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etcetera 67

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ISSN: 1682-9115 | NR.<strong>67</strong> 2017| PREIS: 7 EURO<br />

<strong>etcetera</strong><br />

DRACHEN<br />

L i t e r a t u r u n d s o w e i t e r


2<br />

DRACHEN|März 2017<br />

Editorial<br />

03 Vorwort/Impressum<br />

Idee<br />

4 Ideenfindung: Eva Riebler-Übleis<br />

6 Drachen überall: Eine Betrachtung von Eva<br />

Riebler-Übleis<br />

Heftkünstler<br />

8 Josef Winkler: Der Kampf mit dem Bild<br />

Essays<br />

10 Wolfgang Mayer König: Der gehörnte Siegfried<br />

und sein Drache<br />

24 Egyd Gstättner: Wie ich den Lindwurm verschluckt<br />

habe<br />

27 Johannes Schmid: Der heilige Georg<br />

Interviews<br />

12 Anna Rubin: In die Luft gebaut<br />

15 Gerald Axelrod: Von einem Wüterich, der hieß<br />

Fürst Dracula aus der Walachei<br />

20 Franz Sales Sklenitzka<br />

Bericht<br />

22 Július Koller: Ein U.F.O.-naut spielt Pingpong<br />

Gertraud Artner aus dem mumok<br />

Rezensionen<br />

58 Josef Linschinger: Zahlen + Farben<br />

58 Wolfgang Mayer-König: Das begeisterte Wort<br />

58 Maria Eliskases: Im Blauen Zug<br />

59 Franz Sales Sklenitzka: ABC für Drachenfreunde<br />

59 Franz Sales Sklenitzka: Drachen haben nichts zu<br />

59 lachen<br />

59 Egyd Gstättner: Karl Kraus lernt Dumm Deutsch<br />

60 H.J. Wimmer/M. Steinfellner: Sprachvorspiele<br />

60 Gerhard Benigni: Der Usambaraveilchenstreichler<br />

auf dem Weg zum Südpol<br />

60 Heidi Kastner: Tatort Trennung<br />

61 Andrea Pesata: der flug des habichts<br />

61 Elisabeth Reichart: Frühstück bei Fortuna<br />

61 Dietmar Füssel: Wiederholte Geburten<br />

62 Martina Tischer: Die Göttin in mir<br />

62 Ilse Kilic: Das sich selbst lesende Buch<br />

62 Axel Karner: Der weiße Zorn<br />

63 Gerhard Loibelsberger: Killer-Tschick<br />

63 Richard Schuberth: Karl Kraus<br />

63 Jonis Hartmann: Bordsteinsequenzen<br />

Dank für die Bildrechte<br />

an Josef Winkler/Anton Figl/Christian Klasan<br />

Inhalt<br />

Prosa<br />

30 Caroline M. Herzog: Nezha und das tosende Meer<br />

34 Oliver Jung-Kostick: Die Saat des Drachen u.a.<br />

38 Doris Kloimstein: Drachen<br />

42 Falk Andreas Funke: Siegfried und die Drachen-<br />

schützer<br />

44 Peter Paul Wiplinger: Du böses Kind<br />

46 Peter Mitmasser: D r a c h e<br />

47 Ingrid Messing: Von Menschen und Drachen<br />

48 Heinz Zitta: Im Rachen des Drachen<br />

50 Erich Sedlak: Letzte Worte an einen Hausdrachen<br />

52 Elfriede Starkl: Meine Drachenwelt<br />

Lyrik<br />

33 Raoul Eisele<br />

40 Andrea Kraus: Siegfried Drachentöter<br />

55 Brigitte Pokornik: Ein letzter Hauch<br />

57 Jordi Rabasa-Boronat: Der Drache<br />

LitGes - Präsentation der Literaturzeitschrift<br />

ETCETERA<br />

mit dem Thema VENEDIG am Donnerstag, den<br />

23.03.2017 um 18:30 Uhr in der Buchhandlung<br />

MORD UND MUSIK, Lindengasse 22, 1070<br />

Wien. Es liest der Heftautor Daniel Weber.<br />

Jour-fixe 2017<br />

Wie immer jeden 1. Mittwoch (01.03., 05.04., 03.05., 07.06., 05.07.,<br />

02.08., 06.09., 04.10., 08.11., 06.12.) jeweils um 18:00 Uhr im Büro<br />

der LitGes St. Pölten, Steinergasse 3, 3100 St. Pölten Schreibwerkstätte<br />

für alle Schreibinteressierten und Zuhörer zu einem vorgegebenen<br />

Thema. Dauer der Schreibzeit 45 Sek. bis 20 Min.!<br />

Leitung: Eva Riebler - Übleis (keine Anmeldung erforderlich)


DRACHEN|März 2017<br />

3<br />

Liebe Leserinnen, Liebe Leser!<br />

Ein spannendes Thema, erst bei der näheren Beschäftigung damit, wusste ich, dass eine<br />

Denkviertelstunde zu wenig sei! Über Mythos zur Infrage-Stellung und zur Dekonstruktion bis<br />

zum neuen Strukturieren reichte der Denkfächer. Der Gewinn war für mich und ist für Sie nun<br />

greifbar. Studieren Sie die Facetten dieses Themas! Vielleicht kommen Sie wie ich im Zuge der<br />

Recherchen darauf, dass Sie im Zeichen des chinesischen Drachens geboren wurden.<br />

Sie finden eine ganz tolle Auswahl an exklusiven Primär- wie Sekundärtexten vor - dafür bedanke<br />

ich mich bei allen Autorinnen und Autoren!<br />

Und weil die Zeitschrft auch im 31. Jahr ihres Bestehens nicht untergehen will, ersuchen wir Sie um den Mitgliedsbeitrag<br />

(Daten s. u.) für 2017!<br />

Ihre Eva Riebler-Übleis<br />

Impressum<br />

<strong>etcetera</strong> erscheint 4x jährlich<br />

ISSN: 1682-9115<br />

Richtung der Zeitschrift: Literarisch-kulturelles<br />

Magazin mit thematischem Schwerpunkt.<br />

Namentlich bezeichnete Beiträge geben<br />

die Meinung der Autorin, bzw. des Autors<br />

wieder und müssen mit der Meinung von<br />

Herausgeberin und Redaktion nicht übereinstimmen!<br />

Herausgeber: Eva Riebler-Übleis<br />

Heftredaktion: Joh. Schmid, E. Riebler-Ü<br />

Text und Ilustration © bei den Autoren<br />

Cover und Bilder: Josef Winkler<br />

Fotos: siehe © Fotonachweis<br />

Gestaltung: G. H. Axmann<br />

Medieninhaber:<br />

Literarische Gesellschaft St. Pölten<br />

HG Eva Riebler-Übleis<br />

Büro Steinergasse 3, 3100 St. Pölten<br />

Home: www.litges.at<br />

E–Mail: redaktion@litges.at<br />

LeserInnerservice<br />

Werden Sie Mitglied der LitGes und erhalten<br />

Sie vierteljährlich <strong>etcetera</strong>, die<br />

Zeitschrift für Literatur. Mit Prosa- und<br />

Lyrikbeiträgen, Essays, Interviews, Rezensionen<br />

und Künstlerporträts sowie Einladungen<br />

zu unseren Veranstaltungen.<br />

Abonnementspreis:<br />

24 Euro/Jahr = 4 Hefte; Einzelpreis 7 Euro<br />

Bestellung = Überweisung an:<br />

Sparkasse NÖ Mitte-West<br />

BLZ 20256, Konto-Nr. 55137<br />

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Verwendungszweck: „<strong>etcetera</strong>-Abo“<br />

Bitte Namen und genaue Anschrift leserlich<br />

auf dem Erlagschein vermerken!<br />

Heftbestellungen: einzelne Exemplare<br />

an redaktion@litges.at<br />

LitGes Jour-fixe Schreibwerkstätten<br />

für alle Schreibenden und ZuhörerInnen!<br />

LitGes Büro, Steinergasse 3, 3100 STP<br />

Home/Info: www.litges.at<br />

Die nächsten <strong>etcetera</strong>-Ausgaben:<br />

<strong>etcetera</strong> 68 KÖPFE<br />

Vom Dank an würdige Köpfe.<br />

Einsendeschluss 15. März 2017<br />

Redaktion: Eva Riebler-Übleis<br />

an: redaktion@litges.at, Betreff KÖPFE<br />

<strong>etcetera</strong> 69 LitArena VIII<br />

Literaturwettbewerb für Autorinnen und Autoren<br />

unter 27. siehe www.litges.at/LitArena<br />

Einsendeschluss 15. Juni 2017<br />

Redaktion: Cornelia Stahl<br />

Die nächsten LitGes Präsentationen:<br />

LitGes Heftpräsentation „<strong>etcetera</strong>” <strong>67</strong><br />

08. März 2017, 19 Uhr Stadtmuseum 3100<br />

St.Pölten, Prandtauerstr. 2.<br />

Gespräch über Dracula und den Drachenorden<br />

etc. mit Gerald Axelrod. Über den<br />

Drachentöter Georg berichtet Johannes<br />

Schmid. Aus dem Lindwurmland liest Sarkastisches<br />

der Autor Egyd Gstättner.<br />

Flötenspieler Johann Falter aus Pöchlarn<br />

beruhigt mit sieben verschiedenen Flöten<br />

den feuerspeienden Drachen.<br />

Moderation: Eva Riebler-Übleis<br />

Vorwort/Impressum


4<br />

DRACHEN|März 2017<br />

Eva Riebler-Übleis<br />

Über die Ideenfindung und den Künstler Josef Winkler<br />

Idee<br />

Wieso trägt dieses Heft mit dem Heftkünstler Josef Winkler<br />

ausgerechnet den Titel DRACHEN? Wie soll das zusammenpassen?<br />

Ja, Josefs Acryl- und Mischtechnikarbeiten bewundere ich<br />

seit 10 Jahren, war auf seiner Ausstellung Art Austria (ermöglicht<br />

durch den Galeristen Anton Figl) im Rahmen der<br />

Kunstmesse im Leopoldmuseum 2015 (auch 2017 stellt<br />

Figl alleine den Künstler Josef Winkler aus) und möchte<br />

ihn schon lange in „<strong>etcetera</strong>“ präsentieren.<br />

Er ist für mich der authentischste Künstler.<br />

Seine abstrakten Werke rufen aufgrund der steten Verwandlung<br />

und der vielfach gezeichneten/gemalten<br />

Kreuze, Zeichen und Ziffern oder Kreise oder Totenköpfe<br />

die Assoziation „Metamorphose“ hervor, wie auch mehrere<br />

Ausstellungen und Kataloge diesen Titel trugen: „Josef<br />

Winkler von Alpha bis Omega. Erotische und existentielle<br />

Metamorphosen, Gesamtschau 2011: Josef Winkler. Metamorphosen<br />

und auch die Ausstellung 2016 bei Anton<br />

Figl in St. Pölten hieß: Metamorphosen. Werkschau 2016.<br />

Namen gebend war ein rötlich gehaltenes Bild mit abstraktem<br />

Totenkopf.<br />

„Metamorphose beschreibt als Ausstellungstitel vor allem<br />

auch all jene bildnerischen Um- und Verwandlungen, die<br />

der Künstler innerhalb seiner vor etwa 25 Jahren gefundenen,<br />

primär gegenstandslosen, dem Informel nahestehenden<br />

Sprache immer wieder aufs Neue vollzieht. Durch<br />

die in der Ausstellung gezeigten Werke ziehen sich somit<br />

beide Aspekte: Metamorphose im Sinne einer Umwandlung<br />

des Lebendigen in andere, uns kognitiv nicht zugängliche<br />

Zustände, und Metamorphose im Sinne eines Wandels<br />

von Form und Gestalt. - … Erstgenannter Aspekt (der<br />

der Metamorphose) läuft wie ein Basso continuo durch<br />

Josef Winklers Bild- und Gedankenwelt, indem innerhalb<br />

seiner gegenstandslos wirkenden Formulierungen Formund<br />

Gestaltelemente auftauchen können, die an menschliche<br />

Köpfe bzw. Schädel, an (Fluss-)Steine oder andere<br />

organische und anorganische Versatzstücke von Natur erinnern.<br />

Hinzu gesellen sich bisweilen skripturale Zeichen<br />

wie Kreuze, Ziffern und Buchstaben, die sich gerne zu<br />

formelartigen Inschriften vereinen oder auch Zahlenfolgen<br />

und Wörter bilden wie etwa „alpha omega“ oder eben<br />

„Metamorphose“. Anfang und Ende, Kontinuität und Abbruch,<br />

Symbole der Ratio und des Archetypischen treffen<br />

hier gleichwertig aufeinander – und hinterfragen damit<br />

die uns geläufigen Trennungen zwischen Leben und Tod,<br />

Traum und Wirklichkeit, Gegenwart und Vergangenheit<br />

…“, so Lucas Gehrmann über die Arbeit Josef Winklers.<br />

Winkler selbst schreibt im Katalog Alpha bis Omega:<br />

„Man braucht ein Konzept, ohne literarisch zu sein, aus<br />

dem man schöpfen kann. Von der Geburt bis zum Tod ist<br />

alles, was Leben ausmacht – Sexualität, Leiden und Probleme<br />

– neben den Standortbestimmungen des Alters, in<br />

denen die Summe der Erfahrungen mitschwingt, in diese<br />

künstlerische Aussage integriert. Dies ist meine Spange<br />

von Alpha zu Omega: die Erotik, die sich nach Freud<br />

wie ein roter Faden durchs Leben zieht, all die kleinen<br />

Tode, die man auch in der Vereinigung erlebt. Beim Malen<br />

bin ich ein vollkommen eruptiver Mensch, der die Farbe<br />

und den Inhalt benützt, um sich in seiner Sprache auszudrücken.<br />

Viele Dinge im Leben werden geistig-seelisch<br />

erfasst und man kann nicht achtlos vorübergehen, alles<br />

hat Bedeutung, es gibt aber Schwerpunkte. Der Künstler<br />

sollte in seiner Zeit Seismograph sein, nicht politische<br />

Dinge aufsaugen und sich für einen politischen Maler<br />

ausgeben oder Psychotherapeut, der mit seinen Bildern<br />

heilen will, sondern die Inhalte sollen substantiell sein.“<br />

Das Wort „Metamorphose“ hätte also Hefttitel sein können,<br />

jedoch dachte ich an die siebenköpfigen, stets nachwachsenden<br />

Häupter der Hydra, und so wurde das Thema<br />

abstrahiert.<br />

Im Hintergrund hörte ich gleichzeitig zu meinem Denkprozess<br />

ein Rascheln. Die Drachenbauerin Elfriede Starkl<br />

hatte ein Objekt vervollständigt und probierte die Flugfähigkeit.<br />

Schon ertönte ihre Stimme: Machst Du einmal<br />

ein Drachenheft?<br />

Drachen als Thema ist für Literaten sicher ein weitläufigeres<br />

Feld der Ideenfindung und Betätigung.<br />

Außerdem las ich unvermutet das Wort „Georg“ im Bericht<br />

zu Winklers Alpha – Omega Ausstellung von Brigitte<br />

Borchhard-Biebaumer. Diese meinte, der Kampf Winklers<br />

mit seinen Bildern, bis er ihnen den letzten stimmigen<br />

Schliff gegeben habe, assoziiere den „Georgskampf“.


DRACHEN|März 2017<br />

5<br />

Es stimmt, oft habe ich ihm bei seinen Kursen in der<br />

Schupfengalerie Herzogenburg über die Schulter geschaut,<br />

wenn er mit äußerster Konzentration und intensivem<br />

Duktus ein Bild vollendete. Erst wenn das Bild<br />

„stimmte“, trat er von der Staffelei zurück und legte den<br />

Pinsel und die breite Spachtel weg. An diesem Prozess<br />

des Schaffens teilzuhaben, war schon Gewinn genug!<br />

Automatisch hielt man den Atem an und versuchte die<br />

individuelle Bildsprache zu enträtseln. Es herrschte nach<br />

einem Zustand des Chaos nun plötzlich kreative Ordnung!<br />

Das Motiv war stets Vergänglichkeit/Veränderung.<br />

Durch grafische Zeichen oder ausgeschabte Kratzer veränderte<br />

sich auch immer die zuvor ausgewogene Form,<br />

die dann wieder neu gesucht werden musste. Ein stetes<br />

zueinander Beziehen und ineinander Greifen von Farben<br />

und Formen ist wesensbestimmend. Winkler überlagert<br />

und durchdringt von außen in die Bildmitte und umgekehrt.<br />

Er wandert von der Tiefe auf die Bildoberfläche und<br />

nimmt das Maltuch in die Linke um die Oberfläche wegzuwischen,<br />

damit der Untergrund sichtbar wird. Er bringt<br />

Assoziationen von kleinen Details zu großen Kreisen oder<br />

Galaxien. Zeichen und Symbole sind oft nicht eindeutig,<br />

sondern mehrdeutig interpretierbar. Er schaut, ob genügend<br />

Licht (Weiß) im Bild ist und ob die Komposition<br />

schlüssig und spannend sei. Ein plötzlicher Tupfer leuchtendes<br />

Rot kann den ganzen Aufbau wieder ins Wanken<br />

bringen oder hat eben zur richtigen Bildgestaltung gerade<br />

noch gefehlt.<br />

Er reduziert Farbe, da er weiß, dass Buntheit gefährlich<br />

ist, da man sich in deren Sensationen verliert.<br />

Lustiger Weise sagt er, er male nicht gerne!, aber er sei<br />

ein Besessener! Dabei besucht er jeden Wochentag sein<br />

Atelier, trainiert mit den Hanteln und malt dann. Gelingt<br />

ein Bild nicht, muss es komplett übermalt werden,.<br />

Nur wenige Bilder sind seiner Meinung nach perfekt auf<br />

Dauer. Sie waren es zum Zeitpunkt der Vollendung, als<br />

sie gemalt wurden.<br />

Als er nach seiner Zeit als Galerist (damals war er bereits<br />

mit dem Galeristen Anton Figl bekannt) nach Jahrzehnten<br />

wieder zum Pinsel griff, hatte er das Glück unbedarft wie<br />

ein Kind malen zu können und nicht materiellem Streben<br />

sich unterwerfen zu müssen. Unbeschwert zog er seine<br />

breiten Malbahnen und genoss die spontane Kritzelei.<br />

Er ist sich stets selber treu geblieben!<br />

Es geht ihm um Offenheit und die eigene Sprache. Offenheit<br />

im Sinne von „durchscheinend”, d. h. die Farb- und<br />

Arbeitsschichten eines vorherigen Prozesses scheinen<br />

irgendwo im Bild durch – und Offenheit gegenüber dem<br />

Betrachter, denn jedes Bild soll mit diesem einen Diskurs<br />

führen, zumindest dazu einladen.<br />

In diesem Sinne ….!<br />

Auf der Wiener Akademie studierte er bei Josef Dobrowsky<br />

und ließ sich auf die „lyrische Abstraktion“ ein. Sein<br />

Vorbild war der spanische Maler Tapies in seiner Reduziertheit.<br />

Seine Acrylarbeiten hält er in letzter Zeit meist in Grau,<br />

Weiß, etwas Braun und Rosa oder Schwarz. Seinem Stil<br />

fügte er in den letzten Jahren das Aufbringen mit Materialien,<br />

wie Sand, bei.<br />

Außer auf Leinwand und Papier arbeitet er zuletzt sehr<br />

gerne auf quadratischen Holzplatten, auf denen man besser<br />

kratzen und dynamischer Kraft und Gestik einsetzen<br />

kann.<br />

Winklers Bilder sind stets ehrlich, ohne Kapriziösität entstanden.<br />

Er spielt sich stets frei und bringt sich selber zu<br />

100 % ins Bild ein.<br />

Idee


6<br />

DRACHEN|März 2017<br />

Idee<br />

Drachen überall<br />

Eva Riebler-Übleis<br />

Wo/wann gab es Drachen, oder gab es nie welche? Waren<br />

die Funde stets Haifisch-, Delphin-, Walfischknochen oder<br />

Reste und Erzählungen/Geschichten von Krokodilen sowie<br />

Dinosauriern?<br />

Wieso steht ein Lindwurm aus Stein gehauen am Hauptplatz<br />

Klagenfurts und sieht aus wie die Abbildung aus der<br />

„Historia animalium“ des italienischen Zoologen Ulisse Aldrovandi<br />

(1522-1605)? Ist es vielleicht der versteinerte Rhinozerosschädel,<br />

der in Klagenfurt gefunden wurde, der zur<br />

Lindwurmsage führte?<br />

Einzeln gefundene Fossilien erklären allerdings nicht die<br />

weltweite Verbreitung des Drachenglaubens und das Aussehen<br />

eines Drachen. Muss er doch ordentliche Tatzen mit<br />

Klauen, einen langen biegsamen Schwanz oder schlangenartigen<br />

Körper, eventuell Hörner und lange Barthaare – falls<br />

er ein chinesischer Drache sein soll -, auf alle Fälle Flügel<br />

und einen schuppigen Panzer haben sowie Feuer speien<br />

können und natürlich furcht-/grauenerregend auftreten<br />

und dreinschauen!<br />

Der Ausgangspunkt des Drachenglaubens könnten gefundene<br />

Saurierknochen sein, die auf Riesen-Dinos hinweisen.<br />

Heute gibt es ja noch kleinere Urenkel, z.B. die Warane, die<br />

Kragenechsen und die Flugechsen, die ja Draco volans, also<br />

fliegender Drache, heißen. Als Prototyp des Drachens gilt<br />

natürlich der Waran oder das Krokodil, falls man ihm das<br />

fehlende Feuerspeien verzeiht! Bereits in der Han-Dynastie<br />

des alten Chinas gab es vom Hof offiziell ernannte Drachenzüchter.<br />

Im Norden Chinas lebten einst Alligatoren und Krokodile,<br />

die erst ausstarben, als das Klima kälter und trockener<br />

wurde (siehe: Ditte und G. Bandini, DTV 2002: Das<br />

Drachenbuch S. 146 ff). Ebenda: laut - Dragan, Raymond<br />

Anthony: The Dragon in Early Imperial China. Unveröfftl.<br />

Diss, Toronto 1993 - heißt das Krokodil in China „Schuppendrachen“<br />

= jiaolong und der Alligator „hornloser Drachen“<br />

= chilong. Allerdings leben Krokodile und Alligatoren nicht<br />

in Berghöhlen, sondern eher im/am Wasser und werden<br />

nicht, wie auf Abbildungen zu sehen, die Kaiserlichen Kutschen<br />

gezogen haben. Außerdem besitzen diese ja keine<br />

Hörner, Bart oder Flügel, daher muss das Nebeneinander<br />

von Drachen und Alligatoren/Krokodilen offiziell bewusst<br />

gewesen sein. Geehrt werden sie ja in China immer noch<br />

durch die alljährliche Tradition der Drachen-Umzüge zu<br />

Festen und Drachenboot-Rennen! Das Rennen ist eines der<br />

drei wichtigsten Feste und nahm früher oft den Charakter<br />

einer Seeschlacht an. Die mit 50 Mann besetzten Boote sowie<br />

die Zuschauer bewarfen sich mit Steinen und anderen<br />

Projektilen, was auch tödlich enden konnte. Niemand half<br />

da einem ins Wasser Gefallenen. Schließlich soll der Flussgott<br />

ja auch seine Opfer haben! Entstanden dürfte dieses<br />

Spektakel aus Fruchtbarkeitsriten und Opferungen an die<br />

in den Seen wohnenden Drachengottheiten. Verbunden<br />

sind sie heute noch mit Weihen der Boote und religiösen<br />

Riten, durchgeführt nicht von den Ruderern, sondern von<br />

den Zusehern. Bis ins 19. Jhdt. hatten auch die Schmugglerboote<br />

und Piraten Drachenboote. Heute allerdings sind<br />

„Fernöstlicher Drache“ Das Drachenbuch S. 123<br />

diese zu auffällig! Heutzutage gibt es z.B. anlässlich eines<br />

Flößerfestes in Mecklenburg bereits Drachenbootrennen,<br />

die Boote lassen sich wunderbar gestalten und im Zuge der<br />

Fantasy-Bewegung hält die positive Besetzung des Drachens<br />

Einzug.<br />

Auch musste so manches Gebäude in China ein großes<br />

Loch als Durchblick für den in den Bergen wohnenden Drachen<br />

bekommen. Er will ja schließlich von seiner Höhle aus<br />

das Meer sehen! (z.B. sah ich in Hongkong statt des bankrott<br />

gegangenen Repulse Bay Hotels ein neues Gebäude<br />

mit großem (ca. 400 m 2 ) Loch.)<br />

In China ist der Drache der Hüter der östlichen Himmelsrichtung<br />

und eines der 12 „Jahres- und Stundentiere“. Auch<br />

die Lage der Gräber der Ming-Kaiser in Peking sind auf einer<br />

Seite mit einem Drachenberg flankiert und auf der anderen<br />

mit einem Tigerberg. Das sichert gute Energie, denn<br />

beide Tiere sind unzertrennlich wie Wind und Wasser und


DRACHEN|März 2017<br />

7<br />

sind laut Feng Shui ständig wechselseitig sich beeinflussende<br />

Pole wie Yin (Tiger) und Yang (Drache).<br />

Der chinesische Drache ist also nicht wie meist in der<br />

abendländischen Tradition nur „böse“! (auch nicht der Drache<br />

Fafnir in der Edda, der weise Ratschläge an Sigurd gibt)<br />

.Von einem Drachen (siehe wiederum oben : Das Drachenbuch)<br />

stammte bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. der legendäre<br />

Gelbe Kaiser Huangdi ab oder der berühmte Konfuzius.<br />

Der Drache war eng mit den chin. Kaisern verknüpft<br />

und galt nicht nur als Symbol des Ostens, der aufgehenden<br />

Sonne und des Frühlingsregens, sondern auch als Symbol<br />

der Tugend, Macht und Würde.<br />

Allerdings waren nur die fünfzehigen Drachen dem Kaiser<br />

„Germanisches Monster“ Mitgardschlange - Jörmungand, S. 114<br />

vorbehalten. Der mit vier Zehen blieb für das Volk und der<br />

mit drei den Japanern (S. 126).<br />

In Europa konnte es schon mal vorkommen, dass man z.B.<br />

im 16. Jhdt. ein Bild eines in der Türkei gefangenen Krokodils,<br />

lateinisch beschriftet mit „Crocodil“, auf Deutsch mit<br />

„Lindwurm“ übersetzte.<br />

Zu Ehren unserer europäischen Drachen/Lindwürmern wurden/werden<br />

keine Rennen veranstaltet, vielmehr wurden<br />

sie – wie natürlich auch in China – von Drachentötern und<br />

Rittern bekämpft/getötet oder ihnen Opfer gebracht, wie<br />

Schafe, Kühe oder Jungfrauen. Vor wenigen Jahren war in<br />

Bayern, Kreis Traunstein/Chiemsee eine tatsächlich sogenannte<br />

„Jungfrauenhöhle“ ausgegraben worden. Es befanden<br />

sich Gebeine von 100 jungen Mädchen/Frauen darin!<br />

Wenn wir im Herbst Drachen aus Papier basteln und steigen<br />

lassen, wird es wohl kein Ritual zu Ehren der Drachen<br />

sein. Sondern unsere Flugdrachen sollen wie der kleine<br />

Flugdrache, die Echse „Draco volans“, die in Asien mit ihren<br />

Hautsegeln immer noch von Baum zu Baum gleitet, ein<br />

Erlebnis des Segelns und Fliegens darstellen.<br />

Die Fantasy-Schiene lässt die alten Märchen und Legenden<br />

vergessen oder eben wieder verbrämt aufleben. Der<br />

Drache bekommt ein neues Image, sei es in Trickfilmen,<br />

Filmen, Musicals, Comics, Kinder- und Jugendbüchern. (siehe:<br />

Das Drachenbuch S. 229) Drachenspiele sind seit 1974,<br />

als das Echtzeit-Rollenspiel Dungeons & Dragons auf den<br />

Markt kam, sehr beliebt und - dem Zeitgeist entsprechend<br />

- actionreich.<br />

Die Fantasy-Welt lässt den Drachen weiterleben und setzt<br />

ihn erfolgreich ein.<br />

Burkhard Sievers stellt verschiedene Möglichkeiten auf, einen<br />

Drachen zu behandeln oder ihm beizukommen:<br />

1. Heroisch: „Du musst ihn töten!“<br />

2. Magisch, wie im Märchen „Der Froschkönig“: „Küss ihn!“<br />

3. Als chinesische Version: „Er ist der Herr der Weisheit<br />

und des Regens!“<br />

4. Als Science-Fiction-Ansatz: „Reite ihn!“<br />

5. Als Lösung des einsamen Kindes: „Lass uns Freunde<br />

sein!“<br />

Und vieles mehr lesen Sie im antiquarisch erhältlichen,<br />

sehr pointiert und unglaublich spannend zu lesenden<br />

Werk von Ditte Bandini (studierte Völkerkunde, Religionsgeschichte,<br />

Indologie, arbeitet an der Heidelberger Akademie<br />

der Wissenschaften) und Giovanni Bandini (studierte<br />

Indologie, Vergl. Religionswissenschaft, Indische Kunstgeschichte):<br />

Das Drachenbuch. DTV München, 2002, 262 S.,<br />

ISBN 3-423-24318-X<br />

Eva Riebler-Übleis<br />

Geb.1952 in Steyr, studierte in Salzburg Germanistik & Geografie,<br />

unterrichtete an der HAK STP. Gab zwei Lyrikbände mit figurativen-<br />

und Landschafts-Bildern heraus. Ist Bildende Künstlerin - vorwiegend<br />

Grafik & Acryl. Stellte in Stockholm, Rio, Peking, Brünn,<br />

Pennsylvania u.a. Lebt in St.P./Pottenbrunn seit 1980. Seit 2003<br />

Obfrau der LitGes und HG v. "<strong>etcetera</strong>" und Leiterin der Jour-fixe<br />

Schreibstätten sowie der Schreibwoche auf Schloss Drosendorf.<br />

Mitglied des PEN-Ö und PEN international.<br />

Idee


8<br />

DRACHEN|März 2017<br />

Josef Winkler<br />

Der Kampf mit dem Bild<br />

Eva Riebler führte im Atelier der Schupfengalerie Herzogenburg<br />

2016, anlässlich eines seiner jährlichen Workshops vorot<br />

ein Interview mit dem Wiener Maler Josef Winkler. 15.11.<br />

1925 Skorpion/Aszendent Löwe, Fotos Eva Riebler-übleis<br />

Unabhängigkeit, nicht nur von Malmitteln und diversen<br />

Techniken?<br />

Das liegt in meiner Natur. Ich bin nicht der Typ, der sich unterordnen<br />

kann. Höchstens dem Bild ordne ich mich unter!<br />

Liegt Deinen Bildern ein Thema zugrunde? (kompositorischer<br />

Prozess)<br />

Grundsätzlich nein, ich habe aber zwei Stoßrichtungen, das<br />

ist Alpha und Omega, Anfang und Ende und das Thema Metamorphose.<br />

Dein Lieblingsthema ist Metamorphose: So hieß in der<br />

Landhaus-Brücke Deine Solo-Ausstellung 2016, und<br />

auch Deine Papierarbeiten hatten im Katalog von 1999<br />

den Übertitel: Von Alpha bis Omega, Erotische und existentielle<br />

Metamorphose.<br />

Was bedeutet Metamorphose für Dich?<br />

Nicht Lieblingsthema sondern Grundthema! Das ganze Leben<br />

ist Verwandlung, auch der Geschlechtsverkehr ist Verwandlung.<br />

Auch die Zeugung ist Metamorphose. Die Jahreszeiten<br />

sind ständiger Prozess…<br />

Interview<br />

Du bist mit 90 Jahren ein Kämpfer, so auch in der Malerei<br />

– kann man das so sagen?<br />

Ja! Ich arbeite ohne Waffe!<br />

Kämpfst Du mit der Malerei wie mit dem Drachen?<br />

Wenn Malerei als Kampf bezeichnet wird, als seelische Resonanz<br />

des Künstlers, dann geht’s nur so. Weil man sich voll<br />

und ganz einbringt. Es ist die Auseinandersetzung zwischen<br />

Bild und mir. Meistens gewinnt das Bild! Und so soll es ja<br />

auch sein!<br />

Du bezeichnest Dein Atelier als „Folterkammer“, wieso?<br />

Ja, wenn die Gestaltung eines Bildes nicht die dekorative<br />

Auseinandersetzung ist, dann ist es ein Kampf. Wenn ich<br />

das Atelier aufsperre, dann bin ich für niemanden zu sprechen.<br />

Es gibt nur mehr das Bild und mich!<br />

Wie wichtig ist für Dich die persönliche Freiheit und<br />

Du malst expressiv gestisch.<br />

Nicht immer! Ich höre auf den Resonanzboden meines Inneren.<br />

Es ist abhängig von der Tagesverfassung. Ich hasse<br />

Wiederholungen, ich habe eine panische Angst davor! Das<br />

Expressive im missverstandenen Sinn geht in das Dekorative!<br />

Wie sehr sammelst Du Dein Inneres beim Malprozess?<br />

Fast 100-prozentig. Wenn ich male bin ich einem zeitlosen<br />

Zustand! Ich weiß nicht wie lange ich male, wenn ich dabei<br />

bin….<br />

Deine Malerei wurde seit den 90ern immer mehr abstrakt.<br />

Hie und da tauchen Köpfe, meist Totenschädel,<br />

und Schriftzeichen oder Zahlen auf. Gehören diese zum<br />

Gestischen oder zum Informellen?<br />

Für mich ist es eigentlich ein Gestaltungsprozess, der Totenkopf<br />

taucht einfach auf. Er ist nicht Dekoration. Also eher<br />

Informelle Malerei. Das Gestische überschneidet sich mit<br />

dem Formellen. Die informelle Malerei hat sich erweitert.<br />

Beim Abstrakten gibt es immer Formen. Beim Informellen<br />

nicht.<br />

Als Surrogat kommt wieder Alpha und Omega oder Metamorphose<br />

heraus.


DRACHEN|März 2017<br />

9<br />

Welche Rolle spielt die Vergänglichkeit für Dich? Wie<br />

korrelieren Vergänglichkeit und Zufall?)<br />

Ich versuche nicht mich mit dem Vergänglichen zu beschäftigen.<br />

Die künstlerische Tätigkeit passiert im Jetzt!<br />

Ist die Bezeichnung „schön“ als Atribut für Deine Bilder<br />

für Dich ein Schimpfwort?<br />

Nein, aber nicht korrekt! Denn für mich ist Kunst entweder<br />

Rot ist es, falls man Erotik von einer Farbe ableitet.<br />

Ich kenne ein Werk mit dem Titel: „seelisches Selbstportrait“<br />

von Dir. Warum ist es das düsterste Bild, das<br />

ich je gesehen habe?<br />

Ja, dieses Selbstportrait war eigentlich ein Zustandsportrait.<br />

Diese Bild war eine Standortbestimmung meiner<br />

Befindlichkeit. Ich habe damit abgeschlossen: „Ich bin ein<br />

Kriegskind.“ Diese Zeit habe ich malerisch auszudrücken<br />

versucht.<br />

Was ist für dich das Resultat Deines Oevres?<br />

Ich stelle mich jeden Tag in Frage! Jedes Bild ist für sich ein<br />

Unikat! Jedes Bild ist ein täglicher Kampf und ich weiß nie,<br />

ob am nächsten Tag mir das wieder gelingt!<br />

gut oder schlecht. Schön ist dekorativ.<br />

Du sagtest einmal: „Dort, wo die Worte aufhören, beginnt<br />

das Bild erst seine Entfaltung!“ Heißt das, Du<br />

möchtest über Deine Bilder nicht sprechen?<br />

Ja, wenn ich das Bild erst erklären muss, dann ist das Bild<br />

schlecht!<br />

Warum bringst Du die Acrylfarben rein auf den Bildträger<br />

und mischst erst dort, statt auf der Palette?<br />

Es erleichtert mir die expressive Malerei. Der Weg von der<br />

Palette zum Bild ist ein Leerlauf.<br />

Ich kenne kein Blau oder Grün in Deinen Bildern ….<br />

Ja weil Erdfarben mehr meiner seelischen Befindlichkeit entsprechen.<br />

Ich fühle mich dann noch mit Rot verbunden …<br />

Ist Rosa und Rot für Dich die Farbe der Erotik?<br />

Josef Winkler<br />

Geb. 1925 in Wien, lebt in Wiener Neustadt, Atelier in Wien. Besuchte<br />

1946 die Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt.<br />

1947/48 Studium an der Akademie der bildenden Künste bei<br />

Josef Dobrowsky und Herbert Boeckl. 1948-1950 Stipendiat an<br />

der Art School in Guildford, London/Großbritannien. Zu Beginn<br />

der Wiener Schule des Phantastischen Realismus verbunden, verschrieb<br />

sich dem Kunsthandel und widmet sich wieder seit 1990<br />

als freischaffender Künstler der Malerei. Nun ausschließlich im<br />

Stil des abstrakten Expressionismus.<br />

Ausstellungen (Auszug)<br />

2017 Art Austria, Leopoldmuseum Wien in der Galerie Anton Figl<br />

2016 Landhausgalerie ST.P., Galerie Anton Figl Schreinerg. St.P.,<br />

Kunst- und Antiquitätenmesse Laxenburg und Künstlerhaus Wien<br />

2014/15 2x Klasan Galerie und „Highlights der Art Austria“ in der<br />

galerie Figl im Leopold Museum, Wien<br />

2012 Kunst im Senat, „Josef Winkler: Arbeiten auf Papier“, Wiener<br />

Neustadt<br />

2011 Galerie Wolfgang Exner, „Vorsicht Farbe“, Wien und artmark<br />

2009 artmark galerie, Wien u.a. Galerie 16, Wien,<br />

2005 Galerie Wolfgang Exner, „Stripes-Lines-Colours“, Exner "Reduktionen“,<br />

Figl Galerie Modern Art. St.P.<br />

2001 Evelyn County Estate Gallery, Melbourne/Australien<br />

2000 Galerie Wolfrum, „Frühe Graphik der Wiener Schule“, Wien<br />

Galerie Kunstraum, „Winkler x 2“, Wien und Kunstverein Bad Salzdetfurth,<br />

Schlosshof Bodenburg, Deutschland<br />

Kunsthandel Metropol, „From Alpha to Omega“, Wien<br />

Galerie Kunstfehler, „Spurensicherung“, Wien<br />

1995 Galerie Wolfrum, „Nicht nur die Farbe Blau“, Wien<br />

1992 Österreichisches Parlament, Wien<br />

Interview


10 DRACHEN|März 2017<br />

Wolfgang Mayer König<br />

Der gehörnte Siegfried und sein Drache<br />

Die jüngere Moritat einer älteren Ballade<br />

Essay<br />

Dort oben taumelt mein alternder Drache, bevor er gänzlich<br />

erblindet, wird Gras über dem Schnee stehen. Wir<br />

fördern versteinerte Linden zu Tage, fixieren sie vor dem<br />

Eingang zur Höhle des Drachen. Ich sehe sie immer noch<br />

nutzlos dastehen, in unzulänglicher Länge aufwärts ragen.<br />

Wie einer Sage entrissen, bäumt er sich ein letztes Mal<br />

auf, wie zum Spott über den Unterschied zwischen ihm,<br />

dem altersschwachen, mehr verschleimt hüstelnden als<br />

effizient Feuer speienden Drachen und der muskulösen<br />

Kleinheit, Gedrungenheit und dümmlichen Blondheit von<br />

Siegfrieds eigentlich lächerlicher Gestalt, die allerhand<br />

Sprungakrobatik auf sich nehmen muss, um den alten<br />

Herren mit solcher Herumstichelei doch noch unterzukriegen.<br />

Als fatalistisches Symbol für das Geschehenlassen<br />

eines solchen Blutbades, schaukelt im Wind, die<br />

Schwerkraft mildernd, ein Lindenblatt hernieder, und das<br />

ausschließlich, um die verletzbare Stelle, angesichts solcher<br />

schnöder Vollkommenheit, aber auch eines solchen<br />

Übermaßes an unbeobachtet geglaubter Unverletzlichkeit,<br />

zu markieren. Wäre ja gar nicht notwendig gewesen.<br />

Denn die Verletzlichkeit bestand ja schon vorher; sie<br />

bestand einfach darin, dass Siegfried stets den Mangel<br />

empfinden musste, dass er vaterlos, also herkunftslos<br />

war. Die anderen deutschen Helden kämpften immer und<br />

überall, weil sie stets auf der Suche waren nach der einen<br />

Anerkennung eines gütig Grenzen setzenden Regiments<br />

eines Vaters, den viele jedoch nicht kannten. Sie waren<br />

ja immer auf der Suche danach unterwegs gewesen. Die<br />

meisten der deutschen Heldenfiguren, wie Siegfried, Parzifal<br />

oder Tristan, aber auch viele deutsche Politiker der<br />

Gegenwart, kannten ihre Väter nicht. Wenn eine bildhafte<br />

Darstellung für sie aufzutreiben war, konnte ihnen das<br />

wenigstens niemand nehmen. Die unbekannte Herkunft<br />

Siegfrieds verlockte zur Ausgestaltung seiner Jugendgeschichte,<br />

mündete im Lied vom „hürnen Seyfried”, im<br />

Volksbuch vom gehörnten Siegfried. Die Dimension solch<br />

verordneter und eingefädelter Gehörntheit, und damit frevelhaft<br />

missbrauchter Gutmütigkeit, erreicht tragisches<br />

Ausmaß. Was durch die Brautwerbung eines merowingischen<br />

Fürsten in das burgundische Königshaus hinein<br />

begann, konnte nur dann mit einer Einheiratung erfolgreich<br />

enden, wenn vorerst der Gatte beseitigt war. Hier<br />

könnte auch kein Schwert „Balmung” oder „Gram” oder<br />

auch „Grimm” helfen, weil im Unterschied zu einem alternden<br />

Drachen menschliche Hinterlist und Tücke stets<br />

gewaltsamer sind als alle Schwerter dieser Welt. Weil<br />

auch der Gutgläubige letzten Endes stets schutzlos und<br />

damit machtlos ausgeliefert ist, den unter jede Bestialität<br />

reichenden Niederungen des Lebens wirkungsvoll zu<br />

begegnen. Die sogenannte Liebe macht es auch leicht,<br />

die weibliche Ichbezogenheit wissentlich oder unbewusst<br />

zu instrumentalisieren, leicht, die Treue als patriarchalisch<br />

und veraltet abzuqualifizieren. Die Männer zu Profilierungs-<br />

und Kampfmaschinen abzustempeln und für<br />

sich selbst gleichzeitig erotische Freiräume zu schaffen.<br />

Angestachelt von den Distanzfantasien der Dichter und<br />

Sänger, sich nur aus der Entfernung unerreichbar zu nähern.<br />

Während der Gatte die bittere Wirklichkeit des Niedergangs<br />

und der Preisgabe an die Lächerlichkeit durchmacht.<br />

Dabei ging es immer nur um die geheime Macht<br />

der Frau, begehrenswert, verlockend und anziehend zu<br />

wirken und lieblich auszuschauen, aber tatsächlich kälter<br />

als der Tod zu sein. Der Geste der Männer nicht abgeneigt,<br />

aber schlussendlich doch auch auf ihre kampfbedingte<br />

Entsorgung insgeheim bedacht, berechnend und<br />

gefühlskalt die eigene geschlechtliche Stellung dabei<br />

auszuspielen. Völlig verfehlt also der immer wiederkehrende<br />

sprichwörtliche Vergleich mit dem Drachen oder<br />

„Hausdrachen”. Dem ohnehin durch seine Herkunftslosigkeit<br />

von Haus aus für sein Leben geschwächten Held<br />

wird so der Rest gegeben. Das Publikum war stets auf die<br />

Präsenz solcher Helden ausgerichtet. Die Söhne hätten in<br />

spielerischem Kampf dagegen aufbegehren können. Aber<br />

die Fortsetzung des Spiels ist nie der Ernst, sondern immer<br />

nur die Wirklichkeit, die den Menschen einholt, gleich<br />

wo er steht. Es sollte ihm kein Vorbild fehlen, an dem er<br />

sich messen, an dem er sich reiben kann. Kinder wollen<br />

unbedingt an einem Punkt ihres Lebens, die Anerkennung<br />

beider Elternteile erlangen können, so selbstbewusst sie<br />

auch sein mögen. So gelänge auch die Zueinanderfindung


DRACHEN|März 2017<br />

11<br />

der Geschlechter, wenn jemals irgendein Vorbild erlebbar<br />

gewesen wäre. Es genügt keineswegs, mit dem offenen<br />

Geheimnis von Zuneigung, sich mit solchem Liebesadel<br />

ausgestattet, an die empfindsame Seele des Publikums<br />

zu wenden, das, der uferlosen Freiheit der liebenden Augenblicksempfindung<br />

wegen, den Liebenden alle Ränke<br />

verzeihen soll, die sie beispielsweise an den betrogenen<br />

Ehegatten begehen. Hier werden bedenkenlos Beziehungen<br />

diesseits und jenseits der Lust zerstört, in den<br />

Krieg geschickte Männer verheizt und ihnen im Eventualfall<br />

danach, nicht einmal mehr die Rolle des Heimkehrers<br />

zugebilligt, sondern nur mehr der Zustand der Lächerlichkeit.<br />

Bedenkenlos werden Familien ruiniert und damit die<br />

Grundlage einer gewalttätigen und menschenverachtenden<br />

Spaß- und Hassgesellschaft geschaffen, mit all den<br />

in ihrer ödipalen Entwicklung stecken gebliebenen Jugendlichen,<br />

die das blutige Schauspiel stets erheitert mitverfolgen,<br />

wie in allem und jedem immer nur der monströse,<br />

mit zweifelhafter Existenz ausgestattete, Drache<br />

zumindest virtuell ausgelöscht werden soll, und, über das<br />

rauschhafte Kampferlebnis hinweg, am Ende des Tages<br />

die ernüchternde, ganz andere Wirklichkeit überbleibt und<br />

auch nächtlich allmählich sichtbar wird, nämlich ein Meer<br />

von Blut ermordeter Menschen und Völker, in welchem<br />

die Menge badet.<br />

Wolfgang Mayer König<br />

Geb.1946, Schriftsteller und Universitätsprofessor. Lebt in Emmersdorf<br />

Bezirk Melk und Graz. Gründer des Universitätsliteraturforums,<br />

Herausgeber der Literaturzeitschrift LOG, Autor von<br />

45 belletristischen Büchern. Koordinator der humanitären Wiederaufbauhilfe<br />

in Vietnam mit dem Intern. Roten Kreuz in Genf.<br />

Beauftragter der Verhandlungen zur Freilassung der Geiseln nach<br />

dem OPEC-Terrorüberfall. Delegierter bei den Vereinten Nationen.<br />

Österr. Ehrenkreuz f. Wissenschaft u. Kunst 1. Klasse, Oberösterr.<br />

Kulturmedaille, Chevalier des Arts et des Lettres der Republik<br />

Frankreich. Ehrenobmann der Literarischen Gesellschaft St. Pölten<br />

seit 2006. „Das begeisterte Wort” (46. Werk) Rez. siehe S. 58<br />

Essay


12 DRACHEN|März 2017<br />

Foto©Manfred J. Schusser<br />

Anna Rubin<br />

In die Luft gebaut<br />

Interview mit Anna Rubin, Drachenbauerin aus Kärnten. Um<br />

das Interview bemühte sich die St. Pöltner Drachenbauerin<br />

Elfriede Starkl, die selbst Drachen aus eigens eingefärbten Papieren<br />

herstellt und Kurse bei Anna Rubin in Kärnten besuchte.<br />

Seit 13 Jahren baust Du Drachen. Wie kamdt Du zu<br />

Deiner Beschäftigung als Drachenbauerin?<br />

Ich glaube, meine Kindheit hat meinen Werdegang stark<br />

beeinflusst. Ich bin in Göltschach in Maria Rain in Kärnten<br />

aufgewachsen. Meine Eltern sind von Wien hierher gezogen<br />

und haben als Aussteiger in den Siebzigern eine<br />

selbst gestaltete Lebensweise versucht, die sehr naturverbunden<br />

war. Meine Geschwister und ich haben den<br />

größten Teil unserer Kinderzeit im Wald verbracht. Das<br />

hat mich stark geprägt. Stimmungsbilder aus dieser Zeit<br />

und eine Verbundenheit mit der Natur beeinflussen mich<br />

bis heute in meinem künstlerischen Tun. Die Beschäftigung<br />

mit dem Fliegen – auch meine Diplomarbeit habe ich<br />

diesem Thema gewidmet – hat meiner Meinung nach mit<br />

diesen „Wurzeln“ zu tun<br />

Malerei zur Erkenntnis räumlich arbeiten zu wollen. Ich<br />

hatte bisher schon viele Arbeiten gemacht, die aus der Vogelperspektive<br />

entstanden waren. Bereits während meines<br />

Studiums habe ich mich mit dem Fliegen und der Landschaft<br />

beschäftigt. Landschaft und Wind haben in meinen<br />

Projekten immer schon eine wesentliche Rolle gespielt. Im<br />

Textilen Gestalten habe ich Objekte für den Wind gebaut,<br />

und in der Malerei habe ich überwiegend Bilder aus der<br />

Vogelperspektive gemalt. Die Materialien, die ich verwendet<br />

habe, hatten ihren Ursprung oft in der Natur: Blätter,<br />

Gräser, Federn.<br />

Welches Material bevorzugst Du? Welche Art von Drachen<br />

baust Du?<br />

Ich baue Leichtdrachen, vorwiegend aus natürlichen Werkstoffen,<br />

in erster Linie aus Bambus und Washi-Papieren.<br />

Vor allem im Bambus ist die Vitalität der Natur spürbar. Er<br />

hat Charakter, er hat seinen eigenen Willen, und man kann<br />

ihm nichts aufzwingen. Es entsteht dadurch gewissermaßen<br />

ein Dialog zwischen dem Material und meinen Händen.<br />

Das Bauen von Drachen ist für mich ein künstlerisches<br />

Ausdrucksmittel. In meinen Augen ist der Drache erst dann<br />

vollendet, wenn ich ihn fliegen lasse und dadurch mit dem<br />

Landschaftsraum kommuniziere.<br />

AmGrund©FotoRamlalTien<br />

Interview<br />

Du wolltest immer schon fliegen?<br />

Ja seit meiner Kindheit! Das Grösste ist, wenn ein Drachen<br />

vom Boden abhebt, bevor er ganz weit oben im Himmel<br />

schwebt.<br />

Du hast an der Akademie der Bildenden Künste in<br />

Wien studiert. Kamst Du durch Deine Diplomarbeit<br />

zum verstärkten Interesse, mit Drachen zu arbeiten?<br />

Ich suchte den roten Faden, das durchgängige Thema in<br />

meinen bisherigen Arbeiten und so kam ich weg von der<br />

Du besuchtest zahlreiche Drachen-Events im Ausland?<br />

Ja, zuerst fuhr ich aufs Geradewohl nach Frankreich,<br />

denn die Bastelanleitungen „Wie baue ich einen Drachen”<br />

waren nicht befriedigend. Dort lernte ich zufällig<br />

einen Mann kennen, der seit 20 Jahren Bücher übers<br />

Drachenbauen sammelt.<br />

Später war ich in Japan und nach Aufenthalten an den


DRACHEN|März 2017<br />

13<br />

Kunsthochschulen in London und Schweden habe ich<br />

mein Studium in Wien abgeschlossen und bin nach<br />

Kärnten zurückgekehrt. Zuerst habe ich am künstlerischen<br />

Gymnasium in Klagenfurt-Viktring unterrichtet.<br />

Doch die Tätigkeit als Kunsterzieherin hat sich mit<br />

meinem zunehmenden Interesse am Thema Drachen<br />

nicht verbinden lassen. Und so habe ich den Schritt in<br />

die Freiberuflichkeit gewählt.<br />

HugMeHammock©FotoRamlalTien<br />

Wald©FotoRamlalTien<br />

Als Freiberuflerin kannst Du von Deiner Kunst leben.<br />

Du veranstaltest Kurse? Wie muss man sich das vorstellen?<br />

Als freischaffende Drachenbauerin mache ich Auftragsarbeiten,<br />

baue Drachen für unterschiedliche Projekte,<br />

bin ich aber nicht nur dem Drachenbauen an sich beschäftigt.<br />

Auch raumgreifende Installationen und Ausstellungen<br />

sind Teil meiner Arbeit. Außerdem werde ich<br />

oft zu internationalen Drachenfestivals eingeladen. Seit<br />

2003 beschäftige ich mich nun einerseits damit, meine<br />

Entwürfe in flugfähige Objekte umzusetzen. Andererseits<br />

biete ich Kurse für Kinder und Erwachsene an und<br />

vermittle ihnen darin das Handwerk des Drachenbauens<br />

in Zusammenhang mit künstlerischer Qualität. Die Arbeit<br />

ist sehr abwechslungsreich. Ich bin nun nur mehr<br />

für mich und meine künstlerische Arbeit verantwortlich!<br />

Und so war ich schon in vielen Ländern in Europa, auch<br />

in Japan, Mexiko, Kanada und den USA.<br />

Wo baust Du vorwiegend Deine Objekte?<br />

In meinem Atelier in Göltschach baue ich die Drachen<br />

nach kleinen Ideenskizzen – in traditioneller japanischer<br />

Weise mit Bambus, Papier und Tusche. Der handwerkliche<br />

Prozess, also die Möglichkeiten des Fertigens, und<br />

das Wissen über die Gesetzmäßigkeiten des Fliegens<br />

wirken in jeden Entwurf selbstverständlich stark mit ein.<br />

Wie geht es nach der Ideenfindung weiter?<br />

Nachdem ich den Bambus gespalten habe (das geschieht<br />

mit einer japanischen Technik, die das Wissen über die<br />

Materialeigenschaften des Bambus voraussetzt), baue ich<br />

ein Gerüst aus feinen Bambusstäben. Diese werden an den<br />

Kreuzungspunkten der Konstruktion geleimt und mit Garn<br />

verknotet. Auf das so entstandene Bambusgitter klebe ich<br />

in Hinblick auf die Aerodynamik spezielle japanische Papiere<br />

auf. Das Anbringen verschiedener Leinen – wie etwa<br />

Flugleine oder Waag- und Spannschnur – macht den Drachen<br />

dann flugbereit. Danach kommt der spannende Moment<br />

des Flugtests. Hebt der Drache ab und steigt auf und<br />

auf und auf, dann verändert er auf faszinierende Weise meinen<br />

Maßstab im Landschaftsraum. Das ist die Krönung der<br />

Arbeit mit Drachen, mit jedem einzelnen.<br />

Die Krönung der Arbeit ist der erste Flug des Drachens!<br />

Was ist die Krönung Deines Schaffens als Künstlerin?<br />

In seinem Buch „Kafka am Strand“ schreibt der japanische<br />

Schriftsteller Haruki Murakami: „Als Mensch definiert<br />

man sich bis zu einem gewissen Grad über den Ort, an<br />

Gefaehrte©FotoRamlalTien<br />

Interview


14 DRACHEN|März 2017<br />

dem man geboren und aufgewachsen ist. Denken und<br />

Fühlen stehen wahrscheinlich mit der Topografie, der<br />

Temperatur und der Windrichtung dort in Beziehung.“<br />

Für mich beschreibt Murakami in diesem Zitat in wenigen<br />

Worten genau das, was ich versuche, mit meiner Arbeit<br />

und in meinen Gesprächen zu vermitteln.<br />

Anna Rubin<br />

Geb.1972 in Klagenfurt, wuchs in Göltschach bei Maria Rain in<br />

Südkärnten auf, wo sie derzeit lebt und ihr Atelier hat. Sie studierte<br />

1993 bis 2000 Textil bei Frau Prof. Eveline Bischof und Malerei<br />

bei Markus Prachensky an der Akademie der Bildenden Künste in<br />

Wien und absolvierte Auslandsstudien in Schweden (1996) und<br />

London (1999). Im Jahre 2000 schrieb sie ihre Diplomarbeit über<br />

das Thema Drachen. Nach zwei Jahren als Pädagogin in einem<br />

Gymnasium machte sie sich 2003 als freischaffende Drachenbauerin<br />

selbstständig. 2000 bis 2009 erhielt sie Einladungen zu internationalen<br />

Drachenfestivals in Japan, Canada, Frankreich, Italien und<br />

den USA. Seit 2003 gestaltet sie Ausstellungen und Drachenworkshops<br />

auf der ganzen Welt.<br />

Interview<br />

Nest©FotoAlessiaMarrocu


DRACHEN|März 2017<br />

15<br />

Gerald Axelrod<br />

Von einem Wüterich, der hieß Fürst Dracula<br />

aus der Walachei<br />

Von Drachen, Vampiren und Adeligen<br />

Graf Dracula, den sogenannten Drachenorden, dem dieser<br />

angehörte, und darüber, was das alles mit der Familie Esterházy<br />

zu tun hat. Grund genug für Thomas Fröhlich, den Fotografen<br />

und Autor Gerald Axelrod zum Interview zu bitten.<br />

Fotos ©Gerald Axelrod<br />

Liane Angelico und Gerald Axelrod<br />

Der 1962 in Hard (Österreich) geborene Fotograf Gerald<br />

Axelrod verfügt nicht zuletzt dank seiner Fotobücher über<br />

Bram Stokers Dracula, Mary Shelleys Frankenstein, die Blutgräfin<br />

Báthory oder das Nibelungenlied über eine große Fangemeinde<br />

und erweist sich in seinen Texten immer wieder<br />

als profunder Kenner der Materie. Er begann im Alter von 13<br />

Jahren, seine ersten Schwarz-Weiß-Fotos selbst zu vergrößern;<br />

1997 veröffentlichte er den Fotoband „... als lebten die<br />

Engel auf Erden“, der sich rasch zu einem Kultbuch entwickelte<br />

und dem zahlreiche weitere Publikationen folgten. Mit<br />

über einem Dutzend Ausstellungen in Europa und den USA<br />

(u.a. in der Leica Gallery in New York) gehört Gerald Axelrod<br />

heute zu den international renommierten Fotografen. Er lebt<br />

und arbeitet in Lilienfeld in Niederösterreich.<br />

Regelmäßig spricht er bei seinen Führungen (etwa auf Burg<br />

Lockenhaus) über den wohl berühmtesten Vampir der Welt,<br />

Du bist ein ausgewiesener Kenner der Materie. Du<br />

hast unter anderem ein Buch über den (fiktiven wie<br />

auch historischen) Dracula geschrieben, Du machst<br />

Führungen auf der Burg Lockenhaus zum Thema – was<br />

fasziniert Dich an dem alten Blutsauger denn so?<br />

Gerald Axelrod: Im Gegensatz zu anderen Monstern, die<br />

einfach nur das Böse verkörpern, besitzt Dracula eine ganze<br />

Reihe von beneidenswerten Eigenschaften:<br />

• Er ist – jedenfalls in den meisten Filmen – ein gut<br />

aussehender Graf, der auf einem Schloss wohnt.<br />

• Er kann sich in eine Fledermaus verwandeln und<br />

fliegen – ein uralter Menschheitstraum.<br />

• Er besitzt übernatürliche Kräfte und ist unsterblich.<br />

• Seine bevorzugten Opfer sind junge, hübsche<br />

Mädchen, so dass beim Biss in den Hals eine<br />

starke erotische Komponente mitschwingt. Gleichzeitig<br />

wird eine Liebe über den Tod hinaus angedeutet.<br />

• Er ist ein Grenzgänger zwischen dem Diesseits<br />

und dem Jenseits und scheint folglich das Geheimnis<br />

des Todes zu kennen.<br />

Der Blutmythos findet sich in fast allen alten Kulturen dieser<br />

Welt. Blut ist Leben! Deshalb trank man früher Tierblut,<br />

um die Kräfte des jeweiligen Tieres zu erlangen. Dieser<br />

Glaube ist offenbar tiefverwurzelt, denn obwohl die Bibel<br />

und der Koran den Blutgenuß verbieten, war es in Europa<br />

bis ins 19. Jahrhundert hinein üblich, Blut als Medizin zu<br />

trinken. So sollte es beispielsweise die Epilepsie heilen.<br />

Der Schrecken, den Dracula verbreitet, beruht auf der uralten<br />

Angst der Menschen vor der Wiederkehr der Toten.<br />

Die Szenen, in denen Dracula oder andere Vampire aus den<br />

Gräbern steigen, gehören deshalb regelmäßig zu den Höhepunkten<br />

der Horrorfilme.<br />

Interview


16 DRACHEN|März 2017<br />

Und wer war denn dieser Dracula?<br />

Gerald Axelrod: Vlad Draculea (so der korrekte Name)<br />

kam 1431 in der transsilvanischen Stadt Schäßburg zur<br />

Welt und regierte später das benachbarte Fürstentum<br />

der Walachei. Er galt als grausamster und blutrünstigster<br />

Machthaber seiner Zeit, um den sich bis zum heutigen<br />

Tage unzählige Mythen ranken. War Draculea wirklich<br />

ein Vampir? Immerhin ließ er in den sechs Jahren seiner<br />

Schreckensherrschaft rund 100 000 Menschen auf bestialische<br />

Weise zu Tode foltern, wobei er speziell das Pfählen<br />

bevorzugte, was ihm den Spitznamen „Vlad Ţepeş“<br />

(sprich: Zepesch), also „Vlad der Pfähler“ einbrachte.<br />

Gleichzeitig kämpfte er aber auch mutig gegen die Türken,<br />

um die Freiheit seines Fürstentums zu sichern.<br />

land hängt das weltweit einzige Ganzkörper-Portrait von<br />

Fürst Dracula und man fragt sich: Wie kommt es da hin?<br />

Die Erklärung ist kurios: Adelige ließen früher ihre Stammbäume<br />

hemmungslos fälschen, um ihre Familien vornehmer<br />

erscheinen zu lassen. Die Familie Esterházy, der die<br />

Burg Forchtenstein gehört, war da keine Ausnahme. Im<br />

Jahr 1620 beauftragte Graf Nikolaus einen Geistlichen,<br />

Interview<br />

Dracul – Drache … Der historische Dracula war ja Mitglied<br />

des sogenannten Drachenordens. Was hat es<br />

denn damit auf sich?<br />

Gerald Axelrod: Kaiser Sigismund von Luxemburg gründete<br />

1408 den Drachenorden zum Kampf gegen die Türken<br />

und die Hussiten. Der Drache verkörperte das Böse<br />

schlechthin und der Drachenorden sollte – nach dem<br />

Vorbild des Hl. Georg oder des Erzengels Michael – das<br />

Böse bekämpfen und besiegen. 1431 schlug Kaiser Sigismund<br />

einen gewissen Vlad, den Sohn eines walachischen<br />

Fürsten, zum Ritter dieses Geheimbundes. Fortan durfte<br />

Vlad den Namen „Vlad Dracul“ tragen (abgeleitet vom<br />

lateinischen Draco = Drache). Im selben Jahr wurde in<br />

Transsylvanien, genauer gesagt in der Stadt Schäßburg,<br />

sein zweiter Sohn geboren, der den Namen Vlad Draculea<br />

erhielt und später als „Dracula“ in die Geschichte eingehen<br />

sollte. „Draculea“ bedeutet einfach „Sohn des Dracul“.<br />

Durch die Übersetzung in andere Sprachen entstand<br />

daraus Dracula, Dracole, Trakle etc. Anzumerken bleibt,<br />

dass „Dracul“ heute auf Rumänisch „Teufel“ heißt. Draculea<br />

wäre also der Sohn des Teufels. Auch wenn seine<br />

Taten diese Schlussfolgerung zulassen, so ist die Übersetzung<br />

dennoch falsch. Der Name stammt ohne Zweifel von<br />

Draco/Drache ab.<br />

Und was hat eigentlich das Adelsgeschlecht der<br />

Forchtensteins mit Dracula zu tun? Auf Burg Forchtenstein<br />

etwa ist Dracula Teil des Stammbaums (!)<br />

und es gibt dort auch das eine oder andere Dracula-<br />

Portrait …<br />

Gerald Axelrod: Auf der Burg Forchtenstein im Burgen-<br />

Fürst Dracula Burg Forchtenstein<br />

die gewaltigen Lücken in der Ahnenreihe mit zahlreichen<br />

frei erdachten Vorfahren zu füllen. In jener Zeit der Türkenkriege<br />

genoss Dracula ein hohes Ansehen, weil er heldenhaft<br />

gegen die Türken gekämpft hatte (erst später verwandelte<br />

ihn Bram Stoker in einen Vampir). Also fügte ihn<br />

jener Geistliche in den Stammbaum der Esterházys ein.<br />

Aber man brauchte einen Beweis. Kurzerhand ließ Graf<br />

Nikolaus ein Portrait malen und hängte es in seiner Ahnengalerie<br />

auf. Wer könnte jetzt noch zweifeln, dass die<br />

Esterházys vom ruhmreichen Dracula, dem erbittertsten<br />

Feind der Türken, abstammen?<br />

War Bram Stoker eigentlich der erste, der den Vampirmythos<br />

belletristisch nutzte? Oder gab‘s da Vorgänger?<br />

Ich denke da an Lord Byron, John Polidori<br />

(aus dem Mary Shelley-Umfeld), Alexandre Dumas …


DRACHEN|März 2017<br />

17<br />

Und dann hat Deine Gattin Liane Angelico ja ein hochinteressantes<br />

Buch aus längst vergangenen Tagen ins<br />

Hochdeutsche übersetzt: Kannst Du uns zu all dem<br />

mehr erzählen?<br />

Gerald Axelrod: Bram Stoker veröffentlichte „Dracula“ im<br />

Jahr 1897 und war damit nicht der erste, sondern der letzte,<br />

der auf der Vampirwelle des 19. Jahrhunderts mitschwamm.<br />

Burg Hunedoara Transsylvanien<br />

Nyirbator Ungarn<br />

Begonnen hatte alles im Sommer 1816. Damals verbrachte<br />

der exzentrische englische Dichter Lord Byron den Urlaub<br />

in der Schweiz, begleitet von seinem Freund Percy Shelley,<br />

dessen Geliebter Mary und seinem Leibarzt John Polidori.<br />

Wegen des endlosen Dauerregens saßen die vier jedoch die<br />

meiste Zeit in ihrer gemieteten Villa am Genfer See fest. Als<br />

Zeitvertreib lasen sie sich gegenseitig Schauermärchen vor,<br />

bis Lord Byron eines Abends vorschlug, dass jeder selbst<br />

eine Geistergeschichte schreiben sollte. Damals ahnte er<br />

noch nicht, dass in dieser stürmischen Gewitternacht die<br />

Geburtsstunde des modernen Horrorromans schlug und<br />

seine spontane Idee gleich zwei Monster zum Leben erwecken<br />

sollte: Frankenstein und den (literarischen) Vampir!<br />

Inspiriert von den vielen Schauergeschichten begann die<br />

damals 18-jährige Mary Shelley, den Roman „Frankenstein“<br />

zu schreiben. Lord Byron dagegen hatte in jener Nacht am<br />

Genfer See nicht das Glück, von einer Muse geküsst zu<br />

werden. Er schrieb nur zwei Tage lang mehr oder weniger<br />

lustlos an einer Kurzgeschichte herum, ehe er sich anderen<br />

Dingen zuwandte. Sein Arzt Polidori schnappte sich jedoch<br />

diesen Text und baute ihn zu einer 20-seitigen Geschichte<br />

aus, die er im April 1819 anonym und ohne Byrons Wissen<br />

mit dem Titel „The Vampyre“ veröffentlichte. Der Erfolg war<br />

sensationell. Bereits im darauffolgenden Jahr setzte in ganz<br />

Europa ein unglaublicher Vampir-Boom ein, der das ganze<br />

19. Jahrhundert hindurch anhielt und mit „Dracula“ seinen<br />

Höhepunkt erreichte.<br />

Im Buch „Von einem Wüterich, der hieß Fürst Dracula aus<br />

der Walachei“ von Liane Angelico und mir geht es dagegen<br />

wieder um den historischen Fürsten Dracula. Schon zu seinen<br />

Lebzeiten verfasste Michel Beheim einen ausführlichen<br />

Bericht über seine Schreckensherrschaft. Diesen mittelhochdeutschen<br />

Text übersetzte Liane erstmals ins Neuhochdeutsche,<br />

so dass jeder in dieser wichtigen zeitgenössischen<br />

Quelle nachlesen kann.<br />

Woher kommt Deiner Meinung nach dieses (wiedererstarkte)<br />

weltweite Interesse an Vampiren, Werwölfen,<br />

Zombies, Drachen? Speziell an Vampiren,<br />

die für mich persönlich eigentlich immer die interessantesten<br />

und charmantesten Untoten waren? Der<br />

Filmwissenschaftler Norbert Stresau etwa meint,<br />

dass es sich speziell bei der Person des Grafen Dracula<br />

(bezogen auf die Filme aus den 1930ern mit Bela<br />

Lugosi bzw. aus den 1950ern mit Christopher Lee)<br />

um den Ausdruck einer versteckten Angst der Gesellschaft<br />

vor einem Wiedererstarken des Adels handeln<br />

könnte. Wobei wir wieder bei Lockenhaus wären … ;-)<br />

Gerald Axelrod: Ich weiß nichts von einem wiedererstar-<br />

Interview


18 DRACHEN|März 2017<br />

gnetisch an. Wahrscheinlich war mir die gespensterlose<br />

Wirklichkeit einfach zu langweilig.<br />

Mit Deiner Gattin Liane Angelico beschäftigst du dich<br />

auch – nicht nur in einigen deiner Bücher – mit dem<br />

Phänomen „Engel“. Prinzipiell erscheinst Du mir aber<br />

als ein sehr rationaler Mensch. Erinnert beinahe ein<br />

wenig an Arthur Conan Doyle, den „Erfinder“ von Sherlock<br />

Holmes, der mit dem Meisterdetektiv vor genau<br />

130 Jahren einen rationalen Felsen in der Brandung<br />

irrlichternden Wahnsinns geschaffen hat, selbst aber<br />

spiritistischen und okkulten Machenschaften nicht<br />

ganz abgeneigt war … Nein, ernsthaft: Was hat es damit<br />

auf sich?<br />

Gerald Axelrod: Ich bin aufgrund unzähliger persönlicher<br />

Erlebnisse felsenfest von der Existenz der Engel überzeugt.<br />

Das bedeutet aber noch lange nicht, dass ich jeden<br />

Quatsch glaube. In meinen Büchern gehe ich den Mythen<br />

und Legenden auf den Grund und komme häufig zum gleichen<br />

Schluss wie Sherlock Holmes: Es gibt in den meisten<br />

Fällen eine rationale Erklärung für scheinbar übernatürliche<br />

Phänomene.<br />

Interview<br />

kten Interesse an Werwölfen und Zombies. Die Vampire<br />

eroberten dank der „Biss zum…“-Bücher und Filme ein<br />

paar Jahre lang Platz 1 der Bestsellerlisten und Filmcharts.<br />

Aber Robert Pattinson schaffte das bestimmt nicht wegen<br />

seines furchteinflößenden Auftretens, sondern wegen<br />

seiner unvampirischen Rolle als Traumprinz. Ich denke, in<br />

der Verwandlungsfähigkeit der Vampire liegt ihr Erfolgsgeheimnis.<br />

Sie sind heute eher Objekte der Begierde von<br />

pubertierenden Teenagern als furchteinflößende Adelige.<br />

Da diese ETCETERA-Ausgabe ja den Titel „Drachen“<br />

trägt: Du hast dich ja auch eingehend mit dem Nibe-<br />

Nyirbator Ungarn<br />

lungenlied beschäftigt, in dem ein Drache vorkommt.<br />

War das der „erste“ Drache der europäischen Mythologie?<br />

Gerald Axelrod: Nein, die Vorstellung von Drachen reicht<br />

viel weiter ins Altertum zurück. In der Bibel, genauer gesagt<br />

in der Apokalypse, wird Satan als Drache bezeichnet.<br />

So gesehen ist die Vorstellung von Drachen weit älter als<br />

das Nibelungenlied, das um das Jahr 1197 erstmals niedergeschrieben<br />

wurde. Siegfrieds Kampf mit dem Drachen<br />

ist allerdings bis heute die berühmteste deutsche Sage<br />

geblieben, weshalb das Nibelungenlied sicher maßgeblich<br />

zur Popularität der Drachen beigetragen hat – zumindest<br />

im deutschsprachigen und skandinavischen Raum.<br />

In deinen bisherigen Büchern hast Du dich auch schon<br />

eingehend mit Dracula, Frankenstein oder der Blutgräfin<br />

Báthory beschäftigt. Woher kommt Dein Faible für<br />

die diversen Schattenwelten?<br />

Gerald Axelrod: Sagen, Geistergeschichten und vor sich<br />

hin bröckelnde Burgruinen zogen mich schon als Kind ma-<br />

War es für Dich immer schon klar, die Fotografie als<br />

Beruf(ung) zu wählen? Kannst Du uns kurz ein bisschen<br />

was zu deiner Biografie sagen?<br />

Gerald Axelrod.: Die Geburtsstunde meiner Leidenschaften<br />

zur Fotografie schlug, als ich 13 war. Damals<br />

zeigte uns der Chemielehrer, wie man Fotos entwickelt.<br />

Mich hat das Ganze nicht sonderlich interessiert und deshalb<br />

stand ich abseits, während sich meine Mitschüler<br />

um den Vergrößerungsapparat drängten. Plötzlich kam<br />

der Lehrer zu mir herüber und legte ein weißes Blatt in<br />

den Entwickler. Direkt vor meinen Augen tauchten langsam<br />

wie aus dem Nichts die Konturen auf, bis das Bild<br />

fertig entwickelt war. Ein Wunder, dachte ich. So etwas<br />

will ich auch machen! Fortan verbrachte ich meine ganze<br />

Freizeit mit Fotografieren und Entwickeln. Ich bin auf<br />

diesem Gebiet ein reiner Autodidakt und habe nie eine<br />

Fotografenlehre gemacht. Nach der Matura studierte ich<br />

Betriebswirtschaft, wandte mich danach aber wieder der<br />

Fotografie zu. 1997 gelang es mir, mein erstes Fotobuch<br />

„… als lebten die Engel auf Erden“ zu veröffentlichen, das<br />

bald zu einem Kultbuch aufstieg. Bis heute habe ich insgesamt<br />

17 Bücher publiziert, viele davon gemeinsam mit<br />

meiner Frau Liane Angelico.


DRACHEN|März 2017<br />

19<br />

Deine Bücher gelten zwar als Bildbände, enthalten aber<br />

zusätzlich unglaublich viel höchst informativen Text.<br />

War diese Zweiteilung von Anfang so geplant – oder hat<br />

sich die einfach entwickelt?<br />

Gerald Axelrod: Mein erstes Buch wollte ich als reines Fotobuch<br />

veröffentlichen, ohne Text. Ich fragte bei 54 Verlagen<br />

an. 53 lehnten sofort ab, nur der letzte meinte: Vielleicht, aber<br />

man bräuchte einen Begleittext dazu. Wir fanden jedoch keinen<br />

Autor und so schlug ich vor, den Text selbst zu schreiben.<br />

Hast Du Vorbilder in der bildenden Kunst? Also nicht nur<br />

in der Fotografie, sondern auch in der Malerei?<br />

Gerald Axelrod: Als Illusionenzerstörer. Die Leute lieben<br />

Illusionen. Im Fall der Illuminaten behauptet ja Dan Brown<br />

in seinem Bestseller „Illuminati“, es gäbe diesen Geheimbund<br />

noch heute. Und Millionen von Lesern kaufen ihm diese<br />

Illusion im wahrsten Sinne des Wortes ab. Tja, und ich<br />

zerstöre sie dann und weise anhand geschichtlicher Fakten<br />

nach, dass es seit 1799 kein Lebenszeichen mehr von den<br />

echten Illuminaten gibt.<br />

Was sind Deine nächsten Projekte?<br />

Gerald Axelrod: „Nostradamus und das geheime Wissen<br />

der Katharer“ – so lautet der Titel meines neuen Buches, an<br />

dem ich gerade arbeite. Konnte Nostradamus wirklich in die<br />

Zukunft sehen? Ist die Zukunft überhaupt vorherbestimmt<br />

oder ist alles offen? Und welche Rolle spielten die Katharer,<br />

jene christliche Sekte in Südfrankreich, die angeblich den<br />

Heiligen Gral besessen hatte? Gehörte Nostradamus tatsächlich<br />

diesem geheimen Orden an und kannte er dadurch<br />

mystische Offenbarungen der Zukunft?<br />

Nibelungenhalle Koenigswinter Deutschland<br />

Gerald Axelrod: Ja, speziell die großen Surrealisten wie<br />

Salvador Dalí, René Magritte, Max Ernst und natürlich<br />

auch H.R. Giger.<br />

Du recherchierst sehr genau und penibel. Wie lange<br />

dauerte es etwa beim Dracula-Buch von der Idee bis<br />

zum Endergebnis?<br />

Gerald Axelrod: Zwei Jahre.<br />

Apropos Recherche: Du beschäftigst dich eingehend<br />

mit Mythen und Legenden – so nennt sich auch deine<br />

Buchreihe im Stürz-Verlag. Du rückst aber auch<br />

immer ein paar Dinge zurecht, weist auf Unstimmigkeiten<br />

wie auch Fehler in so mancher Überlieferung<br />

hin. Das war bei den Illuminaten-Verschwörungstheorien<br />

in Deinem Frankenstein-Buch so – und auch<br />

beim „Dracula“ erweist Du Dich als kreativer Skeptiker.<br />

Wie fühlt man sich, wenn man eine scheinbare<br />

Wahrheit tatsächlich ins Reich der Legende verwiesen<br />

hat?<br />

Mitunter erscheinst Du mir als ein ziemlicher Workaholic.<br />

Entspannst Du Dich auch manchmal?<br />

Gerald Axelrod: Beim Fotografieren und Lesen. Ach ja,<br />

ist das nicht meine Arbeit?<br />

Auswahl aus der Bücherliste von Gerald Axelrod und Liane Angelico:<br />

Romane und Sachbücher:<br />

Elvira und Merion – Eine unheimliche Reise durch eine geheimnisvolle<br />

Zauberwelt (Jugend-Fantasyroman mit Einhorn, Kätzchen<br />

und Drachen)<br />

Kleo Goldflügel und Rentier Ferdel, die Schrecken des Weihnachtsmannes<br />

(Jugend-Fantasyroman mit Elfen, Feen und Drachen)<br />

Von einem Wüterich, der hieß Fürst Dracula aus der Walachei<br />

(Sachbuch)<br />

Fotobücher:<br />

Transsylvanien – Im Reich von Dracula (2009)<br />

Die Geheimnisse der Blutgräfin Elisabeth Báthory (2011)<br />

Die fantastische Welt der Brüder Grimm (2012)<br />

Wo das Reich der Nibelungen verborgen liegt (2013)<br />

Frankenstein und die Illuminaten (2014)<br />

Die Schöne und das Biest (2015)<br />

Sherlock Holmes und der Fluch von Baskerville (2016)<br />

Nostradamus und das geheime Wissen der Katharer (2017)<br />

Weitere Informationen auf www.axelrod.at<br />

Interview


20 DRACHEN|März 2017<br />

Franz Sales Sklenitzka<br />

Zum Thema Drache muss natürlich der Jugendbuchautor<br />

Franz Sales Sklenitzka aus Wilhelmsburg vors Mikrofon. Eva<br />

Riebler-Übleis las die Drachenreihe und stellte die Fragen. Es<br />

handelt sich um eine Tetralogie, begonnen 1979 mit „Drachen<br />

haben nichts zu lachen“, das als Hardcover bereits die 15. Auflage<br />

feiert und drei Verlage überlebt hat. Die Handlung des<br />

ersten Bandes spielt 1271 zur Zeit der großen Pfingstturniere<br />

und der Drachenjagd, da die Drachenzunge als besonders<br />

köstlich gilt. Der Antiheld ist Ottokar Zipp, der die Drachen vor<br />

dem Aussterben bewahren will. An seiner Seite ist der Minnesänger<br />

Archibald. Beide ziehen einen kleinen Drachen groß,<br />

den sie vor dem jagenden Ritter Silberzahn gerettet hatten.<br />

Nach diesen drei Jahren setzt Du die Handlung im zweiten<br />

Band „ Drachen kann man nicht bewachen“ fort.<br />

Eigentlich sind es acht Jahre. Die Tochter des Herzogs ist<br />

auch eine Drachenfreundin, eine Vegetarierin, und sie bringt<br />

ihren Vater dazu, dass Herzogtum zum Drachenschutzgebiet<br />

zu erklären, allerdings erst in Band 3, „Drachen machen<br />

starke Sachen“, der im Jahr 1280 spielt .<br />

Es geht Dir um die Bewusstmachung des Artenschutzes?<br />

Das hat sich damals so ergeben. Ich wollte ursprünglich nur<br />

eine Rittergeschichte schreiben, aber damals kam der Artenschutzgedanke<br />

immer stärker auf, und da die heldenhaften<br />

Ritter Gegner brauchen, entstand die Idee mit den Drachen.<br />

Den kleinen Drachen kann man sich ja so süß vorstellen,<br />

wenn Du so spannend schilderst, wie er neben dem<br />

Minnesänger auf den Hinterbeinen steht.<br />

Das Sujet wurde mehrfach auf Plakaten - zum Beispiel 1 zu<br />

1 vom Buchklub - als springender Drache (inklusive Springschnur)<br />

verwendet. Das Buch wurde aber auch oft dramatisiert<br />

in Form von Kindermusicals und in Stuttgart und Bayern<br />

als Theaterstück aufgeführt.<br />

Interview<br />

Wie kam es zu der Serie der Drachenbücher für Kinder?<br />

Ein Werk stand für meine Bücher Pate. Das war „Der kleine dicke<br />

Ritter“ von Robert Bolt.<br />

Das Buch ist gespickt mit Anachronismen und derart lustig. Es<br />

gibt da einen unangepassten kleinen, dicken Antihelden.<br />

Bei Dir ist der Antiheld Ritter Ottokar von Zipp, der bescheiden,<br />

weltfremd und so wie Du Drachologe ist. Wo gibt es<br />

die Parallelle? Oder ist es die zum Minnesänger Archibald?<br />

Der Minnesänger kleidet sich grell und ist extrovertiert! Ich<br />

sehe mich eher seelenverwandt mit dem Antihelden meines<br />

Ritterromans – mit Ottokar Zipp - , habe jedoch auch – hoffentlich!<br />

- Wesenszüge gemeinsam mit dem intelligenten, musikalisch<br />

und poetisch begabten Minnesänger Archibald Exeter<br />

und – möglicherweise - dem bösen Drachenjäger Silberzahn.<br />

Der bekommt ja seinen Namen Silberzahn vom Herzog<br />

gestrichen, ..<br />

Ja, aber das ist ein typisches Politikerversprechen, das<br />

heißt nur für drei Jahre. Anno 1279, im zweiten Band „Drachen<br />

kann man nicht bewachen“, ist er längst wieder im<br />

Besitz seines vollen Namens.<br />

Da Du Volksschullehrer (in Wilhelmsburg) warst, wusstest<br />

Du, wie zu schreiben ist, damit es bei den Schülern ankommt.<br />

Ja, vor allem das erste Drachenbuch war und ist noch immer<br />

ein großer Erfolg. Es entstand damals, 1979, in einem richtigen<br />

„Schreibrausch“. Es war nicht mein Erstling, sondern<br />

mein drittes „Werk“ – es ist in einer Woche entstanden, und<br />

der Lektor hat nicht ein einziges Wort verändert. Alles hat<br />

sich während des Schreibens ergeben. Aus einer Situation<br />

ist die nächste hervorgegangen, und ich hab mir null Gedanken<br />

gemacht über Vorbildwirkung von Märchen, Belohnung<br />

des Guten oder Bestrafung des Bösen. In aller Bescheidenheit<br />

gesagt, vom Hardcover ist nun die 15. Auflage herausgekommen,<br />

vom Taschenbuch 2016 die 35. Auflage. Es gehört<br />

im ganzen deutschen Sprachraum zur Standardlektüre für<br />

die 11- bis 12-Jährigen, ist in 6 oder 7 Sprachen übersetzt<br />

und wird im Deutschunterricht auch z.B. in Buenos Aires eingesetzt.<br />

Momentan werden alle vier Drachenbücher ja ins Chinesische<br />

übersetzt. Wird da der Drache statt in Grün<br />

in den chinesisch üblichen Farben Rot/Weiß/Blau und<br />

Gelb gezeichnet werden?


DRACHEN|März 2017<br />

21<br />

Möglich. Das kann ich nicht beeinflussen. Interessant ist<br />

das Aufeinandertreffen zweier Sichtweisen.<br />

Deine Drachen sind grün, warum?<br />

Bei den Farben der Drachen hab ich mir gedacht, sie<br />

müssten Schutz- bzw. Tarnfarben haben - ähnlich unseren<br />

Eidechsen, daher Grün- und Braunfärbung. Nur<br />

der Smaragddrache ist klarerweise smaragdgrün und<br />

der (sehr seltene) Karfunkeldrache rötlich...:-)<br />

Wünscht Du Dir, dass bei uns der Drache auch in<br />

einer so großen Tradition gepflegt wird wie in China?<br />

Ja, das wär‘ schön. Seit den 70er Jahren gibt es eine<br />

Tendenz, die Drachen nicht mehr als böse in Kinder- und<br />

Jugendbüchern darzustellen …<br />

Drachen haben nichts zu lachen! Du schon?<br />

Na, ja.. ich habe Gott sei dank den Humor von meinem Vater<br />

geerbt. Und ich pflege ihn, denn ich brauche ihn!<br />

Welches Deiner 60 Werke ist besonders humorvoll?<br />

Schwer zu sagen. Vielleicht „Als Papa noch Pirat war“, „Da<br />

fliegt die Tür auf“ oder „Pauls Bettgeschichten“. Ich möchte<br />

aber auch noch erwähnen, dass ich in gewisser Weise die interaktiven<br />

Jugendbücher in Österreich populär gemacht habe.<br />

1984 erhielt ich den Auftrag, eine Art Heimatkunde Niedertösterreichs<br />

zu schreiben. Ich wollte jedoch kein übliches<br />

humorbefreites Heimatbuch schreiben. So verfasste ich das<br />

erste interaktive Jugend- und Erwachsenenbuch Österreichs<br />

über den Ötscher und später eines über das Waldviertel und<br />

die Eisenwurzen.<br />

Hast Du das bewirkt?<br />

Nein, aber vielleicht habe ich den Trend verstärkt.<br />

Schufst Du außer dem netten Antihelden Zipp einen<br />

weiteren in Deinen Werken?<br />

Ja, in der Genre-Parodie „Aug um Aug, Zahn um Zahn,<br />

Hut um Hut“. Es ist eine Wild-West Parodie. Es hat sich<br />

damals angeboten, weil ich nun mehr Freude daran gefunden<br />

hatte, die Rolle eines Antihelden zu schreiben..<br />

Wer ist der Antiheld?<br />

Da gibt es einen Hutmacher, der zum Sheriff ernannt<br />

wird, aber eine gewaltfreie Lebensweise bevorzugt, sein<br />

Köpfchen einsetzt, statt die Colts rauchen zu lassen.<br />

Hältst Du Lesereisen ab?<br />

Ja, im gesamten deutschen Sprachraum; es waren geschätzte<br />

5000 bis 6000 Lesungen in 35 Jahren.<br />

Und da hältst Du im raunenden Märchenton alle gefangen!<br />

Ob ich raune, weiß ich nicht! J Aber die Bezeichnung gefällt<br />

mir! Denn ohne bewegte Bilder das junge, an optische Reize<br />

gewöhnte Publikum zu bewegen, gelingt mir tatsächlich - nicht<br />

immer, aber meistens. Glücklicherweise kann ich meine Texte<br />

aber auch an der Tafel oder dem Flipchart illustrieren.<br />

Du bist ein wunderbarer Erzähler im modernen Märchenton!<br />

Bist Du mit meiner Definition zufrieden?<br />

Sehr!<br />

Du bebildertest 1979 Christine Nöstlingers Ddschi-<br />

Dsche-i Dschunior. Hast Du auch Ihr Werk beeinflusst<br />

„Guter Drache, Böser Drache“ 2012 ?<br />

Nein, die Nöstlinger lässt sich von niemandem beeinflussen<br />

– glücklicherweise.<br />

Du unterscheidest Erdrachen, Zackendrachen, Kammdrachen<br />

mit und ohne Punkte und hast einen Sammelband<br />

über die verschiedenen Gattungen gemacht.<br />

Wo hast Du recherchiert? Bzw. was ist frei<br />

erfunden?<br />

Recherchiert und – möglicherweise - auch erfunden….-<br />

Das zu entscheiden, bleibt der Phantasie (schreib ich<br />

lieber mit Ph als F, weil „Fantasie“ so an „Fantasy“ erinnert)<br />

der Leserin oder des Lesers überlassen.<br />

Franz S. Sklenitzka<br />

Geb. 1947 in Lilienfeld, zählt zu den bekanntesten und beliebtesten<br />

Kinder- und Jugendbuchautoren Österreichs. Lehrerbildungsanstalt<br />

in St.Pölten, Unterricht an einer Volksschule. Heute arbeitet Sklenitzka<br />

freiberuflich als Schriftsteller, Illustrator, Cartoonist, Hörspiel-<br />

und Schulbuchautor in Wilhelmsburg. Für seine Bücher, welche<br />

er oft selbst bebildert und die bisher in 16 Sprachen übersetzt<br />

wurden (unter anderem ins Chinesische, Japanische, Koreanische<br />

und Russische), bekam Sklenitzka zahlreiche Preise wie den Würdigungspreis<br />

für Literatur des Landes Niederösterreich, den Österreichischen<br />

Kinderbuchpreis oder den Illustrationspreis der Stadt<br />

Wien. Für sein bekanntestes Werk „Drachen haben nichts zu lachen“<br />

wurde der Autor mit dem “Goldenen Buch“ ausgezeichnet. Sklenitzkas<br />

Illustrationen waren in mehreren Ausstellungen zu sehen, z.B.<br />

auf der Biennale in Bratislava, in Bologna, in Bozen und in Wels.<br />

Interview


22 DRACHEN|März 2017<br />

Július Koller<br />

Ein U.F.O.-naut spielt Pingpong<br />

Gertraud Artner über Július Kollers Werkschau „One<br />

Man Anti Show“ im Wiener mumok<br />

Show, mit der – als Gemeinschaftsprojekt mit dem Museum<br />

moderner Kunst in Warschau in Kooperation mit der slowakischen<br />

Nationalgalerie in Bratislava – eine neue Annäherung<br />

an das Werk von Július Koller (1939 – 2007), einem<br />

der international bedeutendsten Künstlerpersönlichkeiten<br />

Osteuropas in der Neoavantgarde, unternommen wird. Hier<br />

wird schnell klar, dass sich Kollers Werk nicht nur in<br />

Als der slowakische Künstler Július Koller im März 1970 zu<br />

einer Einzelausstellung in der Galerie der Jugend in Bratislava<br />

eingeladen wurde, verwandelte er die Räumlichkeiten<br />

in einen Sportklub mit Pingpongtisch, Wimpel und einem<br />

Aushang seiner Spiel- und Fair-Play-Regeln. Die Ausstellung<br />

nannte er J.K. Ping-Pong Club und die BesucherInnen waren<br />

eingeladen mit ihm Tischtennis zu spielen.<br />

Nach dem Prager Frühling 1968 in der Zeit der „Normalisierung“,<br />

die sich wie eine bleierne Decke über das Kulturleben<br />

press-ufo-naut -jk 1980<br />

Bericht<br />

press -jk pingpong-klub 1970<br />

auch in Bratislava legte, verwischte Koller bewusst die Grenzen<br />

zwischen Kunst und nichtkünstlerischen Aktivitäten, um<br />

damit einen Aktionsraum zu schaffen, in dem nach den Regeln<br />

des Fair-Play eine gleiche Teilhabe aller Menschen möglich<br />

wurde. Der J.K. Ping-Pong Club war eine von Kollers<br />

Anti -Shows.<br />

So heißt auch die Ausstellung im mumok One Man Anti<br />

kritischer Distanz zur realsozialistischen Herrschaft und deren<br />

offizieller Kunst entwickelte, sondern auch Konventionen<br />

des westlichen Kunstbetriebes infrage stellte. Seit Mitte der<br />

1960er Jahre gestaltete er mit Antihappenings und Antibildern<br />

ein von spielerischer Ironie geprägtes Werk. Ebenfalls<br />

in Bratislava richtete er 1969 (mit Peter Bartos) im Schaufenster<br />

einer kommunalen Kunststopferei für Nylonstrümpfe<br />

eine Antigalerie ein. Auch die Galeria Ganku, die er bei einem<br />

abgelegenen Bergsteigerziel in der HohenTatra ansiedelte<br />

und die dementsprechend kaum bis gar nicht von Kunstinteressierten<br />

frequentiert wurde, ist typisch für sein humoristisches<br />

Herangehen..<br />

Koller war akademisch ausgebildeter Maler, verzichtete aber<br />

bewusst auf jede malerische oder stilistische Bravour. Viele<br />

seiner Arbeiten sind von einem amateurhaften Stil geprägt.<br />

„Das Proletarische, das Einfache, ja sogar das Primitive waren<br />

mir nahe“, sagte er.


DRACHEN|März 2017<br />

23<br />

Mit Nachdruck forderte er „kulturelles Leben“ ein und zwar<br />

für alle. Von Künstlerkreisen distanzierte er sich zunehmend,<br />

arbeitete viel lieber mit AmateurInnen und LaienkünstlerInnen<br />

aus unterschiedlichen Berufsgruppen zusammen. Die<br />

Sommertreffen, die er im ganzen Land organisierte, waren legendär.<br />

Amateurismus stellte für Koller den Beweis dar, dass<br />

freie Kunst (durch die Hintertür) gelingen kann, auch wenn<br />

sie von Behörden überwacht und zensiert wird. Er wollte den<br />

ganz normalen Alltag nutzen, um eine „neue kulturelle Situation“<br />

zu schaffen, die zu einem „neuen Leben, einer neuen<br />

Kreativität und einer neuen kosmohumanistischen Kultur“<br />

führen sollte.<br />

Július Koller war vor allem Konzeptkünstler. Als solcher brachte<br />

er zwei Jahre nach Niederschlagung des Prager Frühlings<br />

ein neues Konzept, ein Sprach- und Bezeichnungsspiel mit<br />

utopischem Hintersinn in sein Werk ein: U.F.O. steht für Universell-kulturelle<br />

Futurologische Operationen. Unter<br />

press-austellungsansicht -julius koller<br />

diesem Namen schuf er in den folgenden drei Jahrzehnten<br />

eine umfassende Werkgruppe und wurde auch selbst zum<br />

Probanden seines Konzeptes. In einer „Selbstchronologie“ -<br />

als Methode der Selbsthistorisierung – stellte er eine Serie<br />

jährlicher Selbstportraits zusammen: U.F.O.-naut J.K. 1970 –<br />

2007. Zweifelsohne ermöglichte ihm der Begriff U.F.O., den<br />

er aus der Welt der Science-Fiction entlehnte, sich seinen<br />

realen Lebensumständen zu entziehen oder diese zumindest<br />

mit imaginativen Ideen zu bereichern.<br />

Raum zu einem faszinierendem Panorama an Druckerzeugnissen<br />

von beiden Seiten des Eisernen Vorhangs auswuchs.<br />

Koller verarbeitete das Material in vielfältigen Serien, aus Papierschnipseln,<br />

Briefen, Büchern, Plakaten und Verpackungen<br />

schuf er minimalistische Kompositionen. Angeblich empfand<br />

er eine natürliche Nähe zur „Kultur des Abfalls“, die für ihn eng<br />

mit der eigenen Situation zusammenhing.<br />

Einen wichtigen Teil des Archivs bildeten Notizhefte, Abschriften<br />

und Übersetzungen, unter ihnen auch solche von<br />

bedeutenden Texten der westlichen Neoavantgarde. Tatsächlich<br />

stand Koller im regen Austausch mit der „Außenwelt“,<br />

der vermeintliche Eigenbrötler befand sich in einem Zustand<br />

des ständigen Aussendens und Empfangens von Signalen.<br />

Bereits 1971 begann der Künstler in großer Zahl Textkarten<br />

an Landsleute und internationale Adressaten zu schicken. Als<br />

„Einladungskarten zu einer Idee“ verwiesen sie auf Schlüsselkonzepte<br />

wie U.F.O. Und immer wieder das Symbol des Fragezeichens,<br />

das ihn all die Jahrzehnte begleitete.<br />

Das mumok präsentiert Kollers Schaffen bis 17. April 2017 auf<br />

drei Ebenen. Der reservierten Haltung des Künstlers gegenüber<br />

Kulturinstitutionen sowie dem Transformativen seiner<br />

Objekte und Handlungen wird durch die Ausstellungsarchitektur<br />

von Hermann Czech einfühlsam Rechnung getragen,<br />

der Wiener Künstler Johannes Porsch machte Teile des immensen<br />

Archivs für die BesucherInnen zugänglich und auf<br />

der obersten Ebene wurde der legendäre J.K. Ping-Pong Club<br />

wiedereingerichtet.<br />

Wenn es um den Stellenwert der Kunst als Lebens- und Überlebensmittel<br />

in widrigen Zeiten geht, dann gehört die One Man<br />

Anti Show von Július Koller wohl zu den spannendsten und<br />

überzeugendsten Präsentationen, die es derzeit zu sehen gibt.<br />

Seinen Lebensunterhalt verdiente Koller als Postkartenmaler<br />

im staatlichen Unternehmen Dielo. Er malte auch immer wieder<br />

herkömmliche Bilder, die er verkaufte (und ihm außerdem<br />

die Kritik seiner KünstlerkollegInnen einbrachten). 1973 bezog<br />

er mit seiner Lebenspartnerin, der Amateurfotografin (!)<br />

Kvetoslava Fulierova eine gemeinsame Wohnung: 45 Quadratmeter<br />

in einer Plattenbausiedlung am Stadtrand Bratislavas.<br />

Hier legte er sein enormes Archiv an, das sich auf engstem<br />

press-otaznikovytexttextil 1969<br />

Bericht


24 DRACHEN|März 2017<br />

Egyd Gstättner<br />

Wie ich den Lindwurm verschluckt habe<br />

Essay<br />

Als ich noch ein angry young man war, habe ich tief im alten<br />

Jahrtausend einmal geschrieben, es stünde zu befürchten,<br />

dass ich in den Brunnen spucke, aus dem ich trinke, oder<br />

umgekehrt, dass ich aus dem Brunnen trinke, in den ich gespuckt<br />

habe, sodass ich also meine eigene Flüssigkeit wieder<br />

zu mir und in mich nehme, ein ganz natürlicher, geschlossener<br />

Kreislauf. Es stünde weiter zu befürchten, dass ich den<br />

Kommunalpolitikern und Minimundusfiguren gegenüber renitenter<br />

würde, in der Literatur gäbe es keine Jausengegner. Es<br />

wäre möglich, dass ich einen Briefwechsel mit dem Bürgermeister<br />

anfange, in dem ich ihm vorschlage, den Lindwurm<br />

vom Neuen Platz zu entfernen und durch eine überlebensgroße<br />

Goldbüste meiner Person zu ersetzen. Dafür gäbe es<br />

triftige Gründe: Der Lindwurm (der im Inneren eines Brunnen<br />

am Hauptplatz podestiert ist) schädige den Tourismus und<br />

die Fremdenverkehrswirtschaft. Die Sommergäste kämen in<br />

Erwartung eines mächtigen Steinungeheuers und seien bei<br />

der Altstadtbesichtigung sofort maßlos enttäuscht von unserem<br />

verwitternden Möchtegernungetüm! In natura sei der<br />

Lindwurm mickrig, sabbere, wende den Stadtvätern das Hinterteil<br />

zu und provoziere also geradezu Antiheimatliteratur,<br />

vielleicht sogar Antiheimatliteraturliteratur, und verweise auf<br />

den Sumpf, aus dem wir alle kommen. Ausgerechnet einen<br />

Wurm zum Symbol und Aushängeschild einer Stadt zu machen,<br />

muss zwangsläufig in die Unterliga führen, wie es der<br />

Austria, den sogenannten Lindwurmstädtern damals gerade<br />

passiert war, wie es ihnen alle paar Jahre einmal passiert, so<br />

auch heute und morgen und in aller Zukunft.<br />

Hingegen sei soziologisch einigermaßen fundiert, dass gerade<br />

Quereinsteiger in die Goldbüstengalerie mit hohen Popularitätswerten<br />

zu rechnen haben. Im Status quo wirkte meine<br />

Goldbüste noch einigermaßen dynamisch, jugendlich und<br />

zukunftsorientiert, befreite die Stadt von der permanenten<br />

Unterstellung der Totentollwut und wiese sie unverbrüchlich<br />

als Kunst- und Kulturstadt aus.<br />

Ähem, Stadtväterinnen und Väter! Ich bin kein Lindwurmkind<br />

– was denn nicht noch alles? – ich bin der Schöpfer schöner<br />

Dinge! Und beim Sechsteiler um 20.15 dürfte der Bürgermeister<br />

mich persönlich enthüllen. Es habe noch lange nichts mit<br />

Selbstüberschätzung, Eitelkeit oder Imponiergehabe zu tun,<br />

habe ich damals geschrieben, sich in puncto Bedeutsamkeit<br />

mit einem paralysierten Schmalspurarchiopterix messen<br />

können zu glauben, Herr Bürgermeister, und neu ist, ohne<br />

kritische Transzendenz und nicht über den Umweg der Weltverbesserung<br />

auf den Neuen Platz kommen zu wollen.<br />

Natürlich hätte mir der welterfahrende Bürgermeister entgegen<br />

halten können, dass man in Brno und Ljubljana – damals<br />

sagte man noch Brünn und Laibach – ja auch Lindwürmer als<br />

Wappentiere genommen hat, und immerhin hätten die Lindwürmer<br />

Flügel – geflügelte Tiere, geflügelte Worte, Geflügel,<br />

Geflügel, und was ist mit Wales? Wales, Herr Dichter, jetzt<br />

schauen Sie aber! Und was die Lächerlichkeit betrifft, Herr<br />

Angry, lassen Sie sich gesagt sein, die kleine Meerjungfrau in<br />

Kopenhagen ist noch viel lächerlicher als der Lindwurm, und<br />

erst der winzige Pisspage von Brüssel, der ist lächerlicher als<br />

der Lindwurm und die Meerjungfrau zusammen, dem muss<br />

die Stadtverwaltung jeden Tag ein anderes Kostüm anziehen,<br />

damit er überhaupt etwas gleichschaut! Oder das Goldene<br />

Dachl in Innsbruck! Nicht einmal ein eignes Gebäude oder<br />

Haus, bloß ein Dach! Nicht einmal ein ganzes Dach, bloß ein<br />

Dachl! Ein Vordach! Ein Vordachl! Ein völlig funktionsloses<br />

Detail!<br />

Aber derartiger Assoziationsreichtum war des Bürgermeisters<br />

Sache nicht. Natürlich wüsste ich um die Wortkargheit<br />

des Bürgermeisters Bescheid, der bevorzugte das Jodeln am<br />

Geflügelmarkt, und er würde auf meine gewichtigen Argumente<br />

nicht eigentlich schriftlich eingehen, sondern mich mit<br />

einem lapidaren Zweizeiler abspeisen wollen, in dem er mich<br />

zu einer persönlichen Unterredung in sein Büro einladen wird.<br />

Solche persönlichen Vieraugengespräche seien gewöhnlich<br />

immer allgemeine Ausderwelträumungsvieraugengespräche,<br />

vier Augen räumen mehr aus der Welt als zweihunderttauend.<br />

Das aus der Welt ins Bürgermeisterbüro Geräumte ist<br />

aus den Augen und aus dem Sinn, als ob ich nicht meine eigenen<br />

Schubladen hätte in meiner Mansarde. Ich aber würde<br />

den in Vertretung des Bürgermeisters von der Sekretärin des<br />

Bürgermeisters unterschriebenen oder mit dem persönlichen<br />

Bürgermeisterunterschriftenstempel versehenen Zweizeiler<br />

als willkommenen Anlass für meinen zweiten Brief nehmen,<br />

in dem ich versichere, von einer persönlichen Unterredung<br />

im Bürgermeisterbüro Abstand nehmen zu wollen und weiterhin<br />

dezidiert auf einer schriftlichen Stellungnahme aus dem<br />

Bürgermeisterbüro zu beharren, zumal ich den so entstehenden<br />

Briefwechsel unter dem Titel Briefe an den Bürgermeister


DRACHEN|März 2017<br />

25<br />

einem Verlag anzubieten vorhabe – die Öffentlichkeit habe<br />

schließlich ein Recht zu erfahren, wie der Bürgermeister zu<br />

meinem Goldbüstenprojekt und der damit notwendig einhergehenden<br />

Demontage des Lindwurms stünde, die Öffentlichkeit<br />

habe ein Recht darauf, dass ich den Ausschluss der Öffentlichkeit<br />

im Bürgermeisterbüro an die große Glocke hänge.<br />

Mir ist völlig schleierhaft, habe ich geschrieben, warum die<br />

Autoren von Stadtführern nach wie vor ehrfurchtsvoll vom<br />

Ringelschwanz und vom Schuppenpanzer und vom aufgerissenen<br />

Drachenmaul des Lindwurms schreiben, obwohl<br />

in diesem aufgerissenen Lindwurmdrachenmaul an beiden<br />

Kiefern ganze acht Zähne vorhanden sind, eine dentistische<br />

Ruine also! Angesichts unseres vor dem keulenschwingenden<br />

Herkules sabbernden Lindwurms weise ich darauf hin, dass<br />

Musil angesichts unserer rückständigen Denkmalskunst und<br />

unseres rückständigen Denkmals darauf hingewiesen hat,<br />

dass er „gewöhnlich aussieht wie die schweren Melancholiker<br />

in den Nervenheilanstalten.“ Wäre aber weder der Lindwurms<br />

paralysiert, noch der Herkules so ungeschickt, sich<br />

dem Lindwurm vor dem Durchziehen der Keule nicht ein paar<br />

Schritte zu nähern, um mit seiner Keule mit voller Wucht nicht<br />

ins Leere, sondern den Drachenschädel treffen zu können,<br />

weise ich darauf hin, dass der Lindwurm und der Herkules<br />

ausschließlich der Verherrlichung von Gewalt dienen und der<br />

orientierungsbedürftigen Jugend unserer Stadt ein denkbar<br />

schlechtes Beispiel geben! Ausgerechnet die primitivste und<br />

brutalste Form der Konfliktlösung mit stolz geschwellter Brust<br />

als Wahrzeichen einer Landeshauptstadt zu wählen, ist eine<br />

Schande für diese Stadt und gehört schonungslos an den<br />

Pranger gestellt. Daher habe ich die sofortige Entfernung des<br />

Lindwurms eine unabdingbare gesellschaftspolitische Notwendigkeit<br />

bezeichnet.<br />

Natürlich möchte ich die Räte aus dem Rathaus zerren, habe<br />

ich geschrieben, natürlich möchte ich die Denkmäler vom<br />

Sockel stoßen und zum Einsturz bringen, natürlich möchte<br />

ich mir dergestalt ein Denkmaleinstürzungsdenkmal errichten<br />

– der große Glöckner gibt Einblick in seine Denkmalzumeinsturzbringungswerkstatt<br />

– natürlich möchte ich einen<br />

Prezedenzfall setzen, dessen monumentale Folgewirkungen<br />

unabsehbar wären… natürlich ist dieser Text nie veröffentlicht<br />

worden, bis heute nicht, fünfundzwanzig Jahre, ein Vierteljahrhundert<br />

hat mein Text in der Schublade warten müssen,<br />

bis er jetzt das Licht der Welt blablabla, natürlich ist auch<br />

nie eine inhaltliche Antwort aus dem Rathaus gekommen,<br />

Vieraugengespräche hat es dann und wann gegeben, aber<br />

nicht zu diesem Thema, four eyes smalltalk only, und kaum<br />

hatte ich einmal unverbindlich mit einem Bürgermeister gesprochen,<br />

wurde er auch schon abgewählt, die Bürgermeister<br />

kamen und gingen, der Lindwurm blieb und ich blieb auch.<br />

Zwanzig Jahre später fasste ich den Plan, einmal etwas anderes<br />

zu machen, also keinen Roman und keinen Erzählband,<br />

sondern ein literarisches Stadtportrait meiner Heimatstadt zu<br />

verfassen, so wie es Fernando Pessoa zu seiner Zeit für sein<br />

Lissabon gemacht hatte, eine Mischung aus Sachbuch und<br />

Buch also. Ich hielt mich damals schon für einen recht großen<br />

Sohn und dachte, ich würde meiner großen Mutter damit eine<br />

große Freude machen. Zwangsläufig kam ich auf den Hauptplatz<br />

und das Wahrzeichen zu sprechen und entwickelte meine<br />

einstigen Gedanken als renitenter Jugendlicher weiter:<br />

„Der eigentliche Platzhirsch ist weder ein Hirsch, noch ein<br />

Mensch, sondern ein Wurm, allerdings ein so großer Wurm,<br />

dass er auch als Drache durchgeht, wenn auch für einen<br />

Drachen ein eher kleiner Drache, nicht ganz so gewaltig,<br />

wie man sich einen Drachen vorstellt. Auf Fotografien wirkt<br />

er eindrucksvoller als in natura: Hübsche Flügerl, ein niedliches<br />

Ringelschwänzchen, viele, viele Schuppen und ein fast<br />

völlig zahnloses Maul, das ihm im Grund nur weichgekochte<br />

Spaghetti als Nahrung erlaubt. Al dente: Das war einmal. Der<br />

Sage nach hat er vor Jahrmilliarden, als sein Gebiss noch intakt<br />

war, im ehemaligen Sumpfgebiet westlich der Stadt sein<br />

Unwesen getrieben: Das heißt, er hat Jungfrauen gefressen,<br />

wahrscheinlich auch junge Nichtjungfrauen. Die Männer waren<br />

ihm zu zäh und flachsig, und die haben ihn in einer Nebennacht<br />

mit einer perfiden Mischung aus List und Gewalt<br />

auch zur Strecke gebracht, sodass Frauentreu durch Mannesmut<br />

wiederhergestellt war. Uff, Glück gehabt! Der vor dem<br />

Lindwurm stehende Herkules, der sich mit seiner Keule gerade<br />

den Buckel schrubbt, hat das mythische Wildtier jedenfalls<br />

nicht erschlagen. Was der Herkules wirklich auf dem neuen<br />

Platz verloren hat, ist allerdings eines der großen Geheimnisse<br />

der Stadt. Und jetzt schau einmal genau hin:“, habe ich<br />

den lesenden Touristen oder touristischen Leser in meinem<br />

Stadtportrait aufgefordert. „Der Klagenfurter Herkules trägt<br />

einen Schnurrbart! Mittlerweile gilt als historisch gesichert,<br />

dass Männer in der Antike entweder einen Vollbart trugen<br />

oder ganzgesichtsrasiert waren. Schnurrbärte gab es in<br />

der Antike nicht! Der Herkules schaut aus wie ein portugiesischer<br />

Volksschullehrer! (Gegen die ist natürlich nichts zu<br />

sagen). Die dicke Frau, die hinter ihm steht, das ist nicht die<br />

Landesmutter, sondern Maria Theresia. War halt auch einmal<br />

kurz da. Man könnte sagen: Der Herkules ist von zwei Drachen<br />

flankiert.“<br />

Essay


26 DRACHEN|März 2017<br />

Essay<br />

Dieses Stadtportrait habe ich nicht nur geschrieben, sondern<br />

auch publiziert. Auch dem Umschlagfotografen ist dabei ein<br />

bemerkenswertes Kunststück gelungen, indem er mich in der<br />

November-Abenddämmerung so am Neuen Platz positioniert<br />

hat, dass der Lindwurm von mir ganz und gar verschluckt<br />

wird. und die vielen kleinen Brüder und Schwestern des großen<br />

Sohnes kauften und lasen es auch mit Begeisterung, nur<br />

die große Mutter hatte keine große Freude, denn sie bestand<br />

aus lauter kleinen Vätern, die sich um die Alimente drücken<br />

wollten. Ich schlug meiner Mutterstadt vor, ein paar hundert<br />

Stück ihres Portraits anzukaufen und beim Bachmannpreis<br />

in die Pressemappe für internationale Journalisten zu stecken,<br />

aber vom Bürgermeister bis hinunter zum Gemeinderat<br />

steckten alle zwei Finger in die Ohren, hielten sich mit<br />

zwei anderen Fingern die Nasenlöcher zu und steckten den<br />

ganzen Kopf in dieser Haltung in den Sand.<br />

Noch einmal fünf Jahre später saß ich gerade an meinem<br />

Roman Das Freudenhaus, der zum einen von der Erbauung<br />

des großen Fußballstadions in meiner kleinen Stadt handelt<br />

– 32.000 Sitzplätze in einer Stadt mit nicht einmal 100.000<br />

Einwohnern – zum anderen um die Auferstehung des französischen<br />

Weltdramatikers Eugene Ionesco in ausgerechnet<br />

diesem Stadion, und um die lebenslängliche geistige Auseinandersetzung<br />

mit seinem Drama Die Stühle und seiner Erzählung<br />

Die Nashörner (die in meinem Roman auf den Stühlen<br />

Platz nehmen… da, aber auch überall im Land, auf allen<br />

Sitzen, Plätzen, Posten, Positionen, fanatische, alles links und<br />

rechts achtlos niedertrampelnde Mitläufer des Chefnashorns,<br />

so nebenbei natürlich mit genügend pekuniärem Eigeninteresse<br />

ausgestattet.) Im Zug der Recherchen stellte ich fest,<br />

dass nicht nur das Hypo, Namensgeber der verbrecherischen<br />

Bank, Sponsor des verbrecherischen Vereins Hallodria Rhinozeros<br />

und Namensgeber des Stadions, der Rhinozeros Group<br />

Arena, sondern auch der Wurmdrache oder Drachenwurm,<br />

der Lindwurm am Neuen Platz, zur Familie der Wollnashörner<br />

gehörte! Und anstatt das Wurmdrachennashorn, den Nashornwurmdrachen,<br />

den Nasdrachenhornwurm endlich abzureißen,<br />

hat man das steinerne Ungeheuer zur Zeit der Fußballeuropameisterschaft,<br />

für die das Nashornstadion gebaut<br />

worden ist, aus nackter Angst vor Hooligans und Vandalen<br />

auch noch mit Panzerglas eingehaust.<br />

Die Eliminierung des Lindwurms ist mir mein Leben lang nicht<br />

gelungen, aber jetzt wenigstens die Abwahl des Bürgermeisters!<br />

Die Stadt hat einen neuen… eine neue! Die Stadt hat<br />

eine Bürgermeisterin. Endlich korrespondieren jetzt grammatikalisches<br />

und politisches und menschliches Geschlechts<br />

miteinander! Aber aus dem angry young man ist im Lauf der<br />

Jahrzehnte unversehens nach und nach ein afraid old man<br />

geworden! Wie viel ich im Lauf meines Lebens geschrieben<br />

habe! Und wie wenig verändert! Das meiste, was ich bekommen<br />

habe, war Applaus. Das ist bekanntlich eine schwache<br />

Währung. Wie immer bei einem Wechsel an der Stadtspitze<br />

wird es früher oder später zu einem Gespräch mit dem<br />

Bürgermeister kommen, also mit der Bürgermeisterin, und<br />

diesmal werde ich die Einladung nicht ausschlagen. Tall talk<br />

diesmal. Irgendetwas muss in mir vorgegangen sein: Der Abriss<br />

des Lindwurmbrunnens ist mir jetzt nach Jahrzehnten gar<br />

nicht mehr so wichtig. Ich spüre, wie es in mir rumort! Ich<br />

verwandle mich weiter! Bin ich es? Ja, ich bin es! Das Aushängeschild<br />

meiner Stadt! Das Wahrzeichen! Zuerst die Verwandlung<br />

vom angry young man in den afraid old man; dann<br />

die Verwandlung vom afraid old man in den afraid old Dragon!<br />

– „Frau Bürgermeister, draußen im Vorzimmer wartet ein<br />

Mr. Dragon und lässt sich nicht abweisen…“ – „Und was will<br />

Mr. Dragon?“ – „Er will, dass die große Mutter seinen Vorlass<br />

ankauft, all die Materialien und Manuskripte und Typoskripte<br />

und Texte über den Lindwurm und die Stadt und das Land<br />

und Gott und die Welt! All das Feuer, das er gespien hat! Jetzt<br />

ist Mr. Dragon alt geworden und hat nicht einmal mehr acht<br />

Zähne im Kiefer, nur noch zwei Prothesen, eine oben, eine<br />

unten. Mr. Dragon behauptet, er sei ein Aushängeschild. Mr.<br />

Dragon will jetzt Spaghetti auf Lebenszeit – und posthum ein<br />

Reiterstandbild auf dem Neuen Platz. So eine Art Pferd sei<br />

ja schon vorhanden. Man müsse ihn dann nur noch in Gold<br />

gießen und hinaufsetzen. Zur Not reite er auch auf dem Wollnashorn.<br />

„Ja“, sorgt sich die Bürgermeisterin, „Aber könnte es nicht<br />

sein, dass die Touristen bei seinem Anblick sehr enttäuscht<br />

sein werden, weil er in Wirklichkeit längst nicht so groß ist,<br />

wie sie sich ihn vorgestellt haben?“ - „Vorsicht, Frau Bürgermeisterin,<br />

er kann immer noch Feuer speien!“ – „Na, dann<br />

lassen Sie ihn eben vor…!“<br />

Egyd Gstättner<br />

Geb1962, studierte Germanistik und Philosophie, lebt als freier<br />

Autor in Klagenfurt. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen.<br />

Letzte Buchpublikationen: Absturz aus dem Himmel. Picus, Wien<br />

2011, Ein Endsommernachtsalbtraum. Picus Wien 2012, Hansi<br />

Hinterseer rettet die Welt. Amalthea Wien 2013, Der Haider Jörg<br />

zieht übers Gebirg. Drava Klgf. 2013, Das Geisterschiff 2013, Am<br />

Fuß des Wörthersees 2014, Das Freudenhaus 2015, Karl Kraus<br />

lernt Dumm Deutsch 2016, Rez. siehe S. 59, alle Picus.


DRACHEN|März 2017<br />

27<br />

Hl. Georg/Hans von Kulmbach/Wallraf-Richartz Museum Köln<br />

Johannes Schmid<br />

Der heilige Georg<br />

(aus dem Lateinischen nach der Legenda aurea)<br />

Georg war ein römischer Tribun und stammte aus der<br />

Landschaft Kappadokien. Eines Tages gelangte er zu einer<br />

Stadt in Libyen, die den Namen Silena trug. In unmittelbarer<br />

Nähe dieser Stadt lag ein See, der die Größe eines<br />

Meeres hatte. Darin verbarg sich ein unheilvoller Drache,<br />

der schon oft das Volk, das sich gegen ihn bewaffnete, in<br />

die Flucht geschlagen hatte und alle mit seinem Hauch<br />

vergiftete, sooft er an die Mauern der Stadt herankam. In<br />

dieser Notlage gaben ihm die Bürger täglich zwei Schafe,<br />

andernfalls stürmte er gegen die Stadtmauern und verpestete<br />

die Luft, sodass sehr viele zu Tode kamen.<br />

Als ihnen in der Folge beinahe schon die Schafe ausgingen,<br />

vor allem, weil sie keine große Zahl von ihnen besaßen,<br />

fassten sie einen Entschluss und übergaben nur<br />

noch ein Schaf gemeinsam mit einem Menschen. Da<br />

nun das Los die Söhne und Töchter aller Menschen traf<br />

und niemanden ausnahm und schon beinahe alle Söhne<br />

und Tochter getötet waren, wurde einmal die einzige<br />

Tochter des Königs vom Los bestimmt und dem Drachen<br />

zugesprochen. Hierauf wurde der König sehr traurig<br />

und sprach: „Nehmt mir Gold, Silber und die Hälfte<br />

meines Reiches, aber lasst mir meine Tochter, dass sie<br />

nicht einen solchen Tod sterben muss.“ Diesem entgegnete<br />

das Volk wutentbrannt: „Du, o König, hast dieses<br />

Gebot erlassen, und jetzt sind alle unsere Kinder tot und<br />

du willst deine Tochter retten? Wenn du nicht an deiner<br />

Tochter erfüllst, was du anderen befohlen hast, so werde<br />

wir dich und dein Haus in Brand stecken.“ Als der König<br />

dies sah, begann er das Schicksal seiner Tochter zu beweinen<br />

und sagte: „Weh mir, meine liebste Tochter, was<br />

soll ich deinetwegen tun? Oder was soll ich sagen? Wann<br />

werde ich noch Zeuge deiner Hochzeit sein?“ Und zum<br />

Volk gewandt sprach er: „Ich bitte euch, gewährt mir eine<br />

Frist von acht Tagen, dass ich um meine Tochter trauere.“<br />

Nachdem ihm das Volk dies zugestanden hatte, kehrte<br />

es nach Ablauf der acht Tage zurück und rief voll Zorn:<br />

„Weshalb richtest du um deiner Tochter willen dein Volk<br />

zu Grunde. Siehe, wir alle finden durch den Gifthauch des<br />

Drachen den Untergang.“ Da sah der König, dass er nicht<br />

imstande ist, seine Tochter zu retten, ließ sie in königliche<br />

Gewänder kleiden, umarmte sie innig und sprach mit tränenerstickter<br />

Stimme: „Ach, ich Unseliger, meine süßeste<br />

Tochter, ich glaubte einmal, durch dich Söhne auf meinem<br />

königlichen Schoß aufziehen zu können, und jetzt gehst<br />

du hin, um von einem Drachen verschlungen zu werden.<br />

Wehe, ich Armer, meine süßeste Tochter, ich hegte einmal<br />

die Hoffnung, zu deiner Hochzeit Prinzen einzuladen, den<br />

Palast mit Perlen zu schmücken, den Klang von Pauken<br />

und Trompeten zu vernehmen, und nun schreitest du hin,<br />

dass du von einem Drachen gefressen wirst.“ Er küsste<br />

sie wieder und wieder und entließ sie dann mit den Worten:<br />

„Meine Tochter, wäre ich doch eher gestorben, als<br />

dich so verlieren zu müssen!“ Dann fiel sie ihrem Vater zu<br />

Füßen und bat ihn um seinen Segen. Nachdem der Vater<br />

sie weinend gesegnet hatte, ging sie zum See.<br />

Als der heilige Georg zufällig dort vorüberkam und sie heulen<br />

und wehklagen sah, fragte er sie, was sie habe. Und<br />

sie erwiderte: „Guter Mann, besteige rasch dein Ross und<br />

ergreife die Flucht, damit du nicht zugleich mit mir den<br />

Tod findest.“ Georg zu dieser: „Fürchte dich nicht, meine<br />

Tochter, sondern sag mir, weshalb du hier stehst und das<br />

ganze Volk zusieht?“ Und jene: „Wie ich sehe, guter Mann,<br />

besitzt du ein mitfühlendes Herz, aber verlangst du wirklich<br />

danach, mit mir zu sterben? Fliehe schnell!“ Darauf<br />

Georg: „Ich werde nicht von hier weichen, bis du mir ver-<br />

Essay


28 DRACHEN|März 2017<br />

rätst, was du hast.“ Nachdem sie ihm alles erzählt hatte,<br />

sprach Georg: „Tochter, lass ab von der Furcht, da ich im<br />

Namen Christi dir beistehen werde.“ Sie wiederum: „Wackerer<br />

Soldat, eile, dich selbst zu retten, nicht sollst du<br />

mit mir zu Grunde gehen! Denn es reicht, wenn ich allein<br />

sterbe. Denn du könntest mich nicht retten und würdest<br />

mit mir vernichtet.“<br />

Während sie dies sprachen, siehe, da kam der Drache heran<br />

und hob seinen Kopf aus dem See. Dann sprach das<br />

Mädchen, bebend vor Furcht: „Fliehe, guter Herr, fliehe<br />

sogleich!“ Darauf bestieg Georg sein Ross; und indem er<br />

sich mit dem Kreuz schützte, sprengte er kühn dem Drachen<br />

entgegen, der sich auf ihn zu wälzte, schleuderte<br />

mutig seine Lanze und voll Gottvertrauen verwunderte<br />

er das Untier schwer, stieß es zu Boden und rief zu dem<br />

Mädchen: „Wirf deinen Gürtel ohne Zögern um den Hals<br />

des Drachen, Tochter!“ Nachdem sie dies gemacht hatte,<br />

folgte er ihr wie ein völlig zahmer Hund. Als sie ihn nun<br />

in die Stadt führte, begannen die Menschen bei diesem<br />

Anblick auf die Berge und Hügel zu fliehen, kreischend:<br />

„Wehe uns, denn nunmehr werden wir alle umkommen.“<br />

Da winkte ihnen der heilige Georg zu und rief: „Fürchtet<br />

euch nicht, denn aus diesem Grunde hat mich der Herr<br />

zu euch gesandt, dass ich euch vom Schrecken des Drachen<br />

befreie. Glaubt nur an Christus, und ein jeder von<br />

euch empfange die Taufe, und ich werde diesen Drachen<br />

da töten.“<br />

Sodann ließen sich der König und alle Menschen taufen.<br />

Der heilige Georg aber zückte sein Schwert, hieb den Drachen<br />

nieder und ließ ihn aus der Stadt schaffen. Dann zogen<br />

ihn vier Ochsenpaare auf ein großes Feld außerhalb.<br />

An jenem Tag wurden zwanzigtausend getauft, ausgenommen<br />

Kinder und Frauen. Der König aber ließ zu Ehren der<br />

heiligen Maria und des heiligen Georg eine Kirche von<br />

wunderbarer Größe errichten. Aus deren Altar strömt eine<br />

lebendige Quelle. Ein Schluck daraus vermag alle Kranken<br />

zu heilen. Der König aber bot unermesslich viel Geld dem<br />

heiligen Georg an, welches jener nicht annehmen wollte;<br />

so ließ er es an die Armen verteilen.<br />

Essay<br />

Johannes Schmid<br />

Geb. 1966, Studium der klassischen Philologie in Wien. Unterrichtet<br />

Latein/Griechisch im Stiftsgymnasium Melk und Priesterseminar<br />

St.P., schreibt Prosa und Lyrik. Im LitGes-Vorstand seit 2006.<br />

Mehrere Veröffentlichungen im <strong>etcetera</strong> und LOG.


DRACHEN|März 2017<br />

29<br />

Interview


30 DRACHEN|März 2017<br />

哪 吒 闹 海 的 故 事<br />

从 前 有 一 位 大 将 军 , 叫 做 李 靖 , 他 的 夫 人 生 孩 子 , 生 下 来 一 个 圆 圆 的 肉 球 , 在 地 上 滚<br />

来 滚 去 , 李 靖 说 :“ 这 一 定 是 个 妖 怪 。” 拿 出 宝 剑 来 , 朝 着 那 肉 球 一 劈 , 真 怪 , 那 肉 球<br />

一 裂 开 , 从 里 面 跳 出 一 个 男 娃 娃 来 , 胖 胖 的 脸 , 可 逗 人 喜 欢 了 。<br />

李 靖 看 呆 了 , 正 不 知 道 该 怎 么 好 , 一 位 神 仙 找 他 来 了 。 这 位 神 仙 说 :“ 恭 喜 , 恭 喜 ! 我<br />

知 道 你 生 了 个 男 娃 娃 。 这 娃 娃 很 了 不 起 , 让 我 收 他 当 徒 弟 吧 。” 说 着 , 拿 出 一 个 镯 子 ,<br />

一 块 手 帕 , 交 给 李 靖 ,“ 这 是 我 送 给 徒 弟 的 礼 物 , 这 镯 子 叫 做 乾 坤 圈 , 这 手 帕 叫 混 天<br />

绫 。”<br />

这 娃 娃 就 是 哪 吒 。 七 岁 那 年 , 一 天 天 气 热 极 了 , 他 到 大 海 里 去 洗 澡 , 拿 着 混 天 绫 在 水<br />

里 一 晃 , 就 掀 起 大 浪 , 大 浪 把 东 海 龙 王 的 水 晶 宫 震 得 东 摇 西 晃 。 龙 王 吓 了 一 大 跳 , 就<br />

派 了 一 个 夜 叉 上 去 看 看 , 到 底 是 怎 么 回 事 。<br />

夜 叉 钻 出 水 面 一 看 , 原 来 是 个 娃 娃 在 洗 澡 , 举 起 斧 头 就 砍 。 哪 吒 可 机 灵 啦 , 连 忙 把 身<br />

于 一 闪 , 取 下 乾 坤 圈 , 向 夜 叉 扔 去 。 别 看 这 小 小 的 乾 坤 圈 , 它 比 一 座 大 山 还 重 , 正 好<br />

打 中 夜 叉 的 脑 袋 , 一 下 就 把 他 打 死 了 。<br />

龙 玉 听 说 夜 又 给 打 死 了 , 气 得 一 个 劲 地 吹 胡 子 , 就 叫 他 的 儿 子 三 太 子 带 上 兵 , 去 把 哪<br />

吒 捉 来 。 他 的 兵 是 什 么 呀 , 是 虾 、 鱼 、 蚌 、 螃 蟹 , 哩 哩 啦 啦 的 一 大 串 。<br />

三 太 子 冲 出 水 面 , 对 哪 吒 说 :“ 打 死 我 家 夜 叉 的 是 你 吗 ?”<br />

哪 吒 说 。“ 是 我 , 是 我 。 我 好 好 儿 的 在 洗 澡 , 你 家 夜 叉 话 不 问 一 句 , 就 拿 斧 头 劈 我 , 我<br />

用 乾 坤 圈 碰 了 他 一 下 , 他 就 死 了 . 他 那 么 大 的 个 儿 , 怎 么 一 点 儿 也 挨 不 起 打 呀 ?”<br />

三 太 子 蛮 不 讲 理 , 举 起 枪 就 刺 , 哪 吒 让 了 他 好 几 次 , 可 是 三 太 子 就 是 不 放 过 他 。 哪 吒<br />

急 了 , 就 把 混 天 绫 一 扔 , 这 混 天 绫 马 上 喷 出 一 团 团 火 焰 , 把 三 太 子 紧 紧 裹 住 , 怎 么 也<br />

逃 不 掉 。 哪 呢 又 拿 乾 坤 圈 一 打 , 把 三 太 子 也 打 死 了 , 吓 得 那 些 虾 兵 蟹 将 连 滚 带 爬 地 钻<br />

到 水 里 去 。<br />

三 太 子 一 死 , 就 现 出 原 形 来 了 , 原 来 是 一 条 小 龙 。 哪 吒 把 他 拖 到 岸 上 , 心 想 : 爸 爸 少<br />

一 根 腰 带 , 我 把 这 小 龙 的 龙 筋 抽 出 来 , 搓 一 根 腰 带 送 给 爸 爸 不 好 吗 ? 他 就 把 小 龙 的 龙<br />

筋 一 根 根 的 抽 了 出 来 , 带 回 家 去 。<br />

龙 王 听 说 自 己 的 儿 子 也 被 哪 吒 打 死 了 , 又 是 伤 心 , 又 是 生 气 , 就 变 成 一 个 读 书 人 的 样<br />

子 , 离 开 水 晶 宫 , 来 找 李 靖 了 。 龙 王 气 冲 冲 地 对 李 靖 说 ;“ 你 生 的 好 儿 子 , 打 死 了 我 家<br />

夜 叉 , 又 打 肥 我 的 三 太 子 !”<br />

Prosa<br />

李 靖 说 ;“ 你 弄 错 了 吧 , 我 的 儿 子 哪 吒 才 七 岁 , 能 打 死 人 吗 ?”<br />

龙 王 说 :“ 你 不 信 , 就 把 他 找 来 问 一 问 。”


DRACHEN|März 2017<br />

31<br />

李 靖 找 了 前 屋 我 后 屋 , 又 找 到 花 园 里 , 哪 儿 也 没 找 着 哪 吒 。 原 来 哪 吒 躲 在 一 间 小 屋 子<br />

里 , 在 搓 龙 筋 呢 。 李 娟 好 容 易 才 找 到 他 :“ 你 在 这 小 屋 子 里 做 什 么 ?”<br />

哪 旺 说 :“ 爸 爸 , 我 今 天 打 死 了 一 条 小 龙 , 抽 了 他 的 筋 , 正 在 给 你 搓 腰 带 呢 。”<br />

李 靖 这 才 知 道 哪 吒 真 的 闯 了 大 祸 。 只 好 带 了 他 去 见 龙 王 。 哪 吒 看 见 龙 王 就 说 :“ 老 伯 伯 ,<br />

请 您 别 生 气 。 我 不 是 故 意 打 死 你 家 三 太 子 的 。 他 用 枪 刺 我 , 我 让 了 他 好 几 次 , 可 是 他<br />

还 一 个 劲 地 追 着 打 我 。 我 没 法 儿 了 , 才 还 了 手 , 不 小 心 把 他 打 死 了 。 您 瞧 , 这 是 从 他<br />

身 上 抽 下 来 的 龙 筋 , 还 给 您 就 是 了 。”<br />

龙 王 看 见 儿 子 的 龙 筋 , 更 加 伤 心 了 , 就 说 :“ 我 的 儿 子 能 让 你 白 白 打 死 吗 ? 我 要 到 天 宫<br />

去 告 你 的 状 。” 说 完 , 就 乘 着 云 彩 上 天 宫 去 了 。( 中 国 历 史 故 事 网 )<br />

Caroline M. Herzog<br />

Nezha und das tosende Meer<br />

Es kennt / die Antike / und fastet / der Meister.<br />

Mitten in der Nacht, als der Donner grollte und ein Blitz<br />

aufleuchtete, flog der Drachenkönig Ao Guang zum Himmelspalast,<br />

wo die Götter wohnten. Angekommen, erzählte<br />

er, dass Nezha, ein siebenjähriger Knabe, seine<br />

drei Kronprinzen getötet hatte. Ganz unauffällig nahm er<br />

eine verbotene Frucht, die Unsterblichkeit verleiht, und<br />

schluckte sie. Diese Speise war den Göttern vorbehalten,<br />

die auch den Wein tranken, der alle Sorgen vergessen<br />

macht.<br />

Der Himmelsgott zürnte Ao Guang und sprach: „Du wirst<br />

den menschlichen Knaben nicht bestrafen, bis zu dem<br />

Tag, an dem der junge Phosphor glüht. Dann magst du<br />

mit ihm kämpfen.“ Ao Guang bedankte sich und kehrte in<br />

sein Reich zurück.<br />

Das Reich des Drachenkönigs erstreckte sich im Ostchinesischen<br />

Meer bis zu den fernen Inseln. Ao Guang<br />

wohnte in einem Kristallpalast am Boden des Meeres,<br />

ganz in der Nähe der Küste von Shanghai.<br />

Dort wuchs auch Nezha auf, der als Erinnerung an seinen<br />

Kampf mit den drei Drachen, die Feuer, Schneesturm und<br />

Wasser über seine Heimat gebracht hatten, einen Gürtel<br />

besaß. Diesen hatte er aus dem Muskelfleisch des Feuerdrachen,<br />

eines Sohnes von Ao Guang, mit den Fingern<br />

gedreht.<br />

Sein Vater war der General Li Jing, der in der Tang-Dynastie<br />

um 600 unserer Zeitrechnung in der Armee diente.<br />

Der Vater war stolz auf seinen Sohn, der schon gehen<br />

und sprechen konnte, als er auf die Welt kam. Jedoch<br />

liebte auch die Mutter den Knaben heiß.<br />

Eines Tages, als Nezha im Meer badete, begegnete er<br />

dem Drachenkönig. Ao Guang hob sich aus dem Meer<br />

und verkündete Nezha: „Wir sehen einander wieder am<br />

Tag, an dem der junge Phosophor glüht.“<br />

Der Knabe war nachdenklich und ging zu seinem taoistischen<br />

Lehrer. Er erzählte ihm die Worte, die der Drachenkönig<br />

zu ihm gesprochen hatte. Der Meister sprach<br />

zu Nezha: „Du wirst von nun an Taiji üben, damit du in<br />

der Kriegskunst geschult bist, wenn du diesem Monster<br />

entgegentrittst.“<br />

Er fuhr fort: „Du weißt, der Weg ist das Ziel. Das Beste,<br />

was du tun kannst, ist, nichts zu tun. Dann wirst du spüren,<br />

du bist wie das Wasser, das stärker ist als ein Felsen.<br />

Denn am Ende wird es den Felsen zu Sand waschen,<br />

obwohl das Wasser weich ist und der Felsen hart. Das<br />

Weiche ist stärker als das Harte, denn in vielen Jahren<br />

wird es gewinnen.“ Nezha nickte.<br />

Der Meister sprach: „Geh in die Höhle, in der ich wohne,<br />

und übe das Schattenboxen. Du musst schneller werden<br />

als dein eigener Schatten. Denn du hast einen großen<br />

Kampf vor dir, wenn du Shanghai retten und den Menschen<br />

helfen willst. Wenn der da zurückkehrt, wird die<br />

Erde beben.”<br />

Nezha bedankte sich und betrat die dunkle Höhle. Ein<br />

Lichtstrahl der untergehenden Sonne malte sich an die<br />

Wand, und Nezha begann, gegen seinen eigenen Schatten<br />

zu kämpfen. Er übte Tag um Tag, Woche um Woche<br />

in der Höhle des Meisters, ohne sich mit anderen Men-<br />

Prosa


32 DRACHEN|März 2017<br />

Prosa<br />

schen zu unterhalten. Dabei erlernte er die Kriegskunst.<br />

Zum Abschied, als Nezha schon ein Jüngling war und zu<br />

seinen Eltern zurückkehrte, schenkte ihm der Meister<br />

ein Armband, das Himmel und Erde umfasst. Er meinte,<br />

dieses werde Nezha im Kampfe helfen, der ihm bevorstand:<br />

„Der glühende Phosphor ist ein Jüngling in seiner<br />

vollen Kraft“, erklärte er Nezha, „jetzt ist die Zeit gekommen,<br />

da du dich mit dem Monster aus dem Meer messen<br />

musst.“<br />

Die Menschen in der Stadt waren Nezha dankbar. Die<br />

drei Drachen, die er im Kampfe besiegt hatte, hatten Tod<br />

und Zerstörung über Shanghai gebracht. Seit fast zehn<br />

Jahren war das Meer wieder ruhig. Ao Guang hatte sich in<br />

die Tiefen des Meeres zurückgezogen.<br />

Das Mondfest stand bevor, der Tag, an dem der volle<br />

Mond heller strahlt als jemals sonst im Jahr. Die Menschen<br />

stiegen auf Schiffe und fuhren aufs Meer hinaus.<br />

Ein jeder brachte reichliche Gaben für den Drachenkönig.<br />

„Nimm unser Opfer freundlich an,<br />

verschone uns vor Flut und Feuer!<br />

So lenkt die starke Hand das Steuer<br />

auf unsrem schnellen Fischerkahn.“<br />

Die Menschen beteten die Ungeheuer aus der Tiefe an,<br />

denn diese sollten ihnen gnädig sein und nicht Unheil<br />

über die Stadt bringen. Einer warf ein gegrilltes Ferkel<br />

ins Meer, dazu gekochten Reis und Reiswein. Ein anderer<br />

warf gebratenen Lachs ins Meer, andere wiederum Rindfleisch<br />

und grünen Tee.<br />

Im Kristallpalast türmten sich die Gaben auf dem Tisch,<br />

die von den furchtsamen Menschen geopfert wurden.<br />

Der Drachenkönig lachte und feierte mit seiner Armee.<br />

Seine Soldaten waren Krabben, die eine Kette bildeten<br />

und in vielen Reihen hintereinander schwammen. Außerdem<br />

gab es Haifische, die sich wie in einer Phalanx aufstellten,<br />

dazu gewöhnliche Wasserschlangen, deren Biss<br />

giftig war.<br />

Sie alle feierten und fraßen und tranken, was die Menschen<br />

ihnen zugedacht hatten. Auch der Bruder des Drachenkönigs<br />

war eingeladen, der sich mit jenem verbündet<br />

hatte. Gemeinsam wollten sie gegen Nezha kämpfen<br />

an jenem Tag, den der Himmelsgott vorbestimmt hatte.<br />

Nezha war herangewachsen, er war fast schon ein Mann<br />

mit kräftigen Armen und Beinen. Er feierte seinen sechzehnten<br />

Geburtstag. Gemeinsam mit Freunden ging er an<br />

die Küste, um im Meer zu baden, denn die Sonne strahlte<br />

hell und keine Wolke war zu sehen.<br />

Der Jüngling dachte nicht an die Worte des Meisters,<br />

er dachte nicht an die Drachen in der Tiefe, sondern er<br />

spielte mit seinen Freunden und schwamm mit ihnen um<br />

die Wette.<br />

Plötzlich sah er aus der Ferne ein Leuchten, wie ein Wetterleuchten.<br />

Seine Gefährten kümmerten sich nicht darum<br />

und vergnügten sich im Wasser. Bald verdunkelte<br />

sich der Himmel, schwarze Wolken zogen auf, und seine<br />

Freunde gingen wieder an Land. Sie verabschiedeten<br />

sich, als Nezha sich an die Küste setzte und wartete.<br />

Er dachte an die Worte des Meisters. Er war ein junger<br />

Mann geworden, im Kampf geübt und voller Kraft. Um<br />

seine Lenden trug er den Gürtel, den er aus eines Drachen<br />

Muskelfleisch gedreht hatte. Das Armband des<br />

Himmels und der Erde von seinem Meister trug er am<br />

Handgelenk. Nezha hatte keine anderen Waffen, doch<br />

seine Geschicklichkeit würde ihm helfen.<br />

Donner grollte, ein Blitz schlug auf den Bergen ein, ein<br />

kleines Feuer. Dann kam der große Regen. Das Meer<br />

türmte sich meterhoch, und aus diesen hohen Wellen<br />

stieg eine wohlbekannte Gestalt: Ao Guang.<br />

Der Drachenkönig maß mehr als zehn Ellen, auf seinem<br />

Rücken wuchsen Flügel, und im Flug schien es, als zöge<br />

er einen Feuerschweif hinter sich her. Nezha erkannte<br />

ihn sofort und wusste, der Meister hatte die Wahrheit gesprochen.<br />

Dies war die Stunde, die entscheiden würde<br />

über sein Leben oder seinen Tod.<br />

Auf einmal tauchte ein zweiter Drache aus dem Meer auf,<br />

es war der Bruder von Ao Guang. Nezha warf sich auf ihn<br />

und packte ihn am Rücken. Der Drache drehte und wendete<br />

sich, doch Nezha gelang es, das Monster mit dem<br />

Gürtel zu fesseln, den er um seine Taille trug. Er zog diese<br />

Schnur aus Faserfleisch um die Kehle des Ungeheuers<br />

zusammen, da hauchte es sein Leben aus.<br />

Der Drachenkönig zeigte seine ganze Macht und Stärke:<br />

Er bäumte sich auf, spie Feuer und hob sich in die<br />

Luft. Der Wald nahe der Küste brannte, auch ein paar<br />

Hütten, die in der Nähe standen. Nezha hatte nur mehr<br />

einen Gegner. Als Ao Guang wieder das Wasser berührte,<br />

schleuderte ihm Nezha das Armband des Himmels und<br />

der Erde ins Gesicht.<br />

Da geschah mit Ao Guang eine Verwandlung: Sein gewaltiger<br />

Körper schrumpfte und wurde ganz klein, auch die<br />

Flügel verschwanden. Nezha stürzte sich mutig auf die<br />

Seeschlange, die einst der Drachenkönig gewesen war.<br />

Er wollte auch diese mit seinem Gürtel töten. Ein kurzer


DRACHEN|März 2017<br />

33<br />

Moment der Unachtsamkeit. Der Kopf der Seeschlange<br />

entglitt seinen Fingern. Sie biss ihn in den Unterarm.<br />

Im nächsten Augenblick tauchte sie in die Tiefe und war<br />

nicht mehr zu finden.<br />

Nezha schwamm mühevoll zum Ufer. Er zog sich an Land,<br />

wollte zu seinen Eltern nach Hause gehen, um ihnen zu<br />

erzählen: „Ich habe den Drachenkönig besiegt. Er ist nur<br />

mehr eine Seeschlange. Er kann kein Unheil mehr stiften!“<br />

Doch da verließ ihn die Kraft, und er fiel zu Boden<br />

und war tot.<br />

Die Eltern waren bestürzt über den Tod des Jünglings, der<br />

für die Menschen von Shanghai die Monster aus der Tiefe<br />

des Meeres besiegt hatte. Seine Mutter weinte gar lange,<br />

bis sie endlich einschlief.<br />

Nezha erschien ihr im Traum. Er sprach zu ihr: „Mutter,<br />

der Drachenkönig ist unsterblich. Er ist aber nur mehr<br />

eine kleine Seeschlange, er wird kein Unheil mehr über<br />

euch bringen.“ Die Mutter umarmte ihn. Er bat sie: „Errichtet<br />

für mich einen Tempel, damit die Erinnerung an<br />

mich nicht dem Vergessen anheimfällt.“ Daraufhin entließ<br />

sie der Schlaf.<br />

Bald stand in Shanghai ein prachtvoller Tempel, geschmückt<br />

mit Blumen und Girlanden, in dem Räucherstäbchen<br />

dufteten und viele Kerzen leuchteten. Zur Erinnerung<br />

an Nezha, den Schutzgott der Stadt, der den<br />

Drachenkönig besiegt hatte. Nun war das Meer ruhig,<br />

und die Schiffe fuhren aus zu fernen Stränden, um Handel<br />

zu treiben. Die Menschen waren fröhlich und dankten<br />

dem jungen Gott, der sich für sie geopfert hatte.<br />

Raoul Eisele<br />

wenn du nach fußspuren gefalteter drachen im vergrabenen<br />

laub suchst stößt du auf u stößt dich an blattspitzenecken<br />

der papierkisten winziger wortdiamanten tausendueinernacht<br />

/ u wenn du fällst zwischen baumwipfeldiademen<br />

schwimmender blattgoldfische im regentropfenstrom kleidet<br />

die retina dich mit sherazadenschmuckfarben aus / in<br />

denen ich mich verlor / u getrocknete falter fallen in lufthohen<br />

farbaufgetragenen meerengen herab wenn sie seerosenblätter<br />

verzieren malen mauerblümchen atemflocken<br />

zur winterwende um schneegestöberrauschen zu vermeiden<br />

/ findest du dich auf entfalteten gondeln über leerstellen<br />

fahrend liegen / u hinter dir fenice<br />

Caroline M. Herzog<br />

Geb. 1966 in St. Pölten; Studium Englisch, Französisch an der<br />

Universität Wien, Studien der chinesischen Sprache und Kultur;<br />

Übersetzerin für 17 Sprachen, ehemals Autorin für das Wiener<br />

Journal; Übersetzungen, Prosa und Lyrik.<br />

Raoul Eisele<br />

Geb.1991 in Eisenstadt – lebend in Wien. Studium der Germanistik<br />

BA und Komparatistik BA (abgeschlossen) Aktuell Germanistik<br />

MA. Veröffentlichungen: why nICHt? Magazin 1-4 (Literaturmagazin<br />

der Komparatistik Universität Wien), Bücherstadt Kurier<br />

Nr. 21, mosaik freiVers, silbende_kunst Nr. 14., Fixpoetry mosaik<br />

freiText, Inskriptionen (neue Literatur abseits vom Mainstream),<br />

Signaturen Magazin; Textgattungen: Gedichte/Kurzgeschichten<br />

Lyrik


34 DRACHEN|März 2017<br />

Oliver Jung-Kostick<br />

Die Saat des Drachen<br />

I Drachenzähne<br />

Ging heute vom Sammelgebäude zur Mensa.<br />

Rechts des Weges, auf einem schmalen Streifen zwischen<br />

dem Pflaster und der Ostwand des viereckigen Turmes, sah<br />

ich das Feld bestellt: braune, fruchtbare Erde, tiefe Furchen,<br />

eine neben der anderen.<br />

Die Erde bereitet für die Saat des Drachen.<br />

Drachenzähne.<br />

Kadmos säte sie aus, um ein Heldengeschlecht wachsen zu<br />

lassen, hart genug für seine Pläne, die den Krieg meinten,<br />

nur fünf von ihnen überlebten und schlossen Frieden.<br />

Heute anders.<br />

Die Frau sah das anders, aber welche Qualität hatte dieses<br />

Sehen?<br />

II Lasst uns fröhlich sein<br />

All die kleinen Erbsen und Karotten hüpfen frohen Mutes in<br />

die Dosen von »Bonduelle«. All die kleinen Selbstmörder gehen<br />

in das Sammelgebäude, öffnen das Fenster und hüpfen<br />

von der Absprungrampe.<br />

Ich sehe vor meinem geistigen Auge, wie sie ihre Hände aneinanderlegen,<br />

der beinerne Bug, die spitze Form, die die<br />

Luftmassen teilt, und sie säen sich selbst aus, die Saat des<br />

Drachen.<br />

Drachenzähne.<br />

Sind sie Zähne, sind sie nicht Samenkörner im eigentlichen<br />

Sinne des Wortes?<br />

Zähne, die ausfallen, haben ihre Funktion verloren, sind nutzlos;<br />

ein Samenkorn, das ausfällt, bereitet den nächstnotwendigen<br />

Schritt seiner Entwicklung vor.<br />

Prosa<br />

Auch dieses Jahr ist wieder ein Mensch vom Sammelgebäude<br />

in den Tod gesprungen. Nicht der erste, nicht der letzte.<br />

Die Frau ging einfach in den sechsten Stock des Universitätsgebäudes,<br />

in das leer stehende, nach Westen zeigende<br />

Sprachlabor, öffnete ein Fenster und sprang.<br />

Sie sprang, fiel, und schlug auf – unbemerkt. Nur zufällig<br />

entdeckt von einer Studentin, die gerade vom Mittagessen<br />

kam. Die Frau in die Hecken gebettet, das Harte an ihr zerbrochen,<br />

um weich zu werden, und das Weiche wird hart<br />

werden im Tod.<br />

Am Ende endet alles dort, Rigor mortis, der Tod ein Hort, und<br />

es scheidet sich das wieder weicher werdende Fleisch, das<br />

verfaulende, von den Knochen, bis diese endlich auch zerfallen<br />

und das Vorangegangene einholen, der Tod ein Hort.<br />

Auf der anderen Seite des Hauses wäre ihr das Bett bereitet<br />

gewesen, das Feld, in dem sie sich selbst hätte aussäen<br />

können, um – ja weshalb, wofür – um ihr Leben fruchtbar zu<br />

machen??<br />

Jedes Leben ist fruchtbar.<br />

Wer leben will wie Gott auf dieser Erde, muss sterben wie<br />

ein Weizenkorn, muss sterben, um zu leben, sagt ein altes<br />

Kirchenlied.<br />

Welche Pflanze wäre aus der jungen Frau gewachsen? – Jeder<br />

von uns ist so vielseitig begabt – Wer weiß es? – Und<br />

dann all dieses ungelebte Leben, das noch in ihr war…<br />

Ein riesiger Baum, mit Vögeln, die singen und sprechen<br />

könnten, all dies singen und aussprechen könnten, was sie<br />

nicht zu singen und auszusprechen vermochte. Vielleicht<br />

war sie auch einfach zu mutlos dazu…<br />

III Ab mit euch, auf die Rampen!<br />

Durch ihr Beispiel ermuntert, würden immer mehr Menschen<br />

aus dem Sammelgebäude springen, um zu dem zu werden,<br />

was sie sind, wenn sie glauben, es im Leben nicht erreichen<br />

zu können.<br />

Das Sammelgebäude würde bald umwuchert sein von Fantasien.<br />

Dann kämen die flacheren Gebäude an die Reihe. Studenten,


DRACHEN|März 2017<br />

35<br />

Professoren und Angestellte gingen viel lieber als früher zur<br />

Universität. Ihre Selbstverwirklichungsversuche bekämen<br />

eine interaktive Note, eine Umweltverträglichkeit, von der<br />

sie nie zu träumen gewagt hätten.<br />

Das Universitätsbauamt würde schließen. Nicht aus Verzweiflung<br />

über die täglich anschwellende Vegetation, sondern aus<br />

Einsicht in die eigene Überflüssigkeit, da die aufwachsende<br />

Saat des Drachen Schutz und Pflege der universitären Einrichtungen<br />

übernähme. Nun wären die Beamten frei, nach<br />

Hause zu gehen oder zu bleiben, die Ärmel hochzukrempeln<br />

und ihr Leben zu leben.<br />

Frei, sich auszusäen, frei, fruchtbar zu sein.<br />

Fixierung auf Goldenes zu diskutieren. Er ist so intelligent<br />

– warum hinterfragt er sich nicht selbst? Warum lässt er<br />

zu, dass die Gier ihn an Geraubtes fesselt? Woher diese<br />

Passivität? Wo er doch fliegen könnte …! (Da kann ich nur<br />

bei mir den Kopf schütteln …)<br />

Der Frau Malzahn würde ich auf die Finger geklopft haben<br />

– doch sie kam mir durch die Verwandlung in einen<br />

»Goldenen Drachen der Weisheit« zuvor. Nun wären meine<br />

Hinweise zu gewaltfreien Unterrichtsmethoden überflüssig,<br />

und die Wahrscheinlichkeit doch sehr viel größer, dass sie<br />

mir (im übertragenen Sinne) auf die Finger klopfte. Aber<br />

davor hätte ich keine Angst, ich bin nicht so empfindlich,<br />

wenn es was zu lernen gibt.<br />

So oder so.<br />

Drachen und Gedächtnis<br />

Eine Betrachtung für <strong>etcetera</strong><br />

Dem Ouroboros würde ich versuchen, die Angst vor dem<br />

Loslassen zu nehmen, wie das Leben sie mir genommen<br />

hat. Was immer ein Zugewinn war. Was für mich bestimmt<br />

ist, bleibt auch ohne Zwang mir nah, kommt ohne Verbissenheit<br />

und Verdruckstheit auch freiwillig zu mir.<br />

Wenn ich an Drachen denke, verwundert mich immer wieder,<br />

wie die Menschheit ihre größten und liebsten Fabelwesen<br />

entlang der erst so viel später gefundenen Dinosaurierfragmente<br />

quasi vorauseilend zusammenfabuliert hat.<br />

Drachen und Humanoide durchstreiften ja niemals gleichzeitig<br />

die Erde, aber man könnte meinen, erstere hätten<br />

sich durch ständige Beobachtung ins kollektive Gedächtnis<br />

der letzteren eingebrannt. Oder als hätte die Landschaft<br />

nicht nur Fußabdrücke, Eier und Skelette bewahrt, sondern<br />

auch eine Art „genius draconic”, den sie unablässig<br />

ausatmete wie einen Lebenshauch. Die ersten Menschen<br />

saugten ihn in sich auf, er arbeitete in ihnen, in Träumen<br />

und Ängsten und Hoffnungen, und so führte das eine zum<br />

anderen und schließlich später zur Entstehung all dieser<br />

Drachenbilder, –statuen und -erzählungen …<br />

Simpel strukturierte »Christen« in den USA behaupten ja<br />

auch heute noch fröhlich, dass es so war. Das wiederum<br />

glaube ich nicht. Das wäre viel zu einfach. Das wahre Rätsel<br />

ist ja die Entstehung des Drachen als Mythos und Bild gerade<br />

weil die Bildner und die Modelle sich nie begegneten.<br />

Der Tatzelwurm bräuchte vielleicht nur eine Leine und ein<br />

wenig liebevolle Erziehung, damit er nicht alles niederwalzt…<br />

Chaos ist nicht das Schlimmste – Untergang immer auch<br />

schöpferisch. Von daher schätze ich die Drachen einfach<br />

ungemein. Und hätte nichts dagegen, einen zum Freund zu<br />

haben…<br />

Wie dem auch sei – ich liebe sie. Egal ob sie Smaug oder<br />

Frau Malzahn heißen, Ouroboros oder Tatzelwurm. Ich<br />

mag sie alle, obwohl ich sie fürchte, durchaus nicht unterschätze.<br />

Mit Herrn Smaug würde ich es lieben, über seine<br />

Oliver Jung-Kostick<br />

Lebt in Lichtenfels, Oberfranken, Deutschland. Autorenporträt auf<br />

https://www.autorenwelt.de/users/oliver-jung-kostick<br />

Facebook-Profil https://www.facebook.com/ojk96215lif/<br />

Prosa


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DRACHEN|März 2017<br />

37


38 DRACHEN|März 2017<br />

Doris Kloimstein<br />

Drachen<br />

Ein Dramolett<br />

Migrantin:<br />

Das Fabelwese?<br />

Einheimische:<br />

Das Fabelwesen.<br />

2 Frauen unbestimmten Alters zur Verschleierung der Tatsachen,<br />

genannt die Einheimische und die Migrantin<br />

Migrantin:<br />

Fabelwesen, Mehrzahl. (lächelt) Das Fabelwesen, Einzahl<br />

Zeit: Jetztzeit, später Nachmittag<br />

Ort: Wohnzimmer eines Einfamilienhauses in einer gediegenen<br />

Vorstadtsiedlung<br />

Einheimische:<br />

(versucht nicht zu seufzen; lächelt)<br />

Das Fabelwesen, Einzahl; die Fabelwesen, Mehrzahl.<br />

Also,…<br />

Prosa<br />

Wer mit dem Drachen spielt, bändigt das Feuer, das er speit,<br />

niemals. Nur Hausdrachen sind die Ausnahme – allem Anschein<br />

nach.<br />

Sinnspruch unbekannter Herkunft.<br />

Einheimische:<br />

Der Drache, Einzahl; nein nicht der Drachen …<br />

Migrantin:<br />

Drachen, die?<br />

Einheimische:<br />

Die Drachen ist die Mehrzahl; Plural.<br />

Migrantin:<br />

Frau is Drachen.<br />

Einheimische:<br />

(denkt kurz nach)<br />

O.K., wenn du gehört hast: „Die is aba a Drachn”, dann war<br />

das im Dialekt gesprochen und wer immer das gesagt hat,<br />

der oder die hat nicht von diesem Fabelwesen gesprochen,<br />

sondern die Aussage getätigt, dass eine Frau bissig ist. Das<br />

sagt man aber eigentlich nicht.<br />

Migrantin:<br />

Fabelwesen?<br />

Einheimische:<br />

Ja, Fabelwesen, das Fabelwesen; immer den Artikel gleich<br />

mitlernen.<br />

Migrantin:<br />

(unterbricht)<br />

Was ist Fabelwesen?<br />

Einheimische:<br />

Ein Fabelwesen ist so etwas wie ein Tier, aber es ist nicht<br />

real existent. Die Menschen haben sich diese Fabelwesen<br />

in der Fantasie ausgedacht. In der Mythologie, in Sagen, in<br />

Legenden kommen Fabelwesen vor. Ein Drache ist zum Beispiel<br />

ein Fabelwesen.<br />

Migrantin:<br />

(schaut verwirrt)<br />

Einheimische:<br />

Hast du mich verstanden?<br />

Migrantin:<br />

(lächelt) Nein<br />

Einheimische:<br />

(seufzt) Warte, ..<br />

(nimmt ihr Smartphone und googelt Bilder)<br />

Schau, das sind Drachen.<br />

Migrantin:<br />

(lächelt) Ah, verstehe.<br />

Einheimische:<br />

Ich wiederhole: Der Drache ist ein Fabelwesen. Es gibt aber<br />

auch Drachen für Kinder. Im Herbst lassen Kinder gerne ihre<br />

Drachen steigen.


DRACHEN|März 2017<br />

39<br />

Migrantin:<br />

(schaut verwirrt)<br />

du zurück in dein Quartier, in Wohnung, und wir machen uns<br />

neue Termin aus. Inschallah.<br />

Einheimische:<br />

(zu sich selbst)<br />

Ach Gott, das war jetzt wieder verwirrend.<br />

Migrantin:<br />

(lächelt, hält der/ der Einheimischen ihr Smartphone unter<br />

die Nase)<br />

Sprechen jetzt.<br />

Einheimische:<br />

(leicht gereizt)<br />

Nein dieses Übersetzungsapp is da totale Schaß! Die App,<br />

der App, hhhh, eh alles …. ( spricht nicht weiter, seufzt)<br />

Migrantin:<br />

(schaut traurig)<br />

Einheimische:<br />

(fasst sich wieder, lächelt, redet zu sich, aber ganz liebevoll)<br />

Wie bin ich nur auf Drachen gekommen? Ist das wesentlich<br />

für die Konversation auf Deutsch? Hl. Georg, Drachentöter,<br />

schau aba!<br />

(zur Migrantin gewendet)<br />

Schau runter, herunter, nicht hinunter oder doch hinunter,<br />

nein herunter.<br />

Der hl. Georg – wir haben in unserer Religion Heilige - , der<br />

Heilige Georg hat den Drachen getötet.<br />

Migrantin:<br />

Das Heilige?<br />

Doris Kloimstein<br />

Geb. 1959 in Linz, verwurzelt in Innsbruck; lebt und arbeitet in<br />

St. Pölten als Pädagogin, schreibt Lyrik, Prosa, Dramatisches;<br />

viele Reisen, u.a. Irak 2010, Südindien 2014; zahlreiche Veröffentlichungen,<br />

Preise und Stipendien, u.a. Literaturpreisträgerin<br />

des Landes NÖ; Förderpreis für Wissenschaft und Kunst der<br />

Landeshauptstadt St. Pölten; war mal Obfrau der Litges St.Pölten<br />

und Mitbegründerin von @cetera; Ehrung um Verdienste für die<br />

Colônia Tirol durch den brasilianischen Bundesstaat Espirito Santo;<br />

Mitglied im P.E.N.-Club, zur Zeit Generalsekretärin des Österr.<br />

P.E.N.; Literarisches u.a.: Kleine Zehen. Erzählung.- Edition die Donau<br />

hinunter, 2004; Blumenküsser. Kurzgeschichten aus dem Atlantischen<br />

Urwald Brasiliens.- Edition Innsalz, 2006; Paganini und<br />

die Überschwemmten von Saint-Etienne. Uraufführung im Theater<br />

Forum Schwechat 2004; Lyrikvertonungen durch die Komponisten<br />

Walter Breitner, Fridolin Dallinger, Willy Giefer, Balduin Sulzer,<br />

Franz Zebinger; zuletzt: Lazarus und sein Esel. Ein kleines, heiteres<br />

Singspiel über das ewige Leben in einem Aufzug. Musik: Balduin<br />

Sulzer. Konzertante Erstaufführung 2015, Konzertsaal der Österreichischen<br />

Gesellschaft für Musik, Wien<br />

Einheimische:<br />

Der Heilige – äh, das Heilige gibt es auch.<br />

(zu sich)<br />

I wir no narrisch.<br />

(lächelnd zur Migrantin)<br />

Ich zeige dir jetzt ein Foto von einem Flugdrachen – Paragleiter<br />

und dann fliegst du bitte ganz schnell nach Hause.<br />

Migrantin:<br />

(schaut verwirrt)<br />

Einheimische:<br />

(selbst verwirrt) Ich muss noch was arbeiten. Deshalb gehst<br />

Prosa


40 DRACHEN|März 2017<br />

Andrea Kraus<br />

Siegfried Drachentöter<br />

Uns ist in alten maeren wunders vil geseit<br />

Von helden lobebaeren von großer arebeit,<br />

von fröuden hochgeziten von weinen und von klagen,<br />

von küener recken striten muget ir nu wunder hoeren sagen:<br />

Do hot der große Siegfried den Drochen niederg´haut<br />

und sei gaunzes Leben auf Heldentum aufbaut.<br />

A Tat noch da aundern und in seiner Not<br />

Vertrauen zu ana Frau gfosst, aum Schluss worn olle tot.<br />

De Frauen san de Besn, mia haums scho immer g´wusst.<br />

De Mauna bringan d´Leit um, sich kana Schuid bewusst.<br />

Wia is es dazua kumman, dass mia olle glauben,<br />

D´Hausdrochen san de Weiber, a Höd des is a Maun?<br />

I mecht de G´schicht gern umdrahn, stölt´s eich amoi<br />

vor,<br />

de Kriemhield is allanig und steht durt vor dem Tor,<br />

wort stundenlaung aum Siegfried, de Brünhild kummt dazua,<br />

ziagt si kurz auf´d Seitn, sogt: „Hea ma amoi zua:<br />

„Du zogst einen Falken, der Liebe mit Leid dir lohnt,<br />

er hot mi vergewoltigt, weu des is er g´wohnt.<br />

Suach da doch an aundern, net stork, schen und wüd,<br />

mia Frauen verlieben uns meistens ins gewohnte Männerbüd.<br />

Mia hobn heit de Freiheit an Antihöden z´wöln<br />

Und miaßn uns net oiweu mit storke Männer quöln.<br />

Wo Höden san gibt’s Leichn des is a oide G´schicht<br />

de in meine Augen mit net vü Charme besticht.<br />

In ana Wölt zu leben in der vielleicht amoi,<br />

des gleiche Recht für olle güt, des tet ma wirklich g´foin.<br />

Drochen zu bekämpfen des is des Los des Lebens<br />

und´s Hödentum der Frauen, is meist die Kunst des Gebens.“<br />

Lyrik<br />

Ich liebe diese maere doch anes waaß i g´wiss:<br />

Heit zück ma unsre Speere, waun wos unfair is.<br />

Mei Reim der endet weiblich, des wor bisher söten:<br />

Host daham an Höden, host söwa nix zum möden.<br />

Andrea Kraus<br />

Geb. 1974 in Wien; Lehramtsstudium Germanistik - Bewegung und<br />

Sport, Sportwissenschaften, Deutsch als Fremdsprache, Disserta-


DRACHEN|März 2017<br />

41<br />

tionsstudium Gewaltprävention; Lehrende für Sport und Deutsch<br />

in Schule, Pädag. Hochschule und Universität; Preise und Förderungen:<br />

BM für Bildung, Drama Slam, Poetry Slam, Schreibzeit.


42 DRACHEN|März 2017<br />

Falk Andreas Funke<br />

Siegfried und die Drachenschützer<br />

Theaterstückchen in einem Akt<br />

Personen: Siegfried, angehender Held; Erster und Zweiter Drachenschützer (DS), später ein Feuerdrache.<br />

Ort: ein Felsengelände, rechts der Eingang zur Drachenhöhle, im Hintergrund Wald und Wiese, auf der Siegfrieds Pferd,<br />

ein Schimmel, grast.<br />

Siegfried:<br />

Wenn man sich einem Drachen naht, wandernd auf dem schärfsten Grat, erntet man nur Feuerplagen.<br />

Und doch will ich zum Kampf mich wagen, um Held zu werden in den Sagen.<br />

Erster DS:<br />

(tritt hinter einem Felsen hervor und Siegfried in den Weg. Hält ihn mit vorgestrecktem Arm auf Ab-<br />

stand)<br />

Dem gilt`s den Riegel vorzuschieben gleich Schelmen oder dreisten Dieben …<br />

Siegfried:<br />

Potzblitz, was fällt ihm ein?<br />

Zweiter DS:<br />

(erscheint hinter dem Rücken des Ersten)<br />

und Mördern, die bewegt von eitlen Trieben, den zu töten suchen, den wir lieben.<br />

Siegfried:<br />

Ihr sprecht vom Drachen? Die Herren verzeihn, doch ich muss lachen.<br />

Erster DS:<br />

Dem einen ist es wohl, dem andern wehe. So mancher lebt mit Drachen doch lange schon im Bund<br />

der Ehe.<br />

Siegfried:<br />

So wird`s bei mir nicht werden.<br />

Zweiter DS:<br />

Ich hörte jüngst von einem, den zog es hin zu Pferden.<br />

Erster DS:<br />

Bist du wohl stille!<br />

Siegfried:<br />

Es ist mein felsenfester Wille. Dies Schwert wird heute noch die Lindwurmhaut durchstechen.<br />

Erster DS:<br />

Das würde sich in eurem Falle rächen.<br />

Zweiter DS:<br />

Wer Drachen meuchelt, der muss blechen.<br />

Siegfried:<br />

Sagt wer?<br />

Erster DS:<br />

Sagt Robin Drach.<br />

Prosa<br />

Siegfried:<br />

Erster DS:<br />

Noch nie von diesem Mann gehört. Ein Narr, der sich getraute und einen Sagenhelden stört.<br />

Ich bin`s …


DRACHEN|März 2017<br />

43<br />

Zweiter DS:<br />

… genau wie ich. Und jeder, der sich zu unsrem Bund verpflichtet und unsren heilgen Eid gelobt, der<br />

Drachenschänder richtet.<br />

(Ein Feuerstoß schießt aus dem Eingang der Drachenhöhle und über die Akteure hinweg. Im Höhleneingang<br />

erscheint ein Drachenkopf von Qualm umwabert)<br />

Drache:<br />

(mit einer Stimme wie Donnergrollen) Ich bin der Drache! Ich rufe Rache! Vernichtet ist die Brut, die<br />

mich nicht schlafen ließ, der ich mit meinem Atem das Lebenslicht ausblies.<br />

Siegfried:<br />

(versengt mit Haut und Haaren) Vorbei der Traum vom Bade im heißen Drachenblut. Mir täte eine<br />

Wanne voll kühlem Wasser gut.<br />

Erster und<br />

Zweiter DS:<br />

(gleichfalls versengt) Ach, unser Schützling weiß nicht, wer seine Freunde sind, ist er doch nur ein<br />

dumm gewaltges Drachenkind.<br />

Erster DS:<br />

So ist der heilge Bund zerschlagen, weil er sich schlecht rentiert. Dem Freund geht`s an den Kragen,<br />

wie dem, der opponiert.<br />

Zweiter DS:<br />

Rau ist es auf dieser Erden. Und doch, was anders könnt`es werden, ich glaub, mich zieht es hin zu<br />

Pferden.<br />

(wirft eine sehnsüchtigen Blick auf Siegfrieds Schimmel, der unbeirrt im Hintergrund weidet)<br />

Vorhang und Ende<br />

Falk Andreas Funke<br />

Geb. 1985 und geblieben in Wuppertal, Verwaltungsangestellter. Seit 2001 Veröffentlichungen in div. Anthologien, Zeitschriften und<br />

beim Westdeutschen Rundfunk. Seit 2001 Mitarbeiter des Satiremagazins „Italien“, Wuppertal. Bislang drei Bücher, Tier und Tor, 2004;<br />

Ballsaal für die Seele, 2010 (jeweils Turmhut-Verlag), Krause, der Tod und das Irre Lachen (Verlag Thomas Tonn, 2012)<br />

Andreas.Funke@arbeitsagentur.de<br />

Prosa


44 DRACHEN|März 2017<br />

Peter Paul Wiplinger<br />

Du böses Kind<br />

Prosa<br />

schreit auf du böses kind schreit auf ich schlage dich noch windelweich<br />

und schlag auf schlag brennt dann die wange brennt<br />

das gesicht schreit auf das wirst du mir noch büßen du bengel<br />

du du taugenichts du tunichtgut du ärgerst mich nicht noch<br />

einmal und klatsch da hast du eine das wirst du dir noch merken<br />

ein leben lang das sag ich dir das tust du mir nie wieder<br />

kehr jetzt die scherben auf und wisch das wasser weg dann<br />

kommst du in den keller und das auf niemehrwiedersehen erst<br />

wenn ich dich am abend rufe und ab ins bett dann ohne abendbrot<br />

nur mit dem nachtgebet und daß du alle um verzeihung<br />

bittest den lieben gott die heilige maria und deinen schutzengel<br />

und auch noch mich dann liegst du regungslos im dunkeln<br />

die gitterstäbe trennen dich vom raum und durch das fenster<br />

kommt die kälte die decke hat sie dir noch weggenommen damit<br />

du frierst und nicht vergißt was du getan jahrzehnte später<br />

meidest du den keller fürchtest du das dunkel du haßt fast alle<br />

frauen und kannst nicht lachen wie die andern du schüttest<br />

wein in dich hinein du gehst zu bett auch ohne abendbrot und<br />

fernsehbilder flimmern grell bis in die tiefe nacht du schlägst<br />

dein kind genauso wie sie dich geschlagen und schreist es an<br />

das tust du mir nie wieder und schreist es an das wirst du dir<br />

noch merken bis an dein lebensende und bringe keinen deiner<br />

freunde mit ins haus und komm nie später als die fünf minuten<br />

die wir ausgemacht und lümmle nicht bei tisch und rede<br />

nur wenn du gefragt und sei nicht frech verschwinde in dein<br />

zimmer und laß so schnell dich nicht mehr blicken erst mußt<br />

du lernen zu gehorchen dann kannst du eine eigene meinung<br />

haben erst mußt du etwas leisten dann kannst du reden vorher<br />

nicht und überhaupt mir sagst du gar nichts ich höre dir<br />

nicht zu und überhaupt scher dich zum teufel du bist wie deine<br />

mutter und überhaupt wer glaubst du wer dich füttert hier an<br />

diesem tisch und wer dich aufgezogen hat und alles zahlt und<br />

wer sich täglich schindet nur für dich daß du es besser hast<br />

als ich denn ich hab nichts gehabt zu meiner zeit und keinen<br />

mucks durfte ich machen als ich so alt war wie du jetzt und<br />

komm mir nicht mit andern zeiten und dem gewäsch von einer<br />

andern welt ihr seid doch alle gleich schmarotzer seid ihr alle<br />

nervensägen und frech noch obendrein du kannst gleich eine<br />

haben da bist du mir noch nicht zu alt und klatsch sitzt eine<br />

auf der wange und klatsch brennt das gesicht und dazu schreit<br />

er noch in einem fort du böser bengel du und taugenichts du<br />

böses kind du böses kind<br />

Peter Paul Wiplinger<br />

Geb. 1939 in Haslach, Oberösterreich. Schriftsteller und künstlerischer<br />

Fotograf. Lebt seit 1960 in Wien. Studium der Theaterwissenschaft,<br />

Germanistik und Philosophie. Vorwiegend Lyriker,<br />

aber auch Kulturpublizist und Prosa-Schriftsteller. Bisher 46 Buchpublikationen<br />

in 20 Sprachen und hunderte Beiträge in Zeitungen,<br />

Zeitschriften und Anthologien sowie Rundfunksendungen im<br />

In- und Ausland. Weitere Informationen unter www.wiplinger.eu<br />

www.wiplinger.at.tf


DRACHEN|März 2017<br />

45


46 DRACHEN|März 2017<br />

Peter Mitmasser<br />

D r a c h e<br />

DRACHE<br />

Als die Bundesrepublik Deutschland die Wehrpflicht wieder einführen wollte,<br />

haben die Gegner einen Drachen plakatiert, der stark gepanzert war und einen<br />

bemerkenswert kleinen Kopf hatte. Der Text dazu:<br />

„Ausgestorben! Zu viel Panzer, zu wenig Hirn“<br />

Inzwischen hat Deutschland sowohl Panzer als auch Hirn. Wie die das machen?<br />

RACHE<br />

Mein ist die Rache, sprach der Herr, Doch TTIP sagte: „Stop! Wir brauchen da<br />

weder den Herrn noch ein ordentliches Gericht. Wir nehmen ein privates<br />

Schiedsgericht. Da verlieren wir nie!“<br />

ACHE<br />

Das klare, kalte Wasser schießt schäumend zu Tal, in der Sonne funkeln die<br />

Tropfen wie Edelsteine oder Goldstücke. Die Repräsentanten eines Schweizer<br />

Nahrungsmittelkonzerns, der sich mit großem Weitblick auf Erwerb und Betrieb<br />

von Trinkwasserquellen spezialisiert hat, weil es bald weltweit Mangel an sauberem<br />

Trinkwasser geben wird, steht am Fuße des Wasserfalles und sieht schon<br />

die Edelsteine und Goldstücke ins eigene Portemonnaie fallen, da kommen die<br />

„Tiroler Schitzen“ und bauen sich zwischen Schweizern und unserem Wasser<br />

auf: „Nit mit ins“ sagen sie und die Schweizer suchen sich andere Quellen und<br />

versuchen entgegen den Regeln der Compliance, den Schitzenhauptmonn zu<br />

überreden. Aber sie haben sich geirrt. Bevor ein Tiroler Schitzenhauptmonn<br />

etwas vom Heiligen Land an Fremde, gar Ausländer, abgibt, marschiert er nach<br />

Bozen und Meran, um es zu mehren.<br />

CHE GUEVARRA, einst rechte und linke Hand Fidels, rotiert soeben im Grab, weil<br />

er befürchtet, dass die Öffnung seiner geliebten Zuckerinsel nur den Zustand<br />

vor der Revolucion wieder herstellen und aus Cuba ein großes Puff mit<br />

Spielcasino machen wird.<br />

HE<br />

bedeutet in Englisch „Er“ sollte es aber deutsch sein, so wäre es zumeist unfreundlich:<br />

„He...Sie da...!“<br />

E NDE<br />

des Drachens. Nur die Chinesen versuchen noch, ihn am Leben zu halten<br />

und malträtieren ihn mit Nadeln in die Ohrläppchen.<br />

Es gab dann noch einen Mödlinger Dichter, für den man dem Drachen nur ein „E“ von hinten nehmen und in unseren<br />

Literaturtopf geben müsste: Albert Drach. 1902 bis 1995, Hauptberuf Anwalt, umfangreiches Oevre, einige bedeutendere<br />

Literaturpreise. Und trotzdem kennt man ihn kaum. Ist das das Schicksal der Literaten?<br />

Prosa<br />

Peter Mitmasser<br />

Geb.1939 in Wien, lebt in Wr. Neudorf. Einkaufsleiter in der Chemischen Industrie, studierte neben seinem Beruf Philosophie; mehrere<br />

Buchbeiträge. 2007 erschien sein erstes Buch „Glück aus dem Supermarkt”; 2013 „Ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft: oder Ein<br />

gutbürgerliches Trauerspiel” .


DRACHEN|März 2017<br />

47<br />

Ingrid Messing<br />

Von Menschen und Drachen<br />

Sie thront auf dem breiten Marmorsims vor dem Fenster.<br />

Dickbauchig mit Deckel. Unsere Porzellanvase. Chinesen<br />

mit Spitzbärten und schwarzen Hüten in langen Gewändern,<br />

Blumen, Blätter, Bäume, kleinere chinesische Vasen, Vögel,<br />

Verzierungen rundherum sind in den Farben blau, lila, grün<br />

eingebrannt. Und da meine Lieblinge: die Drachen. Golden<br />

schlängeln sie sich um den Bauch der Vase. Der Pferdekopf<br />

mit den Wolfszähnen und dann die fünf Klauen an den Beinchen.<br />

Ich lege eine Hand auf die Schuppenhaut des Drachens.<br />

Und lasse sie dort liegen.<br />

Mein Vater erzählt vom Sultan, von Banjermassin, Borneo,<br />

Geburtstag und Geschenk. Er hebt die Vase vom Klavier<br />

oben herunter, stellt sie auf seinen Schreibtisch. Er fasst<br />

den weißen Kugelgriff des Deckels, hebt ihn langsam hoch<br />

und zieht Schatz nach Schatz: Seidenstoffe, Batikstoffe, ein<br />

Schwert mit Elfenbeingriff. Zum Schluss der Köcher mit den<br />

Pfeilen.<br />

„Achtung, nicht anfassen! Da ist noch das Gift der Bataks von<br />

Borneo drin. Kopfjäger! Ich erzähle euch die Geschichte, als<br />

ich mit den Missionaren zu den Kopfjägern mitgefahren bin.“<br />

Augen werden größer, Münder öffnen sich, schließen sich<br />

wieder beim Wort: Krokodile. Finger drücken sich auf Lippen.<br />

Mein Vater verstaut die Schätze vorsichtig in der chinesischen<br />

Vase, stellt sie wieder aufs Klavier und hebt an:<br />

„ Diese Vase hat Berlin 1945 überlebt. Unbeschadet!“<br />

Jetzt kommt’s! Immer. Ich versteife, summe unhörbar in<br />

mich hinein, fliege mit den Vögeln auf der Vase weit weg von<br />

Frauen, Russen, Berlin 45. Ich komme zurück an der Stelle:<br />

„Die ganze Einrichtung im Haus war geplündert oder zerschlagen,<br />

nur die chinesische Vase stand da.“<br />

Lange Pause, bis ein Gast wisperte: Wie ist das möglich?<br />

„Für die Mongolen muss die Vase mit ihren Drachen von Bedeutung<br />

gewesen sein.“<br />

Ausatmen, Kopfschütteln.<br />

Ich ziehe meine Hand vom Drachen zurück. Die Gäste gehen<br />

zum Kaffeetisch. Ich starre auf die Zähne der Drachen. Ich<br />

drehe dann die Vase so, dass ich die Drachen nicht mehr<br />

sehen muss. Ich schaue, gehe ein paar Schritte zurück, sehe<br />

mich im Raum um. Das ist es.<br />

Ich reiße das Tischtuch vom kleinen Tischchen und werfe es<br />

über die Vase.<br />

Das hilft. Gegen Drachen.<br />

Ingrid Messing<br />

Geb. 1949 in Metzlingen/Deutschland, pensionierte Lehrerin, lebt<br />

seit dreieinhalb Jahren in Niederösterreich, Veröffentlichungen in<br />

verschiedenen Literaturzeitschriften und Anthologien. Fleißige<br />

Schreibwerkstätten- und Jour-fixe- Teilnehmerin.<br />

Prosa


48 DRACHEN|März 2017<br />

Prosa<br />

Heinz Zitta<br />

Im Rachen des Drachen<br />

„Es war einmal vor langer Zeit, da waren die Drachen noch<br />

nicht ausgestorben und bedrohten die Menschen.“<br />

„Hast du jemals einen Drachen gesehen?“, wollte ich von<br />

Großvater wissen.<br />

„Nicht nur gesehen, ich habe sogar einmal einen besiegt,<br />

das ist aber schon Ewigkeiten her.“<br />

„Besiegt? Wirklich? Erzähl mir davon, Großvater, bitte!“<br />

„Ja …“, setzte der Großvater gemächlich zu erzählen an,<br />

während er sich seine Pfeife stopfte.<br />

„Also, das war so, hör gut zu: Ich fuhr mit meiner Kutsche<br />

durch den Wald …“<br />

„Was ist denn eine Kutsche?“, fragte ich verwirrt nach. „Ich<br />

kenne nur Ashton Kutcher aus ‚Two and a Half Men‘.“<br />

„Das waren damals die Autos.“<br />

„Und wie viel PS hatte so eine Kutsche?“<br />

„Meine hatte zwei PS.“<br />

„Was? Nur? Das ist aber wenig.“<br />

„Nein, ganz und gar nicht. Zwei Pferde reichen völlig aus,<br />

um eine Kutsche zu ziehen.“<br />

„Und dann kam der Drache?“<br />

„Unterbrich mich nicht ständig! Dazu komme ich gleich.<br />

Also, ich fuhr durch den Wald …“<br />

„Und dann kam der Drache!“<br />

„Sei doch nicht so ungeduldig. Nein, da stand plötzlich ein<br />

Zwerg mitten auf dem Weg und bat mich verzweifelt um<br />

Hilfe.“<br />

„Ein Zwerg? Gibt’s die wirklich?“<br />

„Wenn du immer dazwischenredest, dann erzähl ich dir<br />

nichts mehr.“<br />

„Bitte, Großvater, erzähl weiter. Ich bin jetzt auch ganz leise.“<br />

„Also, der Zwerg stand plötzlich mitten auf der Straße und<br />

schaute furchtsam drein.“<br />

„Kann ich dir helfen?“, fragte ich ihn.<br />

Und er antwortete: ,Oh Gott, oh Gott, oh Gott, es ist so<br />

schrecklich, lieber Herr. Ein böser Drache hat feuerspeiend<br />

meine Hütte in Brand gesetzt und ich musste flüchten.“<br />

„Aber Drachen sind von Natur aus doch nicht böse“, versuchte<br />

ich, den Zwerg zu beschwichtigen. „Vielleicht ist er<br />

deinem Haus nur aus Versehen zu nahe gekommen.“<br />

„Das hilft mir jetzt auch nicht weiter. Versehen oder nicht,<br />

das Nachsehen habe auf jeden Fall ich“, wollte sich der<br />

Zwerg partout nicht beruhigen. Aufgeregt sprach er weiter:<br />

„Aber sehen Sie, der Drache kommt immer näher! Riechen<br />

Sie es denn nicht?“<br />

„Ich schnupperte nun aufmerksam und tatsächlich, ein fauliger<br />

Geruch lag in der Luft.<br />

Es roch wie schlechter Mundgeruch, nur noch viel schlechter.<br />

Plötzlich hörten wir Äste knacken und schon kam ein<br />

Drache aus dem Wald. Der Zwerg versteckte sich ängstlich<br />

hinter der Kutsche, doch mir erschien der Drache gar<br />

nicht so gefährlich. Er hatte ein putziges Gesicht, eine<br />

große Nase, zwei kleine Flügel und einen kurzen Schwanz.<br />

Er erinnerte mich an Grisu, den kleinen Drachen aus der<br />

Zeichentrickserie.“<br />

„Grisu, ja, den kenne ich auch, Großvater.“<br />

„Ja, aber dieser Drache war nicht im Fernsehen und nicht<br />

gezeichnet, der war schon echt. Auch wenn er mir nicht<br />

böse erschien, musste ich aufpassen, nun keinen Fehler zu<br />

machen. Der Zwerg hatte offensichtlich mehr Respekt vor<br />

dem Drachen und ich sah aus den Augenwinkeln, wie er<br />

ängstlich von einem Bein auf das andere hüpfte.“<br />

„Wie das Rumpelstilzchen?“<br />

„Unterbrich mich nicht dauernd. „Also, während der Zwerg<br />

immer noch zitterte, trat ich mutig vor den Drachen hin und<br />

grüßte ihn zuerst einmal höflich.“<br />

„Grüß Gott, Herr Drache, wie ist das werte Befinden?“<br />

„Dabei war ich auf der Hut, um sofort zurückweichen zu<br />

können, falls er doch Feuer speien sollte. Aber, wie gesagt,<br />

er machte auf mich einen freundlichen Eindruck.“<br />

Und wirklich erwiderte der Drache entgegenkommend meinen<br />

Gruß: „Grüß Sie Gott, lieber Herr. Machen Sie auch<br />

einen Waldspaziergang?“<br />

„Da bewahrheitete sich wieder einmal der Spruch: ,Wie<br />

man in den Wald hineinruft, so kommt es zurück.‘“<br />

„Nein, ich bin bloß auf der Durchreise.“<br />

„Ach so. Wissen Sie, mir geht’s gar nicht prächtig. Ich habe<br />

schreckliches Zahnweh“, begann der Drache, mir sein Leid<br />

zu klagen.<br />

„Und schon kam ein Schwall stinkender Luft aus seinem<br />

Maul. Der Geruch erinnerte an übel riechende Jauche.“<br />

„Und deshalb ist meine Atemluft so leicht brennbar“, fuhr<br />

er fort. „Ich kann da gar nichts dafür.“<br />

„Scheinbar wollte sich der Drache solcherweise wohl für<br />

das Anzünden der Zwergenhütte entschuldigen.“<br />

„Zahnschmerzen, faule Zähne, Zahnstein. Verwenden Sie<br />

denn nicht regelmäßig Zahnseide?“<br />

„Das wird es sein“, bestätigte der Drache niedergeschla-


DRACHEN|März 2017<br />

49<br />

gen. „Ich habe meine Zahnseide immer von Rapunzel bekommen.<br />

Die hat sie für mich aus ihren Haaren gesponnen,<br />

aber seit sie mit ihrem Prinzen auf und davon ist, weiß ich<br />

nicht mehr, wo ich welche auftreiben soll.“<br />

„Da kann ich abhelfen, Herr Drache. Ich habe zufällig eine<br />

Ladung feinster indischer Seide in meiner Kutsche. Die<br />

schenke ich Ihnen.“<br />

„Das ist sehr nett, aber ein Geschenk darf ich von einem<br />

Menschen nicht annehmen. Das ist gegen die Drachenehre.<br />

Aber vielleicht kann ich an einer Verlosung teilnehmen?“<br />

„Ich wusste nicht so recht, was der Drache damit meinte,<br />

aber dann stieg ich auf das Spiel ein. Denn je schneller<br />

der Drache von seinem üblen Mundgeruch befreit wurde,<br />

umso schneller waren die Häuser der Zwerge und auch der<br />

Menschen sicher vor seinem Feueratem.“<br />

„Also gut, nehmen wir an, wir machen eine Verlosung, aber<br />

nur eine Nummer gewinnt. Was für eine Nummer nehmen<br />

Sie?“<br />

„Hm, das ist aber knifflig.“<br />

„Der Drache klopfte beim Nachdenken mit seinem<br />

Schwanz mehrmals auf den Boden, sodass der Zwerg, der<br />

inzwischen schon etwas mutiger näher gekommen war, sofort<br />

wieder weglief.“<br />

„Welche Nummer soll ich nehmen? Ich bin doch nicht so<br />

gut im Rechnen.“<br />

„Daraufhin begann er, seine Finger abzuzählen, und da er<br />

wirklich nicht gut rechnen konnte, war das Ergebnis sieben.“<br />

„Sieben, Bingo!“, ließ ich ihn im Glauben, er hätte richtig<br />

gezählt. „Sieben, das ist die magische Zahl. Gratuliere, gewonnen!“<br />

„Ich gab dem Drachen geschwind die Seide, er nebelte uns<br />

zum Dank nochmals mit seiner fauligen Atemluft ein und<br />

trottete dann wieder zurück in den Wald. Als der Drache<br />

tief im Wald verschwunden war, traute sich der Zwerg auch<br />

wieder hervor.“<br />

„Wie hast du das angestellt? Bist du ein Drachenbeschwörer?“<br />

„Nein, ich habe ihm meine Seide geschenkt. Es muss nicht<br />

immer ein Schwert sein, wie in den klassischen Sagen.“<br />

„Dennoch fühlte ich mich wie ein Held. Nicht gerade wie<br />

Siegfried, der Drachentöter, aber wie Dr. Best. Ich lasse<br />

die Drachen lieber leben. Und helfe Ihnen mit der Mundhygiene.<br />

Damit sie auch morgen noch kraftvoll zubeißen<br />

können.“<br />

Heinz Zitta<br />

Geb. 1950, lebt in Villach/Österreich und arbeitete als Entwicklungs-Ingenieur<br />

in der Elektronik-Industrie. Kreatives Schreiben<br />

ist für ihn ein willkommener Ausgleich zu den exakten Anforderungen<br />

seines technischen Berufs. Seine literarischen Interessen<br />

umfassen Kurzgeschichten, Satire und Reiseberichte. Bisher einige<br />

Veröffentlichungen in Anthologien.<br />

Prosa


50 DRACHEN|März 2017<br />

Erich Sedlak<br />

Letzte Worte an einen Hausdrachen<br />

Prosa<br />

Jetzt sei bitte nicht kindisch, Franziska! Wer sagt dir denn,<br />

dass ich dir böse bin? Keine Rede davon! Zugegeben, du hast<br />

in deinem Leben einen entscheidenden Fehler gemacht. Und<br />

der war, dass du mich kennen gelernt hast. Wir zwei haben<br />

ja nie richtig zusammen gepasst. Und darum darfst du dich<br />

auch nicht wundern, Franziska: Das Küchenmesser, das hätt<br />

ich dir schon vor fünf Jahren, nicht erst heute … schon vor<br />

fünf Jahren hätt ich dich abstechen sollen! Die fünf Jahre waren<br />

ein Geschenk, Franziska! Vergiss das bitte nicht! Schon<br />

seit fünf Jahren spiel ich mich mit dem Gedanken und mit<br />

dem Küchenmesser. Und jeden Monat hab ich es wieder<br />

verschoben.<br />

Kannst nicht ein bisserl leiser stöhnen? Ich mein … wegen<br />

der Nachbarn. Stöhn einmal in deinem Leben wie ein normaler<br />

Mensch! Aber normal … das warst du nie, Franziska.<br />

Immer mit deiner aufblasbaren Trockenhauben auf dem<br />

Schädel und die Rahmgurken auf deinem runzligen Gesicht.<br />

Jetzt schaust wenigstens halbwegs vernünftig aus. Nur um<br />

das Seidennachthemd ist es ewig schad. Aber vielleicht kann<br />

man es kunststopfen lassen?<br />

Was meinst du, Franziska? Siehst, jetzt gibst du mir schon<br />

wieder keine gescheite Antwort! Immer hast du mich ignoriert.<br />

Was war ich schon für dich? Höchstens ein Finanzier<br />

für deinen ausufernden Lebenswandel. Ausgepresst hast du<br />

mich wie deine Grapefruit. Die haben dir aber auch nichts<br />

genützt. Bist trotzdem Tag für Tag nur noch blader geworden.<br />

Dein Gewicht, das kann dir jetzt auch egal sein. Vielleicht,<br />

dass die Totengräber deswegen fluchen, wenn sie deinen<br />

Sarg hochstemmen müssen. Irgendwann wird nämlich alles<br />

unwichtig, Franziska! Sogar deine Parfüms und deine Sprays.<br />

Sogar deine Lieblingsbluse, weißt eh, die mit dem lila Segelschiff<br />

aus Dubrovnik. Die werde ich auch ins Pfandl tragen.<br />

Nichts, aber schon gar nichts wird von dir übrig bleiben, wie<br />

vielleicht ein paar blöde Fotos … wenn ich sie nicht verbrenn.<br />

Bitte, sollen sie mich halt einsperren! Lieber setz ich mich<br />

lebenslang in den Häfn oder in den Guglhupf, wie mit dir<br />

noch einen Abend länger vor den Fernseher. Das war ja kein<br />

Leben mehr mit dir, Franziska! Jeden Tag die sinnlosen Streitereien<br />

… und warum? Weil ich ab und zu ein bisserl was<br />

Alkoholisches zu mir genommen hab. Aber hab ich nicht saufen<br />

müssen, dass du wenigstens ein bisserl schöner wirst vor<br />

meinem geistigen Auge? Und dann … deine fortwährenden<br />

Stänkereien … die sind ja auf keine Hutschnur mehr gegangen.<br />

Da bemüht man sich … gesellschaftlich zumindest …<br />

besucht Abendkurse in der Volkshochschule … bildet sich<br />

weiter … und was machst du? Du sagst Trottel zu mir! Aber<br />

auch ein Gaskassier hat einen Charakter, Franziska. Solltest<br />

die Leut einmal sehn, wenn ich wo hinein komm den Zähler<br />

ablesen. Ein Schnapserl und Wohlsein, Herr Inspektor. Und<br />

nehmen Sie doch bitte Platz. Hast du zu mir einmal gesagt,<br />

dass ich Platz nehmen soll? Den Küchenhocker hast du mir<br />

her geschoben. Und eine jede von deinen aufgeputzten<br />

Weibern war dir wichtiger als ich. Da hat es ja zu einschneidenden<br />

Maßnahmen kommen müssen! Jahrzehntelang hab<br />

ich alles hinuntergeschluckt … nicht nur den Slibowitz. Im<br />

Bett hab ich mich neben dir schlaflos gewälzt … zutiefst besoffen<br />

… ah … betroffen … von deiner spitzen Zunge. Du hast<br />

ja nur darauf gewartet, dass du mich bloßstellen kannst vor<br />

aller Welt. Wissen Sie, hast du gesagt, er wollte in seiner Jugend<br />

immer Offizier werden, aber auch als Gaskassier hat er<br />

eine wunderschöne Uniform! Oder vor den Kindern: Schaut<br />

euch euren Vater nur gut an. Weit hat er es gebracht, euer<br />

Vater, der Versager. Eines dürft ihr nie werden … so wie er!<br />

Und wenn ich im Bett manchmal ein bisserl indisponiert war,<br />

was ja kein Wunder gewesen ist bei deinem abschreckenden<br />

Anblick: Du armseliger Impotenzler, hast du geplärrt, dass es<br />

das ganze Haus gehört hat.<br />

Du frigider Hausdrachen, du! Hat dir irgendwer angeschafft,<br />

dass du ausgerechnet mich heiraten musst? Ich hab ja damals<br />

gleich … noch bei deinen herzensguten Eltern … zweiunddreißig<br />

warst und fast nicht mehr anzubringen. Gewehrt<br />

hab ich mich mit Händ und Füß. Aber du hast mich ja vor den<br />

Altar förmlich gezerrt! Wärst lieber in ein Kloster gegangen<br />

oder in einen Zirkus … als Dame ohne Unterleib! Aber nein,<br />

mich hast dir unbedingt eingebildet. Justament mein Leben<br />

hast auch noch zerstören müssen, weil deines eh schon hin<br />

war! Dabei Franziska! Ehrlich … nicht einmal anschauen hab<br />

ich dich damals können, geschweige denn anrühren. Aber<br />

mit deinen dreitausend Quadratmetern Baugrund in Wöllersdorf<br />

… mit denen hast du mich eingefangen.<br />

Ich hab ja die letzten Jahre schon unter hochgradigen Abnützungserscheinungen<br />

gelitten. So geht es nicht mehr länger<br />

weiter mit uns, Franziska, hätt ich sagen müssen. Wenn du<br />

neben mir wie ein Gorilla geschnarcht hast und im Schlaf


DRACHEN|März 2017<br />

51<br />

gesprochen hast vom Prinz Charles. Der hätt dich eh sofort<br />

genommen, aber nicht als Prinzessin, sondern als Pinzgauer<br />

für seine Kutschen. Ja, das war immer deine allergrößte<br />

Sorge: Kochrezepte und irgendwelche abgetakelte Monarchisten.<br />

Weil du mit der Welt da nicht fertig worden bist, hast<br />

dir quasi eine andere erträumt. Vielleicht bist jetzt eh schon<br />

dort … bei deiner heiß geliebten Grace Kelly oder der Lady Di<br />

mit ihrem arabischen Scheich.<br />

Aber du hast mich ja nie ernst genommen! Spiel dich nicht,<br />

Franziska, hab ich immer gesagt, spiel dich nicht mit mir. Ich<br />

hab nichts mehr zum Verlieren. Aber du hast nur gelacht und<br />

mir das abgerissene Schlingerl vom Mantel trotzdem nicht<br />

angenäht. Einmal, da warst du fast fällig. Kannst dich noch<br />

erinnern? Ein harmloser Ausflug auf den Ötscher. Und wie du<br />

da gestanden bist, die schwindelnde Tiefe unter dir … da wär<br />

es für mich nur eine Kleinigkeit gewesen. Eine unbedachte<br />

Handbewegung. Aber dann hab ich doch gezögert, weil du<br />

den Rucksack getragen hast mit der Jause.<br />

Komisch … so ein Mord … der geht eigentlich viel schneller<br />

als wie im Film. Selber steht man ja nicht so sehr im Mittelpunkt<br />

… eher das Opfer. Und wie sie mich jetzt anschaut.<br />

Direkt unterwürfig schaut sie mich an. So hat sie ihr ganzes<br />

Leben nicht geschaut. Hättest einmal nur so geschaut, Franziska!<br />

Aber gelt … irgendwas macht man in seinem Leben<br />

immer zum ersten und zum letzten Mal? Na und, hab ich<br />

dir nicht eine wunderschöne Himmelsleiter gebaut, hinauf<br />

direkt zu den Sternen? Dort hast es jetzt eh viel schöner<br />

… dort bist ein blader Engel mit einem neuen Seidennachthemd<br />

… und ohne einen besoffenen Ehemann. Ich bin ja kein<br />

Unmensch, Franziska … du kennst mich doch! Das mit dem<br />

Küchenmesser, das war leider im Affekt … das ist so plötzlich<br />

über mich hereingebrochen. Dabei müsste man doch über<br />

alles vernünftig reden können … so wie wir zwei jetzt vernünftig<br />

miteinander reden … auch wenn du mir jetzt nicht<br />

mehr richtig zuhören kannst … trotzdem … Franziska … du!<br />

Warum hast du auch die Fleischlaberl anbrennen lassen?<br />

Erich Sedlak<br />

Geb. 1947 in Wien, lebt in Wiener Neustadt; bisher 22 Publikationen,<br />

2016: „Den Spuren folgen in die Dunkelheit“, Roman,<br />

(Brighton-Verlag, Worms); Hörspiele, Drehbücher, Bühnenstücke,<br />

TV-Theater, Literaturpreise; Mitgliedschaften: Intern. und Österr.<br />

P.E.N.-Club, podium, Österr. Schriftstellerverband, Präsident des<br />

NÖ P.E.N.-Clubs. www.erichsedlak.at<br />

Prosa


52 DRACHEN|März 2017<br />

Elfriede Starkl<br />

Meine Drachenwelt<br />

Prosa<br />

Ein mächtiger Drache schläft versteckt in den Alpen. Ein<br />

männlicher Drache mit großen Flügeln, spitzem Rückenkamm<br />

und scharfen Krallen. Er ist am Erwachen. Das<br />

ewige Eis, das seinen Körper eingefroren hat, schmilzt.<br />

Einzelne Steinschuppen donnern zu Tale. Erstaunt schauen<br />

wir den Bergen beim Zerbröckeln zu. Wie ist das möglich?<br />

Tausende Jahre ruht der Drache, doch jetzt regt er<br />

sich? Gerufen von Drachenbändigern und Drachenbauern<br />

und Drachenliebhabern?! Wir brauchen die starke Energie<br />

des Drachens. Es ist an der Zeit, dass er mit den Perlen<br />

der Weisheit, des Donners und der Unendlichkeit spielt<br />

und uns teilhaben lässt. In der Bildsprache der Chinesen<br />

ist er der Herrscher über die Winde. Er ist ein Wundertier,<br />

kann sich klein machen wie eine Seidenraupe und so<br />

groß, dass er den Raum zwischen Himmel und Erde füllt.<br />

Nach Belieben kann er sich sichtbar oder unsichtbar machen.<br />

Im Vergleich zur europäischen Mythologie gilt der<br />

Drache in China als gutartiges, Glück bringendes Tier. Als<br />

eines der vier Tiere der Weltrichtung steht er im Osten,<br />

der Richtung des Sonnenaufganges, des Zeugens und des<br />

Frühlingsregens. Er bringt Fruchtbarkeit und reiche Ernte.<br />

Zum chinesischen Frühlingsfest werden Drachen- und<br />

Fächertänze aufgeführt, um den Herren des Windes und<br />

des Regens zu ehren. Wie gern täte ich auf seinem Rücken<br />

liegend in die Lüfte schweben. Es bedarf keiner Peitsche,<br />

meine Gedanken genügen, von meinem Drachen in meine<br />

Traumwelt getragen zu werden. In Goldtönen schillern seine<br />

Schuppen, seine Barthaare laden ein sie zu liebkosen.<br />

Ihm in die Augen zu schauen, habe ich noch nicht gewagt.<br />

Man sieht das eigene Leben und das der ganzen Welt<br />

darin. Er beschützt mich und freut sich über die kleinen<br />

Papierdrachen, die bunt im Himmel schweben, von mir<br />

gefertigt. Meine Leidenschaft fürs Drachen bauen kann<br />

ich nicht verheimlichen. Sie ist auch der Grund für den<br />

Titel dieses Heftes. Seit ich Drachen baue, stehe ich im<br />

Dialog mit dem Wind. Meine Liebe zu Papier und Tusche<br />

ließ mich Nächte lang falten und färben. Ich falle in einen<br />

zeitlosen Raum, höre erst auf, wenn alle Tusche verbraucht<br />

ist. Suchtgefahr permanent! Ich weiß nie, wie es<br />

werden wird, keine zwei gleichen sind mir geglückt, trotz<br />

gleicher Faltung und Farbe. Das Erlernen vom Bambus<br />

spalten dauert noch an. Die Geheimnisse der Knoten und<br />

Leinen Verbindungen sind noch lange nicht alle gelüftet!<br />

Ein ganzes Jahr hab ich für eine spezielle Verbindung<br />

gebraucht, bis sie mir klar war! Jetzt erscheint sie mir<br />

einfach und genial. Ein Reisedrachen begeitet mich auf<br />

allen Reisen. Er kennt Nord- und Ostsee, die Berge und<br />

das Mittelmeer. Auf der Planai in Schladming ließ ihn der<br />

Aufwind trudeln. Am Meeresstrand steht er ruhig am Himmel,<br />

leuchtet, erfreut und wird bewundert. Er passt genau<br />

in den Koffer und in jeden Himmel. Sturmvögel, Glücksdrachen<br />

und Leichtwinddrachen haben meine Wohnung<br />

in eine Drachenhöhle verwandelt. Seit ich mich mit ihnen<br />

beschäftige, sehe ich sie überall; als Wasserspeier, Wappentier,<br />

auf chinesischem Porzellan, selbst der geflügelte<br />

Löwe von Venedig hat einen Drachenaspekt. Meine Favoriten<br />

sind aus Japanpapier, mit chinesischer Tusche gefärbt<br />

und mit Bambus gebaut. Dem Drachen eine Form<br />

geben, das Papier auf das Bambusgerüst kleben, Waagschnur,<br />

Flugleine und Bänder anbringen, dann hinaus in<br />

die frische Luft, in den Wind. Wenn er dann aufsteigt und<br />

ruhig im Wind steht, bin ich stolz.


DRACHEN|März 2017<br />

53<br />

Elfriede Starkl, leidenschaftliche Drachenbauerin,<br />

berichtet vom Drachenbauen.<br />

Für japanische Friedensdachen brauche ich Bambus, Japan<br />

Papier und chinesische Tusche. Das Papier wird gefaltet,<br />

so klein es geht. Dann in die Tusche getunkt, bei<br />

Gelb beginnend, dann Rot, Blau und Schwarz. Diese Shibori<br />

Technik stammt aus Japan. Man färbt auch klassische<br />

Kimonos so. Farbe und Rhythmus bleiben gleich und doch<br />

verändert sich das Muster in rätselhafter Weise! Die chinesischen<br />

Tuschen sind leuchtend, farbecht und einmal<br />

getrocknet, Wasser unlöslich! Das Papier ist sehr empfindlich<br />

auf Feuchtigkeit. Trocken ist es unglaublich stabil.<br />

Ein vier- jähriger Bambus wird gespaltet, das erfordert viel<br />

Aufmerksamkeit und Übung. Wir verwenden nur die Außenhaut.<br />

Die etwas festeren Stäbe werden für die Längsholme<br />

verwendet, die dünnen kann man leicht biegen<br />

und spannende Verbindungen herstellen. Man baut ein<br />

Gerüst, klebt die Kreuzungspunkte und verknotet sie. Die<br />

Japaner kennen wunderbare Knoten. Das gefärbte Papier<br />

wird drauf geklebt, man achtet auf Gleichgewicht. Für die<br />

Stabilität kommen Bänder aus Papier dran, oder lässt die<br />

Bambus Stäbe hinaus stehen. Waagschnur und Flugleine<br />

kommen zuletzt. Dann fehlt nur mehr der Wind und der<br />

Drache steigt in den Himmel. Falls er nicht so recht mag,<br />

trudelt oder nicht steigen will, muss die Waage korrigiert<br />

werden. Farben und Formen sind kaum Grenzen gesetzt!<br />

Elfriede Starkl<br />

Geb. 1948 in St.Pölten, leidenschaftliche Drachenbauerrin,<br />

erst seit kurzem mit viel Freude bei der Litges!<br />

Fotos©Elfriede Starkl<br />

Prosa


54 DRACHEN|März 2017


DRACHEN|März 2017<br />

55<br />

Brigitte Pokornik<br />

Ein letzter Hauch<br />

So ist das also, wenn man sein Leben aushaucht.<br />

Von all dem wilden Feuer ist nur noch ein mageres Zündflämmchen<br />

übrig, das im Hauch des Atems flackert, so daß<br />

man ganz sanft atmen muß, um es nicht vor der Zeit auszublasen.<br />

Da drüben steht er, mein Gegner, der mich besiegt hat.<br />

Ein hübscher Bursche, trotz der versengten Augenbrauen.<br />

Er hält die Prinzessin im Arm.<br />

Sie schluchzt an seiner Schulter, die dumme Gans.<br />

Was gibt es da zu schluchzen? Jetzt kriegt sie wenigstens<br />

einen tüchtigen Mann.<br />

Ohne mein Zutun hätte ihr Vater sie dem erstbesten parfümierten<br />

Nichtsnutz gegeben. Für Geld und Macht hätte er<br />

sie eingetauscht, wie ein Stück Vieh. Der tapfere Bursche<br />

da hätte doch keine Chance gehabt ohne mich.<br />

Zumindest diese beiden haben doch keinen Grund, mir irgendetwas<br />

übel zu nehmen.<br />

Und das Volk?<br />

Das Volk kriegt später einen anständigen König.<br />

Hat auch fair gekämpft, der Bursche, keine üblen Tricks.<br />

Ob er mir Ehre erweisen wird, wie anderen gefallenen<br />

Kämpfern? Oder wird man mich durch die Straßen schleifen,<br />

damit mich die Gassenbuben mit Dreck bewerfen können?<br />

Sie schluchzt noch immer.<br />

Hat sie solche Angst gehabt vor mir?<br />

Ich wollte doch nur ein bißchen Gesellschaft haben.<br />

Ich wollte, daß sie mir etwas vorsingt, ich habe gehört, sie<br />

hätte eine schöne Stimme. Bei mir hat sie aber keinen Ton<br />

herausgebracht.<br />

Hat sie wirklich geglaubt, ich würde sie fressen? Daß ich<br />

Jungfrauen fresse, ist doch ein Ammenmärchen.<br />

Was sie mir nicht alles nachsagen.<br />

Jungfrauen - ha! Bei der Diät wäre ich doch glatt verhungert.<br />

Sie sagen ja auch, ich hätte eine Spur der Verwüstung<br />

übers Land gezogen – na, und?<br />

Die verbrannte Erde ist doch im nächsten Jahr umso fruchtbarer.<br />

Und hat der König mit seinem Gefolge etwa noch nie<br />

das reife Korn niedergeritten, in der Hitze der Jagd?<br />

Und das bißchen Vieh, das ich den Bauern weggefressen<br />

habe - na, und?<br />

Haben ihnen etwa noch nie die Soldaten die Kühe von der<br />

Weide weggetrieben?<br />

Was regen sie sich gerade über mich so auf?<br />

Habe ich ihnen – als Gegenleistung – nicht Stoff genug für<br />

ihre Schauergeschichten gegeben?<br />

Die Dichter haben mich besungen, die Künstler haben mich<br />

sogar in Bronze gegossen, und wie sie mich gemalt haben!<br />

Feuerspeiend, geflügelt, schuppengepanzert, den Leib<br />

in den unglaublichsten Windungen verdreht - jeder kennt<br />

mein Bild, jeder.<br />

Ah, jetzt schaut er zu mir herüber. Überlegt, ob er es wagen<br />

soll, das Schwert aus meiner Brust zu ziehen, um mir den<br />

Kopf abzuschlagen. Nein? Doch nicht? Er läßt mir noch das<br />

bißchen Zeit.<br />

Sie hat ihn am Arm zurückgehalten.<br />

Doch nicht etwa aus Mitleid mit mir?<br />

Dann schon lieber aus Angst.<br />

War ich denn nicht schrecklich und schön und wunderbar?<br />

Bin ich es nicht noch immer?<br />

Sogar jetzt noch.<br />

Brigitte Pokornik<br />

Geb.1950 in Wien Kinderbuchautorin und Spieleautorin, studierte<br />

zunächst Soziologie und Völkerkunde in Wien. Anschließend<br />

Hochschule für angewandte Kunst ebendort. Arbeitete als Designerin<br />

und Künstlerin und wandte sie sich später der Gestaltung<br />

von Bilderbüchern, die sie unter anderen beim Coppenrath Verlag<br />

veröffentlichte, und der Entwicklung von Spielen zu. Viele ihrer<br />

Bücher schrieb sie zusammen mit Karin Blume, sie wurden in<br />

mehrere Sprachen übersetzt und erschienen auch als Hörbuch.<br />

Dieser Text entstand beim Februar Jour-fixe im Büro der LitGes.<br />

Prosa


56 DRACHEN|März 2017


DRACHEN|März 2017<br />

57<br />

Jordi Rabasa-Boronat<br />

Der Drache<br />

Ich möchte ein Drache sein<br />

und rund herum fliegen,<br />

die Leute sehen von weit weg,<br />

klein, existenziell unbedeutend,<br />

Himmel und Meer in Blau vereinigt.<br />

Ich möchte ein Drache sein<br />

mit den Augen eines Adlers,<br />

scharfsinniger Beobachter<br />

des menschlichen Geistes.<br />

Wind, hol´ mich ab!!<br />

Schnurgerade werden wir<br />

menschliche Grenzen durchqueren<br />

und als Übermensch dargestellt.<br />

Jetzt ist der Wind weg<br />

und mit ihm der Antrieb zum Flug,<br />

die Realität holt mich ein<br />

wie eine ungespannte Schnur,<br />

danach war es mir klar,<br />

ich bin auch nur ein Mensch.<br />

Jordi Rabasa-Boronat<br />

Geb. 1962 in Katalonien. Seit 1994 lebe ich in Österreich, mit<br />

Wohnsitz in Petzenkirchen. Als 18jähriger begann ich auf katalanisch<br />

und Spanisch zu schreiben. Seit 2 Jahren schreibe<br />

ich auch in Deutsch. jordi-weinemitherz@gmx.at<br />

Lyrik


58 DRACHEN|März 2017 Rezensionen<br />

Josef Linschinger:<br />

Zahlen + Farben.<br />

Mathematikum<br />

Freiburg, Modo Verlag,<br />

2016, 96 S.<br />

978-3-86833-196-7<br />

Wolfgang Mayer-König:<br />

Das begeisterte Wort.<br />

Eine Grammatik der Seele.<br />

ed.pen Bd 51, Wien:<br />

Löcker 2016<br />

978-3-85409-830-0<br />

Maria Eliskases:<br />

Im Blauen Zug.<br />

Erzählungen zum Lob<br />

der Liebe.<br />

Weitra, Bibliothek d. Provinz<br />

2016, 484 Seiten<br />

978-3-99028-558-9<br />

Der Aufbau des Werkes ist symmetrisch, vorne in<br />

Deutsch und hinten in Englisch, jeweils mit Fachaufsätzen<br />

von Marlene Lauter, Albrecht Beutelspacher u.a.<br />

Buchstaben, Flächen und Zahlen sind Gegenstände an<br />

sich, deren Ästhetik in Bildern ihren Niederschlag findet.<br />

Die Bilder sind stimmig, ausgewogen und perfekt in Gestaltung<br />

und Arbeitsweise. Es ist ein Spiel mit Teilchen,<br />

Ecken und der Ganzheit, mathematisch aufbereitet. Das<br />

Visuelle steht im Vordergrund und gibt dem Betrachter,<br />

auch dem, der ohne Systematik auskommt, Freude.<br />

Einmal geht es von oben nach unten, von außen nach<br />

innen zur Bildmitte oder vom Kleinen zum Großen. Hell<br />

bis Dunkel spielen eine Rolle sowie die chinesischen,<br />

römischen oder die arabischen Zahlzeichen, wie der Vergleich<br />

zum Aztec-Code aus Quadraten und Rechtecken,<br />

oder die Braille-Schrift, Code 39. Natürlich ist auch die<br />

Farbe ein Parameter. Z.B. sind die Selbstlaute im Strichcode<br />

färbig und die schwarzen und weißen Mitlaute<br />

durch verschiedene Breite der Balken erkenntlich. So<br />

entsteht ein Alphabet, in das Josef Linschinger bereits<br />

2001 die Werk-Überschriften Thomas Bernhards übersetzte.<br />

Diesmal ist das Motto des Buches von Immanuel<br />

Kant „Mathematik ist eine Bedingung aller exakten Erkenntnisse“<br />

in diesen Code übersetzt abgebildet.<br />

Dieses Buch Josef Linschingers ist wiederum ein Schritt<br />

von der Kunst zur Mathematik, genauso wie es seine<br />

früheren Werke (Reflexionen, Zum Beispiel, Farbtexte,<br />

ETC, T.B.-Konkret, Zyklen, das Stundenbuch, Miteinander,<br />

Wort wird Bild, Bild aus Text, Poesie der Vokale, Die Faszination<br />

des Sudoku, meist Verlag Bibliothek d. Provinz<br />

und 22 Dokumentationen der Gmundner Symposien,<br />

Ritterverlag). Er zeigt diesmal über 100 Abbildungen<br />

und arbeitet wie seit 1977 in der und für die konkretkonstruktive<br />

Kunst sowie der visuell-konzeptuellen Poesie.<br />

Und er vergisst nicht den Humor! Z.B. mit den Abbildungen<br />

der Werke: Kreiszahl im Dreieck, im Kreis und im<br />

Quadrat, 2015, Inkjet Print. Hervor-/herausragend! Für<br />

Freunde der visuellen Konzeption! Eva Riebler-Übleis<br />

Ist es nun das 46. Buch des Autors? Wozu soviel<br />

Literatur, könnte man fragen. Die Antwort gibt Mayer-<br />

König S. 195: „In der Literatur geht es darum, sich einem<br />

Thema ethisch und ästhetisch seriös zu nähern. Literatur<br />

soll nicht überreden, sondern überzeugen.“ Literatur<br />

beinhaltet die Seelenvorgänge der Menschen, ihre<br />

Ängste und Hoffnungen. So schreibt er auch von und<br />

aus seiner Seele. Besonders merken wir dies, wenn es<br />

ihm um persönliche Konzeptionen der Vaterschaft und<br />

seiner Problematik geht.<br />

Was gab wohl jeweils den Anlass gedanklich Stellung<br />

zu nehmen und so massiv/vehement gesellschaftspolitische<br />

Ansichten und Einsichten analytisch zu präsentieren?<br />

Stets scheinen in seinen Schriften die Herzensbildung<br />

und die Lebenserfahrung durch. Meine Lieblingsgeschichte<br />

(eine der poetischsten) ist „Körper“.<br />

Es kann auch schon mal der pädagogische Zeigefinger<br />

wie eine Schwungkeule niedersausen oder die politische<br />

Obrigkeit massiv gegeißelt werden.<br />

Andrerseits sind in seinen „Geschichten“ – wie er sie<br />

selber bezeichnet – die unendliche Fantasie und Poesie<br />

(z.B.: das Leben erweist sich als flüchtige Geliebte)<br />

sowie das große Wissensspektrum spürbar. Ob die Zeit<br />

der Judenverfolgung im „Der Koffer der Adele Kurzweil“<br />

oder die Besinnung auf den Tod in „ Der Tod als Mutter“,<br />

immer gelingt Mayer-König eine Sprache, die stumm<br />

und staunend macht. Z.B. S. 36ff: „Sei nicht enttäuscht,<br />

sagt sie (die tote Mutter) und zieht mich auf dem Karren<br />

hinterher. …Der Tod, unsere Mutter, tritt auf, wenn wir<br />

zum Verlierer werden, obwohl sie uns nie als Sieger sehen<br />

wollte, weil es eigentlich keine Siege gibt.“<br />

Seine knappen 30 Erzählungen/ Essays geben/bedeuten<br />

komprimierte Lebensessenz; kommen so nahe, dass<br />

sie uns ins Visier greifen, und uns wird ein unerhörtes<br />

Unterpfand übergeben, das wir uns zu eigen machen<br />

können!<br />

Eva Riebler-Übleis<br />

30 Erzählungen hat Maria Eliskases in einem Band<br />

vereint. Es ist im Verlag Bibliothek der Provinz ihr 7.<br />

Werk, das Geschichten an bekannten und magischen<br />

Schauplätzen verortet. Eliskases lässt schicksalhafte<br />

Geschichten mit Spannung beginnen und überraschend<br />

enden. Sie verrät viel von dem, was ihr selber<br />

wichtig ist, und beweist einen ihrer Sätze wortwörtlich:<br />

„Alles, was man erklären und zerlegen will, verliert<br />

an Substanz.“ Vieles bleibt in der Schwebe, und<br />

wirklich meisterhaft schildert sie die Facetten und<br />

Untiefen der Liebe. Man spürt bei der Lektüre die behutsame<br />

Anteilnahme der Autorin an ihren Gestalten.<br />

Die investierte Kraft und ihre Lust am Schildern gereichen<br />

ihr zum großen Lob!<br />

Die Liebe ist etwas Vergängliches. Nicht jeder/jede<br />

will das einsehen. In diesen Erzählungen gibt es Personen,<br />

die uns so sympathisch sind, weil sie felsenfest<br />

glaubten, sich niemals in eine plötzliche Leidenschaft<br />

zu verheddern. Es gibt eine Frau, die in einer Galerie<br />

vor Radierungen steht und unvermutet an eine alte<br />

Liebe denken muss, eine andere tut sich schwer, ihrem<br />

Mann dankbar zu sein, es gibt einen Tagtraum in<br />

einem Hotelzimmer und eine imaginierte Reise nach<br />

Tschechien, Eheszenen, in denen ein Mann seine Frau<br />

vom Buch weglocken möchte, die ihm jedoch eine<br />

Stelle vorliest, die da lautet: “Auf den Höfen um die<br />

Liebe herum wohnen die unterschiedlichsten Wonnen“<br />

oder imaginierte Szenen, in denen die Frau den Mann<br />

vom Computer mit Nacken massieren, Worten vom<br />

Vollmond oder ihrer Nacktheit unterm Bademantel abspenstig<br />

machen möchte und beklagt, dass die Technik<br />

(der PC) der Feind der Natur, sprich Sexualität, ist. Auch<br />

ein Bad einzulassen, das frisch überzogene Bett oder<br />

die Ankündigung, den Mann durch den Brausekopf zu<br />

ersetzen, sind kein Lockmittel.<br />

Und daraus entstehen die Stoffe, aus denen die Schmerzen<br />

sind und vielleicht die Freuden waren!<br />

Eva Riebler-Übleis


Rezensionen DRACHEN|März 2017<br />

59<br />

Franz Sales Sklenitzka:<br />

ABC für Drachenfreunde<br />

Wien, G&G Verlag: 2010,<br />

126 Seiten<br />

978-3-7074-1242-0<br />

Franz Sales Sklenitzka:<br />

Drachen haben nichts zu<br />

lachen. Arena Taschenbuch<br />

Bd.1941, 35. Aufl.<br />

2016, 88S.<br />

978-3-401-01941-3<br />

Egyd Gstättner:<br />

Karl Kraus lernt Dumm<br />

Deutsch.<br />

Wien: Picus 2016, 240 S.<br />

978-3-7117-2042-9<br />

Gegen oder für die vermeintliche Vernunft. Der<br />

Autor hat sich mit diesem Band selber ein Geschenk gemacht,<br />

so beteuert er, nachdem er seine vier Drachenbücher<br />

beendet hatte: – alle im G&G Verlag.<br />

In diesem Band geht´s ihm nicht um das Bewahren des<br />

Drachens vor der Ausrottung, sondern um die Vielfältigkeit<br />

der Spezies selber. Er hat über hundert Begriffe<br />

behandelt: Von Aldrovandi - Drachenblut – Rote Liste<br />

- Stollenwurm – Xianglong – Zwergdrache. und ernst<br />

oder unernst einmal im Plauderton Tipps gegeben und<br />

das andere Mal tatsächlich Recherchearbeit betrieben.<br />

So z.B. unter Gemeiner Sackdrache findet man den Rat,<br />

man könne für ein Kostümfest oder eine Theateraufführung<br />

mit einem Kartoffelsack bekleidet eben als<br />

Sackdrache gehen. Auf S. 106 befindet sich ein weiterer<br />

wertvoller Tipp unter der Überschrift Winterschlaf: Im<br />

Frühjahr solle man aufpassen, denn die erwachenden<br />

Drachen seien hungrig und hätten schon mal einen<br />

ganzen Schülerbus gestoppt und alle, auch den Fahrer,<br />

um die Jausenbrote gebracht!<br />

Ja, und was ist jetzt ein Xianglong? Ein bisschen Weiter-,<br />

Fort bzw. Weitfort-Bildung muss schon sein! Das ist<br />

der Name eines Fossils aus der Kreidezeit aus der chin.<br />

Provinz Liaoning, das große Ähnlichkeit mit heute noch<br />

lebenden Flugdrachen in Südostasien hat. Natürlich<br />

gab es auch in Ostafrika zweibeinige, geflügelte Drachen,<br />

allerdings in der Märchenwelt; Plinius der Ältere<br />

berichtete, dass diese „Wyvern“ in Indien und Äthiopien<br />

beheimatet waren.<br />

Ich glaube, ein kurzer Einblick in das phantasievolle<br />

Werk ist gegeben. Für die Vorstellungskraft skizzierte<br />

der Autor Sklenitzka, aus Wilhelmsburg, hervorragend<br />

wie in all seinen Büchern zahlreiche Tiere.<br />

Ja, das Thema ist unerschöpflich und spannend, wissen<br />

wir doch nie, ob uns der Autor an der Nase herumführt,<br />

denn der Schalk sitzt ihm fabelhaft in Stift und Pinsel!<br />

Fazit: Fabelhaft, interessant und erfreulich!<br />

Eva Riebler-Übleis<br />

Ritter und Drache aus dem Jahre 1271. Zu dieser<br />

Zeit spielt die Drachengeschichte für Kinder ab 8 Jahren.<br />

Nur wenige Tage im Jahre 1980 oder so brauchte<br />

der Autor, um diese zu erzählen. Der Ritter Ottokar von<br />

Zipp zieht einen kleinen Drachen groß, der sich in der<br />

Fallgrube des bösen Drachenjägers Sigmund Silberzahn-<br />

Floretto gefangen hatte. Wir sehen bereits, dass es Gute<br />

und Böse wie im Märchen gibt. Und da dies feststeht,<br />

muss natürlich der Held Zipp der guten Sache – sprich:<br />

dem Retten der letzten Drachen vor der Ausrottung -<br />

verpflichtet sein. In wirklich einfallsreicher Manier zeigt<br />

der Autor seinem jungen Publikum den Umweltschutzgedanken<br />

und die Möglichkeit auf, selber etwas zu erreichen,<br />

wenn man sich nur genug dafür einsetzt. Der<br />

kleine, linkische und in Turnieren ungeübte Ritter Zipp<br />

muss um beim Turnier gegen 68 Ritter auftreten zu können,<br />

erstmals das Reiten, Lanzen halten, Stechen usw.<br />

erlernen. Eine harte Arbeit, aber sie führt zum Erfolg<br />

und als Sieger kann er vom Herzog sich etwas wünschen.<br />

Leider kann er nur eine dreijährige Schonzeit für Drachen<br />

erwirken, verspeist doch dieser auch am liebsten Drachenzungen<br />

oder Drachenschwänze zu Festtagen!<br />

Aber es müssen ja noch weitere Bände geschrieben werden.<br />

Da will z. B. der Herzog seine Tochter vermählen.<br />

Dass sich da Ritter Zipp auf die Beine macht, ist selbstverständlich,<br />

will er doch weiterhin die Drachen beschützen.<br />

Im dritten Buch: Drachen lassen`s richtig krachen besteht<br />

das Abenteuer in der Rettung des vielleicht letzten Flugdrachens.<br />

Im nächsten Band werden die kaum geborenen<br />

Jungdrachen entführt und …<br />

Das Mittelalter mit all seinen Problemen und Merkwürdigkeiten<br />

wird den jungen und alten Lesern durch das<br />

Begleiten des kleinen tapferen Helden und Anti-Ritters<br />

Zipp somit würdig und einfühlsam nahe gebracht.<br />

Ja, eine wirklich spannende Serie, die in so freundlichem,<br />

humorvollem Ton erzählt und vom Autor gezeichnet<br />

wurde, dass man gratulieren und sofort ein Buch, sei es<br />

als Geschenk oder Vorlesebuch, kaufen wird! E.Rie.-Ü.<br />

Egyd wedelt mit dem Lindwurm. Nein, Gstättner<br />

wedelt nicht! Er peitscht seine Heimatstadt Klagenfurt<br />

und all ihre dummdreisten oder nichtdenkenden Bürger,<br />

Politiker, Scheinheiligen, Schulunpädagogen oder Bild-<br />

Zeitungs-Schreiber, seien sie auch anderswo verortet.<br />

Wir (Majestätsplural!) sind viel Freches von ihm gewöhnt,<br />

aber er kann es immer noch auf die Spitze treiben. Sind<br />

ja auch die Umstände in Öffentlichkeit (Bundespräsidentenwahl,<br />

Friedensnobelpreis etc.) Bildung (Stichwort:<br />

Zentralmatura oder PISA-Test etc.) nicht besser geworden!<br />

Warum kann man ihm nichts übel nehmen? Weil er<br />

immer in der Ich-Person vor sich hinwitzelt und liebenswert<br />

spuckt und spukt!<br />

Er möchte höchstpersönlich Landeshauptmann sein und<br />

übt schon mal das „Grias Di“ und das freundlich in die Augen<br />

blicken von Passanten. Er höchstpersönlich möchte<br />

in die Hofburg als Bundespräsident einziehen, schließlich<br />

ist er „über 36, nicht vorbestraft, zeckengeimpft<br />

und habe hier am Schreibtisch schon so manches Band<br />

durchschnitten!“<br />

Wäre ja gar nicht so übel! Dann hätten die Österreicherinnen<br />

und Österreicher mehr zu lachen und durch den<br />

Spott hindurch würden sich vieles entschleiern. Denn mit<br />

seinem Spott entlarvt er die Sprache und Denkweise der<br />

Halbherzigen, Unwissenden und somit Gefährlichen. Die<br />

Einsicht, dass Handlungsbedarf dringend gegeben sei,<br />

hat er in seiner schonungslosen Art offengelegt. Vielleicht<br />

fänden sich politische Mitstreiter, die genauso wissen:<br />

Nur mit Spott und Humor kommt man dem Übel bei.<br />

Nach einer Lesezeit von nur 5 Minuten in diesem neuen<br />

Band Gstättners werden Sie mir Recht geben! Sie können<br />

die 100 Glossen sowieso nur scheibchen/seitenweise<br />

genießen, so prall sind die jeweils ein, ein halb Seiten<br />

langen Miniaturen gefüllt!<br />

Zum Schluss werden Sie süchtig nach Werken Egyd Gstättners<br />

sein und ihm S. 119 zustimmen: „die Wirklichkeit<br />

muss wegen praktischer Undurchführbarkeit abgesagt<br />

werden.“<br />

Eva Riebler-Übleis


60 DRACHEN|März 2017 Rezensionen<br />

H.J. Wimmer/<br />

M. Steinfellner:<br />

Sprachvorspiele<br />

St. Pölten: Literaturedit. NÖ,<br />

2016, bebil. 120 Seiten<br />

978-3-902717-36-8<br />

Gerhard Benigni:<br />

Der Usambaraveilchenstreichler<br />

auf dem Weg<br />

zum Südpol;<br />

Verlag SchriftStella,<br />

2016, 203 Seiten<br />

978-3-95041<strong>67</strong>-0-1<br />

Heidi Kastner:<br />

Tatort Trennung<br />

Ein Psychogramm<br />

Wien: Kremayr&Scheriau,<br />

2016, 160S.<br />

978-3-218-01040-5<br />

Sensibles. Die Sprache dient in den 55 Liebesgedichten<br />

H. J. Wimmers (Autor von Kurzprosa, Romanen Essays,<br />

Lyrik, Hörspielen etc.) als erotisches Vorspiel, so lässt<br />

der Titel vermuten. Er zitiert S. 1 „die bedeutung eines<br />

wortes ist sein gebrauch in der liebe“ und geht noch<br />

weiter: „ die bedeutung eines wortes ist seine liebe in<br />

der liebe“. Das Wort sowie die Liebe soll geliebt werden!<br />

So transportiert er auch die Liebe zu den Worten durch<br />

ihre Zerlegung, Reduzierung und Umkehrung. So verstärkt<br />

er den Sinn, die Semantik der Sprache und spielt<br />

mit ihr. Er versucht die Gefahr der Sinnloswiederholung<br />

oder Worthülsen-Brauerei zu umschiffen und den Wortbedeutungen<br />

auszubeuten oder auf die Sprünge zu helfen.<br />

Vielleicht nistet sich Endloswiederholung im Auge<br />

des unaufmerksamen Betrachters ein, die durch scheinbare<br />

Gleichförmigkeit der zugeordneten Malereien<br />

verstärkt wird. Aber der Leser soll ja geschult weden in<br />

seiner Aufmerksamkeit, Nuancen wahrnehmen können.<br />

Er wird ja auch bereichert in der Auswahl von Adjektiven:<br />

S. 5 in: „gegenwartssinn“: nasenzart / lippenfest /<br />

zungenfroh / dein geschmack …Hörbare sinnliche Bereicherung<br />

gibt es S. 12: in „frei wie los“: die federnden<br />

körper / auf dem federbett / das federnde fleisch.<br />

Diese persönliche Ausdrucksweise H. J. Wimmers aus<br />

Melk war Ausgangsmaterial für die Papierarbeiten der<br />

Mistelbacherin Marion Steinfellner. Sie liebt die Kombination<br />

von Dichtung/Malerei, zeitgenössische Performance<br />

und Butohtanz und lässt auch in diesen Bildern<br />

Bewegung spüren. Die Farben rinnen und ergeben Flecken,<br />

die wie Tanzchoreografien wirken oder umgekehrt<br />

Bewegungsstudien sein könnten. Mein Lieblingsbild ist<br />

das Ruhe ausstrahlende S 56, das dem Gedicht „sprachnachspiel“<br />

zugeordnet ist. Es bedeutet für mich, wie es<br />

die letzte Textzeile ausdrückt: „die stille im geräusch des<br />

klangs / die stille in den klängen der geräusche“.<br />

Ein repräsentativer Band! Gratulation den Künstlern und<br />

der Literaturedition NÖ zu diesem Programmschwerpunkt!<br />

Eva Riebler-Übleis<br />

Tiefes leicht. Sie wollen sich amüsieren. Gelegentlich.<br />

Haben Gefallen an Spielsprache. Hier sind sie richtig.<br />

Gerhard Benigni nimmt sie mit hinein in die Welt seiner<br />

schier unerschöpflichen Sprachspiele. Geschichten<br />

aus dem Alltag. Vermeintlich. Verdichtet. Auf Punkt und<br />

Beistrich gebracht.<br />

Ab und zu eine der Kurzgeschichten zur Zerstreuung<br />

genoss ich. Manchmal konnte ich nicht aufhören und<br />

verschlang eine nach der anderen. Das wurde mir meist<br />

zu viel des Sprachspiels und ich blieb fast mit einem<br />

Nachgeschmack zurück.<br />

Manche Geschichten erschienen – abseits des Sprachspiels<br />

– schlicht; in anderen entdeckte ich auch eine<br />

gewisse Tiefsinnigkeit.<br />

Ob das wirklich mit den Inhalten zusammenhing oder<br />

mit meiner jeweiligen Eingangsstimmung – ich weiß<br />

es nicht.<br />

Vielleicht kann ich dem Buch mit dieser kurzen Rezension<br />

gar nicht gerecht werden, denn es ist ihm schließlich<br />

auch kein Klappentext gegeben; besser gesagt vielmehr<br />

ein „verinnerlichter Klappentext“, bei dessen Lektüre<br />

man unter anderem erfährt: „Um eine gründliche Verinnerlichung<br />

zu ermöglichen, wurde dieser Klappentext<br />

bewusst nicht außen auf dem Buch angebracht. So viel<br />

zum einen.<br />

Auf der anderen Seite, von der im weiteren Verlauf<br />

durchaus gewollt noch viele folgen werden, ist es doch<br />

so, dass eine Veräußerung dieser Zeilen, der Aufforderung<br />

folgend, die Klappe zu halten, bei nicht korrekter<br />

Handhabung eine nicht vernachlässigbare Verdeckungsgefahr<br />

in sich bergen würde und im äußersten<br />

Fall in vollkommener Undurchschaubarkeit enden<br />

könnte.“<br />

Sollten Sie bis hierher gelesen haben, ist das Buch sicher<br />

richtig für Sie; wenn nicht wohl auch - aber das erfahren<br />

Sie ja nicht mehr von mir.<br />

Andreas Wundsam<br />

Sie wollten schon längst mal all Ihre Vorwürfe<br />

herauslassen und mit Trennung drohen? Nach<br />

dem Lesen dieses Werkes werden Sie eher an sich arbeiten<br />

und nicht nur Schuldzuweisungen von sich geben. Allerdings<br />

geben nicht alle Partner taugliche Beziehungs- und<br />

Gesprächspartner ab, die willens und fähig sind, sich mit<br />

einem anderen auseinanderzusetzen. „Wir alle sind von<br />

Grund auf erklärungssuchende Wesen und können Erlebnisse<br />

dann besser akzeptieren, wenn es uns gelingt, sie in<br />

ein nachvollziehbares Kausalitätsraster einzuordnen.“, so<br />

die Autorin S. 147.<br />

Dieses Werk lehrt einen, aus der Sicht des anderen eine<br />

Situation zu überdenken, was nicht heißt ein Übermaß<br />

an Anpassung sich selbst abzuverlangen oder sich so tief<br />

hinabziehen zu lassen, dass man den anderen dann hasst.<br />

Eine Eheschließung begann schließlich meist mit dem<br />

Versprechen, sich zu achten und zu ehren. Das Problem<br />

besteht allerdings auch darin, dass es fünf positive Äußerungen<br />

bedarf, um eine negative Äußerung zu kompensieren.<br />

Die Autorin ist die Fachärztin für Psychiatrie, Neurologie<br />

sowie Gerichtspsychiaterin. Seit 2005 gab sie als<br />

Chefärztin der forensischen Abteilung der Landesnervenklinik<br />

Linz einige Werke über Wut und Verbrechen heraus.<br />

In diesem nun schreibt sie kapitelweise über die Eheschließung<br />

und das Eheversprechen, die langsame,<br />

scheibchenweise Trennung, die Wucht der Rosenkriege,<br />

über die Besitzstörungsklage, das ungleichschenkelige<br />

Dreieck – sprich über die ungeliebte Rolle der Geliebten<br />

- , die Schlägereien oder Übergriffe und über die belanglosen<br />

Verhältnisse, deren Trennungen auch oft belanglos<br />

vor sich gehen.<br />

Vorallem ihr Stil ist weder prätentiös noch distanziert lakonisch,<br />

sondern mit Humor und Anteilnahme gespiekt.<br />

Sie weiß um den menschlichen, romantischen Wunsch<br />

emotionale Heimat – sprich: Zugehörigkeit, Anteilnahme<br />

und Geborgenheit zu finden.<br />

Spannend zu lesen und gewinnbringend für den eigenen<br />

Lebensentwurf zu verwerten! Eva Riebler-Übleis


Rezensionen DRACHEN|März 2017<br />

61<br />

Andrea Pesata:<br />

der flug des habichts<br />

ariadne sucht den faden<br />

Verlagshaus Hernals,<br />

Wien 2015, 144 Seiten<br />

978-3-902975-26-3<br />

Elisabeth Reichart:<br />

Frühstück bei Fortuna<br />

Salzburg: Otto Müller Verlag,<br />

2016, 220 Seiten<br />

978-3-7013-1247-4<br />

Dietmar Füssel:<br />

Wiederholte Geburten<br />

Historischer Roman,<br />

Sisyphus, 2016, 622 Seiten<br />

978-3-903125-08-7<br />

Endzeit. Als »ein psychogramm« bezeichnen Autorin<br />

und Verlag ein Buch, das von den Gedanken und<br />

vergangenen Gesprächen der Ich-Erzählerin bestimmt<br />

wird. Der Ton ist, von der ersten Zeile an, aufgeregt,<br />

klingt an manchen Stellen fast panisch, dann resignierend,<br />

aber vor allem: betroffen.<br />

Das Buch liest sich wie eine Anrede. Der Monolog der<br />

Erzählerin richtet sich an einen sehr guten Freund, nicht<br />

einen Geliebten, sondern eben einen Freund. Hier wird<br />

viel Gemeinsames aufgerollt und angesprochen, die Erzählerin,<br />

die wie die Autorin Andrea heißt, erinnert an<br />

Erlebnisse, an Gespräche, an Telefonate, von denen die<br />

meisten innerhalb einer recht kurzen Zeit stattfanden,<br />

der viel zu kurzen Zeit vor dem Tod des Freundes.<br />

Die Rede ist von Krankheit, von unterschiedlichsten Versuchen,<br />

etwas gegen die Erkrankung zu unternehmen<br />

oder – oft – einfach die Augen vor ihr zu verschließen.<br />

Die Erzählerin spricht sich, so scheint es, in Rage, den<br />

im Gegensatz zum kranken Freund scheint sie viel klarer<br />

erkannt zu haben, was da ablief, ohne dass sie jedoch<br />

wirksam hätte eingreifen können. Vielleicht spricht sie<br />

von der Ohnmacht vor dem Tod; ganz sicher jedoch von<br />

der Ohnmacht vor Abläufen, die sie einerseits wegen<br />

der tödlichen Krankheit und andererseits aufgrund der<br />

bisweilen haarsträubenden Ignoranz und Indifferenz<br />

anderer Personen im Umkreis des Freundes kaum beeinflussen<br />

konnte.<br />

»der flug des habichts« der 1963 in Wien geborenen<br />

Autorin Andrea Pesata erschien im Verlagshaus Hernals.<br />

Auf dem Buchumschlag ist ein Bild der Autorin<br />

zu sehen, die auch als bildnerische Künstlerin tätig ist.<br />

Ihr Roman ist eine Suada, die kunstvolle sprachliche<br />

Formulierungen mit dialektalen Passagen und Fremdsprachigem,<br />

Englisch, Kroatisch, Latein, vermengt.<br />

Sprachen, die das Unbegreifliche zu greifen suchen.<br />

Klaus Ebner<br />

Vermutete Liebe. Aus zwei Ich-Perspektiven betrachtet<br />

die Autorin ein und dieselbe Beziehung. Eric aus<br />

Berlin glaubt, er steht auf einem Abstellgleis, kämpft mit<br />

seinen eigenen Phobien, Schuldgefühlen und Ängsten<br />

und möchte doch eine ehrliche, innige Beziehung zu<br />

seiner entfernten Freundin. Sie ist Mikrobiologin in Wien,<br />

in ihre Forschung äußerst vertieft und leidet am Tod ihres<br />

ersten Geliebten, der sie als ganz junges Mädchen übergebühr<br />

vereinnahmte und fast abhängig machte. Immer<br />

wieder denkt sie an diesen und zieht Vergleiche. Bei dieser<br />

Konstellation sieht man bereits die Bereitschaft der<br />

Autorin auf Psychologie einzugehen und Lebenspsychologie<br />

daraus zu machen. Es ist ihr wirkliches Können, die<br />

handelnden Figuren – man könnte sagen: therapeutisch<br />

– aufzubereiten und das Interesse der Leserschaft im Nu<br />

zu multiplizieren.<br />

Wirklich spannend sind auch die fast tatortverdächtigen<br />

Vorgänge im Labor in Wien. Die geheimnisvollen Gestalten,<br />

die im Haus an unbekannten Orten wohnen, werden<br />

zu Menschen aus Fleisch und Blut. Aus ihrem grantigen<br />

Laborchef wird ein freundlicher und aus ihrer fleißigen<br />

Laborassistentin könnte ihre zukünftige Laborchefin und<br />

Brötchengeberin werden. Die Dinge ändern sich: Was für<br />

eine Mikrobiologin, für eine in Zellbilder und Zellteilung<br />

Vernarrte unmöglich erschien – wird zur Tatsache: Sie<br />

kündigt und widmet sich nicht mehr dem Bisherigen:<br />

der schönen Zartheit, der durchs Mikroskop beobachteten<br />

Schwingung der Zelle, ihrer Vielfalt, Veränderung,<br />

Zusammenarbeit oder Verständigung…<br />

So kann die Autorin die Parallelen zwischen den untersuchten<br />

Zellen und den Personen verdinglichen und<br />

zeigen, wie Vielfalt passiert, sich Lebenswege verändern,<br />

Zusammenarbeit und Verständigung zwischen<br />

den Menschen statt finden oder es kaputte, deformierte<br />

Zellen/Menschen gibt, die auf den ersten Blick wunderschön<br />

harmonisch aussehen und doch wie manche Zellen/Menschen<br />

Abweichungen und Deformationen erkennen<br />

lassen. Ein großartiges Werk! E. Riebler-Übleis<br />

Mehr Sprach- als Frauenarzt. Dietmar Füssel, der<br />

schon in seinen Dramoletten Talent gezeigt hat, erweist<br />

sich in seinem Roman ‘Wiederholte Geburten’ wiederum<br />

als Meister sophistischer Rabulistik. Was einem Frauenarzt<br />

zur Zeit Ramses II. alles zustoßen kann, wenn<br />

er etwas naiv sich als Werkzeug diplomatischer Ränke<br />

verwenden lässt, und wie er sich aus jedem Schlamassel<br />

herausredet oder herausreden lässt, schafft erstklassiges<br />

Lesevergnügen. Dialoglastigkeit, in anderen Prosawerken<br />

oft bis zur Erzählflaute ausgeweitet, wird hier zum<br />

Ausdruck der Rede- und Sprachabhängigkeit des Menschen.<br />

Dazu kommen reichlich Hinweise auf prinzipielle<br />

Unbestimmbarkeiten, bei denen das Missverständnis<br />

nicht nur aus dem üblichen ungenauen Zuhören oder aus<br />

eulenspiegelartiger Ausnützung von Mehrdeutigkeiten<br />

stammt. Selbst auf das Befremdliche des Redens an und<br />

für sich macht Füssel mehrfach aufmerksam, etwa wenn<br />

inmitten einer brutalen Prügelei sich die Beteiligten in<br />

vorbildlicher Syntax und vollständigen Sätzen auseinandersetzen,<br />

als wären nicht verbale Prügeleien mit mangelhafter<br />

Argumentation in politischem oder medialem<br />

Bruchdeutsch längst die Norm.<br />

Trotz dem Titel hat der Roman mit Esoterik oder Wiedergeburt<br />

nichts zu schaffen, im Gegenteil, wir lesen von<br />

einem Menschen, dem die Einmaligkeit seines Lebens<br />

sehr bewusst ist. Mag man an den Folgen der berühmten<br />

Schlacht von Kadesch auch nicht so innig interessiert sein,<br />

nach der sich sowohl Hethiter als auch Ägypter jeweils als<br />

prächtige Sieger bezeichneten (was uns aus der heutigen<br />

Politik auch bekannt sein müsste), bleibt das zeitlose<br />

Motiv, wie Menschen von der hohen Politik benutzt und<br />

verbraucht werden, ob sie sich nun opferbereit in deren<br />

Dienste stellen oder ihr eher ausweichen. Selbstverständlich<br />

gibt es auch noch vielfältigen sozial breit gestreuten<br />

Figurenreichtum, Abendteuer, Verwicklungen und Überraschungen<br />

und eine große Liebesgeschichte in dem<br />

Roman, deren knappes Happy End gewiss dem Lesergeschmack<br />

entgegenkommt.<br />

HWK


62 DRACHEN|März 2017 Rezensionen<br />

Martina Tischer:<br />

Die Göttin in mir<br />

Eine Reise in die Selbstliebe<br />

Berlin/Wien Goldegg Verlag,<br />

2016, 238 Seiten<br />

978-3-903090-54-5<br />

Ilse Kilic:<br />

Das sich selbst lesende Buch<br />

Graz, Klagenfurt: Ritter-<br />

Verlag 2016, 134 Seiten<br />

978-3-85415-543-0<br />

Axel Karner:<br />

Der weiße Zorn<br />

Lyrik, 40 Seiten<br />

Wieser Verlag, Klagenfurt<br />

2015, 40 Seiten<br />

978-3-99029-162-7<br />

Selbstliebe genügt - nicht. Die Autorin gibt nach<br />

„Braucht die Seele Apfelstrudel?“ und „100 Tage zuckerfrei“<br />

ein weiteres, der inneren und äußeren Schönheit,<br />

sowie sich selbst verpflichtetes Werk heraus. Diesmal<br />

geht es um – Zitat des Klappentextes: „Ist der nahende<br />

50. Geburtstag eine Katastrophe? Wird alles anders? In<br />

einem berührenden (sic!) Selbstexperiment stellt Martina<br />

Tischler sich ihren Ängsten und begibt sich auf eine<br />

Spurensuche zu sich selbst. Aphrodite, die Göttin der<br />

Liebe, Schönheit und ewigen Jugend begleitet sie sanft<br />

(sic!) durch alle Themen des Älterwerdens: …“.<br />

Da stellt sich bereits der/die Leser/in die Frage: Ist man<br />

nicht stets sich selbst auf der Spur? Reflektieren und<br />

verändern wir uns nicht ständig – oder erst ab dem 50.<br />

Geburtstag?<br />

Wenn Selbstreflektion von der Autorin thematisiert wird,<br />

warum setzt sie nicht ein Minimum voraus? Sollen LeserInnen<br />

dumm sein? Warum setzt sie ihrer Leserschaft<br />

langatmige, allzu alltägliche Gedanken vor?<br />

Wenn die Parameter bereits im Vorwort ungeprüft daher<br />

flutschen, ist es schwierig – scheint jedoch leicht zu<br />

sein- sich anscheinend schlüssigen Gedankenergebnissen<br />

anzuschließen! Auch, wenn man z.B. über „Schönheit“,<br />

Kapitel 18, S. 87 und darüber, dass wir Menschen<br />

dieser nachstreben, schreibt, sollte man zuerst diesen<br />

Begriff definieren und auch das Streben nach dem Ideal<br />

nicht einseitig unterschieben.<br />

Der Inhalt ist unreflektiert und viel Schein kommt persönlich<br />

einher: z.B. S. 160: „ … Ab ersten März wird der<br />

Frühling mit neuen Aufgaben eingeläutet. … „. Aphrodite<br />

haucht einen leichten Kuss auf meine Wange, drückt liebevoll<br />

meine Schultern und verschwindet.“<br />

Natürlich ist davon abgesehen, das Buch ein hervorragender<br />

Ratgeber, sich selbst zu lieben, zu stärken und<br />

jeden Augenblick des Lebens zu genießen!<br />

Zugute halten sollte man der Autorin außerdem das<br />

Nachwort und anschließende Buchregister aus der vorwiegend<br />

englischen Fachliteratur. Eva Riebler-Übleis<br />

Der Veza-Canetti- Preis ging 2016 an die Wiener<br />

Autorin Ilse Kilic. In der Jurybegründung hieß es: „Ilse<br />

Kilic ist eine vielseitige Autorin und Künstlerin, die (...)<br />

produktive Kooperationen mit anderen Künstler_innen<br />

pflegt. In ihrer ‚unverkopften Art‘ (Sebastian Fasthuber)<br />

experimentelle Literatur zu schreiben, geht es um Regel/<br />

Brüche und ebenso verspielte wie theoretisch fundierte<br />

Befragungen von Autor_innenschaft,(...).<br />

Ilse Kilic nimmt, ähnlich wie Veza Canetti, gesellschaftliche<br />

Machtverhältnisse in den Fokus, bezieht sich auf<br />

das 2013 im Ritter-Verlag erschienene Buch „Wie der<br />

Kummer in die Welt kam“, explizit auf die darin auftretenden<br />

Figuren, welche von nun an ihr Leben selbst in<br />

die Hand nehmen wollen, um irgendwann in die Realität,<br />

in die Wirklichkeit, zu entschwinden. Doch was<br />

unterscheidet Wirklichkeit von Fiktion und umgekehrt?<br />

Gibt es eine eindeutlige Trennlinie?<br />

Verspielt und doch ernsthaft liest sich die Petition der<br />

Romanfiguren aus dem noch immer unsichtbaren Romanfigurenkabinett<br />

(S. 28) und ihre Forderung, einen<br />

Ausweg in die Sichtbarkeit zu finden.<br />

Die fiktive Auseinandersetzung zwischen den Protagonisten<br />

und der Autorin beziehen die Leser unmittelbar<br />

ein in den Gedankenfluss: „Wir müssen Ilse Kilic anders<br />

erzählen, damit auch sie uns anders erzählt.(S. 97). Reflexionen<br />

der Figuren und Überlegungen, die Autorin<br />

betreffend, fließen ein in Kurztexte, ebenso Utopien von<br />

einer anderen Welt.<br />

Den Abschluss bilden Fragen zur Zufriedenheit der Leser,<br />

des Figurenkabinetts und letztlich der Autorin mit<br />

sich selbst.<br />

Melancholische Fröhlichkeit durchzieht den Roman.<br />

Ilse Kilic, eine unverkennbare Autorin aus dem „Fröhlichen<br />

Wohnzimmer“, (www.dfw.at) eine prägende<br />

literarische Stimme Österreichs!<br />

Unbedingt lesen!<br />

Cornelia Stahl<br />

Aufschrei der Idylle. Der 1955 in Kärnten und heute<br />

in Wien lebende Autor Axel Karner legt mit »Der weiße<br />

Zorn« Lyrik vor, einen Lyrikzyklus oder ein einziges<br />

großes Gedicht, das aus rund zwanzig Abschnitten, inkl.<br />

Prolog und Epilog, besteht. Es führt uns in die Welt des<br />

Prosabuches »Der rosarote Balkon«, das drei Jahre zuvor<br />

ebenfalls im Wieser Verlag erschien. Dem Autor schwebt<br />

ein Triptychon vor, dessen dritter Teil noch aussteht und<br />

dessen Titel wohl ebenfalls auf eine Farbe anspielen<br />

wird.<br />

Die Texte geben einen Blick aufs Land frei, allerdings<br />

auf ein Land und eine ländliche Kultur, die nicht das<br />

Geringste mit verklärenden Sehnsuchtsvorstellungen zu<br />

tun haben. Es ist eine harte Welt, von der Axel Karner<br />

spricht, eine bigotte, kleinbürgerliche und jähzornige<br />

Welt. Es geht um ein Kind, das geboren wird und in<br />

diese Welt hineinwächst, Zwängen und überholten<br />

Vorstellungen ausgesetzt und von der Mutter vernachlässigt<br />

wird.<br />

Die Sätze und Satzfetzen, in Form von Gedichten knapp<br />

aneinandergereiht, vermitteln unmittelbar Eindrücke<br />

und Bilder, eindringlich und manchmal brutal. Man<br />

muss diesen Lyrikkomplex langsam lesen, vorsichtig, so,<br />

dass man sich nicht daran verschluckt, denn das könnte<br />

Koliken hervorrufen. »Da hört die Erde auf zu kreisen«<br />

(S. 30) ist noch eine der harmlosen Aussagen in diesem<br />

Buch, die jedoch bei genauer Betrachtung den Nagel auf<br />

den Kopf trifft. »Den Allmächtigen schweigen hören/am<br />

Ort der Wahrheit./Vor dem Haus des Großmauls.« (S. 10)<br />

Karners Zeilen sind eine Abrechnung. Mit einer engstirnigen<br />

Gesellschaft, mit latenter Gewalt, mit der das alles<br />

verschleiernden Religiosität. Dennoch begegnen wir<br />

nicht nur dem Zorn, sondern auch Versen von in diesem<br />

Kontext überraschender Ästhetik. »Lauf um dein Leben,/weißer<br />

Wolf.« (S. 36) Anschaulichkeit und Aufruhr<br />

heißen die beiden Antlitze des Geschehens.<br />

Klaus Ebner


Rezensionen DRACHEN|März 2017<br />

63<br />

Gerhard Loibelsberger:<br />

Killer-Tschick<br />

Haymon Verlag 2016,<br />

248 Seiten<br />

978-3-7099-7251-9<br />

Richard Schuberth:<br />

Karl Kraus<br />

30 und drei Anstiftungen.<br />

Essay.<br />

Wien: Klever-Verlag, 2016.<br />

978-3-903110-11-3<br />

Jonis Hartmann:<br />

Bordsteinsequenzen<br />

Gedichte.<br />

Nettetal: Elif-Verlag.<br />

2016. 98 Seiten<br />

978-3-9817509-6-6<br />

Dass das Rauchen tödlich sein kann, steht nicht<br />

nur auf den Zigarettenverpackungen, sondern ist eine<br />

allgemein gültige Tatsache, der der bekannte Krimiautor<br />

Gerhard Loibelsberger eine neue Dimension verleiht.<br />

Sein neuer Krimi wird diesmal nicht von seinem Kommissar<br />

Nechyba, bekannt aus den Naschmarktkrimis,<br />

sondern vom Team der TV-Serie „Soko Donau. Soko<br />

Wien“ gelöst. Vor allem die Gruppeninspektorin Penny<br />

Lanz rückt in den Mittelpunkt des Geschehens. Im Gegensatz<br />

zu der TV-Serie ist Penny nicht nur eine engagierte<br />

Ermittlerin; der Autor sucht in ihr die Privatperson<br />

Penelope und schenkt ihr somit eine Biographie.<br />

Die Geschichte beginnt mit dem Tod einer alten Frau,<br />

der Antschi-Tant, die als passionierte Kettenraucherin<br />

aus Spargründen auf „billige“ Zigaretten umsteigt, die<br />

sie in einem Gasthaus unter der Hand kauft und bald<br />

danach stirbt. Kurz danach taucht eine weitere Leiche<br />

auf, diesmal ist das Opfer ein junger Chinese, dessen<br />

Leiche mit Brandwunden von ausgelöschten Zigaretten,<br />

übersät ist. Die Spuren führen zu einem mysteriösen Mr.<br />

Dong, der aus China heiße Ware nach Wien transportiert.<br />

Bald ist klar, dass diese Zigaretten mit Giftstoffen<br />

versetzt, das es die „Killer-Tschicks“ sind.<br />

Es geht offensichtlich um den Zigarettenschmuggel, in<br />

den nicht nur die Chinesen, sondern auch sogenannte<br />

ehrenwerte Bürger der Wiener High Society verwickelt<br />

sind. Korruption, Vergewaltigung, Menschenhandel<br />

sind das Alltagsgeschäft dieser „feinen“ Gesellschaft.<br />

Und was wäre ein Wiener Krimi ohne den Wiener Dialekt?<br />

Da wird „gepofelt“ und „gepflanzt“, die Protagonisten<br />

als Schaßtrommel und Kieberer genannt, es<br />

wird gemützelt, etwas ausg’fressen und einem geht das<br />

G’impfte hoch. Die Freunde des Wienerischen kommen<br />

bei dieser saloppen Sprache voll auf ihre Kosten. Für<br />

diejenigen, die diese Ausdrücke nicht verstehen, stehen<br />

erklärende Fußnoten zur Verfügung.<br />

Ein gut recherchierter, spannender Krimi mit Wiener<br />

Flair. Eine Empfehlung.<br />

Zdenka Becker<br />

Appetit machen, Karl Kraus wieder zu lesen. Der<br />

Künstler Richard Schuberth geht manchmal ungewöhnliche<br />

Wege: Bereits als Schauspieler und Cartoonist<br />

konnte er seine Talente unter Beweis stellen. Hervorheben<br />

muss man sein feines Gespür für zeitgenössische<br />

Themen. Während der Wiener Integrationswoche 2015<br />

erhielt er den MigAward als Persönlichkeit des Jahres.<br />

Mit seinem neuen Buch verfolgt der Autor die Absicht,<br />

Appetit zu machen, Karl Kraus wieder zu lesen und über<br />

„selten begangene Schleichpfade (…) Vorstöße in die<br />

innersten Spannungsfelder von Karl Kraus“ zu unternehmen<br />

(S.9/10).<br />

Das im Klever-Verlag erschienene Buch enthält die in<br />

der Wiener Straßenzeitung Augustin veröffentlichte<br />

Serie über Karl Kraus und fügt drei weitere Essays hinzu:<br />

Blauer Dunst und brauner Dunst, Die Charakterfrage-<br />

Karl Kraus in schlechter Gesellschaft? sowie #kraus<br />

#sprachkritik # janund? Schuberth reflektiert die Denkweise<br />

der ambivalenten Persönlichkeit Karl Kraus: sein<br />

Verhältnis zu Frauen, seinen Hass gegenüber bürgerlichen<br />

Lebensformen sowie seine Haltung gegenüber<br />

dem Austrofaschismus.<br />

Als Hitler 1933 Reichskanzler wurde, reagierte Kraus<br />

mit Schweigen, äußerte sich erst 1934 mit einem ein<br />

dreihundert Seiten- Konvolut zum Kanzlerantritt.<br />

Schuberth geht auch auf die geistige Liebesbeziehung<br />

zwischen Karl Kraus und Rosa Luxemburg ein, die<br />

Kraus´frühe sozialkritische „Fackel“-Texte lobte. Als Einstieg<br />

in die Lektüre empfehle ich den autobiograhischen<br />

Nachtrag Schuberth´s. Der niederösterreichische Autor<br />

legt ein gründlich recherchiertes Werk vor, das mehrere<br />

Mußestunden erfordert, die sich jedoch auszahlen!<br />

Wissensdurstigen sei das Archiv der Wienbibliothek im<br />

Wiener Rathaus empfohlen.<br />

Die Zeitschrift „Fackel“ kann man bereits online lesen<br />

(https://de.wikisource.org/wicki/Die Fackel). www.<br />

kraus.wienbibliothek.at<br />

Cornelia Stahl<br />

Das Biest mit den blutigen Lippen, so beschreibt<br />

Jonis Hartmann das unbekannte Wesen Skron (S.39),<br />

mit dem er durch die Stadt fliegen und für immer<br />

unsterblich bleiben möchte. 98 skurril anmutende Gedichte<br />

stellt er im schmalen Band „Bordsteinsequenzen“<br />

vor. In drei Kapiteln, thematisch untertitelt, wagen sie<br />

„den Blick von unten schräg auf die Welt“ (Jan Kulbrodt).<br />

Der 1982 in Köln geborene und in Hamburg lebende<br />

Autor, Architekt und Essayist, ist Mitorganisator der internationalen<br />

Lesereihe „Hafenlesung“. Im Kapitel „Wo<br />

man sich trifft/ Wenn man Ufos gesehen hat“- tauchen<br />

vertraute Bilder von Hafenszenen auf: „Ein Hafen in jedem<br />

Mädchen“, die ebenso dienlich sind für Wort- und<br />

Sprachspielereien. Wünsche und Sehnsüchte wie dem<br />

Ankommen (im Hafen, Beziehungen eingehen), dem<br />

Wunsch, getragen zu werden, korrespondieren mit dem<br />

Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit.<br />

Kostprobe: „Würdest du mich tragen?/ Spring auf aber/<br />

Berühr mich nicht“(S.13). Eine verbindliche Unverbindlichkeit<br />

grundiert die lyrischen Texte und erinnert an<br />

Kommunikationsfetzen in digitalen Netzwerken, die<br />

von Usern gelesen werden, oder auch nicht, so zum Beispiel<br />

im Gedicht „Daphne“: „Gut geht’s mir/ Außer dass<br />

ich bald sterb/...Es war einfach nicht fassbar/ Denk ich/<br />

Aber das wollt ihr nicht wissen“ (S.38). Existenziell wird<br />

es noch einmal im Gedicht „Nachts“, in dem es heißt.“<br />

Alle Plätze belegt/Die Zelte dicht die/ Stühle angekettet<br />

an/...“ - Schon die dreimalige Wiederholung in jeder ersten<br />

Zeile „Nichts tun kann ich nur“... birgt Bedrohliches<br />

in sich, deutet Ungewissheit an, lässt ein Gefühl von<br />

Ohnmacht und Unsichheit mitschwingen. Ein Meisterwerk!<br />

Der Wahlhamburger Jonis Hartmann publizierte bisher<br />

zwei Bücher im Chaotic Revelry Verlag, arbeitete als<br />

Lektor, Übersetzer, als Versuchskaninchen und Statist.<br />

Den Hamburger Förderpreis für Literatur erhielt er 2014.<br />

Cornelia Stahl


www.litges.at

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