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32 DRACHEN|März 2017<br />

Prosa<br />

schen zu unterhalten. Dabei erlernte er die Kriegskunst.<br />

Zum Abschied, als Nezha schon ein Jüngling war und zu<br />

seinen Eltern zurückkehrte, schenkte ihm der Meister<br />

ein Armband, das Himmel und Erde umfasst. Er meinte,<br />

dieses werde Nezha im Kampfe helfen, der ihm bevorstand:<br />

„Der glühende Phosphor ist ein Jüngling in seiner<br />

vollen Kraft“, erklärte er Nezha, „jetzt ist die Zeit gekommen,<br />

da du dich mit dem Monster aus dem Meer messen<br />

musst.“<br />

Die Menschen in der Stadt waren Nezha dankbar. Die<br />

drei Drachen, die er im Kampfe besiegt hatte, hatten Tod<br />

und Zerstörung über Shanghai gebracht. Seit fast zehn<br />

Jahren war das Meer wieder ruhig. Ao Guang hatte sich in<br />

die Tiefen des Meeres zurückgezogen.<br />

Das Mondfest stand bevor, der Tag, an dem der volle<br />

Mond heller strahlt als jemals sonst im Jahr. Die Menschen<br />

stiegen auf Schiffe und fuhren aufs Meer hinaus.<br />

Ein jeder brachte reichliche Gaben für den Drachenkönig.<br />

„Nimm unser Opfer freundlich an,<br />

verschone uns vor Flut und Feuer!<br />

So lenkt die starke Hand das Steuer<br />

auf unsrem schnellen Fischerkahn.“<br />

Die Menschen beteten die Ungeheuer aus der Tiefe an,<br />

denn diese sollten ihnen gnädig sein und nicht Unheil<br />

über die Stadt bringen. Einer warf ein gegrilltes Ferkel<br />

ins Meer, dazu gekochten Reis und Reiswein. Ein anderer<br />

warf gebratenen Lachs ins Meer, andere wiederum Rindfleisch<br />

und grünen Tee.<br />

Im Kristallpalast türmten sich die Gaben auf dem Tisch,<br />

die von den furchtsamen Menschen geopfert wurden.<br />

Der Drachenkönig lachte und feierte mit seiner Armee.<br />

Seine Soldaten waren Krabben, die eine Kette bildeten<br />

und in vielen Reihen hintereinander schwammen. Außerdem<br />

gab es Haifische, die sich wie in einer Phalanx aufstellten,<br />

dazu gewöhnliche Wasserschlangen, deren Biss<br />

giftig war.<br />

Sie alle feierten und fraßen und tranken, was die Menschen<br />

ihnen zugedacht hatten. Auch der Bruder des Drachenkönigs<br />

war eingeladen, der sich mit jenem verbündet<br />

hatte. Gemeinsam wollten sie gegen Nezha kämpfen<br />

an jenem Tag, den der Himmelsgott vorbestimmt hatte.<br />

Nezha war herangewachsen, er war fast schon ein Mann<br />

mit kräftigen Armen und Beinen. Er feierte seinen sechzehnten<br />

Geburtstag. Gemeinsam mit Freunden ging er an<br />

die Küste, um im Meer zu baden, denn die Sonne strahlte<br />

hell und keine Wolke war zu sehen.<br />

Der Jüngling dachte nicht an die Worte des Meisters,<br />

er dachte nicht an die Drachen in der Tiefe, sondern er<br />

spielte mit seinen Freunden und schwamm mit ihnen um<br />

die Wette.<br />

Plötzlich sah er aus der Ferne ein Leuchten, wie ein Wetterleuchten.<br />

Seine Gefährten kümmerten sich nicht darum<br />

und vergnügten sich im Wasser. Bald verdunkelte<br />

sich der Himmel, schwarze Wolken zogen auf, und seine<br />

Freunde gingen wieder an Land. Sie verabschiedeten<br />

sich, als Nezha sich an die Küste setzte und wartete.<br />

Er dachte an die Worte des Meisters. Er war ein junger<br />

Mann geworden, im Kampf geübt und voller Kraft. Um<br />

seine Lenden trug er den Gürtel, den er aus eines Drachen<br />

Muskelfleisch gedreht hatte. Das Armband des<br />

Himmels und der Erde von seinem Meister trug er am<br />

Handgelenk. Nezha hatte keine anderen Waffen, doch<br />

seine Geschicklichkeit würde ihm helfen.<br />

Donner grollte, ein Blitz schlug auf den Bergen ein, ein<br />

kleines Feuer. Dann kam der große Regen. Das Meer<br />

türmte sich meterhoch, und aus diesen hohen Wellen<br />

stieg eine wohlbekannte Gestalt: Ao Guang.<br />

Der Drachenkönig maß mehr als zehn Ellen, auf seinem<br />

Rücken wuchsen Flügel, und im Flug schien es, als zöge<br />

er einen Feuerschweif hinter sich her. Nezha erkannte<br />

ihn sofort und wusste, der Meister hatte die Wahrheit gesprochen.<br />

Dies war die Stunde, die entscheiden würde<br />

über sein Leben oder seinen Tod.<br />

Auf einmal tauchte ein zweiter Drache aus dem Meer auf,<br />

es war der Bruder von Ao Guang. Nezha warf sich auf ihn<br />

und packte ihn am Rücken. Der Drache drehte und wendete<br />

sich, doch Nezha gelang es, das Monster mit dem<br />

Gürtel zu fesseln, den er um seine Taille trug. Er zog diese<br />

Schnur aus Faserfleisch um die Kehle des Ungeheuers<br />

zusammen, da hauchte es sein Leben aus.<br />

Der Drachenkönig zeigte seine ganze Macht und Stärke:<br />

Er bäumte sich auf, spie Feuer und hob sich in die<br />

Luft. Der Wald nahe der Küste brannte, auch ein paar<br />

Hütten, die in der Nähe standen. Nezha hatte nur mehr<br />

einen Gegner. Als Ao Guang wieder das Wasser berührte,<br />

schleuderte ihm Nezha das Armband des Himmels und<br />

der Erde ins Gesicht.<br />

Da geschah mit Ao Guang eine Verwandlung: Sein gewaltiger<br />

Körper schrumpfte und wurde ganz klein, auch die<br />

Flügel verschwanden. Nezha stürzte sich mutig auf die<br />

Seeschlange, die einst der Drachenkönig gewesen war.<br />

Er wollte auch diese mit seinem Gürtel töten. Ein kurzer

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