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24 DRACHEN|März 2017<br />
Egyd Gstättner<br />
Wie ich den Lindwurm verschluckt habe<br />
Essay<br />
Als ich noch ein angry young man war, habe ich tief im alten<br />
Jahrtausend einmal geschrieben, es stünde zu befürchten,<br />
dass ich in den Brunnen spucke, aus dem ich trinke, oder<br />
umgekehrt, dass ich aus dem Brunnen trinke, in den ich gespuckt<br />
habe, sodass ich also meine eigene Flüssigkeit wieder<br />
zu mir und in mich nehme, ein ganz natürlicher, geschlossener<br />
Kreislauf. Es stünde weiter zu befürchten, dass ich den<br />
Kommunalpolitikern und Minimundusfiguren gegenüber renitenter<br />
würde, in der Literatur gäbe es keine Jausengegner. Es<br />
wäre möglich, dass ich einen Briefwechsel mit dem Bürgermeister<br />
anfange, in dem ich ihm vorschlage, den Lindwurm<br />
vom Neuen Platz zu entfernen und durch eine überlebensgroße<br />
Goldbüste meiner Person zu ersetzen. Dafür gäbe es<br />
triftige Gründe: Der Lindwurm (der im Inneren eines Brunnen<br />
am Hauptplatz podestiert ist) schädige den Tourismus und<br />
die Fremdenverkehrswirtschaft. Die Sommergäste kämen in<br />
Erwartung eines mächtigen Steinungeheuers und seien bei<br />
der Altstadtbesichtigung sofort maßlos enttäuscht von unserem<br />
verwitternden Möchtegernungetüm! In natura sei der<br />
Lindwurm mickrig, sabbere, wende den Stadtvätern das Hinterteil<br />
zu und provoziere also geradezu Antiheimatliteratur,<br />
vielleicht sogar Antiheimatliteraturliteratur, und verweise auf<br />
den Sumpf, aus dem wir alle kommen. Ausgerechnet einen<br />
Wurm zum Symbol und Aushängeschild einer Stadt zu machen,<br />
muss zwangsläufig in die Unterliga führen, wie es der<br />
Austria, den sogenannten Lindwurmstädtern damals gerade<br />
passiert war, wie es ihnen alle paar Jahre einmal passiert, so<br />
auch heute und morgen und in aller Zukunft.<br />
Hingegen sei soziologisch einigermaßen fundiert, dass gerade<br />
Quereinsteiger in die Goldbüstengalerie mit hohen Popularitätswerten<br />
zu rechnen haben. Im Status quo wirkte meine<br />
Goldbüste noch einigermaßen dynamisch, jugendlich und<br />
zukunftsorientiert, befreite die Stadt von der permanenten<br />
Unterstellung der Totentollwut und wiese sie unverbrüchlich<br />
als Kunst- und Kulturstadt aus.<br />
Ähem, Stadtväterinnen und Väter! Ich bin kein Lindwurmkind<br />
– was denn nicht noch alles? – ich bin der Schöpfer schöner<br />
Dinge! Und beim Sechsteiler um 20.15 dürfte der Bürgermeister<br />
mich persönlich enthüllen. Es habe noch lange nichts mit<br />
Selbstüberschätzung, Eitelkeit oder Imponiergehabe zu tun,<br />
habe ich damals geschrieben, sich in puncto Bedeutsamkeit<br />
mit einem paralysierten Schmalspurarchiopterix messen<br />
können zu glauben, Herr Bürgermeister, und neu ist, ohne<br />
kritische Transzendenz und nicht über den Umweg der Weltverbesserung<br />
auf den Neuen Platz kommen zu wollen.<br />
Natürlich hätte mir der welterfahrende Bürgermeister entgegen<br />
halten können, dass man in Brno und Ljubljana – damals<br />
sagte man noch Brünn und Laibach – ja auch Lindwürmer als<br />
Wappentiere genommen hat, und immerhin hätten die Lindwürmer<br />
Flügel – geflügelte Tiere, geflügelte Worte, Geflügel,<br />
Geflügel, und was ist mit Wales? Wales, Herr Dichter, jetzt<br />
schauen Sie aber! Und was die Lächerlichkeit betrifft, Herr<br />
Angry, lassen Sie sich gesagt sein, die kleine Meerjungfrau in<br />
Kopenhagen ist noch viel lächerlicher als der Lindwurm, und<br />
erst der winzige Pisspage von Brüssel, der ist lächerlicher als<br />
der Lindwurm und die Meerjungfrau zusammen, dem muss<br />
die Stadtverwaltung jeden Tag ein anderes Kostüm anziehen,<br />
damit er überhaupt etwas gleichschaut! Oder das Goldene<br />
Dachl in Innsbruck! Nicht einmal ein eignes Gebäude oder<br />
Haus, bloß ein Dach! Nicht einmal ein ganzes Dach, bloß ein<br />
Dachl! Ein Vordach! Ein Vordachl! Ein völlig funktionsloses<br />
Detail!<br />
Aber derartiger Assoziationsreichtum war des Bürgermeisters<br />
Sache nicht. Natürlich wüsste ich um die Wortkargheit<br />
des Bürgermeisters Bescheid, der bevorzugte das Jodeln am<br />
Geflügelmarkt, und er würde auf meine gewichtigen Argumente<br />
nicht eigentlich schriftlich eingehen, sondern mich mit<br />
einem lapidaren Zweizeiler abspeisen wollen, in dem er mich<br />
zu einer persönlichen Unterredung in sein Büro einladen wird.<br />
Solche persönlichen Vieraugengespräche seien gewöhnlich<br />
immer allgemeine Ausderwelträumungsvieraugengespräche,<br />
vier Augen räumen mehr aus der Welt als zweihunderttauend.<br />
Das aus der Welt ins Bürgermeisterbüro Geräumte ist<br />
aus den Augen und aus dem Sinn, als ob ich nicht meine eigenen<br />
Schubladen hätte in meiner Mansarde. Ich aber würde<br />
den in Vertretung des Bürgermeisters von der Sekretärin des<br />
Bürgermeisters unterschriebenen oder mit dem persönlichen<br />
Bürgermeisterunterschriftenstempel versehenen Zweizeiler<br />
als willkommenen Anlass für meinen zweiten Brief nehmen,<br />
in dem ich versichere, von einer persönlichen Unterredung<br />
im Bürgermeisterbüro Abstand nehmen zu wollen und weiterhin<br />
dezidiert auf einer schriftlichen Stellungnahme aus dem<br />
Bürgermeisterbüro zu beharren, zumal ich den so entstehenden<br />
Briefwechsel unter dem Titel Briefe an den Bürgermeister