o7_Pruem_Juni18
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estimmten Wörtern in bestimmter Wortumgebung<br />
wird das endständige „–n“ weggelassen:<br />
Damenschuhe werden Dammeschong.<br />
Die Liste ließe sich verlängern. Aber wer<br />
schreibt schon im Dialekt? Es gilt das<br />
gesprochene Wort. Sind die Gerolsteiner<br />
Jugendlichen stolz auf solche sprachlichen<br />
Feinheiten? Würde ihnen etwas fehlen, wenn<br />
ihr Dorfdialekt ausgestorben wäre? Robin<br />
meint offen: „Mir nicht!“ Damit aber vertritt<br />
er eine Minderheitenmeinung in der 11.<br />
Klasse. Leonie zum Beispiel würde ihr Platt<br />
vermissen: „Platt bringt ein Zusammengehörigkeitsgefühl“.<br />
Victoria ist sich sicher: „Für<br />
viele eingeborene Eifeler ist die Sympathie<br />
dem Gegenüber größer, wenn er oder sie<br />
Platt spricht.“<br />
Das alles deutet schon darauf hin, dass das<br />
Image ihrer Heimatsprache bei Jugendlichen<br />
heute eher positiv besetzt ist. Wer einen<br />
geselligen Abend bei einer Löschgruppe der<br />
Feuerwehr auf dem Dorf besucht, wer im<br />
Karneval die Ohren spitzt oder im Festzelt auf<br />
der Kirmes: Platt ist je nach Clique der<br />
Normalfall. Wer so spricht, gehört dazu. Und<br />
ist von eher schlichtem Gemüt? Dieses einst<br />
weit verbreitete diskriminierende Vorurteil<br />
scheint Vergangenheit. Gut so! „Da hat sich<br />
was zum Positiven in den letzten Jahren<br />
verändert. Wer Platt kann, spricht es auch“,<br />
kann Deutschlehrer Tobias Lang am Gerolstener<br />
Gymnasium schon länger beobachten,<br />
wenn er sich so auf dem Pausenhof unter<br />
seinen Schülern umhört: Sie sprechen Platt<br />
wenn sie unter sich sind. Kommt in ihrem<br />
Alltag Jemand von außen hinzu, dessen<br />
Sprachkategorie unklar ist, wechseln sie<br />
intuitiv zu Hochdeutsch. Zweisprachigkeit,<br />
ganz normal. Man will ja auch verstanden<br />
werden. Zur Sprachkollision kann es trotzdem<br />
kommen. „Holen und nehmen – das Problem<br />
kriegen Sie nicht raus. Das taucht sogar in<br />
Abiturklausuren auf“, meint Pädagoge Lang<br />
etwas ratlos. Wo der hochdeutsche Sprecher<br />
die Tabletten „nimmt“ - im Sinne von<br />
einnehmen -, sagen Eifeler in der Vulkaneifel:<br />
„Ich muss die Tabletten holen“. Man fragt, ob<br />
man Jemanden im Auto „mitholen“ kann. Die<br />
Nehmen-Holen-Verwechslung - Sakratjesnohmol!<br />
Das ist aus Sicht des Hochdeutschen<br />
„schief gegangen!“ „Sakrament“ und<br />
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„Jesus“ werden im Platt abgeleitet, verkürzt<br />
und gekoppelt. Dialektsprecher gehören eben<br />
- eine Tatsache - zu den kreativsten Sprachschöpfern.<br />
Auch wenn der Wortschatz<br />
insgesamt verglichen mit dem Hochdeutschen<br />
klein ist. Rüdiger Schausen lächelt.<br />
Was Lehrer Lang festgestellt hat, sieht er<br />
Deutschlehrer Tobias Lang in Gerolstein überrascht<br />
die zunehmende Zahl von Plattsprechern unter seinen<br />
Schülern nicht: „Da hat sich in den letzten Jahren was<br />
zum Positiven geändert!“ Die Dialektworte an der Tafel<br />
und ihre hochdeutsche Übersetzung haben seine<br />
Elftklässler ausgewählt.<br />
Rüdiger Schausen leitet den Arbeitskreis Mundart beim<br />
Geschichtsverein Prümer Land. Er führt die wachsende<br />
Bereitschaft auch junger Menschen, Dialekt zu sprechen,<br />
auf eine langfristige Entwicklung zurück: „Viele finden<br />
mittlerweile in ihrer Heimat einen Job. Sie müssen die Region<br />
nicht mehr verlassen. Das stärkt das Selbstbewusstsein.<br />
Die Eifeler sagen völlig zu Recht: wir sind wer!“<br />
genauso: „Es ist eine Bewegung drin. Mehr<br />
Ältere als früher bringen heute den Jüngeren<br />
Platt bei. Das ist relativ neu.“ Schausen leitet<br />
seit vier Jahren den Arbeitskreis Mundart<br />
beim Geschichtsverein Prümer Land. Mehr<br />
als ein Dutzend Dialektsprecher aus den<br />
verschiedensten Orten treffen sich und<br />
tauschen Geschichten oder Gedichte in ihrer<br />
Heimatsprache aus. Einmal im Jahr, wieder<br />
am 1. November, ist großer „Mundartnachmittag“.<br />
Dann sind auch die Prümer im<br />
Arbeitskreis zu hören. Prüms eigener Dialekt<br />
wurde von dem verstorbenen Edmund Baur<br />
in mehr als 40 Steckelscher und Verzällcher<br />
verewigt. In Prüm, so schätzt Schausen, „gibt<br />
es allerdings vielleicht noch 100 Leute, die<br />
den Dialekt wirklich beherrschen.“<br />
Die Steckelscher verbinden, was für jeden<br />
Dialekt wesentlich ist: Er entwickelt sich aus<br />
Traditionen und ist ein wichtiger Bestandteil<br />
der regionalen Brauchtumskultur. Das merkt<br />
man zum Beispiel in der katholisch geprägten<br />
Region beim Brauch der Klapper- oder<br />
Klepperkinder zwischen Karfreitag und<br />
Karsamstag. Sie rufen zum Gebet oder<br />
verkünden die wichtigsten Tageszeiten im<br />
Dialekt. Ihre Zahl nimmt in den letzten Jahren<br />
wieder zu. Die relativ neue Wertschätzung<br />
des Dialekts führt Rüdiger Schausen aber vor<br />
allem auf positive Entwicklungen in der<br />
Region insgesamt zurück: „Der gute<br />
Arbeitsmarkt mit der anhaltenden Vollbeschäftigung<br />
etwa in der Verbandsgemeinde<br />
Prüm spielt eine entscheidende Rolle!“<br />
Noch bis in die 1970er Jahre mussten viele<br />
aus der Region ihren Arbeitsplatz außerhalb<br />
der Heimat suchen. Das hat sich geändert. Es<br />
ist möglich, hier bleiben zu können. „Die<br />
Eifeler haben auch deshalb ein Selbstbewusstsein<br />
entwickelt: Wir sind wer!“ Dazu gehört<br />
so zu sprechen, wie man es gewohnt ist. Am<br />
Kaffeetisch in Ihren, wo weiter ein skurriles<br />
Dialektwort das Andere gibt, stimmt Hubert<br />
Tautges zu: „Die Eifeler besinnen sich auf sich<br />
selbst!“ Das Platt unterstützt für seine aktiven<br />
Sprecher die Identitätsbildung.<br />
Das Platt überlebt nur dann, wenn es<br />
gesprochen wird. Eine Verschriftlichung heißt,<br />
es zu archivieren. Immerhin. In diesem Sinne<br />
arbeiten viele Dorfvereine, wenn sie zum<br />
Beispiel die alten Hausnamen im Dialekt<br />
katalogisieren oder, wie zum Beispiel in<br />
Birresborn, die alten Wohnhäuser mit<br />
entsprechenden Hinweisschildern kenntlich<br />
machen. Das kann auch was fürs „Freilichtmuseum<br />
Dorf“ sein. Wo wie in Üxheim<br />
„Murkse“ und „Merxe“ wohnen erzählt vor<br />
allem viel über die Dorfgeschichte. Die<br />
Kerschenbacher an der Oberen Kyll wiederum<br />
versuchen mit einem eigenen Lexikon