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50 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 51<br />

Prosa<br />

Johannes Schmid<br />

Die Enthauptung des Täufers<br />

Die Oberhäupter der adeligen Geschlechter, die ranghöchsten<br />

Militärs, die gewissenlose Meute der raffgierigsten<br />

Händler hat er, der Bramarbas und Völlerer, wieder zur Feier<br />

seines Geburtstages geladen. Er thront, ich kann es gleichsam<br />

durch das festgefügte Gewölbe meines Kerkers sehen,<br />

an der Spitze der Tafel, zu seiner Rechten die ruchlose Dirne<br />

Herodias, zu seiner Linken Salome, den scheuen Blick<br />

zu Boden gesenkt, gerötet die Wangen aus Scham, wenn<br />

die derben Zoten der trunkenen Männer an ihr Ohr dringen;<br />

denn gelöst ist die Zunge der Schmeichler und Liebediener<br />

durch die erlesensten Weine, die im Land der Israeliten gedeihen.<br />

Und doch sagt man, dass er, König Herodes, bei<br />

aller Verstocktheit seines Herzens, bei all seinem Unwillen<br />

gegenüber moralischer Belehrung und sittlichen Appellen,<br />

mich stets gerne vernahm, ja zu mir in die Einöde jenseits<br />

des Jordan kam, um meine Bußpredigt zu hören, auch wenn<br />

sie seinem eigenen Lebenswandel widerstritt. Solange ich<br />

ihn nicht selbst mit meinem Wort geißelte, war er ein gelassener,<br />

bisweilen vielleicht ein wenig ratloser oder verlegener<br />

Zuhörer. Aber dieser eine Vorwurf, klar und deutlich vor dem<br />

lauschenden Volk kundgetan, traf ihn wie einen Keulenhieb,<br />

machte mit einem Schlage seine Gunst, sein Wohlwollen zunichte,<br />

versetzte den immerfort Brünstigen in jähen Zorn:<br />

„Du darfst die Frau deines Bruders Philipp nicht haben!”<br />

Oder gab er nur vor entrüstet zu sein, um dieses Weibes<br />

willen, der weitschößigen, geifernden Vettel Herodias, und<br />

ließ mich, den er einst bewundert, wenn nicht gar geliebt<br />

hatte, einkerkern und in Ketten legen, des Glaubens, ihr einen<br />

Gefallen zu erweisen? Herodes hörig einer ungebildeten<br />

und launischen Tyrannin? – Aber Salome, die Stieftochter<br />

von betörender Schönheit - sie fand öfter den Weg zu mir<br />

als jeder andere und berauschte sich an meiner Suada, am<br />

harten, metallischen Klang meiner Stimme, welche den<br />

Schwächsten aufzurichten und den Hoffärtigsten in die Knie<br />

zu zwingen vermochte? War sie nicht bei mir von der ersten<br />

Stunde meines Auftretens an? Salome, mit dem schwarzen,<br />

glänzenden Haar, das ihr schmales Gesicht lieblich umrahmt,<br />

dem eine edel gebildete Nase, üppige, blutvolle Lippen,<br />

ein heller und weicher Teint den unbezwingbaren Charme<br />

der Jugend verleihen! Von ihrem schlanken und zierlichen<br />

Wuchs, von der schön geformten Brust geht ein Zauber<br />

aus, der den Betrachter trunken macht und toll. Sie erinnert<br />

mich an den zart keimenden Trieb einer Palme, den ich einst<br />

als Knabe in einem Garten Jerusalems bestaunt habe. Ihr<br />

ängstlicher und sorgenvoller Blick verrät ein nicht geringes<br />

Unbehagen, das das Leben am Hof, voll Intrigen, Rachsucht<br />

und erotischer Schwüle ihrer sanften Seele verursacht. Sie<br />

wird, dessen bin ich gewiss, niemals Teil des verkommenen<br />

Klüngels von Herodes werden, stets wird sie innerlich Protest<br />

erheben und leiden – still, geduldig, widerspruchslos leiden.<br />

- Dich, Salome, erblickte mein Auge immer zuerst in der<br />

dicht gedrängten Schar der Bußfertigen, die mich lauschend<br />

umgaben und an meinen Lippen hingen wie Kinder. Deine<br />

zarte, deine berückende Gestalt strahlte hervor wie ein helles<br />

Gestirn am nächtlichen Firmament. Du standst meist<br />

stumm und regungslos da und hieltest den Blick unverwandt<br />

auf mich gerichtet, indes die Kaskaden meiner Rede auf die<br />

erstaunte Masse niederstürzten. –Natterngezücht, wähnt<br />

ihr etwa dem bevorstehenden Zorn entrinnen zu können?<br />

Bringt Früchte, die euren Sinneswandel bezeugen, und hofft<br />

nicht, in euch sagen zu dürfen: Wir rühmen uns, Abraham<br />

zum Vater zu haben. Denn, dessen seid sicher, Gott vermag<br />

aus diesen toten Steinen vor euch Kinder für Abraham erstehen<br />

zu lassen. Die Axt ist schon an die Wurzel der Bäume<br />

gelegt, und jeder Baum, der nur Misswuchs hervorbringt,<br />

wird herausgeschlagen und in lodernder Flamme vernichtet.<br />

– Ihr fragt, was ihr tun sollt? Wer im Besitz zweier Gewänder<br />

ist, schenke eines demjenigen, der keines hat, und wer von<br />

euch über genug Speise verfügt, der möge in gleicher Weise<br />

handeln. Und ihr, o Zöllner, die ihr im Dienst der Besatzungsmacht<br />

steht, kassiert nicht mehr an Steuern als das, was<br />

festgesetzt und rechtens ist. Die Soldaten hinwieder mögen<br />

sich fernhalten von Gewalttat und Erpressung und mit ihrem<br />

Sold das Auslangen finden!“ Solche Worte, Salome, schlugen<br />

dich in meinen Bann; denn du liebtest meine Predigten über<br />

Redlichkeit, Scham und Ehrgefühl, über Tugenden, die du in<br />

dir trägst, aber keiner deiner Nächsten bemerkt und bemerken<br />

will. Auch du ließest dich von mir taufen, der ich mit Eifer<br />

das Auftreten dessen ankündigte, dem die Schuhriemen zu<br />

lösen ich nicht würdig bin und der dazu ausersehen ist, mit<br />

dem Heiligen Geist und mit Feuer zu taufen. „Die Spreu”, so<br />

rief ich, „wird er vom Weizen trennen, den Weizen aber in<br />

seiner Scheune bergen und die Spreu in unauslöschlichem<br />

Feuer verbrennen!”<br />

Dann aber kam er selbst von Galiläa – du sahst mich erfüllt<br />

von tiefer Demut – und verlangte von mir getauft zu werden.<br />

Mit bebenden Lippen sprach ich zu ihm, der in die Welt geboren<br />

war, um als Retter allen Fleisches auf Erden eine neue<br />

Heilszeit anzukündigen: „Wäre nicht ich verpflichtet, von dir,<br />

der du uns verheißen bist, die Taufe zu erbitten, und du, du<br />

kommst zu mir?“ Er entgegnete knapp: „Lass es nur zu! Nur<br />

so können wir der rettenden Gerechtigkeit, die Gott von uns<br />

verlangt, genügen.” Ich fügte mich bereitwillig diesem Wort<br />

und taufte ihn im Bewusstsein meiner Niedrigkeit mit dem<br />

Wasser des Jordan. Als er aus dem Fluss stieg, da sahen wir<br />

die Himmel sich auftun und den Heiligen Geist körperlich, in<br />

Gestalt einer Taube auf ihn herabschweben und auf ihm verweilen,<br />

indes eine Stimme von oben erklang: „Du bist mein<br />

geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.”<br />

Meine Aufgabe war erfüllt. Ich, der in der Einöde mahnend<br />

die Stimme zum Volk erhob, hatte dem Gesalbten die Bahn<br />

geebnet. Doch bald kam die Stunde meines Verhängnisses,<br />

dessen Zeugin du wider Willen geworden bist: Die Häscher<br />

des Herodes legten während einer Predigt Hand an mich,<br />

zwängten meinen dürren Leib mit aller Gewalt in Ketten<br />

und führten mich unter Peitschenhieben ab. Jäh warst du<br />

erblasst, zitternd vor Furcht, und ein Schrei des Entsetzens<br />

entrang sich deiner Kehle: „Nicht ihn! Lasst ab! Ich …!“ Sie<br />

warfen mich in dieses Verlies, wo ich schmachte bei Wasser<br />

und Brot.<br />

Deines geliebten Anblicks bin ich beraubt, dennoch kann<br />

ich dich sehen, schmal und demütig gebeugt vor Herodes,<br />

hören, wie du in ängstlicher Scheu zu ihm sprichst: „Ihr<br />

fordert mich auf zu tanzen, König? Auf diese Kunst verstehe<br />

ich mich nicht. Wahrlich nicht! Ihr würdet lachen über<br />

meine Ungeschicklichkeit. Jammervoll und beklagenswert<br />

erschiene ich Euch und dem Hofstaat. Ich ersuche Euch<br />

daher, mir diese Bloßstellung zu ersparen!” Vorzüglich entgegnet,<br />

Salome! Lass dich nicht bereden! Du bist keine Straßendirne,<br />

die ihre Reize feilbieten muss. Achte nicht auf die<br />

Schmeichelworte des Herodes, der dir verspricht, alles zu<br />

geben, wonach du verlangst, bis zur Hälfte seines Königsreichs,<br />

wenn du nur seinen Willen erfüllst, knechtisch und<br />

dich selbst entäußernd! - Er gibt sich nicht geschlagen in<br />

seiner Lüsternheit, der Bock: „Der Zauber deiner Schönheit<br />

bestrickt uns, Salome. Nenne mir deinen Wunsch! Ich<br />

schwöre dir vor allen Gästen, dass er nicht unerfüllt bleiben<br />

wird.” „Ich kann nicht! Lasst mich gehen! Meine schwächliche<br />

Natur verbietet!” Wanke nicht! Bewahre deine Würde,<br />

deinen Stolz! - Jetzt erhebt Herodias drohend ihre Stimme:<br />

„Du hast nicht das Recht, dich einem Befehl des Königs<br />

zu verweigern, Tochter. Seine Huld ist übergroß, sein Zorn<br />

vernichtend! Bedenke dies!” „Ich will es versuchen. Aber<br />

…“ Bleib standhaft! Widersetze dich den Drohungen dieser<br />

Hure! „So sag, was du begehrst!“ „Ich begehre, was du begehrst,<br />

Mutter!“ „Man bringe mir hier und jetzt auf einem<br />

Teller das Haupt Johannes des Täufers!” Was? Ist jene Bestie<br />

völlig wahnsinnig geworden? Der König wird dieses Verlangen<br />

von sich weisen. Ich bin überzeugt. Er zögert. Was gibt<br />

es hier zu überlegen? - Herodes wird schwach, ich sehe es<br />

seiner Miene an. Er hätte nicht schwören sollen; er ist zu<br />

feige, um seinen Schwur vor den Gästen zu widerrufen. Nun<br />

wendet er sich an seine Wache - und erteilt Befehl: „Soldaten,<br />

tut, was Eure Herrin angeordnet hat!“ – Gewiss, ich<br />

werde sterben. Aber ich erleide den Tod als Blutzeuge für<br />

den, in dessen Dienst ich mein Leben stellte. Die Palme des<br />

Sieges ist allen verheißen, die bis zum Schluss ausharren<br />

und sich nicht beirren lassen. Den gewaltsamen Untergang<br />

willig hinzunehmen, ist die Erfüllung meines Schicksals. - Ich<br />

höre ihre Schritte widerhallen. Sie entriegeln die Tür. – Führt<br />

aus, wozu ihr gekommen seid! Ich leiste keinen Widerstand.<br />

Johannes Schmid<br />

Geb. 1966, Studium der klassischen Philologie in Wien. Im<br />

LitGes-Vorstand seit 2006. Mehrere Veröffentlichungen im<br />

<strong>etcetera</strong> und LOG.<br />

©Heliane Wiesauer-Reiterer 1983-2003 überm Ei Tu Pa 53x38<br />

Prosa

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