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FILMFEST MÜNCHEN MAGAZIN 2018

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Retrospektive<br />

Vom<br />

Chaos<br />

zum<br />

Cocktail<br />

LUCRECIA<br />

MARTEL<br />

Eiswürfel klirren in den Weingläsern.<br />

Betrunkene Erwachsene schleifen<br />

geräuschvoll ihre Campingstühle über<br />

den Steinboden am Pool. Die Hitze<br />

lastet auf dem abgeschiedenen Landhaus,<br />

in dem zwei Familien ihre Sommerferien<br />

verbringen. Man sieht lethargische<br />

Leiber, sonnenverbrannt, und<br />

verwahrloste Kinder, die auf die Jagd<br />

gehen. Grillenzirpen, Vogel geschrei<br />

und Donnergrollen verdichten sich zu<br />

einer unheilvollen Atmosphäre.<br />

Die Mutter stürzt, zerschlägt ihr<br />

Weinglas und fällt in die Scherben, ist<br />

jedoch zu benommen, um selbst aufzustehen.<br />

Die minderjährigen Töchter<br />

ziehen ihr die Scherben aus dem<br />

Dekolleté und holen das Auto, um sie<br />

in die Klink zu fahren. Über die chaotische<br />

Szenerie ergießt sich ein tropischer<br />

Regenschauer. Der Sommer in<br />

dem Provinzort La Ciénaga im Nordosten<br />

Argentiniens: ein Morast (span.<br />

„la ciénaga“) der Dekadenz und Abgestumpftheit.<br />

Diese ersten Bilder von Lucrecia Martels<br />

la ciénaga lassen den Zuschauer<br />

physisch spüren, in welch marodem Zustand<br />

sich Argentiniens weiße Mittelschicht<br />

befindet. Mit ihrem Debütfilm,<br />

der sich konventionellen Erzählstrukturen<br />

verweigert, krempelte die Filmemacherin<br />

die Kinotradition ihres Landes<br />

um: la ciénaga gilt als Gründungsklassiker<br />

des Neuen Argentinischen Kinos.<br />

Eine junge Generation von Regisseuren<br />

und Regisseurinnen betrat um die Jahrtausendwende<br />

die Filmlandschaft und<br />

sorgte mit ihren Werken für eine radikal<br />

ästhetische Erneuerung der cineastischen<br />

Praxis. Plötzlich spielten Intuition<br />

und subjektive Wahrnehmung eine<br />

große Rolle. Viele kamen meist direkt<br />

von den erst kürzlich gegründeten<br />

Filmschulen in Buenos Aires. So auch<br />

Martel, die zunächst Kommunikationswissenschaften<br />

und dann Film an der<br />

Avellaneda Experimental und der<br />

Escuela Nacional de Experimentación y<br />

Realización Cinematográfica studierte.<br />

Schauplatz ihrer ersten drei Filme ist<br />

bezeichnenderweise ihre Heimat Salta,<br />

eine konservativ geprägte Provinzstadt<br />

im Nordosten Argentiniens, wo sie 1966<br />

geboren wurde. Fern von der Hauptstadt,<br />

in der sich die Schrecken der Militärdiktatur<br />

abspielten, wuchs Martel<br />

in einer gutbürgerlichen Familie mit<br />

sechs Geschwistern auf. Als Kind bekam<br />

sie vom Vater eine Videokamera<br />

geschenkt und drehte Homevideos<br />

vom chaotischen Familienalltag. „Die<br />

Ereignisse in la ciénaga sind mir alle<br />

sehr vertraut. Natürlich ist der Film Fiktion,<br />

aber es gibt schon einen engen<br />

Zusammenhang zu meinem Leben“,<br />

RETROSPEKTIVE LUCRECIA MARTEL<br />

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