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26 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 27<br />

genüber einem Einzelnen fällt mir der Herzkönigin Schrei<br />

»Kopf ab!« aus Alice im Wunderland ein. Die Geschichte eines<br />

Mädchens, das den Kopf hoch trägt und das nötige Selbstbewusstsein<br />

besitzt, die allerdings (von einem geistlichen<br />

Mathematiker) geschrieben wurde, um der reellen Alice mit<br />

einem gehörigen Augenzwinkern vermeintliche Flausen auszutreiben.<br />

Irgendwie erinnert das an die rhetorische Keule<br />

der Fake News. Purer Zufall?<br />

Möglicherweise sollten wir positiv denken und den amerikanischen<br />

Präsidenten nicht an seinen Worten, sondern den<br />

in aller Öffentlichkeit gewollt hat, dann scheren nämlich<br />

die wichtigsten Staaten aus (obwohl natürlich alle wichtig<br />

sind), und der klägliche Rest zerbröselt von allein, getrieben<br />

von selbstgefälligen Parteien, denen Geschichte und<br />

ein Zusammenstehen der Völker scheißegal sind. Und dann<br />

gibt es innerhalb weniger Jahrzehnte wieder Krieg in Europa.<br />

Nur ein Kindskopf kann diese Zusammenhänge ignorieren.<br />

Was tut derweil Europa, um der dschihadistischen Gefahr<br />

zu begegnen? Österreich denkt an ein Kopftuchverbot. Das<br />

das sich am Ende nicht als Eigentor erweist. Herauszufinden,<br />

wie das am besten geht, erfordert viel Zeit und Hirnschmalz.<br />

Vor allem aber: die Bereitschaft, es gemeinsam zu<br />

tun und sich nicht kopflos einem trügerischen Fatalismus<br />

zu ergeben. Obwohl es dermaßen logisch klingt, muss ich<br />

es (besonders in Richtung der sich unangreifbar und mächtig<br />

Fühlenden) aussprechen: Wir haben unseren Kopf nicht,<br />

um mit ihm durch die Wand zu wollen – wir haben ihn zum<br />

Denken!<br />

geszeitungen. In der 90er Jahren veröffentlichte Ebner hauptsächlich<br />

informationstechnische Artikel und Bücher, etwa für die<br />

Verlage Markt & Technik und Microsoft Press. Sein Brotberuf ist<br />

im Bereich der Informatik und IT-Ausbildung angesiedelt. Seit<br />

ca. 2004 veröffentlicht der Autor wieder verstärkt in Literaturzeitschriften,<br />

etwa in Literatur und Kritik, Podium, die Rampe,<br />

außerdem, Gegenwind, Neue Sirene und Macondo, und 2007 erscheint<br />

die erste eigenständige Buchpublikation, ein Band Kurzgeschichten.<br />

Ebner schreibt Lyrik auf Deutsch und Katalanisch.<br />

Der erste katalanische Lyrikband erschien 2009 in Katalonien.<br />

Taten beurteilen (hatten wir das nicht schon mal?). Unterstel-<br />

ist nicht ganz wörtlich zu verstehen (obwohl die Presse flei-<br />

Klaus Ebner<br />

Öffentliche Lesungen hielt der Autor unter anderem in Wien,<br />

len wir ihm nicht, alles auf den Kopf stellen zu wollen! Aber<br />

ßig dieses Wort strapaziert – aber das sind vielleicht auch<br />

Geb.1964 in Wien. Nach der Matura 1982 studierte er Germa-<br />

Barcelona und München. Er ist Mitglied der Grazer Autorinnen<br />

können wir das? Er spricht von Selbstbesinnung, von Eigen-<br />

nur Fake News), denn offiziell geht es »nur« um Burka und<br />

nistik, Romanische Philologie und Translationswissenschaft.<br />

Autorenversammlung (GAV), des Österreichischen Schriftstel-<br />

bezug, von Abschottung. Die USA sollen sich viel mehr auf<br />

Niqab. Immerhin, und die Verweise auf eine Unterdrückung<br />

Während der Studienzeit erfolgten erste Veröffentlichungen in<br />

lerverbandes (OeSV), der Associació d'Escriptors den Llengua<br />

sich selbst besinnen, das heißt auch: mit sich selbst begnü-<br />

von Frauen sind nicht von der Hand zu weisen und daher<br />

österreichischen und deutschen Literaturzeitschriften und Ta-<br />

Catalana (AELC) und des katalanischen PEN-Zentrums.<br />

gen. Ist das in politischer Hinsicht klug? Die Köpfenden haben<br />

durchaus ernst zu nehmen. Aber sind Vollverschleierung<br />

den Menschen in aller Welt den (so sehr ich diesen Begriff<br />

und Kopftuch tatsächlich Symbole des gewalttätigen Isla-<br />

auch hasse) totalen Krieg erklärt, darunter auch notabene<br />

mismus? Mir fallen zum Thema Dschihadismus eher die<br />

der überwältigenden Mehrheit der Muslime. In dieser Situa-<br />

typischen Rauschebärte der Männer ein. Erstens wird di-<br />

tion das westliche Verteidigungsbündnis aufzukündigen, wie<br />

ese Gewalt fast hundertprozentig von Männern ausgeführt<br />

mehrmals angedroht und dann wieder relativiert wurde (auch<br />

(weil den Frauen in der engen Welt des IS bloß die Rolle<br />

ein Fall von Fake News?), klingt gelinde gesagt ungeschickt.<br />

von Kinderzüchterinnen und Fickstuten zugestanden wird),<br />

Dabei geht es meines Erachtens gar nicht so sehr darum, ob<br />

zweitens tragen fast alle Dschihadisten Vollbärte in einer<br />

Europa ausreichend in seine eigene Verteidigung investiert<br />

eigenen und äußerlich leicht kenntlichen Manier. Warum<br />

oder nicht, es geht darum zusammenzustehen und dieses<br />

kommt niemand auf die Idee, diese Barttracht zu verbie-<br />

globale Problem gemeinsam und vereint anzupacken, denn<br />

ten? Zugegeben, ob sie uns bärtig oder bartlos ermorden,<br />

anders wird es sich nicht lösen lassen. Anders ausgedrückt:<br />

spielt im Grunde keine Rolle, doch die öffentliche Attacke<br />

Wer sich einbildet, im Alleingang mit einem Phänomen wie<br />

gegen Niqab und Kopftuch scheint mir eine Art Stellvertre-<br />

dem Islamischen Staat fertigzuwerden, wird sehr unsanft auf<br />

terkrieg zu sein, der nur Öl (das wir den Islamisten zuvor<br />

den Kopf fallen.<br />

teuer abkauften) ins Feuer gießt, aber, so wie es aussieht,<br />

Freilich ist es leicht, vom Alten Kontinent aus über den Groß-<br />

nicht das Geringste zu einer Besserung der Situation bei-<br />

en Teich zu schimpfen, so, als liefe bei uns alles pipifein. Man<br />

trägt. Gibt es unter all den Politikern, hierzulande, in der<br />

braucht indes seinen Kopf gar nicht besonders anstrengen,<br />

Europäischen Union und in den USA, tatsächlich keinen<br />

um zu sehen, dass auch hier einiges im Argen liegt. Nach<br />

hellen Kopf, der das erkennt? Die Politik läuft planlos um<br />

dem Verrat (sic!) Großbritanniens am Gemeinsamen Europa<br />

sich schlagend herum und mit ihnen die Boulevardpresse<br />

wittern Ultrarechte ihre Chance und veranstalten einen Trom-<br />

und viele Bürgerinnen und Bürger, die entweder längst den<br />

melwirbel, der einen ganz schwurbelig macht. Neologismen<br />

Kopf in den Sand gesteckt oder den Kopfhörer so laut ge-<br />

wie Frexit, Öxit und Nexit tauchten in den Medien auf, und es<br />

dreht haben, dass sie tatsächlich meinen, es ginge ohnehin<br />

würde mich nicht wundern, hätte ich ein paar weitere nach<br />

nur um eine lästige Kopfbedeckung.<br />

diesem Muster glatt übersehen. Warum fühlen sich alle plötz-<br />

Ein Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen, wie er<br />

lich so stark, dass sie meinen, mit einem Köpfler ins eiskalte<br />

anscheinend immer häufiger praktiziert oder zumindest<br />

Wasser und ganz allein die Geschicke des Planeten lenken zu<br />

vorgehabt wird, ist keine Lösung. Wenn wir solches zulas-<br />

können, ohne dass ihnen irgendwer dazwischenreden dürfe?<br />

sen, wandeln sich Vorurteile zu Gesetzen, und das endet,<br />

Essay<br />

Vielmehr sieht es so aus: Gewinnt der Kopf der Nationalfront<br />

die französischen Präsidentschaftswahlen, dann<br />

zerbricht Europa, so wie der amerikanische Präsident es<br />

wie wir aus unserer Geschichte wissen, am Kopfbahnhof.<br />

Also gilt es, einen Kopfball abzufangen, ihn mit Köpfchen<br />

in die richtige Bahn zu bugsieren und ein Tor zu schießen,<br />

©Heliane Wiesauer-Reiterer 2005 Kopf Marmor<br />

Essay

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