Hinz&Kunzt 304 Juni 2018
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Das Hamburger<br />
Straßenmagazin<br />
Seit 1993<br />
N O <strong>304</strong><br />
<strong>Juni</strong>.18<br />
2,20 Euro<br />
Davon 1,10 Euro<br />
für unsere Verkäufer<br />
Die Verwandlung<br />
Fotograf Horia Manolache fragte<br />
Obdachlose nach ihrem Traumberuf
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Inhalt<br />
Enteignet sie!<br />
Drei Mann in einem Mini<br />
Geschäftsführer Jens Ade<br />
(von rechts), Fotograf<br />
Mauricio Bustamante<br />
und Redakteur Benjamin<br />
Laufer im Einsatz zu<br />
einer Preisverleihung für<br />
Hinz&Künztler Erich<br />
Heeder. Der bekam von<br />
Justizsenator Till Steffen<br />
für sein Engagement<br />
den Staffelstab überreicht<br />
(Seite 5).<br />
Wir machen in diesem Monat mit einer krassen<br />
Forderung auf: „Enteignet sie!“ Gemeint sind die<br />
Vermieter und Hausbesitzer, die ihre Mieter abzocken,<br />
sie schikanieren oder ihre Häuser absichtlich<br />
unbewohnbar machen, wie in der Grindelallee 80<br />
oder am Reetwerder 3. Betroffen sind alteingesessene<br />
Hamburger und Rumänen. Wegen der teuren<br />
Mieten haben es sogar Mittelständler schwer, eine<br />
Wohnung zu finden. Nicht nur Arme (Seiten 6–9).<br />
In Bergedorf mussten im Mai 150 Menschen<br />
evakuiert werden, darunter 56 Kinder. Es bestand<br />
Gefahr für Leib und Leben. Endlich wurde das<br />
Haus jetzt unter Zwangsverwaltung gestellt. Schon<br />
viel früher müsste Vermietern klar gemacht werden,<br />
dass Wucher, Schikanen und Nötigung keine<br />
Kavaliersdelikte sind. Schon gar nicht in Zeiten der<br />
Wohnungsnot (Seite 10).<br />
Jetzt aber was Leichtes: Kids beim Kicken in<br />
Russland – vor Jurten, im Schnee und vor Zwiebeltürmen.<br />
Die Fotos von Caio Vilela (Seite 12) sind eine<br />
super Einstimmung auf die Fußball-WM!<br />
Ihre Birgit Müller Chefredakteurin<br />
(Schreiben Sie uns doch an info@hinzundkunzt.de)<br />
Inhalt<br />
Kicken geht immer – das können die Kids<br />
in Russland auch ohne Stadien (S. 16)<br />
TITELBILD: HORIA MANOLACHE;<br />
FOTO OBEN: BENJAMIN LAUFER<br />
Stadtgespräch<br />
04 Gut&Schön<br />
06 Enteignet sie! Die Machenschaften<br />
skrupelloser Vermieter<br />
10 Die Miet-Abzocker von Bergedorf<br />
12 Schwarzfahrer in den Knast? Was das<br />
kostet – und warum Justizsenator Till<br />
Steffen damit Schluss machen will<br />
24 Warum immer mehr Obdachlose Opfer<br />
von Gewalt werden<br />
30 Phototriennale: Masse macht mit!<br />
Ein Leben gegen<br />
Nazis: Esther<br />
Bejarano erzählt<br />
ihre Geschichte<br />
gegen das Vergessen<br />
(S. 32)<br />
Lebenslinien<br />
32 Esther Bejarano: „Auschwitz kann man<br />
nicht vergessen!“<br />
Fußball-WM<br />
16 Caio Vilela fotografierte Kinder abseits<br />
großer Stadien beim Straßenkick<br />
Fotoreportage<br />
36 Obdachlose in ihren Traumberufen<br />
Freunde<br />
44 Unsere Spenderin Sophie Below<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
48 Krimiautorin Simone Buchholz<br />
52 Tipps für den <strong>Juni</strong><br />
56 Comic mit Dodo Dronte<br />
58 Momentaufnahme<br />
Rubriken<br />
05 Kolumne<br />
11 Meldungen<br />
46 Leserbriefe<br />
57 Rätsel, Impressum<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk
Straßentheater<br />
Feuerzauber<br />
in Altona<br />
Vater Schulten, Mutter Schulten und<br />
ihre Kuh, die dringend gemolken<br />
werden muss, das sind die Helden in<br />
dem Stück „Unsere Kuh brennt<br />
durch“. Aufgeführt von „Die Pyromantiker®“,<br />
einer freien Theatergruppe,<br />
die fest daran glaubt, dass<br />
Feuer und Romantik die Welt besser<br />
machen werden. Sie ist zu Gast bei<br />
„Stamp“, dem Internationalen Festival<br />
der Straßenkünste in Altona. FK<br />
•<br />
Stamp, Fr, 1.6., bis So, 3.6.,<br />
Auftritt „Die Pyromantiker®“: Fr, 1.6.,<br />
und Sa., 2.6., 22 Uhr, Platz der Republik.<br />
Eintritt frei, Infos: www.stamp-festival.de
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Gut&Schön<br />
Henning Voscherau geehrt<br />
Preis für die<br />
Menschlichkeit<br />
Henning Voscherau<br />
(1941–2016)<br />
FOTOS: DIE PYROMANTIKER® (S. 4), HILFE FÜR HAMBURGER OBDACHLOSE (OBEN),<br />
TRATTORIA GIOVANNI ROCCO (UNTEN LINKS), MAURICIO BUSTAMANTE; KOLUMNE: CHRISTIAN CHARISIUS DPA/LNO<br />
La Cantina und das interkulturelle<br />
von gefährdeten Menschen<br />
Catering-Projekt Chickpeace. JOF<br />
•<br />
entscheiden. UJO<br />
•<br />
Es sind bewegte Tage im<br />
Herbst 1989: Menschen im<br />
Ostblock stehen auf gegen ihre<br />
Herrscher, die Mauer bröckelt,<br />
Privatinitiative<br />
und in Jugoslawien schü-<br />
ren Nationalisten den Hass.<br />
Ein Zimmer für Bolle<br />
Der bedroht auch das Leben<br />
dort lebender Roma, von denen<br />
viele nach Hamburg flie-<br />
Eigentlich hätte der 65-jährige Bolle (links) wieder<br />
auf der Straße schlafen müssen, als das Winternotprogramm<br />
für Obdachlose im April endete: Weil er<br />
Darüber tobt in der Stadt<br />
hen. Sollen sie bleiben dürfen?<br />
ein Meinungskampf. Hier die<br />
aus Osteuropa stammt, hat er keinen Anspruch auf<br />
Geflüchteten und Unterstützer,<br />
die aus Protest gegen die<br />
ein Dach über dem Kopf. Das beschaffte ihm nun die<br />
„Hilfe für Hamburger Obdachlose“: Mittels Spenden drohende Abschiebung das<br />
Gelände des ehemaligen KZ<br />
mietete die Initiative um Max Bryan (rechts) für<br />
Neuengamme besetzen. Dort<br />
Bolle ein preiswertes Zimmer in Eckernförde an. UJO<br />
•<br />
die Hardliner in der regierenden<br />
SPD, die glauben, Hamburg<br />
könne sich Menschlichkeit<br />
Trinkgeld für den guten Zweck<br />
11.300 Euro haben Gastronomen<br />
am 21. Mai für soziale Projekte<br />
Preis für Erich und Ewa<br />
Obwohl er es selbst nicht leicht hat,<br />
sorgt er vorbildlich fürs Gemeinwohl:<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer Erich<br />
Heeder (rechts). Seit Jahrzehnten<br />
engagiert sich der 65-Jährige in<br />
„seinem“ Mümmelmannsberg,<br />
etwa im Verein „Offenes Atelier“.<br />
Unermüdlich schreibt er Politikern<br />
und weist auf Missstände hin. Justizsenator<br />
Till Steffen hat ihn bei der<br />
Kampagne „Mit Dir geht mehr!“<br />
nicht leisten. Da spricht<br />
der damalige Bürgermeister<br />
Henning Voscherau (SPD) ein<br />
Machtwort: 150 Roma-Familien<br />
und ihre Angehörigen erhalten<br />
dauerhaftes Bleiberecht,<br />
rund 2000 Betroffene<br />
können aufatmen.<br />
„Hätte er anders entschieden,<br />
hätten viele Menschen<br />
nicht überlebt“, sagt Rudko<br />
Kawczynski, Vorstandsvorsitzender<br />
der Rom und Cinti<br />
gespendet. Der sogenannte<br />
geehrt. Erich gibt den Staffelstab<br />
Welttrinkgeldtag, eine Erfindung des jetzt weiter: an Ewa (Seite 58). JOF Union (RCU) und damals<br />
Vereins MenscHHamburg, fand<br />
•<br />
einer der Wortführer.<br />
bereits zum vierten Mal statt. Das<br />
Prinzip ist einfach: Die Kellner dürfen<br />
ihr Trinkgeld behalten. Gastronomen<br />
wie Giovanni Rocco (rechts,<br />
mit Team) verdoppeln die Summe<br />
des Tages und spenden den Betrag.<br />
Diesmal an die Suppenküche<br />
Dass die RCU den 2016<br />
verstorbenen Voscherau nun<br />
posthum mit dem Rita Clemens<br />
Menschenrechtspreis<br />
ausgezeichnet hat, ist auch als<br />
Mahnung an die zu verstehen,<br />
die heute über das Schicksal<br />
5
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>304</strong>/JUNI <strong>2018</strong><br />
ENTEIGNET SIE!<br />
Wie Eigentümer ihre Immobilien leer stehen<br />
und verkommen lassen – und die Stadt dabei zuschaut.<br />
TEXT: ULRICH JONAS, JONAS FÜLLNER<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE, ULRICH JONAS<br />
DAS LEHRSTÜCK<br />
Margret Stephan ist eine hartnäckige<br />
Mieterin. Seit 47 Jahren wohnt die<br />
Rentnerin in der Grindelallee 80 und<br />
sagt: „Ich will hier nicht weg!“ Viele<br />
Jahre lebte sie gut in dem Altbau nahe<br />
der Uni. Bis Immobilienhändler Sven<br />
B. vor gut fünf Jahren das Haus erwarb.<br />
Was seitdem geschah, hat die 72-Jährige<br />
in zwei Aktenordnern dokumentiert.<br />
Die Kurzfassung liefert Rechtsanwalt<br />
Rolf Bosse vom Mieterverein zu Hamburg,<br />
der noch weitere sieben Parteien<br />
im Haus vertritt: „Die Tätigkeit B.s beschränkte<br />
sich darauf, Mieter rauszuekeln<br />
und das Haus verfallen zu lassen.“<br />
Das Kalkül dahinter, so der<br />
Mieterschützer: Leer stehende Immobilien<br />
lassen sich mit deutlich mehr<br />
Gewinn verkaufen als vermietete.<br />
Merkwürdige Dinge ereignen sich<br />
in der Grindelallee 80, nachdem B. das<br />
Haus erworben hat: Übelriechende<br />
Buttersäure wird versprüht, Türschlösser<br />
werden verklebt. Täter werden nie<br />
ermittelt. Immer mehr Mieter ziehen<br />
entnervt aus. Prostituierte und Zuwanderer<br />
beziehen zwischenzeitlich die<br />
frei gewordenen Wohnungen. Margret<br />
Stephan mindert wegen der Prostitution<br />
im Haus die Miete. Bald erhält sie eine<br />
Kündigung. Es folgt eine Räumungsklage,<br />
mit der sie sich bis heute herumschlägt.<br />
Im April dreht Vattenfall den<br />
verbliebenen Bewohnern „wegen<br />
offener Forderungen“ vorübergehend<br />
Heizung und Warmwasser ab. Vermieter<br />
Sven B. soll, so der Mieterverein,<br />
knapp 23.000 Euro Vorauszahlungen in<br />
die eigene Tasche gesteckt und nicht<br />
weitergeleitet haben.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Der Mann, dem allein in Hamburg<br />
rund ein Dutzend Immobilien gehören<br />
soll, beschäftigt viele Behörden: Die<br />
Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt<br />
gegen ihn wegen des Verdachts der<br />
Unterschlagung in mehreren Fällen.<br />
Die Finanzbehörde pfändet Mietzahlungen<br />
an B. – Grund sind „öffentlichrecht<br />
liche Forderungen in Höhe von<br />
33.349,79 EUR“, wie es im Schreiben<br />
an einen Mieter heißt. Und die Stadt<br />
Buxtehude hat bis zu 100.000 Euro für<br />
Brandschutzmaßnahmen in einem<br />
Hochhaus vorgestreckt, das B. 2009<br />
erworben haben soll. Der Aufenthalt<br />
des Eigentümers sei „zurzeit nicht bekannt“,<br />
so die Stadtverwaltung. „Es besteht<br />
aber akuter Handlungsbedarf, da<br />
jederzeit mit dem Eintritt eines Brandes<br />
gerechnet werden kann und in dem<br />
Gebäude 166 Menschen leben.“<br />
Auch das Bezirksamt Eimsbüttel, zuständig<br />
für die Grindelallee 80, ist bereits<br />
in Vorleistung getreten: 1700 Euro<br />
„Der Bezirk<br />
hätte viel<br />
schneller handeln<br />
müssen.“MIETERANWALT BOSSE<br />
kostete es, provisorische Sammelräume<br />
in leer stehenden Wohnungen einzurichten.<br />
Sie sollen bei einem Brand Leben<br />
retten, weil der gesetzlich vorgeschriebene<br />
zweite Rettungsweg für<br />
einen Teil der Bewohner seit Langem<br />
fehlt. Ansonsten spielt der Bezirk auf<br />
Zeit. Seit Monaten heißt es, das Amt erwäge,<br />
das Haus nach dem Wohnraumschutzgesetz<br />
(siehe Info-Kasten) unter treuhänderische<br />
Verwaltung zu stellen.<br />
Dazu Mieteranwalt Bosse: „Wir haben<br />
dem Bezirksamt seit Oktober 2016 immer<br />
wieder mitgeteilt, dass in dem Haus<br />
Leerstand herrscht. Der Bezirk hätte<br />
viel schneller handeln müssen.“<br />
Sven B. spielt offenbar weiter seine<br />
Spielchen. Kürzlich bekam Mieteranwalt<br />
Bosse Besuch von Rechtsanwälten.<br />
Sie sprachen im Auftrag eines Hamburger<br />
Bauträgers vor, der sein Interesse<br />
an der Grindelallee 80 bereits im<br />
Grundbuch hinterlegt hat. Der Deal ist<br />
erst mal geplatzt: Ihre Mandanten seien<br />
davon ausgegangen, dass die Immobilie<br />
nicht bewohnt sei, sagten die Anwälte<br />
dem erstaunten Mieterschützer.<br />
„Da habe ich sie erst mal aufgeklärt,<br />
dass in dem Haus noch eine Reihe<br />
Menschen wohnt.“
Stadtgespräch<br />
Mieterin Margret<br />
Stephan auf dem<br />
Balkon ihrer<br />
Wohnung in der<br />
Grindelallee. „Ich<br />
fürchte, dass wir<br />
irgendwann raus<br />
müssen“, sagt sie.<br />
„Ich frage mich nur,<br />
wohin?“<br />
Ein Leerstand, der dem Eigentümer<br />
peinlich ist? Gibt es sicherlich nicht oft.<br />
Bereits 2015 beteuerte der Kirchenkreis<br />
Ost gegenüber Hinz&<strong>Kunzt</strong>, man sei<br />
„sehr daran interessiert, den Leerstand<br />
am Biedermannplatz 13 zu beenden“.<br />
Dort steht seit mehr als zehn Jahren die<br />
ehemalige Pastoratswohnung neben der<br />
Bugenhagenkirche leer.<br />
Da es sich um eine Dienstwohnung<br />
handelt, greift das Wohnraumschutzgesetz<br />
nicht. Jahrelang verhandelten Kirchenkreis<br />
und Stadt. 2014 wurde diskutiert,<br />
das Gebäude als Wohnunterkunft<br />
für Geflüchtete zu nutzen. Doch erschien<br />
der Sanierungsaufwand der<br />
Stadt zu groß. Dann wollte die Kirche<br />
das Pastorat an eine Sekte verkaufen.<br />
Der Bezirk stoppte die Pläne und legte<br />
fest, dass die Nutzung „dem Stadtteil<br />
zugewandt“ sein muss.<br />
„Nur zu gut kann ich Ihre Ungeduld<br />
nachvollziehen“, antwortet Remmer<br />
Koch, Sprecher des Kirchenkreises Ost,<br />
auf eine erneute Nachfrage. „Das Gebäude<br />
selbst wird sicher nicht erhalten<br />
werden können. Was aber wann dort geschieht,<br />
braucht noch etwas Zeit.“<br />
DAS SAGA-HAUS<br />
Anwalt Bosse fordert härteres Durchgreifen,<br />
mehr Wohnraumschützer und<br />
Nachbesserungen beim Gesetz: „Bislang<br />
ermöglicht das Wohnraumschutzgesetz<br />
das Eingreifen der Behörden nur<br />
bei Gefahr im Verzug.“ Werde den<br />
Mietern wie in der Grindelallee die<br />
Heizung abgestellt, greife das Gesetz<br />
nicht. „Hier sollten die Bezirksämter in<br />
die Lage versetzt werden, Amtshilfe<br />
zum Schutz der Mieter zu leisten.“<br />
Sven B. äußerte sich gegenüber<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> bis Redaktionsschluss<br />
nicht. Mehrere Mails blieben unbeantwortet,<br />
seine Mobilnummern waren<br />
„vorübergehend nicht erreichbar“ oder<br />
ständig besetzt. Gerüchten zufolge lebt<br />
er in Spanien. Seine Hamburger Meldeadresse<br />
ist eine schicke Penthousewohnung<br />
in einem Neubau mit Blick<br />
auf die Elbe. Einen Briefkasten mit B.s<br />
Namen sucht man dort vergeblich. Der<br />
Postbote sagt, er schicke alle Briefe an<br />
den Immobilienhändler schon seit gut<br />
einem Jahr an die Absender zurück.<br />
DIE PASTORENWOHNUNG<br />
8<br />
Nur wenige Meter vom Wohnhaus des<br />
Ex-Bürgermeisters Olaf Scholz entfernt<br />
verfällt seit Jahren ein Gebäude.<br />
Die Schillerstraße 16 gehört der Saga.<br />
Vor anderthalb Jahren beklagte sich eine<br />
Leserin bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> über den<br />
Leerstand in dem Haus, aus dem kurz<br />
zuvor die letzten Mieter ausgezogen<br />
waren. Damals beschwichtigte das<br />
städtische Unternehmen und teilte<br />
mit, dass nach einer Modernisierung<br />
die Neuvermietung für dieses Jahr angedacht<br />
sei. Passiert ist trotzdem erst<br />
mal nichts.<br />
Laut des ehemaligen Mieters Andree<br />
Wenzel befand sich das Haus 2010,<br />
als er einzog, in einem guten Zustand.<br />
Nur wenige Jahre später habe ihn die<br />
Saga zum Auszug gedrängt. Saga-Sprecher<br />
Gunnar Gläser will das so nicht<br />
stehen lassen. Man habe keinen Druck<br />
ausgeübt, sondern allen Mietern Ausgleichswohnungen<br />
angeboten. „Dass es<br />
gleichwohl bei einzelnen Mietern, die<br />
zumindest vorübergehend ihre Wohnung<br />
verlassen müssen, zu Unmut kommen<br />
kann, versteht sich wohl von
selbst“, sagt Gläser. Notwendig sei der<br />
Auszug, weil „massiver Schwammbefall“<br />
und „starke Schädigungen der tragenden<br />
Holzbalken“ dazu geführt haben,<br />
dass eine Sanierung nur im<br />
unbewohnten Zustand erfolgen könne.<br />
Nach der vollmundigen Ankündigung<br />
vor anderthalb Jahren verzichtet<br />
die Saga dieses Mal darauf, einen Termin<br />
für Neueinzüge zu nennen. Die Arbeiten<br />
haben offenbar begonnen, so die<br />
aufmerksame Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Leserin.<br />
DER ABRISSKANDIDAT<br />
Diese Villa mit Blick auf die Alster hätte<br />
Menschen beglücken können. Stattdessen<br />
steht das Haus Bellevue 24 laut<br />
Bezirksamt Nord seit zehn Jahren leer.<br />
2013 berichtete das „Abendblatt“, der<br />
Eigentümer verweigere die Sanierung.<br />
Das Bezirksamt erklärte damals nur:<br />
„Die Eigentums- und Nutzungsrechte<br />
sind hier sehr kompliziert.“ Fünf Jahre<br />
später hat sich am Leerstand nichts geändert<br />
– und der Bezirk hat das Problem<br />
auf eigenwillige Weise gelöst:<br />
„Das Haus wurde für unbewohnbar erklärt“,<br />
so ein Sprecher auf Nachfrage<br />
von Hinz&<strong>Kunzt</strong>. „Der Fall ist damit<br />
verwaltungsrechtlich abgeschlossen.“<br />
Stadtgespräch<br />
Offenbar soll die Villa abgerissen werden<br />
– sie wäre nicht die erste, die einem<br />
lukrativen Neubau weichen muss.<br />
DIE STADTVILLA<br />
Der Garten ist ziemlich verwildert.<br />
Doch das Haus Lichtwarkstraße 4 sieht<br />
von außen betrachtet nicht schlecht aus,<br />
wenn man bedenkt, dass hier seit der<br />
Jahrtausendwende niemand mehr gewohnt<br />
haben soll. Bis 2014 residierte eine<br />
Medienagentur in Teilen der Villa.<br />
Weil sie „weniger als 50 Prozent der<br />
Gesamtwohnfläche genutzt hat, wurde<br />
Wohnraum nicht zweckentfremdet“,<br />
erklärte das Bezirksamt Nord im November<br />
auf Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Nachfragen.<br />
Dem Amt ist der Leerstand seit vier<br />
Jahren bekannt. Was wurde seitdem getan?<br />
„Verwaltungs- und Ordnungswidrigkeitenverfahren“<br />
laufen, heißt es.<br />
Mehr will man nicht sagen, „aus Gründen<br />
des Daten- und Vertrauensschutzes“.<br />
Die Einsetzung eines Treuhänders<br />
erscheint dem Amt zu teuer, denn: „Das<br />
Objekt ließe sich nur wieder als Stadtvilla<br />
außerhalb des durchschnittlichen<br />
Wohnungsmarktes verwerten.“ •<br />
Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Zu wenig Wohnraumschützer:<br />
„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit<br />
dienen“, heißt es in Artikel 14 des Grundgesetzes. Trotzdem stehen in Hamburg<br />
geschätzt 4000 Wohnungen leer. 2013 verschärfte der Senat das Wohnraumschutzgesetz.<br />
Wer Wohnraum zweckentfremdet oder leer stehen lässt, dem droht seitdem<br />
eine Geldbuße bis 50.000 Euro. Verhält sich ein Vermieter nicht kooperativ, kann die<br />
Stadt zudem einen Treuhänder einsetzen – sozusagen eine Enteignung auf Zeit.<br />
Bei einem Mehrfamilienhaus in Hamm führte das zur Vermietung lange leer stehender<br />
Wohnungen – ein lobenswerter Einzelfall. Aktuell kämpfen in den sieben Bezirken 19<br />
Mitarbeiter gegen Leerstand und Zweckentfremdung. Was sie zuletzt bewirkt haben, ist<br />
unklar: Die Wohnraumschutzbilanzen 2016 und 2017 will die Stadtentwicklungsbehörde<br />
erst im Frühsommer veröffentlichen.<br />
• UJO<br />
Kommentar<br />
Jetzt handeln!<br />
von Ulrich Jonas<br />
„Eigentum verpflichtet“,<br />
heißt es im Grundgesetz. Die<br />
allermeisten Vermieter halten<br />
sich an diese Vorgabe: Sie<br />
kümmern sich um die Wohnungen<br />
und Mieter. Doch es<br />
gibt auch die anderen: die<br />
Abzock-Vermieter. Denen<br />
müssen die Behörden Grenzen<br />
aufzeigen – mit allen verfügbaren<br />
Mitteln.<br />
Und derer gibt es viele:<br />
In keinem Bundesland ist das<br />
Wohnraumschutzgesetz ein<br />
so scharfes Schwert wie in<br />
Hamburg. Doch die Klinge<br />
darf nicht nur glänzen, sie<br />
muss auch geführt werden:<br />
Warum haben die Wohnraumschützer<br />
erst ein einziges<br />
Mal einen Treuhänder<br />
eingesetzt, um gegen den<br />
Missbrauch von Wohneigentum<br />
vorzugehen? Mindestens<br />
sechs weitere Male hätte das<br />
geschehen müssen – in jenen<br />
Fällen, über die wir hier berichten<br />
(siehe auch S. 10).<br />
Und was spricht gegen<br />
eine dauerhafte Enteignung?<br />
Diese ist nach dem Grundgesetz<br />
ausdrücklich erlaubt –<br />
wenn sie „dem Wohle der<br />
Allgemeinheit“ dient. Der Eigentümer<br />
erhält eine Entschädigung.<br />
Ist er nicht einverstanden,<br />
kann er klagen.<br />
Oft schon haben die Behörden<br />
solche Verfahren geführt,<br />
wenn es um den Bau einer<br />
Autobahn ging. Warum noch<br />
nie bei offenkundigem Missbrauch<br />
von Wohneigentum?<br />
Es geht darum, ein Signal zu<br />
senden an Immobilienbesitzer,<br />
denen die moralische<br />
Reife fehlt, die sie benötigen.<br />
Denen muss der Staat zeigen:<br />
So geht es nicht. •<br />
Ulrich Jonas<br />
behält den Wohnungsmarkt<br />
und<br />
Abzock-Vermieter<br />
für Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
im Auge.<br />
9
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>304</strong>/JUNI <strong>2018</strong><br />
Das Haus am Reetwerder 3 steht inzwischen<br />
unter Zwangsverwaltung.<br />
Die Abzocker<br />
vom Reetwerder<br />
Wegen Gefahr für Leib und Leben wurde ein Mehrfamilienhaus in<br />
Bergedorf evakuiert. Die Mieter sind verzweifelt. Und die Vermieter<br />
sind bei der Staatsanwaltschaft keine Unbekannten.<br />
TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Jetzt haben die Bewohner vom<br />
Reetwerder 3 auch noch ihre<br />
Wohnung verloren. Zumindest<br />
vorübergehend. Am 16. Mai<br />
wurde das Mehrfamilienhaus in Bergedorf<br />
evakuiert. Grund: Nach einem<br />
Schwelbrand erklärte die Feuerwehr<br />
das Haus wegen „Gefahr für Leib und<br />
Leben“ für unbewohnbar. Die 150<br />
meist rumänischen und bulgarischen<br />
Bewohner, darunter 56 Kinder, werden<br />
bis auf Weiteres von der Stadt untergebracht.<br />
Die Bewohner sind verunsichert<br />
und verzweifelt: „Wie soll das denn weitergehen?“,<br />
fragte Mia G. Sie ist eine<br />
der Hauptmieterinnen.<br />
Es war der dritte Einsatz im Reetwerder<br />
seit März. Damals war das<br />
Mehrfamilienhaus in einer konzertierten<br />
Großaktion von Polizei, Feuerwehr,<br />
Bezirksamt, Sozialbehörde und Jobcenter<br />
kontrolliert worden – wegen Verdacht<br />
auf Überbelegung und Mietwucher.<br />
Ein paar Wochen später hatten<br />
die Bewohner kein Wasser mehr – obwohl<br />
sie die Kosten bezahlt hatten, wie<br />
immer mit der Miete. Die kassieren<br />
Daniel F., der Sohn der Vermieterin,<br />
oder ein Mittelsmann in bar ein. Offensichtlich<br />
hatten die F.s das Geld nicht<br />
weitergeleitet. Wieder griff der Bezirk<br />
ein, übernahm vorläufig die Wasserkosten.<br />
Kurze Zeit später hatten einige<br />
Wohnungen keinen Strom mehr. Und<br />
jetzt also die Evakuierung.<br />
Und so geht die Abzockvermieterin<br />
vor: Marlies F. schließt meist Mietverträge<br />
mit einem Hauptmieter. Beispielsweise<br />
mit der Rumänin Mia G. Diese<br />
soll für die Fünf-Zimmer-Wohnung<br />
2000 Euro inklusive Wasser und Strom<br />
bezahlen. Fast in jedem Zimmer lebt<br />
eine ganze Familie. Thema Überbelegung:<br />
Daniel F. soll sogar selbst Mieter<br />
vorgeschlagen haben, wenn ein Zimmer<br />
nicht belegt war. Mia unterschrieb<br />
einen rund 20-seitigen Mietvertrag, der<br />
so kompliziert ist, dass selbst deutschsprachige<br />
Mieter Schwierigkeiten hätten,<br />
durchzublicken.<br />
Trotz der hohen Mieteinnahmen<br />
investierten die Vermieter nichts. Es<br />
gab nicht mal genügend Mülltonnen.<br />
Das Ergebnis: Müll im Hinterhof,<br />
Schimmel und Kakerlaken. Unsere Anfragen<br />
bei den F.s blieben erfolglos.<br />
Für die Staatsanwaltschaft sind die<br />
Vermieter keine Unbekannten. Mutter<br />
Marlies F. war wegen Mietwucher angeklagt.<br />
Sie hatte eine unsanierte 60<br />
Quadratmeter große Wohnung in der<br />
Blumenau für 1500 Euro kalt vermietet<br />
– statt für erlaubte 480 Euro. Das Verfahren<br />
wurde im März gegen Auflagen<br />
und Zahlung einer Geldbuße eingestellt.<br />
Daniel F. wartet noch auf sein<br />
Verfahren: wegen Nötigung in mehreren<br />
Fällen und wegen gewerbsmäßigen<br />
Betrugs. Tatort auch da: die Blumenau.<br />
Vielleicht ist es für die Bewohner<br />
vom Reetwerder beruhigend, dass ihr<br />
Haus inzwischen unter Zwangsverwaltung<br />
steht. Der Bezirk will versuchen,<br />
das Haus möglichst schnell wieder<br />
bewohnbar zu machen. Bis dahin will<br />
Bergedorf „alles tun, was in unserer<br />
Macht steht, um diese schwierige Zeit<br />
für die Bewohner so erträglich wie möglich<br />
zu gestalten“.<br />
Die Mieter brauchen übrigens<br />
keine Angst zu haben, dass sie wegen<br />
Überbelegung automatisch ihre Wohnung<br />
verlieren. Der Gesetzgeber hat<br />
nämlich verfügt, dass soziale Härten<br />
im Falle einer notwendigen Räumung<br />
vermieden und insbesondere keine<br />
Familien getrennt werden sollen.<br />
Am liebsten würden viele Bewohner<br />
natürlich sofort in eine eigene Wohnung<br />
umziehen – wenn sie denn eine<br />
finden würden. •<br />
Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />
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Stadtgespräch<br />
Meldungen<br />
Politik & Soziales<br />
Einkommensgrenzen werden angepasst<br />
Neue Regeln für Sozialwohnungen<br />
Fast 70.000 zusätzliche Haushalte haben künftig Anrecht auf eine Sozialwohnung<br />
in Hamburg. Die Stadtentwicklungsbehörde will im Sommer die Einkommensgrenzen<br />
für Sozialwohnungen um rund elf Prozent anheben. Das bedeutet: Ein<br />
Drei-Personen-Haushalt dürfte anschließend 48.900 Euro im Jahr verdienen, um<br />
noch einen sogenannten Paragraf-5-Schein zu erhalten. Bislang durfte die Grenze<br />
von 44.000 Euro nicht überschritten werden. Das Problem bei der Anhebung: Es<br />
gibt in Hamburg insgesamt nur rund 79.000 Sozialwohnungen. „Diese Entscheidung<br />
ist gut gemeint, doch sie nützt leider nichts, solange die Sozialwohnungen<br />
nicht wirklich da sind“, kritisiert Stephan Nagel von der Diakonie Hamburg. Vor<br />
allem Bedürftigen würde die Anhebung nicht helfen. „Im Gegenteil: Nun wird<br />
der Druck auf die bestehenden Wohnungen noch größer, weil die Gruppe der Berechtigten<br />
stark wächst. Es ist zu befürchten, dass darunter zuerst jene Menschen<br />
leiden werden, die besonders stark von Wohnungsnot betroffen sind.“ JOF<br />
•<br />
Gerechte Stadt<br />
Soziale Durchmischung<br />
Die Forderung nach sozialer Durchmischung<br />
kommt immer dann auf,<br />
wenn es gilt, „Brennpunkte“ oder<br />
„Gettos“ zu vermeiden. Sie geht einher<br />
mit dem Wunsch nach Aufwertung.<br />
Aber profitieren davon ärmere<br />
Bewohner? Und erleichtern Quartiere<br />
mit hohem Anteil an Einwanderern<br />
nicht auch das Ankommen in der<br />
Fremde? Über Vor- und Nachteile<br />
diskutieren Experten bei der Veranstaltungsreihe<br />
„Gerechte Stadt“. JOF<br />
•<br />
Termin: Di, 26.6., 17.30 Uhr, Haus der<br />
Patriotischen Gesellschaft, Trostbrücke 4<br />
Paloma-Viertel<br />
So lebenswert werden die<br />
neuen Esso-Häuser<br />
Es geht voran mit dem Areal, auf<br />
dem einst die Esso-Häuser am Spielbudenplatz<br />
standen. Anfang Mai<br />
konkretisierten Bezirk, Bauherr und<br />
Anwohner-Initiative die Neubaupläne:<br />
Keine teuren Eigentumswohnungen<br />
und 60 Prozent geförderte Wohnungen,<br />
die erst nach 25 Jahren aus<br />
der Preisbindung fallen. Dazu wird<br />
es Dachgärten geben, die für alle zugänglich<br />
sind. Plus: günstige Gewerbemieten,<br />
eine Baugemeinschaft und<br />
viel Platz für Nachbarschaftsinitiativen<br />
auf St. Pauli. Auch der Name des<br />
Areals wird sich ändern: Es entsteht<br />
das „Paloma-Viertel“. Was dort genau<br />
gebaut werden sollte, war jahrelang<br />
hoch umstritten. Kritiker wie die Esso-Initiative<br />
fürchteten einen Ausverkauf<br />
durch die Bayerische Hausbau.<br />
Der Bezirk lenkte ein und eröffnete<br />
ein Beteiligungsverfahren zusammen<br />
mit dem Projekt Planbude. Dessen<br />
Sprecher Christoph Schäfer lobt das<br />
Ergebnis: „Was hier passiert, ist beispielhaft.“<br />
Im Frühjahr 2019 soll der<br />
Bau beginnen, mit einer Fertigstellung<br />
wird Mitte 2022 gerechnet. SIM/JOF<br />
•<br />
Unfall<br />
Obdachloser auf der Ludwig-<br />
Erhard-Straße überfahren<br />
In der Nacht zum 27. April hat ein<br />
Autofahrer auf der Ludwig-Erhard-<br />
Straße am Michel einen Obdachlosen<br />
überfahren und dadurch schwer<br />
verletzt. Das Opfer brach sich bei<br />
dem Unfall nach Angaben der Polizei<br />
das Becken und musste operiert<br />
werden. Zuvor hatte der 42-Jährige<br />
eine körperliche Auseinandersetzung<br />
mit einem anderen Obdachlosen in<br />
der Nähe gehabt. Anschließend habe<br />
er um kurz nach vier Uhr auf dem<br />
mittleren Fahrstreifen gelegen und sei<br />
von dem 40-jährigen Mercedes-<br />
Fahrer überrollt worden. „Warum er<br />
auf der Straße lag und ob der Fahrer<br />
ihn hätte sehen können, wird natürlich<br />
ermittelt“, sagte eine Polizeisprecherin.<br />
Nähere Angaben machte sie bis<br />
Redaktionsschluss nicht. Wie in<br />
solchen Fällen üblich, habe die Polizei<br />
gegen den Fahrer ein Ermittlungsverfahren<br />
wegen fahrlässiger Körperverletzung<br />
eröffnet. BELA<br />
•<br />
Mehr Infos und Nachrichten unter:<br />
www.hinzundkunzt.de<br />
Innere Kraft - für dich & andere<br />
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Taijiquan Meditation<br />
Barmbek, Bahrenfeld, Eimsbüttel, Langenhorn<br />
040-205129<br />
www.tai-chi-lebenskunst.de<br />
11
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Der große Unsinn<br />
Warum<br />
Schwarzfahrer<br />
nicht im<br />
Gefängnis sitzen<br />
sollten<br />
„Schwarzfahrer gehören nicht in den Knast!“, meint Hamburgs Justizsenator Till Steffen<br />
(Grüne). Er will deshalb die Gesetze ändern. Wir meinen: Recht hat er! Denn derzeit<br />
landen Menschen im Gefängnis, denen schlicht das Geld dafür fehlt, eine Fahrkarte oder<br />
Geldstrafe zu bezahlen. Eine unsinnige Praxis, die den Steuerzahler viel Geld kostet.<br />
TEXT UND REDAKTION: ULRICH JONAS<br />
GRAFIKEN/ILLUSTRATIONEN: ESTHER CZAYA (S. 12), GRAFIKDEERNS.DE<br />
6,7 MILLIONEN EURO<br />
Bußgelder wurden vergangenes<br />
Jahr wegen Schwarzfahren<br />
in Hamburg verhängt. Nur 3,8 Millionen<br />
Euro davon wurden tatsächlich bezahlt.<br />
Was die Verkehrsunternehmen<br />
dafür ausgeben, von Schwarzfahrern<br />
nachträglich Geld einzutreiben,<br />
ist dem HVV nicht bekannt.<br />
Quelle: Senatsangaben in DS 21/11782, HVV<br />
69.544<br />
Hilfeempfänger haben 2016 im Monats-<br />
Durchschnitt den Preisnachlass genutzt,<br />
den die Sozialkarte ermöglicht (Zahlen für 2017 liegen noch nicht<br />
vor). Anspruchsberechtigt sind in Hamburg rund 244.000 Menschen.<br />
Somit profitiert nicht mal jeder dritte Hilfeempfänger von dem<br />
Zuschuss. Derzeitige Kosten für die Stadt: 17 Millionen Euro jährlich.<br />
Quelle: Sozialbehörde<br />
843 Menschen in Hamburg wurden 2016 wegen<br />
Erschleichen von Leistungen verurteilt. In den meisten<br />
Fällen handelte es sich um Schwarzfahrer. Gegen 790<br />
wurde eine Geldstrafe verhängt, 19 erhielten eine<br />
Freiheitsstrafe. Zahlen für 2017 liegen noch nicht vor.<br />
164 EURO<br />
pro Person kostet<br />
ein Haft-Tag den<br />
Steuerzahler.<br />
Quelle: Justizbehörde<br />
13<br />
Quelle: Statistikamt Nord sowie Senatsangaben in DS 21/9181<br />
8,20 Euro<br />
monatlich muss ein Hilfeempfänger<br />
von seinem Essens- oder Kleiderbudget<br />
abknapsen, wenn er in Mümmelmannsberg<br />
wohnt und sich eine Teilzeit-<br />
Monatskarte (ehemals CC-Karte)<br />
leisten will. Denn im Regelsatz sind nur<br />
32,90 Euro für Bus- und Bahnfahrten<br />
vorgesehen. Die HVV-Karte jedoch<br />
kostet trotz Zuschuss der Stadt<br />
(„Sozialkarte“) immer noch 41,10 Euro<br />
(statt regulär 62,20 Euro).<br />
Hinzu kommen die Tickets für<br />
Einzelfahrten – etwa zum Jobcenter-<br />
Termin um 9 Uhr morgens.<br />
Quelle: BMAS, Senat, HVV
Quelle: Senatsangaben in DS 21/11782<br />
20 Millionen Euro<br />
jährlich entgehen den Verkehrsunternehmen<br />
mindestens durch Schwarzfahren, so der<br />
HVV. Das sind rund 2,4 Prozent der Gesamteinnahmen<br />
(2016: 825,5 Millionen Euro).<br />
Quelle: HVV<br />
1014<br />
Menschen, die vergangenes Jahr zu einer<br />
Geldstrafe – etwa wegen Schwarzfahrens –<br />
verurteilt wurden, konnten diese laut<br />
Staatsanwaltschaft nicht bezahlen.<br />
4,5 Prozent<br />
betrug vergangenes Jahr<br />
die Schwarzfahrerquote<br />
im Hamburger ÖPNV.<br />
7915<br />
Quelle: Senatsangaben in DS 21/11782<br />
Ermittlungsverfahren wurden vergangenes Jahr<br />
wegen „Beförderungserschleichung“ eingeleitet.<br />
Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik<br />
48 Menschen …<br />
… saßen am<br />
23. Februar <strong>2018</strong> wegen<br />
„Erschleichen von Leistungen“<br />
in einem Hamburger Gefängnis.<br />
Zum Großteil handelt es sich dabei<br />
um Schwarzfahrer, die zu Haft<br />
verurteilt wurden oder eine<br />
Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen.<br />
Wie viele Menschen jährlich<br />
wegen obengenannter<br />
Delikte eingesperrt werden,<br />
wird nicht erfasst.<br />
Quellen: Senatsangaben in DS 21/12115,<br />
Justizbehörde<br />
1,26 Millionen Euro<br />
pro Jahr kostet die Stadt der Gefängnisaufenthalt von Schwarzfahrern, die eine Ersatzfreiheitsstrafe<br />
verbüßen, so eine Hochrechnung der Justizbehörde. Grundlage dieser Zahl ist die Annahme, dass 20 Prozent<br />
der Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe in einem Hamburger Gefängnis verbüßen, Schwarzfahrer sind.<br />
Hinzu kommen die Kosten der Schwarzfahrer, die zu Haft verurteilt worden sind.<br />
Genaue Berechnungen sind nicht möglich, da die dafür nötigen Daten laut Justizbehörde nicht erfasst werden.<br />
Rechnet man die Kosten von Polizisten, Richtern und Staatsanwälten ein, die sich mit der Strafverfolgung von<br />
Schwarzfahrern beschäftigen, dürften die jährlichen Gesamtkosten einige Millionen Euro betragen.<br />
Quellen: Justizbehörde, Senatsangaben in DS 21/12115<br />
14
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Stadtgespräch<br />
Hamburgs Justizsenator<br />
setzt bei<br />
verurteilten Schwarzfahrern<br />
auf gemeinnützige<br />
Arbeit oder<br />
Ratenzahlungen.<br />
„Nicht gerecht“<br />
Justizsenator Till Steffen im Interview<br />
TEXT: ULRICH JONAS<br />
FOTO: STEFAN MALZKORN /JB<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Herr Senator, Sie meinen:<br />
„Schwarzfahrer gehören nicht in den Knast!“ Warum?<br />
TILL STEFFEN: Schwarzfahrer werden nur in krassen Ausnahmefällen<br />
zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die meisten erhalten eine<br />
Geldstrafe und landen im Knast, weil sie die nicht zahlen können.<br />
Das finde ich nicht gerecht. Denn sie werden praktisch<br />
härter bestraft als andere.<br />
Wer eine Geldstrafe nicht bezahlen kann,<br />
kann sie auch mit gemeinnütziger Arbeit ableisten.<br />
Wie lässt sich das noch besser fördern?<br />
Das Ziel muss sein, Ersatzfreiheitsstrafen zu vermeiden. Aber<br />
wir haben ein Problem, die Menschen zu erreichen und ihnen<br />
Alternativen wie Ratenzahlung oder gemeinnützige Arbeit zu<br />
erklären. Dazu muss man wissen: Die Verfahren wegen<br />
Schwarzfahren finden in der Regel auf dem Schriftweg statt,<br />
sodass es keinen menschlichen Kontakt gibt. Hier kann nur<br />
Sozialarbeit helfen: dass jemand bei den Betroffenen vorbeigeht<br />
und man gemeinsam Lösungen findet, um die Haft zu<br />
vermeiden.<br />
Sie fordern weitere „alternative Lösungen“. Welche?<br />
Man könnte Schwarzfahren als Ordnungswidrigkeit fassen<br />
und aus dem Strafrecht herausnehmen. Bei einer Ordnungswidrigkeit,<br />
etwa Falschparken, bekommt man ein Bußgeld<br />
und keine Geldstrafe. Und wenn man das Bußgeld nicht zahlen<br />
kann, muss man sich für zahlungsunfähig erklären. Den<br />
Automatismus, dass aus der Geld- eine Ersatzfreiheitsstrafe<br />
wird, gibt es nicht.<br />
15<br />
Ihr Vorstoß scheint unter den Justizministern der Länder nicht mehrheitsfähig.<br />
Was können Sie tun, wenn es im Bund keine Mehrheit gibt?<br />
Die Chancen für eine Mehrheit sind derzeit besser denn je:<br />
Neben meinen grünen Justizministerkollegen unterstützt auch<br />
mein CDU-Kollege aus Nordrhein-Westfalen die Idee. Und<br />
einig sind sich alle, dass wir gucken müssen, wie wir die Justiz<br />
entlasten können. Dazu gehört die Frage, welche Aufgaben<br />
das Strafrecht ausfüllen muss und welche nicht. Ich finde, die<br />
Verfolgung von Schwarzfahrern gehört nicht dazu.<br />
Und wenn es keine Mehrheit für die Reform gibt?<br />
Das Strafrecht kann nur bundeseinheitlich geändert werden,<br />
deswegen müssen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat<br />
erstritten werden. Anders geht es nicht. •<br />
Kontakt: ulrich.jonas@hinzundkunzt.de<br />
So läuft es – und so könnte es besser laufen:<br />
Wer dreimal ohne Fahrschein erwischt wird, den zeigen die<br />
Verkehrsunternehmen wegen „Beförderungserschleichung“ an<br />
(Paragraf 265a Strafgesetzbuch). Laut Gesetz sind dafür „Freiheitsstrafen<br />
bis zu einem Jahr oder Geldstrafen“ möglich. Bezahlt<br />
ein Verurteilter seine Strafe nicht, kann das Gericht eine Ersatzfreiheitsstrafe<br />
anordnen. Justizsenator Steffen fordert, Schwarzfahren<br />
künftig als Ordnungswidrigkeit zu ahnden. Die Folgen: Die Verfahren<br />
wären einfacher und für den Staat billiger. Schwarzfahrern würde<br />
statt Knast im schlechtesten Fall der Offenbarungseid drohen.
Messi für<br />
einen Tag<br />
Wenn Kinder – vor allem Jungs – einen Ball vor die Füße bekommen,<br />
wird sofort dagegen getreten. Dafür braucht es kein modernes<br />
Stadion und keine Fußball-Weltmeisterschaft – auch nicht in<br />
Russland. Fotograf Caio Vilela war in dem Riesenland unterwegs,<br />
und hat dort Kids beim Straßenkick fotografi ert.<br />
TEXT: ANNETTE WOYWODE
Eine Kulisse, besser als in jedem<br />
Stadion: Über den Dächern von<br />
Russlands ältester Großstadt Derbent<br />
liefern sich Jungs ein kleines Match.<br />
Die in der Republik Dagestan gele gene<br />
Altstadt mitsamt Zitadelle und<br />
Festung wurde 2003 in die Welterbeliste<br />
der UNESCO aufgenommen.
Goldener als der<br />
WM-Pokal glänzen die Kuppeln<br />
der Kathedrale von Saransk<br />
in der Sonne. Die Hauptstadt<br />
der Republik Mordwinien ist<br />
der kleinste der elf russischen<br />
WM-Austragungsorte.
Um Fußball spielen zu<br />
können, braucht es nicht<br />
viel Equipment. Zum Glück,<br />
denn die Tuwiner gehören<br />
einem Turkvolk an, das im<br />
südlichen Teil von Sibirien<br />
teilweise nomadisch lebt.<br />
Ein Ball für die Kids passt<br />
aber garantiert in jede Jurte.
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Fußball-WM<br />
Ob auf dem Gletscher oder am Strand:<br />
Ein Kick in den Bergen hinter Sotschi, der Stadt,<br />
die schon 2014 Austragungsort Olympischer<br />
Winterspiele war. Oder am Wolga-Strand von Samara.<br />
In beiden Orten finden WM-Spiele statt.<br />
F<br />
ünf Uhr nachmittags ist überall auf der Welt<br />
die magische Stunde für Straßenfußball“, sagt<br />
Caio Vilela. Die Schule ist aus, der Job vorbei,<br />
man trifft sich im Park, am Strand oder auf<br />
staubigen Pisten, um der schönsten Nebensache der<br />
Welt nachzugehen, so der Fotograf und Autor. Man<br />
kann Vilela als Experten in Sachen Straßenfußball ansehen.<br />
Schon immer war der 48-jährige Brasilianer weltweit<br />
unterwegs, um für Reisereportagen zu recherchieren.<br />
2002 verschlug es ihn in den Iran. Dort beobachtete<br />
„Ich habe goldene<br />
Momente eingefangen.“<br />
er Kids, die vor der Kulisse einer Moschee kickten. Nicht<br />
das Freizeitspiel war das Besondere. Es hätte auf dem<br />
gesamten Globus genau so stattfinden können. Aber die<br />
islamische Architektur im Hintergrund repräsentierte<br />
die Region und Kultur des Landes auf Anhieb. „In dem<br />
Moment habe ich beschlossen, meine Augen nach solchen<br />
Motiven offen zu halten“, erzählt Vilela. 2009 erschien<br />
sein erstes Buch: „Football without Borders“.<br />
Die vergangenen drei Sommer hat der Brasilianer in<br />
Russland verbracht. Seine Mission zur dortigen Fußball-<br />
Weltmeisterschaft: nach dem iranischen Vorbild Straßenfußball<br />
spielende Kinder abzulichten und gleichzeitig<br />
die Vielfalt der russischen Landschaft und Kultur erlebbar<br />
zu machen. In allen elf WM-Städten war der Fotograf<br />
unterwegs, dazu an markanten Orten wie dem Baikalsee<br />
oder dem Kaspischen Meer.<br />
Am Ziel angekommen, „laufe ich herum oder frage<br />
Taxifahrer, wo hier Kids Fußball spielen“, beschreibt er<br />
sein Vorgehen. Und wenn Caio sie fragt, ob er sie beim<br />
Spiel oder als Mannschaft fotografieren könnte, platzen<br />
sie vor Stolz. „Dadurch, dass ich Fotos von ihnen mache,<br />
fühlen sie sich wie Fußball-Stars“, sagt er. „Sie sind Messi<br />
für einen Tag.“ Dabei sei in Russland Fußball gar nicht<br />
überall gleich populär: In den nördlichen, kälteren Regionen<br />
wie Omsk oder Murmansk werde eher Hockey gespielt.<br />
In den Kaukasusregionen oder an der Wolga dagegen<br />
sei Fußball der Lieblingssport. Doch egal, wo auf<br />
der Welt Caio Vilela seine Straßenfußball-Bilder macht,<br />
er ist fasziniert: „Ich habe goldene Momente von anonymen,<br />
talentierten Kindern eingefangen. All diese Jungs<br />
können jetzt auf den Seiten eines Buches glänzen. So wie<br />
sie täglich auf irgendeinem schmutzigen Feld glänzen –<br />
weit weg von den Augen eines Talentscouts.“ •<br />
Kontakt: annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />
In der autonomen Republik Tschetschenien (oben) ist Fußball extrem<br />
beliebt. Und die Kinder, sagt Fotograf Vilela, sind wahre Kämpfer auf<br />
dem Platz. In Gunib spielen die Lütten sogar auf dem Hauptplatz des<br />
dagestanischen Dorfes. Im Hintergrund die Berge des Nordkaukasus.<br />
Der Fotograf und Autor Caio Vilela<br />
wurde in São Paulo geboren.<br />
Er reiste im Auftrag von Zeitungen<br />
und Magazinen wie National Geographic,<br />
Rolling Stone, Elle oder<br />
Trip Magazine in mehr als 100<br />
Länder auf allen Kontinenten.<br />
Der studierte Geograf organisiert<br />
außerdem Filmdrehs für internationale<br />
Fernseh-Teams.<br />
Von Caio Vilela sind mehrere Bücher über Straßenfußball<br />
erschienen, darunter eines auf Deutsch:<br />
Straßenfußball – Eine Weltreise in Bildern, Spielmacher Verlag,<br />
273 Seiten, gebundene Ausgabe 34,80 Euro. Mehr Infos unter<br />
www.caiovilela.com.br<br />
23
„Der Körper will schlafen, aber der Kopf hat Angst“<br />
„Die Straße ist gefährlich“, sagt Asen, der seit 16 Jahren auf der Straße lebt.<br />
Körperlich attackiert wurde er nie. Trotzdem findet er nachts meistens keinen Schlaf.<br />
Zu groß sei die Angst vor Überfällen oder Angriffen, erzählt der 33-Jährige.<br />
„Der Körper will schlafen, aber der Kopf hat Angst.“ Bis 5 Uhr morgens liegt der gebürtige<br />
Bulgare oft wach und spielt mit seinem Handy. Erst wenn die ersten Passanten wieder zur<br />
Arbeit eilen, fühlt sich Asen sicher. Manchmal allerdings nickt er davor kurz ein.<br />
Neulich war ihm das wieder passiert. Als er die Augen öffnete, waren Tabak und<br />
Cola-Dose weg. Sie hatten direkt neben seinem Kopf gelegen. „Dass jemand so dicht an<br />
mir dran war und ich nichts bemerkt habe, das hat mich richtig erschreckt.“<br />
24
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Stadtgespräch<br />
Warum immer<br />
mehr Obdachlose Opfer<br />
von Gewalt werden<br />
Brandanschläge, Körperverletzungen, Vergewaltigungen: Gewalt gegen Obdachlose<br />
ist an der Tagesordnung. Und Jahr für Jahr werden es mehr Übergriffe, zeigt eine<br />
Statistik des BKA. Ein Experte fordert gezielte Präventionsmaßnahmen.<br />
TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />
PROTOKOLLE: JONAS FÜLLNER<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Der erste Schlag geht direkt<br />
ins Gesicht. Nach dem<br />
zweiten geht der Mann zu<br />
Boden. Acht oder neun weitere<br />
Male schlägt der Malerlehrling hart<br />
und gezielt auf den Kopf seines Opfers<br />
ein, der sich jetzt die Hände schützend<br />
vor das Gesicht hält. Erst Passanten<br />
können den 22-Jährigen stoppen, der im<br />
April 2017 in der Mönckebergstraße<br />
auf einen Obdachlosen losgeht. Dessen<br />
Platzwunde am Hinterkopf muss im<br />
Krankenhaus genäht werden. Der<br />
Schläger wird später zu acht Monaten<br />
Haft verurteilt, ausgesetzt zur Bewährung.<br />
„Einen nachvollziehbaren Grund<br />
für seine Tat gab es nicht“, befinden die<br />
Richter am Amtsgericht.<br />
Es ist einer von zahlreichen Übergriffen<br />
auf Obdachlose im vergangenen<br />
Jahr auf den Straßen Hamburgs.<br />
Hinz&Künztler berichten uns, wie sie im<br />
Schlaf ins Gesicht getreten oder auf einer<br />
Parkbank verprügelt wurden. Mindestens<br />
viermal sind Obdachlose in<br />
Hamburg 2017 sogar Opfer von Brandanschlägen<br />
geworden – zum Glück ohne<br />
tödliche Folgen. „Die Hemmschwelle<br />
scheint gesunken zu sein“, sagt<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiter Stephan<br />
Karrenbauer. Und zwar bei Bürgern,<br />
die Obdachlose angreifen – scheinbar<br />
einfach so oder aber, weil sie sie verachten.<br />
Aber auch bei Obdachlosen selbst,<br />
die wegen des zunehmenden Konkurrenzdrucks<br />
auf der Straße oft vor Gewalt<br />
untereinander nicht zurückschrecken.<br />
Ein Blick in die Kriminalstatistik des<br />
Bundeskriminalamts bestätigt den Eindruck,<br />
dass die Gewalt auf der Straße<br />
zugenommen hat. Seit 2012 werden<br />
dort Straftaten gegen Obdachlose gesondert<br />
ausgewiesen. Es gibt immer<br />
mehr davon: Hatten die Kriminalbeamten<br />
2012 noch 258 Gewalttaten gegen<br />
Obdachlose gezählt, waren es 2017<br />
Täter gehen oft<br />
auf Schwächere<br />
los, um sich<br />
besser zu fühlen.<br />
schon 592. Das ist ein Zuwachs von 129<br />
Prozent in nur fünf Jahren. In Hamburg<br />
schwanken die Zahlen zwischen<br />
56 und 70 im Jahr, trauriger Höhepunkt<br />
auch hier das Jahr 2017. Sogar<br />
ein Mord und zwei Fälle von Totschlag<br />
waren in den vergangenen Jahren darunter.<br />
Und das sind nur die Fälle, die<br />
bei der Polizei angezeigt wurden.<br />
Wie kann das sein? Eine mögliche<br />
Erklärung ist, dass immer mehr<br />
Menschen auf der Straße leben und<br />
dort zu Opfern werden können. Nach<br />
einer Schätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
Wohnungslosenhilfe<br />
(BAGW) hat sich ihre Zahl von 24.000<br />
25<br />
im Jahr 2012 innerhalb von vier Jahren<br />
mehr als verdoppelt: 2016 waren demnach<br />
52.000 Menschen in Deutschland<br />
obdachlos. Und daher oft geschwächt<br />
und wehrlos, sagt die Kriminologin<br />
Daniela Pollich von der Kölner Fachhochschule<br />
für öffentliche Verwaltung.<br />
Damit wären sie für Gewalttäter ein<br />
leichtes Opfer.<br />
Pollich hat untersucht, aus welchen<br />
Gründen Obdachlose Opfer von<br />
Gewalt werden. Oft sei es schlicht die<br />
Gelegenheit, aus der heraus sie angegriffen<br />
würden. „Gerade nachts sind<br />
häufig Wohnungslose auf der Straße<br />
verfügbar, wenn jemandem gerade<br />
danach ist, jemanden zu verprügeln.“<br />
Dazu käme das Desinteresse, mit der<br />
die Gesellschaft Wohnungslosen begegne:<br />
„Wenn man seinen Nachbarn vermöbelt“,<br />
sagt Pollich, „muss man eher<br />
mit gesellschaftlichen Konsequenzen<br />
rechnen, als wenn man sich jemanden<br />
aussucht, der in einer dunklen Ecke<br />
sehr schutzlos und unbeachtet von der<br />
Gesellschaft lebt.“<br />
Die Motive der Täter seien schwierig<br />
zu erforschen, räumt Pollich ein.<br />
Aber oft gehe es ihnen darum, sich<br />
selbst besser zu fühlen, indem sie auf<br />
Schwächere losgehen. „Wenn es noch<br />
jemanden unter einem gibt, ist man<br />
selbst nicht der gesellschaftliche Verlierer“,<br />
sagt die Forscherin. Die Gewalttäter<br />
kämen daher oft selbst aus Milieus,<br />
die gar nicht so weit weg von dem<br />
der Wohnungslosen seien. „Die suchen
„Ich wurde auf der Straße vergewaltigt“<br />
„Für viele Leute ist man auf der Straße nur Dreck“, sagt Maggy. „Wenn dir was passiert,<br />
kommt keiner und hilft.“ Frauen sind häufiger Gewalt ausgesetzt als Männer – vor allem<br />
sexualisierten Übergriffen. Viele obdachlose Frauen schlafen daher immer wieder bei<br />
Bekannten. Und Maggy hat deswegen eigentlich nie alleine Platte gemacht. Im vergangenen<br />
Jahr musste es allerdings doch ein Mal sein. Auf der Mönckebergstraße. Da passierte es:<br />
„Ich wurde auf der Straße vergewaltigt“, erzählt die 55-Jährige. „Zwei deutsche Typen. Mitten<br />
in der Nacht. Die haben mich gepackt, mir die Jogginghose runtergerissen und dann ist einer<br />
über mich her.“ Anzeige hat sie nicht erstattet. Das hätte ja nichts mehr verändert, meint<br />
Maggy. Stattdessen hat sie Hilfe gesucht und inzwischen eine Bleibe gefunden.<br />
26
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Stadtgespräch<br />
sich jemanden, an dem sie sich persönlich<br />
hochziehen können, indem sie ihn<br />
abwerten.“ So wie der Schläger von der<br />
Mönckebergstraße: Als Malerlehrling<br />
verdient der frühere Hauptschüler gerade<br />
einmal 370 Euro im Monat.<br />
Oft schlagen Täter auch zu, weil die<br />
Obdachlosen nicht in ihr Weltbild passen,<br />
weil sie sie für nutzlos halten, für<br />
faul, für Schmarotzer. Einige haben diese<br />
Vorurteile verinnerlicht, andere in<br />
ihr geschlossen rechtsextremes Weltbild<br />
fest eingebunden. Nach einer Zählung<br />
der Amadeo-Antonio-Stiftung sind seit<br />
1990 mindestens 26 Obdachlose von<br />
Rechtsextremisten umgebracht worden,<br />
denen Obdachlose seit jeher als<br />
„unwert“ gelten. Hate Crime – oder<br />
vorurteilsmotivierte Kriminalität.<br />
Mit Vorurteilen kennt Andreas Zick<br />
sich aus. Er leitet das Bielefelder Zentrum<br />
für Konflikt- und Gewaltforschung<br />
und untersucht regelmäßig, welche<br />
Vorurteile in der deutschen<br />
Gesellschaft verbreitet sind. Es ist mitnichten<br />
so, dass nur Neonazis Vorurteile<br />
gegenüber Obdachlosen haben. Seit<br />
Beginn der Untersuchungen vor 14<br />
Jahren hat etwa ein Drittel der Deutschen<br />
solche Ressentiments, findet zum<br />
Beispiel, dass Bettler „aus den Fußgängerzonen<br />
entfernt werden“ sollten.<br />
Verändert hat sich in den vergangenen<br />
14 Jahren, wer genau diese Vorurteile<br />
hegt. Anfangs waren es noch insbesondere<br />
ungebildete Menschen mit<br />
geringem Einkommen. Inzwischen finden<br />
die Forscher solche Ressentiments<br />
in allen Schichten. Die Menschen geben<br />
den Obdachlosen selbst die Schuld<br />
für ihre Lage, unterstellen ihnen allgemeine<br />
Inkompetenz und emotionale<br />
Kälte. „Man möchte Obdachlose nicht<br />
sehen“, sagt Zick. „Und aus dem Vorurteil<br />
kann Handeln entstehen, wenn<br />
sich die Gelegenheit ergibt.“<br />
Nach wie vor hat etwa jeder dritte<br />
Deutsche diese Vorurteile, wie schon<br />
vor 14 Jahren – dennoch nehmen die<br />
Gewalttaten gegen Obdachlose zu. Der<br />
Forscher erklärt sich das mit einer generellen<br />
Entwicklung: „Die Gewalt gegen<br />
gesellschaftliche Randgruppen steigt an<br />
– und sie steckt an“, sagt Zick. Wer<br />
Jeder Dritte<br />
hat Vorurteile<br />
gegen<br />
Obdachlose.<br />
27<br />
etwa gewaltbereit gegenüber Flüchtlingen<br />
sei, habe oft auch das Potenzial,<br />
Obdachlose anzugreifen.<br />
Weil längst nicht alle Fälle aufgeklärt<br />
werden, kann man oft über die<br />
Motive der Täter nur spekulieren. Im<br />
Januar endete vor dem Landgericht<br />
allerdings der Prozess gegen einen<br />
32-Jährigen, der im vergangenen April<br />
in St. Georg den Schlafplatz eines Obdachlosen<br />
angezündet hatte. Nur weil<br />
binnen kürzester Zeit Passanten das<br />
Feuer löschten, war dem Obdachlosen<br />
nichts weiter passiert.<br />
Ein Verbrechen, das viel über das<br />
Leben auf der Straße in Hamburg erzählt.<br />
Denn auch der Brandstifter war<br />
obdachlos, und er kannte sein Opfer.<br />
„Ich wollte ihm mit Sicherheit nicht sein<br />
Leben nehmen“, hatte der Angeklagte<br />
Constantin in der Verhandlung beteuert.<br />
Vielmehr wollte er dem Opfer –<br />
dem 49-jährige Costel – eine Lektion erteilen,<br />
denn der war unter Obdachlosen<br />
für seine Neigung zu Gewalt bekannt.<br />
Immer wieder machte er anderen die<br />
Schlafplätze streitig. „Ich wollte, dass er<br />
sein Verhalten ändert“, begründete<br />
Constantin seine Tat. Tatsächlich hatte<br />
Costel vor Gericht ausgesagt: „Ich werde<br />
in Zukunft zweimal nachdenken, bevor<br />
ich jemanden schlage.“<br />
Viele der Täter, die Obdachlose angegriffen<br />
haben, leben selbst auf der<br />
Straße. Wie viele es genau sind, darüber<br />
macht das Bundeskriminalamt keine<br />
Aussagen. In der Auswertung der Medienberichte<br />
über Gewalttaten der<br />
Bundesarbeits gemeinschaft Wohnungslosenhilfe<br />
trifft es etwa auf die Hälfte<br />
der Fälle zu. Die meisten Übergriffe unter<br />
Obdachlosen landen jedoch wahrscheinlich<br />
weder in der Statistik des<br />
BKA noch in der der BAGW, weil die<br />
Betroffenen sie für sich behalten.<br />
Als im vergangenen September der<br />
Obdachlose Dorian vom Landgericht<br />
wegen versuchten Mordes verurteilt<br />
wurde, weil er aus Neid auf den<br />
Schlafplatz die Platte zweier anderer<br />
Obdachloser angezündet haben soll,<br />
hatte es die Urteilsbegründung in sich.<br />
Das „plausible Motiv“, das der Richter<br />
bei Dorian sah, war der angebliche<br />
Neid auf den „Premium-Schlafplatz“<br />
der beiden. Er sprach wohlbemerkt<br />
nicht von einer Penthouse-Wohnung,<br />
sondern von einer zwar wenigstens<br />
trockenen, aber zugigen Ecke in einem<br />
Parkhaus am Hafen.<br />
„Konkurrenz auf der Straße hat es<br />
schon immer gegeben, aber sie hat in<br />
den letzten Jahren zugenommen“, sagt<br />
Johan Graßhof, Straßensozialarbeiter<br />
bei der Diakonie. Der Druck auf die<br />
Obdachlosen nehme ständig zu, gerade<br />
auf die aus Osteuropa, die kaum Hilfe<br />
von der Stadt bekämen und immer wieder<br />
vertrieben würden. Schon kleine<br />
Streitereien wären dann für sie oft<br />
bereits Anlass genug für körperliche<br />
Auseinandersetzungen.<br />
Aus Sicht von Menschen mit Wohnungen<br />
gehe es dabei häufig um Nichtigkeiten,<br />
sagt Kriminologin Pollich.<br />
Eine Flasche Bier etwa oder eine ausgeliehene<br />
Zigarette könnten zum Auslöser<br />
für eine Schlägerei werden. „Da manifestiert<br />
sich die Anhäufung von Ungleichheit,<br />
schlechten Chancen, Frustration<br />
und Aussichtslosigkeit.“ Anders<br />
gesagt: Wer wie Obdachlose kaum<br />
schläft und lange Zeit auf der Straße<br />
verelendet, bei dem liegen die Nerven<br />
oft schlicht blank.<br />
Den Opfern kann es letztlich egal<br />
sein, ob der Täter eine Wohnung hat<br />
oder nicht. Im vergangenen November<br />
in Ohlsdorf soll ein 27-Jähriger im<br />
S-Bahnhof im Vorbeigehen zunächst<br />
seine Bierflasche über einem schlafenden<br />
Obdachlosen ausgeschüttet haben.<br />
Und als wäre das noch nicht entwürdigend<br />
genug, soll er anschließend die<br />
Flasche zerschlagen und dem Obdachlosen<br />
eine zwölf Zentimeter lange
„Ohne meinen Hund wäre ich verloren gewesen“<br />
„In 14 Jahren auf der Straße habe ich viel Mist erlebt. Immer wieder auch Rangeleien,<br />
aber ganz selten eine Schlägerei“, erzählt Sascha, der inzwischen in einem Wohncontainer<br />
der Kirche lebt. Gewalt auf der Straße sei fast normal. Eine völlig andere Qualität hatte<br />
hingegen der Angriff, den er vor zwei Jahren erlebte. Jemand steckte Saschas provisorische<br />
Behausung in Brand. Die hatte er sich am Rande eines Schrebergartens selber<br />
zusammengezimmert. Der 44-Jährige war da gerade im Tiefschlaf. „Zum Glück hat mein<br />
Hund Pitty angeschlagen und mich geweckt“, erinnert sich der Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer.<br />
„Das war richtig heftig.“ Rechtzeitig konnte er sich noch aus der Holzhütte retten.<br />
Anschließend löschte die Feuerwehr den Brand.<br />
28
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Schnittwunde am Hals zugefügt und ihn so schwer<br />
verletzt haben. Später stellte er sich der Polizei.<br />
„Das Tatmotiv bleibt unklar“, heißt es von der<br />
Staatsanwaltschaft. Seit Ende Mai muss sich der<br />
Mann wegen gefähr licher Körperverletzung vor<br />
Gericht verantworten. Er ist 27 Jahre alt und lebt<br />
noch bei seiner Mutter.<br />
„Die Gesellschaft<br />
sollte sich deutlich<br />
dazu verhalten!“<br />
DANIELA POLLICH<br />
Trotz der vielen Gewalttaten gegen Obdach lose<br />
auf Hamburgs Straßen blieb ein großer Aufschrei<br />
in der Stadt bislang aus. Dabei wäre es laut Kriminologin<br />
Pollich so wichtig, dass man diese Taten<br />
ächtet, weil die Schläger sonst von einer Art „sozialen<br />
Rückendeckung“ ausgingen. „Die Gesellschaft<br />
sollte sich deutlich dazu verhalten“, sagt sie. „Das<br />
würde sicher einige Täter davon abhalten,<br />
zuzuschlagen.“<br />
Konfliktforscher Zick betont, wie wichtig<br />
Aufklärung sei, um solche Übergriffe zu verhindern.<br />
„Menschen, die Kontakt mit Wohnungslosen<br />
haben und etwas über ihre Welt erfahren, haben<br />
deutlich weniger Vorurteile“, sagt er. Deshalb<br />
plädiert er für Programme, die Obdachlose und<br />
Menschen mit Wohnung zusammenbringen: „Entweder<br />
macht unsere Gesellschaft da ein bisschen<br />
mehr, oder wir müssen uns nicht wundern, wenn<br />
wir Gewalt sehen.“<br />
In der Sozialbehörde sieht man jedoch keine<br />
Notwendigkeit für gezielte Präventionsmaßnahmen,<br />
sondern verweist auf ein allgemeines<br />
Programm der Stadt gegen Rechtsextremismus.<br />
„Wir brauchen nicht für jede Gruppe ein eigenes<br />
Programm, sondern müssen alle im Blick haben“,<br />
sagt Sprecher Marcel Schweitzer. Und mit Gewalt<br />
gegen Obdachlose befasse sich die Behörde nicht<br />
explizit: „Das ist Polizeisache.“<br />
Die Polizei aber macht zwar ihre Ermittlungsarbeit,<br />
erfasst die Gewalttaten gegen Obdachlose –<br />
anders als andere Bundesländer – jedoch nicht einmal<br />
gesondert. Um zu erfahren, wie viele Fälle es<br />
in Hamburg gab, muss man das BKA in Wiesbaden<br />
fragen. •<br />
Kontakt: benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />
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Sie uns dabei unterstützen und gleichzeitig den Menschen, die<br />
bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> Heimat und Arbeit gefunden haben, helfen? Dann<br />
hinterlassen Sie etwas Bleibendes – berücksichtigen Sie uns<br />
in Ihrem Testament! Als Testamentsspender wird Ihr Name auf<br />
Wunsch auf unserem Gedenk-Anker in der Hafencity graviert. Ein<br />
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mit Ihrer Spende geben.<br />
29
Katharina Schmidt<br />
begeisterte Masse für<br />
ein Fotoprojekt über<br />
die Sicht von Obdachlosen<br />
auf Hamburg.<br />
Heute arbeitet er<br />
bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> als<br />
Hausmeister.<br />
„Den Spieß umdrehen“<br />
A<br />
uf den ersten Blick ist es<br />
kein besonderer Bulli, der<br />
da unter der Brücke steht.<br />
Weiß, nicht das neueste<br />
Modell, unauffällig, bis man merkt, dass<br />
Reifen fehlen, der Wagen aufgebockt ist.<br />
„Da hat ein Pärchen geschlafen. So zwei<br />
Jahre. Drinnen sah das echt übel aus,<br />
das war so ein typisches Pennermobil“,<br />
Die Gruppenausstellung Home stellt die Frage, was eigentlich ein Zuhause<br />
ausmacht. Auch Obdachlose antworten: mit Bildern aus Einwegkameras.<br />
TEXT: SIMONE DECKNER<br />
FOTOS: MARCUS CHOMSE (2), MAURICIO BUSTAMANTE (PORTRÄT)<br />
sagt Marcus, den alle nur Masse nennen,<br />
und lacht. Er machte damals auch<br />
Platte; sammelte Pfandflaschen, um<br />
über die Runden zu kommen.<br />
Fünf Jahre ist es her, dass er den<br />
Bulli fotografiert hat. In Hammerbrook.<br />
Mit einer billigen Einwegkamera.<br />
Die hatte er von Katharina Schmidt.<br />
Schmidt, eigentlich Mitarbeiterin im<br />
Institut für Geographie an der HAW,<br />
machte damals ein Praktikum im Diakonie-Wohnungslosenzentrum.<br />
Dort<br />
traf sie Masse.<br />
Dort entstand auch die Idee für ihr<br />
Fotoprojekt. Schmidt hatte sich zuvor<br />
schon mit Obdachlosigkeit und besetzten<br />
Häusern beschäftigt. Dabei war ihr<br />
aufgefallen, dass Obdachlosigkeit oft<br />
30<br />
Ein Straßenkünstler<br />
unten am Hafen, ein<br />
abgewrackter Bulli<br />
als Schlafstätte –<br />
aufgenommen von<br />
Masse mit einer<br />
Einwegkamera.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Triennale der Photographie<br />
Alle drei Jahre steigt das Fotofestival in Hamburg, als Gemeinschaftsaktion<br />
der großen Museen, Galerien, Kultur-Institutionen und Veranstalter, begleitet<br />
von Vorträgen, Künstlergesprächen und einer internationalen Konferenz.<br />
Das Festivalmotto dieses Jahr: „Breaking Point. Searching for Change.“<br />
Insgesamt stellen 320 Fotografen an 80 Orten aus, das Programm umfasst<br />
90 Veranstaltungen. Die Triennale findet vom 7. <strong>Juni</strong> bis 30. September an<br />
unterschiedlichen Orten in Hamburg statt. Info: www.phototriennale.de<br />
stereotyp dargestellt wird: „Der Schlafsack<br />
auf dem Boden oder die Schwarz-<br />
Weiß-Porträts von Gesichtern sind ganz<br />
typisch“, sagt sie. Menschen, die selbst<br />
nicht auf der Straße leben, prägten das<br />
Bild von Obdachlosigkeit. „Die Idee<br />
des Fotoprojekts war, den Spieß umzudrehen“,<br />
sagt Schmidt. Sie fand sechs<br />
Obdachlose, die ihren Alltag in Hamburg<br />
festhielten, später interviewte sie<br />
sie, noch später schrieb sie ihre Doktorarbeit<br />
darüber. „Die Leute nehmen an,<br />
dass Obdach- und Wohnungslose völlig<br />
andere Bilder machen von der Stadt“,<br />
so Schmidt, „aber das ist nicht so, die<br />
sind hier ja genauso zu Hause.“<br />
Mittlerweile ist Masse nicht mehr<br />
obdachlos, er arbeitet als Hausmeister<br />
bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Eigentlich hatte Masse<br />
das Fotoprojekt schon vergessen, bis<br />
sein Telefon klingelte und Schmidt ihm<br />
sagte, dass sein Bulli-Foto ausgestellt<br />
werde. Nicht irgendwo, sondern bei der<br />
renommierten Triennale der Photographie.<br />
„Ich war platt“, sagt Masse.<br />
„Home“ heißt die Gruppenausstellung,<br />
in der unter anderem Masses Foto<br />
zu sehen ist. Wie es dazu kam? Auch<br />
Katharina Schmidt bekam einen Anruf:<br />
von den Triennale-Kuratoren Nico<br />
Baumgarten und Stefan Rahner. Ob<br />
Schmidt sich vorstellen könne, ihr Fotoprojekt<br />
auf ihrer Ausstellung zu zeigen,<br />
die sich kritisch mit dem Begriff „Zuhause“<br />
auseinandersetze und auch von<br />
Vertreibung erzähle. Schmidt konnte.<br />
Und so sind nun die Fotos der obdachlosen<br />
Laien neben denen von Profis<br />
wie Andrea Diefenbach zu sehen:<br />
Die Fotografin hat in Moldawien Arbeitsmigranten<br />
begleitet (siehe H&K Nr.<br />
252). Gineke de Rooij dokumentiert<br />
den Alltag in dem ältesten, noch besetzten<br />
Haus in den Niederlanden, dem eine<br />
Räumung droht. Andere Arbeiten<br />
31<br />
nehmen Mexiko und Moers ins Visier.<br />
Zuhause kann an vielen Orten sein.<br />
Raus geht auch die Ausstellung<br />
selbst. Ein Großteil der Fotos wird im<br />
öffentlichen Raum gezeigt: in extra angefertigten<br />
Pavillons, die in der Stadt<br />
verteilt sind – nur das Projekt „Behausungen“<br />
von HAW-Studierenden ist im<br />
Altonaer Museum zu sehen.<br />
Als Masse noch auf der Straße gelebt<br />
hat, hatte er eine Zeit lang viel mit<br />
einem Engländer zu tun. „Der saß immer<br />
unten beim Baumwall, ich habe<br />
ihn jeden Tag gesehen, der gehörte zu<br />
meinem Stadtbild dazu.“ Der Engländer<br />
malte die Elphi – „mit Wasserfarben,<br />
das sah richtig gut aus“, sagt<br />
Masse. Eines Tages war der Engländer<br />
weg. Unterwegs zu einem neuen Zuhause<br />
auf Zeit? Wer weiß. Das Foto,<br />
das Masse von seiner Zufallsbekanntschaft<br />
gemacht hat, ist noch da. Es<br />
hängt jetzt im Pavillon in der Großen<br />
Bergstraße für alle zum Anschauen. •<br />
Kontakt: simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />
Home – Ein Zuhause ist nicht<br />
selbstverständlich!, Gruppenausstel -<br />
lung im öffentlichen Raum, 8.6.–26.8.<br />
Pavillons: Große Bergstraße/Ecke<br />
Altonaer Poststraße, Deichtorhallen,<br />
Marco-Polo-Terrassen/Hafencity,<br />
geöffnet 24 Stunden, Eintritt frei.<br />
Altonaer Museum, Museumsstraße 23,<br />
Mo, 10–17 Uhr, Di geschlossen,<br />
Mi–Fr, 10–17 Uhr, Sa–So, 10–18 Uhr,<br />
Eintritt: 8,50/5 Euro, bis 18 Jahre<br />
freier Eintritt.<br />
Talk mit Katharina Schmidt: „Mehr als<br />
nur ein fotografisches Motiv!“, Fr, 15.6.,<br />
Festivalzentrum Deichtorhallen, Bei den<br />
Deichtorhallen, 20 Uhr, Eintritt frei<br />
<br />
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D'ANGELO<br />
<br />
PARQUET COURTS<br />
<br />
SOUTHSIDE JOHNNY &<br />
THE ASBURY JUKES<br />
<br />
LITTLE STEVEN &<br />
THE DISCIPLES OF SOUL<br />
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MARTIN SUTER<br />
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THE STRING THEORY<br />
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Auch mit 93 Jahren hat<br />
Esther Bejarano noch die<br />
Kraft, regelmäßig gegen<br />
Nazis aufzustehen.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Lebenslinien<br />
Esthers Rache<br />
Esther Bejarano hat das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau überlebt.<br />
Seit Jahrzehnten tut sie alles dafür, dass die Geschichte sich nicht wiederholt.<br />
Auch für die Zeit nach ihrem Tod hat sie bereits vorgesorgt.<br />
TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />
FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Esther hätte daran zerbrechen<br />
können. Sie ist gerade mal<br />
16 Jahre alt, als sie 1943 ins<br />
KZ Auschwitz-Birkenau verschleppt<br />
wird. Dort sieht sie, wie Mitgefangene<br />
in den Stromzaun laufen,<br />
lebens müde angesichts der Qualen im<br />
Konzentrationslager. Doch die Nazis<br />
konnten Esther Bejarano, die damals<br />
noch Loewy hieß, nicht brechen. Sie<br />
wollte unbedingt überleben, erzählt sie<br />
75 Jahre später in ihrer Hamburger<br />
Wohnung. „Wir müssen uns an diesen<br />
furchtbaren Nazis rächen“, habe sie<br />
damals gesagt. Und das motiviert sie<br />
bis heute.<br />
Am 15. Mai <strong>2018</strong> steht sie am Kaiser-Friedrich-Ufer<br />
in Eimsbüttel, an<br />
dem Ort, an dem 1933 die Bücher von<br />
Erich Kästner, Thomas Mann und Karl<br />
Marx brannten. Vor Schülern des Kaifu-Gymnasiums<br />
hält sie eine Rede anlässlich<br />
des Jahrestages der Bücherverbrennung.<br />
Schon zum 17. Mal macht<br />
sie das. Aber auch mit 93 klingt Esther<br />
noch so entschlossen wie eh und je:<br />
„Wir müssen kämpfen, für Frieden und<br />
Freiheit!“, ruft sie den Schülern zu.<br />
Nach der Bücherverbrennung hätten<br />
auch Menschen gebrannt, sagt sie. An<br />
die Verbrechen der Nazis müsse man<br />
deswegen immer wieder erinnern. Das<br />
ist Esthers Art der Rache.<br />
„Auschwitz<br />
kann man<br />
nicht vergessen.“<br />
ESTHER BEJARANO<br />
„Ich weiß, wovon ich rede“, sagt sie ins<br />
Mikrofon. Allerdings: Als Esther im<br />
Viehwaggon nach Auschwitz deportiert<br />
wurde, hatten die Nazis ihre jüdischen<br />
Eltern und ihre Schwester Ruth<br />
bereits ermordet. Sie selbst überlebt die<br />
Hölle im Konzentrationslager nur<br />
knapp. Wohl weil sie im Mädchenorchester<br />
des KZs Akkordeon spielte, verschonten<br />
die Nazis sie. Und weil ihre<br />
Großmutter Christin war, wurde sie<br />
nach einem guten halben Jahr in<br />
Auschwitz in ein Lager nach Ravensbrück<br />
verlegt, in dem sie Zwangsarbeit<br />
für Siemens leisten musste.<br />
Sie hat diese Geschichte schon so<br />
oft erzählt. Auch den Schülern und<br />
Schülerinnen des Kaifu-Gymnasiums<br />
liest sie sie von einem Zettel vor. Es<br />
klingt nüchtern, fast routiniert, wie<br />
Esther von Auschwitz spricht. Aber<br />
33<br />
Routine hat sie nicht, erzählt sie einen<br />
Tag später in ihrem Wohnzimmer. „Das<br />
ist immer ein Wiedererleben.“ Jedes<br />
Mal kommt das Grauen wieder hoch,<br />
auch wenn man es ihr vielleicht nicht<br />
ansieht. „Es ist immer hier drin“, sagt<br />
Esther und zeigt mit dem Finger auf<br />
ihre Schläfe. „Das geht nicht mehr raus,<br />
das kann man nicht vergessen.“<br />
Weil sie Auschwitz nicht vergessen<br />
kann, kann sie auch nicht aufhören, es<br />
den Nazis heimzuzahlen. Esthers Terminkalender<br />
lässt ihr manchmal kaum<br />
Luft zum Atmen. „Ist das alles furchtbar!“,<br />
sagt sie am Telefon, als wir uns<br />
verabreden. Sie meint das allerdings<br />
auch ironisch: Später muss sie herzlich<br />
über ihre Formulierung lachen.<br />
Aber natürlich ist auch was dran:<br />
Esther Bejarano gibt Konzerte in Trier,<br />
Bad Münstereifel und Altenholz, spricht<br />
trotz dicker Erkältung auf einer Kundgebung<br />
am Hamburger Stadthaus und<br />
gibt zwischendrin immer wieder Interviews.<br />
Anstrengender als früher ist es,<br />
räumt sie ein. „Aber es geht mir gut<br />
damit, und es hilft mir auch.“<br />
Es sich einfach in ihrem Garten<br />
gutgehen zu lassen, das wäre nichts für<br />
Esther. „Wenn ich unterwegs bin und<br />
ganz viele Leute kennenlerne, die sich<br />
freuen, dass ich komme, dann ist das<br />
doch eine wunderbare Sache.“
Lebenslinien<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>304</strong>/JUNI <strong>2018</strong><br />
Im Museum der Arbeit<br />
las Esther aus ihrer<br />
Biografie. Danach trat<br />
sie mit dem Rapper Kutlu<br />
Yurtseven (links) und<br />
ihrem Sohn Joram auf.<br />
Im Herbst geht sie auf Jubiläumstour<br />
durch ganz Deutschland. Seit zehn Jahren<br />
steht sie dann schon mit den Rappern<br />
der Microphone Mafia aus Köln<br />
auf der Bühne, einem Moslem mit türkischen<br />
Eltern und einem Christ mit<br />
italienischen. Zusammen mit der Jüdin<br />
Esther und deren Sohn Joram singen sie<br />
antifaschistische und jiddische Lieder.<br />
Gelebte Interkulturalität! „Die beiden<br />
Rapper habe ich eingeenkelt“, sagt<br />
Esther und kichert. „Wir verstehen uns<br />
wunderbar, es ist sehr schön.“<br />
Sogar in Kuba waren sie schon auf<br />
Tour, wie der Bildband „Live in Kuba“<br />
(Verlag Wiljo Heinen) und bald auch ein<br />
Dokumentarfilm eindrucksvoll belegen.<br />
Als die Combo im Februar im<br />
Hamburger Museum der Arbeit auftrat,<br />
kamen 700 Menschen: Ausverkauft!<br />
Vor dem Auftritt war Esther<br />
ganz schön erschöpft, das kommt schon<br />
mal vor. Das eigentlich schon für<br />
diesen Abend geplante Interview mit<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> fällt aus. Auf der Bühne<br />
dann jedoch keine Spur von Müdigkeit.<br />
34<br />
Esther strahlt, flachst mit dem eingeenkelten<br />
Rapper Kutlu Yurtseven und<br />
reißt die Hände beim Singen in die<br />
Höhe. Hier ist Esther Bejarano in ihrem<br />
Element. „Wenn ich dann auf der<br />
Bühne bin, dann ist alles weg“, erklärt<br />
sie später. Beim Partisanenlied „Bella<br />
Ciao!“ singt dann auch das Publikum<br />
mit. Und am Ende jedes Auftritts singt<br />
Esther ihr Lieblingslied: „Wir leben<br />
trotzdem!“. Auch das gehört zu ihrer<br />
Rache an den Nazis.<br />
„Moderne und musikalische Erinnerungsarbeit“,<br />
nennt die Band ihre<br />
Auftritte. Esther Bejarano tut fast alles<br />
dafür, dass sich das Grauen von Auschwitz<br />
nicht wiederholt. Und trotz alledem<br />
muss sie seit einigen Jahren mit ansehen,<br />
wie Rechte in Deutschland<br />
immer mehr Macht erlangen, wie sich<br />
unsere Gesellschaft wieder Schritt für<br />
Schritt nach rechts bewegt. „Das macht<br />
mir Angst“, sagt sie. „Die ganze Entwicklung<br />
ist doch entsetzlich!“ Der Ausruf<br />
„Wehret den Anfängen“ sei längst<br />
überholt, sagt sie. „Wir sind nicht mehr<br />
am Anfang, wir sind mittendrin!“ Mittendrin<br />
in der Zeit, nach der wir später
Lebenslinien<br />
„Wehret den<br />
Anfängen? Wir sind<br />
schon mittendrin!“<br />
H<br />
E X TR ACA R D<br />
I N Z & K U N Z T<br />
ESTHER BEJARANO<br />
vielleicht mal gefragt werden: „Und was habt ihr<br />
damals gemacht, als die Rechten wieder mächtig<br />
wurden?“ Für Esther Bejarano ist die Sache klar:<br />
„Man muss auf die Straße gehen!“ Sie selbst könne<br />
das nicht mehr, aber „die jungen Leute“ hätten die<br />
Pflicht dazu: „Man darf nicht schweigen!“<br />
Ihren Mut verliert sie trotz Rechtsruck nicht.<br />
„Ich verzweifle nicht daran“, sagt Esther. Trotz<br />
Auschwitz, sogar wegen Auschwitz: Sie habe dort<br />
nämlich nicht nur Schlechtes erlebt. „Die Gefangenen<br />
haben zusammengehalten“, sagt sie. „Darum<br />
glaube ich immer noch an die Menschen.“<br />
Aus diesem Glauben schöpft sie Kraft. Schließlich<br />
will sie 100 Jahre alt werden. „Ich habe ja noch<br />
einiges zu tun“, sagt sie und meint das auch so. Sogar<br />
für die Zeit nach ihrem Tod sorgt sie vor: Gibt<br />
Interviews, hält Reden, arbeitet an Dokumentationen.<br />
Damit ihre Geschichte nicht vergessen wird.<br />
Neulich, als sie vor einer Schulklasse gesprochen<br />
hat, kam eine Schülerin auf Esther Bejarano<br />
zu. „Machen Sie sich keine Sorgen“, hat sie zu Esther<br />
gesagt. „Wir werden ihre Geschichte weitererzählen.“<br />
Esthers Rache geht weiter. •<br />
Kontakt: benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />
Filmpremiere: Wo der Himmel aufgeht – Bejarano<br />
und Microphone Mafia in Kuba. Sonntag, 17.6.,<br />
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Redakteur Benjamin Laufer traf Esther in ihrem Wohnzimmer<br />
– und war von ihrer Energie schwer beeindruckt.<br />
35
So viele Obdachlose! Gruppen von 20<br />
bis 30 Menschen, die auf der Straße<br />
lebten. Horia Manolache war geschockt<br />
und verwirrt. Klar kannte der<br />
Rumäne aus seiner Heimat Armut und Obdachlosigkeit,<br />
aber nicht in diesen Dimensionen!<br />
Gerade war der Fotograf in die USA gekommen,<br />
um an einem Studienprogramm<br />
teilzunehmen. Und eigentlich hatte er geglaubt,<br />
überall den gelebten amerikanischen<br />
Traum vorzufinden. Doch dann war er mit einer<br />
Filmkamera in der Haight Street unterwegs,<br />
einer historischen, touristischen Szenestraße<br />
in San Francisco. Dabei sah er die vielen<br />
Obdachlosen und lernte auch einige von ihnen<br />
kennen. Wie konnte das möglich sein?<br />
„Das waren Menschen, die Klavier spielen<br />
können, die in viele Länder gereist sind, Leute<br />
mit Familie“, erinnert sich der 32-Jährige. „Die<br />
meisten hatten zwei Jobs, haben für Geld Musik<br />
gemacht oder handgefertigten Schmuck<br />
verkauft, um zu überleben. Nur die Tatsache,<br />
dass sie schmutzige Kleidung tragen, bringt<br />
andere dazu, sich zu distanzieren. Das ist<br />
furchtbar ungerecht.“ Und als das nächste<br />
Studien projekt anstand, beschloss er, Obdachlose<br />
zu fotografieren. Einmal so, wie sie immer<br />
herumlaufen, und einmal verkleidet, so als wären<br />
sie in ihren Traumberuf geschlüpft.<br />
Es war der Obdachlose Alan (siehe Seite 40), der<br />
Horia Manolache half, das Projekt zu verwirklichen.<br />
„Ich hatte mich mit ihm angefreundet,<br />
und er hat mich Leuten von der Straße vorgestellt,<br />
die er kannte“, erzählt der Fotograf. Er<br />
unterhielt sich mit ihnen und fragte sie nach<br />
ihren Traumberufen.<br />
Anhand der Beschreibung machte sich<br />
Horia auf die Suche nach dem passenden<br />
Kostüm. Sobald er alle Utensilien beisammen<br />
hatte, holte er seine Modelle von der Straße ab<br />
und ging direkt mit ihnen in ein Hotel, das<br />
dem Studenten eigens für sein Vorhaben ein<br />
Zimmer zur Verfügung gestellt hatte. Misstrauen<br />
gegenüber seinem Anliegen hatte keiner<br />
der Obdachlosen: „Ich hatte diesen östlichen<br />
englischen Akzent und wirkte deshalb ein<br />
wenig exotisch, sodass ich kaum Ablehnung zu<br />
spüren bekommen habe“, sagt der Rumäne.<br />
Im provisorischen Fotostudio angekommen,<br />
übernahm Manolaches Frau Haarschnitt und<br />
Make-up, und während der gesamten Zeit unterhielten<br />
sich der Fotograf und seine Modelle.<br />
„Wir haben über ihr Leben gesprochen und<br />
über meines. Es war wie spielen!“<br />
Doch es gab auch traurige Momente:<br />
Shad (siehe Seite 43) begann während des<br />
Fotoshootings zu weinen, erinnert sich Horia.<br />
„Plötzlich hatte er erkannt, dass er noch nie<br />
36<br />
im Leben innegehalten hat, um zu überlegen,<br />
was er vielleicht mal hätte werden wollen. Bis<br />
ich ihn danach fragte.“ Polizist – dieser Beruf<br />
fiel Shad nun ein. Als Kind wurde er von seinen<br />
Eltern regelmäßig schwer misshandelt.<br />
„Um den Schmerz nicht zu spüren, hat er<br />
früh zur Flasche gegriffen“, so der Fotograf.<br />
Doch als Shad am Ende seine Bilder zu<br />
sehen bekam, war auch er begeistert. „In der<br />
Foto grafie gibt es einen Trend zum Schockieren“,<br />
sagt Horia Manolache. Da würden Obdachlose<br />
dann schmutzig, krank und verelendet<br />
gezeigt. Sein Projekt sollte anders sein:<br />
„Ich wollte die Menschen so schön wie möglich<br />
darstellen. Erfüllt und stolz.“ Das ist ihm<br />
gelungen.<br />
•<br />
Kontakt: annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />
Horia Manolache, (32),<br />
geboren in Rumänien, freier<br />
Fotograf und Werbe fotograf.<br />
2017 war er mit seiner Serie<br />
„The Chairs“ Preisträger bei<br />
der Florence Biennale. Aus dem<br />
Traumjob-Projekt ist das Buch „The Prince and<br />
The Pauper“ (60 US-Dollar) entstanden, zu beziehen<br />
unter www.horiamanolache.com/books<br />
Der Paläontologe<br />
Mohamed wuchs in armen Verhältnissen<br />
in Ohio auf, mit seiner<br />
Mutter, zwei älteren Schwestern<br />
und einem jüngeren Bruder.<br />
Als er noch zur Vorschule ging,<br />
berichtete dort eine Gruppe von<br />
Paläonto logen über ihren Job.<br />
Mohamed war fasziniert: Trotz der<br />
Armut, in der er lebte, hatte er<br />
„alle Werkzeuge zu Hause, um so<br />
zu arbeiten wie sie“, erzählt er.<br />
Und: „Ich habe es geliebt, die<br />
Vergangenheit zu entdecken,<br />
draußen zu sein – und Schmutz!“,<br />
sagt er. Doch aus der Paläontologie<br />
wurde nichts: Lange Zeit arbeitete<br />
Mohamed als Profiboxer, „aber es<br />
kam nicht viel Geld dabei rum …<br />
Also hörte ich damit auf“, erzählt<br />
er. In Kalifornien versuchte er sich<br />
als Selbstversorger mit einem<br />
Stück Land. Erfolglos. „Meine<br />
wenigen Ersparnisse waren schnell<br />
aufgebraucht, und so landete<br />
ich auf den Straßen von San<br />
Francisco.“ Um über die Runden<br />
zu kommen, spielte er zuletzt<br />
Gitarre, verkaufte Schmuck und<br />
nahm Gelegenheitsjobs an.
Stolz und erfullt<br />
Kleider machen Leute: Der rumänische Fotograf Horia Manolache<br />
hat Obdachlose aus San Francisco so porträtiert,<br />
als würden sie in ihrem Traumberuf arbeiten. Entstanden<br />
sind eindrucksvolle Bilder einer Verwandlung.<br />
TEXT: ANNETTE WOYWODE
Das Model<br />
Tammy wuchs bei ihren<br />
Großeltern auf. Als<br />
Teenager wurde sie<br />
schwanger, und ihre Großeltern<br />
verlangten von ihr,<br />
dass sie ihren Freund<br />
heiratet. Damals begrub sie<br />
wohl auch ihren Kindheitstraum,<br />
Model zu werden.<br />
Vier Kinder brachte sie zur<br />
Welt. Aber sie hat ihren<br />
Mann nie geliebt.<br />
„Er hat das gemerkt, und<br />
dann habe ich ihn erwischt“<br />
– wie er ihren fünfjährigen<br />
Sohn missbrauchte, erzählt<br />
Tammy. Mitsamt den Kindern<br />
verließ Tammy ihren<br />
Mann, doch ihre Großmutter<br />
half ihm, die<br />
Kinder zu entführen.<br />
Dem Sozialdienst erzählten<br />
sie, Tammy könne kein Geld<br />
verdienen, um die Kinder<br />
zu ernähren. So verging die<br />
Zeit, und irgendwann<br />
wollten die Kinder nicht zu<br />
ihr zurück. „Er hatte sie<br />
einer Gehirnwäsche<br />
unterzogen“, erzählt sie.<br />
Als ihre Großmutter dann<br />
auch noch verhinderte,<br />
dass sie ihr Geld von der<br />
Bank abheben konnte,<br />
wurde Tammy obdachlos.
Der Offizier<br />
bei der Armee<br />
Franks Startbedingungen<br />
waren nicht schlecht:<br />
Seine Eltern hatten viel<br />
Geld, sie beschäftigten<br />
sogar Hausangestellte.<br />
Doch Frank wurde drogenabhängig<br />
und landete auf<br />
der Straße. Heute hat er<br />
zwei Jobs und lebt in einem<br />
selbst gebauten Trailer,<br />
zusammen mit seiner Frau<br />
und einem Pitbull, der<br />
aufpasst, sollte niemand zu<br />
Hause sein. Da der Trailer<br />
nicht zugelassen ist, muss<br />
Frank immer weiterziehen.<br />
„Es ist hart“, sagt Frank.<br />
„Aber obdachlos zu sein ist<br />
noch härter, als in diesem<br />
selbst gebauten Zuhause<br />
zu leben.“ Über andere<br />
Obdachlose sagt er:<br />
„Die echtesten Leute,<br />
die aufrichtigsten, die ich<br />
jemals getroffen habe,<br />
waren Obdachlose …<br />
Leider hast du keinen<br />
Kontakt zu ihnen, kannst<br />
keinen Kaffee trinken mit<br />
ihnen … Sie kommen und<br />
sie verschwinden einfach,<br />
du weißt nicht, was mit<br />
ihnen passiert ist. Du hörst<br />
nie, ob sie gestorben sind<br />
oder so.“
Der Pilot<br />
Alans Kindheitstraum war<br />
es, Pilot oder Astronaut<br />
zu werden. Doch ein<br />
Optometrist sagte, dass<br />
das wegen einer starken<br />
Hornhautverkrümmung<br />
nicht möglich sein würde.<br />
Als sich herausstellte, dass<br />
dies eine Fehldiagnose war,<br />
war der Traum längst ausgeträumt.<br />
Alan fand eine<br />
andere „Leidenschaft,<br />
eine Liebe“: Mit 16 brach<br />
er die Schule ab, um eine<br />
Eventfirma zu gründen<br />
und als DJ zu arbeiten.<br />
Das Geschäft lief gut: 84<br />
Angestellte beschäftigte er.<br />
Doch von einem Tag auf<br />
den anderen musste die<br />
Firma schließen, angeblich<br />
weil die Behörden bei einer<br />
Kontrolle herausfanden,<br />
dass Alan einen Minderjährigen<br />
beschäftigt hatte.<br />
„Ich bezahlte meine Angestellten,<br />
packte meinen<br />
Rucksack und ging in die<br />
Berge“, erzählte er. Fortan<br />
hangelte sich Alan von<br />
einem Job zum nächsten.<br />
In Nord kalifornien bekam<br />
er eine Hütte in den Bergen<br />
geschenkt. Doch vor<br />
drei Jahren vernichtete ein<br />
Waldbrand das Häuschen.<br />
Hilfe vom Staat bekam<br />
Alan nicht, da es sich um<br />
eine illegal gebaute Hütte<br />
handelte. Seitdem ist<br />
Alan obdachlos.
Die Polizistin<br />
Seit ihrem siebten<br />
Lebensjahr spielt Jennifer<br />
Keyboard. Und bis heute<br />
macht sie Musik. „Ich habe<br />
San Francisco immer<br />
geliebt, weil es eine Musikstadt<br />
ist“, erzählt sie. Und<br />
so wanderte sie in den<br />
1980er-Jahren mit ihrem<br />
Mann von Irland in die USA<br />
aus. Doch die Ehe ging in<br />
die Brüche. Jennifer griff<br />
zur Flasche – und wurde<br />
obdachlos. Gegenüber<br />
Horia Manolache sagt sie:<br />
„Mein Abstieg war, dass<br />
ich angefangen habe zu<br />
trinken. Aber weißt du was?<br />
In meinem Alter kümmert<br />
dich das nicht mehr so<br />
sehr.“ Ihr Berufswunsch war<br />
Polizistin. Warum? Das<br />
kann sie selbst nicht sagen.
Der Philosoph<br />
Bills Familie war arm, die<br />
Eltern alkoholkrank. „Ich<br />
bin völlig dysfunktional“,<br />
sagt er über sich selbst.<br />
„Ich kann nur mit extremer<br />
Anstrengung wie ein<br />
normaler Mensch in der<br />
Gesellschaft funktionieren.“<br />
Trotzdem schaffte es<br />
Bill auf die High School<br />
und hatte dort gute Noten.<br />
Besonders das Fach<br />
Philosophie faszinierte ihn.<br />
„Es ist die Wissenschaft<br />
der Wissenschaften“,<br />
findet Bill. „Was du für<br />
die Philosophie brauchst,<br />
ist vielleicht ein Bleistift<br />
und viel Papier.“<br />
Trotzdem brach er mit 16<br />
die Schule ab. Dem vorausgegangen<br />
war ein Aufstand<br />
in Louisville zwischen der<br />
weißen und der schwarzen<br />
Bevölkerung. „Seither<br />
habe ich einen Groll gegen<br />
die Gesellschaft, die<br />
Regierung, die Art, wie sie<br />
Dinge getan haben.“<br />
Bill drehte irgendwelche<br />
krummen Dinger. Und er<br />
hatte Schulden, die er<br />
nicht zurückzahlen konnte.<br />
Anstatt ins Gefängnis zu<br />
gehen, tauchte er unter –<br />
und wurde obdachlos.
Der Polizist<br />
Shad wurde als Kind<br />
schwer misshandelt. Seine<br />
Mutter war Alkoholikerin.<br />
Als er neun oder zehn Jahre<br />
alt war, mussten er und<br />
seine Schwester einen<br />
schweren Unfall mitansehen:<br />
Der Mann von Shads<br />
Mutter wollte seinen Kumpels<br />
im Suff eine Kung-<br />
Fu-Rolle zeigen. Doch er<br />
hielt dabei eine große<br />
Grillgabel in der Hand.<br />
Er machte die Rolle und als<br />
er aufstand, „hatte er sich<br />
mit der Grillgabel<br />
aufgespießt. Sie ragte aus<br />
seinen Rippen – aber er hat<br />
es nicht gefühlt!“, erzählte<br />
Shad. „Und so fanden<br />
wir heraus, dass Alkohol<br />
den Schmerz lähmt.“<br />
Seitdem konsumiert Shad<br />
selbst Drogen und Alkohol,<br />
um seinen Schmerz zu<br />
dämpfen. Nie hatte er sich<br />
gefragt, was er mal werden<br />
will. Er machte sich<br />
zum ersten Mal Gedanken<br />
darüber, als Fotograf<br />
Horia Manolache ihn<br />
danach fragte. „Wir waren<br />
so traumatisiert als Kinder“<br />
sagte Shad und kämpfte<br />
mit den Tränen. „Wir wollten<br />
es einfach nur schaffen,<br />
erwachsen zu werden.“
Freunde<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>304</strong>/JUNI <strong>2018</strong><br />
Für Ralf Below ist es ganz selbstverständlich,<br />
seiner Tochter Sophie soziale Werte vorzuleben.<br />
Mit Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
groß geworden<br />
Bei Familie Below ist Engagement Ehrensache. Papa ist Mitglied<br />
im Freundeskreis, die Tochter organisierte neulich ein Verkäuferfrühstück.<br />
TEXT: MISHA LEUSCHEN<br />
FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />
Sophie Below war schon Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Kundin, als sie gerade laufen konnte.<br />
Ihr Weg zur Kita führte sie und ihre Eltern<br />
damals jeden Tag bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Verkäuferin Steffi vorbei. „Wir waren<br />
gerade von Hannover nach Hamburg<br />
gezogen“, erinnert sich ihr Vater Ralf,<br />
der wie seine Frau bei einer Bank arbeitet.<br />
„Wer von uns Sophie bei der Kita<br />
eingesammelt hat, der machte auch<br />
einen Stopp bei Steffi bei Edeka am<br />
Großen Burstah.“<br />
Nicht nur Sophie, auch die Eltern sind<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> schon seit Jahren verbunden.<br />
„Wir wollten die Stadt kennenlernen<br />
und das Straßenmagazin hat uns<br />
eine andere Sichtweise nahegebracht“,<br />
erklärt Ralf Below. Seit 2004 ist er Mitglied<br />
im Freundeskreis. „Man kann das<br />
Leben nicht verändern, aber man kann<br />
ein kleiner Baustein der Veränderung<br />
sein“, sagt er. Ihm ist klar, wie schnell es<br />
gehen kann mit dem sozialen Abstieg.<br />
„Wenn ich morgens um 7 Uhr durch die<br />
44<br />
Innenstadt zur Arbeit gehe und die<br />
vielen obdachlosen Menschen sehe, die<br />
dort schlafen, dann wird mir bewusst,<br />
was für ein gutes Leben ich führe. Wenn<br />
ich etwas brauche, kann ich es einfach<br />
kaufen. Das ist keine Selbstverständlichkeit.“<br />
Auch deshalb hat er zum 25-jährigen<br />
Jubiläum bei der Bank keine Geschenke<br />
haben wollen, sondern Spenden<br />
für Hinz&<strong>Kunzt</strong> erbeten – mit Erfolg.<br />
Diese soziale Einstellung haben die<br />
Eltern der einzigen Tochter vorgelebt –
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Freunde<br />
wenn auch manchmal mit ein bisschen<br />
Bauchweh, denn die Konsequenzen<br />
waren nicht immer zu steuern. Als kleiner<br />
Fratz setzte sich Sophie in der<br />
U-Bahn ganz unbefangen neben einen<br />
offensichtlich obdachlosen Mann und<br />
erzählte ihm lebhaft, wo sie wohnte, zur<br />
Kita ging und von den Urlaubsplänen<br />
der Familie – „mit genauem Datum“,<br />
erinnert sich Ralf Below grinsend an<br />
sein wachsendes Unbehagen über so<br />
viel Mitteilungsdrang. Zum Abschied<br />
schenkte der Mann Sophie ein abgegrabbeltes<br />
Hanuta, das die Eltern gleich<br />
einkassierten und entsorgten. „Das Hanuta<br />
war noch ganz in Ordnung“, protestiert<br />
Sophie heute noch. „Und passiert<br />
ist auch nichts.“<br />
Sie sei mit einem positiven Bild von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufern groß geworden,<br />
sagt Sophie Below. „Ich finde ihren<br />
,Ehrgeiz‘ gut, ihren Willen, aus ihrer<br />
schwierigen Lebenssituation wieder herauszukommen“,<br />
erklärt die 19-Jährige.<br />
Eine Haltung zu haben, Position zu beziehen<br />
und sich für andere einzusetzen<br />
findet sie selbstverständlich. „Freiwillige<br />
sind in erster Linie älter“, findet sie.<br />
„Wir Jungen wollen auch was tun.“<br />
Bei Carlsberg, wo sie ihre Ausbildung<br />
zur Industriekauffrau absolviert,<br />
hat sie Geld für Hinz&<strong>Kunzt</strong> gesammelt.<br />
700 Euro hat die Belegschaft<br />
gespendet, „das Interesse ist sehr groß“.<br />
Und gemeinsam mit 16 anderen<br />
Teilnehmern eines Seminars entschied<br />
sie sich, ein Osterfrühstück für die<br />
Hinz&Künztler zu machen – als Teamaufgabe<br />
bei einem Sozialtag des Young<br />
Potential Network (YoPo): „Wir wollten<br />
etwas zurückgeben. Ich habe Lust dazu,<br />
mich weiter zu engagieren.“ Ihre<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> kauft die Familie immer<br />
noch bei Steffi. •<br />
Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
JA,<br />
ICH WERDE<br />
MITGLIED<br />
IM HINZ&KUNZT-<br />
FREUNDESKREIS.<br />
Damit unterstütze ich die<br />
Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Meine Jahresspende beträgt:<br />
60 Euro (Mindestbeitrag für<br />
Schüler/Studenten/Senioren)<br />
100 Euro<br />
Euro<br />
Datum; Unterschrift<br />
Ich möchte eine Bestätigung<br />
für meine Jahresspende erhalten.<br />
(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />
Meine Adresse:<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Nr.<br />
Wir danken allen, die im Mai an uns<br />
gespendet haben, sowie allen Mitgliedern<br />
im Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong> für die<br />
Unterstützung unserer Arbeit!<br />
DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />
• IPHH • wk it services<br />
• Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
• Hamburger Tafel • Axel Ruepp Rätselservice<br />
• Hamburger Kunsthalle<br />
• bildarchiv-hamburg.de<br />
• Röder-Stiftung • Clubkinder e. V.<br />
• Dem YoPo-Team für ein<br />
Osterfrühstück im Vertrieb von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
• Sophie Below (Carlsberg)<br />
• Lars Ahrens (Carlsberg)<br />
• Inez Gruczel (Still)<br />
• Lina Rademacher (Still)<br />
• Philipp Ritter (Still)<br />
• Thede Baumann (Still)<br />
• Dennis Stopka (Kendrion Kuhnke)<br />
• Levke Zanter (Carlsberg)<br />
• Marcel Hartmann (Still)<br />
• Nina-Sophie Killat (Carlsberg)<br />
Dankeschön<br />
• Till Tornieporth (Carlsberg)<br />
• Dr. Jörg Kutzim und seinen Kollegen<br />
und Kolleginnen für die Spende<br />
zur Verabschiedung in den Ruhestand<br />
• Hermann Hille und seinen<br />
Geburtstagsgästen<br />
• Martin-Luther Kirche Wentorf und<br />
St. Georg Kirche Büchen-Pötrau für zwei<br />
Frühlingskonzerte mit Klaus Stöckel und den<br />
Musikern Katharina Pooch (Klarinette und<br />
Gesang), Mareike Mehrkens (Geige und<br />
Gesang), Christian Kirchfeld (Klavier),<br />
Peter Friedrich (Klarinette)<br />
• Dominik Bloh für seine Lesung, dem<br />
Nochtspeicher-Team für die Räumlichkeiten<br />
NEUE FREUNDE:<br />
• Theres Gniwotta<br />
• Sebastian Männel<br />
• Dominique Münster-Opiela<br />
• Manfred Pakusius • Ikbal Percin-Lüben<br />
• Franziska Schiemenz<br />
• Udo Schuldt<br />
• Jan Wolter • Kim Zuberbier<br />
PLZ, Ort<br />
Telefon<br />
E-Mail<br />
Einzugsermächtigung:<br />
Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />
Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />
Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />
IBAN<br />
BIC<br />
Bankinstitut<br />
Wir garantieren einen absolut vertraulichen Umgang mit<br />
den von Ihnen gemachten Angaben. Die übermittelten<br />
Daten werden nur zu internen Zwecken im Rahmen<br />
der Spendenverwaltung genutzt. Die Mitgliedschaft<br />
im Freundeskreis ist jederzeit kündbar. Wenn Sie<br />
keine Informationen mehr von uns bekommen möchten,<br />
könnne Sie jederzeit bei uns der Verwendung Ihrer<br />
personenbezogenen Daten widersprechen.<br />
Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />
Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />
Oder online im Freundeskreis anmelden unter<br />
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Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />
45<br />
HK <strong>304</strong>
Buh&Beifall<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>304</strong>/JUNI <strong>2018</strong><br />
Was unsere Leser meinen<br />
„Man kann nicht nur Nutzen aus Eigentum ziehen“<br />
Alle übergeschnappt?<br />
H&K Online, Meldung Knast für<br />
Schwarzfahren<br />
120 Tage Haft bei täglichen<br />
Kosten von 164 Euro. Das sind knapp<br />
20.000 Euro. Für das Geld könnte man<br />
dem Mann fast 20 Jahre lang eine Monatskarte<br />
finanzieren. Oder für zwei<br />
Jahre eine Wohnung. Sind denn absolut<br />
alle übergeschnappt? MICHAEL GRÖNING<br />
Mich kotzt dieses Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Gejammer allmählich an. Ich habe<br />
nichts gegen Obdachlose, es gibt aber<br />
genug andere, die auch große Probleme<br />
haben. Ich konnte mir als Alleinerziehende<br />
mit drei Kindern trotz Erwerbstätigkeit<br />
auch keine Fahrkarten<br />
nach Hamburg leisten. Wir sind nicht<br />
gefahren und haben auch nicht gebettelt.<br />
Blickt mal über euren Tellerrand,<br />
genau wie ihr es von allen anderen erwartet.<br />
HANNELORE BUHR<br />
Anmerkung der Redaktion: Bitte lesen<br />
Sie hierzu auch die Seiten 12 bis 15.<br />
Man kennt ihn einfach<br />
H&K Online, Auszeichnung für<br />
Hinz&Künztler Erich Heeder, siehe<br />
auch Seite 5<br />
Obwohl ich nie bewusst Kontakt<br />
mit ihm hatte, freue ich mich immer,<br />
ihn zu sehen. Ich bin in Mümmelmannsberg<br />
groß geworden und da<br />
kennt man ihn einfach. Ich freue mich<br />
sehr für ihn und wünsche ihm alles<br />
Gute.<br />
VANESSA JOHN<br />
Eigentum verpflichtet auch!<br />
H&K Online, Bergedorf: Mieter im Reetwerder<br />
3 ohne Wasser, siehe auch Seite 10<br />
In so einem Fall von krass unverantwortlichem<br />
und kriminellem Handeln<br />
sollte der Vermieter enteignet<br />
werden. Man kann nicht nur Nutzen<br />
aus Eigentum ziehen wollen. Eigentum<br />
verpflichtet auch! CAROLA MOUTON<br />
Dass diesen Vermietern kein<br />
Riegel vorgeschoben wird, verstehe ich<br />
nicht.<br />
JULIA STRELOW<br />
Nette Verkäufer!<br />
H&K Sonderheft „Lust auf Grün“<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist jede Unterstützung<br />
wert. Informative Zeitung, tolle<br />
Sonderhefte und nette Verkäufer!<br />
DORIS RUDOLF<br />
Leserbriefe geben die Meinung des Verfassers<br />
wieder, nicht die der Redaktion. Wir behalten<br />
uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />
HAMBURGER NEBENSCHAUPLÄTZE<br />
DER ETWAS<br />
ANDERE<br />
STADTRUNDGANG<br />
Wir trauern um<br />
Hubert Rajmund Franaszek<br />
31. Januar 1985 – 28. April <strong>2018</strong><br />
Hubert Rajmund war erst seit Kurzem Verkäufer bei uns.<br />
Er hat auf den Marco-Polo-Terrassen und in der Innenstadt verkauft.<br />
Die Verkäufer und das Team von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Wollen Sie Hamburgs City einmal mit anderen Augen sehen?<br />
Abseits der teuren Fassaden zeigt Hinz&<strong>Kunzt</strong> Orte, die in<br />
keinem Reiseführer stehen: Bahnhofs mission statt Rathausmarkt,<br />
Drogenberatungsstelle statt Alsterpavillon, Tages aufent halts stätte<br />
statt Einkaufspassage.<br />
Anmeldung: Bequem online buchen unter<br />
www.hinzundkunzt.de oder Telefon: 040/32 10 83 11<br />
Kostenbeitrag: 10/5 Euro,<br />
nächste Termine: 10. + 24.6.2017, 15 Uhr<br />
mit Abschiedshaus
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Im Quartier: Mit Krimiautorin Simone Buchholz auf dem Kiez unterwegs (S. 48).<br />
Heimatkunde: Schräge Musik an 61 Orten beim Festival 48h Wilhelmsburg (S. 53).<br />
Angekommen: Hinz&Künztlerin Ewa hat in Hamburg die Liebe gefunden (S. 58).<br />
Sieben Jahrzehnte Straßenfotografie<br />
sind bei der Triennale der Photographie<br />
in den Deichtorhallen zu bewundern.<br />
Nicht überall geht es dabei so stylisch<br />
zu wie 2008 in Moskau (S. 52).<br />
FOTO: ANDREAS HERZAU
„St. Pauli kann<br />
Wunden heilen“<br />
Die Autorin Simone Buchholz kann nicht ohne ihren Kiez:<br />
weder privat noch berufl ich. Ein Gespräch über<br />
dunkle Ecken und die helle Freude am Leben auf St. Pauli.<br />
TEXT: SIMONE DECKNER<br />
FOTOS: STEPHAN BESTMANN<br />
Simone Buchholz’ Kriminalromane<br />
spielen da, wo sie seit<br />
mehr als 20 Jahren jeden Stein<br />
kennt: auf St. Pauli. Wir treffen<br />
die Autorin an den Landungsbrücken.<br />
„Auf ein Fischbrötchen (und ein Astra!)“,<br />
hatte sie gemailt. Aufs Fischbrötchen<br />
verzichtet die 46-Jährige dann<br />
doch („Ich habe so gut zu Mittag gegessen.“),<br />
nicht aber aufs Bier.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Simone, du hast jahrelang für<br />
Frauenmagazine wie „Allegra“ geschrieben,<br />
nun verfasst du sehr erfolgreich Krimis.<br />
Nicht eben artverwandte Genres.<br />
Wie kam es zu dieser Kehrtwende?<br />
48<br />
SIMONE BUCHHOLZ: Der Grund ist: Ich habe<br />
es bei den Frauenmagazinen nicht<br />
mehr ausgehalten (lacht). Ich möchte<br />
keinem meiner ehemaligen Arbeitgeber<br />
ans Bein pissen, aber ich habe das 15<br />
Jahre gemacht. Ich war den Tonfall<br />
leid. Irgendwann wurde ich von einem<br />
Herausgeber gefragt, ob ich eine Kurz-
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Sie war Kellnerin und<br />
Kolumnistin, mittlerweile ist<br />
sie Krimipreisträgerin: Schriftstellerin<br />
Simone Buchholz.<br />
Wieso?<br />
Gewalt findet im Dunkeln statt. Entweder<br />
in finsteren Strukturen oder jemand<br />
sitzt im Dunkeln und man muss gucken,<br />
warum er da sitzt und wer dafür<br />
verantwortlich ist.<br />
Hilft dir deine journalistische Erfahrung<br />
beim Krimischreiben?<br />
Ja! Vor allem beim Recherchieren. Bei<br />
der Polizei ist es wiederum gut, dass ich<br />
keine Journalistin mehr bin. Die haben<br />
keinen Bock, mit Journalisten zu reden.<br />
Ich komme da hin und sage: „Ich<br />
möchte eure Welt kennenlernen, könnt<br />
ihr mir etwas darüber erzählen?“ Ich<br />
möchte Figuren in die Welt stellen, da<br />
bin ich zutiefst Schriftstellerin. Und<br />
damit ich die da reinstellen kann, will<br />
ich wissen, wie diese Welt aussieht.<br />
Deshalb muss ich mit Polizisten reden<br />
und mit Menschen aus dem Milieu.<br />
geschichte schreiben wolle für eine Anthologie.<br />
Darin waren nur Storys von<br />
Frauenmagazin-Autorinnen, die mal<br />
das andere Ende der Fahnenstange testen<br />
wollten. Darauf hatte ich Bock! In<br />
den ersten Romanen ging es mir sehr<br />
um den Tonfall, da haben mich die Kriminalfälle<br />
noch nicht wirklich interessiert.<br />
Das merkt man auch, weil die<br />
Plots sehr schlecht sind (lacht). Wenn du<br />
das eine Weile machst, beschäftigst du<br />
dich aber zwangsläufig mit den dunklen<br />
Ecken einer Gesellschaft.<br />
49<br />
Stichwort Milieu: Es gibt diesen Begriff<br />
Randständige, der oft abwertend benutzt<br />
wird. Deine Krimis spielen in dieser Szene –<br />
unter Gaunern, Gauklern, Abgestürzten.<br />
Deine Hauptfigur, die Staatsanwältin Chastity<br />
Riley, kennt die Kneipen auf dem Kiez<br />
mindestens so gut wie den Gerichtssaal.<br />
Ich finde ja, meine Chastity Riley ist eine<br />
total Randständige! Das sind Leute,<br />
die nicht unbedingt in der Mitte der<br />
Gesellschaft stehen. Sie können deshalb<br />
aber auch manche Dinge besser sehen,<br />
weil sie von außen drauf schauen.<br />
Denen sollte man mal öfter ein paar<br />
Fragen stellen. Wenn du nicht ganz<br />
empathiefrei bist, dann beginnst du,<br />
Mitgefühl zu entwickeln: mit denen am<br />
Rand und in den dunklen Ecken. Dann<br />
kannst du nicht mehr weggucken.<br />
Wie etwa in deinem Roman „Eisnattern“:<br />
Da werden Obdachlose im Karoviertel<br />
zusammengeschlagen und verschleppt.<br />
Zu einer Schlüsselfigur wird auch ein
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>304</strong>/JUNI <strong>2018</strong><br />
In Hanau geboren, im Spessart<br />
aufgewachsen und in Hamburg<br />
hängen geblieben: Der Kiez ist<br />
ihr Zuhause geworden.<br />
Aber es gab immer wieder Leute, denen<br />
es Spaß machte, mich zu demütigen,<br />
offensichtlich. Vielleicht weil ich eine<br />
große Klappe hatte. Vielleicht, weil das<br />
nicht ganz zu meinem Äußeren passte,<br />
das immer ein bisschen püppchenhaft<br />
war, dieses: Busen, Po, blonde Haare,<br />
Kulleraugen. Und dann reißt die das<br />
Maul auf. Nachts auf der Straße festgehalten<br />
werden und denken „Jetzt ist<br />
es so weit“. Oder der Typ, der mich an<br />
der S-Bahn-Station angeschrien hat,<br />
ich sei eine blöde Hure, eine Schlampe,<br />
eine Fotze, einfach so.<br />
Wie hast du dir geholfen in solchen<br />
Situationen?<br />
Ich habe ein paar Selbstverteidigungstrainings<br />
gemacht. Und das, was ich gelernt<br />
habe, auch schon ausprobiert. Ich<br />
bin schon mit blauen Flecken rausgegangen<br />
aus Situationen.<br />
Obdachloser: ein Typ, den alle wegen seines<br />
wilden Aussehens nur Wolfsmann nennen.<br />
Den habe ich sehr gern. Ob ich den<br />
mal in Echt gesehen habe oder ob ich<br />
mir den ausgedacht habe, kann ich dir<br />
gar nicht mehr sagen (lacht). Warum<br />
aber sollte ich Obdachlose anders<br />
beschreiben als andere Menschen? Ich<br />
laufe viel durch St. Pauli, und ich kenne<br />
die Jungs und Mädels auch. Ich bin<br />
immer ganz erschüttert, wenn ich sehe,<br />
dass jemand abstürzt aus der Situation,<br />
in der er eh schon ist. Andererseits habe<br />
ich neulich jemanden wiedergesehen,<br />
von dem ich dachte, der wäre tot. Der<br />
sah gut aus und ging in seine Wohnung.<br />
Zurück zu deinen Krimis: Brutal<br />
beschriebene Gewaltexzesse findet man<br />
darin nicht. Warum?<br />
Choreografierte Gewalt ist wie Ballett.<br />
Das interessiert keinen. Das ist langweilig.<br />
Gewaltdarstellungen bedienen<br />
Voyeurismus. Solchen Leuten will ich<br />
keine Vorlagen liefern. Und es ist nicht<br />
wichtig für die Geschichte.<br />
Dich interessiert mehr das<br />
„Warum?“ und das „Was jetzt?“.<br />
Genau.<br />
Du hast selbst schon Gewalt erfahren.<br />
Als Mädchen, so hast du in einem<br />
Interview gesagt, warst du „das klassische<br />
Opfer, das auf der Straße festgehalten oder<br />
angegrapscht wurde“.<br />
Ich kenne das nicht anders. Auf dem<br />
Schulhof war es die Faust in den Bauch,<br />
die unvermittelt kam. Ich dachte immer,<br />
ich bin selbstbewusst, kein Opfer.<br />
„Warum soll ich<br />
Obdachlose anders<br />
beschreiben<br />
als andere?“<br />
50<br />
Gehst du mit solchen Situationen anders um,<br />
seit du auf St. Pauli lebst?<br />
Ja. Eine Zeit lang habe ich Leuten, die<br />
mich auf der Straße angemacht haben,<br />
gesagt: „Pass mal auf. Ich wohne hier<br />
seit zehn Jahren. Wenn du Ärger haben<br />
willst, kannst du gerne weitermachen,<br />
aber ich spreche hier nicht von der Polizei.“<br />
Das hat manchmal gewirkt. Man<br />
lernt in einem Umfeld, in dem direkt<br />
kommuniziert wird, direkt zurückzukommunizieren.<br />
Aber Klappe aufreißen<br />
kann auch schiefgehen. Aber ich<br />
kenne jeden Stein auf St. Pauli. Da stolpere<br />
ich nicht. Da habe ich natürlich eine<br />
andere Ausstrahlung. Aber mir passiert<br />
auch in fremden Städten nicht<br />
mehr so viel.<br />
Du bist in Hanau geboren. Mit 20 Jahren<br />
kamst du dann nach Hamburg.<br />
Ja, ich musste wegen Liebeskummer<br />
schnell abhauen aus Süddeutschland.<br />
Das war Mitte der 1990er, man hätte<br />
vermutlich nach Berlin gehen müssen.<br />
Aber ich hatte das Gefühl, ich könnte<br />
da verloren gehen – so wie ich drauf<br />
war. In Hamburg habe ich zuerst drei<br />
Monate bei meiner Tante Anne in<br />
Neugraben in der Dachgeschosswohnung<br />
gelebt. Von da bin ich immer mit<br />
der S-Bahn bis zum Dammtor gefahren<br />
und hab so ein bisschen an der Uni<br />
rum geluschert und habe dann irgendwie<br />
gemerkt, dass Hamburg mich<br />
rettet.
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Viele sagen ja, Hamburg sei schwer zu knacken;<br />
die Leute so distanziert.<br />
Fand ich überhaupt nicht. Ich habe auch ganz<br />
schnell Freunde gefunden, als ich bei der „Allegra“<br />
angefangen habe. Meine beste Freundin damals<br />
wohnte in der Budapester. Wir sind da immer rumgelaufen,<br />
und ich habe gemerkt, wie ich so Wurzeln<br />
schlage. Ich werde das nie vergessen, diesen<br />
Moment. Das war ein sehr schönes Gefühl. Ich<br />
glaube, St. Pauli kann Wunden heilen.<br />
„Choreografierte<br />
Gewalt ist wie<br />
Ballett. Langweilig.“<br />
Der Stadtteil ist dafür berüchtigt, dass er Wunden<br />
schlägt! Dass die Leute da auf sich aufpassen müssen.<br />
Die Menschen, die da leben, behandelt der Stadtteil<br />
sehr gut. Man kennt sich ja auf St. Pauli. Ich<br />
werde ja ganz oft gefragt: „Ey, jetzt wächst dein<br />
Kind auf St. Pauli auf, ist das nicht bescheuert?“<br />
Und ich sage dann: „Nein, nein! Das ist die nächste<br />
Generation. Und die kriegen hier Leben in all seinen<br />
Facetten.“ Mein Sohn weiß, seit er drei Jahre<br />
alt ist, dass es arme Menschen gibt. Dass man<br />
denen, die auf der Straße leben, Geld geben muss.<br />
Muss, sagt er! Denen man bei Edeka was raus<br />
bringt, wenn die da stehen. Er sieht sofort: Hat der<br />
Zähne, hat der keine Zähne? Dann holen wir eine<br />
Banane oder einen Joghurt. Der weiß auch, dass<br />
man da auch mal ein bisschen Geld für ein Bier<br />
raustun muss, weil es guttut. Und das finde ich so<br />
wichtig! Egal, was er später draus macht. Ich finde<br />
es viel bedrohlicher für die Gesellschaft, wenn<br />
Kinder in Wellingsbüttel aufwachsen. •<br />
HALLO,<br />
DOLLY!<br />
MUSICAL VON STEWART /<br />
HERMAN / WILDER<br />
27.5. – 8.7.<strong>2018</strong><br />
Kartentelefon: 040 / 35 08 03 21 oder<br />
online buchen: www.ohnsorg.de<br />
Foto: Sinje Hasheider<br />
Kontakt: simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />
Lesung bei „Die lange Kriminacht: Huren,<br />
Gauner, feine Hanseaten – Neue Krimis aus<br />
Hamburg“, Fr, 8.6., 19.30 Uhr, Speicherstadtmuseum,<br />
Am Sandtorkai 36, 15 Euro. Reservierung<br />
empfohlen unter info@speicherstadtmuseum.de<br />
oder Telefon 32 11 91.<br />
51
Kult<br />
Tipps für den<br />
Monat <strong>Juni</strong>: subjektiv<br />
und einladend<br />
Ausstellung<br />
Starke Porträts mit Eigensinn<br />
Wie wird aus einem Foto ein Kunstwerk?<br />
Mit der Suche nach dem besonderen<br />
Etwas in der Fotografie beschäftigt<br />
sich das Bucerius Kunst Forum<br />
anlässlich der Hamburger Phototriennale<br />
und widmet sich dabei dem Werk<br />
von Anton Corbijn. Der niederländische<br />
Fotograf wurde vor allem mit eindrucksvollen<br />
Porträts von Bands und<br />
Musikern bekannt: Er arbeitet im Auftrag<br />
von U2, Joy Division, den Rolling<br />
Stones, Tom Waits oder Depeche<br />
Mode, die oft genau wussten, wie sie<br />
wirken wollten. Trotzdem bewahrte<br />
Der will nicht nur spielen: „Black Flag“-Sänger<br />
Henry Rollins, fotografiert von Anton Corbijn.<br />
Corbijn seine künstlerische Freiheit.<br />
Zur Eröffnung der Ausstellung „The<br />
Living and the Dead“ erzählt er im<br />
Künstlergespräch, wie ihm das gelang. •<br />
Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2,<br />
Eröffnung: Do, 7.6., 18 Uhr, Eintritt 10/8<br />
Euro, www.buceriuskunstforum.de<br />
52
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Festival<br />
Vhram zeigt virtuelle Welten<br />
Eine andere Realität ist möglich –<br />
das zeigen internationale Künstler<br />
bei Vhram, dem ersten Festival<br />
für Virtual Reality im Oberhafen.<br />
Ausgestattet mit VR-Brillen können<br />
Besucher hier Kunstwerke erleben,<br />
als steckten sie mittendrin. Künstler<br />
zeigen, wie sie arbeiten, diskutieren<br />
mit dem Publikum und der erste<br />
„Vrhammy“ wird verliehen. Zukunftweisend?<br />
So kann man das sehen. •<br />
Halle 2, Stockmeyerstraße 41, 7.–17.6.,<br />
Eintritt frei, www.vrham.de<br />
FOTOS: ANTON CORBIJN, FABRICE MAZLIAH, JAN LINNEMANN<br />
Festival<br />
Raum für Experimente<br />
Zum Live Art Festival soll Kampnagel zum Kunstzentrum der Zukunft umgestaltet<br />
werden. Dazu dürfen sich Kunstschaffende aus verschiedenen Ländern in<br />
den Räumen austoben und testen, wie ihre Gestaltungsideen beim Publikum<br />
an kommen. Fabrice Mazliah schafft zu dem Zweck einen fiktiven Staat, in dem<br />
ein herrschaftsfreies und basisdemokratisches Zusammenleben gedeihen soll.<br />
Staats tragend sind dafür mehr als 250 Topfpflanzen, die das Festivalzentrum vier<br />
Tage lang in eine tropische Insel verwandeln. •<br />
Kampnagel, Jarrestraße 20, 7.–16.6., Eintritt 8–32 Euro oder frei. Wer dem eigenen<br />
Gummibaum etwas künstlerische Entfaltung gönnen will, kann ihn vom 13.–16.6. als<br />
Darsteller in Mazliahs „Garden State*Hamburg“ anmelden unter der E-Mail<br />
presse@kampnagel.de oder Telefon 270 94 93 42. Weitere Infos unter www.kampnagel.de<br />
Festival<br />
Musik ist in der kleinsten Hütte<br />
Ein Death-Metal-Konzert erschüttert<br />
die Haspa-Filiale, im Büro des<br />
Umweltsenators wird zu Gypsy Swing<br />
getanzt und am Kanal gibt’s Beatbox<br />
vom Balkon. Was da los ist? Auf den<br />
Elbinseln steigt wieder das Musikfestival<br />
„48h Wilhelmsburg“. Hier spielen<br />
Nachbarn für Nachbarn an den ungewöhnlichsten<br />
Orten. Sogar auf den<br />
Wasserstraßen Wilhelmsburgs spielt<br />
die Musik: Das Floß „Schaluppe“ ist<br />
unterwegs und nimmt alle mit, die<br />
vom Bummel durch den Stadtteil zwischendurch<br />
verschnaufen wollen. •<br />
48h Wilhelmsburg, 163 Konzerte an 61<br />
Orten, 8.–10.6., Eintritt frei, Spende<br />
erwünscht, www.musikvondenelbinseln.de<br />
Der Kumpir-Laden wird zur Bühne –<br />
hier für „The Ambient Noise“.<br />
Auch Ihre Grünlilie kann hier groß rauskommen:<br />
„Garden State*Hamburg“ lebt von botanischer Vielfalt.<br />
Ausstellung<br />
St. Pauli Art zum letzten Mal<br />
Hier bekommen Nachwuchskünstler<br />
eine Chance: Bei St. Pauli Art stellen<br />
Leute aus, die ihre Kunst bisher<br />
selten oder noch nie öffentlich zeigen<br />
konnten. 17 Künstler zeigen so Bilder,<br />
Fotos und Installationen zum Thema<br />
„Auf andere Weise“. Das Format<br />
findet leider zum letzten Mal statt. •<br />
Kölibri, Hein-Köllisch-Platz, Sa, 9.6.,<br />
und So, 10.6., ab 12 Uhr, Eintritt auf<br />
Spendenbasis, www.gwa-stpauli.de<br />
Vortrag<br />
Die 68er im Osten Europas<br />
Was Revolten der 1968er in der BRD<br />
bewirkten, ist bekannt – doch was tat<br />
sich hinter dem Eisernen Vorhang?<br />
Auch in Osteuropa war 1968 ein Jahr<br />
des Umbruchs, wie eine Vortragsreihe<br />
in der Stabi zeigt. Der erste Vortrag erzählt<br />
von Studentenrevolten und antisemitischen<br />
Kampagnen in Polen. •<br />
Staats- und Universitätsbibliothek,<br />
Von-Melle-Park 3, ab Mi, 13.6., 18.15 Uhr,<br />
Eintritt frei, www.stabi.hamburg/blog<br />
Konzert<br />
Wundersamer Jazz<br />
Mit kindlichem Staunen und messerscharfem<br />
Intellekt bedichtet Jacques<br />
Palminger die Welt. Das virtuose<br />
„440 Hz Trio“ spielt Jazz dazu. •<br />
Schanzenzelt, Sternschanze 1 (im Park),<br />
Mi, 13.6., Einlass19 Uhr, Eintritt 17 Euro<br />
(VVK), www.schanzenzelt.de<br />
53
Festival<br />
Kosmopolitische Kammermusik<br />
Klassik aus dem Hier und Jetzt – damit<br />
hat der resonanzraum einen neuen<br />
Anziehungspunkt in der Hamburger<br />
Musikszene geschaffen. Überraschende<br />
Hörerlebnisse verheißt auch das Festival,<br />
zu dem das Ensemble Resonanz in den<br />
Bunker an der Feldstraße einlädt. Drei<br />
Abende wollen die Musiker und ihre<br />
Gäste zeigen, wie variantenreich<br />
und sogar tanzbar Kammermusik sein<br />
kann – und dass da immer wieder<br />
Neues kommt. Eröffnet wird das Festival<br />
mit der Uraufführung von „Stoff“,<br />
einem Stück von Enno Poppe, das der<br />
Komponist selbst dirigiert. Damit ist<br />
die Bühne frei für Experimente und<br />
Klassische Streicher experimentieren mit<br />
modernen Sounds. Garantiert ungehört.<br />
Improvisationen, in die sich im Laufe<br />
des Festivals immer wieder persische,<br />
türkische und griechische Klänge einmischen<br />
– analog wie elektronisch. •<br />
resonanzraum, Bunker an der Feldstraße,<br />
21.–23.6., Do + Fr ab18 Uhr, Sa ab 21 Uhr,<br />
Eintritt 20/15 Euro, Festival-Pass 60 Euro,<br />
www.resonanzraum.club<br />
54
FOTOS: JAN WILKEN, FABIAN STUERTZ, PRIVAT<br />
Flo und Quichotte haben<br />
ein Herz für Außenseiter.<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Konzert<br />
Quichotte rappt für die gute Sache<br />
„Die Welt ist rau geworden, und es sind harte Zeiten“, rappt Quichotte und<br />
erzählt von einem Obdachlosen, mit dem er vor dem Supermarkt ins Gespräch<br />
gekommen ist. Für den Rapper und Slampoeten ist das Leben gut gelaufen, jetzt<br />
will er etwas zurückgeben:<br />
Zusammen mit Flo, dem<br />
Gitarristen seiner früheren<br />
Band „Querfälltein“, ist er<br />
auf Tour unter dem Motto<br />
„Wir haben was für euch<br />
übrig“. Dabei spielen die<br />
beiden ihre Songs über liebenswerte<br />
Pechvögel und<br />
unangepasste Alltagskämpfer.<br />
Um es nicht bei Worten<br />
zu belassen, spenden sie<br />
einen Teil ihrer früheren<br />
Gagen an Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
sowie an Basis&Woge e. V.<br />
Wir sagen Danke! •<br />
Nochtspeicher, Bernhard-<br />
Nocht-Straße 69, Di, 19.6.,<br />
19 Uhr, Eintritt frei,<br />
www.nochtspeicher.de<br />
Bühne<br />
Damen in Wallung<br />
Es ist ein heißes Eisen, es geht unter<br />
die Gürtellinie – und nein, die Rede<br />
ist hier nicht vom Bügeln, sondern<br />
von Gerburg Jahnkes Coup: „Heiße<br />
Zeiten – Die Wechseljahre-Revue“.<br />
In gewohnt hemmungsloser Manier<br />
nimmt die Kabarettistin die heikle<br />
Lebensphase aufs Korn, die früher<br />
oder später jede Geschlechtsgenossin<br />
von einer Extremsituation in<br />
die nächste stürzt (Männer, die sich<br />
bisher nicht angesprochen fühlen,<br />
dürfen die Show als Einführung in<br />
eine ganz eigene Welt verstehen). •<br />
St. Pauli Theater, Spielbudenplatz 29–30,<br />
ab Di, 19.6., 19.30 Uhr, Eintritt 27,90 bis<br />
54,90 Euro (VVK). Weitere Infos unter:<br />
www.st-pauli-theater.de<br />
Unter allen, die uns bis zum 3.6. an<br />
info@hinzundkunzt.de eine Mail schicken<br />
(Stichwort „Heiße Zeiten“), verlosen wir<br />
dreimal zwei Karten für die Veranstaltung<br />
am Donnerstag, 21.6.<br />
Vortrag<br />
Suche nach der Fußballformel<br />
Warum trifft der nicht? Diese Frage,<br />
bei der die Zuschauer während der<br />
Fußball-WM immer wieder um Fassung<br />
ringen, ist im Körberforum ein<br />
Fall für die Wissenschaft. Der Physiker<br />
Metin Tolan berechnet mit kühlem<br />
Kopf, wie das Runde ins Eckige gelangt,<br />
warum selbst bei tadellosem<br />
Schiedsrichtereinsatz nicht immer die<br />
bessere Mannschaft gewinnt und erläutert<br />
physikalische Fußballstrategien.<br />
Ob die Fußballformel aufgeht?<br />
Die Probe aufs Exempel gibt es anschließend<br />
beim Live-Viewing. •<br />
Körberforum, Kehrwieder 12, Do, 28.6.,<br />
18 Uhr, Eintritt frei, Anmeldung ab<br />
Do, 14.6. unter www.koerber-stiftung.de<br />
Über Tipps für Juli freut sich Annabel<br />
Trautwein. Bitte bis zum 10. <strong>Juni</strong><br />
schicken: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Kinofilm des Monats<br />
Sind wir<br />
bald da?<br />
Lange Autofahrten sind das<br />
Labskaus der Mobilität. Findet<br />
man entweder toll oder<br />
furchtbar. Ich mag die große<br />
Tour. Den Segen stundenlanger<br />
Unproduktivität, die vorbeirauschende<br />
Landschaft …<br />
Wenn da nicht manchmal<br />
die Beifahrer wären, die<br />
die Meditation stören. „Können<br />
wir zu McDonald’s?“<br />
Und: „Wie lange noch?“ In<br />
Letzterem gründet der Stoff,<br />
aus dem Road Movies gestrickt<br />
sind. Zumindest „Camino<br />
a La Paz“, je nach<br />
Interpretation „Die Straße<br />
nach La Paz“ oder „Der Weg<br />
zum Frieden“.<br />
Sebastián ist frisch vermählt<br />
und ständig pleite. Als<br />
er einen Chauffeurjob angeboten<br />
bekommt, wittert er<br />
seine Chance. Sein Passagier<br />
Jalil, ein älterer strenggläubiger<br />
Muslim, will von Buenos<br />
Aires in die bolivianische<br />
Metropole La Paz reisen, verspricht<br />
ein stattliches Salär.<br />
Doch schon bald wird der Job<br />
zur Geduldsprobe. Nicht nur,<br />
dass sein Gast ständig aufs<br />
Klo muss, Knoblauch kaut<br />
oder ungefragt Mitreisende<br />
einlädt. Auch die Gebetspausen<br />
halten die Reise auf.<br />
Dann ist da noch das Dialysegerät<br />
auf dem Dach …<br />
Mit Gespür für feinen<br />
Wortwitz zeichnet der Regisseur<br />
Francisco Varone nicht<br />
nur die Konflikte nach, die<br />
zwei starke Charaktere auf<br />
engem Raum austragen. Er<br />
beschreibt auch, wie Reisen<br />
Menschen verändert.<br />
Kinostart: 7.6. •<br />
André Schmidt<br />
geht seit<br />
Jahren für uns<br />
ins Kino.<br />
Er arbeitet in der<br />
PR-Branche.<br />
55
<strong>Kunzt</strong>&Comic<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>304</strong>/JUNI <strong>2018</strong><br />
56
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Rätsel<br />
ILLUSTRATION (BLEISTIFT IM IMPRESSUM): BERND MÖLCK-TASSEL<br />
veraltet:<br />
Beruf,<br />
Gewerbe<br />
Kulturpflanze,<br />
Körnerfrucht<br />
Stadt in<br />
Niedersachsen<br />
Tierhaut,<br />
-kleid<br />
Lamaart<br />
mit Fell<br />
zur Wollgewinnung<br />
Inseleuropäer<br />
Staat<br />
der USA<br />
Staat in<br />
Vorderasien<br />
jemand,<br />
der Süßigkeiten<br />
liebt<br />
Gabe des<br />
Bußempfindung<br />
Zurechtfindens<br />
Ortschaft<br />
Milchorgan<br />
bei Tieren<br />
8<br />
2<br />
4<br />
6<br />
1<br />
1<br />
5<br />
3<br />
2<br />
7<br />
5<br />
6<br />
„Grautier“,<br />
Dauer-<br />
polare<br />
„Langohr“ eisdecke<br />
arabisches<br />
Grußwort<br />
Stadt an<br />
der Maas<br />
(Frankreich)<br />
Konservierung<br />
3<br />
6<br />
4<br />
8<br />
9<br />
schmale,<br />
kleine<br />
Brücke<br />
8<br />
6<br />
3<br />
1<br />
10<br />
4<br />
4<br />
Kurort im<br />
Tessin<br />
(Schweiz)<br />
9<br />
6<br />
5<br />
unbest.<br />
weibl.<br />
franz.<br />
Artikel<br />
den<br />
Ackerboden<br />
bearbeiten<br />
Prachtstraße<br />
(franz.)<br />
5<br />
5<br />
2<br />
4<br />
1<br />
Nomadenzeltdorf<br />
geistliches<br />
Lied<br />
Wiener<br />
Zitherspieler<br />
†<br />
(Anton)<br />
1. Buchstabe<br />
des<br />
griech.<br />
Alphabets<br />
griech.<br />
Vorsilbe:<br />
auf,<br />
hinauf<br />
Schlachtrind<br />
extrem,<br />
grell,<br />
unerhört<br />
Sammlung<br />
von<br />
Schriftstücken<br />
Zugmaschine<br />
(Kurzwort)<br />
unversehrt,<br />
unverletzt<br />
See in<br />
Schottland<br />
(Loch ...)<br />
Reproduktion<br />
vieler<br />
Name<br />
(Kurzwort) Flüsschen<br />
Pokal als<br />
Sportpreis<br />
(engl.)<br />
Federwolke<br />
begangenes<br />
Unrecht<br />
bestrafen<br />
Maßeinteilung<br />
an Messgeräten<br />
englisch:<br />
eins<br />
olympisches<br />
Gremium<br />
(Abk.)<br />
Sprung<br />
beim Eiskunstlauf<br />
rote<br />
Filzkappe<br />
im<br />
Orient<br />
Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
per Fax an 040 32 10 83 50 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />
Einsendeschluss: 25. <strong>Juni</strong> <strong>2018</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />
Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />
zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle gewinnen oder einen von<br />
zwei Romanen „Fememord“ von Boris Meyn (Rowohlt Taschenbuch).<br />
Das April-Lösungswort beim Kreuzworträtsel lautete: Diplomatie.<br />
Die Sudoku-Zahlenreihe war: 629 347 851.<br />
6<br />
7<br />
5<br />
9<br />
1<br />
6<br />
4<br />
7<br />
7<br />
8<br />
8<br />
2<br />
9<br />
7<br />
6<br />
10<br />
1<br />
3<br />
AR1115-1118_5<br />
Füllen Sie das Gitter so<br />
aus, dass die Zahlen von<br />
1 bis 9 nur je einmal in<br />
jeder Reihe, in jeder<br />
Spalte und in jedem<br />
Neun-Kästchen-Block<br />
vorkommen.<br />
Als Lösung schicken<br />
Sie uns bitte die<br />
unterste, farbig gerahmte<br />
Zahlenreihe.<br />
Impressum<br />
Redaktion und Verlag<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />
Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />
Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 32 10 83 50<br />
Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />
E-Mail info@hinzundkunzt.de, www.hinzundkunzt.de<br />
Herausgeber<br />
Landespastor Dirk Ahrens, Diakonisches Werk Hamburg<br />
Externer Beirat<br />
Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />
Mathias Bach (Kaufmann), Dr. Marius Hoßbach (Rechtsanwalt),<br />
Rüdiger Knott (ehem. NDR 90,3-Programmchef),<br />
Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />
Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />
Beate Behn (Lawaetz-Service GmbH), Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung),<br />
Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds),<br />
Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />
Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />
Redaktion Birgit Müller (bim; v.i.S.d.P.),<br />
Annette Woywode (abi; Stellv., CvD),<br />
Mitarbeit Simone Deckner (sim), Jonas Füllner (jof), Ulrich Jonas (ujo),<br />
Frank Keil (fk), Benjamin Laufer (bela), Misha Leuschen (leu),<br />
Annabel Trautwein (atw), Uta Sternsdorff und Kerstin Weber<br />
Redaktionsassistenz Sonja Conrad, Cedric Horbach<br />
Online-Redaktion Simone Deckner, Jonas Füllner, Benjamin Laufer<br />
Artdirektion grafikdeerns.de<br />
Öffentlichkeitsarbeit Sybille Arendt, Friederike Steiffert<br />
Anzeigenleitung Sybille Arendt<br />
Anzeigenvertretung Christoph Wahring,<br />
Wahring & Company, Tel. 040 284 09 40, info@wahring.de<br />
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 23 vom 1. Januar <strong>2018</strong><br />
Vertrieb Christian Hagen (Leitung), Marcus Chomse,<br />
Sigi Pachan, Jürgen Jobsen, Meike Lehmann, Sergej Machov,<br />
Frank Nawatzki, Elena Pacuraru, Reiner Rümke, Cristina Stanculescu,<br />
Marcel Stein, Cornelia Tanase, Silvia Zahn<br />
Rechnungswesen/Systemadministration Frank Belchhaus<br />
Spendenmarketing Gabriele Koch<br />
Spendenverwaltung Susanne Wehde<br />
Sozialarbeit Stephan Karrenbauer (Leitung), Ana-Maria Ilisiu, Isabel Kohler<br />
Das Stadtrundgang-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />
Chris Schlapp, Harald Buchinger<br />
Das BrotRetter-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />
Stefan Calin, Gogan Dorel, Ionel Lupu<br />
Das Team von Spende Dein Pfand am Airport Hamburg<br />
Stephan Karrenbauer (Leitung), Uwe Tröger, Jonas Gengnagel,<br />
Klaus Petersdorfer, Herbert Kosecki<br />
Litho PX2@ Medien GmbH & Co. KG<br />
Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />
Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />
Umschlag-Druck Neef+Stumme premium printing GmbH & Co. KG<br />
Verarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei<br />
und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />
Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
IBAN: DE56 2005 0550 1280 1678 73<br />
BIC: HASPDEHHXXX<br />
Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />
Freistellungsbescheid des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer<br />
17/414/00797, vom 15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />
des Körperschaftssteuergesetzes von der Körperschaftssteuer und nach<br />
§3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />
Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als<br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH im Handelsregister<br />
beim Amtsgericht Hamburg HRB 59669 eingetragen. Wir bestätigen,<br />
dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> einsetzen.<br />
Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.<br />
Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf www.hinzundkunzt.de.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das obdachlosen und<br />
ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />
Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose und<br />
ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter<br />
unterstützen die Verkäufer.<br />
Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />
Gesellschafter<br />
Durchschnittliche monatliche<br />
Druckauflage 2. Quartal <strong>2018</strong>:<br />
66.666 Exemplare<br />
57
Momentaufnahme<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>304</strong>/JUNI <strong>2018</strong><br />
Ausgezeichnet<br />
engagiert<br />
Ewa (51) verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> vor Douglas in der Mönckebergstraße.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Kein anderer Hinz&Künztler arbeitete<br />
im April so viel in der <strong>Kunzt</strong>küche wie<br />
unsere Verkäuferin Ewa. Im Fokus der<br />
Aufmerksamkeit stand die 51-Jährige<br />
trotzdem nie. Immer im Hintergrund,<br />
aber souverän erledigte sie ihre Arbeit:<br />
spülen, schnippeln, servieren und darauf<br />
achten, dass Ordnung und Sauberkeit<br />
in der Küche herrschte. Hauskoch<br />
Aron Farkas war begeistert. „Wenn ich<br />
ehrlich bin: Ewa war meine Nummer 1.<br />
Auf sie konnte ich mich blind verlassen“,<br />
sagt der 21-Jährige. „Ich musste<br />
gar nicht kontrollieren, ob irgendetwas<br />
schiefläuft.“ Die Hinz&Künztlerin sei<br />
eine große Hilfe gewesen. „Wir mussten<br />
gar nicht viel reden, sie hat auch so erkannt,<br />
was als Nächstes zu tun ist.“<br />
Dass es auch ohne viele Worte ging,<br />
war auch gut so. Denn Ewa spricht<br />
kaum Deutsch. Sie besucht zwar aktuell<br />
einen Sprachkurs. Aber es geht nur<br />
langsam voran.<br />
Neustart: In<br />
Hamburg fand<br />
Ewa die Liebe und<br />
eine Perspektive<br />
fürs Leben.<br />
Vor neun Jahren kam die gebürtige Polin<br />
nach Hamburg. Warum sie damals<br />
ihre Heimat verließ, darüber redet sie<br />
kaum. Sie erwähnt lediglich, dass sie<br />
aus der Nähe von Warschau stammt<br />
und dass ihr Mann Alkoholiker und gewalttätig<br />
war. Erst als ihre Kinder erwachsen<br />
und aus dem Haus waren,<br />
wagte sie, ihn zu verlassen, und ging<br />
nach Deutschland – eine Art Flucht.<br />
Sie endete in der Obdachlosigkeit.<br />
Im Februar 2011, mitten im Winter, erreichte<br />
sie Hamburg. Ewa hatte kein<br />
Geld, keine Arbeit und vor allem keine<br />
Wohnung. Deswegen suchte sie erst mal<br />
Schutz im Winternotprogramm. Dort<br />
begegnete ihr Stefan. Er habe gleich ein<br />
Auge auf Ewa geworfen, verrät der<br />
46-jährige Rumäne und läuft dabei<br />
leicht rot an. Auch Ewa kichert. Ja,<br />
Stefan habe ihr gefallen, bestätigt sie. So<br />
gut, dass nicht einmal die sprachliche<br />
Barriere zwischen dem Rumänen und<br />
der Polin ein Hindernis war. Tatsächlich<br />
spricht Stefan inzwischen fließend Polnisch<br />
und Ewa wiederum beherrscht<br />
Rumänisch besser als Deutsch.<br />
Die Anfangszeit war allerdings<br />
schwer. Sie schliefen vor Geschäftseingängen<br />
und später in einem Zelt – gut<br />
versteckt in einem Park. Als gelernter<br />
Elektriker fand Stefan zwar immer wieder<br />
Arbeit. Allerdings nur schwarz und<br />
nur allzu oft enthielt man ihm den Lohn<br />
vor. Andere hätten vielleicht resigniert.<br />
Aber Ewa und Stefan haben weiter ihr<br />
Glück gesucht. Und tatsächlich: Vor<br />
zwei Jahren erhielt Stefan eine Festanstellung.<br />
Er fand eine Wohnung und<br />
Ewa jobbte – wie schon in ihrer Heimat<br />
– als Reinigungskraft in der Obdachloseneinrichtung<br />
Herz As. Ganz begeistert<br />
spricht sie von den tollen Kollegen<br />
und Sozialarbeitern, die immer ein offenes<br />
Ohr für sie hatten.<br />
Im Herbst 2017 fing Ewa schließlich<br />
an, Hinz&<strong>Kunzt</strong> zu verkaufen. Eine<br />
Dauerlösung soll das nicht werden, erzählt<br />
Stefan, der für Ewa als Übersetzer<br />
fungiert. Ewa will eine richtige Arbeit.<br />
Gerne als Küchenhelferin oder auch<br />
als Reinigungskraft. Die Arbeit in der<br />
<strong>Kunzt</strong>Küche habe ihr Spaß gemacht,<br />
sagt sie. Etwas Ähnliches würde sie<br />
gerne weiterhin machen.<br />
Für ihr Engagement und ihren Willen,<br />
ihre Situation selbst zu verbessern,<br />
bekommt Ewa diesen Monat sogar eine<br />
Auszeichnung: Im Mai erhielt sie von<br />
Stadtteilkünstler und Hinz&Künztler<br />
Erich Heeder den Staffelstab der Kampagne<br />
„Mit dir geht mehr“ (siehe auch<br />
Seite 5). Damit zeichnet die Sozialbehörde<br />
Menschen aus, die sich freiwillig in<br />
Hamburg engagieren. Diesen Monat<br />
darf die Staffel trägerin entscheiden, an<br />
wen sie den Stab weitergibt. Wir sind<br />
gespannt, auf wen ihre Wahl fällt. •<br />
Ewa und alle anderen Hinz&Künztler<br />
erkennt man am Verkäuferausweis.<br />
Niemand kennt<br />
Hamburgs Straßen besser.<br />
Verkäuferausweis<br />
6435<br />
58
1.<br />
KUNZT-<br />
KOLLEKTION<br />
BESTELLEN SIE DIESE UND WEITERE PRODUKTE BEI: Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH,<br />
www.hinzundkunzt.de/shop, shop@hinzundkunzt.de, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
Tel. 32 10 83 11. Preise zzgl. Versandkostenpauschale 4 Euro, Ausland auf Anfrage.<br />
Versand ab 100 Euro Warenwert kostenlos.<br />
2.<br />
3.<br />
1. „Gegens Abstempeln“<br />
Zehn selbstklebende 70-Cent-Briefmarken mit<br />
Porträts von Hinz&Künztlern im A5-Heftchen.<br />
Konzeption: Agentur Lukas Lindemann Rosinski.<br />
Preis: 12 Euro<br />
2. „Macht auch wach!“<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Kaffeemischung,<br />
100% Arabica gemahlen, 250-g-Beutel<br />
oder Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Espresso, italienische<br />
Mischung, kräftiger Geschmack,<br />
ungemahlen, 250-g-Beutel, exklusiv von der<br />
Kaffeerösterei Burg aus Hamburg.<br />
Preis: jeweils 5,95 Euro<br />
3. Frühstücksbrettchen<br />
Exklusiv für Hinz&<strong>Kunzt</strong> aus der<br />
Serie „Schöne Aussichten“, Pension<br />
für Produkte Hamburg.<br />
Design: Wolfgang Vogler,<br />
Material: Esche geölt (aus heimischen Wäldern),<br />
lasergraviert. Jedes Brett ist ein Unikat,<br />
in Deutschland gefertigt.<br />
Preis: 15,90 Euro<br />
4. „Einer muss ja das Maul aufmachen“<br />
T-Shirt vom Modelabel „Fairliebt“ aus<br />
100% Biobaumwolle, sozialverträglich<br />
genäht in Bangladesch und<br />
von Hand bedruckt in Deutschland.<br />
Größen: S, M, L, XL. Farben: Petrol für Herren,<br />
Meerwassertürkis für Damen.<br />
Preis: 24,90 Euro<br />
5. „Samenbomben & Pffl anzkelle“<br />
Eine runde Blumensamenmischung mit<br />
Saatgut aus kontrolliert biologischem Anbau<br />
von der Firma ARIES Umweltprodukte.<br />
Bringen Sie Farbe in den eigenen Garten,<br />
den Garten Ihrer Freunde und<br />
Orte in der Stadt, die blühen sollen.<br />
8 Samenbomben 5,50 Euro<br />
Pfl anzkelle der Firma Julius Berger, in<br />
Deutschland hergestellt. 7,90 Euro<br />
Samenbomben & Pfl anzkelle: 11,90 Euro<br />
6. Tasse „Fischkopp“<br />
Sonderedition für Hinz&<strong>Kunzt</strong> von der<br />
Hamburger Firma AHOI MARIE.<br />
Qualitätsporzellan von Kahla aus Thüringen.<br />
Design: Jan-Hendrik Holst.<br />
Keramischer Siebdruck.<br />
Maße: D: 9 cm, H: 9 cm,<br />
Mikrowellen- und spülmaschinentauglich.<br />
Preis: 13,90 Euro<br />
7. „Ein mittelschönes Leben“<br />
Eine Geschichte für Kinder<br />
über Obdachlosigkeit von Kirsten Boie,<br />
illustriert von Jutta Bauer.<br />
Preis: 4,80 Euro<br />
4.<br />
6.<br />
7.<br />
5.
<strong>Juni</strong> <strong>2018</strong><br />
Kalter Krieg &<br />
Stadtnatur<br />
und andere Themen, die Hamburger bewegen<br />
Di 12.06. | 19.00 Uhr | Diskussion<br />
Hamburg, meine grün-graue Perle Der steigende Flächenbedarf für Bauvorhaben erzeugt Druck<br />
auf die Hamburger Stadtnatur. Wie steht es um die Balance von sozialen und ökologischen Bedürfnissen?<br />
Umweltsenator Jens Kerstan, Malte Siegert, NABU Hamburg, und Ingrid Breckner, HafenCity<br />
Universität, diskutieren. Peter Ulrich Meyer, Hamburger Abendblatt, moderiert.<br />
Mo 18.06. | 19.00 Uhr | Diskussion<br />
Frieden machen – ein neuer Kalter Krieg? Der »Kalte Krieg« zwischen den USA und der UdSSR hätte<br />
damals jederzeit eskalieren können. Wie wurde das verhindert? Welche Lehren sich daraus für heutige<br />
Konflikte ziehen lassen, diskutieren der Diplomat Wolfgang Ischinger und der Historiker Dmitri Trenin.<br />
Klaus Brinkbäumer, Der Spiegel, moderiert. In Kooperation mit Der Spiegel.<br />
Mo 25.06. | 19.00 Uhr | Gespräch<br />
Kurden unter Beschuss Aufgrund seiner Berichterstattung über das Unabhängigkeitsreferendum der<br />
irakischen Kurden wurde der Journalist Kamal Chomani mit dem Tode bedroht. Mit der Nahost-Expertin<br />
Birgit Svensson spricht er über die politische Dimension der »Kurdenfrage«. In Kooperation mit der<br />
Weichmann- Stiftung, der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte und der Süddeutschen Zeitung.<br />
Di 26.06. | 19.00 Uhr | Gespräch<br />
50 Jahre ’68 Demokratisierung und Abbau autoritärer Strukturen – was ist von den »Glücksversprechen«<br />
der ’68er geblieben? Über die damaligen Ideen und die aktuelle Krise der Demokratie<br />
sprechen die Schriftstellerin Barbara Sichtermann, der Historiker Per Leo und der Rechtswissenschaftler<br />
Ulrich Klaus Preuß mit Kirsten Heinsohn, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg.<br />
Stand: 05 / <strong>2018</strong>, Änderungen vorbehalten. groothuis.de Fotos: © BUE / Bina Engel, Carnegie Moscow Center, privat, privat<br />
Eintritt frei, Anmeldung erforderlich: www.koerberforum.de<br />
KörberForum | Kehrwieder 12 | 20457 Hamburg | U Baumwall<br />
Telefon 040 · 80 81 92 - 0 | E-Mail info@koerberforum.de<br />
Veranstalter ist die gemeinnützige Körber-Stiftung.