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estimmten Wörtern in bestimmter Wortumgebung<br />

wird das endständige „–n“ weggelassen:<br />

Damenschuhe werden Dammeschong.<br />

Die Liste ließe sich verlängern. Aber wer<br />

schreibt schon im Dialekt? Es gilt das<br />

gesprochene Wort. Sind die Gerolsteiner<br />

Jugendlichen stolz auf solche sprachlichen<br />

Feinheiten? Würde ihnen etwas fehlen, wenn<br />

ihr Dorfdialekt ausgestorben wäre? Robin<br />

meint offen: „Mir nicht!“ Damit aber vertritt<br />

er eine Minderheitenmeinung in der 11.<br />

Klasse. Leonie zum Beispiel würde ihr Platt<br />

vermissen: „Platt bringt ein Zusammengehörigkeitsgefühl“.<br />

Victoria ist sich sicher: „Für<br />

viele eingeborene Eifeler ist die Sympathie<br />

dem Gegenüber größer, wenn er oder sie<br />

Platt spricht.“<br />

Das alles deutet schon darauf hin, dass das<br />

Image ihrer Heimatsprache bei Jugendlichen<br />

heute eher positiv besetzt ist. Wer einen<br />

geselligen Abend bei einer Löschgruppe der<br />

Feuerwehr auf dem Dorf besucht, wer im<br />

Karneval die Ohren spitzt oder im Festzelt auf<br />

der Kirmes: Platt ist je nach Clique der<br />

Normalfall. Wer so spricht, gehört dazu. Und<br />

ist von eher schlichtem Gemüt? Dieses einst<br />

weit verbreitete diskriminierende Vorurteil<br />

scheint Vergangenheit. Gut so! „Da hat sich<br />

was zum Positiven in den letzten Jahren<br />

verändert. Wer Platt kann, spricht es auch“,<br />

kann Deutschlehrer Tobias Lang am Gerolstener<br />

Gymnasium schon länger beobachten,<br />

wenn er sich so auf dem Pausenhof unter<br />

seinen Schülern umhört: Sie sprechen Platt<br />

wenn sie unter sich sind. Kommt in ihrem<br />

Alltag Jemand von außen hinzu, dessen<br />

Sprachkategorie unklar ist, wechseln sie<br />

intuitiv zu Hochdeutsch. Zweisprachigkeit,<br />

ganz normal. Man will ja auch verstanden<br />

werden. Zur Sprachkollision kann es trotzdem<br />

kommen. „Holen und nehmen – das Problem<br />

kriegen Sie nicht raus. Das taucht sogar in<br />

Abiturklausuren auf“, meint Pädagoge Lang<br />

etwas ratlos. Wo der hochdeutsche Sprecher<br />

die Tabletten „nimmt“ - im Sinne von<br />

einnehmen -, sagen Eifeler in der Vulkaneifel:<br />

„Ich muss die Tabletten holen“. Man fragt, ob<br />

man Jemanden im Auto „mitholen“ kann. Die<br />

Nehmen-Holen-Verwechslung - Sakratjesnohmol!<br />

Das ist aus Sicht des Hochdeutschen<br />

„schief gegangen!“ „Sakrament“ und<br />

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„Jesus“ werden im Platt abgeleitet, verkürzt<br />

und gekoppelt. Dialektsprecher gehören eben<br />

- eine Tatsache - zu den kreativsten Sprachschöpfern.<br />

Auch wenn der Wortschatz<br />

insgesamt verglichen mit dem Hochdeutschen<br />

klein ist. Rüdiger Schausen lächelt.<br />

Was Lehrer Lang festgestellt hat, sieht er<br />

Deutschlehrer Tobias Lang in Gerolstein überrascht<br />

die zunehmende Zahl von Plattsprechern unter seinen<br />

Schülern nicht: „Da hat sich in den letzten Jahren was<br />

zum Positiven geändert!“ Die Dialektworte an der Tafel<br />

und ihre hochdeutsche Übersetzung haben seine<br />

Elftklässler ausgewählt.<br />

Rüdiger Schausen leitet den Arbeitskreis Mundart beim<br />

Geschichtsverein Prümer Land. Er führt die wachsende<br />

Bereitschaft auch junger Menschen, Dialekt zu sprechen,<br />

auf eine langfristige Entwicklung zurück: „Viele finden<br />

mittlerweile in ihrer Heimat einen Job. Sie müssen die Region<br />

nicht mehr verlassen. Das stärkt das Selbstbewusstsein.<br />

Die Eifeler sagen völlig zu Recht: wir sind wer!“<br />

genauso: „Es ist eine Bewegung drin. Mehr<br />

Ältere als früher bringen heute den Jüngeren<br />

Platt bei. Das ist relativ neu.“ Schausen leitet<br />

seit vier Jahren den Arbeitskreis Mundart<br />

beim Geschichtsverein Prümer Land. Mehr<br />

als ein Dutzend Dialektsprecher aus den<br />

verschiedensten Orten treffen sich und<br />

tauschen Geschichten oder Gedichte in ihrer<br />

Heimatsprache aus. Einmal im Jahr, wieder<br />

am 1. November, ist großer „Mundartnachmittag“.<br />

Dann sind auch die Prümer im<br />

Arbeitskreis zu hören. Prüms eigener Dialekt<br />

wurde von dem verstorbenen Edmund Baur<br />

in mehr als 40 Steckelscher und Verzällcher<br />

verewigt. In Prüm, so schätzt Schausen, „gibt<br />

es allerdings vielleicht noch 100 Leute, die<br />

den Dialekt wirklich beherrschen.“<br />

Die Steckelscher verbinden, was für jeden<br />

Dialekt wesentlich ist: Er entwickelt sich aus<br />

Traditionen und ist ein wichtiger Bestandteil<br />

der regionalen Brauchtumskultur. Das merkt<br />

man zum Beispiel in der katholisch geprägten<br />

Region beim Brauch der Klapper- oder<br />

Klepperkinder zwischen Karfreitag und<br />

Karsamstag. Sie rufen zum Gebet oder<br />

verkünden die wichtigsten Tageszeiten im<br />

Dialekt. Ihre Zahl nimmt in den letzten Jahren<br />

wieder zu. Die relativ neue Wertschätzung<br />

des Dialekts führt Rüdiger Schausen aber vor<br />

allem auf positive Entwicklungen in der<br />

Region insgesamt zurück: „Der gute<br />

Arbeitsmarkt mit der anhaltenden Vollbeschäftigung<br />

etwa in der Verbandsgemeinde<br />

Prüm spielt eine entscheidende Rolle!“<br />

Noch bis in die 1970er Jahre mussten viele<br />

aus der Region ihren Arbeitsplatz außerhalb<br />

der Heimat suchen. Das hat sich geändert. Es<br />

ist möglich, hier bleiben zu können. „Die<br />

Eifeler haben auch deshalb ein Selbstbewusstsein<br />

entwickelt: Wir sind wer!“ Dazu gehört<br />

so zu sprechen, wie man es gewohnt ist. Am<br />

Kaffeetisch in Ihren, wo weiter ein skurriles<br />

Dialektwort das Andere gibt, stimmt Hubert<br />

Tautges zu: „Die Eifeler besinnen sich auf sich<br />

selbst!“ Das Platt unterstützt für seine aktiven<br />

Sprecher die Identitätsbildung.<br />

Das Platt überlebt nur dann, wenn es<br />

gesprochen wird. Eine Verschriftlichung heißt,<br />

es zu archivieren. Immerhin. In diesem Sinne<br />

arbeiten viele Dorfvereine, wenn sie zum<br />

Beispiel die alten Hausnamen im Dialekt<br />

katalogisieren oder, wie zum Beispiel in<br />

Birresborn, die alten Wohnhäuser mit<br />

entsprechenden Hinweisschildern kenntlich<br />

machen. Das kann auch was fürs „Freilichtmuseum<br />

Dorf“ sein. Wo wie in Üxheim<br />

„Murkse“ und „Merxe“ wohnen erzählt vor<br />

allem viel über die Dorfgeschichte. Die<br />

Kerschenbacher an der Oberen Kyll wiederum<br />

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