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10 DRACHEN|März 2017<br />
Wolfgang Mayer König<br />
Der gehörnte Siegfried und sein Drache<br />
Die jüngere Moritat einer älteren Ballade<br />
Essay<br />
Dort oben taumelt mein alternder Drache, bevor er gänzlich<br />
erblindet, wird Gras über dem Schnee stehen. Wir<br />
fördern versteinerte Linden zu Tage, fixieren sie vor dem<br />
Eingang zur Höhle des Drachen. Ich sehe sie immer noch<br />
nutzlos dastehen, in unzulänglicher Länge aufwärts ragen.<br />
Wie einer Sage entrissen, bäumt er sich ein letztes Mal<br />
auf, wie zum Spott über den Unterschied zwischen ihm,<br />
dem altersschwachen, mehr verschleimt hüstelnden als<br />
effizient Feuer speienden Drachen und der muskulösen<br />
Kleinheit, Gedrungenheit und dümmlichen Blondheit von<br />
Siegfrieds eigentlich lächerlicher Gestalt, die allerhand<br />
Sprungakrobatik auf sich nehmen muss, um den alten<br />
Herren mit solcher Herumstichelei doch noch unterzukriegen.<br />
Als fatalistisches Symbol für das Geschehenlassen<br />
eines solchen Blutbades, schaukelt im Wind, die<br />
Schwerkraft mildernd, ein Lindenblatt hernieder, und das<br />
ausschließlich, um die verletzbare Stelle, angesichts solcher<br />
schnöder Vollkommenheit, aber auch eines solchen<br />
Übermaßes an unbeobachtet geglaubter Unverletzlichkeit,<br />
zu markieren. Wäre ja gar nicht notwendig gewesen.<br />
Denn die Verletzlichkeit bestand ja schon vorher; sie<br />
bestand einfach darin, dass Siegfried stets den Mangel<br />
empfinden musste, dass er vaterlos, also herkunftslos<br />
war. Die anderen deutschen Helden kämpften immer und<br />
überall, weil sie stets auf der Suche waren nach der einen<br />
Anerkennung eines gütig Grenzen setzenden Regiments<br />
eines Vaters, den viele jedoch nicht kannten. Sie waren<br />
ja immer auf der Suche danach unterwegs gewesen. Die<br />
meisten der deutschen Heldenfiguren, wie Siegfried, Parzifal<br />
oder Tristan, aber auch viele deutsche Politiker der<br />
Gegenwart, kannten ihre Väter nicht. Wenn eine bildhafte<br />
Darstellung für sie aufzutreiben war, konnte ihnen das<br />
wenigstens niemand nehmen. Die unbekannte Herkunft<br />
Siegfrieds verlockte zur Ausgestaltung seiner Jugendgeschichte,<br />
mündete im Lied vom „hürnen Seyfried”, im<br />
Volksbuch vom gehörnten Siegfried. Die Dimension solch<br />
verordneter und eingefädelter Gehörntheit, und damit frevelhaft<br />
missbrauchter Gutmütigkeit, erreicht tragisches<br />
Ausmaß. Was durch die Brautwerbung eines merowingischen<br />
Fürsten in das burgundische Königshaus hinein<br />
begann, konnte nur dann mit einer Einheiratung erfolgreich<br />
enden, wenn vorerst der Gatte beseitigt war. Hier<br />
könnte auch kein Schwert „Balmung” oder „Gram” oder<br />
auch „Grimm” helfen, weil im Unterschied zu einem alternden<br />
Drachen menschliche Hinterlist und Tücke stets<br />
gewaltsamer sind als alle Schwerter dieser Welt. Weil<br />
auch der Gutgläubige letzten Endes stets schutzlos und<br />
damit machtlos ausgeliefert ist, den unter jede Bestialität<br />
reichenden Niederungen des Lebens wirkungsvoll zu<br />
begegnen. Die sogenannte Liebe macht es auch leicht,<br />
die weibliche Ichbezogenheit wissentlich oder unbewusst<br />
zu instrumentalisieren, leicht, die Treue als patriarchalisch<br />
und veraltet abzuqualifizieren. Die Männer zu Profilierungs-<br />
und Kampfmaschinen abzustempeln und für<br />
sich selbst gleichzeitig erotische Freiräume zu schaffen.<br />
Angestachelt von den Distanzfantasien der Dichter und<br />
Sänger, sich nur aus der Entfernung unerreichbar zu nähern.<br />
Während der Gatte die bittere Wirklichkeit des Niedergangs<br />
und der Preisgabe an die Lächerlichkeit durchmacht.<br />
Dabei ging es immer nur um die geheime Macht<br />
der Frau, begehrenswert, verlockend und anziehend zu<br />
wirken und lieblich auszuschauen, aber tatsächlich kälter<br />
als der Tod zu sein. Der Geste der Männer nicht abgeneigt,<br />
aber schlussendlich doch auch auf ihre kampfbedingte<br />
Entsorgung insgeheim bedacht, berechnend und<br />
gefühlskalt die eigene geschlechtliche Stellung dabei<br />
auszuspielen. Völlig verfehlt also der immer wiederkehrende<br />
sprichwörtliche Vergleich mit dem Drachen oder<br />
„Hausdrachen”. Dem ohnehin durch seine Herkunftslosigkeit<br />
von Haus aus für sein Leben geschwächten Held<br />
wird so der Rest gegeben. Das Publikum war stets auf die<br />
Präsenz solcher Helden ausgerichtet. Die Söhne hätten in<br />
spielerischem Kampf dagegen aufbegehren können. Aber<br />
die Fortsetzung des Spiels ist nie der Ernst, sondern immer<br />
nur die Wirklichkeit, die den Menschen einholt, gleich<br />
wo er steht. Es sollte ihm kein Vorbild fehlen, an dem er<br />
sich messen, an dem er sich reiben kann. Kinder wollen<br />
unbedingt an einem Punkt ihres Lebens, die Anerkennung<br />
beider Elternteile erlangen können, so selbstbewusst sie<br />
auch sein mögen. So gelänge auch die Zueinanderfindung