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48 DRACHEN|März 2017<br />

Prosa<br />

Heinz Zitta<br />

Im Rachen des Drachen<br />

„Es war einmal vor langer Zeit, da waren die Drachen noch<br />

nicht ausgestorben und bedrohten die Menschen.“<br />

„Hast du jemals einen Drachen gesehen?“, wollte ich von<br />

Großvater wissen.<br />

„Nicht nur gesehen, ich habe sogar einmal einen besiegt,<br />

das ist aber schon Ewigkeiten her.“<br />

„Besiegt? Wirklich? Erzähl mir davon, Großvater, bitte!“<br />

„Ja …“, setzte der Großvater gemächlich zu erzählen an,<br />

während er sich seine Pfeife stopfte.<br />

„Also, das war so, hör gut zu: Ich fuhr mit meiner Kutsche<br />

durch den Wald …“<br />

„Was ist denn eine Kutsche?“, fragte ich verwirrt nach. „Ich<br />

kenne nur Ashton Kutcher aus ‚Two and a Half Men‘.“<br />

„Das waren damals die Autos.“<br />

„Und wie viel PS hatte so eine Kutsche?“<br />

„Meine hatte zwei PS.“<br />

„Was? Nur? Das ist aber wenig.“<br />

„Nein, ganz und gar nicht. Zwei Pferde reichen völlig aus,<br />

um eine Kutsche zu ziehen.“<br />

„Und dann kam der Drache?“<br />

„Unterbrich mich nicht ständig! Dazu komme ich gleich.<br />

Also, ich fuhr durch den Wald …“<br />

„Und dann kam der Drache!“<br />

„Sei doch nicht so ungeduldig. Nein, da stand plötzlich ein<br />

Zwerg mitten auf dem Weg und bat mich verzweifelt um<br />

Hilfe.“<br />

„Ein Zwerg? Gibt’s die wirklich?“<br />

„Wenn du immer dazwischenredest, dann erzähl ich dir<br />

nichts mehr.“<br />

„Bitte, Großvater, erzähl weiter. Ich bin jetzt auch ganz leise.“<br />

„Also, der Zwerg stand plötzlich mitten auf der Straße und<br />

schaute furchtsam drein.“<br />

„Kann ich dir helfen?“, fragte ich ihn.<br />

Und er antwortete: ,Oh Gott, oh Gott, oh Gott, es ist so<br />

schrecklich, lieber Herr. Ein böser Drache hat feuerspeiend<br />

meine Hütte in Brand gesetzt und ich musste flüchten.“<br />

„Aber Drachen sind von Natur aus doch nicht böse“, versuchte<br />

ich, den Zwerg zu beschwichtigen. „Vielleicht ist er<br />

deinem Haus nur aus Versehen zu nahe gekommen.“<br />

„Das hilft mir jetzt auch nicht weiter. Versehen oder nicht,<br />

das Nachsehen habe auf jeden Fall ich“, wollte sich der<br />

Zwerg partout nicht beruhigen. Aufgeregt sprach er weiter:<br />

„Aber sehen Sie, der Drache kommt immer näher! Riechen<br />

Sie es denn nicht?“<br />

„Ich schnupperte nun aufmerksam und tatsächlich, ein fauliger<br />

Geruch lag in der Luft.<br />

Es roch wie schlechter Mundgeruch, nur noch viel schlechter.<br />

Plötzlich hörten wir Äste knacken und schon kam ein<br />

Drache aus dem Wald. Der Zwerg versteckte sich ängstlich<br />

hinter der Kutsche, doch mir erschien der Drache gar<br />

nicht so gefährlich. Er hatte ein putziges Gesicht, eine<br />

große Nase, zwei kleine Flügel und einen kurzen Schwanz.<br />

Er erinnerte mich an Grisu, den kleinen Drachen aus der<br />

Zeichentrickserie.“<br />

„Grisu, ja, den kenne ich auch, Großvater.“<br />

„Ja, aber dieser Drache war nicht im Fernsehen und nicht<br />

gezeichnet, der war schon echt. Auch wenn er mir nicht<br />

böse erschien, musste ich aufpassen, nun keinen Fehler zu<br />

machen. Der Zwerg hatte offensichtlich mehr Respekt vor<br />

dem Drachen und ich sah aus den Augenwinkeln, wie er<br />

ängstlich von einem Bein auf das andere hüpfte.“<br />

„Wie das Rumpelstilzchen?“<br />

„Unterbrich mich nicht dauernd. „Also, während der Zwerg<br />

immer noch zitterte, trat ich mutig vor den Drachen hin und<br />

grüßte ihn zuerst einmal höflich.“<br />

„Grüß Gott, Herr Drache, wie ist das werte Befinden?“<br />

„Dabei war ich auf der Hut, um sofort zurückweichen zu<br />

können, falls er doch Feuer speien sollte. Aber, wie gesagt,<br />

er machte auf mich einen freundlichen Eindruck.“<br />

Und wirklich erwiderte der Drache entgegenkommend meinen<br />

Gruß: „Grüß Sie Gott, lieber Herr. Machen Sie auch<br />

einen Waldspaziergang?“<br />

„Da bewahrheitete sich wieder einmal der Spruch: ,Wie<br />

man in den Wald hineinruft, so kommt es zurück.‘“<br />

„Nein, ich bin bloß auf der Durchreise.“<br />

„Ach so. Wissen Sie, mir geht’s gar nicht prächtig. Ich habe<br />

schreckliches Zahnweh“, begann der Drache, mir sein Leid<br />

zu klagen.<br />

„Und schon kam ein Schwall stinkender Luft aus seinem<br />

Maul. Der Geruch erinnerte an übel riechende Jauche.“<br />

„Und deshalb ist meine Atemluft so leicht brennbar“, fuhr<br />

er fort. „Ich kann da gar nichts dafür.“<br />

„Scheinbar wollte sich der Drache solcherweise wohl für<br />

das Anzünden der Zwergenhütte entschuldigen.“<br />

„Zahnschmerzen, faule Zähne, Zahnstein. Verwenden Sie<br />

denn nicht regelmäßig Zahnseide?“<br />

„Das wird es sein“, bestätigte der Drache niedergeschla-

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