BUCHTIPP Wilfriede Maaß Im Glossar des Töpferhandwerks bezeichnet die Brennzeit jene Dauer die es braucht, bis aus weichem Ton harte Keramik und aus frischen Farben eine feste Glasur wird. Im Leben der Keramikerin Wilfriede Maaß allerdings sind Brennzeiten nicht ausschließlich Bestandteil eines schöpferischen Prozesses, vielmehr lassen sich unter dieser Bezeichnung Lebensphasen fassen, in denen weit mehr als nur ein Gingko-Blatt zur Reife gelangte. 80
Auf die Frage, was es mit dem Markenzeichen ihrer Keramik, dem Ginkgoblatt, auf sich habe, antwortet die Künstlerin Wilfriede Maaß mit Erinnerungen. Einmal habe sie eine im Jugendstil gehaltene Darstellung des Ginkgoblattes auf einer Vase gefunden, die sie sehr beeindruckte. Und früher in Weimar, holt Wilfriede Maaß weiter aus, durchstöberte sie mit einem ausgemachten Romantiker die Antiquariate der Stadt. Immerfort seien sie auf der Suche gewesen nach Kunstbüchern, nach Biografien, Briefwechseln und nach Goethe eben. Den hat die charakteristische Form des Ginkgoblattes letztlich zu seinem Gedicht „Gingo Biloba“ inspiriert. Was hier offensichtlich wird, ist eine Sehnsucht nach Kreativität und künstlerischem Ausdruck, die sich im Falle von Wilfriede Maaß auch als Fluchtmöglichkeit identifizieren lässt. Auf andere Weise schließlich war der gedanklichen Enge der DDR, in die sie 1951 als Kind des Bauhauskünstlers Wilhelm Löber hineingeboren wurde, kaum zu entkommen. Schon die ersten Erlebnisse als Pionier hinterließen die Erinnerung an öffentliche Demütigung und die Erkenntnis, in einem solchen System eine Randfigur zu bleiben – und zwar von klein auf. Vielleicht, mutmaßt Wilfriede Maaß, habe sie sich deshalb schon sehr früh mit Leuten solidarisiert, die Schwierigkeiten hatten. Zu denen, die in der DDR Schwierigkeiten bekamen, gehörten naturgemäß all jene, denen es unmöglich war, sich anzupassen und die sich weigerten, auf die Entwicklung bzw. die Formulierung eigener Gedanken zu verzichten. Um nicht vollends zu verstummen, brauchte es insofern Räume, innerhalb derer Vertrauen und Toleranz eine schützende Atmosphäre schufen. Das Berliner Atelier von Wilfriede Maaß in der Schönfließer Straße 21 gehörte von Anbeginn zu diesen Räumen, mehr noch entwickelte es sich im Laufe der 80er Jahre zu einem der bedeutendsten Zentren der künstlerischen und politischen Opposition in der DDR. Eingeläutet durch die illegalen Lesungen, die ihr Ehemann Ekkehard Maaß in der gemeinsamen Wohnküche organisierte, geriet das Atelier von Wilfriede Maaß immer mehr zum Treffpunkt von renitenten Künstlern und Autoren. Die damit einhergehende Verdichtung kreativer Energien machte aus dem Atelier im Prenzlauer Berg einen künstlerischen Schmelztiegel, in dem die unterschiedlichsten Genres zueinanderfanden und sich gegenseitig beflügelten. Auf diese Weise entstanden expressiv bemalte Keramiken genauso wie Künstlerbücher, konspirative Editionen, Flugblätter, Plakate, Plastiken und Fotos. Über den Austausch und die Verbreitung visionärer Gedanken und oppositioneller Inhalte hinaus bot die Werkstatt damit eine gleicherweise künstlerische wie ökonomische Überlebensmöglichkeit für Künstler, denen sich der staatliche Kunstbetrieb verweigerte. Wie genau sich die Adresse Schönfließer Straße 21 von einer ehemaligen Fleischerei zum Künstlerort und Oppositionszentrum entwickelte, dokumentiert das von Ingeborg Quaas und Henryk Gericke im Lukas-Verlag herausgegebene Buch „Brennzeiten“. Die im Jahr 2014 anlässlich der gleichnamigen Ausstellung erschienene Publikation dokumentiert eindrucksvoll, mit welchem Eifer Wilfriede Maaß einerseits der Kunst ihrer Freunde und Freundinnen zu allem nötigen Freiraum verhalf und welche Bescheidenheit sie andererseits aufbringt angesichts der eigenen Historie. Deutlich vernehmbar jedoch wird ihr Anteil in den retrospektiven Beiträgen von Ekkehard Maaß, Christoph Tannert und Uwe Warnke, die einem Interview mit der Künstlerin selbst beigestellt sind. Die fotografischen Zeugnisse verschaffen überdies nicht nur einen lebendigen Einblick in die konspirative Szene der DDR, sondern illustrieren ebenso die ihr entspringenden Ideen. Wenngleich jedes dieser Werkstücke eine ganze Bewegung dokumentiert, lassen sie sich auch begreifen als irdene Versatzstücke eines einzigen Lebens. Rückblickend spricht Wilfriede Maaß von diesem Leben als eines, das man kaum habe verkraften können. Visionen zu denken bzw. sie im restriktiven Klima der DDR am Leben zu erhalten, habe neben der Ahnung von Freiheit auch bedeutet, in einem Zustand permanenter Überforderung zu leben. Dem sei sie eigentlich nur durch ihren Beruf entkommen, erzählt Wilfriede Maaß, die Arbeit an der Drehscheibe in ihrer Werkstatt sei ein unersetzlicher Ausgleich gewesen. Vor dem Fenster dieser Werkstatt, merkt sie noch an, habe übrigens ein Ginkgobaum gestanden, seine Blätter hätten im Herbst im ganzen Hof gelegen. Ingeborg Quaas und Henryk Gericke (Hrsg.): brennzeiten Die Keramikwerkstatt Wilfriede Maaß 1980–1989–1998 / Ein Zentrum des künstlerischen Offgrounds in Ost-Berlin 184 Seiten, 193 x 265 mm, Festeinband, 214 meist farbige Abbildungen ISBN 978-3-86732-195-2 81