Stadtmuseum St.Pölten zu lesen.<br />

Oliver Jung-Kostick<br />

Lebt in Lichtenfels, Oberfranken, Deutschland. Autorenporträt auf<br />

https://www.autorenwelt.de/users/oliver-jung-kostick<br />

Facebook-Profil https://www.facebook.com/ojk96215lif/<br />

Prosa


42 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 43<br />

Hahnrei Wolf Käfer<br />

Mit Dank an Bill Gates<br />

Mit Dank an ...<br />

Seid in der Schule<br />

nett zu Sonderlingen. Es<br />

ist leicht möglich, dass<br />

Mit Dank an Aristoteles<br />

ihr bei dem, den ihr heut mobbt,<br />

‘Für das Land hab ich<br />

eines Tages recht gern jobt.<br />

nicht Hoffnung, die Jugend ist<br />

verantwortungslos.’<br />

Mit Dank an Bill Clinton<br />

Wer dafür - man überlegt -<br />

Wer treu bleiben will<br />

die Verantwortung wohl trägt?<br />

(und sei’s buchstabengetreu),<br />

verzichtet standhaft<br />

Mit Dank an Seneca<br />

bloß aufs M bei der Moral<br />

‘Von Jahr zu Jahr nimmt<br />

und treibt fröhlich es oral.<br />

die Begabung der Jugend<br />

ab.’ Er hat so recht,<br />

Mit Dank an Camus<br />

feuerlos hocken wir bald<br />

Fürs reine Dasein<br />

nackt in Höhlen tief im Wald.<br />

kriegt man doch kein Honorar.<br />

D’rum bitt ich, dass man<br />

Mit Dank an Georg Christoph Lichtenberg<br />

mit der Frage mich verschont,<br />

‘An Einfällen bin<br />

ob sich denn das Leben ‘lohnt’.<br />

ich ein Sonntagskind’, sagt er.<br />

Aber ist nicht ein<br />

Mit Dank an Helmut Qualtinger<br />

Einfall, seien wir ehrlich,<br />

Da setzt einem ein<br />

pro Woche etwas spärlich?<br />

Dichter eine Brille auf,<br />

schon trifft man ob in<br />

Mit Dank an René Pollesch<br />

Hohenems, Krems, Schrems, Klein-Arl<br />

Liebe ist doch wie<br />

oder Wien nur noch Herrn Karl.<br />

Wirtschaftswachstum, sagt Pollesch.<br />

Man muss nur, worauf<br />

Mit Dank an Georg Kreisler<br />

man einst begehrlich schaute,<br />

Wie schön wäre Wien<br />

abstoßen. Vor der Flaute.<br />

ohne Wiener. Coq au vin,<br />

Pizza, Paella,<br />

Mit Dank an Helmut Seethaler<br />

Suschi als Gaumenkitzel.<br />

Aufgekettelt auf<br />

Alles! Nur keine Schnitzel!<br />

Klebebändern Lyrik. Es<br />

Kyoka<br />

ist Seins, statt Streit (als<br />

würd er um Watschen betteln)<br />

Gedichte anzuzetteln.<br />

Mit Dank an Marcel Proust<br />

Schon wieder zu spät!<br />

Wie kommt das? Nun, sie vertut<br />

doch auf der Suche<br />

nach der verlorenen Zeit<br />

täglich eine Ewigkeit.<br />

Mit Dank an Saint Exupery<br />

Wer nur im Kopf wohnt,<br />

hat den knappsten Horizont.<br />

Doch wo das Hirn der<br />

Seele dient, sieht man vielleicht<br />

weiter als das Herzaug reicht.<br />

Hahnrei Wolf Käfer<br />

HWK: Freischaffender Autor, zuletzt ‚Geliebte Dirne‘ (edition art<br />

science, 2016) ein Langpoem über die Sprache .<br />

www.hwkaefer.jimdo.com Die mit dem täglichen Kyoka<br />

©Heliane Wiesauer-Reiterer 2005 Kopf Marmor


44 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 45<br />

Prosa<br />

Maximilian<br />

Hauptmann-Höbart<br />

Kopfmensch<br />

Alles, was ich jemals wollte, war, meine Sprache zu dem Zuhause<br />

meiner Wirklichkeit zu machen. Ich habe es versucht,<br />

einige Jahre lang, habe geheftete Normseiten an Literaturmagazine<br />

geschickt, ganz nach dem Leitsatz des Zeitgeists:<br />

Wenn du nicht weißt, worüber du schreiben sollst, dann<br />

schreib genau darüber. Aber das ist lange her, und mittlerweile<br />

wandere ich bloß noch durch die Buchhandlungen<br />

Wiens auf der Suche nach Buchcovern, die mir genug verraten,<br />

um das Buch nicht kaufen zu müssen. Vielleicht bin<br />

ich doch nicht, was mein Vater immer einen Kopfmenschen<br />

geschimpft hat.<br />

Kopfmenschen, pflegte er zu sagen, wenn etwas nicht nach<br />

seinen politischen Vorstellungen lief, alles Kopfmenschen.<br />

Und da war ich, sein Sohn, der in Wien Germanistik studierte,<br />

und seine freie Zeit mit geliehenen Büchern in einem Café<br />

verbrachte, das einen nicht gleich rauswarf, wenn man eine<br />

Stunde an dem gleichen Tee nippte. Mein Leben war eine<br />

Flucht vor der Praxisorientierung. Das Tragische dabei war<br />

nicht, dass er, sondern dass ich es wusste. Ich habe niemals<br />

akzeptiert, was mein Vater über die gesellschaftliche Relevanz<br />

von Kopfmenschen zu sagen hatte, aber damals habe<br />

ich es auch nicht verstanden. Das hat sich mittlerweile geändert.<br />

Vor acht Jahren habe ich entdeckt, dass Imposanz eine Eigenschaft<br />

ist, die man einem Gebäude verleiht, wenn man<br />

Nackenschmerzen bekommt beim Versuch, es zu betrachten.<br />

Das Hauptgebäude der Universität Wien war so ein imposantes<br />

Gebäude. Damals lief ich durch die Eingangshalle<br />

und hinaus in den Arkadenhof und betrachtete die steinernen<br />

Gesichter und dachte, da ist noch Platz für einen Schriftsteller.<br />

Wie sich herausstellen sollte, gab es in der gesamten<br />

Uni Wien nicht mal Platz für einen Universitätsassistenten.<br />

Wie jeder Student war ich jung und zu unterbeschäftigt, um<br />

mich mit dem zu konfrontieren, was mein Vater wohl die Realität<br />

nennen würde, befände er sich nicht schon sein ganzes<br />

Leben in ihr. Dass es etwas geben konnte, das sich neben<br />

ihr abspielte, hinter ihr, und das dennoch ihre Erklärung und<br />

ihre Vorbedingung war, das hätte er wohl naiv genannt, oder<br />

kindisch. Dinge für Kopfmenschen eben, die nie richtig erwachsen<br />

geworden waren und deren Steuern nicht dieselbe<br />

Unterstützung für die Allgemeinheit darstellten, wie die eines<br />

ehrlich arbeitenden Menschen. Aber das macht Freiheit mit<br />

dir, sie pflanzt dir Ideen ins Hirn, und regnet es dir durch<br />

die Ohren rein, dann werden Träume daraus. Der Kopf als<br />

Spiegel deiner Arbeitsintensivität, Worte als Kompetenznachweis,<br />

was bleibt davon, wenn die Miete am Monatsende<br />

beglichen werden muss oder die Freundin zum Abendessen<br />

ausgeführt werden will?<br />

Willst du Erfolg haben, muss du ein Gläubiger werden. Das<br />

weiße Blatt wird deine Kirche, der Schreibtisch dein Altar,<br />

und das Opfer? Zeit, Geduld, Freunde, Selbstbewusstsein.<br />

Kopfarbeit, Kopfmensch, Kopfschuss. Prosa entsteht nicht<br />

aus Genie, sie entsteht vor einem Arbeitsplatz, dessen Ruhe<br />

nicht von Babygeschrei durchdrungen wird.<br />

Ich habe geglaubt. Die Absage einer Literaturzeitschrift? Wenigstens<br />

eine Absage. Keine Rückmeldung eines Verlags auf<br />

das unverlangt eingesendete Manuskript? Wenigstens keine<br />

Absage. Die dritte Mahnung der Bank? Wenigstens trägt sie<br />

die Portokosten selbst.<br />

Jeden Abend, wann auch immer ich eine Absage erhalten<br />

hatte, kehrte ich zu meinem Schreibtisch zurück, der eher<br />

flach als klein war, blickte nach draußen auf die Favoritenstraße,<br />

sah nichts, was mir wertvoll genug für eine Inspiration<br />

erschien, und glaubte. Neben meinem Schreibtisch hing<br />

ein Zitat von Thomas Mann an der Wand. Die Jahre hatten<br />

es von Staub und Putz beinahe unleserlich gemacht. Dort<br />

stand: Niemandem fällt das Schreiben so schwer, wie dem<br />

Schriftsteller. Träume sind luzide, nachtaktiv, hilflos unter<br />

Sonnenlicht, las ich in den deutschen, französischen, amerikanischen<br />

Büchern der Postmoderne oder Pop-Literatur.<br />

Bücher, die sich unter den verschiedenen Lichtverhältnissen<br />

dieser Welt Millionen Mal verkauft hatten. Kopfarbeit, die zu<br />

Geld geworden war. Wie ein Zaubertrick war nicht etwa Ware<br />

gegen Ware getauscht worden, sondern Idee gegen Materie.<br />

Aus Nichts wurde Etwas und aus diesem Etwas wurde Geld.<br />

Diese Kopfmenschen lachten über die verdammte Praxisorientierung.<br />

Und es ist dieser Erfolg, der dich zweifeln lässt. Traurig, was?<br />

Es gab diese Leute, die mit wenigen Sätzen die Mundwinkel<br />

von Millionen Menschen zu unkontrollierbarem Zucken<br />

zwingen konnten, unschlüssig, ob sie weinen oder lachen<br />

sollten bei den ambivalenten, unklassifizierbaren Emotionen,<br />

denen sie sich ausgeliefert sahen, und die ganz schön Geld<br />

mit diesem Mundwinkelspiel machten – und dann gab es<br />

noch mich. In dieser Situation gibt es für den, der glaubt,<br />

zwei Möglichkeiten: er kann noch stärker glauben, noch<br />

länger beten, noch hingebungsvoller auf ein Glück warten,<br />

dass er natürlich gar nicht verdient hat und deswegen auch<br />

nicht enttäuscht sein wird, wenn er es nicht erfährt. Oder er<br />

wendet sich ab, verbrennt seine Reliquien, verschließt seine<br />

Heiligen Bücher und sucht das, was mein Vater in all seiner<br />

praxisbezogenen Weisheit die Realität nennen würde. Und<br />

ich, ich habe sie nicht nur gesucht – hier und heute habe ich<br />

sie gefunden.<br />

Also, wie diese Realität aussieht: Universitätsassistent der<br />

Uni Wien, Institut für Germanistik, bisschen unsicher auf<br />

langfristige Sicht vielleicht, aber damit hab ich den Fuß in<br />

der Tür, in der Tür zu einer akademischen Karriere. Auch das<br />

ist Kopfarbeit, ich werd´ kein Millionär damit, aber wann war<br />

denn schon Quantität ein Garant für Qualität? Fragt doch<br />

mal das Feuilleton, Banausen.<br />

Und das wichtigste zum Schluss, wo es hingehört, wo es<br />

niemand sieht und bald wieder jeder vergessen hat: monatliches<br />

Gehalt. Geld, auf das ich mich verlassen kann. Das ist<br />

besser als anders herum, die letzten Jahre haben mir das<br />

bewiesen.<br />

Elf Uhr Vormittag, Stiege 7, zweiter Stock, Sekretariat für<br />

Germanistik, Hauptgebäude der Universität Wien. Bis jetzt<br />

ist alles gut gegangen, ich stehe vor dem Hauptgebäude. Ich<br />

blicke schon lange nicht mehr nach oben, wenn ich durch<br />

die Eingangstür trete. Dort oben, zwischen Dachfresken und<br />

Sonne, könnten sich noch Überreste schriftstellerischer Ambitionen<br />

verbergen und herabgesegelt kommen, um mich<br />

wieder in die Sackgasse des ewigen Versuchens zu katapultieren.<br />

Try. Fail. Try again. Fail better. Natürlich nicht von mir,<br />

von Beckett. Auch das steht über meinem Schreibtisch.<br />

Außerdem möchte ich das Bewerbungsgespräch nicht mit<br />

steifem Genick führen. Nach wenigen Schritten durch das<br />

Foyer bin ich im Arkadenhof. In diesem Freiluftquadrat studentischer<br />

Betriebsamkeit habe ich mich schon immer wohl<br />

gefühlt, vermutlich deshalb, weil hier nie etwas passiert, das<br />

nicht auf morgen verschoben werden könnte.<br />

Bis zur Stiege 7 sind es noch wenige Meter. Drei Schritte,<br />

dann muss ich mich nur noch nach links wenden, die Tür<br />

aufstoßen, an eine braune, große, schwere Holztür klopfen<br />

und eine besonders höfliche Begrüßungsformel murmeln.<br />

Nur noch ein Schritt, und ich bin drin.<br />

„Einen Moment, Junge.“<br />

Ich drehe mich um. Hinter mir ist niemand. Vor mir auch<br />

nicht. Stressbedingte Einbildung?<br />

„Bevor du da reingehst, solltest du noch mal darüber nachdenken,<br />

was dort drinnen ist“, sagt die Stimme.<br />

Ich mache einige Schritte von der Tür weg, gehe in das Innere<br />

des Arkadenhofs, aber auch hier ist niemand. Warum<br />

auch, das Semester beginnt erst in zwei Wochen.<br />

„Du bist nicht von der schnellen Sorte, was?“ Dort, wo ich<br />

das Geräusch verorte, ist bloß das Profil von Anton Bruckner<br />

in die Wand eingelassen. Langsam komme ich näher, bis ich<br />

mit meiner Nasenspritze fast die linke Hälfte von Bruckners<br />

krummer Nase berühre.<br />

„Noch nie eine halbe Nase gesehen, Junge?“, sagt er. Ich<br />

springe zurück, knalle mit dem Rücken gegen einen Marmorpfeiler,<br />

stürze auf den kalten Boden. Bruckners linke<br />

Gesichtshälfte lächelt.<br />

„Ich war auch mal so behäbig wie du, Junge. Erst entschuldigt<br />

einen die Jugend, dann das Alter, und dazwischen die<br />

Dummheit. Wobei ich natürlich nie dumm war.“ Bruckners<br />

Profil kicherte.<br />

„Ist das... träume ich?“, frage ich, wohlwissend, dass so eine<br />

Frage noch nie in einem richtigen Traum gestellt worden ist.<br />

„Natürlich nicht“, sagt Bruckner, oder zumindest der Teil<br />

von ihm, der in der Wand steckt. „Du siehst nur, was sonst<br />

keiner sieht. Aber lassen wir das, ich habe nicht ein ganzes<br />

Jahrhundert Zeit. Wir sollten zum Punkt kommen.“<br />

„Und der wäre?“<br />

„Warum gibt es so viele Stiegen in diesem Gebäude?“ Das<br />

Profil wartet nicht auf meine Antwort, aber immerhin ist<br />

es das von Anton Bruckner, also nehme ich ihm das nicht<br />

weiter übel. „Damit du dir auf dem Weg überlegen kannst,<br />

wohin du eigentlich gerade gehst. Kurze Wege sind gefährlich,<br />

denn bevor man umkehren kann, ist man schon angekommen.“<br />

„Diese Geschichte ist erlogen.“ „Tun wir so, als wäre sie es<br />

nicht“, sagt das Denkmal. „Glaubst du, ich hab meine Symphonien<br />

zwischen zwei Vorlesungen komponiert? Glaubst<br />

du, sie sind mir während eines Seminars eingefallen?“<br />

„Lässt sich leicht sagen, wenn die Kirche für einen aufkommt“,<br />

antworte ich. „Hören Sie, Sie sind ein Genie, ich<br />

bin noch nicht mal Universitätsassistent. In meiner Wohnung<br />

ist es gesünder, zu rauchen, als die Zimmerluft einzuatmen.“<br />

Ich drehe mich wieder um und fasse den Eingang<br />

zu Stiege 7 in den Blick.<br />

„Genie ist man immer erst danach“, sagt das Profil von<br />

Bruckner, „niemals davor oder währenddessen. Geh nach<br />

Hause“, sagt er ruhig.<br />

Langsam werde ich wütend. Ich will dieses Gespräch bloß<br />

hinter mich bringen. Keine Fragen mehr, auf die ich nicht<br />

mit rhetorischen Floskeln antworten kann. Ich will doch nur<br />

diesen Job, und dann will ich das, was angeblich ein norma-<br />

Prosa


46 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 47<br />

les Leben sein soll. Ist das denn so schwer? „Träume sind<br />

schön, solange sie nicht an der Wirklichkeit gemessen werden.<br />

Einen Job wie den hier, den bekomme ich oder eben<br />

nicht, ich behalte ihn oder nicht, und wenn ich ihn verliere,<br />

dann sehe ich mich nach was anderem um. Aber jedes Mal,<br />

Johanna Beck<br />

König, Mullah, General und<br />

die schöne Layla<br />

Vater nahm den König, den Mullah und den General damals<br />

in die dunklen Keller mit. Für den großen Platz, auf dem er<br />

sonst spielte, hatte er andere Puppen und er spielte andere<br />

Geschichten.<br />

Manchmal durfte ich Vater begleiten, wenn er abends in die<br />

draußen. Vater spricht wenig und Mutter lächelt nicht<br />

mehr, als sei ihr Lächeln auf dem Wasser geblieben. Seit<br />

wir geflohen und mit dem Schlauchboot über das Meer gekommen<br />

sind, hat Mutter kein Lächeln mehr.<br />

wenn ich erkennen muss, dass die Wörter verschwendet<br />

waren, wobei wir ohnehin so wenige davon haben... Ich<br />

möchte einfach ein wenig Gleichgültigkeit in meinem Leben!“,<br />

schreie ich. „Alles hat ein Ablaufdatum, aber wenn<br />

mir der Verfall egal ist, dann ist da kein Schmerz.“<br />

„Wenn du durch diese Tür gehst, wirst du den Job bekommen“,<br />

sagt er und seine Stimme ist jetzt genauso kalt wie der<br />

Stein, aus dem sie kommt. „Und in ein paar Jahren, wenn du<br />

deine Professorenstelle hast und dir das Abo einer Monatszeitung<br />

leisten kannst, ohne Kredit aufnehmen zu müssen,<br />

wirst du dir wünschen, es wäre etwas in deinem Leben, wofür<br />

du bereit bist, Schmerz zu empfinden.“ Ich spüre, wie meine<br />

Netzhaut zu brennen beginnt. Wenn ich mich jetzt nicht kontrollieren<br />

kann, ist das Vorstellungsgespräch vorbei, bevor<br />

es angefangen hat. Dann kann ich das alles hier vergessen.<br />

„Der größte Fehler, den du machen kannst“, höre ich eine<br />

sanfte Stimme hinter mir. Sie klingt gar nicht nach Granit<br />

oder Marmor. Ich gehe an das Ende des Säulenganges, und<br />

blicke Marie von Ebner-Eschenbach in die Augen.<br />

„Das alles hier vergessen? Nimm das hier mit, aber nicht zu<br />

deinem Vorstellungsgespräch. Pack es ein, geh nach Hause,<br />

setz dich hinter deinen Schreitisch und fang an. Fang immer<br />

wieder an. Wenn du wirklich schreiben willst, dann wirst du<br />

nie aufhören, anzufangen.“ Sie blickt mich an, und endlich<br />

habe ich erkannt, was der Unterschied ist zwischen Realität<br />

und Fiktion: Es ist die Ehrlichkeit, die wir uns selbst gegenüber<br />

aufbringen.<br />

Langsam gehe ich an der Stiege 7 vorbei. Als ich aus dem<br />

Hauptgebäude trete, fange ich an zu laufen. Dreißig Minuten<br />

später bin ich in meiner Wohnung. Ich wische den Staub von<br />

meinen Zitaten, zwänge meine Füße unter den Schreibtisch<br />

Der König hat dunkle, kurze Haare und einen kleinen Bart<br />

auf der Oberlippe. Vater hat ihn aus hellem Holz geschnitzt.<br />

Eine bunte Krawatte hängt vor seiner Brust und ein feiner<br />

Anzug versteckt das bewegliche Gestell darunter. Er trägt<br />

keine Krone oder so. Dass er der König ist, erkennt man<br />

eigentlich nur daran, dass er im Spiel immer in einem feinen<br />

Polstersessel sitzt und sagt, dass ihm das Land gehöre<br />

und alle anderen Terroristen seien. Und dann stellt Vater<br />

das Tonband mit den Kampfjets an, sodass man gar nichts<br />

mehr versteht. Wenn die Jets vorüber sind, greift der König<br />

zum Telefon und bedankt sich bei König Putin für den Lufteinsatz.<br />

Dann lachen alle.<br />

Und es gibt den Prediger. Der trägt einen schwarzen Umhang<br />

und hat auch einen schwarzen Turban auf dem Kopf.<br />

Vater nennt ihn einen Sayyed, einen Nachkommen unseres<br />

Propheten Mohammed. Zum Prediger gehört eine dunkle<br />

Brille und das Mikrofon. Oft wird er wütend und gestikuliert<br />

mit seinen besonders großen Händen. Er redet sehr<br />

eindringlich, als wollte er seine Botschaft in unsere Herzen<br />

eingravieren.<br />

Ich halte mir die Ohren zu, wenn er spricht, damit die Worte<br />

nicht in mich hineinschlüpfen können. Er sagt, dass wir Mohammed<br />

nachfolgen müssten, aber genau so, wie er es uns<br />

predigt, ja, genau so, wie er es lehrt. Dabei lässt Vater den<br />

Kopf des Mullahs zittern, bis ihm der Turban herunterfällt.<br />

Dann lachen wieder alle Männer.<br />

Dann gibt es auch Ali, den General mit dem schwarzen<br />

Bart und der gefleckten Uniform. Alis Kopf ist aus dunklem<br />

Olivenholz. Er hat viele Runzeln. Auf der Bühne spricht er<br />

Hinterhöfe ging und von dort in die Keller hinunterstieg. Dort<br />

saßen nur Männer beisammen, Vaters Freunde. Es war stickig,<br />

die Shishas blubberten und die Männer sprachen leise.<br />

Sie lachten, wenn Vaters Puppen auftraten, wenn der König<br />

wieder zum Telefon griff, der Turban des Predigers herunterfiel<br />

und Ali wild das Maschinengewehr schüttelte.<br />

Aber es war ein anderes Lachen als das der Kinder am Platz,<br />

ein eingesperrtes, dunkles, eines, das mir Angst machte.<br />

- Warum, Vater, warum sind alle, die von Mohammed sprechen,<br />

so böse und so wütend? War Mohammed auch böse?<br />

- Nein, Amir, Mohammed ist unser Prophet. Die Männer sagen,<br />

dass es ihnen um die Religion gehe, aber eigentlich wollen<br />

sie alle nur die Prinzessin Layla stehlen.<br />

- Layla, weshalb?<br />

- Layla bedeutet Zauber der Nacht und Königin der Nacht. Layla<br />

ist geheimnisvoll und schön. Sie ist eine Prinzessin, Layla<br />

tut, was ihr Freude bereitet, und keiner darf ihr Vorschriften<br />

machen. Aber das ärgert die bösen Männer. Sie wollen die<br />

Prinzessin einfangen und wegsperren. Wem die schöne Layla<br />

gehorcht, dem gehorchen alle anderen auch, denken sie,<br />

dem gehört das Land und der darf alles bestimmen.<br />

- Vater, das sagt unser König doch immer, dass ihm das Land<br />

gehöre und alle anderen seinen Befehlen folgen müssten.<br />

Hat der König denn die Prinzessin?<br />

- Nein, der König hat sie auch nicht, sonst müsste ihm der<br />

russische König Putin nicht mit seiner Armee beistehen.<br />

Prinzessin Layla ist fortgelaufen. Der König weiß nicht, wo<br />

sie ist und wie er sie nur wiederfinden könnte.<br />

Unsere Layla-Puppe ist in hellblaues Seidenpapier gewickelt.<br />

Vater hält die Schachtel mit den Marionetten am Fußende<br />

seines Bettes unter der Matratze verborgen. Er hat ein<br />

großes, gestreiftes Handtuch darübergebreitet. Damit er<br />

sich mit den Schuhen aufs Bett legen kann, sagt er. Aber<br />

ich weiß, dass er die Puppen versteckt hält, er zeigt sie<br />

keinem. Nur wenn wir alleine sind, holt er sie manchmal<br />

hervor. Sie sind das Einzige, was wir von zu Hause mitgebracht<br />

haben.<br />

Er wickelt Layla vorsichtig aus dem Seidenpapier und gibt<br />

sie mir. Ich lasse sie ein wenig auf und ab gehen. Ich kann<br />

das schon, wenn ich groß bin, werde ich auch Puppenspieler<br />

wie Vater. Layla geht zu Mutters Pritsche hinüber und<br />

tippt sie an: Mama, Mama! Mutter hat sich zur Wand gedreht<br />

und reagiert nicht. Schläft sie denn schon?<br />

Vater nimmt Majnun aus der Schachtel. Majnun ist der<br />

Prinz, der Layla liebt. Er ist klug und mutig und muss viele<br />

Abenteuer bestehen, damit er Layla zur Frau bekommt.<br />

Layla geht zu Majnun und fragt ihn, ob wir denn nun immer<br />

hier bleiben müssten, hier, wo Mutter so traurig ist, wo die<br />

Sonne sich wochenlang nicht zeigt und Schnee vor der Tür<br />

liegt. Sie fragt ihn auch, wer denn jetzt in unserem schönen<br />

Haus wohne und ob in unserer Stadt noch Kinder auf dem<br />

großen Platz spielten.<br />

Majnun reißt den Kopf nach hinten, als sei er erschrocken.<br />

Er schüttelt seinen schönen Prinzenkopf, schlägt die Hände<br />

vor dem Mund zusammen und macht mmh, mmh, mmmhh,<br />

als könne er nicht sprechen.<br />

Ich weiß, dass die Puppen aus Holz sind und sich nicht verändern,<br />

aber Majnuns große, schwarze Augen sind jetzt so<br />

traurig, wie ich sie noch nie gesehen habe.<br />

und starte den Laptop.<br />

durch einen Karton, der aussieht wie der Bildschirm eines<br />

Vater achtet sehr darauf, dass sich ihre Fäden nie verwirren.<br />

Und dann beginne ich zu schreiben.<br />

Computers. Wenn Vater das Hintergrundrauschen anstellt,<br />

Sie trägt ein schönes Kopftuch mit einem Blumenmuster und<br />

meint man, Ali spreche eine Videobotschaft. Auch Ali nennt<br />

ein langes, blaues Kleid, das hübsch schwingt, wenn Vater<br />

oft den Namen des Propheten und er spricht von einem<br />

sie tanzen lässt. Ihr Gesicht gleicht Mutters Gesicht auf dem<br />

Kalifat, einem Gottesstaat, den er errichten werde. Wenn<br />

Foto, das Mutter und Vater an ihrem Hochzeitstag zeigt, da-<br />

Johanna Beck<br />

Maximilian Hauptmann-Höbart<br />

Ali schreit, dass er alle Ungläubigen aus ihren Löchern zie-<br />

mals, als wir noch zuhause waren, als oft Besuch zu uns kam<br />

Geb. in München. Studien der Philosophie, Pädagogik und Land-<br />

Prosa<br />

Geb.1996 in St. Pölten und wuchs in Herzogenburg auf. Mittlerweile<br />

studiert er Vergleichende Literaturwissenschaft und Philosophie<br />

in Wien.<br />

www.maxi.hauptmann.123@gmail.com<br />

hen und erschießen wird, fürchte ich mich. Und, wenn er<br />

das Kinn mit dem schwarzen Bart vorstreckt und den Arm<br />

mit dem Maschinengewehr hochreißt, erschrecke ich jedes<br />

Mal.<br />

und wir an den kühlen Abenden im Hof zusammensaßen. Die<br />

Erwachsenen tranken süßen Tee und redeten miteinander.<br />

Damals lächelte Mama noch so wie Layla.<br />

Jetzt liegt sie den ganzen Tag auf dem Bett und es schneit<br />

schaftsarchitektur. Johanna Beck lebt als Freiberuflerin und Autorin<br />

in Wien. 2011 Veröffentlichung des Romans „Märzsonne“ (Seifert<br />

Verlag, Wien), Kurzgeschichten und Beiträge zu Zeitthemen in<br />

Tageszeitungen.<br />

Prosa


48 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 49<br />

Michael Burgholzer<br />

wo du es rollig<br />

3 kopfkaskaden<br />

weiter tanzend<br />

wiegst und schwenkst,<br />

benetzt den boden<br />

judith, unberührte<br />

um die aufgewühlten<br />

witwe nach manasse,<br />

mitten reichlich<br />

dem zur zeit<br />

frisches blut<br />

der gerstenernte<br />

der sciroccowind<br />

den kopf verglüht<br />

versicherst dich<br />

dir, kriemhild,<br />

der hilfe deiner magd<br />

ausgerastete gemahlin<br />

und schneidest<br />

deines hunnen,<br />

ungevögelt<br />

ist der kopf des bruders<br />

holofernes,<br />

nicht genug, der ihm<br />

der besoffen röchelt,<br />

auf dein geheiß hin<br />

mit dem schwert<br />

abgeschlagen wird<br />

die rübe ab<br />

mit beiden händen<br />

bedenkst mit ihr<br />

packst du balmung<br />

dein volk, begehrte<br />

und enthauptest auch<br />

heldin, das sie stolz<br />

den tronjer, der dich<br />

an eine zinne pinnt<br />

auslacht bis zuletzt<br />

und sich dein leben<br />

lang umsonst<br />

den kalten männern<br />

nach dir verzehrt<br />

bleibt dein wüten<br />

unerträglich,<br />

und der letzte<br />

schlägt auch dich<br />

noch tot und geht<br />

du, salome, du<br />

schleierhafte tochter<br />

ab jetzt herrscht frieden<br />

der herodias,<br />

verdrehst durch<br />

deinen tanz<br />

keiner trauert, keiner lebt<br />

dem angetörnten könig<br />

seinen kopf so weit,<br />

dass er dir bringen lässt,<br />

was deine mutter<br />

Michael Burgholzer<br />

flapsig wünscht<br />

Geb. 1963 in Linz, selbständiger IT-Dienstleister, 4 Kinder, wohnt<br />

und arbeitet in Bürmoos, mehrere Literaturpreise und -förder-<br />

die schale<br />

preise, zahlreiche Veröffentlichungen von Texten und Fotografien<br />

Lyrik<br />

mit dem fahlen haupt<br />

des täufers, eilig<br />

abgetrennt vom rumpf<br />

in Anthologien und Literaturzeitschriften (“<strong>etcetera</strong>”, “Salz”, “Die<br />

Rampe”, “Krautgarten”, “Sterz”, “Landstrich”, “silbende_kunst”,<br />

“Off-the-Coast”).<br />

©Heliane Wiesauer-Reiterer Köpfe Marmor bis ca H 40cm


50 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 51<br />

Prosa<br />

Johannes Schmid<br />

Die Enthauptung des Täufers<br />

Die Oberhäupter der adeligen Geschlechter, die ranghöchsten<br />

Militärs, die gewissenlose Meute der raffgierigsten<br />

Händler hat er, der Bramarbas und Völlerer, wieder zur Feier<br />

seines Geburtstages geladen. Er thront, ich kann es gleichsam<br />

durch das festgefügte Gewölbe meines Kerkers sehen,<br />

an der Spitze der Tafel, zu seiner Rechten die ruchlose Dirne<br />

Herodias, zu seiner Linken Salome, den scheuen Blick<br />

zu Boden gesenkt, gerötet die Wangen aus Scham, wenn<br />

die derben Zoten der trunkenen Männer an ihr Ohr dringen;<br />

denn gelöst ist die Zunge der Schmeichler und Liebediener<br />

durch die erlesensten Weine, die im Land der Israeliten gedeihen.<br />

Und doch sagt man, dass er, König Herodes, bei<br />

aller Verstocktheit seines Herzens, bei all seinem Unwillen<br />

gegenüber moralischer Belehrung und sittlichen Appellen,<br />

mich stets gerne vernahm, ja zu mir in die Einöde jenseits<br />

des Jordan kam, um meine Bußpredigt zu hören, auch wenn<br />

sie seinem eigenen Lebenswandel widerstritt. Solange ich<br />

ihn nicht selbst mit meinem Wort geißelte, war er ein gelassener,<br />

bisweilen vielleicht ein wenig ratloser oder verlegener<br />

Zuhörer. Aber dieser eine Vorwurf, klar und deutlich vor dem<br />

lauschenden Volk kundgetan, traf ihn wie einen Keulenhieb,<br />

machte mit einem Schlage seine Gunst, sein Wohlwollen zunichte,<br />

versetzte den immerfort Brünstigen in jähen Zorn:<br />

„Du darfst die Frau deines Bruders Philipp nicht haben!”<br />

Oder gab er nur vor entrüstet zu sein, um dieses Weibes<br />

willen, der weitschößigen, geifernden Vettel Herodias, und<br />

ließ mich, den er einst bewundert, wenn nicht gar geliebt<br />

hatte, einkerkern und in Ketten legen, des Glaubens, ihr einen<br />

Gefallen zu erweisen? Herodes hörig einer ungebildeten<br />

und launischen Tyrannin? – Aber Salome, die Stieftochter<br />

von betörender Schönheit - sie fand öfter den Weg zu mir<br />

als jeder andere und berauschte sich an meiner Suada, am<br />

harten, metallischen Klang meiner Stimme, welche den<br />

Schwächsten aufzurichten und den Hoffärtigsten in die Knie<br />

zu zwingen vermochte? War sie nicht bei mir von der ersten<br />

Stunde meines Auftretens an? Salome, mit dem schwarzen,<br />

glänzenden Haar, das ihr schmales Gesicht lieblich umrahmt,<br />

dem eine edel gebildete Nase, üppige, blutvolle Lippen,<br />

ein heller und weicher Teint den unbezwingbaren Charme<br />

der Jugend verleihen! Von ihrem schlanken und zierlichen<br />

Wuchs, von der schön geformten Brust geht ein Zauber<br />

aus, der den Betrachter trunken macht und toll. Sie erinnert<br />

mich an den zart keimenden Trieb einer Palme, den ich einst<br />

als Knabe in einem Garten Jerusalems bestaunt habe. Ihr<br />

ängstlicher und sorgenvoller Blick verrät ein nicht geringes<br />

Unbehagen, das das Leben am Hof, voll Intrigen, Rachsucht<br />

und erotischer Schwüle ihrer sanften Seele verursacht. Sie<br />

wird, dessen bin ich gewiss, niemals Teil des verkommenen<br />

Klüngels von Herodes werden, stets wird sie innerlich Protest<br />

erheben und leiden – still, geduldig, widerspruchslos leiden.<br />

- Dich, Salome, erblickte mein Auge immer zuerst in der<br />

dicht gedrängten Schar der Bußfertigen, die mich lauschend<br />

umgaben und an meinen Lippen hingen wie Kinder. Deine<br />

zarte, deine berückende Gestalt strahlte hervor wie ein helles<br />

Gestirn am nächtlichen Firmament. Du standst meist<br />

stumm und regungslos da und hieltest den Blick unverwandt<br />

auf mich gerichtet, indes die Kaskaden meiner Rede auf die<br />

erstaunte Masse niederstürzten. –Natterngezücht, wähnt<br />

ihr etwa dem bevorstehenden Zorn entrinnen zu können?<br />

Bringt Früchte, die euren Sinneswandel bezeugen, und hofft<br />

nicht, in euch sagen zu dürfen: Wir rühmen uns, Abraham<br />

zum Vater zu haben. Denn, dessen seid sicher, Gott vermag<br />

aus diesen toten Steinen vor euch Kinder für Abraham erstehen<br />

zu lassen. Die Axt ist schon an die Wurzel der Bäume<br />

gelegt, und jeder Baum, der nur Misswuchs hervorbringt,<br />

wird herausgeschlagen und in lodernder Flamme vernichtet.<br />

– Ihr fragt, was ihr tun sollt? Wer im Besitz zweier Gewänder<br />

ist, schenke eines demjenigen, der keines hat, und wer von<br />

euch über genug Speise verfügt, der möge in gleicher Weise<br />

handeln. Und ihr, o Zöllner, die ihr im Dienst der Besatzungsmacht<br />

steht, kassiert nicht mehr an Steuern als das, was<br />

festgesetzt und rechtens ist. Die Soldaten hinwieder mögen<br />

sich fernhalten von Gewalttat und Erpressung und mit ihrem<br />

Sold das Auslangen finden!“ Solche Worte, Salome, schlugen<br />

dich in meinen Bann; denn du liebtest meine Predigten über<br />

Redlichkeit, Scham und Ehrgefühl, über Tugenden, die du in<br />

dir trägst, aber keiner deiner Nächsten bemerkt und bemerken<br />

will. Auch du ließest dich von mir taufen, der ich mit Eifer<br />

das Auftreten dessen ankündigte, dem die Schuhriemen zu<br />

lösen ich nicht würdig bin und der dazu ausersehen ist, mit<br />

dem Heiligen Geist und mit Feuer zu taufen. „Die Spreu”, so<br />

rief ich, „wird er vom Weizen trennen, den Weizen aber in<br />

seiner Scheune bergen und die Spreu in unauslöschlichem<br />

Feuer verbrennen!”<br />

Dann aber kam er selbst von Galiläa – du sahst mich erfüllt<br />

von tiefer Demut – und verlangte von mir getauft zu werden.<br />

Mit bebenden Lippen sprach ich zu ihm, der in die Welt geboren<br />

war, um als Retter allen Fleisches auf Erden eine neue<br />

Heilszeit anzukündigen: „Wäre nicht ich verpflichtet, von dir,<br />

der du uns verheißen bist, die Taufe zu erbitten, und du, du<br />

kommst zu mir?“ Er entgegnete knapp: „Lass es nur zu! Nur<br />

so können wir der rettenden Gerechtigkeit, die Gott von uns<br />

verlangt, genügen.” Ich fügte mich bereitwillig diesem Wort<br />

und taufte ihn im Bewusstsein meiner Niedrigkeit mit dem<br />

Wasser des Jordan. Als er aus dem Fluss stieg, da sahen wir<br />

die Himmel sich auftun und den Heiligen Geist körperlich, in<br />

Gestalt einer Taube auf ihn herabschweben und auf ihm verweilen,<br />

indes eine Stimme von oben erklang: „Du bist mein<br />

geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.”<br />

Meine Aufgabe war erfüllt. Ich, der in der Einöde mahnend<br />

die Stimme zum Volk erhob, hatte dem Gesalbten die Bahn<br />

geebnet. Doch bald kam die Stunde meines Verhängnisses,<br />

dessen Zeugin du wider Willen geworden bist: Die Häscher<br />

des Herodes legten während einer Predigt Hand an mich,<br />

zwängten meinen dürren Leib mit aller Gewalt in Ketten<br />

und führten mich unter Peitschenhieben ab. Jäh warst du<br />

erblasst, zitternd vor Furcht, und ein Schrei des Entsetzens<br />

entrang sich deiner Kehle: „Nicht ihn! Lasst ab! Ich …!“ Sie<br />

warfen mich in dieses Verlies, wo ich schmachte bei Wasser<br />

und Brot.<br />

Deines geliebten Anblicks bin ich beraubt, dennoch kann<br />

ich dich sehen, schmal und demütig gebeugt vor Herodes,<br />

hören, wie du in ängstlicher Scheu zu ihm sprichst: „Ihr<br />

fordert mich auf zu tanzen, König? Auf diese Kunst verstehe<br />

ich mich nicht. Wahrlich nicht! Ihr würdet lachen über<br />

meine Ungeschicklichkeit. Jammervoll und beklagenswert<br />

erschiene ich Euch und dem Hofstaat. Ich ersuche Euch<br />

daher, mir diese Bloßstellung zu ersparen!” Vorzüglich entgegnet,<br />

Salome! Lass dich nicht bereden! Du bist keine Straßendirne,<br />

die ihre Reize feilbieten muss. Achte nicht auf die<br />

Schmeichelworte des Herodes, der dir verspricht, alles zu<br />

geben, wonach du verlangst, bis zur Hälfte seines Königsreichs,<br />

wenn du nur seinen Willen erfüllst, knechtisch und<br />

dich selbst entäußernd! - Er gibt sich nicht geschlagen in<br />

seiner Lüsternheit, der Bock: „Der Zauber deiner Schönheit<br />

bestrickt uns, Salome. Nenne mir deinen Wunsch! Ich<br />

schwöre dir vor allen Gästen, dass er nicht unerfüllt bleiben<br />

wird.” „Ich kann nicht! Lasst mich gehen! Meine schwächliche<br />

Natur verbietet!” Wanke nicht! Bewahre deine Würde,<br />

deinen Stolz! - Jetzt erhebt Herodias drohend ihre Stimme:<br />

„Du hast nicht das Recht, dich einem Befehl des Königs<br />

zu verweigern, Tochter. Seine Huld ist übergroß, sein Zorn<br />

vernichtend! Bedenke dies!” „Ich will es versuchen. Aber<br />

…“ Bleib standhaft! Widersetze dich den Drohungen dieser<br />

Hure! „So sag, was du begehrst!“ „Ich begehre, was du begehrst,<br />

Mutter!“ „Man bringe mir hier und jetzt auf einem<br />

Teller das Haupt Johannes des Täufers!” Was? Ist jene Bestie<br />

völlig wahnsinnig geworden? Der König wird dieses Verlangen<br />

von sich weisen. Ich bin überzeugt. Er zögert. Was gibt<br />

es hier zu überlegen? - Herodes wird schwach, ich sehe es<br />

seiner Miene an. Er hätte nicht schwören sollen; er ist zu<br />

feige, um seinen Schwur vor den Gästen zu widerrufen. Nun<br />

wendet er sich an seine Wache - und erteilt Befehl: „Soldaten,<br />

tut, was Eure Herrin angeordnet hat!“ – Gewiss, ich<br />

werde sterben. Aber ich erleide den Tod als Blutzeuge für<br />

den, in dessen Dienst ich mein Leben stellte. Die Palme des<br />

Sieges ist allen verheißen, die bis zum Schluss ausharren<br />

und sich nicht beirren lassen. Den gewaltsamen Untergang<br />

willig hinzunehmen, ist die Erfüllung meines Schicksals. - Ich<br />

höre ihre Schritte widerhallen. Sie entriegeln die Tür. – Führt<br />

aus, wozu ihr gekommen seid! Ich leiste keinen Widerstand.<br />

Johannes Schmid<br />

Geb. 1966, Studium der klassischen Philologie in Wien. Im<br />

LitGes-Vorstand seit 2006. Mehrere Veröffentlichungen im<br />

<strong>etcetera</strong> und LOG.<br />

©Heliane Wiesauer-Reiterer 1983-2003 überm Ei Tu Pa 53x38<br />

Prosa


52 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 53<br />

Peter Paul Wiplinger<br />

beide Dichter sind, und uns das Wort nahe - sagen wir viel-<br />

„ein großes Herz“ - wie man das bei Euch nennt - im Leben<br />

eine Umarmung verbinden uns viel mehr als alle Worte zu-<br />

„Leben, leben...!“<br />

Begegnungen mit dem bosnischen Dichter Izet Sarajlić<br />

leicht wieder: am Herzen - liegt; nein, immer sind es Bilder,<br />

Erinnerungsbilder, die auftauchen und damals auftauchten<br />

in mir. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, daß ich<br />

und in der Poesie.<br />

Oft habe ich mich, da die schrecklichen Tage und Nächte,<br />

sammen, bergen uns und unsere Gefühle, eben unser eigenes<br />

Ich und unsere Erinnerung.<br />

fotografiere und schon in Bildern „denke“, und diese Foto-<br />

Wochen und Monate der Belagerung von Sarajevo waren,<br />

Wo wir uns zum ersten Mal begegnet sind, weiß ich nicht<br />

bilder so in mir speichere; was weiß ich, ist ja auch egal; es<br />

mit all den Massakern, gefragt, wie es Dir wohl geht, ob Du<br />

Wien, 14. März 1998<br />

mehr; du sicher auch nicht. - War es 1982 in Struga, beim<br />

ist halt so. - Du würdest jetzt, genau bei dieser Überlegung,<br />

noch lebst, und wenn ja, wie. Erreichen konnte ich Dich nie,<br />

Poesiefestival; oder war es 1984 in Sarajevo, bei den dani<br />

jene Handbewegung machen, die ich von Dir kenne, und<br />

mit keinem Brief, keinem Telefonanruf. Da habe ich mich an<br />

Peter Paul Wiplinger<br />

poezije, da ich das erste Mal daran teilnahm? Ein bleibender<br />

die bedeutet: Egal, lassen wir das, unwichtig! Du hast einen<br />

Dich erinnert. Auch an unser Zusammensein - vor dieser<br />

Geb. 1939 in Haslach, Oberösterreich. Schriftsteller und künst-<br />

Eindruck, der nicht nur unvergessen blieb, sondern mitbe-<br />

Sinn für das Faktische, aber auch für das Hintergründige,<br />

Schreckenszeit. Dieser herrliche Abend, diese Nacht, die<br />

lerischer Fotograf. Lebt seit 1960 in Wien. Studium der Thea-<br />

stimmend war für meine weiteren Beziehungen dahinunter.<br />

das Wirkliche, so wie es ist, auch im Denken; unwichtige<br />

Abschiedsfeier in einem Restaurant hoch oben in den Ber-<br />

terwissenschaft, Germanistik, Philosophie. Vorwiegend Lyriker.<br />

Egal, das würdest auch du sagen. Hauptsache: wir sind uns<br />

Zusammenhänge, Scheinkonstruktionen interessieren Dich<br />

gen. Wir alle an den Sarajevski dani poezije teilnehmenden<br />

Seine Gedichte wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt und<br />

begegnet und haben einander kennengelernt; denn das war<br />

nicht. Du bist ein Dichter, das vor allem, oder eigentlich nur<br />

Dichter bekamen damals eine Art Teilnehmerdiplom, kunst-<br />

als Gedichtbände publiziert. Bisher 46 Buchpublikationen, zuletzt:<br />

ganz gut so für uns beide.<br />

das; und daraus erklärst Du alles und erklärt sich Dir al-<br />

voll und schön gestaltet, kalligraphisch eingetragen der<br />

„Lebensbilder - Geschichten aus der Erinnerung“ (2003), Podium-<br />

les. Über sogenannte „Intellektuelle“ lächelst Du spöttisch<br />

Name. Jeder wurde aufgerufen, Du sagtest zu jedem ein<br />

Porträt „Peter Paul Wiplinger - Aussagen und Gedichte“ (2004),<br />

Wir haben einiges gemeinsam und das wissen wir. Auf je-<br />

- oder es folgt die eben beschriebene Handbewegung von<br />

paar treffende, auch witzige Worte, sangst Passagen eines<br />

der Prosaband „ausgestoßen“ (2006), „Steine im Licht“, Gedichte<br />

den Fall auch gemeinsame Erinnerungen, auch an etwas,<br />

Dir als Geste, als Zeichen, als Kennzeichnung - für sie und<br />

Liedes, etwas das zur Person des jeweiligen Autors paßte.<br />

und Prosa aus Rom (2005), „Segni di vita / Lebenszeichen“<br />

das wunderbar war und jetzt zerstört ist und das es nicht<br />

auch für Deine Beziehung zu dieser Art von Intelligenz und<br />

Als die Reihe an mir war, um auch mich vorzustellen, sag-<br />

(2010), „Schriftstellerbegegnungen 1960-2010“ (2010), „Lebens-<br />

mehr gibt. Ich meine nicht nur Gebäude, „unser“ Sarajevo,<br />

Bosnien-Herzegowina als das, was es einmal war; ich meine<br />

ganz einfach und vor allem den zerstörten Menschen,<br />

Geistigkeit. Ich glaube, von der sogenannten „Intelligenzija“<br />

hältst Du nicht viel, jetzt weniger denn je; was hat sie denn<br />

auch schon bewirkt: nichts!<br />

test Du: „Wiplinger, kennen wir, ist lange, von uns; aber ist<br />

schlecht, hat in so viele Zeit nie gut Serbokroatisch gelernt,<br />

Wiplinger, das dein Fehler, ja!“ Und dann lachtest Du, um-<br />

wege - Geschichten aus der Erinnerung“ (2011), „Sprachzeichen“<br />

(2011), „Schattenzeit“ (2013) sowie „Positionen 1960-2012“<br />

(2014), „Tagtraumnotizen“ (2016). www.wiplinger.eu<br />

tausendfach, hunderttausendfach: die ihrer Heimat Be-<br />

armtest mich. Und während ich wieder zu meinem Platz<br />

raubten, die um ihr Leben Betrogenen, die Gedemütigten,<br />

Wir haben aber auch nie über irgendwelche „Probleme“<br />

ging, sangst Du plötzlich und wie immer laut: „Adieu, mein<br />

Erniedrigten, Gequälten, die Verstümmelten, die Ermor-<br />

gesprochen; wie hätten wir das auch können, ich mit mei-<br />

kleiner Gardeoffizier, adieu! adieu!, und vergiß mich nicht!<br />

deten, die Toten. Reden wir nicht von Gerechtigkeit, von<br />

nen paar Brocken Serbokroatisch, Du mit Deinem Deutsch,<br />

und vergiß mich nicht!“ Ich war überrascht und gerührt zu-<br />

Sühne; das gibt es nicht. Es gibt nur den Wahnsinn dieses<br />

das Du, glaub ich, in einem Arbeitslager in Nazideutschland<br />

gleich. Oft habe ich später an diesen Augenblick und an<br />

Krieges, diesen planmäßigen und ungehindert ausgeführten<br />

gelernt hast (gesprochen hast Du darüber nie) ; aber ver-<br />

Dich gedacht, als ich die schrecklichen Bilder der medialen<br />

Genozid, diesen Terror, diese Vernichtung; dieses Mensch-<br />

standen haben wir uns trotzdem gut, vor allem wenn wir<br />

Kriegsberichterstattung sah. Und in meine Empörung, in<br />

gegen-Mensch, das wir nicht für möglich gehalten hätten,<br />

gemeinsam getrunken haben - wann haben wir das nicht?!,<br />

meine Wut, in meinen Zorn mischte sich auch die persön-<br />

niemals. Kein weiteres Wort; mir steht das auch nicht zu.<br />

wir haben keine Gelegenheit dazu ausgelassen - und die<br />

liche Trauer; und die Angst - um Dich und um Euch alle. Und<br />

Ich gebe nur ein Zeichen, ein Zeichen des Gedenkens, das<br />

letzten waren, die vom Tisch aufgestanden sind, manchmal<br />

die Hoffnung war nur sehr schwach.<br />

auch uns beide verbindet. Du verstehst das, ich weiß es.<br />

schon im Morgengrauen. Erinnerst Du Dich noch an jene<br />

Zwischen uns brauchen wir nicht viele Worte, brauchten<br />

Nacht in der Baščaršija in Skopje? Ich wollte wenigstens um<br />

Dann hörte ich endlich, daß Du lebst; aber ich wußte nicht,<br />

und wollten wir nie. Immer sprachen unsere Herzen; so<br />

zwei Uhr gehen, aber Du redetest und sangst und trankst<br />

wo und wie. Plötzlich standest Du mir in Bled in Slowenien<br />

würde man vielleicht poetisch in Bosnien sagen: Ausdruck<br />

bis zum Morgengrauen; und wir - Emina und ich - blieben<br />

im Mai 1997 gegenüber. Und ich wußte nicht, was ich sa-<br />

der „slawischen Seele“. Wir wissen beide, daß das auch<br />

bei Dir; und dann sind wir heimgewankt, Dich in der Mitte,<br />

gen sollte; ich war verlegen. Aber da hörte ich schon Deine<br />

eine ist, die voll Haß und Mord sein kann. Immer ist das auf<br />

über die Brücke über den Vardar, bis zum Hotel. Die Sonne<br />

Stimme: „Wiplinger“, sagtest Du, „Wiplinger!“ Und dann<br />

der anderen Seite der Liebe; oder mit ihr zugleich, sogar im<br />

stand schon knapp unter dem Horizont. Und als ich nicht<br />

umarmten wir uns. Und später, in dieser Nacht, tranken wir<br />

selben Menschen.<br />

aufhörte zu räsonieren wegen der durchzechten Nacht - so<br />

zusammen; ich sprach auch viel, sprach auch von meinem<br />

ein Wahnsinn, das vor der Heimfahrt! - antwortetest Du<br />

Mich-schuldig-fühlen („Wir haben so wenig für Euch getan,<br />

Also, wenn ich mich an Dich, an uns erinnere - und das tat<br />

wieder mit einer Deiner mir bekannten Gesten: „Egal, egal,<br />

viel zu wenig!“); es war wie ein Bekenntnis, und ich wollte<br />

Prosa<br />

ich sehr oft in der Zeit dieses Wahnsinnskrieges, als es keinerlei<br />

Kontaktmöglichkeit zwischen uns gab (ich hörte nur<br />

von Deiner Verwundung und daß eine Granate dem Nermin<br />

Tulić beide Beine abgerissen hat) - dann habe ich keine<br />

Erinnerungen an Worte oder in Worten, obwohl wir doch<br />

Wiplinger! - Leben, leben!“ Das war mehr als nur ein Ausspruch,<br />

das war ein Bekenntnis! Dionysisch, ja! So bist Du,<br />

und das gefällt mir. Und so etwas bleibt in Erinnerung: als<br />

Erlebnis, als Erkenntnis, auch der eines Menschen, einer<br />

Person. Und das verbindet, auch in Freundschaft. Du hast<br />

so etwas wie eine Absolution von Dir und durch Dich. Du<br />

hast mich verstanden. „Wiplinger, trink!“, sagtest Du; und:<br />

„ruhig! ruhig!“ - Da waren wir wieder dort, in unserer Gemeinsamkeit:<br />

daß wir beide wissen, daß Worte nie alles erfassen<br />

und aussprechen können. Ein Blick, eine Berührung,<br />

©Heliane Wiesauer-Reiterer 1988<br />

Prosa


54 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 55<br />

Eva Lugbauer<br />

Dein Meer<br />

Während du vielleicht stirbst, sitze ich hier und Tränen<br />

tropfen in den Kaffee. Wenn du jetzt stirbst, denke ich,<br />

werde ich nicht kommen können. Und dass ich mir nicht<br />

sicher bin, ob es meine Tränen sind, das denke ich auch.<br />

Ob es nicht vielleicht deine Tränen sind, die in den Kaffee<br />

hineintropfen, aus meinen Augen heraus. Dich habe ich<br />

nie weinen gesehen.<br />

Auf eurem Hochzeitsfoto hast du nicht gelacht, fällt mir ein.<br />

Das hing über eurem Bett. Sechzehn Jahre warst du alt bei<br />

der Hochzeit. Und ein schwarzes Kleid hast du getragen,<br />

schwarz. Mit weißem Rüschenkragen, aber sonst schwarz.<br />

So sei das früher gewesen, im sechsundvierziger Jahr, hast<br />

du gesagt. Da habe man froh sein müssen, überhaupt ein<br />

Kleid zu haben.<br />

Ernst hast du in die Kamera geschaut und einen Blumenstrauß<br />

vor deinen Bauch gehalten. Damit man ihn nicht<br />

sieht, vielleicht, den Bauch. Er muss schon groß gewesen<br />

sein, das denke ich mir heute. Im November neunzehnhun-<br />

Ich schaue in die schwarze Suppe in der Tasse. Er will nicht<br />

schmecken heute, der Kaffee, denke ich und, dass du nie<br />

am Meer gewesen bist, bis heute nicht. Hast nie einen Fuß<br />

über die österreichische Grenze gesetzt.<br />

Ich wollte dich mitnehmen, einmal, auf Urlaub, schon vor<br />

Jahren. „Einmal ans Meer, Oma“, sagte ich. Du hast gesagt<br />

nein, das sei dem Großvater nicht recht. Das hier, das sei<br />

ein Bauernhof und auf einem Bauernhof müsse gearbeitet<br />

werden. Die Kühe hätten Hunger und überhaupt Urlaub,<br />

das sei nichts für euch, hast du gesagt. Für euch, das<br />

Du nicht und dein Schweigen auch nicht. Ich werde mich<br />

also nicht mehr neben dich setzen können und wir werden<br />

nicht mehr nebeneinander auf die Felder schauen und<br />

schweigen können. Dort wird es leer sein, auf der Bank vor<br />

dem Hof. Statt deines Schweigens wird dort nichts sein.<br />

Nichts auf der Bank. Und in meinem Kopf die Erinnerung.<br />

Die Erinnerung, die sich nicht löschen lässt. Meine nicht,<br />

glücklicherweise. Und deine auch nicht, leider.<br />

Du kannst mein Meer nicht sehen. Ich kann dein Meer nicht<br />

sehen.<br />

Du hast viel gelacht. Besonders, wenn ich Urlaub in eurem<br />

Schlafzimmer gemacht habe. Früh morgens an manchen<br />

Sonntagen war das. Nur zwei Türen von meinem Kinderzimmer<br />

entfernt und trotzdem jedesmal ein kleiner Urlaub.<br />

Für mich. Und auch für dich, wahrscheinlich. Großvater<br />

musste früh aus dem Bett, jeden Tag, in den Stall zu<br />

den Kühen. Du normal auch. Aber wenn ich bei euch im<br />

Schlafzimmer Urlaub gemacht habe, hast du zu Großvater<br />

gesagt „Kopfweh“ oder „Magenverstimmung“ und bist<br />

liegen geblieben, bei mir. Dann lagen wir zwei allein unter<br />

der Decke in eurem Bett.<br />

Ich frage mich, ob du das noch weißt. Ob du dich noch<br />

erinnerst.<br />

Du bist dann irgendwann aus dem Bett gesprungen und<br />

hast „jetzt fahren wir auf Urlaub“ gerufen, und „da kommt<br />

die Eisenbahn“, und „bitte einsteigen“. Ich habe meine<br />

Hände auf deinen Hintern gelegt und unsere Eisenbahn<br />

- ich im Pyjama, du im Nachthemd - tuckerte durch das<br />

Schlafzimmer. Endstation Fenster. Dort hast du den Vorhang<br />

zur Seite geschoben, auf die Felder beim Horizont<br />

gedeutet und gesagt, „siehst du das Meer?“. Ich war noch<br />

nie am Meer gewesen, aber dass es nicht dort hinter den<br />

Feldern war, das wusste ich. Hinter den Feldern war das<br />

Waldviertel und hinter dem Waldviertel war, wie du gesagt<br />

hast, ein eiserner Vorhang. Das Meer war weit weg<br />

von uns. Aber das war egal. Frühmorgens im Dämmerlicht<br />

sahen die Felder beim Horizont aus wie das Meer. Unser<br />

dertsechsundvierzig musst du schon einen großen Bauch<br />

gehabt haben, ein kleines, neues Leben in dir drinnen. Meine<br />

Mutter. Wäre sie nicht passiert, hättet ihr vielleicht gar<br />

nicht geheiratet. Und ich würde nicht hier sitzen.<br />

Er schmeckt nicht salzig, der Kaffee, trotz der Tränen,<br />

denke ich. Er schmeckt ganz normal. Bitter, denke ich und<br />

frage mich, wie es sich wohl anfühlen wird, das Sterben. Ob<br />

es sticht. Oder drückt. Oder zieht. Was du fühlst in diesem<br />

Moment? Was dir durch den Kopf geht? Ich würde dir gern<br />

helfen, denke ich, beim Sterben. So wie ich dir früher immer<br />

gern geholfen hätte, beim Leben. Zum Lachen habe ich<br />

dich gebracht früher, das zumindest. Aber zuletzt? Ich habe<br />

dich schon lange nicht mehr lachen gesehen. Ich glaube,<br />

schon zwanzig Jahre nicht.<br />

Ob dir das Rindsgulasch geschmeckt hat, habe ich dich bei<br />

meinem letzten Besuch gefragt, ein paar Monate ist das<br />

her. Auf der Bank vor dem Hof bist du gesessen. „Rindsgulasch?“,<br />

hast du gesagt und mich angeschaut mit deinen<br />

Augen, aus denen ich nie eine Träne fließen gesehen habe.<br />

Keine Träne, denke ich, und trotzdem traurige Augen. Oder<br />

gerade deswegen.<br />

Du hast eine Weile nichts gesagt zum Rindsgulasch. Du<br />

hast überlegt, glaube ich. Dann hast du gesagt: „Die Zeitung<br />

bringt jeden Tag der Herr Aulitzky.“ Wie es denn dem<br />

Herrn Aulitzky gehe, habe ich dich gefragt. „Aber heute ist<br />

doch Donnerstag“, hast du gesagt. Ich sagte, Sonntag, es<br />

hast du gesagt. Aber für Großvater, das hast du gemeint,<br />

glaube ich. Weil Urlaub für ihn nichts wert war. Arbeit war<br />

etwas wert. Die Kühe füttern, weil sie dann gute Milch gaben.<br />

Oder Jagen, weil man dann Fleisch hatte. Holzhacken,<br />

weil man Holz zum Heizen brauchte. So sah das Großvater.<br />

Nicht du, denke ich. Und trinke einen Schluck von meinem<br />

bitteren Kaffee. Aber wen wundert es, denke ich dann. Wen<br />

wundert es, dass jemand der seine Kindheit im Krieg verbringen<br />

musste, sich ein Leben lang nicht an das Genießen<br />

gewöhnen kann.<br />

Ich schütte Zucker in meinen Kaffee jetzt. Aber das macht<br />

ihn auch nicht besser. Kaffee in Long Island schmeckt einfach<br />

nicht, denke ich, da hilft auch der Zucker nichts. Plörre<br />

ist Plörre. Und Krieg ist Krieg. Krieg, das ist ein harter Start<br />

ins Leben, denke ich. Vielleicht muss man sich nicht wundern,<br />

dass ich nie eine Träne aus deinen Augen gesehen<br />

habe.<br />

„Wie war denn das, im Krieg, Oma?“, habe ich dich später<br />

manchmal gefragt. „Das war keine schöne Zeit“, hast du<br />

nur gesagt. „Die löschen wir.“ Sonst nichts.<br />

Soviel du früher gelacht hast, soviel hast du später geschwiegen.<br />

Auf der Bank vor dem Hof bist du gesessen und<br />

auf die Felder beim Horizont hast du geschaut. Stundenlang.<br />

Ohne zu reden. Was in deinem Kopf vorgegangen sein<br />

mag? Ob du an den Krieg gedacht hast? Oder ans Meer?<br />

Das denke ich und schütte die Plörre endgültig in den Sand<br />

hinter mir. Die Tränen tropfen in die leere Tasse jetzt. Du<br />

bist achtundachzig Jahre alt, man kann nicht sagen, dass<br />

das zu jung ist zum Sterben. Die Tränen tropfen trotzdem.<br />

Meine Tränen. Deine Tränen. Was weiß ich. Sie hören jedenfalls<br />

nicht auf zu tropfen heute. Genau genommen fließen<br />

sie jetzt. Weil du soviel gelacht hast, früher. Weil du so<br />

viel geschwiegen hast, später. Weil du nie mit mir ans Meer<br />

gekommen bist. Weil deine Tränen nie geflossen sind.<br />

Vielleicht, das denke ich mir und schaue auf den blauen<br />

Horizont, vielleicht würden weniger Tränen aus meinen Augen<br />

fließen, wenn du einmal mit mir ans Meer gekommen<br />

wärst.<br />

Jetzt sitze ich hier, weit weg von dir, weit weg von deinem<br />

Meer. Und wenn du jetzt stirbst, denke ich, dann werde<br />

ich nicht kommen können, ich werde nicht an deinem Grab<br />

stehen und dort die Tränen in dein Grab tropfen lassen<br />

können. Sei mir nicht böse, Oma. Aber ich bin auf Reisen,<br />

ich bin am Meer. Frisch geschieden, außerdem. Und jetzt<br />

ein Jahr lang fast immer am Meer. Ich glaube, du verstehst<br />

mich.<br />

Meer.<br />

„Heute frühstücken wir am Strand“, hast du gesagt. Und<br />

gelacht.<br />

sei Sonntag heute. Und du hast gesagt, „weißt du, der Bert<br />

schläft.“ Wer denn der Bert nun wieder sei, wollte ich wissen.<br />

„Am liebsten esse ich eigentlich Polstern“, hast du ge-<br />

Jetzt, in diesem Augenblick, sitzt oder liegst du irgendwo<br />

und denkst an, ich weiß nicht was, und schaust, ich weiß<br />

nicht wohin, vielleicht auf die Felder beim Horizont, wäh-<br />

Eva Lugbauer<br />

Geb. 1985 in NÖ, lebt in Wien. Studium an der Universität<br />

Wien. Arbeitete als Journalistin, Kindergärtnerin, Kellnerin,<br />

Prosa<br />

Und jetzt stirbst du wahrscheinlich bald, in diesem Augenblick<br />

vielleicht. Während ich hier in der Sonne sitze und<br />

den Kaffee mit den Tränen trinke.<br />

sagt. Wann es denn wieder einmal Polstern gebe, wolltest<br />

du wissen. Und ich gab auf. „Polstern“, sagte ich, „gibt es<br />

morgen wieder.“ „Gut“, hast du gesagt. Und in die Ferne<br />

geschaut. Auf die Felder beim Horizont.<br />

rend du vielleicht stirbst. Und ich sitze hier am Meer mit<br />

meiner Plörre und frage mich, was mir fehlen wird, wenn<br />

du nicht mehr da sein wirst. Du wirst nicht mehr auf der<br />

Bank vor dem Hof sitzen, wenn ich euch besuchen fahre.<br />

Fremdenführerin, Sektretärin. Unter den zehn Finalisten<br />

beim FM4-Kurzgeschichtenwettbewerb Wortlaut 2015. Ihr<br />

erster Roman erscheint 2018 im Verlag Wortreich.<br />

Mail: eva.lugbauer@gmx.at<br />

Prosa


56 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 57<br />

Prosa<br />

Andrea Travnik<br />

Raumvision<br />

Sie schwitzt am Körper,<br />

Schweiß rinnt ihr in die Augen,<br />

sie bekommt kaum Luft,<br />

röchelt und kriecht<br />

am Boden Richtung Bett.<br />

Der Weg von ihm zur Matratze<br />

ist kurz<br />

und eine angelehnte Tür<br />

trennt die Räume.<br />

Er soll sehen,<br />

wie schwer sie sich tut,<br />

soll erkennen,<br />

dass sie kämpft.<br />

Sie erreicht das Bett<br />

und erst dann bemerkt er,<br />

sie ist krank.<br />

Sie soll sich doch hinlegen,<br />

sie muss doch bemerkt haben,<br />

sie ist krank.<br />

Mühsam zieht sie sich auf die Matratze, während er noch in<br />

seiner Zeitung blättert. Endlich liegt sie, darf sein in ihrem<br />

Schmerz, in der Krankheit, die nun erkannt wurde. Und doch<br />

wäre es schön, würde sie nicht alleine vor die Hunde gehen.<br />

Sie müsste etwas tun, arbeiten, ein neuer Auftrag, vielleicht<br />

Klienten besuchen, der Posteingang ist übervoll und er bringt<br />

sich erst ein, wenn die Wohnungstür aufgemacht und ihm<br />

der Hut gereicht wird.<br />

Mit zitternden Händen greift sie zum Nachttisch. Die Medikamente<br />

fallen bei dem Versuch, ihren Laptop zu greifen, auf<br />

den Boden. Sie hört ein Schnaufen im Nebenraum. War es<br />

an sie gerichtet? Die Kleidung, derer sie sich in den Stunden<br />

davor nicht entledigt hatte, im Delirium, ist nass und ihre<br />

Haut kühlt ab und heizt sich auf, kühlt ab.<br />

Sie hört, wie er die Zeitung auf den Tisch wirft und mit<br />

schnellen Schritten Richtung Bett trampelt. Sie liegt nun gerade<br />

auf dem Rücken, die Nachttischlampe wirft einen Lichtkegel<br />

auf die glänzende Stirn. Er setzt sich an ihr Bett, nähert<br />

sich ihrem Körper und beugt seinen Kopf zu ihrem. Lange<br />

wird er in dieser doch unbequemen Position nicht ausharren<br />

können, er berührt sie nicht mit seinen Händen. Sie öffnet<br />

die Lippen und ihre Zungenspitzen streicheln sich. Heiße<br />

Zunge, kalte Zunge.<br />

Keine Worte, keinen Blick richtet er an sie. Er steht auf, langsam<br />

und sicher bewegt er sich wieder zu seiner Zeitung ins<br />

Nebenzimmer. Stark fiebert sie vor Glück und Dankbarkeit.<br />

Dann wacht sie auf. Die Medikamente liegen am Boden, sie<br />

hängt über der Bettkante, ihr Nacken schmerzt.<br />

Ruine<br />

Sie hat ihm beim Sterben zugesehen<br />

und immer wieder<br />

einen Stein auf sein Gesicht geworfen.<br />

Nach jedem Wurf<br />

wurde sein Gesicht älter<br />

und kränker,<br />

bis es zu einer Krankenmaske wurde,<br />

dann zu einem Totenkopf.<br />

Einen Wurf machte sie noch<br />

und sein Gesicht zerfiel<br />

zu einem kleinen Knochenhaufen.<br />

Sie wartete auf das Gefühl<br />

von Sicherheit und Freude,<br />

aber es setzte nur ganz kurz<br />

und nur deshalb ein,<br />

weil sie es sich so stark erhofft hatte.<br />

Es war nicht echt,<br />

also lief sie davon.<br />

Ins Haus nebenan,<br />

das ihr eigenes,<br />

das längst verlassen<br />

und bestimmt nicht sicher war.<br />

vor dem ergusse<br />

zu schreiben, bevor die gedanken es treiben, treiben es mit<br />

weiteren gedanken, verstrickt die körper. teile werden zu<br />

bildern zu bewegten medien zu worten zu stöhnen zu gerüchen<br />

zu schweiß zu schleim zu ergusse.<br />

die hand fallen gelassen, zwei fingernass und heiß und taub<br />

und täter. Selbst das opfer, der richter, der henker und verräter.<br />

Und leise, so leise atmend, schwer nach luft schnappend,<br />

doch still, wer will so was hören nach dem ergusse?<br />

und weiter das programm im kopf, in den lenden, die gefühle<br />

überschlagen und wenden sich zu perversionen, so<br />

scheint es dir, tierisch, du bist ein tier, tief und tiefer in<br />

dir drin verlierst du das menschliche, das heilige, das was<br />

du glaubst zu sein, du stöhnst, willst schreien, willst kreischen<br />

und beißen und kratzen, schneidest fratzen alleine<br />

auf deinem bett, halb nackt, es könnte wer kommen, du<br />

ganz sicher, früher oder später kommen sie alle und sehen<br />

dich halb mensch, halb tier in deinem eigenen safte weinen,<br />

wimmern, voller schuld, minder sühne. Sie sind das<br />

publikum und du auf der bühne, lauernd, denn die gedanken<br />

werden gelesen, auch die tiefsten sind nie geheim gewesen,<br />

als frau so was nicht erlaubt, ein engel, die mutter,<br />

das geschlecht geraubt.<br />

aus der mutterblase entwichen und zur mutter gemacht,<br />

zur engelsgestalt mit schönem gesicht und wunden händen<br />

und unterhalb des herzens ein platz für weitere mütter, deren<br />

geschlecht eigentlich geschlechtslos ist und es immer<br />

sein wird, weil der hahn zu den gedanken abgetrennt wurde<br />

und wurde somit blockiert und wenn doch –<br />

ein tröpfchen Ich durchsickern sollte, wollte, nicht anders<br />

konnte, fühlst du dich als hure (was ist das?), als schlampe<br />

(was ist das?), die mutter wird bestraft und ist für immer<br />

eine figur, eine witzfigur, der clown, traurig.<br />

vor dem ergusse zu schreiben, die gedanken treiben lassen,<br />

weil nicht anders möglich, weil mensch, weil tier, weil<br />

du willst sein, ein dich, dein, dir. Und schon immer wolltest,<br />

nicht konntest, dich ekeltest, dich wehrtest.<br />

frau<br />

du bist frau<br />

du spürst nicht<br />

nicht deines<br />

du vergisst<br />

nicht<br />

die frau in deinem kopf, die frau, deren rolle du spielst, sie<br />

spielt dich, spielt mit dir und er spielt mit, kennt die regeln,<br />

hat sie gemacht und selbst übernommen.<br />

frau, ärgere dich.<br />

Andrea Travnik<br />

Geb.1989, in Wien lebend, studierte an der Universität Wien Slawistik<br />

und Vergleichende Literaturwissenschaften, Master im Jahr<br />

2016. Seit 2012 arbeitet sie als Lektorin in verschiedenen Verlagen<br />

und Zeitungsredaktionen, um auch in ihrem Beruf so nah als<br />

möglich dort zu bleiben, wo sie sich am zufriedensten fühlt: Beim<br />

Wort. Für NZZ.at hat sie Film- und Buchrezensionen verfasst.<br />

a_travnik@gmx.net<br />

Martina Sens<br />

P<br />

A N T I G O N E<br />

K<br />

I wissend um die gefahr kämpfend<br />

S für recht und gleichheit<br />

T doch statt des verdienten ordens<br />

A traf dich die kugel<br />

N verbohrter feiglinge<br />

S<br />

wissend um die wichtigkeit des wissens<br />

und die allmacht der bildung<br />

diese einfordernd für alle<br />

traf dich der neid derer die sie haben<br />

doch zu primitiv zu ihrer nutzung sind<br />

wissend um deinen mut und deine kraft<br />

tugenden die uns selbst oft fehlen<br />

schreiben wir worte nieder<br />

beschämt über alle menschen<br />

die unterscheiden zwischen mensch und<br />

mensch<br />

Martina Sens<br />

Geb. 1964 in Bürstadt, Hessen. Studium an der Universität Mannheim<br />

(Germanistik, Soziologie, Pädagogik). Mittlerweile Heilpraktikerin,<br />

Wirbelsäulentherapeutin nach Dorn- und Breuß, Mutter<br />

und Autorin. Lebt seit 1991 in Österreich, seit 1992 in Pramet.<br />

Schreibt um zu überleben. www.martina-sens.net<br />

©Heliane Wiesauer-Reiterer 1983-2003 überm Ei Tu Pa 53x38<br />

Prosa


58 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 59<br />

Jordi Rabasa-Boronat<br />

Köpfe<br />

Es gibt rasierte Köpfe<br />

mit tätowiertem Hackenkreuz<br />

und launische türkische Köpfe,<br />

die auf den Islamismus schwören,<br />

gegen das Recht der Aufklärung:<br />

Brüderlichkeit, Gleichheit, Freiheit.<br />

Und dann es gibt auch liebende<br />

friedliche Köpfe,<br />

verschleierte Köpfe,<br />

feministische Köpfe,<br />

Macho Köpfe.<br />

In Einzelform, Kopf!<br />

Universum der Ideen,<br />

Haus des Gehirns,<br />

von Rache fähig<br />

bis Willens durstig,<br />

Aber kreative positive Köpfe<br />

bewegen die Welt.<br />

Du wählst die Richtung!!<br />

Jordi Rabasa-Boronat<br />

Ingrid Svoboda<br />

Sehr geehrter Herr Chef,<br />

da mir von Ihrer Assistentin mitgeteilt wurde, Sie könnten<br />

keine fünf Minuten erübrigen, um mich in Ihrem Büro zu<br />

empfangen, hoffe ich nun, dass Sie meinem schriftlich vorgetragenen<br />

Anliegen Beachtung schenken werden. Bitte<br />

verzeihen Sie mir meine Hartnäckigkeit.<br />

Aber bevor ich mein Anliegen erläutere, möchte ich Ihnen<br />

zum hundertjährigen Bestehen Ihres Betriebes auf das<br />

Herzlichste gratulieren. Erst dank Ihrer unternehmerischen<br />

Fähigkeiten wurde er zu dem, was er heute ist. Trotzdem<br />

will ich die Verdienste Ihres Herrn Vaters nicht außer Acht<br />

lassen, leistete er doch einen keinesfalls unerheblichen<br />

Beitrag zum Gedeihen des Betriebes, obwohl das Schicksal<br />

seinem Schaffensdrang viel zu früh ein Ende setzte. Erbarmungslos<br />

entriss es ihn seiner Familie sowie den Arbeitern<br />

und Angestellten. Voll Bewunderung bin ich auch für Ihren<br />

Herrn Großvater, der mit einer sensationellen Idee den<br />

Grundstein für erstaunliche Erfolge legte.<br />

Gratulieren möchte ich Ihnen weiters zu der Rede, die Sie<br />

bei der Jubiläumsfeier hielten. Ihre Worte sind nun in aller<br />

Munde. Warum sollte wohl irgendjemand denken, sie<br />

seien als Geheimnis zu bewahren? Im Freien sprachen<br />

Sie, auf dem weitläufigen Rasen zwischen Ihrem Haus und<br />

dem See vor einer großen Anzahl ehrenwerter und bedeutender<br />

Gäste, sogar das Servicepersonal durfte sie hören.<br />

Ganz gewiss waren alle Anwesenden tief berührt von der<br />

zu gestatten, über die nicht alle verfügen können – warum<br />

auch immer. Dieser Mangel scheint mir jedoch nebensächlich,<br />

deshalb möchte ich nicht näher darauf eingehen und<br />

schon gar nicht Sie damit belästigen. Stattdessen will ich<br />

jetzt endlich wagen, mein Anliegen vorzubringen.<br />

Sehr geehrter Herr Chef, nehmen Sie – bitte - das Porträt<br />

Ihres Herrn Großvaters sowie das Ihres Herrn Vaters von<br />

der Wand in Ihrem Büro, beziehungsweise lassen Sie beide<br />

abnehmen - es ist nicht mein Wunsch, dass Sie von der Leiter<br />

fallen und sich verletzen. Was ich von Ihnen möchte ist,<br />

dafür zu sorgen, dass die Gemälde innerhalb der nächsten<br />

zwei Tage transportbereit sind. Ihr Einverständnis vorausgesetzt,<br />

werde ich sie danach in meinen Heim aufhängen.<br />

Hoffentlich denken Sie nun nicht, dass dies für Ihre von mir<br />

sehr verehrten Vorfahren eine Erniedrigung bedeuten würde.<br />

Ihr Herr Großvater lebte viele Jahre noch bescheidener<br />

als die Mitglieder meiner Familie, und Ihr Herr Vater fühlte<br />

sich in dem kleinen Haus meiner Eltern durchaus wohl. Gerne<br />

erinnere ich mich an seinen Besuch, als meine Mutter<br />

schwerkrank war. Ich, damals mit dem unterentwickelten<br />

Verstand einer Neunjährigen, dachte, es müsse so sein,<br />

dass ein Chef sich höchstpersönlich über Gesundheitszustand<br />

und Pflege einer bettlägrigen Arbeiterin informiert.<br />

Keineswegs war ich erstaunt, als er plötzlich einen Schuh<br />

auszog und stöhnte: „Verdammtes Hühnerauge!“ Was ich<br />

allerdings begriff, das war seine von Herzen kommende<br />

Freundlichkeit; eine Tasse Tee bot ihm mein Vater an, der<br />

Ihre schien darüber erfreut und bekam ein übelriechendes<br />

Gebräu. Vermutlich war es lauwarm, leider die übliche Tem-<br />

sen, Festangestellte durch Leiharbeiter ersetzt. Außerdem<br />

gelangte ich zufällig in den Besitz von Unterlagen, die nachweisen,<br />

dass der letzte Großauftrag mittels Transfer einer<br />

beachtlichen Summe in eine Steueroase zustande kam.<br />

Ich möchte diesen Umstand aber nicht dazu verwenden,<br />

um den bereits gekündigten Arbeitsplatz letztendlich doch<br />

noch zu behalten; im Klaren bin ich mir darüber, dass ich<br />

ein Alter erreicht habe, in dem eine Angestellte nicht mehr<br />

gut genug ist für einen Betrieb, der Wert legt auf ein in allen<br />

Bereichen repräsentatives Erscheinungsbild. Ach, wenn<br />

ich an die Sekretärin Ihres Herrn Vaters denke! Erinnern<br />

Sie sich an sie? Frau Berta wurde sie von allen genannt.<br />

Stets trug sie lange dunkle Röcke und Blümchenblusen,<br />

sie humpelte ein wenig, und eine dicke Warze war auf der<br />

spitzen Nase. Verglichen mit ihr bin ich immer noch recht<br />

ansehnlich.<br />

Doch ich will mich nicht selbst beschönigen, sondern Ihnen<br />

nahelegen, Ihrem Herrn Vater und ebenso Ihrem Herrn<br />

Großvater Ehre zu erweisen, indem Sie ihre Porträts mir<br />

anvertrauen. Wahre Hochachtung werde ich ihnen entgegenbringen<br />

und auf diese Weise tagtäglich für viele Jahre<br />

Wohlwollen und berufliche Sicherheit danken.<br />

Übermorgen ist mein letzter Arbeitstag. Mein Schwiegersohn<br />

wird mich abholen und mir beim Transport der Gemälde<br />

helfen.<br />

Obwohl ich leider davon ausgehen muss, dass Sie für meine<br />

Zukunft nicht das geringste Interesse aufbringen, wünsche<br />

ich Ihnen von ganzem Herzen alles, was Sie verdienen.<br />

Geb. 1962 in Katalonien, lebt seit 1994 in Österreich/Petzen-<br />

Schlichtheit, mit der Sie die Verdienste sowohl die Ihres<br />

peratur, wenn mein Vater Tee zubereitete. Trotzdem nahm<br />

kirchen. Begann als18-Jähriger auf Katalanisch und Spanisch zu<br />

schreiben, seit zwei Jahren auch auf Deutsch. jordi-weinemitherz@gmx.at<br />

Herrn Großvaters als auch die Ihres Herrn Vaters nahezu<br />

eine Stunde lang priesen. Ach, wie gerne wäre ich dabei<br />

gewesen!<br />

Ihr Herr Vater keinen Anstoß, sondern trank die Tasse in<br />

einem Zug leer und sagte: „Dankeschön! Das hat jetzt richtig<br />

gutgetan! So einen Tee werde ich nicht bald wieder be-<br />

Helene Cäcilia Rumpelmanninger<br />

(derzeit noch in der Buchhaltung beschäftigt)<br />

Verzeihen Sie mir bitte nochmals, anmaßend ist dieser<br />

Gedanke - ich weiß es! Die Einladung zum Fest auf Angestellte<br />

und Arbeiter auszudehnen, hätte den Rahmen des<br />

für das Büfett vorgesehene Budget zweifelsfrei gesprengt,<br />

kommen!“ Später zog er unter Seufzen seinen Schuh wieder<br />

an und verabschiedete sich mit den besten Wünschen<br />

für die baldige Genesung meiner Mutter. Wenige Tage danach<br />

war sie auf dem Weg der Besserung. Damals meinte<br />

PS: Mit Hochachtungsvoll will ich meinen Brief nicht beenden.<br />

Zu Freundlichen Grüßen kann ich mich nicht aufraffen.<br />

Etwas anderes fällt mir leider nicht ein.<br />

noch dazu wegen Personen, die an Luxus nicht gewöhnt<br />

ich tatsächlich, dieses große Glück hätten wir Ihrem Herrn<br />

Prosa<br />

©Heliane Wiesauer-Reiterer 1987<br />

sind, diesen daher unter keinen Umständen entsprechend<br />

zu würdigen wissen. Sogar mir, einer mit Arbeit geringen<br />

Anspruchs betrauten Angestellten, ist klar, dass die richtige<br />

Abwägung zwischen dem Notwendigen und dem Überflüssigen<br />

zu den Kriterien gehört, die den Erfolg eines Unternehmens<br />

ermöglichen. Außerdem war es in Würdigung des<br />

Anlasses sowie mit Rücksicht auf das gediegene Ambiente<br />

erforderlich, Zutritt nur mit ebenfalls gediegener Kleidung<br />

Vater zu verdanken. Nun, wer kann es wissen?<br />

Mit absoluter Sicherheit weiß ich jedoch, dass Ihr Büro<br />

weder für das Porträt Ihres Herrn Großvaters noch für das<br />

Ihres Herrn Vaters einen geeigneten Platz darstellt; immer<br />

wieder werden dort Entscheidungen getroffen, die mit den<br />

Grundsätzen der Menschlichkeit nicht vereinbar sind. Unbezahlte<br />

Überstunden werden ohne Rücksicht auf familiäre<br />

Umstände gefordert, ältere Arbeitnehmer werden entlas-<br />

Ingrid Svoboda<br />

Geb. 1941. War Sekretärin von Beruf. Lebt in Wien. Begann<br />

spät mit dem Schreiben. Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften<br />

und Anthologien. 2012 Münchner Kurzgeschichtenwettbewerb<br />

Preis der Jury, 2016 Menantes-Preis<br />

für erotische Dichtung Publikumspreis.<br />

Prosa


60 Köpfe|Mai 2017 Vereinsleben Vereinsleben Köpfe|Mai 2017<br />

61<br />

Wien-Präsentation „<strong>etcetera</strong> 66”<br />

Venedig-Sehnsucht und Untergang<br />

FRAUEN, die auf Männer schauen<br />

Eva Riebler - P.E.N. Mitglied<br />

Nur nix Bürokratisches!<br />

als willkommene Anlässe für Lesungen, Heftpräsentationen<br />

sowie der Veranstaltung des alljährlichen Tagebuchtages –<br />

Bericht und ©Foto Hermann F. Fischl<br />

Im Stadtmuseums St.P., Prandtauerstr. 2 bis 28. Mai<br />

Die Landeshauptstadt lud unter der Kuratorin Ingrid Loibl<br />

Eines schönen Abends saß ich mit meinem Tanzpartner im<br />

oh, ich schweife vom Thema ab….<br />

Ja. Jedenfalls wischten wir uns im Roma den Mund an der<br />

und der Organisation durch die Fotografin Edith Haiderer<br />

Roma und zog genüsslich die Spaghetti vom tiefen Teller in<br />

Serviette ab und nickten, der PEN sei schon eine tolle in-<br />

& Mag. Art Margareta Weichart-Antony weitere 17 Künstle-<br />

den Mund. Wir unterhielten<br />

ternationale Organisation mit zahlreichen Hilfestellungen<br />

rinnen ein zu diesem Thema ihre Arbeiten der Öffentlichkeit<br />

uns, darüber, ob man/<br />

für Literaten/Journalisten in kriegsführenden Ländern, Be-<br />

vorzustellen.<br />

frau oder ich zum PEN-<br />

tätigungsfeldern für die Jugend-, Frauen- bis zur Writers in<br />

Ihr Blick ist kritisch, liebevoll, selbstironisch, heiter oder phi-<br />

Club dazugehen sollte. Ne-<br />

Prison –Schiene etc. und von Siegmund Freud bis Stefan<br />

losophisch ausgefallen.<br />

ben 6x Tanzen pro Woche<br />

Zweig, und vor allem mein verehrter Thomas Bernhard wa-<br />

Drei Altersgenerationen von Künstlerinnen haben sich<br />

und dem Arbeitspensum<br />

ren einst Mitglied und und …<br />

dieses Themas angenommen. Die Jüngste ist wohl Linda<br />

für jährlich 4 Zeitschriften<br />

Ja, es würde eine Mitgliedschaft meinerseits sehr erfreulich<br />

Partaj mit 25 Jahren. Sie wird auch die Heftkünstlerin des Ju-<br />

mit über 70 Seiten Umfang<br />

sein. Ich sollte ansuchen. Im Stillen wusste ich natürlich, es<br />

gendheftes „<strong>etcetera</strong> 69 LitArena“ sein, das am 10.10.17 im<br />

sei das vielleicht gar nicht<br />

würde scheitern, da ich Aversionen vor Bürokratischem, wie<br />

Landesmuseum der Stadt St.P. im Regierungsviertel präsen-<br />

überlegenswert.<br />

z.B. dem Abschicken von Ansuchen, habe…<br />

tiert wird. Linda Partaj sieht im Betrachten der Bilder auch<br />

Wie bin ich überhaupt auf<br />

Mein Handy läutete, und das um 22 Uhr! Da muss man/<br />

immer eine gewisse Identitätssuche und die Älteste, Elisa-<br />

das Thema PEN gekom-<br />

frau abheben. „Du bist heute Nachmittag in den PEN-Ö und<br />

beth Temnitschka meint: „Wir Frauen sind gut dran, mehr<br />

men?<br />

den PEN International einstimmig aufgenommen worden!“,<br />

und liebevoller auf uns selber zu schauen und uns mehr um<br />

Die Verschränkungen gab<br />

tönte es in meinen Ohren.<br />

uns selber zu kümmern. Dann wird sich auch unser Blick auf<br />

es immer, denn in der<br />

„Die Grundbedingung, zwei Publikationen hast Du ja 1999<br />

Männer entspannen können.“<br />

Zeitschrift „<strong>etcetera</strong>“, ver-<br />

schon erfüllt und 55 Hefte „<strong>etcetera</strong>“ obendrein herausge-<br />

Die Frage, ob Frauen anders schauen als Männer, sei im Ge-<br />

öffentliche ich seit 2003<br />

geben und … und, jetzt lehn ja nicht ab!”<br />

nder-Zeitalter dahingestellt. Es ist der Blick der Frau sicher<br />

stets Einreichungen des<br />

So ist die innere Bereitschaft quasi kurz nach der äußeren<br />

aufrechter/selbstbewusster und vielleicht klarer geworden.<br />

PEN-NÖ Präsidenten und<br />

Aufnahme vollzogen worden.<br />

Ihr Spannbogen des Betrachtens sowie der des Schauens<br />

anderer Mitglieder. Einige<br />

auf ihren Nachwuchs oder der ihr Anvertrauten ist ein grö-<br />

Jahre konnte ich Helmut<br />

Ich bin als PEN-Mitglied keine andere geworden. Die Texte,<br />

ßerer. Sie hat ja, ob in der dominanten oder servilen Rolle,<br />

A. Niederle überzeugen,<br />

die wir unter den Einreichungen aussuchen, beurteilten wir<br />

gelernt, dass Schauen nicht gleich Schauen ist. Der Blick re-<br />

eine Kolumne „Writers in<br />

(und da kann ich für alle RedakteurInnen sprechen) stets<br />

Von links: Heftkünstler Hermann F. Fischl, Redakteur Thomas Fröhlich,<br />

MORD UND MUSIK-Geschäftsführer Walter Robotka und Au-<br />

giert. Der Blick schafft den Kontakt, die Distanz oder lässt<br />

Nähe zu.<br />

©Foto und Bericht Eva Riebler<br />

Prison“ für die literarisch<br />

ambitionierten Gefange-<br />

ohne Ansehen der Biografie, ob PEN- oder GAV-Mitglied<br />

etc., Orden oder Goldene Medaillen…etc. … stets ist die<br />

tor Daniel Weber.<br />

Klar ist, dass der Mann das betrachtete Objekt (vielleicht so-<br />

nen, meist aus dem Nahen Osten oder Afrika, zu betreuen.<br />

Qualität oder Originalität der zugesandten Texte ausschlag-<br />

gar der Begierde!) und die Frau die Betrachterin des Mannes<br />

Es war stets sehr spannend die Texte aus ganz anderen<br />

gebend.<br />

Am 23.3. abends fand die Wien-Präsentation der <strong>etcetera</strong>-<br />

Ausgabe VENEDIG - SEHNSUCHT UND UNTERGANG mit<br />

dem Autor Daniel Weber statt. Da Webers Texte mitunter<br />

recht unheimlich sind, bot sich die "Special Interest"-Buchhandlung<br />

"MORD UND MUSIK" als Ort der Lesung perfekt<br />

an. Geschäftsführer Walter Robotka, der seinen Buch- (und<br />

CD-)Laden auch als Treffpunkt und verlängertes Wohnzimmer<br />

für einschlägig Interessierte sieht, war - wie immer<br />

- ein wunderbarer Gastgeber. Nach kurzen einleitenden<br />

Worten von Redakteur Thomas Fröhlich las Weber seine<br />

Story "Der Gondoliere". Danach ließ man den Abend bei<br />

dem einen oder anderen Glas Wein ausklingen. Unter den<br />

Anwesenden befanden sich auch Heftkünstler Hermann F.<br />

Fischl, Autor Daniel Krcal und Musiker Gerhard Hallstatt.<br />

aus ihrer Perspektive ist. Bei 19 Künstlerinnen ist die Herangehensweise<br />

vielschichtig und zeigt auch die Metaebene, sozusagen<br />

sich selbst beim Betrachten zu betrachten oder die<br />

Rolle der Frau als Beobachtende oder sogar als Beobachtete.<br />

Fotografien, Multimediaarbeiten, Arbeiten aus Ton (Elisabeth<br />

Temnitschka) in Acryl oder Öl, Grafiken, Objekte mit Herrenmascherln<br />

auf Hirschgeweih mit dem Titel „WeidFrauHeil<br />

– WeidFrauDank“ (Eva Riebler) oder Bilder mit Krawatten<br />

durchwebt (Weichart-Antony), Gott als Frau, die den Adam<br />

als Sexpuppe zum Leben erweckt (Ingrid Reichel) etc. sind in<br />

über 8 Räumen zu sehen.<br />

Am 20. Mai gibt es eine Führung durch die Ausstellung mit<br />

Lesungen im Rahmen des Museumsfrühlings.<br />

Geöffnet Mi – So 10 – 17 Uhr, Katalog im Museumsshop<br />

Kulturen und Sorgen-Bereichen zu lesen. Leider konnte er<br />

die Rubrik nicht mehr betreuen, da er Präsident des PEN-Ö<br />

und PEN-International wurde.<br />

Auf die Idee, eine Mitgliedschaft beim PEN-Österreich anzustreben,<br />

bin ich noch nie gekommen, mir fiel bei meiner letzten<br />

Rezension des 46. (!) Werkes unseres Ehrenobmannes<br />

Wolfgang Mayer König, der seit dem Vorjahr PEN-Vorstandsmitglied<br />

ist, allerdings auf, dass 37 oder 38 der 40 Essays<br />

in seinem Band durch Themenvorgaben der Zeitschrift<br />

„<strong>etcetera</strong>“ oder auf der alljährlichen Schreibwerkstätte im<br />

Schloss Drosendorf entstanden waren. Der Band wurde<br />

vom und im PEN Ö herausgegeben und am 24.Mai wird er<br />

im Stadtmuseum St. Pölten präsentiert. Die Festwochen der<br />

Stadt finde ich stets wie auch den Blätterwirbel im Herbst<br />

Literarisch kann ich nicht mehr aktiver werden. Ich schreibe<br />

kein weiteres Buch, ich bin ein „Writer in Prison“ – ein<br />

Gefangener meiner selbst. Aus dem engen Kastl komm ich<br />

nicht raus, da wickle ich mich ein – Skorpion eben - . Außerdem<br />

lese ich so herausragende literarische Einsendungen,<br />

dass mir die Latte zu hoch liegt!<br />

Mein Betätigungsfeld beinhaltet nun nichts Neues, sondern<br />

die Intensivierung von bereits Probatem. Nämlich wieder<br />

Schachzüge Richtung Einführung/Aufnahme der Kolumne<br />

„Writers in Prison“ sowie Jugendarbeit, für das nächste Heft,<br />

das LitArena, das für die AutorInnen unter 27 J. vorgesehen<br />

ist. Und dafür versuche ich das PEN-Mitglied Wolfgang Martin<br />

Roth zur Zusammenarbeit zu gewinnen. Eva Riebler


62 Köpfe|Mai 2017 Vereinsleben Vereinsleben Köpfe|Mai 2017<br />

63<br />

DRACHEN & KÖPFE<br />

Rück-Vorschau Eva Riebler Fotos©Günter Hieger<br />

Präsentation März 2017 Heft <strong>etcetera</strong><br />

67 „Drachen“ im Stadtmuseum St.P.<br />

Ein spannendes Heft ist es geworden! Bei der Präsentation<br />

war nicht nur das Publikum, das kaum mehr im Raum Platz<br />

fand, begeistert – auch die Mitwirkenden hatte das Thema<br />

angespornt! Der Flötenspieler Johann Falter übte und improvisierte<br />

bereits seit zwei Monaten auf sieben verschiedenen<br />

Flöten, um die 7-köpfige Hydra in die Flucht zu schlagen,<br />

bzw. den feuerspeienden Drachen zumindest zu besänftigen!<br />

Es gelang ihm in seinen abwechslungsreichen sieben<br />

Stücken vortrefflich.<br />

Aus dem Lindwurmland war wie fast jedes Jahr Egyd Gstättner<br />

angereist. Er berichtete, wie er den Lindwurm verschluckt,<br />

wie er dem Klagenfurter Bürgermeister vorgeschlagen hatte,<br />

die Lindwurmbüste vom Neuen Platz durch eine überlebensgroße<br />

goldene Büste seiner Person zu ersetzen und wie er<br />

als Mr. Dragon später der Frau Bürgermeisterin vorgeschlagen<br />

hatte, dass sie seinen literarischen Vorlass aufkaufe und<br />

er Spaghetti auf Lebenszeit bekäme, da er durch das viele<br />

Feuerspeien nur mehr 7 Zähne hätte und natürlich auf das<br />

Reiterstandbild seiner selbst in Gold gegossen auf dem Art<br />

Pferd, sprich Lindwurm bzw. Wollnashorn bestehe.<br />

Spannend entwickelte sich das Gespräch mit dem Lilienfelder<br />

Gerald Axelrod - vertretungsweise alias Thomas Fröhlich<br />

– zum Thema Dracula aus der Walachei und Bram Stoker<br />

(1897), dem letzten Reiters auf der Vampierwelle des 19.<br />

Jhdts.<br />

Der Ehrenobmann der Litges, Wolfgang Mayer-König brachte<br />

auszugsweise einige Gedanken seines Essays und stimmte<br />

das Publikum für seine Lesung im Haus am 24.5. ein.<br />

Informativ war die Vorstellung der historischen Figur des Hl.<br />

Georg von Johannes Schmid, der aus der lateinischen Legenda<br />

aurea berichtete. Georg war ein römischer Tribun aus<br />

Kappadokien und kam, als er in Libyen weilte, nur zufällig an<br />

den Rand der Stadt Silena, die ein Monster in Schach hielt,<br />

indem es einen Sohn oder eine Tochter diesem zum Fraß<br />

vorwarf. Das Los war diesmal auf die einzige Tochter des Königs<br />

gefallen und …<br />

Das Gespräch Eva Rieblers mit dem 92-jährigen Heftkünstler<br />

Josef Winkler aus Wien stellte dem Publikum nicht nur seine<br />

Arbeitsweise und sein Oevre vor, sondern vor allem die Lebensphilosophie<br />

bzw. die Todesphilosophie. Er selbst erklärte<br />

keines seiner im Raum aufgestellten Bilder, da er meint:<br />

„Ja, wenn ich das Bild erst erklären muss, dann ist das Bild<br />

schlecht!“.<br />

Mit auf dem Gemeinschaftsfoto ist Dkfm. Anton Figl, der in<br />

seiner St.Pöltner Galerie Josef Winkler 2006 und 2016 eine<br />

Soloausstellung ausrichtete. Er vertrat den Künstler auch<br />

2015 und heuer bei der Art Austria im Leopoldmuseum und<br />

bei der Antiquitätenmesse im Palais Ferstl und momentan<br />

in Laxenburg, wo er seine gesamte Koje den abstrakten und<br />

existentiellen Werken Winklers widmet.<br />

Ja, die Präsentation im Stadtmuseum war eine spannende<br />

und nun wird es so oder ganz anders am<br />

31.Mai, 19 Uhr im Stadtmuseum St.P.<br />

Vorstellung des neuen <strong>etcetera</strong> Heftes<br />

<strong>68</strong> KÖPFE.<br />

Begleitend, sitzend am Kopf mehrerer Instrumente der letzte<br />

Harlekin Werner Sandhacker. Er hat neue Stücke im Kopf,<br />

sagt er - und hat er nicht, so generiert er neu vom Gassenhauer<br />

zum Ohrwurm.<br />

Lesend, aus Graz angereist, Peter Pauritsch. Er nennt sich<br />

„mehr Gedankenausbeuter als Geschichtenerzählter. Mancher<br />

seiner Sätze würde als Aphorismus und mancher Text<br />

als schlechter Witz durchgehen. Ein paar kautzige Textchen:<br />

„Denn in jedem Text steckt irgendwo ein Kopf drin.”, so sein<br />

Vorspann zu seiner Einsendung zum Thema des Heftes.<br />

Dargeboten werden nicht nur Brötchen, sondern KÖPFE der<br />

Heftkünstlerin Heliane Wiesauer-Reiterer aus Neulengbach.


64 Köpfe|Mai 2017 Vereinsleben Rezensionen Köpfe|Mai 2017<br />

65<br />

Ihr Metier ist die Reduktion, ob in Holz, Stein oder auf Papier.<br />

reinschnuppernde Franz Jansky wird beim Tagebuchtag der<br />

Sie wird uns ihre strenge, reduzierte Arbeitsweise in Expona-<br />

LitGes lesen, diesmal gab er jedoch keine eigenen Gedanken<br />

Alfred Gelbmann:<br />

ten zeigen und näher bringen. Sie meint: „So taste ich immer<br />

vor Publikum preis.<br />

Vorläufig Lübeck<br />

Bernadette Németh:<br />

wieder aufs Neue meine Welt ab und suche nach einer neu-<br />

Eva Riebler stellte mit einer Textprobe über den positiven<br />

Roman, Verlag Sisyphus,<br />

Der Rest der Zeit<br />

en Definition. Ich entdecke und erforsche mich und meine<br />

und negativen Mut das Buch André Hellers „Uhren gibt es<br />

Klagenfurt ,<br />

Roman, Verlag Wortreich,<br />

Welt. Ich experimentiere.“<br />

nicht mehr” (Gespräche mit meiner Mutter in ihrem102.Le-<br />

2017 242 Seiten<br />

Wien 2016, 322 Seiten<br />

Ich freue mich auf diesen Abend! Er wird wie immer kein Ex-<br />

bensjahr) vor. Und wer diesesmal keinen Mut zum Vortrag<br />

ISBN 978-3-903125-10-0<br />

ISBN 978-3-903091-23-8<br />

periment, sondern ein vielfältiger, um nicht zu sagen – ein<br />

hatte, wird es das nächste Mal versuchen.<br />

erlesener - Genuss!<br />

Nach dem Eierpecken und der Jause klang in der Seedose<br />

Vorläufiges: Alfred Gelbmann erzählt die Geschichte<br />

Fassadentexten vorgezeichnet.« (S. 148) Darüber hinaus<br />

Geschwister: Die Ärztin Tünde wird an der Halswirbel-<br />

bei einem Kaffee-Gespräch der Spaziergang aus und die<br />

von Moser. Vielleicht ist es sogar Moser selbst, der diese<br />

gerät Moser auf die schiefe Bahn; seine Missetaten, zu-<br />

säule operiert, ausgerechnet zu Silvester, und das Risi-<br />

Osterspaziergang der<br />

Literarischen Gesellschaft St. Pölten<br />

Karsamstag 15.4.17 an der Traisen. Eva Riebler berichtet.<br />

Runde strebte lachend wieder auseinander.<br />

Die gelungenen Fotos verdanken wir wie alljährlich ©Alfred<br />

Nagl, der sie auch zu dem Bericht von Eva Jancak auf<br />

deren Literaturblog „Literaturgeflüster“ gestellt hat.<br />

Geschichte erzählt, auf seinen Sudelblättern, die danach<br />

von einem fiktiven Erzähler in Buchform gebracht wurden.<br />

Oder von Alfred Gelbmann. Was möglicherweise<br />

dasselbe ist. Nun, bleiben wir bei Gelbmann. Vorläufig.<br />

meist nur Verdachtsmomente, kommen kaum konkret<br />

zur Sprache; er sitzt wiederholt ein, und seine zweifelhafte<br />

Karriere endet auf dem Schafott. Die Existenz der<br />

Todesstrafe einerseits und örtliche wie auch zeitliche<br />

ko einer Querschnittslähmung steht im Raum. Das ist<br />

Ausgangspunkt und zugleich Rahmenhandlung. »Der<br />

Rest der Zeit« der österreichischen Autorin Bernadette<br />

Németh, die nicht ganz zufällig ebenfalls Ärztin ist. Der<br />

Alfred Gelbmann wurde 1946 in Linz geboren. Er ist<br />

Hinweise auf das Nachkriegsösterreich andererseits<br />

Roman erzählt von drei Geschwistern, Tünde, Melinda<br />

nicht nur Autor, sondern führte einen Literaturverlag,<br />

machen nachdenklich, weil das nicht zusammenpasst.<br />

und Adam, und deren Eltern, die während des Ungarn-<br />

und er ist Literaturwissenschaftler. Eine ganze Menge<br />

Aber vielleicht lebt Moser einfach in einer vorläufigen<br />

aufstandes nach Österreich gekommen waren. Es geht<br />

seiner Vorlieben und seines Wissens hat er dem fiktiven<br />

Erzählzeit.<br />

vordergründig um die Lebensbeziehungen der drei und<br />

Erzähler beziehungsweise der Hauptperson Moser mit<br />

Unstetes, Vorläufiges, Unverbindliches – Erinnerungen<br />

hintergründig um die Art und Weise, wie man sich im<br />

auf den Weg gegeben.<br />

an Peter Weiss‘ spielerische Gespräche dreier Gehender<br />

Leben zurechtfindet und was man daraus macht.<br />

Moser, so erfahren wir gleich am Beginn, geht mit der<br />

werden wach – arbeiten mit einem Sprachwitz, der an<br />

Tünde wollte immer schon Schriftstellerin sein, doch der<br />

Lehner. Oder die Lehner geht mit ihm. Jedenfalls ist di-<br />

den Reichtum der Literatur anspielt und verblüffende<br />

Arztberuf hat diesen Weg nahezu verbaut. Melinda ist<br />

ese Beziehung immer vorläufig. Sie endet so rasch, wie<br />

sowie großartige Formulierungen hervorbringt. »Im<br />

Malerin,, und möchte ihre künstlerische Tätigkeit nicht<br />

Manfred Lagler-Regall<br />

Susanne Huslisti<br />

sie begann, doch stets kommen die beiden aufs Neue<br />

zusammen, gehen wieder miteinander oder auch nicht.<br />

Flachen, sagt der [Berliner] Chefredakteur, hätte man<br />

andere, offenere Ansichten von Körperlichkeit als in<br />

wegen des Kindes an den Nagel hängen, wie einst ihre<br />

Mutter.. Adam hingegen ist so etwas wie ein katho-<br />

Wie immer war um 15 Uhr Treffpunkt an der Seedose am Vie-<br />

Eva hingegen ist nur eine kurze, aber gefühlvolle Episo-<br />

jenen aussichtslos vermitterten und zugewaggerlten<br />

lischer Fundamentalist mit haarsträubenden Vorstel-<br />

hofner See in St.Pölten. Ein Dankeschön an alle Beteiligten!<br />

de, die wunderschöne Sätze hervorbringt: »Als Moser<br />

Bergdörfern.« (S. 148)<br />

lungen; den Priesterberuf verlor er aber wegen seiner<br />

15 Literaturambitionierte waren gekommen. Da Friedericke<br />

geht, legt die Eva ihre Wange unendlich lange fünf Se-<br />

Und was ist mit Lübeck? Dort möchte Moser zeitlebens<br />

Liebe zu einer Frau, nun arbeitet er als Religionslehrer<br />

Meyer diesmal nicht dabei war, zitierte niemand das Gedicht<br />

kunden an seine.« (S. 77) Beide, Moser und die Lehner,<br />

hin. Die Stadt von Thomas Mann und den Budden-<br />

und versucht sich als Bücher schreibender Theologe. Alle<br />

aus Goethes Faust II „Vom Eise befreit sind Strom und Bä-<br />

stammen aus der Muldenstraße. Diese ist Synonym für<br />

brooks, ein Fernziel, eine Sehnsucht. Oftmals bricht Mo-<br />

drei stehen gewissermaßen vor Wendepunkten.<br />

che“, das Faust am Osterspaziergang gemeinsam mit dem<br />

ein Industrieviertel, eine proletarische Umgebung, in<br />

ser auf, um nach Lübeck zu gelangen, scheitert, bleibt<br />

Den Hauptteil des Romans, dessen Schicksalswege<br />

Hören der heimatlichen Kirchturmglocken wieder Lebensmut<br />

der sich alles ums Stahlwerk dreht, und auch Moser geht<br />

irgendwo davor hängen. Vielleicht in der Literatur, die<br />

abwechselnd ins Rampenlicht gelangen und fein mitei-<br />

gegeben und ihn vom Selbstmord abgehalten hatte.<br />

in den Stahl. Die Muldenstraße, ein Stahlwerk, Linz – da<br />

in der Lage ist, unser Zeitgefüge zu irritieren: »Wenn er<br />

nander verwoben sind, bildet wohl Tündes Geschichte.<br />

Manfred Lagler las zwei eigens verfasste Texte, beginnend<br />

klingen durchaus Interferenzen an.<br />

allerdings tatsächlich der Einladung der beiden Freunde<br />

Die LeserInnen erfahren viel von der ärztlichen Ausbil-<br />

mit einer Reflexion über Jean Paul Sartre und endend beim<br />

lieben Gott.<br />

Ingrid Messing<br />

Ingrid Müller<br />

Moser liest. Hauptsächlich Bouvard und Pécuchet, Flauberts<br />

Roman, von dem Moser stets ein, mit der Zeit sehr<br />

Bouvard und Pécuchet nach Chavignolles gefolgt ist, gerät<br />

die Zeitrechnung gehörig durcheinander.« (S. 102)<br />

dung. Was die Protagonistin in einem katholischen Spital<br />

erlebt, lässt inständig hoffen, dass die Autorin bloß<br />

Ingrid Müller hatte Skurilles über ein Stinktier verfasst, das<br />

abgegriffenes, Exemplar mit sich herumträgt. Die Lite-<br />

Moser kehrt stets zurück, zur Lehner und in die Mulden-<br />

seltene Einzelfälle zu einer ganzen Geschichte verbaut<br />

einen schweren Geburtsfehler aufwies, es duftete nämlich<br />

ratur hält an vielen Stellen Einzug, Autor Alfred Gelb-<br />

straße. Zumindest vorläufig.<br />

hat. Die Tatsache, dass sie selbst Ärztin ist, suggeriert<br />

statt zu stinken. Eine herzliche Erzählung Andersartigkeit zu<br />

mann spielt an Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek<br />

Vorläufig Lübeck ist ein großartiger Roman, der vielfach<br />

freilich, dass es tatsächlich eine ganze Menge solcher<br />

bedenken und zu akzeptieren.<br />

an, Dante, Cervantes und Samuel Beckett lugen um die<br />

zum Denken anregt und schmunzeln macht. Und wir<br />

unkollegialer, teamunfähiger, cholerischer und narzis-<br />

Susanne Huslisti war neu und hatte trotzdem den Mut ein<br />

Ecke, manches entdecken Lesende, wenn überhaupt,<br />

sollten uns glücklich schätzen, dass der Sisyphus-Verlag<br />

stischer Mediziner in unserem Gesundheitssystem ge-<br />

langes Liebesgedicht vorzulesen.<br />

vielleicht erst bei einer zweiten oder dritten Lektüre. In<br />

dieses Werk nicht nur vorläufig, sondern als richtiges<br />

ben könnte, wie dieses Buch sie beschreibt.<br />

Eva Jancak hatte ihren Text, den sie für dieses Heft KÖPFE<br />

einer der vielen Charakterisierungen der Muldenstraße<br />

Buch herausgebracht hat.<br />

Der Erzählfluss reißt mit, man möchte unbedingt wis-<br />

eingereicht hatte mitgebracht und Ingrid Messing eine Ver-<br />

heißt es: »Was Mosers Vorstellung von der Muldenstra-<br />

Klaus Ebner<br />

sen, ob und wie die von Bernadette Németh ausge-<br />

kostung eines Textes für ihre Lesung am Tagebuchtag am<br />

24.Okt 17 im Stadtmuseum. Auch der neu in die Litges he-<br />

Eva Jancak<br />

Eva Riebler<br />

ße betrifft, nachdem er aus Berlin zurückgekehrt ist,<br />

findet er sie in Waltraud Seidlhofers menschenleeren<br />

legten Fäden am Ende wieder miteinander verknüpft<br />

werden.<br />

Cornelia Stahl


66 Köpfe|Mai 2017 Rezensionen Rezensionen Köpfe|Mai 2017<br />

67<br />

George Prochnik:<br />

Christian Adam:<br />

Şafak Sariçiçek:<br />

Das unmögliche Exil.<br />

Kathrin Röggla:<br />

Sacha Batthyany:<br />

Der Traum vom Jahre Null.<br />

Hans-Dieter Gelfert:<br />

Spurensuche<br />

Stefan Zweig am Ende<br />

Nachtsendung:<br />

Und was hat das<br />

Die Neuord. der Bücher-<br />

Was ist ein gutes Gedicht?<br />

HG Kristian Kühn,<br />

der Welt.<br />

unheimliche Geschichten.<br />

mit mir zu tun.<br />

welt in Ost und West nach<br />

Eine Einf. in 33 Schritten<br />

Illustr. Sven Kalb<br />

München: C.H.Beck, 2016.<br />

S. Fischer, Frankfurt/ Main<br />

Köln: Kiepenheuer& Witsch<br />

1945 Berlin: Verlag Galiani<br />

Verlag C.H.Beck, München<br />

Nettetal/BRD, Elif Verlag<br />

397 Seiten<br />

2016, 288 Seiten<br />

2016, 254 Seiten.<br />

2016, 441 Seiten.<br />

2016, 224 Seiten<br />

2017, 136 Seiten<br />

ISBN: 978-3-406-69756-2<br />

ISBN: 978-3-10-002487-9<br />

ISBN: 978-3-462- 04831-5<br />

ISBN: 978-3-86971-122-5<br />

ISBN 978-3-406-69729-6<br />

ISBN: 978-3-9817509-9-7<br />

„Ein Gefühl von Heimat habe ich nur noch unter-<br />

Fiktion trifft<br />

Realität - 42 unheimliche Ge-<br />

Familienereignisse und ihr Einfluss auf die<br />

Stöbern im Bücherschrank der Eltern. Der Ger-<br />

Die titelgebende Frage wird kaum allgemeingültig<br />

Starke Essenzen: Nicht nur der Autor ist auf Spuren-<br />

wegs“, schreibt der aus Anatolien stammende und in<br />

schichten: „Wir schlafen nicht“ war Kathrin Rögglas<br />

Gegenwart: In der Nacht des 25. März 1945 feiert die<br />

manist und Literaturwissenschaftler Christian Adam<br />

zu beantworten sein. Daher wohl der Untertitel. Aus 33<br />

suche, auch der begabte Illustrator mit seinen lavierten<br />

Wien lebende Schauspieler, Regisseur und Autor Duran<br />

bekanntes Prosawerk, in dem sie vom rasanten Alltag im<br />

Gräfin Batthyany auf ihrem Schloss im burgenländischen<br />

bewies bereits in seinem Buch „Lesen unter Hitler“ ein<br />

Richtungen nähert sich der Autor dem Thema „guter“ Ly-<br />

Tuschezeichnungen ist flott unterwegs, als würde er die<br />

Durmus Dogan in seinem Buch „Heimat unterwegs“<br />

Turbokapitalismus erzählte (S. Fischerverlag, 2004/06).<br />

Rechnitz, inmitten von SS-Offizieren und Gestapo-<br />

feines Sensorium für Lesegewohnheiten während des<br />

rik. Er greift dafür auf Anthologien zurück, deren Titel wie<br />

Essenzen der Gedichte Şariçiçeks möglichst rasch, natür-<br />

(Klak-Verlag Berlin, 2016). Würde Stefan Zweig diese<br />

Als eine Art Fortsetzung kann der nun vorliegende Roman<br />

Führern, ein rauschendes Fest. Um Mitternacht werden<br />

Nationalsozialismus. Adam, am Zentrum für Militärge-<br />

„Die besten deutschen Gedichte“ (ausgew. v. M.Reich-Ra-<br />

lich ohne Schnörkel & Plattitüde einfangen wollen. Ab<br />

Auffassung teilen?<br />

„Nachtsendung” gelesen werden. In gewohnter Manier<br />

180 jüdische Zwangsarbeiter erschossen. Kurz darauf<br />

schichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in<br />

nicki, 2003) oder „Die schönsten deutschen Gedichte“ (L.<br />

Seite 101 zeigt er Akte in Bewegung, äußerst rasch mit<br />

Georg Prochnik, New Yorker Journalist und Schriftstel-<br />

seziert die Autorin den Alltag des Menschen, als Getrie-<br />

fliehen die Täter ins Ausland, Schloss Rechnitz fällt den<br />

Potsdam tätig, untersucht in seinem 2016 erschienenen<br />

Moritz) nahelegen, dass die darin versammelten Gedichte<br />

Kohle oder Tusche hingeworfen – einfach ausdrucks-<br />

ler, Studium an der Hebräischen Universität Jerusalem,<br />

bener in der Maschinerie der Selbstoptimierung gefan-<br />

Flammen zum Opfer. Strafverfahren enden nach dem<br />

Buch „Der Traum vom Jahre Null“ die Chancen des Neu-<br />

als solche anzusehen sein sollten. Was ihn nicht davon ab-<br />

stark! So direkt und doch frei, wie Sven Kalb auszudrü-<br />

Nachfahre Wiener Emigranten, erzählt in seinem Buch<br />

gen, verliert er zunehmend die Beziehung zum eigenen<br />

Krieg im Nirgendwo. Elfriede Jelinek hat die Ereignisse<br />

anfangs für die Literatur nach 1945. Die Vergangenheit<br />

hält, eigene kritische Standpunkte zu entwickeln.<br />

cken vermag, schreibt auch Şariçiçek. Dieser fängt bei<br />

„Das unmögliche Exil“ den Aufbruch Stefan Zweigs von<br />

Selbst und scheitert letztendlich. Brüche und Umbrüche<br />

von Rechnitz im Theaterstück „Der Würgeengel“ bear-<br />

nach Ende des Krieges mit all seinen „Altlasten“ zu<br />

Anhand zahlreicher Beispiele dekliniert der pensionierte<br />

alltäglichen Beobachtungen an und lässt Gefühltes und<br />

Wien aus in eine neue Welt, nach Brasilien. Nicht frei-<br />

im Leben scheinen die einzige Konstante zu sein, der ewi-<br />

beitet. Sacha Batthyany, ehem. Red. der Neuen Zürcher<br />

ignorieren, war für die Bücherwelt illusorisch. Gelesen<br />

Professor für englische Literatur verschiedene Ansätze<br />

Erkanntes dann ohne Anklage oder Larmorants stehen<br />

willig verlässt er Österreich, sondern ist als Jude auf der<br />

ge Kitt, der alles zusammenhält.<br />

Zeitung, dagegen hat einen sehr persönlichen Zugang zu<br />

wurde, was man im Bücherschrank der Eltern vorfand,<br />

durch: Von der formalen Definition des Gedichts, über<br />

oder ins Weite gleiten.<br />

Flucht vor den Nationalsozialisten. Prochnik lässt Passa-<br />

Röggla spart nicht mit Gesellschaftskritik oder Kritik an<br />

Rechnitz. Ausgerechnet Batthyany´s Großtante war 1945<br />

einschließlich Nationalsozialistischer Literatur. Adam<br />

„Wiederholung und Variation“, „Objektivierung und Au-<br />

Zum einen sind es die sorgfältig gewählten Worte und<br />

gen aus Zweigs Buch „Die Welt von gestern“ einfließen,<br />

Medieneinflüssen und Konsumterror. Von Bürgerbeteili-<br />

im Mordgeschehen involviert. Der Journalist begibt sich<br />

fasst seine Forschungsergebnisse wie folgt zusammen:<br />

thenzität“ bis zu Positionen, die ein Dichter einnehmen<br />

zum anderen ist es immer wieder eine gewisse Ruhe<br />

ebenso eigene Kindheitserfahrungen.<br />

gung und Klassentreffen ist die Rede, und von Politikern,<br />

auf Spurensuche, insbesondere nach seiner Großtante,<br />

Nach intensiver Beschäftigung mit Autorenbiografien<br />

kann: „Weltkind“, Visionär, Magier, Prophet... Neben den<br />

und Schwerelosigkeit, die Halt gibt. Einen ungewissen<br />

Der Autor sucht Antworten auf die ungeklärte Frage:<br />

die auf dem Europäischen Forum Alpach spazieren gehen.<br />

Gräfin Margit Thyssen-Batthyany. Reisen führen ihn nach<br />

sowie Akteuren aus dem Verlagswesen wird deutlich,<br />

großen Namen aus mehreren Jahrhunderten würdigt er<br />

zwar, aber jegliche Traurigkeit scheint gebannt und<br />

Warum scheiterte der österreichischen Autor im Exil?<br />

Die Autorin nimmt Parallelwelten unter die Lupe, Welten,<br />

Ungarn, ins Österreich der Nachkriegszeit, in die Schweiz,<br />

wie zahlreich Autoren und Autoren nach 1945 unbehel-<br />

Dichter wie E.Kästner, J.Ringelnatz und R.Gernhardt. Ent-<br />

unwesentlich. Liebesbriefe lassen sich einfach in Rauch<br />

Prochnik ringt nach Erklärungszusammenhängen der<br />

die nebeneinander existieren, in denen Menschen he-<br />

und nach Moskau, wo er mit seinem Vater das GULAG-<br />

ligt ihre Karrieren fortsetzen konnten (S.17).<br />

gegen mancher Lehrmeinung erläutert er, wie auch Witz<br />

auflösen und S. 123 „…jetzt / winden sich kleine lügen<br />

inneren Unruhe Zweigs: Waren es Erinnerungen an die<br />

ranwachsen, die geprägt sind von gestörten (Sozial)<br />

Museum besucht. Bis nach Sibirien reist er, wo einst der<br />

In dreizehn Kapiteln entblättert der Autor Schritt für<br />

und Ironie ein Gedicht zu einem guten machen können.<br />

aus druckerschwärze / wie graue säulen in die luft / und<br />

Flucht aus Wien vor den Nazis, die ihn im Exil nicht zur<br />

Beziehungen und fehlendem Wirklichkeitsbezug. Digitale<br />

Großvater Gefangener im Lager des GULAG war.<br />

Schritt die Geschichte, einschließlich der Vorgeschichte<br />

Als weitere Zitatequelle diente Gelfert die englische Lite-<br />

diffundieren: …“<br />

Ruhe kommen ließen und der eigenen schöpferischen<br />

User ersetzen reelle Begegnungen zwischen Menschen<br />

Um das Konvolut an Informationen zu verarbeiten, be-<br />

der Lesegewohnheiten in Deutschland, und bezieht die<br />

ratur. Hier spürt man seine Sachkunde, die er mit eigenen<br />

Lakonisch werden Baustellen des Lebens hingenommen<br />

Tätigkeit im Weg standen? Wie konnte Zweig sein in-<br />

mit Facebook- Likes. Und: statt konstruktiver Streitkultur<br />

gibt sich der Journalist zu einem Psychoanalytiker und zu<br />

Jahre vor dem Krieg ein: „Wir begannen nicht im Jahre<br />

Übersetzungen der ausgewählten Werke belegt. Wer<br />

und versucht Antidepressiva zu finden, Orientierung zu<br />

neres Gleichgewicht wiederfinden? George Prochnik<br />

wachsen Hasspostings im Netz wie Unkraut im Gemüse-<br />

einem Auschwitzüberlebenden in Buenos-Aires. Batthy-<br />

Null“, er spricht über die Neuordnung der Bücherwelt,<br />

hätte gedacht, dass ein hochaktuelles Gedicht über die<br />

wahren S. 65 „aber schweiß auf meiner stirn, / ein we-<br />

weist darauf hin: „Zweigs Leben wirft einmal mehr<br />

garten. Aussteiger erkennen plötzlich, dass man der Wirt-<br />

any durchbricht, was er dem Tagebuch der Großmutter<br />

das Erzählen vom Krieg und Lager, die „Rückkehr“ der<br />

Umweltzerstörung bereits einem Zeitgenossen Shake-<br />

nig / im wechsel: ruhe und angst aus ungewissheit.“ In<br />

die ... Frage nach der Verantwortung des Künstlers in<br />

schaftskrise nicht wirklich entfliehen kann. Deprimierend<br />

entnahm: „ Wir waren eine Familie aus Maulwürfen. Wir<br />

Autoren sowie den Literaturaustausch zwischen Ost und<br />

speares (T.Bastard) aus der Feder geflossen ist? Allerdings<br />

diesem u. a. Gedichten beschäftigten Şafak, der 1992 in<br />

Zeiten der Krise auf“ (S.14). Kann man von Mitschuld<br />

kommen die Geschichten keineswegs daher! Rögglas<br />

zogen uns zurück, glaubten an nichts mehr“. Er folgt der<br />

West. Adam geht auf die Problematik des Ost-West-<br />

erscheint diese Auswahl recht einseitig. Auch andere Lite-<br />

Istanbul geboren und nun in Heidelberg Rechtswissen-<br />

des Weltautors sprechen? Prochnik gelingt die charak-<br />

skurriler Stil spiegelt den kontrastreichen Großstadtall-<br />

Forderung nach schonungsloser Wahrheit, will Schweigen<br />

Konflikts ein und erinnert an Schulbuchautoren und<br />

raturen wären durchaus mal ein Zitat wert gewesen.<br />

schaft studiert, auch die politischen Vorgänge in seiner<br />

teristische Beschreibung von Menschen, die sich auf der<br />

tag auf humorvolle Weise wider, beschreibt die Auswir-<br />

durchbrechen. Dem Autor gelingt es, Kriegsverbrechen<br />

Lektoren, die historische Ereignisse geschickt umschrie-<br />

Der Autor übernimmt eine mathematische Formel<br />

Heimat. Diese Zeilen sind während es Putsches am<br />

Flucht befinden, skizziert immer wieder Zweigs innere<br />

kungen der Digitalisierung auf den Alltag. Aber es gibt sie<br />

und Traumata zeitgemäß zu erzählen und Verbindungsli-<br />

ben. Negativ beladene Wörter wie Bücherverbrennung,<br />

zur Definition des ästhetischen Werts: Es wird klar, er<br />

16.juli 2016 in der Türkei geschrieben.<br />

Zerrissenheit.<br />

noch, die reale Welt: In „Wochenplan oder Heilige Maria<br />

nien zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu ziehen.<br />

Exil oder Holocaust wurden von ihnen einfach wegge-<br />

kritisiert den Deutschunterricht, wenngleich in guter<br />

In „licht des handybildschirmes“ S.53 liegt die Müdig-<br />

Die Sehnsucht des Schriftstellers Zweig nach der ver-<br />

der Nonbook-Ecke” berichtet die Protagonistin Maria Föt-<br />

Batthyany öffnet sich, gibt persönliche Schwächen preis,<br />

lassen. Dass neun Prozent der Literaturpreisträger in der<br />

Absicht: (Künftige) Leser sollten angehalten werden,<br />

keit wie „augenblei“ auf den Lidern und wenn „das<br />

trauten Heimat in Salzburg und Wien blieb bis zum<br />

tinger: „Montags gehe sie immer zum AA-Meeting in der<br />

lässt den Leser nah an sich heran. Neben Sabine Bodes<br />

ehemaligen DDR ursprünglich Nazis waren (im Westen<br />

ein eigenes Geschmacksurteil zu bilden. Nicht alles von<br />

handylicht / verschwindet in der schwärze. / die armee<br />

Lebensende.<br />

Christopheruskiche. () Wenn man dort sei, habe man im-<br />

„Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen<br />

Deutschlands zwölf Prozent), verwundert nach Ende der<br />

Goethe ist erhaben; auch Rilke schrieb Kitsch; und man-<br />

stürmt die wälle / schlaf / bricht herein, welt im traum /<br />

Prochnik hat ein gründlich recherchiertes, teilweise<br />

mer das Gefühl, die halbe Welt bestehe aus Alkoholikern<br />

ihr Schweigen“ (Klett-Cotta, 2015) ist Batthyanys Buch<br />

Lektüre nicht mehr.<br />

che Zeitgenossen schreiben kaum verständlich.<br />

modus: traum/tore“ - spricht genauso von Realität.<br />

ambivalent geschriebenes Buch vorgelegt. Sehr emp-<br />

und die andere Hälfte aus den Angehörigen”<br />

hilfreich zur Identitäts- und Wahrheitsfindung der nach-<br />

Adam liefert spannenden Lesestoff, der dazu anregt, im<br />

Letztlich gelangt Gelfert zu plausiblen Thesen, die für<br />

Und wer soll in unserer Rush-Hour-Zeit einen Lyrikband<br />

fehlenswert! Passend zum 75.Todestag Stefan Zweigs,<br />

Die Autorin verwebt Humor und Gesellschaftskritik!<br />

wachsenden Generation. Das Stück Rechnitz (Der Wür-<br />

eigenen und im Bücherschrank der Eltern (Großeltern)<br />

gute Qualität sprechen. – Eine Ermunterung für Lesende<br />

zur Hand nehmen? Der Eilige – würde ich sagen – denn<br />

der heuer am 23.2.2017 war.<br />

Ohne erhobenen Zeigefinger macht sie aufmerksam auf<br />

geengel) ist am Niederösterreichischen Landestheater<br />

zu stöbern!<br />

wie Schreibende, sich ernsthaft und mit Humor auf Lyrik<br />

kontemplatorische Weisheit kann man eben nur in<br />

Cornelia Stahl<br />

menschlichen Schwächen.<br />

Cornelia Stahl<br />

St.Pölten ab 17.5.2017 zu sehen.<br />

Cornelia Stahl<br />

Cornelia Stahl<br />

einzulassen.<br />

Wolfgang Stock<br />

Häppchen genießen!<br />

Eva Riebler


www.litges.at

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