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46 Köpfe|Mai 2017 Köpfe|Mai 2017 47<br />
les Leben sein soll. Ist das denn so schwer? „Träume sind<br />
schön, solange sie nicht an der Wirklichkeit gemessen werden.<br />
Einen Job wie den hier, den bekomme ich oder eben<br />
nicht, ich behalte ihn oder nicht, und wenn ich ihn verliere,<br />
dann sehe ich mich nach was anderem um. Aber jedes Mal,<br />
Johanna Beck<br />
König, Mullah, General und<br />
die schöne Layla<br />
Vater nahm den König, den Mullah und den General damals<br />
in die dunklen Keller mit. Für den großen Platz, auf dem er<br />
sonst spielte, hatte er andere Puppen und er spielte andere<br />
Geschichten.<br />
Manchmal durfte ich Vater begleiten, wenn er abends in die<br />
draußen. Vater spricht wenig und Mutter lächelt nicht<br />
mehr, als sei ihr Lächeln auf dem Wasser geblieben. Seit<br />
wir geflohen und mit dem Schlauchboot über das Meer gekommen<br />
sind, hat Mutter kein Lächeln mehr.<br />
wenn ich erkennen muss, dass die Wörter verschwendet<br />
waren, wobei wir ohnehin so wenige davon haben... Ich<br />
möchte einfach ein wenig Gleichgültigkeit in meinem Leben!“,<br />
schreie ich. „Alles hat ein Ablaufdatum, aber wenn<br />
mir der Verfall egal ist, dann ist da kein Schmerz.“<br />
„Wenn du durch diese Tür gehst, wirst du den Job bekommen“,<br />
sagt er und seine Stimme ist jetzt genauso kalt wie der<br />
Stein, aus dem sie kommt. „Und in ein paar Jahren, wenn du<br />
deine Professorenstelle hast und dir das Abo einer Monatszeitung<br />
leisten kannst, ohne Kredit aufnehmen zu müssen,<br />
wirst du dir wünschen, es wäre etwas in deinem Leben, wofür<br />
du bereit bist, Schmerz zu empfinden.“ Ich spüre, wie meine<br />
Netzhaut zu brennen beginnt. Wenn ich mich jetzt nicht kontrollieren<br />
kann, ist das Vorstellungsgespräch vorbei, bevor<br />
es angefangen hat. Dann kann ich das alles hier vergessen.<br />
„Der größte Fehler, den du machen kannst“, höre ich eine<br />
sanfte Stimme hinter mir. Sie klingt gar nicht nach Granit<br />
oder Marmor. Ich gehe an das Ende des Säulenganges, und<br />
blicke Marie von Ebner-Eschenbach in die Augen.<br />
„Das alles hier vergessen? Nimm das hier mit, aber nicht zu<br />
deinem Vorstellungsgespräch. Pack es ein, geh nach Hause,<br />
setz dich hinter deinen Schreitisch und fang an. Fang immer<br />
wieder an. Wenn du wirklich schreiben willst, dann wirst du<br />
nie aufhören, anzufangen.“ Sie blickt mich an, und endlich<br />
habe ich erkannt, was der Unterschied ist zwischen Realität<br />
und Fiktion: Es ist die Ehrlichkeit, die wir uns selbst gegenüber<br />
aufbringen.<br />
Langsam gehe ich an der Stiege 7 vorbei. Als ich aus dem<br />
Hauptgebäude trete, fange ich an zu laufen. Dreißig Minuten<br />
später bin ich in meiner Wohnung. Ich wische den Staub von<br />
meinen Zitaten, zwänge meine Füße unter den Schreibtisch<br />
Der König hat dunkle, kurze Haare und einen kleinen Bart<br />
auf der Oberlippe. Vater hat ihn aus hellem Holz geschnitzt.<br />
Eine bunte Krawatte hängt vor seiner Brust und ein feiner<br />
Anzug versteckt das bewegliche Gestell darunter. Er trägt<br />
keine Krone oder so. Dass er der König ist, erkennt man<br />
eigentlich nur daran, dass er im Spiel immer in einem feinen<br />
Polstersessel sitzt und sagt, dass ihm das Land gehöre<br />
und alle anderen Terroristen seien. Und dann stellt Vater<br />
das Tonband mit den Kampfjets an, sodass man gar nichts<br />
mehr versteht. Wenn die Jets vorüber sind, greift der König<br />
zum Telefon und bedankt sich bei König Putin für den Lufteinsatz.<br />
Dann lachen alle.<br />
Und es gibt den Prediger. Der trägt einen schwarzen Umhang<br />
und hat auch einen schwarzen Turban auf dem Kopf.<br />
Vater nennt ihn einen Sayyed, einen Nachkommen unseres<br />
Propheten Mohammed. Zum Prediger gehört eine dunkle<br />
Brille und das Mikrofon. Oft wird er wütend und gestikuliert<br />
mit seinen besonders großen Händen. Er redet sehr<br />
eindringlich, als wollte er seine Botschaft in unsere Herzen<br />
eingravieren.<br />
Ich halte mir die Ohren zu, wenn er spricht, damit die Worte<br />
nicht in mich hineinschlüpfen können. Er sagt, dass wir Mohammed<br />
nachfolgen müssten, aber genau so, wie er es uns<br />
predigt, ja, genau so, wie er es lehrt. Dabei lässt Vater den<br />
Kopf des Mullahs zittern, bis ihm der Turban herunterfällt.<br />
Dann lachen wieder alle Männer.<br />
Dann gibt es auch Ali, den General mit dem schwarzen<br />
Bart und der gefleckten Uniform. Alis Kopf ist aus dunklem<br />
Olivenholz. Er hat viele Runzeln. Auf der Bühne spricht er<br />
Hinterhöfe ging und von dort in die Keller hinunterstieg. Dort<br />
saßen nur Männer beisammen, Vaters Freunde. Es war stickig,<br />
die Shishas blubberten und die Männer sprachen leise.<br />
Sie lachten, wenn Vaters Puppen auftraten, wenn der König<br />
wieder zum Telefon griff, der Turban des Predigers herunterfiel<br />
und Ali wild das Maschinengewehr schüttelte.<br />
Aber es war ein anderes Lachen als das der Kinder am Platz,<br />
ein eingesperrtes, dunkles, eines, das mir Angst machte.<br />
- Warum, Vater, warum sind alle, die von Mohammed sprechen,<br />
so böse und so wütend? War Mohammed auch böse?<br />
- Nein, Amir, Mohammed ist unser Prophet. Die Männer sagen,<br />
dass es ihnen um die Religion gehe, aber eigentlich wollen<br />
sie alle nur die Prinzessin Layla stehlen.<br />
- Layla, weshalb?<br />
- Layla bedeutet Zauber der Nacht und Königin der Nacht. Layla<br />
ist geheimnisvoll und schön. Sie ist eine Prinzessin, Layla<br />
tut, was ihr Freude bereitet, und keiner darf ihr Vorschriften<br />
machen. Aber das ärgert die bösen Männer. Sie wollen die<br />
Prinzessin einfangen und wegsperren. Wem die schöne Layla<br />
gehorcht, dem gehorchen alle anderen auch, denken sie,<br />
dem gehört das Land und der darf alles bestimmen.<br />
- Vater, das sagt unser König doch immer, dass ihm das Land<br />
gehöre und alle anderen seinen Befehlen folgen müssten.<br />
Hat der König denn die Prinzessin?<br />
- Nein, der König hat sie auch nicht, sonst müsste ihm der<br />
russische König Putin nicht mit seiner Armee beistehen.<br />
Prinzessin Layla ist fortgelaufen. Der König weiß nicht, wo<br />
sie ist und wie er sie nur wiederfinden könnte.<br />
Unsere Layla-Puppe ist in hellblaues Seidenpapier gewickelt.<br />
Vater hält die Schachtel mit den Marionetten am Fußende<br />
seines Bettes unter der Matratze verborgen. Er hat ein<br />
großes, gestreiftes Handtuch darübergebreitet. Damit er<br />
sich mit den Schuhen aufs Bett legen kann, sagt er. Aber<br />
ich weiß, dass er die Puppen versteckt hält, er zeigt sie<br />
keinem. Nur wenn wir alleine sind, holt er sie manchmal<br />
hervor. Sie sind das Einzige, was wir von zu Hause mitgebracht<br />
haben.<br />
Er wickelt Layla vorsichtig aus dem Seidenpapier und gibt<br />
sie mir. Ich lasse sie ein wenig auf und ab gehen. Ich kann<br />
das schon, wenn ich groß bin, werde ich auch Puppenspieler<br />
wie Vater. Layla geht zu Mutters Pritsche hinüber und<br />
tippt sie an: Mama, Mama! Mutter hat sich zur Wand gedreht<br />
und reagiert nicht. Schläft sie denn schon?<br />
Vater nimmt Majnun aus der Schachtel. Majnun ist der<br />
Prinz, der Layla liebt. Er ist klug und mutig und muss viele<br />
Abenteuer bestehen, damit er Layla zur Frau bekommt.<br />
Layla geht zu Majnun und fragt ihn, ob wir denn nun immer<br />
hier bleiben müssten, hier, wo Mutter so traurig ist, wo die<br />
Sonne sich wochenlang nicht zeigt und Schnee vor der Tür<br />
liegt. Sie fragt ihn auch, wer denn jetzt in unserem schönen<br />
Haus wohne und ob in unserer Stadt noch Kinder auf dem<br />
großen Platz spielten.<br />
Majnun reißt den Kopf nach hinten, als sei er erschrocken.<br />
Er schüttelt seinen schönen Prinzenkopf, schlägt die Hände<br />
vor dem Mund zusammen und macht mmh, mmh, mmmhh,<br />
als könne er nicht sprechen.<br />
Ich weiß, dass die Puppen aus Holz sind und sich nicht verändern,<br />
aber Majnuns große, schwarze Augen sind jetzt so<br />
traurig, wie ich sie noch nie gesehen habe.<br />
und starte den Laptop.<br />
durch einen Karton, der aussieht wie der Bildschirm eines<br />
Vater achtet sehr darauf, dass sich ihre Fäden nie verwirren.<br />
Und dann beginne ich zu schreiben.<br />
Computers. Wenn Vater das Hintergrundrauschen anstellt,<br />
Sie trägt ein schönes Kopftuch mit einem Blumenmuster und<br />
meint man, Ali spreche eine Videobotschaft. Auch Ali nennt<br />
ein langes, blaues Kleid, das hübsch schwingt, wenn Vater<br />
oft den Namen des Propheten und er spricht von einem<br />
sie tanzen lässt. Ihr Gesicht gleicht Mutters Gesicht auf dem<br />
Kalifat, einem Gottesstaat, den er errichten werde. Wenn<br />
Foto, das Mutter und Vater an ihrem Hochzeitstag zeigt, da-<br />
Johanna Beck<br />
Maximilian Hauptmann-Höbart<br />
Ali schreit, dass er alle Ungläubigen aus ihren Löchern zie-<br />
mals, als wir noch zuhause waren, als oft Besuch zu uns kam<br />
Geb. in München. Studien der Philosophie, Pädagogik und Land-<br />
Prosa<br />
Geb.1996 in St. Pölten und wuchs in Herzogenburg auf. Mittlerweile<br />
studiert er Vergleichende Literaturwissenschaft und Philosophie<br />
in Wien.<br />
www.maxi.hauptmann.123@gmail.com<br />
hen und erschießen wird, fürchte ich mich. Und, wenn er<br />
das Kinn mit dem schwarzen Bart vorstreckt und den Arm<br />
mit dem Maschinengewehr hochreißt, erschrecke ich jedes<br />
Mal.<br />
und wir an den kühlen Abenden im Hof zusammensaßen. Die<br />
Erwachsenen tranken süßen Tee und redeten miteinander.<br />
Damals lächelte Mama noch so wie Layla.<br />
Jetzt liegt sie den ganzen Tag auf dem Bett und es schneit<br />
schaftsarchitektur. Johanna Beck lebt als Freiberuflerin und Autorin<br />
in Wien. 2011 Veröffentlichung des Romans „Märzsonne“ (Seifert<br />
Verlag, Wien), Kurzgeschichten und Beiträge zu Zeitthemen in<br />
Tageszeitungen.<br />
Prosa