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Hinz&Kunzt 304 Juni 2018

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Das Hamburger<br />

Straßenmagazin<br />

Seit 1993<br />

N O <strong>304</strong><br />

<strong>Juni</strong>.18<br />

2,20 Euro<br />

Davon 1,10 Euro<br />

für unsere Verkäufer<br />

Die Verwandlung<br />

Fotograf Horia Manolache fragte<br />

Obdachlose nach ihrem Traumberuf


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Inhalt<br />

Enteignet sie!<br />

Drei Mann in einem Mini<br />

Geschäftsführer Jens Ade<br />

(von rechts), Fotograf<br />

Mauricio Bustamante<br />

und Redakteur Benjamin<br />

Laufer im Einsatz zu<br />

einer Preisverleihung für<br />

Hinz&Künztler Erich<br />

Heeder. Der bekam von<br />

Justizsenator Till Steffen<br />

für sein Engagement<br />

den Staffelstab überreicht<br />

(Seite 5).<br />

Wir machen in diesem Monat mit einer krassen<br />

Forderung auf: „Enteignet sie!“ Gemeint sind die<br />

Vermieter und Hausbesitzer, die ihre Mieter abzocken,<br />

sie schikanieren oder ihre Häuser absichtlich<br />

unbewohnbar machen, wie in der Grindelallee 80<br />

oder am Reetwerder 3. Betroffen sind alteingesessene<br />

Hamburger und Rumänen. Wegen der teuren<br />

Mieten haben es sogar Mittelständler schwer, eine<br />

Wohnung zu finden. Nicht nur Arme (Seiten 6–9).<br />

In Bergedorf mussten im Mai 150 Menschen<br />

evakuiert werden, darunter 56 Kinder. Es bestand<br />

Gefahr für Leib und Leben. Endlich wurde das<br />

Haus jetzt unter Zwangsverwaltung gestellt. Schon<br />

viel früher müsste Vermietern klar gemacht werden,<br />

dass Wucher, Schikanen und Nötigung keine<br />

Kavaliersdelikte sind. Schon gar nicht in Zeiten der<br />

Wohnungsnot (Seite 10).<br />

Jetzt aber was Leichtes: Kids beim Kicken in<br />

Russland – vor Jurten, im Schnee und vor Zwiebeltürmen.<br />

Die Fotos von Caio Vilela (Seite 12) sind eine<br />

super Einstimmung auf die Fußball-WM!<br />

Ihre Birgit Müller Chefredakteurin<br />

(Schreiben Sie uns doch an info@hinzundkunzt.de)<br />

Inhalt<br />

Kicken geht immer – das können die Kids<br />

in Russland auch ohne Stadien (S. 16)<br />

TITELBILD: HORIA MANOLACHE;<br />

FOTO OBEN: BENJAMIN LAUFER<br />

Stadtgespräch<br />

04 Gut&Schön<br />

06 Enteignet sie! Die Machenschaften<br />

skrupelloser Vermieter<br />

10 Die Miet-Abzocker von Bergedorf<br />

12 Schwarzfahrer in den Knast? Was das<br />

kostet – und warum Justizsenator Till<br />

Steffen damit Schluss machen will<br />

24 Warum immer mehr Obdachlose Opfer<br />

von Gewalt werden<br />

30 Phototriennale: Masse macht mit!<br />

Ein Leben gegen<br />

Nazis: Esther<br />

Bejarano erzählt<br />

ihre Geschichte<br />

gegen das Vergessen<br />

(S. 32)<br />

Lebenslinien<br />

32 Esther Bejarano: „Auschwitz kann man<br />

nicht vergessen!“<br />

Fußball-WM<br />

16 Caio Vilela fotografierte Kinder abseits<br />

großer Stadien beim Straßenkick<br />

Fotoreportage<br />

36 Obdachlose in ihren Traumberufen<br />

Freunde<br />

44 Unsere Spenderin Sophie Below<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

48 Krimiautorin Simone Buchholz<br />

52 Tipps für den <strong>Juni</strong><br />

56 Comic mit Dodo Dronte<br />

58 Momentaufnahme<br />

Rubriken<br />

05 Kolumne<br />

11 Meldungen<br />

46 Leserbriefe<br />

57 Rätsel, Impressum<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk


Straßentheater<br />

Feuerzauber<br />

in Altona<br />

Vater Schulten, Mutter Schulten und<br />

ihre Kuh, die dringend gemolken<br />

werden muss, das sind die Helden in<br />

dem Stück „Unsere Kuh brennt<br />

durch“. Aufgeführt von „Die Pyromantiker®“,<br />

einer freien Theatergruppe,<br />

die fest daran glaubt, dass<br />

Feuer und Romantik die Welt besser<br />

machen werden. Sie ist zu Gast bei<br />

„Stamp“, dem Internationalen Festival<br />

der Straßenkünste in Altona. FK<br />

•<br />

Stamp, Fr, 1.6., bis So, 3.6.,<br />

Auftritt „Die Pyromantiker®“: Fr, 1.6.,<br />

und Sa., 2.6., 22 Uhr, Platz der Republik.<br />

Eintritt frei, Infos: www.stamp-festival.de


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Gut&Schön<br />

Henning Voscherau geehrt<br />

Preis für die<br />

Menschlichkeit<br />

Henning Voscherau<br />

(1941–2016)<br />

FOTOS: DIE PYROMANTIKER® (S. 4), HILFE FÜR HAMBURGER OBDACHLOSE (OBEN),<br />

TRATTORIA GIOVANNI ROCCO (UNTEN LINKS), MAURICIO BUSTAMANTE; KOLUMNE: CHRISTIAN CHARISIUS DPA/LNO<br />

La Cantina und das interkulturelle<br />

von gefährdeten Menschen<br />

Catering-Projekt Chickpeace. JOF<br />

•<br />

entscheiden. UJO<br />

•<br />

Es sind bewegte Tage im<br />

Herbst 1989: Menschen im<br />

Ostblock stehen auf gegen ihre<br />

Herrscher, die Mauer bröckelt,<br />

Privatinitiative<br />

und in Jugoslawien schü-<br />

ren Nationalisten den Hass.<br />

Ein Zimmer für Bolle<br />

Der bedroht auch das Leben<br />

dort lebender Roma, von denen<br />

viele nach Hamburg flie-<br />

Eigentlich hätte der 65-jährige Bolle (links) wieder<br />

auf der Straße schlafen müssen, als das Winternotprogramm<br />

für Obdachlose im April endete: Weil er<br />

Darüber tobt in der Stadt<br />

hen. Sollen sie bleiben dürfen?<br />

ein Meinungskampf. Hier die<br />

aus Osteuropa stammt, hat er keinen Anspruch auf<br />

Geflüchteten und Unterstützer,<br />

die aus Protest gegen die<br />

ein Dach über dem Kopf. Das beschaffte ihm nun die<br />

„Hilfe für Hamburger Obdachlose“: Mittels Spenden drohende Abschiebung das<br />

Gelände des ehemaligen KZ<br />

mietete die Initiative um Max Bryan (rechts) für<br />

Neuengamme besetzen. Dort<br />

Bolle ein preiswertes Zimmer in Eckernförde an. UJO<br />

•<br />

die Hardliner in der regierenden<br />

SPD, die glauben, Hamburg<br />

könne sich Menschlichkeit<br />

Trinkgeld für den guten Zweck<br />

11.300 Euro haben Gastronomen<br />

am 21. Mai für soziale Projekte<br />

Preis für Erich und Ewa<br />

Obwohl er es selbst nicht leicht hat,<br />

sorgt er vorbildlich fürs Gemeinwohl:<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer Erich<br />

Heeder (rechts). Seit Jahrzehnten<br />

engagiert sich der 65-Jährige in<br />

„seinem“ Mümmelmannsberg,<br />

etwa im Verein „Offenes Atelier“.<br />

Unermüdlich schreibt er Politikern<br />

und weist auf Missstände hin. Justizsenator<br />

Till Steffen hat ihn bei der<br />

Kampagne „Mit Dir geht mehr!“<br />

nicht leisten. Da spricht<br />

der damalige Bürgermeister<br />

Henning Voscherau (SPD) ein<br />

Machtwort: 150 Roma-Familien<br />

und ihre Angehörigen erhalten<br />

dauerhaftes Bleiberecht,<br />

rund 2000 Betroffene<br />

können aufatmen.<br />

„Hätte er anders entschieden,<br />

hätten viele Menschen<br />

nicht überlebt“, sagt Rudko<br />

Kawczynski, Vorstandsvorsitzender<br />

der Rom und Cinti<br />

gespendet. Der sogenannte<br />

geehrt. Erich gibt den Staffelstab<br />

Welttrinkgeldtag, eine Erfindung des jetzt weiter: an Ewa (Seite 58). JOF Union (RCU) und damals<br />

Vereins MenscHHamburg, fand<br />

•<br />

einer der Wortführer.<br />

bereits zum vierten Mal statt. Das<br />

Prinzip ist einfach: Die Kellner dürfen<br />

ihr Trinkgeld behalten. Gastronomen<br />

wie Giovanni Rocco (rechts,<br />

mit Team) verdoppeln die Summe<br />

des Tages und spenden den Betrag.<br />

Diesmal an die Suppenküche<br />

Dass die RCU den 2016<br />

verstorbenen Voscherau nun<br />

posthum mit dem Rita Clemens<br />

Menschenrechtspreis<br />

ausgezeichnet hat, ist auch als<br />

Mahnung an die zu verstehen,<br />

die heute über das Schicksal<br />

5


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>304</strong>/JUNI <strong>2018</strong><br />

ENTEIGNET SIE!<br />

Wie Eigentümer ihre Immobilien leer stehen<br />

und verkommen lassen – und die Stadt dabei zuschaut.<br />

TEXT: ULRICH JONAS, JONAS FÜLLNER<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE, ULRICH JONAS<br />

DAS LEHRSTÜCK<br />

Margret Stephan ist eine hartnäckige<br />

Mieterin. Seit 47 Jahren wohnt die<br />

Rentnerin in der Grindelallee 80 und<br />

sagt: „Ich will hier nicht weg!“ Viele<br />

Jahre lebte sie gut in dem Altbau nahe<br />

der Uni. Bis Immobilienhändler Sven<br />

B. vor gut fünf Jahren das Haus erwarb.<br />

Was seitdem geschah, hat die 72-Jährige<br />

in zwei Aktenordnern dokumentiert.<br />

Die Kurzfassung liefert Rechtsanwalt<br />

Rolf Bosse vom Mieterverein zu Hamburg,<br />

der noch weitere sieben Parteien<br />

im Haus vertritt: „Die Tätigkeit B.s beschränkte<br />

sich darauf, Mieter rauszuekeln<br />

und das Haus verfallen zu lassen.“<br />

Das Kalkül dahinter, so der<br />

Mieterschützer: Leer stehende Immobilien<br />

lassen sich mit deutlich mehr<br />

Gewinn verkaufen als vermietete.<br />

Merkwürdige Dinge ereignen sich<br />

in der Grindelallee 80, nachdem B. das<br />

Haus erworben hat: Übelriechende<br />

Buttersäure wird versprüht, Türschlösser<br />

werden verklebt. Täter werden nie<br />

ermittelt. Immer mehr Mieter ziehen<br />

entnervt aus. Prostituierte und Zuwanderer<br />

beziehen zwischenzeitlich die<br />

frei gewordenen Wohnungen. Margret<br />

Stephan mindert wegen der Prostitution<br />

im Haus die Miete. Bald erhält sie eine<br />

Kündigung. Es folgt eine Räumungsklage,<br />

mit der sie sich bis heute herumschlägt.<br />

Im April dreht Vattenfall den<br />

verbliebenen Bewohnern „wegen<br />

offener Forderungen“ vorübergehend<br />

Heizung und Warmwasser ab. Vermieter<br />

Sven B. soll, so der Mieterverein,<br />

knapp 23.000 Euro Vorauszahlungen in<br />

die eigene Tasche gesteckt und nicht<br />

weitergeleitet haben.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Der Mann, dem allein in Hamburg<br />

rund ein Dutzend Immobilien gehören<br />

soll, beschäftigt viele Behörden: Die<br />

Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt<br />

gegen ihn wegen des Verdachts der<br />

Unterschlagung in mehreren Fällen.<br />

Die Finanzbehörde pfändet Mietzahlungen<br />

an B. – Grund sind „öffentlichrecht<br />

liche Forderungen in Höhe von<br />

33.349,79 EUR“, wie es im Schreiben<br />

an einen Mieter heißt. Und die Stadt<br />

Buxtehude hat bis zu 100.000 Euro für<br />

Brandschutzmaßnahmen in einem<br />

Hochhaus vorgestreckt, das B. 2009<br />

erworben haben soll. Der Aufenthalt<br />

des Eigentümers sei „zurzeit nicht bekannt“,<br />

so die Stadtverwaltung. „Es besteht<br />

aber akuter Handlungsbedarf, da<br />

jederzeit mit dem Eintritt eines Brandes<br />

gerechnet werden kann und in dem<br />

Gebäude 166 Menschen leben.“<br />

Auch das Bezirksamt Eimsbüttel, zuständig<br />

für die Grindelallee 80, ist bereits<br />

in Vorleistung getreten: 1700 Euro<br />

„Der Bezirk<br />

hätte viel<br />

schneller handeln<br />

müssen.“MIETERANWALT BOSSE<br />

kostete es, provisorische Sammelräume<br />

in leer stehenden Wohnungen einzurichten.<br />

Sie sollen bei einem Brand Leben<br />

retten, weil der gesetzlich vorgeschriebene<br />

zweite Rettungsweg für<br />

einen Teil der Bewohner seit Langem<br />

fehlt. Ansonsten spielt der Bezirk auf<br />

Zeit. Seit Monaten heißt es, das Amt erwäge,<br />

das Haus nach dem Wohnraumschutzgesetz<br />

(siehe Info-Kasten) unter treuhänderische<br />

Verwaltung zu stellen.<br />

Dazu Mieteranwalt Bosse: „Wir haben<br />

dem Bezirksamt seit Oktober 2016 immer<br />

wieder mitgeteilt, dass in dem Haus<br />

Leerstand herrscht. Der Bezirk hätte<br />

viel schneller handeln müssen.“<br />

Sven B. spielt offenbar weiter seine<br />

Spielchen. Kürzlich bekam Mieteranwalt<br />

Bosse Besuch von Rechtsanwälten.<br />

Sie sprachen im Auftrag eines Hamburger<br />

Bauträgers vor, der sein Interesse<br />

an der Grindelallee 80 bereits im<br />

Grundbuch hinterlegt hat. Der Deal ist<br />

erst mal geplatzt: Ihre Mandanten seien<br />

davon ausgegangen, dass die Immobilie<br />

nicht bewohnt sei, sagten die Anwälte<br />

dem erstaunten Mieterschützer.<br />

„Da habe ich sie erst mal aufgeklärt,<br />

dass in dem Haus noch eine Reihe<br />

Menschen wohnt.“


Stadtgespräch<br />

Mieterin Margret<br />

Stephan auf dem<br />

Balkon ihrer<br />

Wohnung in der<br />

Grindelallee. „Ich<br />

fürchte, dass wir<br />

irgendwann raus<br />

müssen“, sagt sie.<br />

„Ich frage mich nur,<br />

wohin?“<br />

Ein Leerstand, der dem Eigentümer<br />

peinlich ist? Gibt es sicherlich nicht oft.<br />

Bereits 2015 beteuerte der Kirchenkreis<br />

Ost gegenüber Hinz&<strong>Kunzt</strong>, man sei<br />

„sehr daran interessiert, den Leerstand<br />

am Biedermannplatz 13 zu beenden“.<br />

Dort steht seit mehr als zehn Jahren die<br />

ehemalige Pastoratswohnung neben der<br />

Bugenhagenkirche leer.<br />

Da es sich um eine Dienstwohnung<br />

handelt, greift das Wohnraumschutzgesetz<br />

nicht. Jahrelang verhandelten Kirchenkreis<br />

und Stadt. 2014 wurde diskutiert,<br />

das Gebäude als Wohnunterkunft<br />

für Geflüchtete zu nutzen. Doch erschien<br />

der Sanierungsaufwand der<br />

Stadt zu groß. Dann wollte die Kirche<br />

das Pastorat an eine Sekte verkaufen.<br />

Der Bezirk stoppte die Pläne und legte<br />

fest, dass die Nutzung „dem Stadtteil<br />

zugewandt“ sein muss.<br />

„Nur zu gut kann ich Ihre Ungeduld<br />

nachvollziehen“, antwortet Remmer<br />

Koch, Sprecher des Kirchenkreises Ost,<br />

auf eine erneute Nachfrage. „Das Gebäude<br />

selbst wird sicher nicht erhalten<br />

werden können. Was aber wann dort geschieht,<br />

braucht noch etwas Zeit.“<br />

DAS SAGA-HAUS<br />

Anwalt Bosse fordert härteres Durchgreifen,<br />

mehr Wohnraumschützer und<br />

Nachbesserungen beim Gesetz: „Bislang<br />

ermöglicht das Wohnraumschutzgesetz<br />

das Eingreifen der Behörden nur<br />

bei Gefahr im Verzug.“ Werde den<br />

Mietern wie in der Grindelallee die<br />

Heizung abgestellt, greife das Gesetz<br />

nicht. „Hier sollten die Bezirksämter in<br />

die Lage versetzt werden, Amtshilfe<br />

zum Schutz der Mieter zu leisten.“<br />

Sven B. äußerte sich gegenüber<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> bis Redaktionsschluss<br />

nicht. Mehrere Mails blieben unbeantwortet,<br />

seine Mobilnummern waren<br />

„vorübergehend nicht erreichbar“ oder<br />

ständig besetzt. Gerüchten zufolge lebt<br />

er in Spanien. Seine Hamburger Meldeadresse<br />

ist eine schicke Penthousewohnung<br />

in einem Neubau mit Blick<br />

auf die Elbe. Einen Briefkasten mit B.s<br />

Namen sucht man dort vergeblich. Der<br />

Postbote sagt, er schicke alle Briefe an<br />

den Immobilienhändler schon seit gut<br />

einem Jahr an die Absender zurück.<br />

DIE PASTORENWOHNUNG<br />

8<br />

Nur wenige Meter vom Wohnhaus des<br />

Ex-Bürgermeisters Olaf Scholz entfernt<br />

verfällt seit Jahren ein Gebäude.<br />

Die Schillerstraße 16 gehört der Saga.<br />

Vor anderthalb Jahren beklagte sich eine<br />

Leserin bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> über den<br />

Leerstand in dem Haus, aus dem kurz<br />

zuvor die letzten Mieter ausgezogen<br />

waren. Damals beschwichtigte das<br />

städtische Unternehmen und teilte<br />

mit, dass nach einer Modernisierung<br />

die Neuvermietung für dieses Jahr angedacht<br />

sei. Passiert ist trotzdem erst<br />

mal nichts.<br />

Laut des ehemaligen Mieters Andree<br />

Wenzel befand sich das Haus 2010,<br />

als er einzog, in einem guten Zustand.<br />

Nur wenige Jahre später habe ihn die<br />

Saga zum Auszug gedrängt. Saga-Sprecher<br />

Gunnar Gläser will das so nicht<br />

stehen lassen. Man habe keinen Druck<br />

ausgeübt, sondern allen Mietern Ausgleichswohnungen<br />

angeboten. „Dass es<br />

gleichwohl bei einzelnen Mietern, die<br />

zumindest vorübergehend ihre Wohnung<br />

verlassen müssen, zu Unmut kommen<br />

kann, versteht sich wohl von


selbst“, sagt Gläser. Notwendig sei der<br />

Auszug, weil „massiver Schwammbefall“<br />

und „starke Schädigungen der tragenden<br />

Holzbalken“ dazu geführt haben,<br />

dass eine Sanierung nur im<br />

unbewohnten Zustand erfolgen könne.<br />

Nach der vollmundigen Ankündigung<br />

vor anderthalb Jahren verzichtet<br />

die Saga dieses Mal darauf, einen Termin<br />

für Neueinzüge zu nennen. Die Arbeiten<br />

haben offenbar begonnen, so die<br />

aufmerksame Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Leserin.<br />

DER ABRISSKANDIDAT<br />

Diese Villa mit Blick auf die Alster hätte<br />

Menschen beglücken können. Stattdessen<br />

steht das Haus Bellevue 24 laut<br />

Bezirksamt Nord seit zehn Jahren leer.<br />

2013 berichtete das „Abendblatt“, der<br />

Eigentümer verweigere die Sanierung.<br />

Das Bezirksamt erklärte damals nur:<br />

„Die Eigentums- und Nutzungsrechte<br />

sind hier sehr kompliziert.“ Fünf Jahre<br />

später hat sich am Leerstand nichts geändert<br />

– und der Bezirk hat das Problem<br />

auf eigenwillige Weise gelöst:<br />

„Das Haus wurde für unbewohnbar erklärt“,<br />

so ein Sprecher auf Nachfrage<br />

von Hinz&<strong>Kunzt</strong>. „Der Fall ist damit<br />

verwaltungsrechtlich abgeschlossen.“<br />

Stadtgespräch<br />

Offenbar soll die Villa abgerissen werden<br />

– sie wäre nicht die erste, die einem<br />

lukrativen Neubau weichen muss.<br />

DIE STADTVILLA<br />

Der Garten ist ziemlich verwildert.<br />

Doch das Haus Lichtwarkstraße 4 sieht<br />

von außen betrachtet nicht schlecht aus,<br />

wenn man bedenkt, dass hier seit der<br />

Jahrtausendwende niemand mehr gewohnt<br />

haben soll. Bis 2014 residierte eine<br />

Medienagentur in Teilen der Villa.<br />

Weil sie „weniger als 50 Prozent der<br />

Gesamtwohnfläche genutzt hat, wurde<br />

Wohnraum nicht zweckentfremdet“,<br />

erklärte das Bezirksamt Nord im November<br />

auf Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Nachfragen.<br />

Dem Amt ist der Leerstand seit vier<br />

Jahren bekannt. Was wurde seitdem getan?<br />

„Verwaltungs- und Ordnungswidrigkeitenverfahren“<br />

laufen, heißt es.<br />

Mehr will man nicht sagen, „aus Gründen<br />

des Daten- und Vertrauensschutzes“.<br />

Die Einsetzung eines Treuhänders<br />

erscheint dem Amt zu teuer, denn: „Das<br />

Objekt ließe sich nur wieder als Stadtvilla<br />

außerhalb des durchschnittlichen<br />

Wohnungsmarktes verwerten.“ •<br />

Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />

Zu wenig Wohnraumschützer:<br />

„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit<br />

dienen“, heißt es in Artikel 14 des Grundgesetzes. Trotzdem stehen in Hamburg<br />

geschätzt 4000 Wohnungen leer. 2013 verschärfte der Senat das Wohnraumschutzgesetz.<br />

Wer Wohnraum zweckentfremdet oder leer stehen lässt, dem droht seitdem<br />

eine Geldbuße bis 50.000 Euro. Verhält sich ein Vermieter nicht kooperativ, kann die<br />

Stadt zudem einen Treuhänder einsetzen – sozusagen eine Enteignung auf Zeit.<br />

Bei einem Mehrfamilienhaus in Hamm führte das zur Vermietung lange leer stehender<br />

Wohnungen – ein lobenswerter Einzelfall. Aktuell kämpfen in den sieben Bezirken 19<br />

Mitarbeiter gegen Leerstand und Zweckentfremdung. Was sie zuletzt bewirkt haben, ist<br />

unklar: Die Wohnraumschutzbilanzen 2016 und 2017 will die Stadtentwicklungsbehörde<br />

erst im Frühsommer veröffentlichen.<br />

• UJO<br />

Kommentar<br />

Jetzt handeln!<br />

von Ulrich Jonas<br />

„Eigentum verpflichtet“,<br />

heißt es im Grundgesetz. Die<br />

allermeisten Vermieter halten<br />

sich an diese Vorgabe: Sie<br />

kümmern sich um die Wohnungen<br />

und Mieter. Doch es<br />

gibt auch die anderen: die<br />

Abzock-Vermieter. Denen<br />

müssen die Behörden Grenzen<br />

aufzeigen – mit allen verfügbaren<br />

Mitteln.<br />

Und derer gibt es viele:<br />

In keinem Bundesland ist das<br />

Wohnraumschutzgesetz ein<br />

so scharfes Schwert wie in<br />

Hamburg. Doch die Klinge<br />

darf nicht nur glänzen, sie<br />

muss auch geführt werden:<br />

Warum haben die Wohnraumschützer<br />

erst ein einziges<br />

Mal einen Treuhänder<br />

eingesetzt, um gegen den<br />

Missbrauch von Wohneigentum<br />

vorzugehen? Mindestens<br />

sechs weitere Male hätte das<br />

geschehen müssen – in jenen<br />

Fällen, über die wir hier berichten<br />

(siehe auch S. 10).<br />

Und was spricht gegen<br />

eine dauerhafte Enteignung?<br />

Diese ist nach dem Grundgesetz<br />

ausdrücklich erlaubt –<br />

wenn sie „dem Wohle der<br />

Allgemeinheit“ dient. Der Eigentümer<br />

erhält eine Entschädigung.<br />

Ist er nicht einverstanden,<br />

kann er klagen.<br />

Oft schon haben die Behörden<br />

solche Verfahren geführt,<br />

wenn es um den Bau einer<br />

Autobahn ging. Warum noch<br />

nie bei offenkundigem Missbrauch<br />

von Wohneigentum?<br />

Es geht darum, ein Signal zu<br />

senden an Immobilienbesitzer,<br />

denen die moralische<br />

Reife fehlt, die sie benötigen.<br />

Denen muss der Staat zeigen:<br />

So geht es nicht. •<br />

Ulrich Jonas<br />

behält den Wohnungsmarkt<br />

und<br />

Abzock-Vermieter<br />

für Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

im Auge.<br />

9


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>304</strong>/JUNI <strong>2018</strong><br />

Das Haus am Reetwerder 3 steht inzwischen<br />

unter Zwangsverwaltung.<br />

Die Abzocker<br />

vom Reetwerder<br />

Wegen Gefahr für Leib und Leben wurde ein Mehrfamilienhaus in<br />

Bergedorf evakuiert. Die Mieter sind verzweifelt. Und die Vermieter<br />

sind bei der Staatsanwaltschaft keine Unbekannten.<br />

TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Jetzt haben die Bewohner vom<br />

Reetwerder 3 auch noch ihre<br />

Wohnung verloren. Zumindest<br />

vorübergehend. Am 16. Mai<br />

wurde das Mehrfamilienhaus in Bergedorf<br />

evakuiert. Grund: Nach einem<br />

Schwelbrand erklärte die Feuerwehr<br />

das Haus wegen „Gefahr für Leib und<br />

Leben“ für unbewohnbar. Die 150<br />

meist rumänischen und bulgarischen<br />

Bewohner, darunter 56 Kinder, werden<br />

bis auf Weiteres von der Stadt untergebracht.<br />

Die Bewohner sind verunsichert<br />

und verzweifelt: „Wie soll das denn weitergehen?“,<br />

fragte Mia G. Sie ist eine<br />

der Hauptmieterinnen.<br />

Es war der dritte Einsatz im Reetwerder<br />

seit März. Damals war das<br />

Mehrfamilienhaus in einer konzertierten<br />

Großaktion von Polizei, Feuerwehr,<br />

Bezirksamt, Sozialbehörde und Jobcenter<br />

kontrolliert worden – wegen Verdacht<br />

auf Überbelegung und Mietwucher.<br />

Ein paar Wochen später hatten<br />

die Bewohner kein Wasser mehr – obwohl<br />

sie die Kosten bezahlt hatten, wie<br />

immer mit der Miete. Die kassieren<br />

Daniel F., der Sohn der Vermieterin,<br />

oder ein Mittelsmann in bar ein. Offensichtlich<br />

hatten die F.s das Geld nicht<br />

weitergeleitet. Wieder griff der Bezirk<br />

ein, übernahm vorläufig die Wasserkosten.<br />

Kurze Zeit später hatten einige<br />

Wohnungen keinen Strom mehr. Und<br />

jetzt also die Evakuierung.<br />

Und so geht die Abzockvermieterin<br />

vor: Marlies F. schließt meist Mietverträge<br />

mit einem Hauptmieter. Beispielsweise<br />

mit der Rumänin Mia G. Diese<br />

soll für die Fünf-Zimmer-Wohnung<br />

2000 Euro inklusive Wasser und Strom<br />

bezahlen. Fast in jedem Zimmer lebt<br />

eine ganze Familie. Thema Überbelegung:<br />

Daniel F. soll sogar selbst Mieter<br />

vorgeschlagen haben, wenn ein Zimmer<br />

nicht belegt war. Mia unterschrieb<br />

einen rund 20-seitigen Mietvertrag, der<br />

so kompliziert ist, dass selbst deutschsprachige<br />

Mieter Schwierigkeiten hätten,<br />

durchzublicken.<br />

Trotz der hohen Mieteinnahmen<br />

investierten die Vermieter nichts. Es<br />

gab nicht mal genügend Mülltonnen.<br />

Das Ergebnis: Müll im Hinterhof,<br />

Schimmel und Kakerlaken. Unsere Anfragen<br />

bei den F.s blieben erfolglos.<br />

Für die Staatsanwaltschaft sind die<br />

Vermieter keine Unbekannten. Mutter<br />

Marlies F. war wegen Mietwucher angeklagt.<br />

Sie hatte eine unsanierte 60<br />

Quadratmeter große Wohnung in der<br />

Blumenau für 1500 Euro kalt vermietet<br />

– statt für erlaubte 480 Euro. Das Verfahren<br />

wurde im März gegen Auflagen<br />

und Zahlung einer Geldbuße eingestellt.<br />

Daniel F. wartet noch auf sein<br />

Verfahren: wegen Nötigung in mehreren<br />

Fällen und wegen gewerbsmäßigen<br />

Betrugs. Tatort auch da: die Blumenau.<br />

Vielleicht ist es für die Bewohner<br />

vom Reetwerder beruhigend, dass ihr<br />

Haus inzwischen unter Zwangsverwaltung<br />

steht. Der Bezirk will versuchen,<br />

das Haus möglichst schnell wieder<br />

bewohnbar zu machen. Bis dahin will<br />

Bergedorf „alles tun, was in unserer<br />

Macht steht, um diese schwierige Zeit<br />

für die Bewohner so erträglich wie möglich<br />

zu gestalten“.<br />

Die Mieter brauchen übrigens<br />

keine Angst zu haben, dass sie wegen<br />

Überbelegung automatisch ihre Wohnung<br />

verlieren. Der Gesetzgeber hat<br />

nämlich verfügt, dass soziale Härten<br />

im Falle einer notwendigen Räumung<br />

vermieden und insbesondere keine<br />

Familien getrennt werden sollen.<br />

Am liebsten würden viele Bewohner<br />

natürlich sofort in eine eigene Wohnung<br />

umziehen – wenn sie denn eine<br />

finden würden. •<br />

Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />

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Stadtgespräch<br />

Meldungen<br />

Politik & Soziales<br />

Einkommensgrenzen werden angepasst<br />

Neue Regeln für Sozialwohnungen<br />

Fast 70.000 zusätzliche Haushalte haben künftig Anrecht auf eine Sozialwohnung<br />

in Hamburg. Die Stadtentwicklungsbehörde will im Sommer die Einkommensgrenzen<br />

für Sozialwohnungen um rund elf Prozent anheben. Das bedeutet: Ein<br />

Drei-Personen-Haushalt dürfte anschließend 48.900 Euro im Jahr verdienen, um<br />

noch einen sogenannten Paragraf-5-Schein zu erhalten. Bislang durfte die Grenze<br />

von 44.000 Euro nicht überschritten werden. Das Problem bei der Anhebung: Es<br />

gibt in Hamburg insgesamt nur rund 79.000 Sozialwohnungen. „Diese Entscheidung<br />

ist gut gemeint, doch sie nützt leider nichts, solange die Sozialwohnungen<br />

nicht wirklich da sind“, kritisiert Stephan Nagel von der Diakonie Hamburg. Vor<br />

allem Bedürftigen würde die Anhebung nicht helfen. „Im Gegenteil: Nun wird<br />

der Druck auf die bestehenden Wohnungen noch größer, weil die Gruppe der Berechtigten<br />

stark wächst. Es ist zu befürchten, dass darunter zuerst jene Menschen<br />

leiden werden, die besonders stark von Wohnungsnot betroffen sind.“ JOF<br />

•<br />

Gerechte Stadt<br />

Soziale Durchmischung<br />

Die Forderung nach sozialer Durchmischung<br />

kommt immer dann auf,<br />

wenn es gilt, „Brennpunkte“ oder<br />

„Gettos“ zu vermeiden. Sie geht einher<br />

mit dem Wunsch nach Aufwertung.<br />

Aber profitieren davon ärmere<br />

Bewohner? Und erleichtern Quartiere<br />

mit hohem Anteil an Einwanderern<br />

nicht auch das Ankommen in der<br />

Fremde? Über Vor- und Nachteile<br />

diskutieren Experten bei der Veranstaltungsreihe<br />

„Gerechte Stadt“. JOF<br />

•<br />

Termin: Di, 26.6., 17.30 Uhr, Haus der<br />

Patriotischen Gesellschaft, Trostbrücke 4<br />

Paloma-Viertel<br />

So lebenswert werden die<br />

neuen Esso-Häuser<br />

Es geht voran mit dem Areal, auf<br />

dem einst die Esso-Häuser am Spielbudenplatz<br />

standen. Anfang Mai<br />

konkretisierten Bezirk, Bauherr und<br />

Anwohner-Initiative die Neubaupläne:<br />

Keine teuren Eigentumswohnungen<br />

und 60 Prozent geförderte Wohnungen,<br />

die erst nach 25 Jahren aus<br />

der Preisbindung fallen. Dazu wird<br />

es Dachgärten geben, die für alle zugänglich<br />

sind. Plus: günstige Gewerbemieten,<br />

eine Baugemeinschaft und<br />

viel Platz für Nachbarschaftsinitiativen<br />

auf St. Pauli. Auch der Name des<br />

Areals wird sich ändern: Es entsteht<br />

das „Paloma-Viertel“. Was dort genau<br />

gebaut werden sollte, war jahrelang<br />

hoch umstritten. Kritiker wie die Esso-Initiative<br />

fürchteten einen Ausverkauf<br />

durch die Bayerische Hausbau.<br />

Der Bezirk lenkte ein und eröffnete<br />

ein Beteiligungsverfahren zusammen<br />

mit dem Projekt Planbude. Dessen<br />

Sprecher Christoph Schäfer lobt das<br />

Ergebnis: „Was hier passiert, ist beispielhaft.“<br />

Im Frühjahr 2019 soll der<br />

Bau beginnen, mit einer Fertigstellung<br />

wird Mitte 2022 gerechnet. SIM/JOF<br />

•<br />

Unfall<br />

Obdachloser auf der Ludwig-<br />

Erhard-Straße überfahren<br />

In der Nacht zum 27. April hat ein<br />

Autofahrer auf der Ludwig-Erhard-<br />

Straße am Michel einen Obdachlosen<br />

überfahren und dadurch schwer<br />

verletzt. Das Opfer brach sich bei<br />

dem Unfall nach Angaben der Polizei<br />

das Becken und musste operiert<br />

werden. Zuvor hatte der 42-Jährige<br />

eine körperliche Auseinandersetzung<br />

mit einem anderen Obdachlosen in<br />

der Nähe gehabt. Anschließend habe<br />

er um kurz nach vier Uhr auf dem<br />

mittleren Fahrstreifen gelegen und sei<br />

von dem 40-jährigen Mercedes-<br />

Fahrer überrollt worden. „Warum er<br />

auf der Straße lag und ob der Fahrer<br />

ihn hätte sehen können, wird natürlich<br />

ermittelt“, sagte eine Polizeisprecherin.<br />

Nähere Angaben machte sie bis<br />

Redaktionsschluss nicht. Wie in<br />

solchen Fällen üblich, habe die Polizei<br />

gegen den Fahrer ein Ermittlungsverfahren<br />

wegen fahrlässiger Körperverletzung<br />

eröffnet. BELA<br />

•<br />

Mehr Infos und Nachrichten unter:<br />

www.hinzundkunzt.de<br />

Innere Kraft - für dich & andere<br />

Qigong<br />

Taijiquan Meditation<br />

Barmbek, Bahrenfeld, Eimsbüttel, Langenhorn<br />

040-205129<br />

www.tai-chi-lebenskunst.de<br />

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Der große Unsinn<br />

Warum<br />

Schwarzfahrer<br />

nicht im<br />

Gefängnis sitzen<br />

sollten<br />

„Schwarzfahrer gehören nicht in den Knast!“, meint Hamburgs Justizsenator Till Steffen<br />

(Grüne). Er will deshalb die Gesetze ändern. Wir meinen: Recht hat er! Denn derzeit<br />

landen Menschen im Gefängnis, denen schlicht das Geld dafür fehlt, eine Fahrkarte oder<br />

Geldstrafe zu bezahlen. Eine unsinnige Praxis, die den Steuerzahler viel Geld kostet.<br />

TEXT UND REDAKTION: ULRICH JONAS<br />

GRAFIKEN/ILLUSTRATIONEN: ESTHER CZAYA (S. 12), GRAFIKDEERNS.DE<br />

6,7 MILLIONEN EURO<br />

Bußgelder wurden vergangenes<br />

Jahr wegen Schwarzfahren<br />

in Hamburg verhängt. Nur 3,8 Millionen<br />

Euro davon wurden tatsächlich bezahlt.<br />

Was die Verkehrsunternehmen<br />

dafür ausgeben, von Schwarzfahrern<br />

nachträglich Geld einzutreiben,<br />

ist dem HVV nicht bekannt.<br />

Quelle: Senatsangaben in DS 21/11782, HVV<br />

69.544<br />

Hilfeempfänger haben 2016 im Monats-<br />

Durchschnitt den Preisnachlass genutzt,<br />

den die Sozialkarte ermöglicht (Zahlen für 2017 liegen noch nicht<br />

vor). Anspruchsberechtigt sind in Hamburg rund 244.000 Menschen.<br />

Somit profitiert nicht mal jeder dritte Hilfeempfänger von dem<br />

Zuschuss. Derzeitige Kosten für die Stadt: 17 Millionen Euro jährlich.<br />

Quelle: Sozialbehörde<br />

843 Menschen in Hamburg wurden 2016 wegen<br />

Erschleichen von Leistungen verurteilt. In den meisten<br />

Fällen handelte es sich um Schwarzfahrer. Gegen 790<br />

wurde eine Geldstrafe verhängt, 19 erhielten eine<br />

Freiheitsstrafe. Zahlen für 2017 liegen noch nicht vor.<br />

164 EURO<br />

pro Person kostet<br />

ein Haft-Tag den<br />

Steuerzahler.<br />

Quelle: Justizbehörde<br />

13<br />

Quelle: Statistikamt Nord sowie Senatsangaben in DS 21/9181<br />

8,20 Euro<br />

monatlich muss ein Hilfeempfänger<br />

von seinem Essens- oder Kleiderbudget<br />

abknapsen, wenn er in Mümmelmannsberg<br />

wohnt und sich eine Teilzeit-<br />

Monatskarte (ehemals CC-Karte)<br />

leisten will. Denn im Regelsatz sind nur<br />

32,90 Euro für Bus- und Bahnfahrten<br />

vorgesehen. Die HVV-Karte jedoch<br />

kostet trotz Zuschuss der Stadt<br />

(„Sozialkarte“) immer noch 41,10 Euro<br />

(statt regulär 62,20 Euro).<br />

Hinzu kommen die Tickets für<br />

Einzelfahrten – etwa zum Jobcenter-<br />

Termin um 9 Uhr morgens.<br />

Quelle: BMAS, Senat, HVV


Quelle: Senatsangaben in DS 21/11782<br />

20 Millionen Euro<br />

jährlich entgehen den Verkehrsunternehmen<br />

mindestens durch Schwarzfahren, so der<br />

HVV. Das sind rund 2,4 Prozent der Gesamteinnahmen<br />

(2016: 825,5 Millionen Euro).<br />

Quelle: HVV<br />

1014<br />

Menschen, die vergangenes Jahr zu einer<br />

Geldstrafe – etwa wegen Schwarzfahrens –<br />

verurteilt wurden, konnten diese laut<br />

Staatsanwaltschaft nicht bezahlen.<br />

4,5 Prozent<br />

betrug vergangenes Jahr<br />

die Schwarzfahrerquote<br />

im Hamburger ÖPNV.<br />

7915<br />

Quelle: Senatsangaben in DS 21/11782<br />

Ermittlungsverfahren wurden vergangenes Jahr<br />

wegen „Beförderungserschleichung“ eingeleitet.<br />

Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik<br />

48 Menschen …<br />

… saßen am<br />

23. Februar <strong>2018</strong> wegen<br />

„Erschleichen von Leistungen“<br />

in einem Hamburger Gefängnis.<br />

Zum Großteil handelt es sich dabei<br />

um Schwarzfahrer, die zu Haft<br />

verurteilt wurden oder eine<br />

Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen.<br />

Wie viele Menschen jährlich<br />

wegen obengenannter<br />

Delikte eingesperrt werden,<br />

wird nicht erfasst.<br />

Quellen: Senatsangaben in DS 21/12115,<br />

Justizbehörde<br />

1,26 Millionen Euro<br />

pro Jahr kostet die Stadt der Gefängnisaufenthalt von Schwarzfahrern, die eine Ersatzfreiheitsstrafe<br />

verbüßen, so eine Hochrechnung der Justizbehörde. Grundlage dieser Zahl ist die Annahme, dass 20 Prozent<br />

der Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe in einem Hamburger Gefängnis verbüßen, Schwarzfahrer sind.<br />

Hinzu kommen die Kosten der Schwarzfahrer, die zu Haft verurteilt worden sind.<br />

Genaue Berechnungen sind nicht möglich, da die dafür nötigen Daten laut Justizbehörde nicht erfasst werden.<br />

Rechnet man die Kosten von Polizisten, Richtern und Staatsanwälten ein, die sich mit der Strafverfolgung von<br />

Schwarzfahrern beschäftigen, dürften die jährlichen Gesamtkosten einige Millionen Euro betragen.<br />

Quellen: Justizbehörde, Senatsangaben in DS 21/12115<br />

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Stadtgespräch<br />

Hamburgs Justizsenator<br />

setzt bei<br />

verurteilten Schwarzfahrern<br />

auf gemeinnützige<br />

Arbeit oder<br />

Ratenzahlungen.<br />

„Nicht gerecht“<br />

Justizsenator Till Steffen im Interview<br />

TEXT: ULRICH JONAS<br />

FOTO: STEFAN MALZKORN /JB<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Herr Senator, Sie meinen:<br />

„Schwarzfahrer gehören nicht in den Knast!“ Warum?<br />

TILL STEFFEN: Schwarzfahrer werden nur in krassen Ausnahmefällen<br />

zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die meisten erhalten eine<br />

Geldstrafe und landen im Knast, weil sie die nicht zahlen können.<br />

Das finde ich nicht gerecht. Denn sie werden praktisch<br />

härter bestraft als andere.<br />

Wer eine Geldstrafe nicht bezahlen kann,<br />

kann sie auch mit gemeinnütziger Arbeit ableisten.<br />

Wie lässt sich das noch besser fördern?<br />

Das Ziel muss sein, Ersatzfreiheitsstrafen zu vermeiden. Aber<br />

wir haben ein Problem, die Menschen zu erreichen und ihnen<br />

Alternativen wie Ratenzahlung oder gemeinnützige Arbeit zu<br />

erklären. Dazu muss man wissen: Die Verfahren wegen<br />

Schwarzfahren finden in der Regel auf dem Schriftweg statt,<br />

sodass es keinen menschlichen Kontakt gibt. Hier kann nur<br />

Sozialarbeit helfen: dass jemand bei den Betroffenen vorbeigeht<br />

und man gemeinsam Lösungen findet, um die Haft zu<br />

vermeiden.<br />

Sie fordern weitere „alternative Lösungen“. Welche?<br />

Man könnte Schwarzfahren als Ordnungswidrigkeit fassen<br />

und aus dem Strafrecht herausnehmen. Bei einer Ordnungswidrigkeit,<br />

etwa Falschparken, bekommt man ein Bußgeld<br />

und keine Geldstrafe. Und wenn man das Bußgeld nicht zahlen<br />

kann, muss man sich für zahlungsunfähig erklären. Den<br />

Automatismus, dass aus der Geld- eine Ersatzfreiheitsstrafe<br />

wird, gibt es nicht.<br />

15<br />

Ihr Vorstoß scheint unter den Justizministern der Länder nicht mehrheitsfähig.<br />

Was können Sie tun, wenn es im Bund keine Mehrheit gibt?<br />

Die Chancen für eine Mehrheit sind derzeit besser denn je:<br />

Neben meinen grünen Justizministerkollegen unterstützt auch<br />

mein CDU-Kollege aus Nordrhein-Westfalen die Idee. Und<br />

einig sind sich alle, dass wir gucken müssen, wie wir die Justiz<br />

entlasten können. Dazu gehört die Frage, welche Aufgaben<br />

das Strafrecht ausfüllen muss und welche nicht. Ich finde, die<br />

Verfolgung von Schwarzfahrern gehört nicht dazu.<br />

Und wenn es keine Mehrheit für die Reform gibt?<br />

Das Strafrecht kann nur bundeseinheitlich geändert werden,<br />

deswegen müssen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat<br />

erstritten werden. Anders geht es nicht. •<br />

Kontakt: ulrich.jonas@hinzundkunzt.de<br />

So läuft es – und so könnte es besser laufen:<br />

Wer dreimal ohne Fahrschein erwischt wird, den zeigen die<br />

Verkehrsunternehmen wegen „Beförderungserschleichung“ an<br />

(Paragraf 265a Strafgesetzbuch). Laut Gesetz sind dafür „Freiheitsstrafen<br />

bis zu einem Jahr oder Geldstrafen“ möglich. Bezahlt<br />

ein Verurteilter seine Strafe nicht, kann das Gericht eine Ersatzfreiheitsstrafe<br />

anordnen. Justizsenator Steffen fordert, Schwarzfahren<br />

künftig als Ordnungswidrigkeit zu ahnden. Die Folgen: Die Verfahren<br />

wären einfacher und für den Staat billiger. Schwarzfahrern würde<br />

statt Knast im schlechtesten Fall der Offenbarungseid drohen.


Messi für<br />

einen Tag<br />

Wenn Kinder – vor allem Jungs – einen Ball vor die Füße bekommen,<br />

wird sofort dagegen getreten. Dafür braucht es kein modernes<br />

Stadion und keine Fußball-Weltmeisterschaft – auch nicht in<br />

Russland. Fotograf Caio Vilela war in dem Riesenland unterwegs,<br />

und hat dort Kids beim Straßenkick fotografi ert.<br />

TEXT: ANNETTE WOYWODE


Eine Kulisse, besser als in jedem<br />

Stadion: Über den Dächern von<br />

Russlands ältester Großstadt Derbent<br />

liefern sich Jungs ein kleines Match.<br />

Die in der Republik Dagestan gele gene<br />

Altstadt mitsamt Zitadelle und<br />

Festung wurde 2003 in die Welterbeliste<br />

der UNESCO aufgenommen.


Goldener als der<br />

WM-Pokal glänzen die Kuppeln<br />

der Kathedrale von Saransk<br />

in der Sonne. Die Hauptstadt<br />

der Republik Mordwinien ist<br />

der kleinste der elf russischen<br />

WM-Austragungsorte.


Um Fußball spielen zu<br />

können, braucht es nicht<br />

viel Equipment. Zum Glück,<br />

denn die Tuwiner gehören<br />

einem Turkvolk an, das im<br />

südlichen Teil von Sibirien<br />

teilweise nomadisch lebt.<br />

Ein Ball für die Kids passt<br />

aber garantiert in jede Jurte.


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Fußball-WM<br />

Ob auf dem Gletscher oder am Strand:<br />

Ein Kick in den Bergen hinter Sotschi, der Stadt,<br />

die schon 2014 Austragungsort Olympischer<br />

Winterspiele war. Oder am Wolga-Strand von Samara.<br />

In beiden Orten finden WM-Spiele statt.<br />

F<br />

ünf Uhr nachmittags ist überall auf der Welt<br />

die magische Stunde für Straßenfußball“, sagt<br />

Caio Vilela. Die Schule ist aus, der Job vorbei,<br />

man trifft sich im Park, am Strand oder auf<br />

staubigen Pisten, um der schönsten Nebensache der<br />

Welt nachzugehen, so der Fotograf und Autor. Man<br />

kann Vilela als Experten in Sachen Straßenfußball ansehen.<br />

Schon immer war der 48-jährige Brasilianer weltweit<br />

unterwegs, um für Reisereportagen zu recherchieren.<br />

2002 verschlug es ihn in den Iran. Dort beobachtete<br />

„Ich habe goldene<br />

Momente eingefangen.“<br />

er Kids, die vor der Kulisse einer Moschee kickten. Nicht<br />

das Freizeitspiel war das Besondere. Es hätte auf dem<br />

gesamten Globus genau so stattfinden können. Aber die<br />

islamische Architektur im Hintergrund repräsentierte<br />

die Region und Kultur des Landes auf Anhieb. „In dem<br />

Moment habe ich beschlossen, meine Augen nach solchen<br />

Motiven offen zu halten“, erzählt Vilela. 2009 erschien<br />

sein erstes Buch: „Football without Borders“.<br />

Die vergangenen drei Sommer hat der Brasilianer in<br />

Russland verbracht. Seine Mission zur dortigen Fußball-<br />

Weltmeisterschaft: nach dem iranischen Vorbild Straßenfußball<br />

spielende Kinder abzulichten und gleichzeitig<br />

die Vielfalt der russischen Landschaft und Kultur erlebbar<br />

zu machen. In allen elf WM-Städten war der Fotograf<br />

unterwegs, dazu an markanten Orten wie dem Baikalsee<br />

oder dem Kaspischen Meer.<br />

Am Ziel angekommen, „laufe ich herum oder frage<br />

Taxifahrer, wo hier Kids Fußball spielen“, beschreibt er<br />

sein Vorgehen. Und wenn Caio sie fragt, ob er sie beim<br />

Spiel oder als Mannschaft fotografieren könnte, platzen<br />

sie vor Stolz. „Dadurch, dass ich Fotos von ihnen mache,<br />

fühlen sie sich wie Fußball-Stars“, sagt er. „Sie sind Messi<br />

für einen Tag.“ Dabei sei in Russland Fußball gar nicht<br />

überall gleich populär: In den nördlichen, kälteren Regionen<br />

wie Omsk oder Murmansk werde eher Hockey gespielt.<br />

In den Kaukasusregionen oder an der Wolga dagegen<br />

sei Fußball der Lieblingssport. Doch egal, wo auf<br />

der Welt Caio Vilela seine Straßenfußball-Bilder macht,<br />

er ist fasziniert: „Ich habe goldene Momente von anonymen,<br />

talentierten Kindern eingefangen. All diese Jungs<br />

können jetzt auf den Seiten eines Buches glänzen. So wie<br />

sie täglich auf irgendeinem schmutzigen Feld glänzen –<br />

weit weg von den Augen eines Talentscouts.“ •<br />

Kontakt: annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />

In der autonomen Republik Tschetschenien (oben) ist Fußball extrem<br />

beliebt. Und die Kinder, sagt Fotograf Vilela, sind wahre Kämpfer auf<br />

dem Platz. In Gunib spielen die Lütten sogar auf dem Hauptplatz des<br />

dagestanischen Dorfes. Im Hintergrund die Berge des Nordkaukasus.<br />

Der Fotograf und Autor Caio Vilela<br />

wurde in São Paulo geboren.<br />

Er reiste im Auftrag von Zeitungen<br />

und Magazinen wie National Geographic,<br />

Rolling Stone, Elle oder<br />

Trip Magazine in mehr als 100<br />

Länder auf allen Kontinenten.<br />

Der studierte Geograf organisiert<br />

außerdem Filmdrehs für internationale<br />

Fernseh-Teams.<br />

Von Caio Vilela sind mehrere Bücher über Straßenfußball<br />

erschienen, darunter eines auf Deutsch:<br />

Straßenfußball – Eine Weltreise in Bildern, Spielmacher Verlag,<br />

273 Seiten, gebundene Ausgabe 34,80 Euro. Mehr Infos unter<br />

www.caiovilela.com.br<br />

23


„Der Körper will schlafen, aber der Kopf hat Angst“<br />

„Die Straße ist gefährlich“, sagt Asen, der seit 16 Jahren auf der Straße lebt.<br />

Körperlich attackiert wurde er nie. Trotzdem findet er nachts meistens keinen Schlaf.<br />

Zu groß sei die Angst vor Überfällen oder Angriffen, erzählt der 33-Jährige.<br />

„Der Körper will schlafen, aber der Kopf hat Angst.“ Bis 5 Uhr morgens liegt der gebürtige<br />

Bulgare oft wach und spielt mit seinem Handy. Erst wenn die ersten Passanten wieder zur<br />

Arbeit eilen, fühlt sich Asen sicher. Manchmal allerdings nickt er davor kurz ein.<br />

Neulich war ihm das wieder passiert. Als er die Augen öffnete, waren Tabak und<br />

Cola-Dose weg. Sie hatten direkt neben seinem Kopf gelegen. „Dass jemand so dicht an<br />

mir dran war und ich nichts bemerkt habe, das hat mich richtig erschreckt.“<br />

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Stadtgespräch<br />

Warum immer<br />

mehr Obdachlose Opfer<br />

von Gewalt werden<br />

Brandanschläge, Körperverletzungen, Vergewaltigungen: Gewalt gegen Obdachlose<br />

ist an der Tagesordnung. Und Jahr für Jahr werden es mehr Übergriffe, zeigt eine<br />

Statistik des BKA. Ein Experte fordert gezielte Präventionsmaßnahmen.<br />

TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />

PROTOKOLLE: JONAS FÜLLNER<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Der erste Schlag geht direkt<br />

ins Gesicht. Nach dem<br />

zweiten geht der Mann zu<br />

Boden. Acht oder neun weitere<br />

Male schlägt der Malerlehrling hart<br />

und gezielt auf den Kopf seines Opfers<br />

ein, der sich jetzt die Hände schützend<br />

vor das Gesicht hält. Erst Passanten<br />

können den 22-Jährigen stoppen, der im<br />

April 2017 in der Mönckebergstraße<br />

auf einen Obdachlosen losgeht. Dessen<br />

Platzwunde am Hinterkopf muss im<br />

Krankenhaus genäht werden. Der<br />

Schläger wird später zu acht Monaten<br />

Haft verurteilt, ausgesetzt zur Bewährung.<br />

„Einen nachvollziehbaren Grund<br />

für seine Tat gab es nicht“, befinden die<br />

Richter am Amtsgericht.<br />

Es ist einer von zahlreichen Übergriffen<br />

auf Obdachlose im vergangenen<br />

Jahr auf den Straßen Hamburgs.<br />

Hinz&Künztler berichten uns, wie sie im<br />

Schlaf ins Gesicht getreten oder auf einer<br />

Parkbank verprügelt wurden. Mindestens<br />

viermal sind Obdachlose in<br />

Hamburg 2017 sogar Opfer von Brandanschlägen<br />

geworden – zum Glück ohne<br />

tödliche Folgen. „Die Hemmschwelle<br />

scheint gesunken zu sein“, sagt<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiter Stephan<br />

Karrenbauer. Und zwar bei Bürgern,<br />

die Obdachlose angreifen – scheinbar<br />

einfach so oder aber, weil sie sie verachten.<br />

Aber auch bei Obdachlosen selbst,<br />

die wegen des zunehmenden Konkurrenzdrucks<br />

auf der Straße oft vor Gewalt<br />

untereinander nicht zurückschrecken.<br />

Ein Blick in die Kriminalstatistik des<br />

Bundeskriminalamts bestätigt den Eindruck,<br />

dass die Gewalt auf der Straße<br />

zugenommen hat. Seit 2012 werden<br />

dort Straftaten gegen Obdachlose gesondert<br />

ausgewiesen. Es gibt immer<br />

mehr davon: Hatten die Kriminalbeamten<br />

2012 noch 258 Gewalttaten gegen<br />

Obdachlose gezählt, waren es 2017<br />

Täter gehen oft<br />

auf Schwächere<br />

los, um sich<br />

besser zu fühlen.<br />

schon 592. Das ist ein Zuwachs von 129<br />

Prozent in nur fünf Jahren. In Hamburg<br />

schwanken die Zahlen zwischen<br />

56 und 70 im Jahr, trauriger Höhepunkt<br />

auch hier das Jahr 2017. Sogar<br />

ein Mord und zwei Fälle von Totschlag<br />

waren in den vergangenen Jahren darunter.<br />

Und das sind nur die Fälle, die<br />

bei der Polizei angezeigt wurden.<br />

Wie kann das sein? Eine mögliche<br />

Erklärung ist, dass immer mehr<br />

Menschen auf der Straße leben und<br />

dort zu Opfern werden können. Nach<br />

einer Schätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />

Wohnungslosenhilfe<br />

(BAGW) hat sich ihre Zahl von 24.000<br />

25<br />

im Jahr 2012 innerhalb von vier Jahren<br />

mehr als verdoppelt: 2016 waren demnach<br />

52.000 Menschen in Deutschland<br />

obdachlos. Und daher oft geschwächt<br />

und wehrlos, sagt die Kriminologin<br />

Daniela Pollich von der Kölner Fachhochschule<br />

für öffentliche Verwaltung.<br />

Damit wären sie für Gewalttäter ein<br />

leichtes Opfer.<br />

Pollich hat untersucht, aus welchen<br />

Gründen Obdachlose Opfer von<br />

Gewalt werden. Oft sei es schlicht die<br />

Gelegenheit, aus der heraus sie angegriffen<br />

würden. „Gerade nachts sind<br />

häufig Wohnungslose auf der Straße<br />

verfügbar, wenn jemandem gerade<br />

danach ist, jemanden zu verprügeln.“<br />

Dazu käme das Desinteresse, mit der<br />

die Gesellschaft Wohnungslosen begegne:<br />

„Wenn man seinen Nachbarn vermöbelt“,<br />

sagt Pollich, „muss man eher<br />

mit gesellschaftlichen Konsequenzen<br />

rechnen, als wenn man sich jemanden<br />

aussucht, der in einer dunklen Ecke<br />

sehr schutzlos und unbeachtet von der<br />

Gesellschaft lebt.“<br />

Die Motive der Täter seien schwierig<br />

zu erforschen, räumt Pollich ein.<br />

Aber oft gehe es ihnen darum, sich<br />

selbst besser zu fühlen, indem sie auf<br />

Schwächere losgehen. „Wenn es noch<br />

jemanden unter einem gibt, ist man<br />

selbst nicht der gesellschaftliche Verlierer“,<br />

sagt die Forscherin. Die Gewalttäter<br />

kämen daher oft selbst aus Milieus,<br />

die gar nicht so weit weg von dem<br />

der Wohnungslosen seien. „Die suchen


„Ich wurde auf der Straße vergewaltigt“<br />

„Für viele Leute ist man auf der Straße nur Dreck“, sagt Maggy. „Wenn dir was passiert,<br />

kommt keiner und hilft.“ Frauen sind häufiger Gewalt ausgesetzt als Männer – vor allem<br />

sexualisierten Übergriffen. Viele obdachlose Frauen schlafen daher immer wieder bei<br />

Bekannten. Und Maggy hat deswegen eigentlich nie alleine Platte gemacht. Im vergangenen<br />

Jahr musste es allerdings doch ein Mal sein. Auf der Mönckebergstraße. Da passierte es:<br />

„Ich wurde auf der Straße vergewaltigt“, erzählt die 55-Jährige. „Zwei deutsche Typen. Mitten<br />

in der Nacht. Die haben mich gepackt, mir die Jogginghose runtergerissen und dann ist einer<br />

über mich her.“ Anzeige hat sie nicht erstattet. Das hätte ja nichts mehr verändert, meint<br />

Maggy. Stattdessen hat sie Hilfe gesucht und inzwischen eine Bleibe gefunden.<br />

26


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Stadtgespräch<br />

sich jemanden, an dem sie sich persönlich<br />

hochziehen können, indem sie ihn<br />

abwerten.“ So wie der Schläger von der<br />

Mönckebergstraße: Als Malerlehrling<br />

verdient der frühere Hauptschüler gerade<br />

einmal 370 Euro im Monat.<br />

Oft schlagen Täter auch zu, weil die<br />

Obdachlosen nicht in ihr Weltbild passen,<br />

weil sie sie für nutzlos halten, für<br />

faul, für Schmarotzer. Einige haben diese<br />

Vorurteile verinnerlicht, andere in<br />

ihr geschlossen rechtsextremes Weltbild<br />

fest eingebunden. Nach einer Zählung<br />

der Amadeo-Antonio-Stiftung sind seit<br />

1990 mindestens 26 Obdachlose von<br />

Rechtsextremisten umgebracht worden,<br />

denen Obdachlose seit jeher als<br />

„unwert“ gelten. Hate Crime – oder<br />

vorurteilsmotivierte Kriminalität.<br />

Mit Vorurteilen kennt Andreas Zick<br />

sich aus. Er leitet das Bielefelder Zentrum<br />

für Konflikt- und Gewaltforschung<br />

und untersucht regelmäßig, welche<br />

Vorurteile in der deutschen<br />

Gesellschaft verbreitet sind. Es ist mitnichten<br />

so, dass nur Neonazis Vorurteile<br />

gegenüber Obdachlosen haben. Seit<br />

Beginn der Untersuchungen vor 14<br />

Jahren hat etwa ein Drittel der Deutschen<br />

solche Ressentiments, findet zum<br />

Beispiel, dass Bettler „aus den Fußgängerzonen<br />

entfernt werden“ sollten.<br />

Verändert hat sich in den vergangenen<br />

14 Jahren, wer genau diese Vorurteile<br />

hegt. Anfangs waren es noch insbesondere<br />

ungebildete Menschen mit<br />

geringem Einkommen. Inzwischen finden<br />

die Forscher solche Ressentiments<br />

in allen Schichten. Die Menschen geben<br />

den Obdachlosen selbst die Schuld<br />

für ihre Lage, unterstellen ihnen allgemeine<br />

Inkompetenz und emotionale<br />

Kälte. „Man möchte Obdachlose nicht<br />

sehen“, sagt Zick. „Und aus dem Vorurteil<br />

kann Handeln entstehen, wenn<br />

sich die Gelegenheit ergibt.“<br />

Nach wie vor hat etwa jeder dritte<br />

Deutsche diese Vorurteile, wie schon<br />

vor 14 Jahren – dennoch nehmen die<br />

Gewalttaten gegen Obdachlose zu. Der<br />

Forscher erklärt sich das mit einer generellen<br />

Entwicklung: „Die Gewalt gegen<br />

gesellschaftliche Randgruppen steigt an<br />

– und sie steckt an“, sagt Zick. Wer<br />

Jeder Dritte<br />

hat Vorurteile<br />

gegen<br />

Obdachlose.<br />

27<br />

etwa gewaltbereit gegenüber Flüchtlingen<br />

sei, habe oft auch das Potenzial,<br />

Obdachlose anzugreifen.<br />

Weil längst nicht alle Fälle aufgeklärt<br />

werden, kann man oft über die<br />

Motive der Täter nur spekulieren. Im<br />

Januar endete vor dem Landgericht<br />

allerdings der Prozess gegen einen<br />

32-Jährigen, der im vergangenen April<br />

in St. Georg den Schlafplatz eines Obdachlosen<br />

angezündet hatte. Nur weil<br />

binnen kürzester Zeit Passanten das<br />

Feuer löschten, war dem Obdachlosen<br />

nichts weiter passiert.<br />

Ein Verbrechen, das viel über das<br />

Leben auf der Straße in Hamburg erzählt.<br />

Denn auch der Brandstifter war<br />

obdachlos, und er kannte sein Opfer.<br />

„Ich wollte ihm mit Sicherheit nicht sein<br />

Leben nehmen“, hatte der Angeklagte<br />

Constantin in der Verhandlung beteuert.<br />

Vielmehr wollte er dem Opfer –<br />

dem 49-jährige Costel – eine Lektion erteilen,<br />

denn der war unter Obdachlosen<br />

für seine Neigung zu Gewalt bekannt.<br />

Immer wieder machte er anderen die<br />

Schlafplätze streitig. „Ich wollte, dass er<br />

sein Verhalten ändert“, begründete<br />

Constantin seine Tat. Tatsächlich hatte<br />

Costel vor Gericht ausgesagt: „Ich werde<br />

in Zukunft zweimal nachdenken, bevor<br />

ich jemanden schlage.“<br />

Viele der Täter, die Obdachlose angegriffen<br />

haben, leben selbst auf der<br />

Straße. Wie viele es genau sind, darüber<br />

macht das Bundeskriminalamt keine<br />

Aussagen. In der Auswertung der Medienberichte<br />

über Gewalttaten der<br />

Bundesarbeits gemeinschaft Wohnungslosenhilfe<br />

trifft es etwa auf die Hälfte<br />

der Fälle zu. Die meisten Übergriffe unter<br />

Obdachlosen landen jedoch wahrscheinlich<br />

weder in der Statistik des<br />

BKA noch in der der BAGW, weil die<br />

Betroffenen sie für sich behalten.<br />

Als im vergangenen September der<br />

Obdachlose Dorian vom Landgericht<br />

wegen versuchten Mordes verurteilt<br />

wurde, weil er aus Neid auf den<br />

Schlafplatz die Platte zweier anderer<br />

Obdachloser angezündet haben soll,<br />

hatte es die Urteilsbegründung in sich.<br />

Das „plausible Motiv“, das der Richter<br />

bei Dorian sah, war der angebliche<br />

Neid auf den „Premium-Schlafplatz“<br />

der beiden. Er sprach wohlbemerkt<br />

nicht von einer Penthouse-Wohnung,<br />

sondern von einer zwar wenigstens<br />

trockenen, aber zugigen Ecke in einem<br />

Parkhaus am Hafen.<br />

„Konkurrenz auf der Straße hat es<br />

schon immer gegeben, aber sie hat in<br />

den letzten Jahren zugenommen“, sagt<br />

Johan Graßhof, Straßensozialarbeiter<br />

bei der Diakonie. Der Druck auf die<br />

Obdachlosen nehme ständig zu, gerade<br />

auf die aus Osteuropa, die kaum Hilfe<br />

von der Stadt bekämen und immer wieder<br />

vertrieben würden. Schon kleine<br />

Streitereien wären dann für sie oft<br />

bereits Anlass genug für körperliche<br />

Auseinandersetzungen.<br />

Aus Sicht von Menschen mit Wohnungen<br />

gehe es dabei häufig um Nichtigkeiten,<br />

sagt Kriminologin Pollich.<br />

Eine Flasche Bier etwa oder eine ausgeliehene<br />

Zigarette könnten zum Auslöser<br />

für eine Schlägerei werden. „Da manifestiert<br />

sich die Anhäufung von Ungleichheit,<br />

schlechten Chancen, Frustration<br />

und Aussichtslosigkeit.“ Anders<br />

gesagt: Wer wie Obdachlose kaum<br />

schläft und lange Zeit auf der Straße<br />

verelendet, bei dem liegen die Nerven<br />

oft schlicht blank.<br />

Den Opfern kann es letztlich egal<br />

sein, ob der Täter eine Wohnung hat<br />

oder nicht. Im vergangenen November<br />

in Ohlsdorf soll ein 27-Jähriger im<br />

S-Bahnhof im Vorbeigehen zunächst<br />

seine Bierflasche über einem schlafenden<br />

Obdachlosen ausgeschüttet haben.<br />

Und als wäre das noch nicht entwürdigend<br />

genug, soll er anschließend die<br />

Flasche zerschlagen und dem Obdachlosen<br />

eine zwölf Zentimeter lange


„Ohne meinen Hund wäre ich verloren gewesen“<br />

„In 14 Jahren auf der Straße habe ich viel Mist erlebt. Immer wieder auch Rangeleien,<br />

aber ganz selten eine Schlägerei“, erzählt Sascha, der inzwischen in einem Wohncontainer<br />

der Kirche lebt. Gewalt auf der Straße sei fast normal. Eine völlig andere Qualität hatte<br />

hingegen der Angriff, den er vor zwei Jahren erlebte. Jemand steckte Saschas provisorische<br />

Behausung in Brand. Die hatte er sich am Rande eines Schrebergartens selber<br />

zusammengezimmert. Der 44-Jährige war da gerade im Tiefschlaf. „Zum Glück hat mein<br />

Hund Pitty angeschlagen und mich geweckt“, erinnert sich der Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer.<br />

„Das war richtig heftig.“ Rechtzeitig konnte er sich noch aus der Holzhütte retten.<br />

Anschließend löschte die Feuerwehr den Brand.<br />

28


Stadtgespräch<br />

Freude schenken ...<br />

... mit Produkten aus fairem Handel<br />

• Kaffee, Tee, Schokolade ...<br />

• Geschenke, Körbe, Musikinstrumente, Bücher, Lederwaren,<br />

Spielzeug - aus Afrika, Asien und Lateinamerika ...<br />

Schnittwunde am Hals zugefügt und ihn so schwer<br />

verletzt haben. Später stellte er sich der Polizei.<br />

„Das Tatmotiv bleibt unklar“, heißt es von der<br />

Staatsanwaltschaft. Seit Ende Mai muss sich der<br />

Mann wegen gefähr licher Körperverletzung vor<br />

Gericht verantworten. Er ist 27 Jahre alt und lebt<br />

noch bei seiner Mutter.<br />

„Die Gesellschaft<br />

sollte sich deutlich<br />

dazu verhalten!“<br />

DANIELA POLLICH<br />

Trotz der vielen Gewalttaten gegen Obdach lose<br />

auf Hamburgs Straßen blieb ein großer Aufschrei<br />

in der Stadt bislang aus. Dabei wäre es laut Kriminologin<br />

Pollich so wichtig, dass man diese Taten<br />

ächtet, weil die Schläger sonst von einer Art „sozialen<br />

Rückendeckung“ ausgingen. „Die Gesellschaft<br />

sollte sich deutlich dazu verhalten“, sagt sie. „Das<br />

würde sicher einige Täter davon abhalten,<br />

zuzuschlagen.“<br />

Konfliktforscher Zick betont, wie wichtig<br />

Aufklärung sei, um solche Übergriffe zu verhindern.<br />

„Menschen, die Kontakt mit Wohnungslosen<br />

haben und etwas über ihre Welt erfahren, haben<br />

deutlich weniger Vorurteile“, sagt er. Deshalb<br />

plädiert er für Programme, die Obdachlose und<br />

Menschen mit Wohnung zusammenbringen: „Entweder<br />

macht unsere Gesellschaft da ein bisschen<br />

mehr, oder wir müssen uns nicht wundern, wenn<br />

wir Gewalt sehen.“<br />

In der Sozialbehörde sieht man jedoch keine<br />

Notwendigkeit für gezielte Präventionsmaßnahmen,<br />

sondern verweist auf ein allgemeines<br />

Programm der Stadt gegen Rechtsextremismus.<br />

„Wir brauchen nicht für jede Gruppe ein eigenes<br />

Programm, sondern müssen alle im Blick haben“,<br />

sagt Sprecher Marcel Schweitzer. Und mit Gewalt<br />

gegen Obdachlose befasse sich die Behörde nicht<br />

explizit: „Das ist Polizeisache.“<br />

Die Polizei aber macht zwar ihre Ermittlungsarbeit,<br />

erfasst die Gewalttaten gegen Obdachlose –<br />

anders als andere Bundesländer – jedoch nicht einmal<br />

gesondert. Um zu erfahren, wie viele Fälle es<br />

in Hamburg gab, muss man das BKA in Wiesbaden<br />

fragen. •<br />

Kontakt: benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />

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Sie uns dabei unterstützen und gleichzeitig den Menschen, die<br />

bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> Heimat und Arbeit gefunden haben, helfen? Dann<br />

hinterlassen Sie etwas Bleibendes – berücksichtigen Sie uns<br />

in Ihrem Testament! Als Testamentsspender wird Ihr Name auf<br />

Wunsch auf unserem Gedenk-Anker in der Hafencity graviert. Ein<br />

maritimes Symbol für den Halt, den Sie den sozial Benachteiligten<br />

mit Ihrer Spende geben.<br />

29


Katharina Schmidt<br />

begeisterte Masse für<br />

ein Fotoprojekt über<br />

die Sicht von Obdachlosen<br />

auf Hamburg.<br />

Heute arbeitet er<br />

bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> als<br />

Hausmeister.<br />

„Den Spieß umdrehen“<br />

A<br />

uf den ersten Blick ist es<br />

kein besonderer Bulli, der<br />

da unter der Brücke steht.<br />

Weiß, nicht das neueste<br />

Modell, unauffällig, bis man merkt, dass<br />

Reifen fehlen, der Wagen aufgebockt ist.<br />

„Da hat ein Pärchen geschlafen. So zwei<br />

Jahre. Drinnen sah das echt übel aus,<br />

das war so ein typisches Pennermobil“,<br />

Die Gruppenausstellung Home stellt die Frage, was eigentlich ein Zuhause<br />

ausmacht. Auch Obdachlose antworten: mit Bildern aus Einwegkameras.<br />

TEXT: SIMONE DECKNER<br />

FOTOS: MARCUS CHOMSE (2), MAURICIO BUSTAMANTE (PORTRÄT)<br />

sagt Marcus, den alle nur Masse nennen,<br />

und lacht. Er machte damals auch<br />

Platte; sammelte Pfandflaschen, um<br />

über die Runden zu kommen.<br />

Fünf Jahre ist es her, dass er den<br />

Bulli fotografiert hat. In Hammerbrook.<br />

Mit einer billigen Einwegkamera.<br />

Die hatte er von Katharina Schmidt.<br />

Schmidt, eigentlich Mitarbeiterin im<br />

Institut für Geographie an der HAW,<br />

machte damals ein Praktikum im Diakonie-Wohnungslosenzentrum.<br />

Dort<br />

traf sie Masse.<br />

Dort entstand auch die Idee für ihr<br />

Fotoprojekt. Schmidt hatte sich zuvor<br />

schon mit Obdachlosigkeit und besetzten<br />

Häusern beschäftigt. Dabei war ihr<br />

aufgefallen, dass Obdachlosigkeit oft<br />

30<br />

Ein Straßenkünstler<br />

unten am Hafen, ein<br />

abgewrackter Bulli<br />

als Schlafstätte –<br />

aufgenommen von<br />

Masse mit einer<br />

Einwegkamera.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Triennale der Photographie<br />

Alle drei Jahre steigt das Fotofestival in Hamburg, als Gemeinschaftsaktion<br />

der großen Museen, Galerien, Kultur-Institutionen und Veranstalter, begleitet<br />

von Vorträgen, Künstlergesprächen und einer internationalen Konferenz.<br />

Das Festivalmotto dieses Jahr: „Breaking Point. Searching for Change.“<br />

Insgesamt stellen 320 Fotografen an 80 Orten aus, das Programm umfasst<br />

90 Veranstaltungen. Die Triennale findet vom 7. <strong>Juni</strong> bis 30. September an<br />

unterschiedlichen Orten in Hamburg statt. Info: www.phototriennale.de<br />

stereotyp dargestellt wird: „Der Schlafsack<br />

auf dem Boden oder die Schwarz-<br />

Weiß-Porträts von Gesichtern sind ganz<br />

typisch“, sagt sie. Menschen, die selbst<br />

nicht auf der Straße leben, prägten das<br />

Bild von Obdachlosigkeit. „Die Idee<br />

des Fotoprojekts war, den Spieß umzudrehen“,<br />

sagt Schmidt. Sie fand sechs<br />

Obdachlose, die ihren Alltag in Hamburg<br />

festhielten, später interviewte sie<br />

sie, noch später schrieb sie ihre Doktorarbeit<br />

darüber. „Die Leute nehmen an,<br />

dass Obdach- und Wohnungslose völlig<br />

andere Bilder machen von der Stadt“,<br />

so Schmidt, „aber das ist nicht so, die<br />

sind hier ja genauso zu Hause.“<br />

Mittlerweile ist Masse nicht mehr<br />

obdachlos, er arbeitet als Hausmeister<br />

bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Eigentlich hatte Masse<br />

das Fotoprojekt schon vergessen, bis<br />

sein Telefon klingelte und Schmidt ihm<br />

sagte, dass sein Bulli-Foto ausgestellt<br />

werde. Nicht irgendwo, sondern bei der<br />

renommierten Triennale der Photographie.<br />

„Ich war platt“, sagt Masse.<br />

„Home“ heißt die Gruppenausstellung,<br />

in der unter anderem Masses Foto<br />

zu sehen ist. Wie es dazu kam? Auch<br />

Katharina Schmidt bekam einen Anruf:<br />

von den Triennale-Kuratoren Nico<br />

Baumgarten und Stefan Rahner. Ob<br />

Schmidt sich vorstellen könne, ihr Fotoprojekt<br />

auf ihrer Ausstellung zu zeigen,<br />

die sich kritisch mit dem Begriff „Zuhause“<br />

auseinandersetze und auch von<br />

Vertreibung erzähle. Schmidt konnte.<br />

Und so sind nun die Fotos der obdachlosen<br />

Laien neben denen von Profis<br />

wie Andrea Diefenbach zu sehen:<br />

Die Fotografin hat in Moldawien Arbeitsmigranten<br />

begleitet (siehe H&K Nr.<br />

252). Gineke de Rooij dokumentiert<br />

den Alltag in dem ältesten, noch besetzten<br />

Haus in den Niederlanden, dem eine<br />

Räumung droht. Andere Arbeiten<br />

31<br />

nehmen Mexiko und Moers ins Visier.<br />

Zuhause kann an vielen Orten sein.<br />

Raus geht auch die Ausstellung<br />

selbst. Ein Großteil der Fotos wird im<br />

öffentlichen Raum gezeigt: in extra angefertigten<br />

Pavillons, die in der Stadt<br />

verteilt sind – nur das Projekt „Behausungen“<br />

von HAW-Studierenden ist im<br />

Altonaer Museum zu sehen.<br />

Als Masse noch auf der Straße gelebt<br />

hat, hatte er eine Zeit lang viel mit<br />

einem Engländer zu tun. „Der saß immer<br />

unten beim Baumwall, ich habe<br />

ihn jeden Tag gesehen, der gehörte zu<br />

meinem Stadtbild dazu.“ Der Engländer<br />

malte die Elphi – „mit Wasserfarben,<br />

das sah richtig gut aus“, sagt<br />

Masse. Eines Tages war der Engländer<br />

weg. Unterwegs zu einem neuen Zuhause<br />

auf Zeit? Wer weiß. Das Foto,<br />

das Masse von seiner Zufallsbekanntschaft<br />

gemacht hat, ist noch da. Es<br />

hängt jetzt im Pavillon in der Großen<br />

Bergstraße für alle zum Anschauen. •<br />

Kontakt: simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />

Home – Ein Zuhause ist nicht<br />

selbstverständlich!, Gruppenausstel -<br />

lung im öffentlichen Raum, 8.6.–26.8.<br />

Pavillons: Große Bergstraße/Ecke<br />

Altonaer Poststraße, Deichtorhallen,<br />

Marco-Polo-Terrassen/Hafencity,<br />

geöffnet 24 Stunden, Eintritt frei.<br />

Altonaer Museum, Museumsstraße 23,<br />

Mo, 10–17 Uhr, Di geschlossen,<br />

Mi–Fr, 10–17 Uhr, Sa–So, 10–18 Uhr,<br />

Eintritt: 8,50/5 Euro, bis 18 Jahre<br />

freier Eintritt.<br />

Talk mit Katharina Schmidt: „Mehr als<br />

nur ein fotografisches Motiv!“, Fr, 15.6.,<br />

Festivalzentrum Deichtorhallen, Bei den<br />

Deichtorhallen, 20 Uhr, Eintritt frei<br />

<br />

ALEXANDER KNAPPE<br />

<br />

MOVING SHADOWS<br />

<br />

JONATHAN DAVIS<br />

<br />

ALMA<br />

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BAD RELIGION<br />

<br />

SPARKS<br />

<br />

D'ANGELO<br />

<br />

PARQUET COURTS<br />

<br />

SOUTHSIDE JOHNNY &<br />

THE ASBURY JUKES<br />

<br />

LITTLE STEVEN &<br />

THE DISCIPLES OF SOUL<br />

<br />

AVISHAI COHEN TRIO<br />

<br />

SAXON<br />

<br />

JAZZANOVA<br />

<br />

REA GARVEY<br />

<br />

STEPHAN EICHER &<br />

MARTIN SUTER<br />

<br />

MALUMA<br />

<br />

JOSÉ GONZÁLEZ &<br />

THE STRING THEORY<br />

<br />

JASON DERULO<br />

<br />

PER GESSLE'S ROXETTE<br />

<br />

SASHA<br />

<br />

JOHN BUTLER TRIO<br />

<br />

ANGELO BRANDUARDI<br />

<br />

PETER CETERA<br />

<br />

LIAM GALLAGHER<br />

<br />

GIORA FEIDMAN TRIO<br />

TICKETS: KJ.DE


Auch mit 93 Jahren hat<br />

Esther Bejarano noch die<br />

Kraft, regelmäßig gegen<br />

Nazis aufzustehen.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Lebenslinien<br />

Esthers Rache<br />

Esther Bejarano hat das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau überlebt.<br />

Seit Jahrzehnten tut sie alles dafür, dass die Geschichte sich nicht wiederholt.<br />

Auch für die Zeit nach ihrem Tod hat sie bereits vorgesorgt.<br />

TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />

FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

Esther hätte daran zerbrechen<br />

können. Sie ist gerade mal<br />

16 Jahre alt, als sie 1943 ins<br />

KZ Auschwitz-Birkenau verschleppt<br />

wird. Dort sieht sie, wie Mitgefangene<br />

in den Stromzaun laufen,<br />

lebens müde angesichts der Qualen im<br />

Konzentrationslager. Doch die Nazis<br />

konnten Esther Bejarano, die damals<br />

noch Loewy hieß, nicht brechen. Sie<br />

wollte unbedingt überleben, erzählt sie<br />

75 Jahre später in ihrer Hamburger<br />

Wohnung. „Wir müssen uns an diesen<br />

furchtbaren Nazis rächen“, habe sie<br />

damals gesagt. Und das motiviert sie<br />

bis heute.<br />

Am 15. Mai <strong>2018</strong> steht sie am Kaiser-Friedrich-Ufer<br />

in Eimsbüttel, an<br />

dem Ort, an dem 1933 die Bücher von<br />

Erich Kästner, Thomas Mann und Karl<br />

Marx brannten. Vor Schülern des Kaifu-Gymnasiums<br />

hält sie eine Rede anlässlich<br />

des Jahrestages der Bücherverbrennung.<br />

Schon zum 17. Mal macht<br />

sie das. Aber auch mit 93 klingt Esther<br />

noch so entschlossen wie eh und je:<br />

„Wir müssen kämpfen, für Frieden und<br />

Freiheit!“, ruft sie den Schülern zu.<br />

Nach der Bücherverbrennung hätten<br />

auch Menschen gebrannt, sagt sie. An<br />

die Verbrechen der Nazis müsse man<br />

deswegen immer wieder erinnern. Das<br />

ist Esthers Art der Rache.<br />

„Auschwitz<br />

kann man<br />

nicht vergessen.“<br />

ESTHER BEJARANO<br />

„Ich weiß, wovon ich rede“, sagt sie ins<br />

Mikrofon. Allerdings: Als Esther im<br />

Viehwaggon nach Auschwitz deportiert<br />

wurde, hatten die Nazis ihre jüdischen<br />

Eltern und ihre Schwester Ruth<br />

bereits ermordet. Sie selbst überlebt die<br />

Hölle im Konzentrationslager nur<br />

knapp. Wohl weil sie im Mädchenorchester<br />

des KZs Akkordeon spielte, verschonten<br />

die Nazis sie. Und weil ihre<br />

Großmutter Christin war, wurde sie<br />

nach einem guten halben Jahr in<br />

Auschwitz in ein Lager nach Ravensbrück<br />

verlegt, in dem sie Zwangsarbeit<br />

für Siemens leisten musste.<br />

Sie hat diese Geschichte schon so<br />

oft erzählt. Auch den Schülern und<br />

Schülerinnen des Kaifu-Gymnasiums<br />

liest sie sie von einem Zettel vor. Es<br />

klingt nüchtern, fast routiniert, wie<br />

Esther von Auschwitz spricht. Aber<br />

33<br />

Routine hat sie nicht, erzählt sie einen<br />

Tag später in ihrem Wohnzimmer. „Das<br />

ist immer ein Wiedererleben.“ Jedes<br />

Mal kommt das Grauen wieder hoch,<br />

auch wenn man es ihr vielleicht nicht<br />

ansieht. „Es ist immer hier drin“, sagt<br />

Esther und zeigt mit dem Finger auf<br />

ihre Schläfe. „Das geht nicht mehr raus,<br />

das kann man nicht vergessen.“<br />

Weil sie Auschwitz nicht vergessen<br />

kann, kann sie auch nicht aufhören, es<br />

den Nazis heimzuzahlen. Esthers Terminkalender<br />

lässt ihr manchmal kaum<br />

Luft zum Atmen. „Ist das alles furchtbar!“,<br />

sagt sie am Telefon, als wir uns<br />

verabreden. Sie meint das allerdings<br />

auch ironisch: Später muss sie herzlich<br />

über ihre Formulierung lachen.<br />

Aber natürlich ist auch was dran:<br />

Esther Bejarano gibt Konzerte in Trier,<br />

Bad Münstereifel und Altenholz, spricht<br />

trotz dicker Erkältung auf einer Kundgebung<br />

am Hamburger Stadthaus und<br />

gibt zwischendrin immer wieder Interviews.<br />

Anstrengender als früher ist es,<br />

räumt sie ein. „Aber es geht mir gut<br />

damit, und es hilft mir auch.“<br />

Es sich einfach in ihrem Garten<br />

gutgehen zu lassen, das wäre nichts für<br />

Esther. „Wenn ich unterwegs bin und<br />

ganz viele Leute kennenlerne, die sich<br />

freuen, dass ich komme, dann ist das<br />

doch eine wunderbare Sache.“


Lebenslinien<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>304</strong>/JUNI <strong>2018</strong><br />

Im Museum der Arbeit<br />

las Esther aus ihrer<br />

Biografie. Danach trat<br />

sie mit dem Rapper Kutlu<br />

Yurtseven (links) und<br />

ihrem Sohn Joram auf.<br />

Im Herbst geht sie auf Jubiläumstour<br />

durch ganz Deutschland. Seit zehn Jahren<br />

steht sie dann schon mit den Rappern<br />

der Microphone Mafia aus Köln<br />

auf der Bühne, einem Moslem mit türkischen<br />

Eltern und einem Christ mit<br />

italienischen. Zusammen mit der Jüdin<br />

Esther und deren Sohn Joram singen sie<br />

antifaschistische und jiddische Lieder.<br />

Gelebte Interkulturalität! „Die beiden<br />

Rapper habe ich eingeenkelt“, sagt<br />

Esther und kichert. „Wir verstehen uns<br />

wunderbar, es ist sehr schön.“<br />

Sogar in Kuba waren sie schon auf<br />

Tour, wie der Bildband „Live in Kuba“<br />

(Verlag Wiljo Heinen) und bald auch ein<br />

Dokumentarfilm eindrucksvoll belegen.<br />

Als die Combo im Februar im<br />

Hamburger Museum der Arbeit auftrat,<br />

kamen 700 Menschen: Ausverkauft!<br />

Vor dem Auftritt war Esther<br />

ganz schön erschöpft, das kommt schon<br />

mal vor. Das eigentlich schon für<br />

diesen Abend geplante Interview mit<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> fällt aus. Auf der Bühne<br />

dann jedoch keine Spur von Müdigkeit.<br />

34<br />

Esther strahlt, flachst mit dem eingeenkelten<br />

Rapper Kutlu Yurtseven und<br />

reißt die Hände beim Singen in die<br />

Höhe. Hier ist Esther Bejarano in ihrem<br />

Element. „Wenn ich dann auf der<br />

Bühne bin, dann ist alles weg“, erklärt<br />

sie später. Beim Partisanenlied „Bella<br />

Ciao!“ singt dann auch das Publikum<br />

mit. Und am Ende jedes Auftritts singt<br />

Esther ihr Lieblingslied: „Wir leben<br />

trotzdem!“. Auch das gehört zu ihrer<br />

Rache an den Nazis.<br />

„Moderne und musikalische Erinnerungsarbeit“,<br />

nennt die Band ihre<br />

Auftritte. Esther Bejarano tut fast alles<br />

dafür, dass sich das Grauen von Auschwitz<br />

nicht wiederholt. Und trotz alledem<br />

muss sie seit einigen Jahren mit ansehen,<br />

wie Rechte in Deutschland<br />

immer mehr Macht erlangen, wie sich<br />

unsere Gesellschaft wieder Schritt für<br />

Schritt nach rechts bewegt. „Das macht<br />

mir Angst“, sagt sie. „Die ganze Entwicklung<br />

ist doch entsetzlich!“ Der Ausruf<br />

„Wehret den Anfängen“ sei längst<br />

überholt, sagt sie. „Wir sind nicht mehr<br />

am Anfang, wir sind mittendrin!“ Mittendrin<br />

in der Zeit, nach der wir später


Lebenslinien<br />

„Wehret den<br />

Anfängen? Wir sind<br />

schon mittendrin!“<br />

H<br />

E X TR ACA R D<br />

I N Z & K U N Z T<br />

ESTHER BEJARANO<br />

vielleicht mal gefragt werden: „Und was habt ihr<br />

damals gemacht, als die Rechten wieder mächtig<br />

wurden?“ Für Esther Bejarano ist die Sache klar:<br />

„Man muss auf die Straße gehen!“ Sie selbst könne<br />

das nicht mehr, aber „die jungen Leute“ hätten die<br />

Pflicht dazu: „Man darf nicht schweigen!“<br />

Ihren Mut verliert sie trotz Rechtsruck nicht.<br />

„Ich verzweifle nicht daran“, sagt Esther. Trotz<br />

Auschwitz, sogar wegen Auschwitz: Sie habe dort<br />

nämlich nicht nur Schlechtes erlebt. „Die Gefangenen<br />

haben zusammengehalten“, sagt sie. „Darum<br />

glaube ich immer noch an die Menschen.“<br />

Aus diesem Glauben schöpft sie Kraft. Schließlich<br />

will sie 100 Jahre alt werden. „Ich habe ja noch<br />

einiges zu tun“, sagt sie und meint das auch so. Sogar<br />

für die Zeit nach ihrem Tod sorgt sie vor: Gibt<br />

Interviews, hält Reden, arbeitet an Dokumentationen.<br />

Damit ihre Geschichte nicht vergessen wird.<br />

Neulich, als sie vor einer Schulklasse gesprochen<br />

hat, kam eine Schülerin auf Esther Bejarano<br />

zu. „Machen Sie sich keine Sorgen“, hat sie zu Esther<br />

gesagt. „Wir werden ihre Geschichte weitererzählen.“<br />

Esthers Rache geht weiter. •<br />

Kontakt: benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />

Filmpremiere: Wo der Himmel aufgeht – Bejarano<br />

und Microphone Mafia in Kuba. Sonntag, 17.6.,<br />

14 Uhr, Polittbüro, Steindamm 45, Eintritt frei<br />

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Redakteur Benjamin Laufer traf Esther in ihrem Wohnzimmer<br />

– und war von ihrer Energie schwer beeindruckt.<br />

35


So viele Obdachlose! Gruppen von 20<br />

bis 30 Menschen, die auf der Straße<br />

lebten. Horia Manolache war geschockt<br />

und verwirrt. Klar kannte der<br />

Rumäne aus seiner Heimat Armut und Obdachlosigkeit,<br />

aber nicht in diesen Dimensionen!<br />

Gerade war der Fotograf in die USA gekommen,<br />

um an einem Studienprogramm<br />

teilzunehmen. Und eigentlich hatte er geglaubt,<br />

überall den gelebten amerikanischen<br />

Traum vorzufinden. Doch dann war er mit einer<br />

Filmkamera in der Haight Street unterwegs,<br />

einer historischen, touristischen Szenestraße<br />

in San Francisco. Dabei sah er die vielen<br />

Obdachlosen und lernte auch einige von ihnen<br />

kennen. Wie konnte das möglich sein?<br />

„Das waren Menschen, die Klavier spielen<br />

können, die in viele Länder gereist sind, Leute<br />

mit Familie“, erinnert sich der 32-Jährige. „Die<br />

meisten hatten zwei Jobs, haben für Geld Musik<br />

gemacht oder handgefertigten Schmuck<br />

verkauft, um zu überleben. Nur die Tatsache,<br />

dass sie schmutzige Kleidung tragen, bringt<br />

andere dazu, sich zu distanzieren. Das ist<br />

furchtbar ungerecht.“ Und als das nächste<br />

Studien projekt anstand, beschloss er, Obdachlose<br />

zu fotografieren. Einmal so, wie sie immer<br />

herumlaufen, und einmal verkleidet, so als wären<br />

sie in ihren Traumberuf geschlüpft.<br />

Es war der Obdachlose Alan (siehe Seite 40), der<br />

Horia Manolache half, das Projekt zu verwirklichen.<br />

„Ich hatte mich mit ihm angefreundet,<br />

und er hat mich Leuten von der Straße vorgestellt,<br />

die er kannte“, erzählt der Fotograf. Er<br />

unterhielt sich mit ihnen und fragte sie nach<br />

ihren Traumberufen.<br />

Anhand der Beschreibung machte sich<br />

Horia auf die Suche nach dem passenden<br />

Kostüm. Sobald er alle Utensilien beisammen<br />

hatte, holte er seine Modelle von der Straße ab<br />

und ging direkt mit ihnen in ein Hotel, das<br />

dem Studenten eigens für sein Vorhaben ein<br />

Zimmer zur Verfügung gestellt hatte. Misstrauen<br />

gegenüber seinem Anliegen hatte keiner<br />

der Obdachlosen: „Ich hatte diesen östlichen<br />

englischen Akzent und wirkte deshalb ein<br />

wenig exotisch, sodass ich kaum Ablehnung zu<br />

spüren bekommen habe“, sagt der Rumäne.<br />

Im provisorischen Fotostudio angekommen,<br />

übernahm Manolaches Frau Haarschnitt und<br />

Make-up, und während der gesamten Zeit unterhielten<br />

sich der Fotograf und seine Modelle.<br />

„Wir haben über ihr Leben gesprochen und<br />

über meines. Es war wie spielen!“<br />

Doch es gab auch traurige Momente:<br />

Shad (siehe Seite 43) begann während des<br />

Fotoshootings zu weinen, erinnert sich Horia.<br />

„Plötzlich hatte er erkannt, dass er noch nie<br />

36<br />

im Leben innegehalten hat, um zu überlegen,<br />

was er vielleicht mal hätte werden wollen. Bis<br />

ich ihn danach fragte.“ Polizist – dieser Beruf<br />

fiel Shad nun ein. Als Kind wurde er von seinen<br />

Eltern regelmäßig schwer misshandelt.<br />

„Um den Schmerz nicht zu spüren, hat er<br />

früh zur Flasche gegriffen“, so der Fotograf.<br />

Doch als Shad am Ende seine Bilder zu<br />

sehen bekam, war auch er begeistert. „In der<br />

Foto grafie gibt es einen Trend zum Schockieren“,<br />

sagt Horia Manolache. Da würden Obdachlose<br />

dann schmutzig, krank und verelendet<br />

gezeigt. Sein Projekt sollte anders sein:<br />

„Ich wollte die Menschen so schön wie möglich<br />

darstellen. Erfüllt und stolz.“ Das ist ihm<br />

gelungen.<br />

•<br />

Kontakt: annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />

Horia Manolache, (32),<br />

geboren in Rumänien, freier<br />

Fotograf und Werbe fotograf.<br />

2017 war er mit seiner Serie<br />

„The Chairs“ Preisträger bei<br />

der Florence Biennale. Aus dem<br />

Traumjob-Projekt ist das Buch „The Prince and<br />

The Pauper“ (60 US-Dollar) entstanden, zu beziehen<br />

unter www.horiamanolache.com/books<br />

Der Paläontologe<br />

Mohamed wuchs in armen Verhältnissen<br />

in Ohio auf, mit seiner<br />

Mutter, zwei älteren Schwestern<br />

und einem jüngeren Bruder.<br />

Als er noch zur Vorschule ging,<br />

berichtete dort eine Gruppe von<br />

Paläonto logen über ihren Job.<br />

Mohamed war fasziniert: Trotz der<br />

Armut, in der er lebte, hatte er<br />

„alle Werkzeuge zu Hause, um so<br />

zu arbeiten wie sie“, erzählt er.<br />

Und: „Ich habe es geliebt, die<br />

Vergangenheit zu entdecken,<br />

draußen zu sein – und Schmutz!“,<br />

sagt er. Doch aus der Paläontologie<br />

wurde nichts: Lange Zeit arbeitete<br />

Mohamed als Profiboxer, „aber es<br />

kam nicht viel Geld dabei rum …<br />

Also hörte ich damit auf“, erzählt<br />

er. In Kalifornien versuchte er sich<br />

als Selbstversorger mit einem<br />

Stück Land. Erfolglos. „Meine<br />

wenigen Ersparnisse waren schnell<br />

aufgebraucht, und so landete<br />

ich auf den Straßen von San<br />

Francisco.“ Um über die Runden<br />

zu kommen, spielte er zuletzt<br />

Gitarre, verkaufte Schmuck und<br />

nahm Gelegenheitsjobs an.


Stolz und erfullt<br />

Kleider machen Leute: Der rumänische Fotograf Horia Manolache<br />

hat Obdachlose aus San Francisco so porträtiert,<br />

als würden sie in ihrem Traumberuf arbeiten. Entstanden<br />

sind eindrucksvolle Bilder einer Verwandlung.<br />

TEXT: ANNETTE WOYWODE


Das Model<br />

Tammy wuchs bei ihren<br />

Großeltern auf. Als<br />

Teenager wurde sie<br />

schwanger, und ihre Großeltern<br />

verlangten von ihr,<br />

dass sie ihren Freund<br />

heiratet. Damals begrub sie<br />

wohl auch ihren Kindheitstraum,<br />

Model zu werden.<br />

Vier Kinder brachte sie zur<br />

Welt. Aber sie hat ihren<br />

Mann nie geliebt.<br />

„Er hat das gemerkt, und<br />

dann habe ich ihn erwischt“<br />

– wie er ihren fünfjährigen<br />

Sohn missbrauchte, erzählt<br />

Tammy. Mitsamt den Kindern<br />

verließ Tammy ihren<br />

Mann, doch ihre Großmutter<br />

half ihm, die<br />

Kinder zu entführen.<br />

Dem Sozialdienst erzählten<br />

sie, Tammy könne kein Geld<br />

verdienen, um die Kinder<br />

zu ernähren. So verging die<br />

Zeit, und irgendwann<br />

wollten die Kinder nicht zu<br />

ihr zurück. „Er hatte sie<br />

einer Gehirnwäsche<br />

unterzogen“, erzählt sie.<br />

Als ihre Großmutter dann<br />

auch noch verhinderte,<br />

dass sie ihr Geld von der<br />

Bank abheben konnte,<br />

wurde Tammy obdachlos.


Der Offizier<br />

bei der Armee<br />

Franks Startbedingungen<br />

waren nicht schlecht:<br />

Seine Eltern hatten viel<br />

Geld, sie beschäftigten<br />

sogar Hausangestellte.<br />

Doch Frank wurde drogenabhängig<br />

und landete auf<br />

der Straße. Heute hat er<br />

zwei Jobs und lebt in einem<br />

selbst gebauten Trailer,<br />

zusammen mit seiner Frau<br />

und einem Pitbull, der<br />

aufpasst, sollte niemand zu<br />

Hause sein. Da der Trailer<br />

nicht zugelassen ist, muss<br />

Frank immer weiterziehen.<br />

„Es ist hart“, sagt Frank.<br />

„Aber obdachlos zu sein ist<br />

noch härter, als in diesem<br />

selbst gebauten Zuhause<br />

zu leben.“ Über andere<br />

Obdachlose sagt er:<br />

„Die echtesten Leute,<br />

die aufrichtigsten, die ich<br />

jemals getroffen habe,<br />

waren Obdachlose …<br />

Leider hast du keinen<br />

Kontakt zu ihnen, kannst<br />

keinen Kaffee trinken mit<br />

ihnen … Sie kommen und<br />

sie verschwinden einfach,<br />

du weißt nicht, was mit<br />

ihnen passiert ist. Du hörst<br />

nie, ob sie gestorben sind<br />

oder so.“


Der Pilot<br />

Alans Kindheitstraum war<br />

es, Pilot oder Astronaut<br />

zu werden. Doch ein<br />

Optometrist sagte, dass<br />

das wegen einer starken<br />

Hornhautverkrümmung<br />

nicht möglich sein würde.<br />

Als sich herausstellte, dass<br />

dies eine Fehldiagnose war,<br />

war der Traum längst ausgeträumt.<br />

Alan fand eine<br />

andere „Leidenschaft,<br />

eine Liebe“: Mit 16 brach<br />

er die Schule ab, um eine<br />

Eventfirma zu gründen<br />

und als DJ zu arbeiten.<br />

Das Geschäft lief gut: 84<br />

Angestellte beschäftigte er.<br />

Doch von einem Tag auf<br />

den anderen musste die<br />

Firma schließen, angeblich<br />

weil die Behörden bei einer<br />

Kontrolle herausfanden,<br />

dass Alan einen Minderjährigen<br />

beschäftigt hatte.<br />

„Ich bezahlte meine Angestellten,<br />

packte meinen<br />

Rucksack und ging in die<br />

Berge“, erzählte er. Fortan<br />

hangelte sich Alan von<br />

einem Job zum nächsten.<br />

In Nord kalifornien bekam<br />

er eine Hütte in den Bergen<br />

geschenkt. Doch vor<br />

drei Jahren vernichtete ein<br />

Waldbrand das Häuschen.<br />

Hilfe vom Staat bekam<br />

Alan nicht, da es sich um<br />

eine illegal gebaute Hütte<br />

handelte. Seitdem ist<br />

Alan obdachlos.


Die Polizistin<br />

Seit ihrem siebten<br />

Lebensjahr spielt Jennifer<br />

Keyboard. Und bis heute<br />

macht sie Musik. „Ich habe<br />

San Francisco immer<br />

geliebt, weil es eine Musikstadt<br />

ist“, erzählt sie. Und<br />

so wanderte sie in den<br />

1980er-Jahren mit ihrem<br />

Mann von Irland in die USA<br />

aus. Doch die Ehe ging in<br />

die Brüche. Jennifer griff<br />

zur Flasche – und wurde<br />

obdachlos. Gegenüber<br />

Horia Manolache sagt sie:<br />

„Mein Abstieg war, dass<br />

ich angefangen habe zu<br />

trinken. Aber weißt du was?<br />

In meinem Alter kümmert<br />

dich das nicht mehr so<br />

sehr.“ Ihr Berufswunsch war<br />

Polizistin. Warum? Das<br />

kann sie selbst nicht sagen.


Der Philosoph<br />

Bills Familie war arm, die<br />

Eltern alkoholkrank. „Ich<br />

bin völlig dysfunktional“,<br />

sagt er über sich selbst.<br />

„Ich kann nur mit extremer<br />

Anstrengung wie ein<br />

normaler Mensch in der<br />

Gesellschaft funktionieren.“<br />

Trotzdem schaffte es<br />

Bill auf die High School<br />

und hatte dort gute Noten.<br />

Besonders das Fach<br />

Philosophie faszinierte ihn.<br />

„Es ist die Wissenschaft<br />

der Wissenschaften“,<br />

findet Bill. „Was du für<br />

die Philosophie brauchst,<br />

ist vielleicht ein Bleistift<br />

und viel Papier.“<br />

Trotzdem brach er mit 16<br />

die Schule ab. Dem vorausgegangen<br />

war ein Aufstand<br />

in Louisville zwischen der<br />

weißen und der schwarzen<br />

Bevölkerung. „Seither<br />

habe ich einen Groll gegen<br />

die Gesellschaft, die<br />

Regierung, die Art, wie sie<br />

Dinge getan haben.“<br />

Bill drehte irgendwelche<br />

krummen Dinger. Und er<br />

hatte Schulden, die er<br />

nicht zurückzahlen konnte.<br />

Anstatt ins Gefängnis zu<br />

gehen, tauchte er unter –<br />

und wurde obdachlos.


Der Polizist<br />

Shad wurde als Kind<br />

schwer misshandelt. Seine<br />

Mutter war Alkoholikerin.<br />

Als er neun oder zehn Jahre<br />

alt war, mussten er und<br />

seine Schwester einen<br />

schweren Unfall mitansehen:<br />

Der Mann von Shads<br />

Mutter wollte seinen Kumpels<br />

im Suff eine Kung-<br />

Fu-Rolle zeigen. Doch er<br />

hielt dabei eine große<br />

Grillgabel in der Hand.<br />

Er machte die Rolle und als<br />

er aufstand, „hatte er sich<br />

mit der Grillgabel<br />

aufgespießt. Sie ragte aus<br />

seinen Rippen – aber er hat<br />

es nicht gefühlt!“, erzählte<br />

Shad. „Und so fanden<br />

wir heraus, dass Alkohol<br />

den Schmerz lähmt.“<br />

Seitdem konsumiert Shad<br />

selbst Drogen und Alkohol,<br />

um seinen Schmerz zu<br />

dämpfen. Nie hatte er sich<br />

gefragt, was er mal werden<br />

will. Er machte sich<br />

zum ersten Mal Gedanken<br />

darüber, als Fotograf<br />

Horia Manolache ihn<br />

danach fragte. „Wir waren<br />

so traumatisiert als Kinder“<br />

sagte Shad und kämpfte<br />

mit den Tränen. „Wir wollten<br />

es einfach nur schaffen,<br />

erwachsen zu werden.“


Freunde<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>304</strong>/JUNI <strong>2018</strong><br />

Für Ralf Below ist es ganz selbstverständlich,<br />

seiner Tochter Sophie soziale Werte vorzuleben.<br />

Mit Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

groß geworden<br />

Bei Familie Below ist Engagement Ehrensache. Papa ist Mitglied<br />

im Freundeskreis, die Tochter organisierte neulich ein Verkäuferfrühstück.<br />

TEXT: MISHA LEUSCHEN<br />

FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />

Sophie Below war schon Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Kundin, als sie gerade laufen konnte.<br />

Ihr Weg zur Kita führte sie und ihre Eltern<br />

damals jeden Tag bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Verkäuferin Steffi vorbei. „Wir waren<br />

gerade von Hannover nach Hamburg<br />

gezogen“, erinnert sich ihr Vater Ralf,<br />

der wie seine Frau bei einer Bank arbeitet.<br />

„Wer von uns Sophie bei der Kita<br />

eingesammelt hat, der machte auch<br />

einen Stopp bei Steffi bei Edeka am<br />

Großen Burstah.“<br />

Nicht nur Sophie, auch die Eltern sind<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> schon seit Jahren verbunden.<br />

„Wir wollten die Stadt kennenlernen<br />

und das Straßenmagazin hat uns<br />

eine andere Sichtweise nahegebracht“,<br />

erklärt Ralf Below. Seit 2004 ist er Mitglied<br />

im Freundeskreis. „Man kann das<br />

Leben nicht verändern, aber man kann<br />

ein kleiner Baustein der Veränderung<br />

sein“, sagt er. Ihm ist klar, wie schnell es<br />

gehen kann mit dem sozialen Abstieg.<br />

„Wenn ich morgens um 7 Uhr durch die<br />

44<br />

Innenstadt zur Arbeit gehe und die<br />

vielen obdachlosen Menschen sehe, die<br />

dort schlafen, dann wird mir bewusst,<br />

was für ein gutes Leben ich führe. Wenn<br />

ich etwas brauche, kann ich es einfach<br />

kaufen. Das ist keine Selbstverständlichkeit.“<br />

Auch deshalb hat er zum 25-jährigen<br />

Jubiläum bei der Bank keine Geschenke<br />

haben wollen, sondern Spenden<br />

für Hinz&<strong>Kunzt</strong> erbeten – mit Erfolg.<br />

Diese soziale Einstellung haben die<br />

Eltern der einzigen Tochter vorgelebt –


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Freunde<br />

wenn auch manchmal mit ein bisschen<br />

Bauchweh, denn die Konsequenzen<br />

waren nicht immer zu steuern. Als kleiner<br />

Fratz setzte sich Sophie in der<br />

U-Bahn ganz unbefangen neben einen<br />

offensichtlich obdachlosen Mann und<br />

erzählte ihm lebhaft, wo sie wohnte, zur<br />

Kita ging und von den Urlaubsplänen<br />

der Familie – „mit genauem Datum“,<br />

erinnert sich Ralf Below grinsend an<br />

sein wachsendes Unbehagen über so<br />

viel Mitteilungsdrang. Zum Abschied<br />

schenkte der Mann Sophie ein abgegrabbeltes<br />

Hanuta, das die Eltern gleich<br />

einkassierten und entsorgten. „Das Hanuta<br />

war noch ganz in Ordnung“, protestiert<br />

Sophie heute noch. „Und passiert<br />

ist auch nichts.“<br />

Sie sei mit einem positiven Bild von<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufern groß geworden,<br />

sagt Sophie Below. „Ich finde ihren<br />

,Ehrgeiz‘ gut, ihren Willen, aus ihrer<br />

schwierigen Lebenssituation wieder herauszukommen“,<br />

erklärt die 19-Jährige.<br />

Eine Haltung zu haben, Position zu beziehen<br />

und sich für andere einzusetzen<br />

findet sie selbstverständlich. „Freiwillige<br />

sind in erster Linie älter“, findet sie.<br />

„Wir Jungen wollen auch was tun.“<br />

Bei Carlsberg, wo sie ihre Ausbildung<br />

zur Industriekauffrau absolviert,<br />

hat sie Geld für Hinz&<strong>Kunzt</strong> gesammelt.<br />

700 Euro hat die Belegschaft<br />

gespendet, „das Interesse ist sehr groß“.<br />

Und gemeinsam mit 16 anderen<br />

Teilnehmern eines Seminars entschied<br />

sie sich, ein Osterfrühstück für die<br />

Hinz&Künztler zu machen – als Teamaufgabe<br />

bei einem Sozialtag des Young<br />

Potential Network (YoPo): „Wir wollten<br />

etwas zurückgeben. Ich habe Lust dazu,<br />

mich weiter zu engagieren.“ Ihre<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> kauft die Familie immer<br />

noch bei Steffi. •<br />

Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />

JA,<br />

ICH WERDE<br />

MITGLIED<br />

IM HINZ&KUNZT-<br />

FREUNDESKREIS.<br />

Damit unterstütze ich die<br />

Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Meine Jahresspende beträgt:<br />

60 Euro (Mindestbeitrag für<br />

Schüler/Studenten/Senioren)<br />

100 Euro<br />

Euro<br />

Datum; Unterschrift<br />

Ich möchte eine Bestätigung<br />

für meine Jahresspende erhalten.<br />

(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />

Meine Adresse:<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Nr.<br />

Wir danken allen, die im Mai an uns<br />

gespendet haben, sowie allen Mitgliedern<br />

im Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong> für die<br />

Unterstützung unserer Arbeit!<br />

DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />

• IPHH • wk it services<br />

• Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />

• Hamburger Tafel • Axel Ruepp Rätselservice<br />

• Hamburger Kunsthalle<br />

• bildarchiv-hamburg.de<br />

• Röder-Stiftung • Clubkinder e. V.<br />

• Dem YoPo-Team für ein<br />

Osterfrühstück im Vertrieb von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

• Sophie Below (Carlsberg)<br />

• Lars Ahrens (Carlsberg)<br />

• Inez Gruczel (Still)<br />

• Lina Rademacher (Still)<br />

• Philipp Ritter (Still)<br />

• Thede Baumann (Still)<br />

• Dennis Stopka (Kendrion Kuhnke)<br />

• Levke Zanter (Carlsberg)<br />

• Marcel Hartmann (Still)<br />

• Nina-Sophie Killat (Carlsberg)<br />

Dankeschön<br />

• Till Tornieporth (Carlsberg)<br />

• Dr. Jörg Kutzim und seinen Kollegen<br />

und Kolleginnen für die Spende<br />

zur Verabschiedung in den Ruhestand<br />

• Hermann Hille und seinen<br />

Geburtstagsgästen<br />

• Martin-Luther Kirche Wentorf und<br />

St. Georg Kirche Büchen-Pötrau für zwei<br />

Frühlingskonzerte mit Klaus Stöckel und den<br />

Musikern Katharina Pooch (Klarinette und<br />

Gesang), Mareike Mehrkens (Geige und<br />

Gesang), Christian Kirchfeld (Klavier),<br />

Peter Friedrich (Klarinette)<br />

• Dominik Bloh für seine Lesung, dem<br />

Nochtspeicher-Team für die Räumlichkeiten<br />

NEUE FREUNDE:<br />

• Theres Gniwotta<br />

• Sebastian Männel<br />

• Dominique Münster-Opiela<br />

• Manfred Pakusius • Ikbal Percin-Lüben<br />

• Franziska Schiemenz<br />

• Udo Schuldt<br />

• Jan Wolter • Kim Zuberbier<br />

PLZ, Ort<br />

Telefon<br />

E-Mail<br />

Einzugsermächtigung:<br />

Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />

Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />

Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />

IBAN<br />

BIC<br />

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Wir garantieren einen absolut vertraulichen Umgang mit<br />

den von Ihnen gemachten Angaben. Die übermittelten<br />

Daten werden nur zu internen Zwecken im Rahmen<br />

der Spendenverwaltung genutzt. Die Mitgliedschaft<br />

im Freundeskreis ist jederzeit kündbar. Wenn Sie<br />

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könnne Sie jederzeit bei uns der Verwendung Ihrer<br />

personenbezogenen Daten widersprechen.<br />

Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />

Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />

Oder online im Freundeskreis anmelden unter<br />

www.hinzundkunzt.de/freundeskreis<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />

45<br />

HK <strong>304</strong>


Buh&Beifall<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>304</strong>/JUNI <strong>2018</strong><br />

Was unsere Leser meinen<br />

„Man kann nicht nur Nutzen aus Eigentum ziehen“<br />

Alle übergeschnappt?<br />

H&K Online, Meldung Knast für<br />

Schwarzfahren<br />

120 Tage Haft bei täglichen<br />

Kosten von 164 Euro. Das sind knapp<br />

20.000 Euro. Für das Geld könnte man<br />

dem Mann fast 20 Jahre lang eine Monatskarte<br />

finanzieren. Oder für zwei<br />

Jahre eine Wohnung. Sind denn absolut<br />

alle übergeschnappt? MICHAEL GRÖNING<br />

Mich kotzt dieses Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Gejammer allmählich an. Ich habe<br />

nichts gegen Obdachlose, es gibt aber<br />

genug andere, die auch große Probleme<br />

haben. Ich konnte mir als Alleinerziehende<br />

mit drei Kindern trotz Erwerbstätigkeit<br />

auch keine Fahrkarten<br />

nach Hamburg leisten. Wir sind nicht<br />

gefahren und haben auch nicht gebettelt.<br />

Blickt mal über euren Tellerrand,<br />

genau wie ihr es von allen anderen erwartet.<br />

HANNELORE BUHR<br />

Anmerkung der Redaktion: Bitte lesen<br />

Sie hierzu auch die Seiten 12 bis 15.<br />

Man kennt ihn einfach<br />

H&K Online, Auszeichnung für<br />

Hinz&Künztler Erich Heeder, siehe<br />

auch Seite 5<br />

Obwohl ich nie bewusst Kontakt<br />

mit ihm hatte, freue ich mich immer,<br />

ihn zu sehen. Ich bin in Mümmelmannsberg<br />

groß geworden und da<br />

kennt man ihn einfach. Ich freue mich<br />

sehr für ihn und wünsche ihm alles<br />

Gute.<br />

VANESSA JOHN<br />

Eigentum verpflichtet auch!<br />

H&K Online, Bergedorf: Mieter im Reetwerder<br />

3 ohne Wasser, siehe auch Seite 10<br />

In so einem Fall von krass unverantwortlichem<br />

und kriminellem Handeln<br />

sollte der Vermieter enteignet<br />

werden. Man kann nicht nur Nutzen<br />

aus Eigentum ziehen wollen. Eigentum<br />

verpflichtet auch! CAROLA MOUTON<br />

Dass diesen Vermietern kein<br />

Riegel vorgeschoben wird, verstehe ich<br />

nicht.<br />

JULIA STRELOW<br />

Nette Verkäufer!<br />

H&K Sonderheft „Lust auf Grün“<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist jede Unterstützung<br />

wert. Informative Zeitung, tolle<br />

Sonderhefte und nette Verkäufer!<br />

DORIS RUDOLF<br />

Leserbriefe geben die Meinung des Verfassers<br />

wieder, nicht die der Redaktion. Wir behalten<br />

uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />

HAMBURGER NEBENSCHAUPLÄTZE<br />

DER ETWAS<br />

ANDERE<br />

STADTRUNDGANG<br />

Wir trauern um<br />

Hubert Rajmund Franaszek<br />

31. Januar 1985 – 28. April <strong>2018</strong><br />

Hubert Rajmund war erst seit Kurzem Verkäufer bei uns.<br />

Er hat auf den Marco-Polo-Terrassen und in der Innenstadt verkauft.<br />

Die Verkäufer und das Team von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

Wollen Sie Hamburgs City einmal mit anderen Augen sehen?<br />

Abseits der teuren Fassaden zeigt Hinz&<strong>Kunzt</strong> Orte, die in<br />

keinem Reiseführer stehen: Bahnhofs mission statt Rathausmarkt,<br />

Drogenberatungsstelle statt Alsterpavillon, Tages aufent halts stätte<br />

statt Einkaufspassage.<br />

Anmeldung: Bequem online buchen unter<br />

www.hinzundkunzt.de oder Telefon: 040/32 10 83 11<br />

Kostenbeitrag: 10/5 Euro,<br />

nächste Termine: 10. + 24.6.2017, 15 Uhr<br />

mit Abschiedshaus


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Im Quartier: Mit Krimiautorin Simone Buchholz auf dem Kiez unterwegs (S. 48).<br />

Heimatkunde: Schräge Musik an 61 Orten beim Festival 48h Wilhelmsburg (S. 53).<br />

Angekommen: Hinz&Künztlerin Ewa hat in Hamburg die Liebe gefunden (S. 58).<br />

Sieben Jahrzehnte Straßenfotografie<br />

sind bei der Triennale der Photographie<br />

in den Deichtorhallen zu bewundern.<br />

Nicht überall geht es dabei so stylisch<br />

zu wie 2008 in Moskau (S. 52).<br />

FOTO: ANDREAS HERZAU


„St. Pauli kann<br />

Wunden heilen“<br />

Die Autorin Simone Buchholz kann nicht ohne ihren Kiez:<br />

weder privat noch berufl ich. Ein Gespräch über<br />

dunkle Ecken und die helle Freude am Leben auf St. Pauli.<br />

TEXT: SIMONE DECKNER<br />

FOTOS: STEPHAN BESTMANN<br />

Simone Buchholz’ Kriminalromane<br />

spielen da, wo sie seit<br />

mehr als 20 Jahren jeden Stein<br />

kennt: auf St. Pauli. Wir treffen<br />

die Autorin an den Landungsbrücken.<br />

„Auf ein Fischbrötchen (und ein Astra!)“,<br />

hatte sie gemailt. Aufs Fischbrötchen<br />

verzichtet die 46-Jährige dann<br />

doch („Ich habe so gut zu Mittag gegessen.“),<br />

nicht aber aufs Bier.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Simone, du hast jahrelang für<br />

Frauenmagazine wie „Allegra“ geschrieben,<br />

nun verfasst du sehr erfolgreich Krimis.<br />

Nicht eben artverwandte Genres.<br />

Wie kam es zu dieser Kehrtwende?<br />

48<br />

SIMONE BUCHHOLZ: Der Grund ist: Ich habe<br />

es bei den Frauenmagazinen nicht<br />

mehr ausgehalten (lacht). Ich möchte<br />

keinem meiner ehemaligen Arbeitgeber<br />

ans Bein pissen, aber ich habe das 15<br />

Jahre gemacht. Ich war den Tonfall<br />

leid. Irgendwann wurde ich von einem<br />

Herausgeber gefragt, ob ich eine Kurz-


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Sie war Kellnerin und<br />

Kolumnistin, mittlerweile ist<br />

sie Krimipreisträgerin: Schriftstellerin<br />

Simone Buchholz.<br />

Wieso?<br />

Gewalt findet im Dunkeln statt. Entweder<br />

in finsteren Strukturen oder jemand<br />

sitzt im Dunkeln und man muss gucken,<br />

warum er da sitzt und wer dafür<br />

verantwortlich ist.<br />

Hilft dir deine journalistische Erfahrung<br />

beim Krimischreiben?<br />

Ja! Vor allem beim Recherchieren. Bei<br />

der Polizei ist es wiederum gut, dass ich<br />

keine Journalistin mehr bin. Die haben<br />

keinen Bock, mit Journalisten zu reden.<br />

Ich komme da hin und sage: „Ich<br />

möchte eure Welt kennenlernen, könnt<br />

ihr mir etwas darüber erzählen?“ Ich<br />

möchte Figuren in die Welt stellen, da<br />

bin ich zutiefst Schriftstellerin. Und<br />

damit ich die da reinstellen kann, will<br />

ich wissen, wie diese Welt aussieht.<br />

Deshalb muss ich mit Polizisten reden<br />

und mit Menschen aus dem Milieu.<br />

geschichte schreiben wolle für eine Anthologie.<br />

Darin waren nur Storys von<br />

Frauenmagazin-Autorinnen, die mal<br />

das andere Ende der Fahnenstange testen<br />

wollten. Darauf hatte ich Bock! In<br />

den ersten Romanen ging es mir sehr<br />

um den Tonfall, da haben mich die Kriminalfälle<br />

noch nicht wirklich interessiert.<br />

Das merkt man auch, weil die<br />

Plots sehr schlecht sind (lacht). Wenn du<br />

das eine Weile machst, beschäftigst du<br />

dich aber zwangsläufig mit den dunklen<br />

Ecken einer Gesellschaft.<br />

49<br />

Stichwort Milieu: Es gibt diesen Begriff<br />

Randständige, der oft abwertend benutzt<br />

wird. Deine Krimis spielen in dieser Szene –<br />

unter Gaunern, Gauklern, Abgestürzten.<br />

Deine Hauptfigur, die Staatsanwältin Chastity<br />

Riley, kennt die Kneipen auf dem Kiez<br />

mindestens so gut wie den Gerichtssaal.<br />

Ich finde ja, meine Chastity Riley ist eine<br />

total Randständige! Das sind Leute,<br />

die nicht unbedingt in der Mitte der<br />

Gesellschaft stehen. Sie können deshalb<br />

aber auch manche Dinge besser sehen,<br />

weil sie von außen drauf schauen.<br />

Denen sollte man mal öfter ein paar<br />

Fragen stellen. Wenn du nicht ganz<br />

empathiefrei bist, dann beginnst du,<br />

Mitgefühl zu entwickeln: mit denen am<br />

Rand und in den dunklen Ecken. Dann<br />

kannst du nicht mehr weggucken.<br />

Wie etwa in deinem Roman „Eisnattern“:<br />

Da werden Obdachlose im Karoviertel<br />

zusammengeschlagen und verschleppt.<br />

Zu einer Schlüsselfigur wird auch ein


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>304</strong>/JUNI <strong>2018</strong><br />

In Hanau geboren, im Spessart<br />

aufgewachsen und in Hamburg<br />

hängen geblieben: Der Kiez ist<br />

ihr Zuhause geworden.<br />

Aber es gab immer wieder Leute, denen<br />

es Spaß machte, mich zu demütigen,<br />

offensichtlich. Vielleicht weil ich eine<br />

große Klappe hatte. Vielleicht, weil das<br />

nicht ganz zu meinem Äußeren passte,<br />

das immer ein bisschen püppchenhaft<br />

war, dieses: Busen, Po, blonde Haare,<br />

Kulleraugen. Und dann reißt die das<br />

Maul auf. Nachts auf der Straße festgehalten<br />

werden und denken „Jetzt ist<br />

es so weit“. Oder der Typ, der mich an<br />

der S-Bahn-Station angeschrien hat,<br />

ich sei eine blöde Hure, eine Schlampe,<br />

eine Fotze, einfach so.<br />

Wie hast du dir geholfen in solchen<br />

Situationen?<br />

Ich habe ein paar Selbstverteidigungstrainings<br />

gemacht. Und das, was ich gelernt<br />

habe, auch schon ausprobiert. Ich<br />

bin schon mit blauen Flecken rausgegangen<br />

aus Situationen.<br />

Obdachloser: ein Typ, den alle wegen seines<br />

wilden Aussehens nur Wolfsmann nennen.<br />

Den habe ich sehr gern. Ob ich den<br />

mal in Echt gesehen habe oder ob ich<br />

mir den ausgedacht habe, kann ich dir<br />

gar nicht mehr sagen (lacht). Warum<br />

aber sollte ich Obdachlose anders<br />

beschreiben als andere Menschen? Ich<br />

laufe viel durch St. Pauli, und ich kenne<br />

die Jungs und Mädels auch. Ich bin<br />

immer ganz erschüttert, wenn ich sehe,<br />

dass jemand abstürzt aus der Situation,<br />

in der er eh schon ist. Andererseits habe<br />

ich neulich jemanden wiedergesehen,<br />

von dem ich dachte, der wäre tot. Der<br />

sah gut aus und ging in seine Wohnung.<br />

Zurück zu deinen Krimis: Brutal<br />

beschriebene Gewaltexzesse findet man<br />

darin nicht. Warum?<br />

Choreografierte Gewalt ist wie Ballett.<br />

Das interessiert keinen. Das ist langweilig.<br />

Gewaltdarstellungen bedienen<br />

Voyeurismus. Solchen Leuten will ich<br />

keine Vorlagen liefern. Und es ist nicht<br />

wichtig für die Geschichte.<br />

Dich interessiert mehr das<br />

„Warum?“ und das „Was jetzt?“.<br />

Genau.<br />

Du hast selbst schon Gewalt erfahren.<br />

Als Mädchen, so hast du in einem<br />

Interview gesagt, warst du „das klassische<br />

Opfer, das auf der Straße festgehalten oder<br />

angegrapscht wurde“.<br />

Ich kenne das nicht anders. Auf dem<br />

Schulhof war es die Faust in den Bauch,<br />

die unvermittelt kam. Ich dachte immer,<br />

ich bin selbstbewusst, kein Opfer.<br />

„Warum soll ich<br />

Obdachlose anders<br />

beschreiben<br />

als andere?“<br />

50<br />

Gehst du mit solchen Situationen anders um,<br />

seit du auf St. Pauli lebst?<br />

Ja. Eine Zeit lang habe ich Leuten, die<br />

mich auf der Straße angemacht haben,<br />

gesagt: „Pass mal auf. Ich wohne hier<br />

seit zehn Jahren. Wenn du Ärger haben<br />

willst, kannst du gerne weitermachen,<br />

aber ich spreche hier nicht von der Polizei.“<br />

Das hat manchmal gewirkt. Man<br />

lernt in einem Umfeld, in dem direkt<br />

kommuniziert wird, direkt zurückzukommunizieren.<br />

Aber Klappe aufreißen<br />

kann auch schiefgehen. Aber ich<br />

kenne jeden Stein auf St. Pauli. Da stolpere<br />

ich nicht. Da habe ich natürlich eine<br />

andere Ausstrahlung. Aber mir passiert<br />

auch in fremden Städten nicht<br />

mehr so viel.<br />

Du bist in Hanau geboren. Mit 20 Jahren<br />

kamst du dann nach Hamburg.<br />

Ja, ich musste wegen Liebeskummer<br />

schnell abhauen aus Süddeutschland.<br />

Das war Mitte der 1990er, man hätte<br />

vermutlich nach Berlin gehen müssen.<br />

Aber ich hatte das Gefühl, ich könnte<br />

da verloren gehen – so wie ich drauf<br />

war. In Hamburg habe ich zuerst drei<br />

Monate bei meiner Tante Anne in<br />

Neugraben in der Dachgeschosswohnung<br />

gelebt. Von da bin ich immer mit<br />

der S-Bahn bis zum Dammtor gefahren<br />

und hab so ein bisschen an der Uni<br />

rum geluschert und habe dann irgendwie<br />

gemerkt, dass Hamburg mich<br />

rettet.


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Viele sagen ja, Hamburg sei schwer zu knacken;<br />

die Leute so distanziert.<br />

Fand ich überhaupt nicht. Ich habe auch ganz<br />

schnell Freunde gefunden, als ich bei der „Allegra“<br />

angefangen habe. Meine beste Freundin damals<br />

wohnte in der Budapester. Wir sind da immer rumgelaufen,<br />

und ich habe gemerkt, wie ich so Wurzeln<br />

schlage. Ich werde das nie vergessen, diesen<br />

Moment. Das war ein sehr schönes Gefühl. Ich<br />

glaube, St. Pauli kann Wunden heilen.<br />

„Choreografierte<br />

Gewalt ist wie<br />

Ballett. Langweilig.“<br />

Der Stadtteil ist dafür berüchtigt, dass er Wunden<br />

schlägt! Dass die Leute da auf sich aufpassen müssen.<br />

Die Menschen, die da leben, behandelt der Stadtteil<br />

sehr gut. Man kennt sich ja auf St. Pauli. Ich<br />

werde ja ganz oft gefragt: „Ey, jetzt wächst dein<br />

Kind auf St. Pauli auf, ist das nicht bescheuert?“<br />

Und ich sage dann: „Nein, nein! Das ist die nächste<br />

Generation. Und die kriegen hier Leben in all seinen<br />

Facetten.“ Mein Sohn weiß, seit er drei Jahre<br />

alt ist, dass es arme Menschen gibt. Dass man<br />

denen, die auf der Straße leben, Geld geben muss.<br />

Muss, sagt er! Denen man bei Edeka was raus<br />

bringt, wenn die da stehen. Er sieht sofort: Hat der<br />

Zähne, hat der keine Zähne? Dann holen wir eine<br />

Banane oder einen Joghurt. Der weiß auch, dass<br />

man da auch mal ein bisschen Geld für ein Bier<br />

raustun muss, weil es guttut. Und das finde ich so<br />

wichtig! Egal, was er später draus macht. Ich finde<br />

es viel bedrohlicher für die Gesellschaft, wenn<br />

Kinder in Wellingsbüttel aufwachsen. •<br />

HALLO,<br />

DOLLY!<br />

MUSICAL VON STEWART /<br />

HERMAN / WILDER<br />

27.5. – 8.7.<strong>2018</strong><br />

Kartentelefon: 040 / 35 08 03 21 oder<br />

online buchen: www.ohnsorg.de<br />

Foto: Sinje Hasheider<br />

Kontakt: simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />

Lesung bei „Die lange Kriminacht: Huren,<br />

Gauner, feine Hanseaten – Neue Krimis aus<br />

Hamburg“, Fr, 8.6., 19.30 Uhr, Speicherstadtmuseum,<br />

Am Sandtorkai 36, 15 Euro. Reservierung<br />

empfohlen unter info@speicherstadtmuseum.de<br />

oder Telefon 32 11 91.<br />

51


Kult<br />

Tipps für den<br />

Monat <strong>Juni</strong>: subjektiv<br />

und einladend<br />

Ausstellung<br />

Starke Porträts mit Eigensinn<br />

Wie wird aus einem Foto ein Kunstwerk?<br />

Mit der Suche nach dem besonderen<br />

Etwas in der Fotografie beschäftigt<br />

sich das Bucerius Kunst Forum<br />

anlässlich der Hamburger Phototriennale<br />

und widmet sich dabei dem Werk<br />

von Anton Corbijn. Der niederländische<br />

Fotograf wurde vor allem mit eindrucksvollen<br />

Porträts von Bands und<br />

Musikern bekannt: Er arbeitet im Auftrag<br />

von U2, Joy Division, den Rolling<br />

Stones, Tom Waits oder Depeche<br />

Mode, die oft genau wussten, wie sie<br />

wirken wollten. Trotzdem bewahrte<br />

Der will nicht nur spielen: „Black Flag“-Sänger<br />

Henry Rollins, fotografiert von Anton Corbijn.<br />

Corbijn seine künstlerische Freiheit.<br />

Zur Eröffnung der Ausstellung „The<br />

Living and the Dead“ erzählt er im<br />

Künstlergespräch, wie ihm das gelang. •<br />

Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2,<br />

Eröffnung: Do, 7.6., 18 Uhr, Eintritt 10/8<br />

Euro, www.buceriuskunstforum.de<br />

52


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Festival<br />

Vhram zeigt virtuelle Welten<br />

Eine andere Realität ist möglich –<br />

das zeigen internationale Künstler<br />

bei Vhram, dem ersten Festival<br />

für Virtual Reality im Oberhafen.<br />

Ausgestattet mit VR-Brillen können<br />

Besucher hier Kunstwerke erleben,<br />

als steckten sie mittendrin. Künstler<br />

zeigen, wie sie arbeiten, diskutieren<br />

mit dem Publikum und der erste<br />

„Vrhammy“ wird verliehen. Zukunftweisend?<br />

So kann man das sehen. •<br />

Halle 2, Stockmeyerstraße 41, 7.–17.6.,<br />

Eintritt frei, www.vrham.de<br />

FOTOS: ANTON CORBIJN, FABRICE MAZLIAH, JAN LINNEMANN<br />

Festival<br />

Raum für Experimente<br />

Zum Live Art Festival soll Kampnagel zum Kunstzentrum der Zukunft umgestaltet<br />

werden. Dazu dürfen sich Kunstschaffende aus verschiedenen Ländern in<br />

den Räumen austoben und testen, wie ihre Gestaltungsideen beim Publikum<br />

an kommen. Fabrice Mazliah schafft zu dem Zweck einen fiktiven Staat, in dem<br />

ein herrschaftsfreies und basisdemokratisches Zusammenleben gedeihen soll.<br />

Staats tragend sind dafür mehr als 250 Topfpflanzen, die das Festivalzentrum vier<br />

Tage lang in eine tropische Insel verwandeln. •<br />

Kampnagel, Jarrestraße 20, 7.–16.6., Eintritt 8–32 Euro oder frei. Wer dem eigenen<br />

Gummibaum etwas künstlerische Entfaltung gönnen will, kann ihn vom 13.–16.6. als<br />

Darsteller in Mazliahs „Garden State*Hamburg“ anmelden unter der E-Mail<br />

presse@kampnagel.de oder Telefon 270 94 93 42. Weitere Infos unter www.kampnagel.de<br />

Festival<br />

Musik ist in der kleinsten Hütte<br />

Ein Death-Metal-Konzert erschüttert<br />

die Haspa-Filiale, im Büro des<br />

Umweltsenators wird zu Gypsy Swing<br />

getanzt und am Kanal gibt’s Beatbox<br />

vom Balkon. Was da los ist? Auf den<br />

Elbinseln steigt wieder das Musikfestival<br />

„48h Wilhelmsburg“. Hier spielen<br />

Nachbarn für Nachbarn an den ungewöhnlichsten<br />

Orten. Sogar auf den<br />

Wasserstraßen Wilhelmsburgs spielt<br />

die Musik: Das Floß „Schaluppe“ ist<br />

unterwegs und nimmt alle mit, die<br />

vom Bummel durch den Stadtteil zwischendurch<br />

verschnaufen wollen. •<br />

48h Wilhelmsburg, 163 Konzerte an 61<br />

Orten, 8.–10.6., Eintritt frei, Spende<br />

erwünscht, www.musikvondenelbinseln.de<br />

Der Kumpir-Laden wird zur Bühne –<br />

hier für „The Ambient Noise“.<br />

Auch Ihre Grünlilie kann hier groß rauskommen:<br />

„Garden State*Hamburg“ lebt von botanischer Vielfalt.<br />

Ausstellung<br />

St. Pauli Art zum letzten Mal<br />

Hier bekommen Nachwuchskünstler<br />

eine Chance: Bei St. Pauli Art stellen<br />

Leute aus, die ihre Kunst bisher<br />

selten oder noch nie öffentlich zeigen<br />

konnten. 17 Künstler zeigen so Bilder,<br />

Fotos und Installationen zum Thema<br />

„Auf andere Weise“. Das Format<br />

findet leider zum letzten Mal statt. •<br />

Kölibri, Hein-Köllisch-Platz, Sa, 9.6.,<br />

und So, 10.6., ab 12 Uhr, Eintritt auf<br />

Spendenbasis, www.gwa-stpauli.de<br />

Vortrag<br />

Die 68er im Osten Europas<br />

Was Revolten der 1968er in der BRD<br />

bewirkten, ist bekannt – doch was tat<br />

sich hinter dem Eisernen Vorhang?<br />

Auch in Osteuropa war 1968 ein Jahr<br />

des Umbruchs, wie eine Vortragsreihe<br />

in der Stabi zeigt. Der erste Vortrag erzählt<br />

von Studentenrevolten und antisemitischen<br />

Kampagnen in Polen. •<br />

Staats- und Universitätsbibliothek,<br />

Von-Melle-Park 3, ab Mi, 13.6., 18.15 Uhr,<br />

Eintritt frei, www.stabi.hamburg/blog<br />

Konzert<br />

Wundersamer Jazz<br />

Mit kindlichem Staunen und messerscharfem<br />

Intellekt bedichtet Jacques<br />

Palminger die Welt. Das virtuose<br />

„440 Hz Trio“ spielt Jazz dazu. •<br />

Schanzenzelt, Sternschanze 1 (im Park),<br />

Mi, 13.6., Einlass19 Uhr, Eintritt 17 Euro<br />

(VVK), www.schanzenzelt.de<br />

53


Festival<br />

Kosmopolitische Kammermusik<br />

Klassik aus dem Hier und Jetzt – damit<br />

hat der resonanzraum einen neuen<br />

Anziehungspunkt in der Hamburger<br />

Musikszene geschaffen. Überraschende<br />

Hörerlebnisse verheißt auch das Festival,<br />

zu dem das Ensemble Resonanz in den<br />

Bunker an der Feldstraße einlädt. Drei<br />

Abende wollen die Musiker und ihre<br />

Gäste zeigen, wie variantenreich<br />

und sogar tanzbar Kammermusik sein<br />

kann – und dass da immer wieder<br />

Neues kommt. Eröffnet wird das Festival<br />

mit der Uraufführung von „Stoff“,<br />

einem Stück von Enno Poppe, das der<br />

Komponist selbst dirigiert. Damit ist<br />

die Bühne frei für Experimente und<br />

Klassische Streicher experimentieren mit<br />

modernen Sounds. Garantiert ungehört.<br />

Improvisationen, in die sich im Laufe<br />

des Festivals immer wieder persische,<br />

türkische und griechische Klänge einmischen<br />

– analog wie elektronisch. •<br />

resonanzraum, Bunker an der Feldstraße,<br />

21.–23.6., Do + Fr ab18 Uhr, Sa ab 21 Uhr,<br />

Eintritt 20/15 Euro, Festival-Pass 60 Euro,<br />

www.resonanzraum.club<br />

54


FOTOS: JAN WILKEN, FABIAN STUERTZ, PRIVAT<br />

Flo und Quichotte haben<br />

ein Herz für Außenseiter.<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Konzert<br />

Quichotte rappt für die gute Sache<br />

„Die Welt ist rau geworden, und es sind harte Zeiten“, rappt Quichotte und<br />

erzählt von einem Obdachlosen, mit dem er vor dem Supermarkt ins Gespräch<br />

gekommen ist. Für den Rapper und Slampoeten ist das Leben gut gelaufen, jetzt<br />

will er etwas zurückgeben:<br />

Zusammen mit Flo, dem<br />

Gitarristen seiner früheren<br />

Band „Querfälltein“, ist er<br />

auf Tour unter dem Motto<br />

„Wir haben was für euch<br />

übrig“. Dabei spielen die<br />

beiden ihre Songs über liebenswerte<br />

Pechvögel und<br />

unangepasste Alltagskämpfer.<br />

Um es nicht bei Worten<br />

zu belassen, spenden sie<br />

einen Teil ihrer früheren<br />

Gagen an Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

sowie an Basis&Woge e. V.<br />

Wir sagen Danke! •<br />

Nochtspeicher, Bernhard-<br />

Nocht-Straße 69, Di, 19.6.,<br />

19 Uhr, Eintritt frei,<br />

www.nochtspeicher.de<br />

Bühne<br />

Damen in Wallung<br />

Es ist ein heißes Eisen, es geht unter<br />

die Gürtellinie – und nein, die Rede<br />

ist hier nicht vom Bügeln, sondern<br />

von Gerburg Jahnkes Coup: „Heiße<br />

Zeiten – Die Wechseljahre-Revue“.<br />

In gewohnt hemmungsloser Manier<br />

nimmt die Kabarettistin die heikle<br />

Lebensphase aufs Korn, die früher<br />

oder später jede Geschlechtsgenossin<br />

von einer Extremsituation in<br />

die nächste stürzt (Männer, die sich<br />

bisher nicht angesprochen fühlen,<br />

dürfen die Show als Einführung in<br />

eine ganz eigene Welt verstehen). •<br />

St. Pauli Theater, Spielbudenplatz 29–30,<br />

ab Di, 19.6., 19.30 Uhr, Eintritt 27,90 bis<br />

54,90 Euro (VVK). Weitere Infos unter:<br />

www.st-pauli-theater.de<br />

Unter allen, die uns bis zum 3.6. an<br />

info@hinzundkunzt.de eine Mail schicken<br />

(Stichwort „Heiße Zeiten“), verlosen wir<br />

dreimal zwei Karten für die Veranstaltung<br />

am Donnerstag, 21.6.<br />

Vortrag<br />

Suche nach der Fußballformel<br />

Warum trifft der nicht? Diese Frage,<br />

bei der die Zuschauer während der<br />

Fußball-WM immer wieder um Fassung<br />

ringen, ist im Körberforum ein<br />

Fall für die Wissenschaft. Der Physiker<br />

Metin Tolan berechnet mit kühlem<br />

Kopf, wie das Runde ins Eckige gelangt,<br />

warum selbst bei tadellosem<br />

Schiedsrichtereinsatz nicht immer die<br />

bessere Mannschaft gewinnt und erläutert<br />

physikalische Fußballstrategien.<br />

Ob die Fußballformel aufgeht?<br />

Die Probe aufs Exempel gibt es anschließend<br />

beim Live-Viewing. •<br />

Körberforum, Kehrwieder 12, Do, 28.6.,<br />

18 Uhr, Eintritt frei, Anmeldung ab<br />

Do, 14.6. unter www.koerber-stiftung.de<br />

Über Tipps für Juli freut sich Annabel<br />

Trautwein. Bitte bis zum 10. <strong>Juni</strong><br />

schicken: redaktion@hinzundkunzt.de<br />

Kinofilm des Monats<br />

Sind wir<br />

bald da?<br />

Lange Autofahrten sind das<br />

Labskaus der Mobilität. Findet<br />

man entweder toll oder<br />

furchtbar. Ich mag die große<br />

Tour. Den Segen stundenlanger<br />

Unproduktivität, die vorbeirauschende<br />

Landschaft …<br />

Wenn da nicht manchmal<br />

die Beifahrer wären, die<br />

die Meditation stören. „Können<br />

wir zu McDonald’s?“<br />

Und: „Wie lange noch?“ In<br />

Letzterem gründet der Stoff,<br />

aus dem Road Movies gestrickt<br />

sind. Zumindest „Camino<br />

a La Paz“, je nach<br />

Interpretation „Die Straße<br />

nach La Paz“ oder „Der Weg<br />

zum Frieden“.<br />

Sebastián ist frisch vermählt<br />

und ständig pleite. Als<br />

er einen Chauffeurjob angeboten<br />

bekommt, wittert er<br />

seine Chance. Sein Passagier<br />

Jalil, ein älterer strenggläubiger<br />

Muslim, will von Buenos<br />

Aires in die bolivianische<br />

Metropole La Paz reisen, verspricht<br />

ein stattliches Salär.<br />

Doch schon bald wird der Job<br />

zur Geduldsprobe. Nicht nur,<br />

dass sein Gast ständig aufs<br />

Klo muss, Knoblauch kaut<br />

oder ungefragt Mitreisende<br />

einlädt. Auch die Gebetspausen<br />

halten die Reise auf.<br />

Dann ist da noch das Dialysegerät<br />

auf dem Dach …<br />

Mit Gespür für feinen<br />

Wortwitz zeichnet der Regisseur<br />

Francisco Varone nicht<br />

nur die Konflikte nach, die<br />

zwei starke Charaktere auf<br />

engem Raum austragen. Er<br />

beschreibt auch, wie Reisen<br />

Menschen verändert.<br />

Kinostart: 7.6. •<br />

André Schmidt<br />

geht seit<br />

Jahren für uns<br />

ins Kino.<br />

Er arbeitet in der<br />

PR-Branche.<br />

55


<strong>Kunzt</strong>&Comic<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>304</strong>/JUNI <strong>2018</strong><br />

56


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Rätsel<br />

ILLUSTRATION (BLEISTIFT IM IMPRESSUM): BERND MÖLCK-TASSEL<br />

veraltet:<br />

Beruf,<br />

Gewerbe<br />

Kulturpflanze,<br />

Körnerfrucht<br />

Stadt in<br />

Niedersachsen<br />

Tierhaut,<br />

-kleid<br />

Lamaart<br />

mit Fell<br />

zur Wollgewinnung<br />

Inseleuropäer<br />

Staat<br />

der USA<br />

Staat in<br />

Vorderasien<br />

jemand,<br />

der Süßigkeiten<br />

liebt<br />

Gabe des<br />

Bußempfindung<br />

Zurechtfindens<br />

Ortschaft<br />

Milchorgan<br />

bei Tieren<br />

8<br />

2<br />

4<br />

6<br />

1<br />

1<br />

5<br />

3<br />

2<br />

7<br />

5<br />

6<br />

„Grautier“,<br />

Dauer-<br />

polare<br />

„Langohr“ eisdecke<br />

arabisches<br />

Grußwort<br />

Stadt an<br />

der Maas<br />

(Frankreich)<br />

Konservierung<br />

3<br />

6<br />

4<br />

8<br />

9<br />

schmale,<br />

kleine<br />

Brücke<br />

8<br />

6<br />

3<br />

1<br />

10<br />

4<br />

4<br />

Kurort im<br />

Tessin<br />

(Schweiz)<br />

9<br />

6<br />

5<br />

unbest.<br />

weibl.<br />

franz.<br />

Artikel<br />

den<br />

Ackerboden<br />

bearbeiten<br />

Prachtstraße<br />

(franz.)<br />

5<br />

5<br />

2<br />

4<br />

1<br />

Nomadenzeltdorf<br />

geistliches<br />

Lied<br />

Wiener<br />

Zitherspieler<br />

†<br />

(Anton)<br />

1. Buchstabe<br />

des<br />

griech.<br />

Alphabets<br />

griech.<br />

Vorsilbe:<br />

auf,<br />

hinauf<br />

Schlachtrind<br />

extrem,<br />

grell,<br />

unerhört<br />

Sammlung<br />

von<br />

Schriftstücken<br />

Zugmaschine<br />

(Kurzwort)<br />

unversehrt,<br />

unverletzt<br />

See in<br />

Schottland<br />

(Loch ...)<br />

Reproduktion<br />

vieler<br />

Name<br />

(Kurzwort) Flüsschen<br />

Pokal als<br />

Sportpreis<br />

(engl.)<br />

Federwolke<br />

begangenes<br />

Unrecht<br />

bestrafen<br />

Maßeinteilung<br />

an Messgeräten<br />

englisch:<br />

eins<br />

olympisches<br />

Gremium<br />

(Abk.)<br />

Sprung<br />

beim Eiskunstlauf<br />

rote<br />

Filzkappe<br />

im<br />

Orient<br />

Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />

per Fax an 040 32 10 83 50 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />

Einsendeschluss: 25. <strong>Juni</strong> <strong>2018</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />

Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />

zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle gewinnen oder einen von<br />

zwei Romanen „Fememord“ von Boris Meyn (Rowohlt Taschenbuch).<br />

Das April-Lösungswort beim Kreuzworträtsel lautete: Diplomatie.<br />

Die Sudoku-Zahlenreihe war: 629 347 851.<br />

6<br />

7<br />

5<br />

9<br />

1<br />

6<br />

4<br />

7<br />

7<br />

8<br />

8<br />

2<br />

9<br />

7<br />

6<br />

10<br />

1<br />

3<br />

AR1115-1118_5<br />

Füllen Sie das Gitter so<br />

aus, dass die Zahlen von<br />

1 bis 9 nur je einmal in<br />

jeder Reihe, in jeder<br />

Spalte und in jedem<br />

Neun-Kästchen-Block<br />

vorkommen.<br />

Als Lösung schicken<br />

Sie uns bitte die<br />

unterste, farbig gerahmte<br />

Zahlenreihe.<br />

Impressum<br />

Redaktion und Verlag<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />

Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />

Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 32 10 83 50<br />

Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />

E-Mail info@hinzundkunzt.de, www.hinzundkunzt.de<br />

Herausgeber<br />

Landespastor Dirk Ahrens, Diakonisches Werk Hamburg<br />

Externer Beirat<br />

Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />

Mathias Bach (Kaufmann), Dr. Marius Hoßbach (Rechtsanwalt),<br />

Rüdiger Knott (ehem. NDR 90,3-Programmchef),<br />

Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />

Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />

Beate Behn (Lawaetz-Service GmbH), Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung),<br />

Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds),<br />

Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />

Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />

Redaktion Birgit Müller (bim; v.i.S.d.P.),<br />

Annette Woywode (abi; Stellv., CvD),<br />

Mitarbeit Simone Deckner (sim), Jonas Füllner (jof), Ulrich Jonas (ujo),<br />

Frank Keil (fk), Benjamin Laufer (bela), Misha Leuschen (leu),<br />

Annabel Trautwein (atw), Uta Sternsdorff und Kerstin Weber<br />

Redaktionsassistenz Sonja Conrad, Cedric Horbach<br />

Online-Redaktion Simone Deckner, Jonas Füllner, Benjamin Laufer<br />

Artdirektion grafikdeerns.de<br />

Öffentlichkeitsarbeit Sybille Arendt, Friederike Steiffert<br />

Anzeigenleitung Sybille Arendt<br />

Anzeigenvertretung Christoph Wahring,<br />

Wahring & Company, Tel. 040 284 09 40, info@wahring.de<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 23 vom 1. Januar <strong>2018</strong><br />

Vertrieb Christian Hagen (Leitung), Marcus Chomse,<br />

Sigi Pachan, Jürgen Jobsen, Meike Lehmann, Sergej Machov,<br />

Frank Nawatzki, Elena Pacuraru, Reiner Rümke, Cristina Stanculescu,<br />

Marcel Stein, Cornelia Tanase, Silvia Zahn<br />

Rechnungswesen/Systemadministration Frank Belchhaus<br />

Spendenmarketing Gabriele Koch<br />

Spendenverwaltung Susanne Wehde<br />

Sozialarbeit Stephan Karrenbauer (Leitung), Ana-Maria Ilisiu, Isabel Kohler<br />

Das Stadtrundgang-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />

Chris Schlapp, Harald Buchinger<br />

Das BrotRetter-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />

Stefan Calin, Gogan Dorel, Ionel Lupu<br />

Das Team von Spende Dein Pfand am Airport Hamburg<br />

Stephan Karrenbauer (Leitung), Uwe Tröger, Jonas Gengnagel,<br />

Klaus Petersdorfer, Herbert Kosecki<br />

Litho PX2@ Medien GmbH & Co. KG<br />

Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />

Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />

Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />

Umschlag-Druck Neef+Stumme premium printing GmbH & Co. KG<br />

Verarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei<br />

und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />

Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

IBAN: DE56 2005 0550 1280 1678 73<br />

BIC: HASPDEHHXXX<br />

Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />

Freistellungsbescheid des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer<br />

17/414/00797, vom 15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />

des Körperschaftssteuergesetzes von der Körperschaftssteuer und nach<br />

§3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />

Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als<br />

gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH im Handelsregister<br />

beim Amtsgericht Hamburg HRB 59669 eingetragen. Wir bestätigen,<br />

dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> einsetzen.<br />

Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.<br />

Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf www.hinzundkunzt.de.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das obdachlosen und<br />

ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />

Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose und<br />

ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter<br />

unterstützen die Verkäufer.<br />

Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />

Gesellschafter<br />

Durchschnittliche monatliche<br />

Druckauflage 2. Quartal <strong>2018</strong>:<br />

66.666 Exemplare<br />

57


Momentaufnahme<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>304</strong>/JUNI <strong>2018</strong><br />

Ausgezeichnet<br />

engagiert<br />

Ewa (51) verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> vor Douglas in der Mönckebergstraße.<br />

TEXT: JONAS FÜLLNER<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Kein anderer Hinz&Künztler arbeitete<br />

im April so viel in der <strong>Kunzt</strong>küche wie<br />

unsere Verkäuferin Ewa. Im Fokus der<br />

Aufmerksamkeit stand die 51-Jährige<br />

trotzdem nie. Immer im Hintergrund,<br />

aber souverän erledigte sie ihre Arbeit:<br />

spülen, schnippeln, servieren und darauf<br />

achten, dass Ordnung und Sauberkeit<br />

in der Küche herrschte. Hauskoch<br />

Aron Farkas war begeistert. „Wenn ich<br />

ehrlich bin: Ewa war meine Nummer 1.<br />

Auf sie konnte ich mich blind verlassen“,<br />

sagt der 21-Jährige. „Ich musste<br />

gar nicht kontrollieren, ob irgendetwas<br />

schiefläuft.“ Die Hinz&Künztlerin sei<br />

eine große Hilfe gewesen. „Wir mussten<br />

gar nicht viel reden, sie hat auch so erkannt,<br />

was als Nächstes zu tun ist.“<br />

Dass es auch ohne viele Worte ging,<br />

war auch gut so. Denn Ewa spricht<br />

kaum Deutsch. Sie besucht zwar aktuell<br />

einen Sprachkurs. Aber es geht nur<br />

langsam voran.<br />

Neustart: In<br />

Hamburg fand<br />

Ewa die Liebe und<br />

eine Perspektive<br />

fürs Leben.<br />

Vor neun Jahren kam die gebürtige Polin<br />

nach Hamburg. Warum sie damals<br />

ihre Heimat verließ, darüber redet sie<br />

kaum. Sie erwähnt lediglich, dass sie<br />

aus der Nähe von Warschau stammt<br />

und dass ihr Mann Alkoholiker und gewalttätig<br />

war. Erst als ihre Kinder erwachsen<br />

und aus dem Haus waren,<br />

wagte sie, ihn zu verlassen, und ging<br />

nach Deutschland – eine Art Flucht.<br />

Sie endete in der Obdachlosigkeit.<br />

Im Februar 2011, mitten im Winter, erreichte<br />

sie Hamburg. Ewa hatte kein<br />

Geld, keine Arbeit und vor allem keine<br />

Wohnung. Deswegen suchte sie erst mal<br />

Schutz im Winternotprogramm. Dort<br />

begegnete ihr Stefan. Er habe gleich ein<br />

Auge auf Ewa geworfen, verrät der<br />

46-jährige Rumäne und läuft dabei<br />

leicht rot an. Auch Ewa kichert. Ja,<br />

Stefan habe ihr gefallen, bestätigt sie. So<br />

gut, dass nicht einmal die sprachliche<br />

Barriere zwischen dem Rumänen und<br />

der Polin ein Hindernis war. Tatsächlich<br />

spricht Stefan inzwischen fließend Polnisch<br />

und Ewa wiederum beherrscht<br />

Rumänisch besser als Deutsch.<br />

Die Anfangszeit war allerdings<br />

schwer. Sie schliefen vor Geschäftseingängen<br />

und später in einem Zelt – gut<br />

versteckt in einem Park. Als gelernter<br />

Elektriker fand Stefan zwar immer wieder<br />

Arbeit. Allerdings nur schwarz und<br />

nur allzu oft enthielt man ihm den Lohn<br />

vor. Andere hätten vielleicht resigniert.<br />

Aber Ewa und Stefan haben weiter ihr<br />

Glück gesucht. Und tatsächlich: Vor<br />

zwei Jahren erhielt Stefan eine Festanstellung.<br />

Er fand eine Wohnung und<br />

Ewa jobbte – wie schon in ihrer Heimat<br />

– als Reinigungskraft in der Obdachloseneinrichtung<br />

Herz As. Ganz begeistert<br />

spricht sie von den tollen Kollegen<br />

und Sozialarbeitern, die immer ein offenes<br />

Ohr für sie hatten.<br />

Im Herbst 2017 fing Ewa schließlich<br />

an, Hinz&<strong>Kunzt</strong> zu verkaufen. Eine<br />

Dauerlösung soll das nicht werden, erzählt<br />

Stefan, der für Ewa als Übersetzer<br />

fungiert. Ewa will eine richtige Arbeit.<br />

Gerne als Küchenhelferin oder auch<br />

als Reinigungskraft. Die Arbeit in der<br />

<strong>Kunzt</strong>Küche habe ihr Spaß gemacht,<br />

sagt sie. Etwas Ähnliches würde sie<br />

gerne weiterhin machen.<br />

Für ihr Engagement und ihren Willen,<br />

ihre Situation selbst zu verbessern,<br />

bekommt Ewa diesen Monat sogar eine<br />

Auszeichnung: Im Mai erhielt sie von<br />

Stadtteilkünstler und Hinz&Künztler<br />

Erich Heeder den Staffelstab der Kampagne<br />

„Mit dir geht mehr“ (siehe auch<br />

Seite 5). Damit zeichnet die Sozialbehörde<br />

Menschen aus, die sich freiwillig in<br />

Hamburg engagieren. Diesen Monat<br />

darf die Staffel trägerin entscheiden, an<br />

wen sie den Stab weitergibt. Wir sind<br />

gespannt, auf wen ihre Wahl fällt. •<br />

Ewa und alle anderen Hinz&Künztler<br />

erkennt man am Verkäuferausweis.<br />

Niemand kennt<br />

Hamburgs Straßen besser.<br />

Verkäuferausweis<br />

6435<br />

58


1.<br />

KUNZT-<br />

KOLLEKTION<br />

BESTELLEN SIE DIESE UND WEITERE PRODUKTE BEI: Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH,<br />

www.hinzundkunzt.de/shop, shop@hinzundkunzt.de, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />

Tel. 32 10 83 11. Preise zzgl. Versandkostenpauschale 4 Euro, Ausland auf Anfrage.<br />

Versand ab 100 Euro Warenwert kostenlos.<br />

2.<br />

3.<br />

1. „Gegens Abstempeln“<br />

Zehn selbstklebende 70-Cent-Briefmarken mit<br />

Porträts von Hinz&Künztlern im A5-Heftchen.<br />

Konzeption: Agentur Lukas Lindemann Rosinski.<br />

Preis: 12 Euro<br />

2. „Macht auch wach!“<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Kaffeemischung,<br />

100% Arabica gemahlen, 250-g-Beutel<br />

oder Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Espresso, italienische<br />

Mischung, kräftiger Geschmack,<br />

ungemahlen, 250-g-Beutel, exklusiv von der<br />

Kaffeerösterei Burg aus Hamburg.<br />

Preis: jeweils 5,95 Euro<br />

3. Frühstücksbrettchen<br />

Exklusiv für Hinz&<strong>Kunzt</strong> aus der<br />

Serie „Schöne Aussichten“, Pension<br />

für Produkte Hamburg.<br />

Design: Wolfgang Vogler,<br />

Material: Esche geölt (aus heimischen Wäldern),<br />

lasergraviert. Jedes Brett ist ein Unikat,<br />

in Deutschland gefertigt.<br />

Preis: 15,90 Euro<br />

4. „Einer muss ja das Maul aufmachen“<br />

T-Shirt vom Modelabel „Fairliebt“ aus<br />

100% Biobaumwolle, sozialverträglich<br />

genäht in Bangladesch und<br />

von Hand bedruckt in Deutschland.<br />

Größen: S, M, L, XL. Farben: Petrol für Herren,<br />

Meerwassertürkis für Damen.<br />

Preis: 24,90 Euro<br />

5. „Samenbomben & Pffl anzkelle“<br />

Eine runde Blumensamenmischung mit<br />

Saatgut aus kontrolliert biologischem Anbau<br />

von der Firma ARIES Umweltprodukte.<br />

Bringen Sie Farbe in den eigenen Garten,<br />

den Garten Ihrer Freunde und<br />

Orte in der Stadt, die blühen sollen.<br />

8 Samenbomben 5,50 Euro<br />

Pfl anzkelle der Firma Julius Berger, in<br />

Deutschland hergestellt. 7,90 Euro<br />

Samenbomben & Pfl anzkelle: 11,90 Euro<br />

6. Tasse „Fischkopp“<br />

Sonderedition für Hinz&<strong>Kunzt</strong> von der<br />

Hamburger Firma AHOI MARIE.<br />

Qualitätsporzellan von Kahla aus Thüringen.<br />

Design: Jan-Hendrik Holst.<br />

Keramischer Siebdruck.<br />

Maße: D: 9 cm, H: 9 cm,<br />

Mikrowellen- und spülmaschinentauglich.<br />

Preis: 13,90 Euro<br />

7. „Ein mittelschönes Leben“<br />

Eine Geschichte für Kinder<br />

über Obdachlosigkeit von Kirsten Boie,<br />

illustriert von Jutta Bauer.<br />

Preis: 4,80 Euro<br />

4.<br />

6.<br />

7.<br />

5.


<strong>Juni</strong> <strong>2018</strong><br />

Kalter Krieg &<br />

Stadtnatur<br />

und andere Themen, die Hamburger bewegen<br />

Di 12.06. | 19.00 Uhr | Diskussion<br />

Hamburg, meine grün-graue Perle Der steigende Flächenbedarf für Bauvorhaben erzeugt Druck<br />

auf die Hamburger Stadtnatur. Wie steht es um die Balance von sozialen und ökologischen Bedürfnissen?<br />

Umweltsenator Jens Kerstan, Malte Siegert, NABU Hamburg, und Ingrid Breckner, HafenCity<br />

Universität, diskutieren. Peter Ulrich Meyer, Hamburger Abendblatt, moderiert.<br />

Mo 18.06. | 19.00 Uhr | Diskussion<br />

Frieden machen – ein neuer Kalter Krieg? Der »Kalte Krieg« zwischen den USA und der UdSSR hätte<br />

damals jederzeit eskalieren können. Wie wurde das verhindert? Welche Lehren sich daraus für heutige<br />

Konflikte ziehen lassen, diskutieren der Diplomat Wolfgang Ischinger und der Historiker Dmitri Trenin.<br />

Klaus Brinkbäumer, Der Spiegel, moderiert. In Kooperation mit Der Spiegel.<br />

Mo 25.06. | 19.00 Uhr | Gespräch<br />

Kurden unter Beschuss Aufgrund seiner Berichterstattung über das Unabhängigkeitsreferendum der<br />

irakischen Kurden wurde der Journalist Kamal Chomani mit dem Tode bedroht. Mit der Nahost-Expertin<br />

Birgit Svensson spricht er über die politische Dimension der »Kurdenfrage«. In Kooperation mit der<br />

Weichmann- Stiftung, der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte und der Süddeutschen Zeitung.<br />

Di 26.06. | 19.00 Uhr | Gespräch<br />

50 Jahre ’68 Demokratisierung und Abbau autoritärer Strukturen – was ist von den »Glücksversprechen«<br />

der ’68er geblieben? Über die damaligen Ideen und die aktuelle Krise der Demokratie<br />

sprechen die Schriftstellerin Barbara Sichtermann, der Historiker Per Leo und der Rechtswissenschaftler<br />

Ulrich Klaus Preuß mit Kirsten Heinsohn, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg.<br />

Stand: 05 / <strong>2018</strong>, Änderungen vorbehalten. groothuis.de Fotos: © BUE / Bina Engel, Carnegie Moscow Center, privat, privat<br />

Eintritt frei, Anmeldung erforderlich: www.koerberforum.de<br />

KörberForum | Kehrwieder 12 | 20457 Hamburg | U Baumwall<br />

Telefon 040 · 80 81 92 - 0 | E-Mail info@koerberforum.de<br />

Veranstalter ist die gemeinnützige Körber-Stiftung.

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