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Wenn Mama durcheinander ist... - Psychiatrie aktuell

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Vorgestellt:<br />

Projekt „Heimspiel“:<br />

Multiprofessionelle<br />

Teams betreuen<br />

Ihre Patienten<br />

zu Hause<br />

Fahrtauglichkeit:<br />

Mit psychischer Erkrankung<br />

ans Steuer?<br />

Schwerpunktthema: Kinder psychisch kranker Eltern<br />

<strong>Wenn</strong> <strong>Mama</strong> <strong>durcheinander</strong> <strong>ist</strong>...<br />

IV/2004


2<br />

Schwerpunkt Seite 4-7<br />

Gesundheitspolitik Seite 9<br />

Fragen aus der Praxis Seite 11<br />

Medizin Seite 13<br />

Kinder Seite 16<br />

Sport und Psyche Seite 20<br />

Feuilleton Seite 24<br />

Herausgeber: Dr. Hans Biermann<br />

Biermann Verlag GmbH,<br />

Otto-Hahn-Str. 7, D-50997 Köln<br />

Redaktionsleiter: Bernd Schunk (sk)<br />

Redaktion: Sylvia Schulz (sys)<br />

tel.: (02236) 376-452<br />

Sabine Behrens (sab)<br />

Grafik und Layout: Heike Dargel<br />

Faszination Seele – IV/2004<br />

INHALT INHAL<br />

➤ Schwerpunktthema: Kinder psychisch kranker Eltern<br />

<strong>Wenn</strong> <strong>Mama</strong> <strong>durcheinander</strong><br />

<strong>ist</strong>... Seite 4-7<br />

➤ Was <strong>ist</strong> eigentlich...<br />

...ein Psychiater, Psychotherapeut, Neurologe<br />

oder Psychologe? Seite 8<br />

➤ Gesundheitspolitik<br />

Kostenerstattung: Sich wie ein Privatpatient<br />

behandeln lassen Seite 9<br />

Fragen aus der Praxis<br />

Dr. Rita Wietfeld steht den Lesern Rede<br />

und Antwort Seite 11<br />

➤ Medizin<br />

Stalking, früher Belästigung genannt,<br />

<strong>ist</strong> ein ernst zu nehmendes Problem Seite 13<br />

➤ Medizin<br />

Journal<strong>ist</strong>enpreis „Schizophrenie und<br />

Stigma“ vergeben Seite 14<br />

➤ Kinder<br />

Weltkongress setzt sich für seelische<br />

Gesundheit von Kindern ein Seite 16<br />

➤ Fahrtauglichkeit<br />

Mit psychischer Erkrankung ans<br />

Steuer Seite 17<br />

➤ Internetsucht<br />

Modewort oder Krankheit? Seite 19<br />

➤ Sport und Psyche<br />

Bewegung hilft gegen Stress Seite 20<br />

➤ Feuilleton<br />

Anton Cehov: Arzt und Dichter Seite 24<br />

IMPRESSUM<br />

Mitarbeiter dieser Ausgabe:<br />

Dr. Wolfgang Thamm<br />

Beate Lisofsky<br />

Dr. Rita Wietfeld<br />

Druck: Grenz-Echo, B-Eupen<br />

Mit freundlicher Unterstützung von<br />

Verwoben<br />

EEine verhauene Klassenarbeit, ein<br />

unaufgeräumtes Zimmer oder Streitereien<br />

unter Geschw<strong>ist</strong>ern gehören zum<br />

Familienalltag. Und doch können diese<br />

„Lappalien“ einiges an Nerven kosten.<br />

Um etliches schwieriger wird das<br />

Leben miteinander, wenn ein Familienmitglied<br />

psychisch erkrankt <strong>ist</strong>.<br />

Viel zu oft wird dann die Frage nach<br />

einer vermeintlichen Schuld gestellt.<br />

Wieviel Mitverantwortung tragen die<br />

Kinder psychisch kranker Eltern an deren<br />

Erkrankung? Würde ein Elternteil<br />

nicht krank, wenn die Kinder „braver“<br />

wären? Die Frage nach der Schuld <strong>ist</strong><br />

sicherlich verfehlt - und doch zeigt sie<br />

einiges auf: Die Familie <strong>ist</strong> ein kompliziertes<br />

Geflecht zwischenmenschlicher<br />

Beziehungen, das Unterstützung statt<br />

Schuldzuweisung benötigt. Das gilt<br />

auch für den nicht erkrankten Part.<br />

Kinder psychisch kranker Eltern heißt<br />

auch das Schwerpunktthema dieser<br />

Ausgabe, in der nächsten stellen wir<br />

die Eltern psychisch kranker Kinder in<br />

den Mittelpunkt.<br />

Eine anregende und informative Lektüre<br />

wünscht Ihnen<br />

Sylvia Schulz,<br />

Redaktion „Faszination Seele“<br />

Unter folgender Kontaktadresse können Sie<br />

„Faszination Seele“ kostenlos beziehen:<br />

Janssen-Cilag GmbH<br />

Raiffeisenstraße 8, 41470 Neuss<br />

fax: 0211 - 204 93 09<br />

email: CCassens@jacde.jnj.com<br />

IHRE MEINUNG<br />

Haben Sie Fragen, Anregungen,Tipps<br />

oder Kritik? Dann mailen Sie uns:<br />

sys@biermann.net<br />

oder schreiben Sie an:<br />

Biermann Verlag GmbH<br />

„Faszination Seele“<br />

Otto-Hahn-Str. 7, 50997 Köln<br />

Fax: 02236/ 376-452


D<br />

Verhandeln statt behandeln<br />

Team des Projekts APAH bei einer Dienstbesprechung. Stehend: Leitender Arzt<br />

der Klinik Bamberger Hof, Artur Diethelm<br />

Die Idee für das neue Projekt bestand darin, eine vollstationäre Station<br />

aufzulösen und das Budget minus Hotelanteil in mobile multiprofessionelle<br />

Teams zu stecken, die stationäre Behandlung durch Hausbesuche im Sinne<br />

des „home treatments“ ersetzen, verkürzen oder verhindern sollten.<br />

Tipps für die Umsetzung holte man sich aus der Partnerstadt Birmingham,<br />

in der weitgehend <strong>Psychiatrie</strong> ohne Betten betrieben wird.<br />

Das neue Behandlungsmodell konnte schließlich zum 1. Januar 2000<br />

mit den Krankenkassen vertraglich beschlossen und zum 1. März praktisch<br />

begonnen werden.<br />

Akut stationär behandlungsbedürftige psychiatrische Patienten erhalten<br />

tägliche Hausbesuche durch ein multiprofessionelles Team von Fachärzten,<br />

Pflegekräften und Sozialarbeitern. Die Teams arbeiten rund um die Uhr im<br />

Schichtdienst, auch an Sonn- und Feiertagen. Die Teams erbringen alle Le<strong>ist</strong>ungen,<br />

wie sie sonst im stationären Rahmen angeboten werden. Dazu gehört<br />

auch die fachärztliche Behandlung mit Diagnostik und weiterführender<br />

psychotherapeutischer und medikamentöser Behandlung.<br />

Zielgruppen sind in erster Linie junge, ersterkrankte psychotische oder<br />

bisher unterversorgte Patienten mit Schwellenangst vor der üblichen<br />

<strong>Psychiatrie</strong>, chronische Patienten mit einer langen Klinikgeschichte oder<br />

Patienten mit familiären Verpflichtungen, insbesondere Mütter mit kleinen<br />

Kindern. Die Patienten müssen allerdings ein Mindestmaß an<br />

Krankheitseinsicht und Compliance mitbringen.<br />

Die Verlagerung der Behandlung in die Wohnung des Patienten<br />

hat eine Verlagerung der Perspektive zur Folge. Der Patient <strong>ist</strong> hier<br />

im „Heimvorteil“, der seine Besucher als „Gastgeber“ empfängt.<br />

Damit ändert sich auch die Kommunikation zwischen Patient und<br />

medizinischer Betreuung: Es handelt sich mehr um ein „Verhandeln“<br />

als um ein „Behandeln“.<br />

Befragungen unter Patienten und Angehörigen haben gezeigt,<br />

dass viele diese neue Betreuungsform schätzen. Trotz psychischer<br />

Erkrankungen können sie im eigenen Zuhause verbleiben und ihr<br />

Leben weitgehend selbständig organisieren. (sys) ●<br />

ZSP HOCHTAUNUS (2)<br />

An der Klinik Bamberger<br />

Hof in Frankfurt/Main<br />

wird der stationären<br />

Behandlung<br />

ein neues Konzept entgegen<br />

gesetzt. Ärzte<br />

und Pflegepersonal betreuen<br />

Patienten mit<br />

psychischen Erkrankungen<br />

in deren eigenen<br />

vier Wänden.<br />

„Heimspiel“ heißt<br />

dementsprechend das<br />

Projekt, das seit mehr<br />

als vier Jahren erfolgreich<br />

läuft.<br />

Weitere Informationen<br />

Klinik Bamberger Hof, Zentrum für Soziale<br />

<strong>Psychiatrie</strong> Hochtaunus gGmbH<br />

Kelsterbacher Straße 14<br />

60528 Frankfurt Niederrad<br />

tel: 069 / 678002-0<br />

VORGESTELLT<br />

VORGESTELL<br />

Gebäude<br />

der Klinik<br />

Bamberger<br />

Hof<br />

3


Schwerpunktthema<br />

Kinder psychisch<br />

kranker Eltern:<br />

Ursache,<br />

Krankheitsverlauf,<br />

Therapie<br />

4<br />

Faszination Seele – IV/2004<br />

<strong>Wenn</strong> <strong>Mama</strong><br />

<strong>durcheinander</strong> <strong>ist</strong>...<br />

In Deutschland begeben sich im Verlauf eines<br />

Jahres etwa 1,6 Millionen psychisch kranke<br />

erwachsene Menschen in psychiatrische Behandlung<br />

(Deger-Erlenmaier u.a., 1997), das<br />

entspricht etwa drei Prozent der Gesamtbevölkerung<br />

über 21 Jahre.<br />

BIERMANN VERLAG (2)<br />

Eine psychische Erkrankung hat immer<br />

Auswirkungen auf die gesamte Familie, die<br />

Angehörigen – Eltern, Partner – sind stets<br />

mitbetroffen. Mittlerweile haben sich die<br />

Angehörigen selbst organisiert und nicht<br />

zuletzt dadurch auf ihre leidvolle Lebenssituation<br />

aufmerksam gemacht. Die Erfahrung,<br />

dass Angehörige nicht Täter, sondern<br />

Opfer einer oft alle Beteiligten krankmachenden<br />

Dynamik sind und dass psychische<br />

Krankheit oft Verhältnisse schafft, die zu<br />

Extrembelastungen der Umgebung führen,<br />

hat in der <strong>Psychiatrie</strong> zu einem neuen Umgang<br />

mit den Angehörigen geführt. Damit<br />

verbunden <strong>ist</strong> auch der Anspruch auf ganz<br />

individuelle Hilfestellung für die Familien.<br />

Davon profitieren bisher die Kinder psychisch<br />

Kranker nicht. Sie werden in die Angehörigenarbeit<br />

oft nicht einbezogen, sondern<br />

geradezu bewusst ausgegrenzt.<br />

Nach konservativen Schätzungen haben<br />

ca. 500000 minderjährige Kinder und Jugendliche<br />

mindestens einen psychisch<br />

kranken Elternteil. Sie haben ein erhöhtes<br />

Risiko, selbst psychische Probleme zu bekommen;<br />

dies <strong>ist</strong> durch Studien (High-Risk-<br />

Forschung, genetische Studien) belegt. Sowohl<br />

bei schizophrenen wie auch bei affektiven<br />

Psychosen konnte eine genetische<br />

Komponente nachgewiesen werden.<br />

Während das Lebenszeitrisiko, an einer<br />

Schizophrenie zu erkranken, bei einem Prozent<br />

liegt, <strong>ist</strong> die Wahrscheinlichkeit für<br />

Kinder mit einem schizophrenen Elternteil<br />

mehr als verzehnfacht. Sind beide Eltern<br />

schizophren erkrankt, liegt die Wahrscheinlichkeit<br />

sogar bei 40 Prozent. Dies bedeutet<br />

aber auch, dass mehr als die Hälfte der betroffenen<br />

Kinder keine entsprechenden<br />

Symptome entwickeln.<br />

Dazu kommen häufig psychosoziale Belastungen,<br />

d.h. sie wachsen oft unter Lebensbedingungen<br />

auf, die in mancherlei<br />

Hinsicht schwieriger sind als bei vielen anderen<br />

Kindern.


Welche Probleme haben die<br />

betroffenen Familien?<br />

Bei den me<strong>ist</strong>en Familien steht obenan,<br />

was sich in folgenden Satz fassen ließe:<br />

„Wir müssen es alleine schaffen, denn wird<br />

erst einmal klar, dass wir Hilfe brauchen,<br />

wird man uns nur auseinanderreißen.“<br />

Diese Angst <strong>ist</strong> auch nicht ganz unberechtigt,<br />

denn die Zeit, als man psychisch<br />

kranken Menschen das Recht absprach,<br />

Kinder zu bekommen und groß zu ziehen,<br />

liegt noch nicht lange zurück. Mögliche<br />

Folgen: Die Eltern gehen nicht oder nicht<br />

rechtzeitig zum Arzt und holen sich auch<br />

nicht rechtzeitig Unterstützung bei Problemen<br />

mit den Kindern oder im Alltag. Die<br />

Kinder wenden sich mit ihren Sorgen nicht<br />

an Außenstehende, aus Angst, die Familie<br />

und ihr Geheimnis zu verraten. Auch wenn<br />

die Kinder an ihrer Verantwortung wachsen,<br />

so entsteht doch ein großes Gefühl der<br />

Einsamkeit.<br />

Eine länger bestehende seelische Krankheit<br />

eines Elternteils führt üblicherweise zu<br />

einer Verschlechterung der allgemeinen Lebensbedingungen<br />

für die gesamte Familie.<br />

Stichworte dazu sind: Arbeitslosigkeit, finanzielle<br />

Probleme, schlechtere Wohnverhältnisse,<br />

Isolation, belastete Beziehungen<br />

innerhalb der Familien. Außerdem <strong>ist</strong> der<br />

Anteil der Ein-Eltern-Familien hoch.<br />

Forschungsergebnisse haben deutlich<br />

gemacht, dass dieses Problembündel die<br />

psychische Entwicklung der Kinder in der<br />

Regel mehr beeinträchtigt als die seelische<br />

Erkrankung selbst. Zu den Auswirkungen<br />

der elterlichen Erkrankung auf die seelische<br />

Entwicklung der Kinder:<br />

Sie erleben ihre Eltern über einen längeren<br />

Zeitraum oder immer wiederkehrend<br />

in für sie unverständlichen, extremen<br />

Hinweise für Eltern<br />

<strong>Wenn</strong> in einer Familie ein Elternteil psychische Probleme<br />

hat, <strong>ist</strong> es zunächst erst einmal wichtig, Hilfe für die erkrankte<br />

Mutter oder den erkrankten Vater zu organisieren. Auswirkungen<br />

hat die Erkrankung aber auf die gesamte Familie<br />

und auch die Kinder haben Aufmerksamkeit nötig.<br />

Kinder erziehen <strong>ist</strong> nicht einfach. Alle Eltern fragen sich<br />

manchmal, ob sie es richtig machen. <strong>Wenn</strong> ein Elternteil<br />

psychisch erkrankt <strong>ist</strong>, wird das Ganze dadurch nicht einfacher.<br />

Neue Fragen kommen dazu. <strong>Wenn</strong> Sie sich wegen Ihrer<br />

Kinder Sorgen machen, dann sprechen Sie darüber: mit<br />

der Familie, mit Freunden, Nachbarn oder Fachleuten!<br />

Gefühlszuständen. Sie empfinden das Gefangensein<br />

der Mutter in einer oft bedrohlichen<br />

inneren Welt, aus der sie ausgeschlossen<br />

sind oder aber eng mit einbezogen<br />

werden sollen. Sie können einem<br />

häufig unvernünftigen Umgang mit Zeit,<br />

Geld, Ernährung usw. ausgesetzt sein. Sie<br />

erleben Trennungen durch Krankenhausaufenthalte<br />

und oft wechselnde Betreuungen.<br />

Sie sind ihren Eltern loyal verbunden<br />

und finden sich im Zwiespalt zwischen<br />

der „familiären“ und der „äußeren“ Welt,<br />

den Bedürfnissen ihrer Eltern und ihren eigenen.<br />

Kinder sind oft die ersten, die mit einer<br />

psychischen Krise konfrontiert sind und<br />

Hilfe organisieren sollen. Sie sind es, die<br />

am me<strong>ist</strong>en Zeit, z.B. mit einer kranken<br />

Mutter, verbringen und sie müssen allzu oft<br />

Aufgaben und Verantwortung von und für<br />

diese übernehmen. Diese Lebenssituation<br />

erzeugt dann bei kleinen Kindern Angst,<br />

bei größeren auch häufig Wut und diese<br />

dann ihrerseits wieder Schuldgefühle. Diese<br />

Wut hat ihre Wurzel auch in der sozialen<br />

Situation der Kinder. Die Tabuisierung<br />

einer psychischen Erkrankung <strong>ist</strong> ja eben<br />

nicht nur ein innerfamiliäres, sondern auch<br />

ein gesellschaftliches Phänomen. Für eine<br />

psychisch kranke Mutter meint man sich<br />

als Kind genieren zu müssen und schweigt<br />

am besten darüber.<br />

Wie kann Kindern und ihren<br />

Familien geholfen werden?<br />

Als erster Schritt tut Aufklärung not.<br />

Dabei stellt sich aber vor allem das Problem,<br />

wie diese zume<strong>ist</strong> eher unauffällig<br />

und angepasst lebenden Kinder und<br />

Jugendlichen zu erreichen sind. Eine<br />

altersgemäße Information von<br />

Kindern als Angehörige psy-<br />

SCHWERPUNKTTHEMA<br />

chisch Kranker sollte zur Routine jeder<br />

psychiatrischen Arbeit werden. Darüber<br />

hinaus müssen aber auch all jene Personenkreise,<br />

die zu Ansprechpartnern für<br />

betroffene Kinder werden können – z.B.<br />

Lehrer, Kindergärtnerinnen, Haus- und<br />

Kinderärzte – mit diesem Anliegen vertraut<br />

gemacht werden.<br />

Es sollten in ausreichender Zahl Mutter-<br />

Kind-Einheiten in den psychiatrischen Kliniken<br />

bzw. auf den psychiatrischen Stationen<br />

der Allgemeinkrankenhäuser eingerichtet<br />

werden. Die Finanzierung der<br />

stationären Mitbehandlung des Kindes<br />

durch die Krankenkassen und/oder Mitbeteiligung<br />

der Sozialämter muss geregelt<br />

werden.<br />

Auch nachstationäre Betreuungsbereiche<br />

für psychisch kranke Mütter/Eltern mit<br />

ihren Kindern gibt es nur sehr selten. Gegenwärtig<br />

<strong>ist</strong> gerade diese Konstellation<br />

oftmals ein Ausschlussgrund für die Aufnahme<br />

in bestehenden Einrichtungen. Darüber<br />

hinaus muss die Öffentlichkeit angemessen<br />

informiert werden, um das Thema<br />

– und damit auch die betroffenen Familien<br />

– von der Last des schamhaften Verschweigens<br />

zu befreien.<br />

Abschließend möchte ich aus dem Brief<br />

einer Mutter zitieren: „Kinder und Angehörige<br />

sind immer Betroffene, und das <strong>ist</strong> für<br />

die Kranken schlimmer, als Sie denken.<br />

Aber ich wehre mich dagegen, sie zu Kranken<br />

zu machen. Helfen sollte man denen,<br />

die Hilfe wollen. Unterstützen muss man<br />

alle.“ (Beate Lisofsky) ●<br />

Faszination Seele – IV/2004 5


SCHWERPUNKTTHEMA<br />

1. Erklären Sie, was los <strong>ist</strong>.<br />

Ihr Kind merkt, dass etwas<br />

nicht stimmt. Deshalb erklären<br />

Sie ihm lieber, was genau<br />

los <strong>ist</strong>. Sie können selber damit<br />

beginnen oder warten, bis<br />

Ihr Kind fragt. Manche Kinder<br />

möchten sich nicht zu einem<br />

richtigen Gespräch hinsetzen.<br />

Sie reden lieber beim Abwaschen<br />

oder beim Ins-Bett-gehen.<br />

Dann fühlen sie sich<br />

wohler.<br />

2. Seien Sie ehrlich.<br />

Erklären Sie mit eigenen Worten,<br />

was Sie beschäftigt. Und<br />

fragen Sie zur Sicherheit nach,<br />

ob Ihr Kind Sie verstanden<br />

hat. Vielleicht stellt Ihr Kind<br />

Fragen, auf die Sie keine Antwort<br />

haben. "Ich weiß es<br />

nicht", kann dann die ehrlichste<br />

Antwort sein<br />

3. Hören Sie Ihrem Kind zu.<br />

<strong>Wenn</strong> Sie Ihrem Kind erklären,<br />

was los <strong>ist</strong>, fragen Sie<br />

doch auch ab und zu nach seinen<br />

Eindrücken und seiner<br />

Meinung. Und hören Sie dann<br />

genau hin. Kinder fühlen sich<br />

wohler, wenn man ihnen gut<br />

zuhört und versteht, was sie<br />

sagen wollen. Mit Kindern<br />

sprechen heiße vor allem: ihnen<br />

zuhören.<br />

4. Beobachten Sie Ihr Kind.<br />

Kinder zeigen oft durch ihr<br />

Verhalten, wie es ihnen geht.<br />

<strong>Wenn</strong> sie sich auffällig benehmen,<br />

kann das ein Zeichen dafür<br />

sein, dass sie durch etwas<br />

6<br />

Faszination Seele – IV/2004<br />

10<br />

praktische Tipps<br />

belastet sind: Wieder einnässen, die Schule<br />

schwänzen oder von zu Hause weglaufen – das<br />

sind deutliche Signale. Manchmal sind die Veränderungen<br />

aber nicht so offensichtlich. Das<br />

bedeutet, dass Sie genau auf Ihr Kind achten<br />

müssen, um auch unscheinbare Veränderungen<br />

in seinem Verhalten feststellen zu können.<br />

5. Halten Sie an vertrauten Gewohnheiten fest.<br />

Für Kinder bedeutet Regelmäßigkeit Ruhe und<br />

Sicherheit. <strong>Wenn</strong> in der Familie Probleme auftreten,<br />

kann dem Kind ein Gefühl von Sicherheit<br />

vermittelt werden, wenn gewisse Dinge wie<br />

gewohnt weitergehen: wenn es zum Beispiel<br />

wie immer seine Hausaufgaben machen muss,<br />

weiterhin im Sportclub mitturnen oder anderen<br />

Hobbys nachgehen kann.<br />

6. Beziehen Sie andere Erwachsene mit ein.<br />

Verlangen Sie nicht von sich, alles alleine machen<br />

und bewältigen zu müssen. Beziehen Sie<br />

auch andere Menschen mit ein: etwa Familienmitglieder,<br />

Nachbarn, Lehrerinnen oder andere<br />

Eltern. Ziehen Sie auch in Betracht, sich von<br />

Fachleuten Beratung und Hilfe zu holen.<br />

7. Informieren Sie die Schule.<br />

<strong>Wenn</strong> in einer Familie ein Elternteil in eine Klinik<br />

aufgenommen werden muss, sollte die<br />

Schule darüber informiert werden. Vor allem<br />

dann, wenn Ihr Kind so belastet <strong>ist</strong>, dass es in<br />

der Schule nicht mehr so gut aufpassen kann.<br />

<strong>Wenn</strong> der Lehrer weiß, was los <strong>ist</strong>, kann er Ihr<br />

Kind besser unterstützen. Sagen Sie dem Kind,<br />

dass Sie mit seinem Lehrer gesprochen haben.<br />

8. Akzeptieren Sie, wenn Ihr Kind sich jemand<br />

anderem anvertraut.<br />

Viele Kinder haben das Bedürfnis, mit jemand<br />

Außenstehendem zu sprechen. Mit einem Onkel<br />

oder einer Tante, mit der Nachbarin oder dem<br />

Lehrer. Sie möchten vielleicht die Eltern mit ih-<br />

ren Sorgen nicht noch zusätzlich belasten. Es<br />

geht ihnen also nicht darum, etwas auszuplaudern.<br />

Es besteht kein Anlass, gleich<br />

misstrauisch oder eifersüchtig zu werden,<br />

wenn Ihr Kind mit jemand anderem spricht.<br />

9. Beanspruchen Sie professionelle Hilfe,<br />

wenn es nötig <strong>ist</strong>.<br />

Für manche Kinder wird die Belastung trotz<br />

allem zu groß. Sie sprechen mit niemandem,<br />

oder die Gespräche scheinen ihnen nicht zu<br />

helfen. Dann müssen Sie sich als Eltern Unterstützung<br />

holen.<br />

10. Vergessen Sie das Allerwichtigste nicht:<br />

ein Lächeln und eine Umarmung.<br />

Welche Probleme auch immer bestehen – für<br />

Ihr Kind <strong>ist</strong> es das Wichtigste , dass Sie es lieben.<br />

Jeder Vater und jede Mutter drückt das<br />

auf eigene Art aus: mit freundlichen Worten,<br />

einem Lächeln oder einer Umarmung. <strong>Wenn</strong><br />

Sie Ihre Liebe dem Kind nur zeigen, jeden Tag<br />

aufs Neue – Das hilft über Vieles hinweg! ●<br />

(Entnommen der Broschüre „Wie geht es<br />

dann den Kindern“, Begleitheft für Eltern.<br />

Die Broschürenreihe mit Informationen<br />

für Kinder und Jugendliche mit psychisch kranken<br />

Eltern kann bezogen werden über den Dachverband<br />

Psychosozialer Hilfsvereinigungen e.V., Thomas-<br />

Mann-Str. 49a, 53111 Bonn, Kosten: 3 Euro)<br />

BIERMANN VERLAG<br />

Weitere<br />

Literaturempfehlungen:<br />

Mattejat, Fritz/Lisofsky, Beate:<br />

Nicht von schlechten Eltern.<br />

Kinder psychisch Kranker.<br />

ISBN 3-88414-225-9,<br />

198 S., 12.90 Euro, 3. Aufl. 2001,<br />

<strong>Psychiatrie</strong>verlag Bonn.


„Ohne Netz und Boden“<br />

O<br />

Katja Beeck mit<br />

dem Zukunftspreis<br />

„Durch die Erkrankung ihrer Eltern wird den Kindern immer<br />

wieder der Boden unter den Füßen weggezogen“, sagt<br />

Katja Beek. „<strong>Wenn</strong> die Kinder selbst ins Wanken geraten,<br />

drohen sie, ins Bodenlose zu fallen“.<br />

„Ohne Netz und Boden“ heißt dementsprechend die Initiative der<br />

jungen Berlinerin, die mit ihrem Internetangebot Kinder psychisch<br />

kranker Eltern (vor allem schizophrener und manisch-depressiver)<br />

unterstützen will.<br />

Doch auch Menschen aus dem sozialen Umfeld der Kinder (Angehörige,<br />

Lehrer, Erzieher, Nachbarn), Fachleute aus den Bereichen<br />

Jugendhilfe, ambulante und stationäre Erwachsenenpsychiatrie<br />

und Familiengericht, Journal<strong>ist</strong>en und die breite Öffentlichkeit<br />

möchte sie erreichen und sensibilisieren. Für ihr Engagement wurde<br />

sie im März dieses Jahres mit dem Janssen-Cilag Zukunftspreis<br />

ausgezeichnet.<br />

„Kinder psychisch kranker Eltern werden in der Regel<br />

erst dann unterstützt, wenn die Situation eskaliert“,<br />

weiß die diplomierte Medienberaterin aus eigener Erfahrung.<br />

Ihre Mutter leidet unter einer Psychose, die<br />

schubweise bis zu drei Mal pro Jahr auftritt. „Bis zu<br />

meinem 25. Lebensjahr dachte auch ich immer, dass es<br />

niemanden gibt, der ähnliches erlebt oder erlebt hat“,<br />

berichtet die 30-Jährige.<br />

Unter dem eigenen Motto „Aus Steinen kannst Du<br />

auch was Schönes bauen“ gründete sie schließlich<br />

JANSEN-CILAG<br />

„Netz und Boden - Initiative für Kinder psychisch kranker<br />

Eltern“, die neben dem Internetangebot auch Broschüren<br />

zur Verfügung stellt.<br />

Das Broschüren-Set, bestehend aus „Ohne Netz und<br />

ohne Boden - Situation Kinder psychisch kranker Eltern“ sowie<br />

„Netz und Boden - Unterstützung für Kinder psychisch kranker Eltern",<br />

enthält Berichte und Gedichte von Kindern psychisch kranker<br />

Eltern sowie ausführliche Informationen zu ihrer Situation, den<br />

Auswirkungen, Unterstützungsmöglichkeiten, ausführliche Literaturl<strong>ist</strong>en,<br />

nützliche Adressen sowie ein Verzeichnis aller Hilfsprojekte.<br />

Das Set <strong>ist</strong> im Juni 2004 zum elften Mal überarbeitet worden.<br />

Die Broschüren haben jeweils 56 bzw. 64 Seiten und kosten einzeln<br />

fünf Euro und zusammen als Set<br />

8,50 Euro zuzüglich 1,50 Euro<br />

für Porto und Versand. Kinder<br />

psychisch kranker<br />

Eltern erhalten die<br />

Broschüren für drei<br />

Euro (einzeln) bzw.<br />

fünf Euro (Set), sofern<br />

sie ihre Betroffenheit<br />

bei der<br />

Bestellung angeben.<br />

(sys) ●<br />

Weitere<br />

Informationen<br />

Die Broschüren können<br />

online bestellt werden unter:<br />

Broschuerenbestellung@netz-und-boden.de<br />

www.Netz-und-Boden.de<br />

SCHWERPUNKTTHEMA<br />

In der Familie O. aus Witten leidet der Ehemann<br />

und Familienvater seit sechs Jahren an einer Psychose.<br />

Die mittlerweile elfjährige Tochter hat die<br />

Krankheitsgeschichte miterlebt. Im Interview mit<br />

„Faszination Seele“ berichtet Frau O. von den Auswirkungen<br />

auf ihre Tochter.<br />

Wie haben Sie und ihre Tochter realisiert,<br />

dass Ihr Mann psychisch erkrankt <strong>ist</strong>?<br />

Mein Mann war der Überzeugung, dass er an einer<br />

körperlichen Erkrankung leiden würde. Er entwickelte<br />

„Verschwörungstheorien“, dass alle ihm<br />

eine unheilbare Krankheit verheimlichten.<br />

Hat sich das Familienleben durch die Erkrankung<br />

Ihres Mannes verändert?<br />

Mein Mann war oft krank geschrieben. Ich würde<br />

sagen, dass unsere Tochter die Todesängste, unter<br />

die mein Mann litt, noch nicht so direkt mitbekommen<br />

hat. Deutlicher wurde für sie sein verändertes<br />

Verhalten bei konkreten Anlässen. Ein<br />

Beispiel: Wir waren alle fertig, um zu einer Musikaufführung<br />

der Tochter zu fahren, als er erklärte,<br />

dass er nicht mitkommen könne. Für ein Kind <strong>ist</strong><br />

das natürlich eine große Entäuschung.<br />

INTERVIEW<br />

Konnten Sie Auswirkungen auf das Verhalten<br />

Ihrer Tochter feststellen?<br />

Die waren schon offensichtlich. Sie verzog sich<br />

immer wieder in ihr Bett nach dem Motto: nichts<br />

hören und nichts sehen. Das hat sie auch als ganz<br />

kleines Kind gemacht. Auf der anderen Seite war sie<br />

häufig unterwegs. Sie hatte schon immer viele Kontakte,<br />

doch es fiel auf, dass sie sich besonders oft<br />

bei Freundinnen aufhielt. In der Schule sprach mich<br />

ihre Lehrerin darauf an, dass oft das Fenster für sie<br />

geöffnet werden musste, weil ihr schwindlig wurde<br />

und sie Probleme hatte, sich zu konzentrieren.<br />

Wie haben Sie regiert?<br />

Der Lehrerin habe ich offen erklärt, dass mein<br />

Mann psychisch krank <strong>ist</strong>. Zusätzlich habe ich meine<br />

Tochter in eine Gruppe für Kinder psychisch erkrankter<br />

Eltern geschickt. Das hat viel gebracht. Sie<br />

hat gemerkt, dass es anderen Kindern ähnlich geht.<br />

Ich glaube, dass es für sie gut war, gerade auch Hilfe<br />

außerhalb der Familie zu bekommen. Die Situation<br />

<strong>ist</strong> nicht so mit Emotionen behaftet wie in der<br />

Familie. Grundsätzlich würde ich allen raten, offen<br />

über die Krankheit zu sprechen. Ich habe dabei<br />

festgestellt, dass im eigenen Umfeld mehr Leute unter<br />

einer psychischen Erkrankung leiden als man<br />

meint. (sys) ●<br />

Faszination Seele – IV/2004 7


GESUNDHEITSPOLITIK<br />

8<br />

WAS AS IST EIGENTLICH...<br />

... Psychiater, Psychotherapeut<br />

Neurologe und Psychologe?<br />

Ein Psychiater <strong>ist</strong> ein Arzt mit zusätzlicher Fachausbildung.<br />

Er beschäftigt sich mit der Diagnose,<br />

Behandlung und Erforschung von Erkrankungen<br />

oder Störungen des Ge<strong>ist</strong>es oder der Seele des<br />

Menschen. Dabei betrachtet er insbesondere die<br />

Beziehungen zwischen Körper und Ge<strong>ist</strong> und deren<br />

gegenseitige Beeinflussung.<br />

Das Fachgebiet des Psychiaters <strong>ist</strong> die <strong>Psychiatrie</strong><br />

und überschneidet sich inhaltlich mit der Psychologie,<br />

insbesondere der klinischen Psychologie bzw.<br />

der psychologischen Psychotherapie, der Psychosomatik,<br />

der Neurologie und der allgemeinen Medizin.<br />

Im Unterschied zum (nicht-ärztlichen) Psychologischen<br />

Psychotherapeuten <strong>ist</strong> der Psychiater zum<br />

Verschreiben von Medikamenten berechtigt.<br />

Seit einigen Jahren <strong>ist</strong> zusätzlich eine Ausbildung<br />

zum Psychotherapeuten erforderlich, wodurch dann<br />

der Titel Facharzt für <strong>Psychiatrie</strong> und Psychotherapie<br />

erlangt wird.<br />

Die Neurologie <strong>ist</strong> ein Teilgebiet der Medizin, das<br />

sich mit der Diagnostik und nicht operativer Behandlung<br />

von Nerven-, Rückenmarks-, Gehirn- und<br />

Muskelerkrankungen beschäftigt.<br />

Psychologischer Psychotherapeut (bzw. Psychologische<br />

Psychotherapeutin) <strong>ist</strong> eine in Deutschland<br />

seit Januar 1999 durch das Psychotherapeutengesetz<br />

(PTG) gesetzlich geschützte Berufsbezeichnung, die<br />

eine staatliche Zulassung zur Ausübung der Heilkunde<br />

(Approbation) verlangt.<br />

Es handelt also um einen Psychotherapeuten, der<br />

sich nach abgeschlossenem Psychologiestudium als<br />

Diplom-Psychologe auf dem Gebiet der Psychotherapie<br />

weitergebildet und somit spezialisiert hat.<br />

Psychologische Psychotherapeuten haben - wie<br />

die ärztlichen Psychotherapeuten - me<strong>ist</strong> auch eine<br />

Kassenzulassung, d.h. eine Behandlung durch sie<br />

wird von den gesetzlichen Krankenkassen, der Beihilfe<br />

und den me<strong>ist</strong>en Privaten Krankenversicherungen<br />

bezahlt<br />

Ein Psychologe <strong>ist</strong> eine Person, die über spezifische<br />

Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem Gebiet<br />

der Psychologie verfügt. Solche Kenntnisse werden<br />

me<strong>ist</strong> über ein Studium an anerkannten staatlichen<br />

Hochschulen oder an ausgewählten Ausbildungsstätten<br />

als Zusatzausbildung erworben. Zu psychologischen<br />

Diensten gehören unter anderen die Beratung<br />

von Menschen hinsichtlich oder auch die Tätigkeit<br />

in Unternehmen oder Institutionen. (sys) ●<br />

Faszination Seele – IV/2004<br />

BIERMANN VERLAG<br />

BIERMANN VERLAG<br />

Kostenfaktor Psyche<br />

IIm Jahr 2002 entstanden in Deutschland nach der Krankheitskostenrechnung<br />

des Stat<strong>ist</strong>ischen Bundesamtes durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />

Kosten in Höhe von 35,4 Mrd. Euro. Das entsprach<br />

rund einem Sechstel oder 16 Prozent der gesamten Krankheitskosten<br />

im Jahr 2002 in Höhe von 223,6 Mrd. Euro. 31,1 Mrd.<br />

Euro Krankheitskosten waren durch Krankheiten des Verdauungssystems<br />

bedingt, 25,2 Mrd. Euro durch Krankheiten des Muskel-<br />

Skelett-Systems und Bindegewebes und 22,4 Mrd. Euro durch psychische<br />

und Verhaltensstörungen. Dies berichtete der Präsident des<br />

Stat<strong>ist</strong>ischen Bundesamtes, Johann Hahlen.<br />

Weitere zentrale Ergebnisse der Krankheitskostenrechnung<br />

2002 sind:<br />

Die Krankheitskosten pro Kopf der Bevölkerung und<br />

Jahr betrugen 2710 Euro; der entsprechende Wert für Frauen<br />

lag bei 3160 Euro, der für Männer bei 2240 Euro. Die<br />

Krankheitskosten steigen mit zunehmendem Alter stark<br />

an: von durchschnittlich 1000 Euro bei unter 15-Jährigen<br />

im Jahr 2002 auf 12430 Euro bei 85-Jährigen und älteren<br />

Personen.<br />

In den verschiedenen Altersstufen bestimmen unterschiedliche<br />

Krankheiten das Kostengeschehen:<br />

Die Krankheitskosten von Kindern und Jugendlichen<br />

unter 15 Jahren betrugen insgesamt 12,5 Mrd. Euro. Dabei<br />

spielten vor allem Krankheiten des Atmungssystems sowie<br />

psychische und Verhaltensstörungen eine große Rolle: Auf<br />

sie entfiel fast jeder dritte Euro (29 Prozent), der in dieser<br />

Altersgruppe für die Behandlung von Krankheiten aufgewendet<br />

wurde. ●<br />

Ärzte sehen elektronische<br />

Gesundheitskarte kritisch


K<br />

Wie ein<br />

Privatpatient<br />

Jeder gesetzlich Versicherte kann seit dem 1. Januar 2004<br />

bei seiner Krankenkasse die Kostenerstattung wählen. Das<br />

war bisher nur freiwillig versicherten Mitgliedern möglich.<br />

Kostenerstattung heißt, der Versicherte tritt bei seinen Ärzten als<br />

Privatpatient auf. Er erhält Rechnungen nach der GOÄ, der gesetzlichen<br />

Gebührenordnung für Privatpatienten, und reicht diese seiner<br />

gesetzlichen Krankenkasse zur Erstattung ein. An die Wahl der<br />

Kostenerstattung <strong>ist</strong> jeder Versicherte ein Jahr lang gebunden.<br />

Hauptversicherte und beitragsfrei Mitversicherte können jeder für<br />

sich die Kostenerstattung vereinbaren, die Entscheidung muß nicht<br />

einheitlich für alle gemeinsam Versicherten getroffen werden.<br />

Die Krankenkasse prüft die Rechnungen und Rezepte und erstattet<br />

den Betrag, den sie bezahlt hätte, wenn der Patient die Ärzte auf<br />

Chipkarte in Anspruch genommen hätte. Abgezogen werden Praxisgebühren,<br />

Zuzahlungen für Arzneimittel, der Apothekenrabatt<br />

von zwei Euro je Packung, die Verwaltungsgebühren der Krankenkassen<br />

und ein Abschlag für fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfung.<br />

<strong>Wenn</strong> der Patient Rechnung und Erstattung vergleicht, wird er feststellen,<br />

welch geringe Beträge die Ärzte für ihre Le<strong>ist</strong>ungen von der<br />

Gesetzlichen Krankenkasse tatsächlich bezahlt bekommen.<br />

D„Die elektronische Gesundheitskarte<br />

unterliegt der Entscheidungshoheit des Patienten.<br />

Er allein kann bestimmen, welche<br />

Daten gespeichert werden und welche<br />

nicht“, erklärten heute der Vorsitzende der<br />

Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung<br />

(KZBV), Dr. Jürgen Fedderwitz, und Dr. Leonhard<br />

Hansen, Zweiter Vorsitzender der<br />

Kassenärztlichen Bundesvereinigung<br />

(KBV). „Der Patient allein sollte auch entscheiden<br />

können, ob bestimmte Daten für<br />

bestimmte Ärzte gesperrt werden oder<br />

nicht.“<br />

Fedderwitz wies darauf hin, dass ein<br />

möglicher Missbrauch der Gesundheitsdaten<br />

durch eine zentrale Speicherung keineswegs<br />

endgültig zu verhindern oder ausgeschlossen<br />

sei. „Darüber hinaus vernichtet<br />

genau diese Datenhoheit der Patienten<br />

den vermeintlichen Nutzen der elektronischen<br />

Gesundheitskarte: Der behandeln-<br />

BIERMANN VERLAG<br />

de Arzt kann sich auf die Vollständigkeit<br />

der hier gespeicherten Daten in keiner Weise<br />

verlassen. Das Argument, kostentreibende<br />

Doppeluntersuchungen und Verschreibungen<br />

ließen sich durch die Karte künftig<br />

vermeiden, trifft nicht zu“, führte er aus.<br />

„Für dieses Dilemma hat das Bundesgesundheitsmin<strong>ist</strong>erium<br />

bisher keine Lösung<br />

aufgezeigt. Dies kritisieren wir. Die<br />

Vorteile, die das Min<strong>ist</strong>erium für die Gesundheitskarte<br />

verspricht, nämlich die Vermeidung<br />

von Doppeluntersuchungen, höhere<br />

Behandlungsqualität und höhere Arzneimittelsicherheit,<br />

sind Scheinargumente.<br />

Sie werden durch die Patientenhoheit über<br />

die Daten konterkariert.“<br />

Die KZBV sieht daher auch nach der Reaktion<br />

des Bundesmin<strong>ist</strong>eriums für Gesundheit<br />

und Soziale Sicherung weiterhin<br />

keinen Anlass, von ihrer Kritik an der elektronischen<br />

Gesundheitskarte abzurücken.<br />

GESUNDHEITSPOLITIK<br />

Es wird eine bestimmte Summe übrigbleiben, die die gesetzliche<br />

Krankenkasse nicht bezahlt, etwa 30 bis 70 Prozent des Rechnungsbetrages.<br />

Patienten sollten diesen Selbstbehalt durch eine<br />

private Restkostenversicherung absichern. Derartige Versicherungen<br />

erstatten dem Patienten den Betrag, den er von seiner gesetzlichen<br />

Krankenkasse nicht erstattet bekommen hat.<br />

Restkostenversicherungen sind bereits ab einem monatlichen<br />

Beitrag von etwa 30 Euro für Männer und 45 Euro für Frauen (Eintrittsalter<br />

30 Jahre) zu haben. Voraussetzung <strong>ist</strong>, dass man noch<br />

keine schwerwiegenden chronischen Krankheiten hat. Bei leichteren<br />

Dauererkrankungen kann gegebenenfalls ein Beitragszuschlag<br />

vereinbart werden.<br />

Ob ein Patient die Kostenerstattung wählen will, <strong>ist</strong> allein seine<br />

Entscheidung. Es kommt darauf an, ob er glaubt, dass die gesetzliche<br />

Krankenversicherung ihm in Zukunft noch eine seinen Vorstellungen<br />

entsprechende Behandlung gewährle<strong>ist</strong>en kann. (sys) ●<br />

Der stellvertretende KBV-Vorsitzende<br />

betonte: „Das Projekt der elektronischen<br />

Gesundheitskarte <strong>ist</strong> mit einem enormen<br />

technischen, finanziellen und log<strong>ist</strong>ischen<br />

Aufwand verbunden. Es kann nur gelingen,<br />

wenn Akzeptanz bei Ärzten und Patienten<br />

vorhanden <strong>ist</strong>. Deshalb fordern wir,<br />

die Daten dort zu lassen, wo sie sicher sind:<br />

In dem durch das Strafgesetzbuch geschützten<br />

Bereich der Praxen! Ohnehin<br />

sind Ärzte und Zahnärzte heute schon verpflichtet,<br />

wo immer möglich, Daten und<br />

Untersuchungsergebnisse auf Anforderung<br />

mitbehandelnder Kolleginnen und Kollegen<br />

zur Verfügung zu stellen.“ Hansen unterstrich,<br />

dass die KBV „die Chancen der<br />

Online-Kommunikation begrüßt und fördert.<br />

Dazu gehört es, dass wir rechtzeitig<br />

auf Probleme und Risiken hinweisen, damit<br />

wir sie im Vorfeld der Umsetzung lösen<br />

können", so der KBV-Vize. (sys) ●<br />

Faszination Seele – IV/2004 9


MEDIZIN<br />

Alle 47 Minuten<br />

ein Selbstmord in Deutschland<br />

In Deutschland nimmt sich alle 47 Minuten<br />

ein Mensch das Leben. Im Jahr<br />

2002 habe es 11163 Selbsttötungen<br />

gegeben, sagte der Vorsitzende der Initiativgruppe<br />

„Nationales Suizid-<br />

Präventions-Programm“,<br />

Prof. Armin Schmidtke, in<br />

Berlin anlässlich des internationalen<br />

Tages zur Verhinderung<br />

von Suizid am<br />

10. September. Unter ihnen<br />

waren 8106 Männer<br />

und 3057 Frauen.<br />

Im Vergleich zu den 50er<br />

Jahren ging die Zahl der<br />

Selbsttötungen in Deutschland<br />

zurück, doch habe sich<br />

der Anteil alter Menschen an<br />

den Suiziden unverhältnismäßig<br />

stark erhöht, sagte<br />

Schmidtke. 51,3 Prozent der<br />

Selbstmörderinnen waren Frauen<br />

über 60, obwohl ihr Anteil<br />

Weitere<br />

Informationen<br />

Deutsche Alzheimer Gesellschaft<br />

Friedrichstr.236, 10969 Berlin<br />

tel.: 030-2593 795-0<br />

info@deutsche-alzheimer.de<br />

Alzheimer-Telefon: 01803 - 171017<br />

10 (9 Cent pro Minute)<br />

Die<br />

Deutsche<br />

Alzheimer<br />

Gesellschaft hat<br />

mehr finanzielle<br />

und soziale Unterstützung<br />

bei der Betreuungdemenzkranker<br />

Angehöriger gefordert.<br />

Pflegeversicherung<br />

und Krankenkassen<br />

müssten Alzheimer-<br />

patienten früher als<br />

bislang die erste<br />

Pflegestufe zubilligen,<br />

sagte die<br />

Vorsitzende, Hei-<br />

an der Gesamtbevölkerung lediglich 27,5<br />

Prozent betrug. Der Anteil der Männer über<br />

60 betrug in der Gesamtbevölkerung 21,1<br />

Prozent, bei den Suiziden aber 36,7 Prozent.<br />

Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen<br />

blieben Selbstmorde nach Unfällen weiterhin<br />

die zweithäufigste Todesursache. Bis<br />

zu 16 Prozent betrug der Anteil der 15- bis<br />

24-Jährigen an den Selbsttötungen. Nach<br />

Angaben des Vereins „Hilfen für suizidgefährdete<br />

Kinder und Jugendliche“ <strong>ist</strong><br />

Selbstmord eine der häufigsten Todesursachen<br />

bei Jugendlichen in Deutschland.<br />

Durch Suizid sterben demnach bundesweit<br />

fast so viele junge Menschen<br />

wie im Straßenverkehr.<br />

Die Dunkelziffer <strong>ist</strong> laut<br />

Schmidtke hoch. Mancher Autounfall<br />

oder Drogentod bei jungen<br />

Menschen könne ein verdeckter<br />

Selbstmord sein. Bei alten Menschen<br />

könne Nichtbefolgen ärztlicher Anweisungen<br />

zur beabsichtigten Selbsttötung<br />

führen.<br />

Vorbeugung sei vor allem durch verbesserte<br />

Behandlung psychischer Erkrankungen<br />

möglich, sagte Schmidtke unter Berufung<br />

auf die Weltgesundheitsorganisation<br />

WHO. Viele Untersuchungen zeigten, dass in<br />

den vier Wochen vor dem Suizid Patienten<br />

häufiger als sonst ihren Hausarzt aufsuchten,<br />

die Neigung zur Selbsttötung aber nicht<br />

erkannt werde. (dpa/sys) ●<br />

Weitere<br />

Informationen<br />

Vorsitzender der Initiativgruppe<br />

Prof. Dr. Armin Schmidtke, Abt. Klinische Psychologie<br />

Klinik für <strong>Psychiatrie</strong> und Psychotherapie<br />

der Universität Würzburg<br />

Füchsleinstrasse 15, 97080 Würzburg<br />

tel.: (0931) 201-76670, fax: (0931) 201-76690<br />

email: clips-psychiatry@mail.uni-wuerzburg.de<br />

www.uni-wuerzburg.de/nervenklinik/clips<br />

Mehr Unterstützung bei<br />

der Pflege Demenzkranker<br />

ke von Lützau-Hohlbein, auf dem<br />

Kongress der Deutschen Alzheimer<br />

Gesellschaft Anfang September in<br />

Lübeck. An der Tagung nahmen rund<br />

800 Experten und Betroffene teil.<br />

Lützau-Hohlbein forderte ein flächendeckendes<br />

Netz von Anlaufund<br />

Beratungsstellen, in denen Patienten<br />

und Angehörige Hilfe finden.<br />

Bundesweit leiden rund eine Million<br />

Menschen an einer Demenzerkrankung.<br />

Rund zwei Drittel von ihnen<br />

werden nach Angaben der Deutschen<br />

Alzheimer Gesellschaft zu<br />

Hause betreut. Die Zahl der zu Hause<br />

lebenden Kranken werde zunehmen,<br />

da sich in Zeiten steigender Ar-<br />

beitslosigkeit viele Menschen teure<br />

Pflegeheimplätze nicht mehr le<strong>ist</strong>en<br />

könnten, warnte sie. Auch deshalb<br />

müsse das Netz qualifizierter Tagespflegeeinrichtungen<br />

ausgebaut werden.<br />

Zurzeit erarbeiteten Wissenschaftler<br />

einen Test, der die Veränderungen<br />

im Gehirn frühzeitig<br />

nachweisen und dadurch Demenzerkrankungen<br />

vor Auftreten der ersten<br />

Symptome erkennen soll, sagte<br />

Alexander Kurz von der TU München.<br />

Eine Früherkennung sei wichtig,<br />

um durch rechtzeitige Therapie<br />

den Patienten möglichst lange ihre<br />

Lebensqualität zu sichern, sagte<br />

Kurz. (sys/dpa) ●


PRIVAT<br />

?<br />

Fragen aus der<br />

Praxis...<br />

Dr. Rita Wietfeld, niedergelassene Fachärztin für<br />

<strong>Psychiatrie</strong> und Neurologie und Psychotherapeutin,<br />

steht Ihnen auf dieser Seite Rede und Antwort.<br />

Zur Person:<br />

Dr. Rita Wietfeld<br />

studierte Medizin in Bochum und Essen und<br />

ließ sich vor 14 Jahren in ihrer Heimatstadt<br />

Witten als Ärztin für <strong>Psychiatrie</strong>, Neurologie<br />

und Psychotherapie mit sozialpsychiatrischem<br />

Schwerpunkt nieder. „Patien-<br />

tenarbeit <strong>ist</strong> schließlich meine Aufgabe“,<br />

betont sie.<br />

Ich leide seit mehreren Jahren<br />

unter einer Psychose. Die Medikamente<br />

haben nicht geholfen,<br />

deswegen habe ich sie abgesetzt. Ich<br />

möchte eine Psychotherapie machen, aber mein Arzt hält das<br />

nicht für angebracht. Ist eine Psychotherapie bei einer schizophrenen<br />

Erkrankung sinnvoll? (Herr Sch., 27 Jahre)<br />

Dr. Wietfeld: Vor Jahren haben wir Psychiater tatsächlich gemeint,<br />

dass eine Psychotherapie bei schizophren Erkrankten<br />

nicht indiziert sei. Inzwischen haben wir ein deutlich besseres<br />

Verständnis von der Erkrankung entwickeln können. Die Patienten<br />

sind wesentlich aufgeklärter, eigenverantwortlicher im<br />

Umgang mit ihrer Erkrankung geworden. Eine schizophrene<br />

Erkrankung lässt sich durch eine Psychotherapie sicher nicht<br />

heilen, auch kann sie durch vertiefendes aufdeckendes Verständnis,<br />

z.B. von Kindheitserlebnissen, in aller Regel nicht erklärt<br />

oder begründet werden. Es gilt auch heute, das die Psychotherapie<br />

in der Behandlung schizophren Erkrankter nicht<br />

aufdeckend sein sollte, sie kann aber stützend begleitend erfolgen,<br />

sie kann verhaltenstherapeutisch ausgerichtet sein oder<br />

auch psychoedukativ. <strong>Wenn</strong> Erkrankte weitere psychische Probleme<br />

haben, so können diese durchaus im Rahmen einer Psychotherapie<br />

behandelt werden. Zu berücksichtigen in der<br />

Therapie eines an Schizophrenie Erkrankten <strong>ist</strong> in ganz besonderem<br />

Maße jedoch seine seelische Verletzlichkeit und Belastbarkeit.<br />

So genannte aufdeckende Behandlung kann Patienten<br />

äußerst irritieren, belasten, aufwühlen und auch zum Ausbruch<br />

eines akuten Schubs führen. <strong>Wenn</strong> dies angemessene<br />

Berücksichtigung findet, <strong>ist</strong> gegen eine psychotherapeutische<br />

Begleitung sicher nichts einzuwenden. ●<br />

NACHGEFRAGT<br />

Haben auch Sie Fragen an<br />

Dr. Rita Wietfeld?<br />

Dann mailen Sie uns:<br />

sys@biermann.net<br />

oder schreiben Sie an:<br />

Biermann Verlag GmbH<br />

„Faszination Seele“<br />

Otto-Hahn-Str. 7, 50997 Köln<br />

Fax: 02236/376-452<br />

?<br />

Meine Mutter <strong>ist</strong> so lange ich mich zurück erinnern kann schizophren. Sie<br />

war häufig im Krankenhaus, richtig gesund geworden <strong>ist</strong> sie aber nie.<br />

Ich stehe beruflich im öffentlichen Leben. Wiederholt <strong>ist</strong> es mir vorgekommen,<br />

dass man mir vorhält, die Erkrankung würde "abfärben", die Erkrankung sei<br />

schließlich erblich... Dies verletzt mich nicht nur sehr, sondern schadet auch meinem<br />

beruflichen Fortkommen. Meine Frage an Sie: Ist Schizophrenie tatsächlich eine<br />

Erbkrankheit? (Frau B. aus K.)<br />

<strong>Wenn</strong> Sie Ihre Fragen<br />

lieber direkt an<br />

Dr. Rita Wietfeld<br />

richten möchten, dann<br />

erreichen Sie sie in<br />

ihrer Praxis.<br />

Tel.: 02302/60323<br />

Dr. Wietfeld: Nein, Schizophrenie <strong>ist</strong> keine Erbkrankheit! Allerdings<br />

<strong>ist</strong> es tatsächlich so, dass das Erkrankungsrisiko um so höher <strong>ist</strong>, je<br />

näher der Grad der Verwandtschaft zu einem an Schizophrenie Erkrankten<br />

<strong>ist</strong>. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit bei Kindern psychotischer<br />

Eltern <strong>ist</strong> etwa zehn mal höher als in gesunden Familien.<br />

Es müssen jedoch viele Faktoren zusammen kommen, bevor eine<br />

genetische Veranlagung zur Krankheit wird. Ihre Erfahrungen<br />

bestätigen, dass die Allgemeinheit noch immer starke Vorurteile gegenüber<br />

psychisch kranken Menschen hat, die durch Unkenntnis<br />

über Art und Wesen der Erkrankung begründet <strong>ist</strong>. ●<br />

?<br />

Ich leide seit vielen Jahren unter Depressionen und muss deswegen<br />

Antidepressiva einnehmen. Mein Sexualleben liegt seitdem<br />

brach. Oft hab ich deswegen schon überlegt, die Medikamente abzusetzen,<br />

aber die Angst, wieder in eine tiefe seelische Krise zu stürzen<br />

hat mich bislang davon abgehalten. Muss ich Libidoverlust und Potenzstörungen<br />

dauerhaft hinnehmen? Meine Lebensqualität <strong>ist</strong> dadurch erheblich<br />

beeinträchtigt. (Herr K., 54 Jahre)<br />

Dr. Wietfeld: Es <strong>ist</strong> tatsächlich so, dass Psychopharmaka gelegentlich zu<br />

Sexualstörungen führen können. Allerdings <strong>ist</strong> auch zu berücksichtigen,<br />

dass die seelische Krankheit als solche das Liebesleben ungünstig beeinflussen<br />

kann. Nicht immer lässt sich daher abgrenzen, ob es die Medikamente<br />

oder die Erkrankung oder die seelische Reaktion auf die Erkrankung<br />

<strong>ist</strong>, die zu Blockierungen der primär gesunden Sexualfunktion führen<br />

können. <strong>Wenn</strong> Sie sich seelisch soweit stabil und ausgeglichen<br />

fühlen, sollten Sie mit Ihrem behandelnden Arzt über einen Medikamentenwechsel<br />

sprechen. Die Reaktion des Einzelnen auf die verschiedenen<br />

Medikamente <strong>ist</strong> individuell völlig verschieden und nicht vorhersehbar.<br />

Daher lohnt es sich durchaus, andere Behandlungsalternativen zu nutzen.<br />

Wichtig <strong>ist</strong>, dass Partner/Partnerin Geduld und Verständnis für die<br />

Situation aufbringen kann, eine zu hohe Erwartungshaltung könnte zur<br />

Symptomverschlechterung oder –fixierung führen. ●<br />

Faszination Seele – IV/2004 11


12<br />

MEDIZIN<br />

Psychopathen<br />

in den Chefetagen<br />

Ist Ihr Chef eine charmante und<br />

gut erzogene Führungspersönlichkeit,<br />

die schnurstracks die Karriereleiter<br />

hinaufklettert? Falls ja,<br />

könnte er ein Psychopath sein, wie<br />

US-Psychologen jetzt herausgefunden<br />

haben wollen. Forschungen<br />

hätten ergeben, dass nicht<br />

alle Pychopathen brutale Killer seien,<br />

sagte der US-Wirtschaftspsychologe<br />

Paul Babiak. Vielmehr arbeiteten<br />

viele in allen möglichen<br />

Berufszweigen und machten Karriere.<br />

„Psychopathen sind häufig<br />

liebenswürdig, haben Selbstbewusstsein<br />

und stehen auf Geld,<br />

Macht und Sex. Weil sie sich gut<br />

ausdrücken können, denkt jeder,<br />

sie hätten Visionen und wären zur<br />

Unternehmensführung geeignet.“<br />

„Ein Psychopath hätte keine<br />

Skrupel, einen ganzen Betrieb zu<br />

schließen, während einer wirklichen<br />

Führungspersönlichkeit<br />

die Entlassungen leid tun würden“,<br />

erläutert Babiak. Langfr<strong>ist</strong>ig<br />

aber <strong>ist</strong> ein Psychopath ein<br />

Problem für eine Firma, wie Babiak<br />

betont. „Sie sind ungeeignet<br />

für die tägliche Routinearbeit und<br />

nutzen die anderen Angestellten<br />

aus.“ (dpa/sys) ●<br />

Faszination Seele – IV/2004<br />

Wenig Redezeit beim Hausarzt -<br />

falsche Diagnose möglich<br />

Hausärzte, die ihre Patienten kaum zu Wort kommen lassen, übersehen häufig<br />

psychisch oder stressbedingte Krankheiten. Das geht aus einer neuen Studie des<br />

Universitätsklinikums Düsseldorf hervor. Für die Studie wurden 500 Patientenkontakte<br />

in 18 Praxen untersucht. <strong>Wenn</strong> Ärzte ihren Patienten durchschnittlich nur<br />

1,8 Minuten Redezeit gewährten, erkannten sie psychosomatische Krankheitsbilder<br />

oft nicht, sagte der Düsseldorfer Mediziner Johannes Kruse.<br />

Redeten die Patienten jedoch 3,5 Minuten oder länger in der Sprechstunde, kamen<br />

die Hausärzte psychosomatischen Leiden eher auf die Spur. Sie erfuhren beispielsweise<br />

von Problemen wie Scheidung, Trennung oder häuslicher Gewalt. „Die<br />

Qualität der Diagnostik hängt unmittelbar mit den Gesprächen zwischen Arzt und<br />

Patient zusammen“, erläuterte Kruse. (dpa) ●<br />

Chaos im Haus führt zu<br />

Chaos im Kinderkopf<br />

Ein chaotisches Zuhause kann für die<br />

Intelligenzentwicklung von Kindern<br />

hinderlich sein. Das geht aus Untersuchungen<br />

von US-Forschern hervor, die<br />

die Lebensumstände und Intelligenz von 8000<br />

ein- und zweieiigen Zwillingen untersucht haben.<br />

Es zeigte sich, dass die Haushalte von Familien aus<br />

gebildeteren und wohlhabenderen Schichten auch ordentlicher<br />

waren. Berücksichtigte man jedoch darüber<br />

hinaus die teils identischen oder teils nur zur Hälfte<br />

übereinstimmenden Gene der Kinder, wurde<br />

deutlich, dass ein ordentliches Zuhause<br />

einen positiven Einfluss<br />

auf die Intelligenzentwicklung<br />

hatte. Die Ergebnisse<br />

legten nahe, dass die Intelligenz<br />

umso stärker auf die<br />

genetische Disposition beschränkt<br />

wird, je anstrengender<br />

die Umgebung für<br />

ein Kind <strong>ist</strong>, schlossen die<br />

Wissenschaftler. (dpa/sys) ●


Erste Ergebnisse einer <strong>aktuell</strong>en<br />

Studie des Zentralinstituts<br />

für Seelische Gesundheit<br />

Mannheim zeigen,<br />

dass Stalking auch in<br />

Deutschland ein erhebliches<br />

und ernst zu nehmendes Problem<br />

darstellt.<br />

I<br />

In der ersten auf einer Bevölkerungsstichprobe<br />

basierenden Untersuchung zum<br />

Thema Stalking in Deutschland von Harald Dressing,<br />

Chr<strong>ist</strong>ine Kühner und Peter Gass wurden 2000 Männer<br />

und Frauen zur Häufigkeit und Ausprägung von Stalking<br />

befragt. 78 Personen (12 Prozent) der Mannheimer<br />

Stichprobe waren mindestens einmal in ihrem Leben Opfer<br />

von Stalking, zum Untersuchungszeitpunkt waren 1,6 Prozent<br />

<strong>aktuell</strong> von Stalking betroffen.<br />

Bei 68 Prozent der Stalkingopfer dauerte die Verfolgung<br />

und Belästigung länger als ein Monat, bei 24,4 Prozent sogar<br />

länger als ein Jahr. Im Durchschnitt waren die Opfer etwa<br />

fünf verschiedenen Methoden der Verfolgung, Beeinträchtigung<br />

und Belästigung ausgesetzt. In 34,6 Prozent der<br />

Fälle wurden Drohungen ausgesprochen, denen in 30,4 Prozent<br />

auch tatsächliche Gewalthandlungen seitens des Stalkers<br />

folgten. In 75,6 Prozent der Fälle kannte das Opfer seinen<br />

Verfolger. Die Stalkingopfer zeigen im Vergleich zur<br />

Allgemeinbevölkerung eine signifikant schlechtere psychische<br />

Befindlichkeit.<br />

Was <strong>ist</strong> Stalking?<br />

Der Begriff Stalking wurde in den 1990er Jahren in den<br />

USA für ein komplexes menschliches Verhaltensmuster geprägt.<br />

Wörtlich übersetzt bedeutet Stalking „auf die Pirsch<br />

gehen“, in der psychiatrischen Terminologie charakterisiert<br />

man damit ein Verhaltensmuster, bei dem ein Täter einen<br />

anderen Menschen ausspioniert, verfolgt, belästigt, bedroht,<br />

unter Umständen auch körperlich attackiert und in seltenen<br />

Fällen sogar tötet. Durch diese Verhaltensweisen fühlt sich<br />

das Opfer des Stalkers, das als Stalkee bezeichnet wird, in<br />

Angst versetzt. In den me<strong>ist</strong>en angelsächsischen Ländern<br />

wurden mittlerweile auch Gesetze verabschiedet, die Stalking<br />

als einen eigenständigen<br />

Straftatbestand bezeichnen.<br />

„Stalking“ <strong>ist</strong><br />

ernst zu nehmen<br />

MEDIZIN<br />

Studien zeigten, dass 12 bis 32<br />

Prozent der Frauen und 4 bis 17 Prozent<br />

der Männer im Laufe ihres Lebens<br />

Opfer von Stalking wurden. Dies deutet<br />

darauf hin, dass Stalking ein weit verbreitetes<br />

Problem darstellt.<br />

Die Mannheimer Studie<br />

Aus der Einwohnermeldekartei der Stadt Mannheim wurden<br />

1000 Frauen und 1000 Männer im Alter von 18 bis 65 Jahren zufällig<br />

ausgewählt. Diesen Personen wurde zusammen mit einem Begleitbrief,<br />

in dem das Ziel der Studie erklärt wurde, ein umfangreicher<br />

Fragebogen zum Thema Stalking zugeschickt.<br />

Insgesamt antworteten 679 Personen, was einer Rücklaufquote<br />

von 34,2 Prozent entspricht. Die Ergebnisse dieser Studie stützen die<br />

Annahme, dass Stalking auch in Deutschland ein relevantes Problem<br />

darstellt. 78 Personen (12 Prozent) erfüllten die in der Studie zu<br />

Grunde gelegten Stalkingkriterien, d.h. sind einmal in ihrem Leben<br />

über eine Zeitspanne von mindestens zwei Wochen mit mindestens<br />

zwei unterschiedlichen Methoden verfolgt, belästigt oder bedroht<br />

worden und wurden dadurch in Angst versetzt. Zum Untersuchungszeitpunkt<br />

waren 1,6 Prozent <strong>aktuell</strong> von Stalking betroffen.<br />

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass Stalking<br />

auch in Deutschland ein erhebliches und ernst zu nehmendes<br />

Problem darstellt. Die Stalkingopfer zeigen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung<br />

eine signifikant schlechtere psychische Befindlichkeit<br />

und suchen auch häufig Ärzte und Therapeuten auf, wohingegen<br />

jur<strong>ist</strong>ische Schritte trotz eindeutig vorliegender Straftatbestände<br />

eher selten ergriffen werden.<br />

Da Ärzte und Therapeuten offensichtlich häufiger Ansprechpartner<br />

von Stalkingopfern sind, sind profunde Kenntnisse über die<br />

Stalkingproblematik zwingend notwendig. Interventionstechniken<br />

sollten immer aus einem umfassenden Ansatz bestehen, der kompetente<br />

Beratung und Information über den Umgang mit dem Stalker,<br />

Risikoeinschätzung bezüglich gewalttätigen Verhaltens, jur<strong>ist</strong>ische<br />

Schritte und therapeutische Maßnahmen umfasst. Ein koordiniertes<br />

Vorgehen, das Polizei, Rechtsanwälte und<br />

Gerichte vor Ort mit einbezieht, <strong>ist</strong> für ein erfolgreiches<br />

Management Voraussetzung.(sys) ●<br />

Faszination Seele – IV/2004 13


Journal<strong>ist</strong>enpreis Schizophrenie<br />

und Stigma vergeben<br />

Angelika Sauerer, Regensburg, <strong>ist</strong> neue Pre<strong>ist</strong>rägerin des Journal<strong>ist</strong>enpreises<br />

„Schizophrenie und Stigma – Mit psychisch<br />

Kranken leben“. Sie erhielt den Preis für ihren Artikel „Etwas von<br />

außen will in mir leben“, der im Frühsommer 2003 in der Mittelbayerischen<br />

Zeitung Regensburg erschienen <strong>ist</strong>. Sauerer informiert<br />

präzise und einfühlsam über die psychische Erkrankung<br />

Schizophrenie – über Ursachen, Behandlungsmöglichkeiten und<br />

über den Umgang der Kranken und ihrer Angehörigen mit dem<br />

Leiden.<br />

D E<br />

Der mit 5000 Euro dotierte<br />

Journal<strong>ist</strong>enpreis wurde Ende<br />

September im Rahmen der Jahrestagung<br />

der Familienselbsthilfe<br />

<strong>Psychiatrie</strong> (Bundesverband<br />

der Angehörigen psychisch<br />

Kranker, BApK) zum dritten Mal<br />

verliehen. Er geht an Autoren,<br />

die mit ihren Beiträgen sachlich<br />

über die Krankheit Schizophrenie<br />

aufklären und damit helfen,<br />

Vorurteile in der Bevölkerung<br />

über psychisch Kranke abzubauen.<br />

Im Wechsel werden Arbeiten<br />

aus den Kategorien Print- und<br />

audiovisuelle Medien ausgezeichnet.<br />

Die Stifter des Preises<br />

sind die Familienselbsthilfe<br />

<strong>Psychiatrie</strong> und das Pharmaunternehmen<br />

Janssen-Cilag.<br />

Eine Belobigung erhielt außerdem<br />

der Beitrag „Der Himmel<br />

zog mich magisch an – Ein Leben<br />

mit schizophrener Psychose“,<br />

der im Dezember 2003 in<br />

der Publikation „Freitag, Die<br />

Ost-West-Zeitung“ erschienen<br />

<strong>ist</strong>. Die Münchner Autorin<br />

schreibt unter dem Pseudonym<br />

Eva Südpol, denn es<br />

<strong>ist</strong> ihre eigene Geschichte,<br />

14<br />

MEDIZIN<br />

Faszination Seele – IV/2004<br />

die nach zahlreichen Problemen mit<br />

Medikamenten und Schwierigkeiten<br />

in einer therapeutischen Wohngemeinschaft<br />

letzten Endes doch<br />

mit einem Leben in der eigenen<br />

Wohnung und der Arbeit bei einem<br />

Lokalradio gut ausgeht. Diese Geschichte<br />

macht Mut: Reintegration<br />

<strong>ist</strong> möglich, auch wenn bestimmte<br />

Voraussetzungen dafür – wie eine<br />

medikamentöse Langzeitbehandlung,<br />

Verhaltenstherapie und soziotherapeutische<br />

Maßnahmen — erfüllt<br />

sein müssen.<br />

Nach wie vor ex<strong>ist</strong>ieren in der<br />

Bevölkerung viele Vorurteile gegenüber<br />

psychisch kranken Menschen.<br />

Häufig heißt es, sie seien<br />

gewalttätig und gefährlich. Unter<br />

dieser einseitigen und verzerrten<br />

Darstellung seelisch Kranker in<br />

den Medien leiden sowohl die Betroffenen<br />

selbst, als auch ihre Familien.<br />

Die Familienselbsthilfe<br />

<strong>Psychiatrie</strong> und Janssen-Cilag<br />

möchten mit dem Journal<strong>ist</strong>enpreis<br />

sachliche Berichterstattung<br />

fördern und die Wahrnehmung<br />

psychisch Kranker in der Öffentlichkeit<br />

verbessern. (Publicis<br />

Vital PR) ●<br />

Therapietreue<br />

<strong>ist</strong> höher<br />

In der Behandlung der Schizophrenie<br />

besteht seit einiger Zeit auch die Möglichkeit,<br />

das Medikament in Depotform<br />

zu verabreichen.<br />

Ein Neuroleptikum in Depotform bedeutet,<br />

dass Patienten nicht täglich eine Tablette<br />

einnehmen, sondern sie erhalten alle zwei<br />

Wochen eine Spritze. Dadurch werden sie<br />

nicht so häufig an ihre Erkrankung erinnert.<br />

Therapietreue und Patientenakzeptanz nehmen<br />

zu.<br />

Studien zeigen, dass Patienten, die ein<br />

Depot mit einem atypischen Neuroleptikum<br />

erhalten, seltener und kürzer im Krankenhaus<br />

sind als andere Schizophreniepatienten.<br />

Etwa 80 Prozent der Patienten erleiden<br />

trotz medikamentöser Behandlung innerhalb<br />

von fünf Jahren mindestens einen Rückfall.<br />

Eine der Ursachen für die hohe Anzahl an<br />

Rückfällen <strong>ist</strong> die Tatsache, dass die Patienten<br />

ihre Medikamente nicht oder nur teilweise<br />

nach Anweisung des Arztes einnehmen.<br />

Ein Rückfall bedeutet für den Patienten<br />

einen erneuten Krankenhausaufenthalt. Die<br />

soziale und berufliche Reintegration werden<br />

gestört. Je mehr Rückfälle ein Patient durchlebt,<br />

desto länger dauern seine akuten<br />

Krankheitsphasen an. Die Lebensqualität der<br />

Betroffenen <strong>ist</strong> stark eingeschränkt. In der<br />

Folge steigt das Risiko eines Selbstmordes.<br />

Schizophrenie <strong>ist</strong> keine seltene Erkrankung.<br />

Einer von 100 Menschen erkrankt im<br />

Laufe seines Lebens an einer Schizophrenie.<br />

Zum Zeitpunkt der Erkrankung sind die<br />

me<strong>ist</strong>en Frauen zwischen 26 und 45 Jahre<br />

alt. Bei Männern setzt die Krankheit me<strong>ist</strong><br />

früher ein, zwischen 18 und 25. (Publicis<br />

Vital PR) ●<br />

Der Obelisk mit seinen vier Seiten steht für die verschiedenen<br />

Meinungen der pluralen Gesellschaft sowie für die Medien,<br />

die sie verbreiten. Die vier Menschen stehen für die<br />

Macht der Meinungsmacher.


„Sei nicht so schüchtern, aus dem Alter müsstest du eigentlich<br />

raus sein“, sagte ein Bekannter zu Birgit Bader (Namen<br />

der Betroffenen geändert). Es war nach einer Party, und er<br />

wollte ihr Kuchen mitgeben. Sie hatte dankend abgelehnt,<br />

weil sie Angst hatte, im Mittelpunkt zu stehen und mit einer<br />

alltäglichen Situation konfrontiert zu werden.<br />

B<br />

Birgit Bader leidet an einer so genannten Sozialen Phobie. Die 30-<br />

Jährige kann Gesprächspartnern nicht in die Augen sehen, errötet<br />

leicht und glaubt, sich ständig in der Öffentlichkeit zu blamieren.<br />

„Mein Körper <strong>ist</strong> immer in Alarmbereitschaft.“ In ihrem Job bei einem<br />

Stuttgarter Autokonzern hat die Betriebswirtin viel Verantwortung,<br />

fühlt sich oft überfordert. Vorträge halten und Geschäftsreisen<br />

sind ihr ein Graus.<br />

Zwei Millionen Menschen, so schätzt man, sind in Deutschland<br />

von der Sozialen Phobie betroffen. Und die Krankheit kennt keine gesellschaftlichen<br />

Grenzen. „Sie kann den Manager genauso treffen wie<br />

den Handwerker“, sagt Prof. Iver Hand, Leiter der Abteilung Verhaltenstherapie<br />

der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf. Der Psychiater<br />

weiß: Ängste sind immer ein Stück weit auch normal. Therapiebedürftig<br />

wird die Schüchternheit dann, „wenn man sich bei der<br />

Überwindung der Angst immer wieder überfordern muss“. Und nur<br />

ein Gedanke im Kopf der Betroffenen kre<strong>ist</strong>: von anderen negativ bewertet<br />

zu werden. Diese wissen oft nicht woran sie leiden, quälen sich<br />

in Beruf und Privatleben, versuchen bestimmten Situationen aus dem<br />

Weg zu gehen, wirken gelegentlich arrogant, nur um von sich selbst<br />

Im Berufsleben<br />

fühlen sich<br />

Betroffene häufig<br />

überfordert.<br />

MEDIZIN<br />

IImmmmeerr iinn AAllaarrmmbbeerreeiittsscchhaafftt<br />

abzulenken. Sie gehen nicht mehr unter Leute und vereinsamen. Depressionen<br />

und Alkoholprobleme sind oft die Folge.<br />

Karsten Huber wusste bereits als Jugendlicher, dass er „anders <strong>ist</strong><br />

als andere“. Von seiner Krankheit erfuhr er erst während seines Medizinstudiums.<br />

Gesprächs- und Verhaltenstherapien, Medikamente und<br />

eine Selbsthilfegruppe in Hamburg haben ihn dann auf seiner Reise<br />

in die Normalität begleitet. Er arbeitete im Krankenhaus und keiner<br />

der Kollegen merkte, dass er unter einer Phobie leidet. Als er einen<br />

neuen Chef bekam, holte die Krankheit ihn wieder ein: „In seiner Gegenwart<br />

habe ich alles vergessen.“ Nach kurzer Zeit brach Karsten seine<br />

Probezeit ab. Jetzt <strong>ist</strong> der Familienvater ohne Job.<br />

Auch Birgit hat den Weg zum Therapeuten gefunden: „Dadurch<br />

habe ich gelernt, Freunden von meiner Krankheit zu erzählen.“ Dinge<br />

tun, vor denen der Patient am me<strong>ist</strong>en Angst hat, das <strong>ist</strong> Bestandteil<br />

der Verhaltenstherapie. „Man soll sein eigener Beobachter werden“,<br />

sagt Hand. Dadurch soll Selbstvertrauen geschaffen werden<br />

„und man soll erfahren, ob die anderen in bestimmten Situationen<br />

wirklich genau hin gucken“. Entgegen der eigenen Vermutung ignorieren<br />

die me<strong>ist</strong>en Leute Menschen mit hochrotem Gesicht. Die Therapie<br />

<strong>ist</strong> oft Erfolg versprechend, die Ängste werden reduziert oder<br />

verschwinden ganz.<br />

Die Ursachen der Störung werden me<strong>ist</strong> in der Kindheit und Jugend<br />

angelegt – die Veranlagung zur Schüchternheit immer vorausgesetzt.<br />

Entweder, erklärt Psychiater Hand, herrschte im Elternhaus<br />

kein liebevoller Umgang oder eine Außenseiterrolle in der Schule wurde<br />

nie überwunden. (dpa) ●<br />

Faszination Seele – IV/2004 15<br />

BIERMANN VERLAG


Z<br />

16<br />

KINDER<br />

Forum für die seelische Gesundheit von Kindern<br />

Zum ersten Mal fand in Deutschland der Weltkongress der<br />

Kinder- und Jugendpsychiatrie (IACAPAP) statt. International<br />

renommierte Ärzte und Wissenschaftler diskutierten<br />

Ende August in Berlin über psychische Erkrankungen<br />

wie Depressionen oder Schizophrenie<br />

und stellten neue Studienergebnisse<br />

vor.<br />

Etwa die Hälfte der Weltbevölkerung besteht<br />

aus Kindern und Jugendlichen. Viele<br />

von ihnen weisen, beispielsweise als<br />

Folge von Katastrophen, durch Krankheiten<br />

oder aufgrund widriger sozialer<br />

Lebensumstände, seelische Auffälligkeiten<br />

auf und bedürfen einer Behandlung.<br />

Zum 16. Mal trafen sich hochrangige Ärzte<br />

und Wissenschaftler auf dem Weltkongress<br />

für Kinder- und Jugendpsychiatrie (IA-<br />

CAPAP), um über neuste Behandlungsmethoden<br />

und Forschungsergebnisse zu sprechen. Mit<br />

Berlin liegt in diesem Jahr der Veranstaltungsort zum<br />

ersten Mal in Deutschland. Das Motto des Kongresses lautet:<br />

„Erleichterung von Lebenswegen – Versorgung, Behandlung und<br />

Prävention von seelischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter.“<br />

Rund 2200 Teilnehmer aus mehr als 87 Ländern kamen nach Berlin.<br />

„Zur Sprache kommt das gesamte Spektrum der Kinder- und Jugendpsychiatrie“,<br />

erläutert der Präsident des Kongresses, Prof. Helmut<br />

Remschmidt aus Marburg. Die Bandbreite der Themen reicht hierbei<br />

Faszination Seele – IV/2004<br />

von Aufmerksamkeitshyperaktivitätsstörungen, Depressionen, Ess-<br />

Störungen, Autismus und Epilepsie bis zu den psychischen Auswirkungen<br />

durch Katastrophen, Terror und Krieg. Als Referenten für den<br />

Kongress konnten hochrangige Experten wie die französische<br />

Universitätsprofessorin Colette Chiland von der Pariser<br />

Sorbonne, Professor Sir Michael Rutter aus London<br />

und der Harvard-Prof. Leon Eisenberg aus Boston<br />

gewonnen werden.<br />

IACAPAP steht als Abkürzung für International<br />

Association for Child and Adolescent<br />

Psychiatry and Allied Professions.<br />

Die internationale Gesellschaft wurde bereits<br />

in den 30er Jahren des vergangenen<br />

Jahrhunderts gegründet; der erste Weltkongress<br />

fand 1937 in Paris statt. „Zusammen<br />

mit der Weltgesundheitsorganisation<br />

versuchen wir, das Bewusstsein für<br />

die seelische Gesundheit der Kinder zu wekken“,<br />

sagte Remschmidt. „IACAPAP sieht sich<br />

als Anwalt für seelisch belastete Kinder und deren<br />

Familien.“ Das besondere Anliegen der Gesellschaft<br />

war es schon immer, die Rechte der Kinder zu unterstützen.<br />

Um die Qualität von Pflege und Behandlung weltweit zu verbessern,<br />

sammelt IACAPAP so viele Informationen wie möglich und<br />

veröffentlicht das Wissen. Im Laufe der Jahre hat sich die Gesellschaft<br />

eine besondere Rolle bei der Förderung der Kinder- und Jugendforschung<br />

in den Entwicklungsländern erarbeitet. (Beate Lisofski) ●<br />

http://www.iacapap-berlin.de oder http://www.iacapap.org/<br />

ADHS-Kinder: Weder faul noch schlecht erzogen<br />

„Faul, aufsässig und schlecht erzogen“ seien viele Kinder heutzutage,<br />

so die landläufige Meinung. Schuld daran seien die Eltern,<br />

die sich nicht genug mit ihren Kindern beschäftigen und sie stattdessen<br />

vor dem Fernseher „abstellen“. Solche Voruteile sind häufig<br />

anzutreffen, wenn es um die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung<br />

(ADHS) geht.<br />

Dabei weiß man heute, dass ADHS eben nicht einfach ein Erziehungsproblem<br />

oder eine Erscheinung unserer modernen und hektischen<br />

Zeit <strong>ist</strong>. Bei ADHS handelt es sich vielmehr um eine ernst<br />

zu nehmende Erkrankung mit weitreichenden Folgen für das betroffene<br />

Kind und sein Umfeld. Ursache <strong>ist</strong> eine neurobiologische<br />

Funktionsstörung im Gehirn. Einströmende Reize aus der Umwelt<br />

können nicht mehr ausreichend gefiltert werden.<br />

Die Folge: permanente Reizüberflutung, die sich im Verhalten<br />

des betroffenen Kindes durch ein individuelles Muster aus Unaufmerksamkeit,<br />

Hyperaktivität und Impulsivität niederschlägt. Ob<br />

ein zappeliges und unkonzentriertes Kind wirklich unter ADHS lei-<br />

BIERMANN VERLAG<br />

det, kann nur ein erfahrener Kinderarzt oder Kinder- und Jugendpsychiater<br />

herausfinden.<br />

Eltern können ihrem Kind und sich selbst den Alltag erleichtern,<br />

indem sie folgende Grundsätze beachten:<br />

➤ Stellen Sie klare Regeln und Zeiten zur Strukturierung des<br />

Tagesablaufs auf.<br />

➤ Loben und Belohnen des Kindes <strong>ist</strong> wirkungsvoller als<br />

Schimpfen und Strafen.<br />

➤ Schaffen Sie Freiraum für Bewegungsdrang.<br />

➤ Zeigen Sie Ihrem Kind Zuneigung.<br />

ADHS-Kinder haben oft beson-<br />

dere Eigenschaften wie<br />

Kreativität, Ideenreichtum<br />

und Spontaneität. Die<br />

sollten gefördert und<br />

gelobt werden. (sab) ●<br />

Weitere<br />

Informationen<br />

Adressen von Fachärzten, die auf ADHS<br />

spezialisiert sind, erhalten Sie bei ADHS-Selbsthilfegruppen.<br />

Unter www.mehr-vom-tag.de<br />

finden Sie Links zu den größten deutschen<br />

Selbsthilfeorganisationen sowie weitere<br />

Information zu ADHS.


D<br />

BIERMANN VERLAG<br />

Mit psychischer<br />

Erkrankung ans Steuer?<br />

Psychische Erkrankungen und die zu deren Behandlung eingesetzten<br />

Medikamente können das Le<strong>ist</strong>ungs- und Reaktionsvermögen<br />

und damit die Fahrtauglichkeit erheblich herabsetzen. Eine psychische<br />

Erkrankung bedeutet aber nicht gleich, den Führerschein hergeben<br />

zu müssen.<br />

Die vom Bundesmin<strong>ist</strong>erium für Verkehr herausgegebenen „Begutachtungsleitlinien<br />

zur Kraftfahreignung“ liefern Hinweise, wann die Patienten nicht ans<br />

Steuer dürfen.<br />

Da Art, Ausprägung und Verlauf psychischer Erkrankungen stark variieren,<br />

lässt sich das Fahrvermögen des Betroffenen immer nur von Fall zu Fall beurteilen.<br />

Während jedoch für LKW- und Busfahrer strengere Maßstäbe gelten,<br />

sind die Leitlinien für Autofahrer kulanter.<br />

Alzheimer-Demenz führt ebenso wenig automatisch zum Führerscheinentzug<br />

wie im Alter nachlassende Le<strong>ist</strong>ungs- und Reaktionsfähigkeit. Die Fahrerlaubnis<br />

erlischt erst, wenn man dem Betreffenden ausgeprägte Le<strong>ist</strong>ungsdefizite<br />

und eine schwere Persönlichkeitsveränderung nachweisen kann.<br />

Menschen, die an akuten Verwirrtheits- und Dämmerzuständen, einem<br />

amnestischen Syndrom oder einer organischen Psychose leiden, dürfen grundsätzlich<br />

nicht ans Steuer. Erst wenn die Symptome abgeklungen sind, kann die<br />

Fahrerlaubnis nach entsprechender Nachuntersuchung wieder erteilt werden.<br />

Auch Patienten mit affektiver Psychose, schwerer Depression oder Manie sind<br />

grundsätzlich nicht fahrtauglich. Das Fahrverbot kann aber aufgehoben werden,<br />

wenn die akute Krankheitsphase überwunden <strong>ist</strong> und der Patient unter regelmäßiger<br />

Medikation und psychiatrischer Betreuung steht. Von den schizophrenen<br />

Psychotikern sind nur jene fahrtauglich, die nicht (mehr) unter Wahnvorstellungen<br />

leiden und ständig fachärztlich betreut werden. Für LKW- und<br />

Busfahrer bedeutet Schizophrenie allerdings grundsätzlich das Aus.<br />

Ob bei einem Patienten die Fahrtüchtigkeit nach Einnahme von<br />

Psychopharmaka, Tranquilizern, Hypnotika oder Antih<strong>ist</strong>aminika<br />

eingeschränkt <strong>ist</strong>, hat der behandelnde Arzt anhand des klinischen<br />

Bildes und gegebenenfalls objektiver Le<strong>ist</strong>ungstests individuell zu<br />

entscheiden. In jedem Fall <strong>ist</strong> der Arzt verpflichtet, Patienten über<br />

mögliche Einschränkungen zu informieren. Falls Ärzte vermuten,<br />

dass Fahruntauglichkeit vorliegt, müssen sie den Patienten auf<br />

diesen Umstand hinweisen und alles tun, um ihn von einer Teilnahme<br />

am Straßenverkehr abzuhalten. (sys) ●<br />

I<br />

FAHRTAUGLICHKEIT<br />

FAHRTAUGLICHKEIT<br />

Arzt haftet<br />

für Unfalltod<br />

Ein Arzt haftet für den Unfalltod eines<br />

Patienten, wenn dieser sich nach einer<br />

Behandlung gegen den ärztlichen Rat<br />

doch ans Steuer eines Wagens setzt. Das<br />

entschied der Bundesgerichtshof.<br />

Im konkreten Fall war ein Patient 1993 zu<br />

einer ambulanten Magenspiegelung ins Krankenhaus<br />

gekommen. Der behandelnde Chefarzt<br />

klärte ihn darüber auf, dass er nach der Untersuchung<br />

nicht Auto fahren dürfe. Auf Nachfrage<br />

gab der Mann an, mit dem Taxi nach Hause<br />

fahren zu wollen. Ohne entlassen worden zu<br />

sein, verließ der Mann das Krankenhaus und<br />

fuhr mit seinem Auto weg. Er starb beim Zusammenstoß<br />

mit einem Lkw. Seine Erben verklagten<br />

den Klinik-Arzt, weil er den Patienten<br />

nicht genügend aufgeklärt und ihn nicht am<br />

Verlassen des Krankenhauses gehindert habe.<br />

Der Arzt habe seine Überwachungspflichten<br />

verletzt, entschieden die Richter. (sys/dpa) ●<br />

Urteil des Bundesgerichtshofs, Aktenzeichen: VI<br />

ZR 265/02<br />

STOP<br />

Faszination Seele – IV/2004 17


LEBEN IM ALTER ALTER<br />

S<br />

18<br />

Psychisch kranke alte Menschen<br />

werden nicht angemessen<br />

Faszination Seele – IV/2004<br />

versorgt<br />

So lautet ein wichtiges Ergebnis einer Studie,<br />

die erstmals Daten zur Lebenssituation dieser<br />

„übersehenen“ Heimbewohner der Öffentlichkeit<br />

zugänglich macht. Ist auch die Gruppe<br />

der Bewohner mit einer organischen<br />

Störung wie einer Demenz am größten, so<br />

zeigt die Expertise, die vom Bundesmin<strong>ist</strong>erium<br />

für Gesundheit und Soziale Sicherung<br />

(BMGS) in Auftrag gegeben und jetzt vom Kuratorium<br />

Deutsche Altershilfe (KDA) veröffentlicht<br />

wurde, „dass auch andere psychiatrische<br />

Störungen im Altenheim eine wichtige<br />

und leider oft kaum beachtete Rolle spielen“,<br />

so der Gerontopsychiater und KDA-Kurator Prof.<br />

Dr. Dr. Rolf Dieter Hirsch, der unter Mitwirkung<br />

namhafter Gerontologen, die Studie koordiniert hat.<br />

„Wird im Umgang mit diesen Bewohnern kein Unterschied<br />

gemacht zu den Bewohnern, die an einer Demenz<br />

leiden, besteht im schlimmsten Fall sogar die Gefahr, dass<br />

sie aufgrund dessen demenzielle Symptome entwickeln<br />

können“, warnt Hirsch weiter.<br />

Um gesicherte Daten über die Situation von Heimbewohnern<br />

mit psychischen Störungen zu erhalten und daraus<br />

Empfehlungen abzuleiten, sind in die Bearbeitung der<br />

gerade erschienenen 426-seitigen Expertise nicht nur alle<br />

bisher bekannten Studien eingegangen,<br />

sondern es wurde zudem eine<br />

Psychisch<br />

kranke alte<br />

Menschen<br />

erhalten in<br />

Alten- und<br />

Pflegeheimen<br />

nur selten die<br />

optimale<br />

Behandlung<br />

und Pflege.<br />

Dies liegt unter<br />

anderem daran,<br />

dass ihre<br />

Erkrankung<br />

häufig nicht<br />

richtig<br />

diagnostiziert<br />

wird.<br />

eigene Untersuchung erstellt. In dieser zusätzlich durchgeführten<br />

Totalerhebung in zehn Alten- und Altenpflegeheimen<br />

mit insgesamt über 1000 Bewohnern litten<br />

nach dem Urteil der untersuchenden Psychiater 65 Prozent<br />

der Menschen mit einem Durchschnittsalter von<br />

fast 82 Jahren unter einer psychischen Störung. Die<br />

psychiatrische Diagnose wurde dabei nach der internationalen<br />

stat<strong>ist</strong>ischen Klassifikation der Krankheiten<br />

und verwandten Gesundheitsprobleme (ICD-10)<br />

erstellt. Bei der Aufschlüsselung der Diagnosen zeigte<br />

sich, dass 69 Prozent unter einer organischen Psychose<br />

leiden (z. B. Alzheimer-Demenz: 27 Prozent,<br />

vaskuläre Demenz: 19 Prozent). Eine affektive (die<br />

Stimmungslage betreffende) Störung wurde bei 14 Prozent<br />

diagnostiziert, während elf Prozent unter einer<br />

schizophrenen Störung litten. Zwei Prozent der untersuchten<br />

Menschen waren von einer Suchterkrankung betroffen,<br />

deutlich seltener litten sie unter einer Persönlichkeits-<br />

oder neurotischen Störung.<br />

Die me<strong>ist</strong>en Untersucher gehen sogar davon aus, dass in<br />

Zukunft der Anteil von Menschen mit psychischen Störungen<br />

in Heimen zunehmen wird. In der Expertise wird eine Fülle<br />

von Einzelergebnissen zu wichtigen Aspekten dargestellt.<br />

Eigene und bereits bekannte Ergebnisse werden ausführlich<br />

diskutiert und münden in Empfehlungen zur<br />

Forschung, zur Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen<br />

und zur Fort- und<br />

Weiterbildung des Personals. (sys) ●<br />

Weitere<br />

Informationen:<br />

Die Studie „Heimbewohner mit psychischen<br />

Störungen - Expertise“ von Rolf Dieter Hirsch und Ulrich Kastner,<br />

KDA-Schriftenreihe: Forum 38. Kuratorium Deutsche Altershilfe,<br />

Köln 2004, 426 Seiten, ISBN: 3-935299-57-5, Preis: 15,00 Euro<br />

kann beim KDA bezogen werden:<br />

KDA, Versand, An der Pauluskirche 3, 50677 Köln<br />

Fax: 0221/931847-6<br />

E-Mail: versand@kda.de, www.kda.de


Studie:<br />

Besitzer privater<br />

Websites sind<br />

eher schüchterne<br />

Menschen<br />

S<br />

Selbstdarsteller im Internet sind<br />

nicht automatisch selbstbewusst. Ganz<br />

im Gegenteil: Nach einer<br />

Studie der Universität<br />

Chemnitz sind Besitzer<br />

einer eigenen Webseite<br />

eher introvertiert. Außerdem<br />

sind die me<strong>ist</strong>en gut<br />

ausgebildet und männlich.<br />

In ihrer Studie<br />

„Selbstdarsteller oder<br />

Menschen wie du und<br />

ich?“ hatten Astrid Schütz, Professorin<br />

für Differentielle Psychologie und Diagnostik,<br />

und ihr Team knapp 300 Homepage-Besitzer<br />

befragt.<br />

„Unsere Ergebnisse deuten darauf<br />

hin, dass Homepage-Besitzer im sozialen<br />

Umgang unsicherer sind, schlechter<br />

mit Kritik umgehen können und ein negativeres<br />

Selbstbild von sich haben als<br />

andere“, erläutert Schütz. Daher sei zu<br />

vermuten, „dass die eigene Webseite für<br />

einen Teil der Homepage-Besitzer als<br />

Ersatz für Kompetenzen in direkten<br />

Kontakten und für die Face-to-Face-<br />

Kommunikation dient.“<br />

Außerdem fanden die Psychologen<br />

heraus, dass fast ausschließlich Männer<br />

Interesse am eigenen Internetauftritt haben.<br />

Nur 13 Prozent der Befragten sind<br />

Frauen. Das Bildungsniveau bei den<br />

Homepage-Besitzern <strong>ist</strong> hoch - knapp<br />

70 Prozent verfügen über Abitur oder<br />

einen Hochschulabschluss.<br />

Nach den Erkenntnissen von Schütz<br />

will sich „die Mehrheit der Homepage-<br />

Besitzer authentisch darstellen, aber natürlich<br />

nicht von der schlechtesten<br />

Seite. Also greifen sie häufig auf<br />

BIERMANN VERLAG (2)<br />

Fotos zurück, die sie als besonders<br />

gelungen empfinden. Inhalte<br />

werden stark selektiv und<br />

kontrolliert ausgewählt und<br />

publiziert“. (sys) ●<br />

A<br />

Weitere<br />

Informationen<br />

Einen Test zur Internetsucht finden Sie unter:<br />

www.netscape.de/index.jsp?cid=323635917&sg<br />

=Computer_Internet_Ratgeber<br />

Weitere Informationen:<br />

www.onlinesucht.de/<br />

INTERNETSUCHT<br />

Internetsucht: Modewort<br />

oder neue Abhängigkeit?<br />

Kann man vom Internet süchtig werden? Diese Frage spaltet seit<br />

einiger Zeit die Fachwelt in zwei Lager.<br />

Auf der einen Seite gibt es die Anhänger und Befürworter der Theorie des<br />

New Yorker Psychiaters Ivan Goldberg, der diesen Begriff (engl.: internet addiction<br />

disorder, kurz: IAD) 1995 erstmals einführte. Die Abhängigkeit wird in<br />

diesem Zusammenhang als psychisch beschrieben. Auf der anderen Seite gibt<br />

es die Kritiker des Begriffs „Internet-Sucht“, der - ihrer Meinung nach - als Beschreibung<br />

des Phänomens nicht zutreffend <strong>ist</strong>: Um es „Sucht“ nennen zu können,<br />

fehlt die stoffliche Ebene und körperliche Abhängigkeit.<br />

Bernad Batinic, Wissenschaftler am Fachbereich Psychologie der Universität<br />

Gießen, hat es folgendermaßen ausgedrückt: „Das Problem Internet-<br />

Sucht ex<strong>ist</strong>iert. Es gibt Menschen, die sich den Konsum des Internet nicht<br />

einteilen können beziehungsweise nicht damit aufhören können. Doch die<br />

Linie zwischen noch normal und bereits süchtig <strong>ist</strong> sehr schwer zu ziehen.“<br />

Was das Internet so attraktiv macht, sind vor allem neue Handlungsmöglichkeiten<br />

wie:<br />

➤ Realitätsflucht<br />

➤ Experimentieren mit der eigenen Identität<br />

Das Fliehen vor der Realität kann Flucht vor persönlichen<br />

Problemen bedeuten; vor Problemen mit sich<br />

selbst (z.B. Minderwertigkeitskomplexe) oder mit dem<br />

sozialen Umfeld (Probleme der Kontaktaufnahme, Einsamkeit<br />

etc.). Die verborgenen Wünsche werden in der<br />

Realität nicht erfüllt, so dass das Internet mit seinen<br />

anonymen Räumen stellvertretend aufgesucht wird.<br />

Das Experimentieren mit der eigenen Identität <strong>ist</strong><br />

ein Phänomen, dass der heutigen Anforderung nach<br />

Flexibilität gerecht werden soll. Häufiger Arbeitsplatzwechsel,<br />

neue Erziehungsmodelle, neue Geschlechterrollen<br />

und sich ständig erneuernde Technologien erwarten<br />

stets Flexibilität und Wandlungsfähigkeit. Sie zeigen, dass alles von<br />

kurzlebiger Dauer <strong>ist</strong> und immer beliebiger wird. Das Internet bietet in diesem<br />

Zusammenhang den idealen Rahmen: In Chaträumen oder im virtuellen<br />

Cyberspace kann man den Rollentausch spielerisch üben.<br />

Im deutschsprachigen Raum erstellten die österreichischen Ärzte Dr.<br />

Zimmerl und Dr. Panosch eine L<strong>ist</strong>e diagnostischer Kriterien, die sie zur Erfassung<br />

des „pathologischen Internet-Gebrauchs“ (kurz: PIG) empfehlen:<br />

➤ Häufiges unüberwindliches Verlangen, ins Internet einzuloggen<br />

➤ Kontrollverluste (d.h. längeres Verweilen „online“ als intendiert) verbunden<br />

mit diesbezüglichen Schuldgefühlen<br />

➤ sozial störende Auffälligkeit im engsten Kreis der Bezugspersonen<br />

(Freunde, Partner, Familie)<br />

➤ PIG-bedingtes Nachlassen der Arbeitsfähigkeit<br />

➤ Verheimlichung/ Bagatellisierung der Gebrauchs-<br />

gewohnheiten<br />

➤ Psychische Irritabilität bei Verhinderung am Inter-<br />

net-Gebrauch (kann sich auswirken in Form von<br />

Nervosität, Reizbarkeit und Depression)<br />

➤ Mehrfach fehlgeschlagene Versuche der Einschränkung<br />

(sys) ●<br />

19


SPORT&PSYCHE<br />

20<br />

Sport <strong>ist</strong> gut für die Psyche<br />

Körperliche Bewegung stärkt Muskeln und Knochen,<br />

erhöht das Denkvermögen und hilft, Stress abzubauen.<br />

Kontrollierter und richtig dosierter Sport hat<br />

positive Auswirkungen auf den ganzen Körper. Folgende<br />

Wirkungen sind nachgewiesen:<br />

Das Gehirn profitiert von Ausdauerbelastungen, da<br />

dabei mehr Blut und damit mehr Sauerstoff zugeführt<br />

wird. Das begünstigt nicht nur das Denkvermögen,<br />

sondern hilft auch gegen psychischen Stress und soll<br />

sogar Depressionen vorbeugen.<br />

In der Lunge bilden sich mehr Blutgefäße und Lungenbläschen,<br />

so dass mit dem Atemvolumen auch die<br />

Le<strong>ist</strong>ungsfähigkeit der Lunge steigt. Es gelangt so viel<br />

mehr Sauerstoff ins Blut. Ausdauertraining<br />

erhöht auch den Muskel- und<br />

senkt den Fettanteil. Krafttraining fördert<br />

natürlich die Kraft, beugt aber auch<br />

dem Muskelabbau vor, der im Alter bei<br />

jedem Menschen eintritt. Auch die Knochen<br />

profitieren vom Krafttraining: Es<br />

verbessert die Knochendichte und beugt<br />

Brüchen und Knochenschwund (Osteoporose)<br />

vor. (sys) ●<br />

Faszination Seele – IV/2004<br />

Walking erhält<br />

die Hirnle<strong>ist</strong>ung<br />

Sportliche Aktivitäten halten nicht nur<br />

den Körper gesund, sondern scheinen sogar<br />

die Le<strong>ist</strong>ungsfähigkeit des Gehirns zu erhöhen.<br />

Nach neuesten Erkenntnissen der<br />

Hirnforschung kann die altersbedingte<br />

Nachlässigkeit des Hirns durch dynamische<br />

Bewegung gelindert werden. Nach einer<br />

Studie der Universität Erlangen können Senioren<br />

durch zügiges Gehen (Walken) die<br />

„exekutiven Kontrollfunktionen“ des Hirns<br />

verbessern. Allerdings nur, wenn dreimal<br />

pro Woche mindestens 20, besser aber 45<br />

Minuten lang gewalkt wird. (sys) ●<br />

Sportliche Notbremse im Kopf<br />

Erschöpfung nach sportlicher Betätigung <strong>ist</strong> Kopfsache:<br />

Starke Anstrengung schränkt zunächst nicht<br />

die Funktionsfähigkeit der Muskeln ein, sondern löst<br />

eine emotionale Reaktion im Gehirn aus. Amerikanische<br />

Forscher haben nun einen Schlüsselfaktor bei<br />

dieser Gehirnreaktion identifiziert: Erhöhte Mengen<br />

eines Botenstoffs des Immunsystems melden dem Gehirn<br />

eine drohende Überanstrengung. Das dann ausgelöste<br />

Gefühl der Erschöpfung vermindert die Le<strong>ist</strong>ungsfähigkeit<br />

und schützt so die Muskeln vor Schäden.<br />

<strong>Wenn</strong> Muskeln bei starker Beanspruchung<br />

irgendwann nicht mehr genug<br />

Brennstoff oder Sauerstoff zur Verfügung<br />

haben, beginnt ihre Funktion nachzulassen<br />

und ein Erschöpfungszustand stellt sich<br />

ein – das war lange Zeit die gängige Erklärung<br />

für die typische bleierne Müdigkeit<br />

nach einer intensiven sportlichen Betätigung.<br />

Erst seit etwa zwei Jahren beginnen<br />

Wissenschaftler umzudenken, denn einige<br />

Befunde aus der Sportwissenschaft passen<br />

nicht zur bisherigen Theorie. So haben die<br />

me<strong>ist</strong>en Athleten beispielsweise auch nach<br />

einem Marathonlauf noch genügend Muskeltreibstoff<br />

in Reserve, um einen Endspurt<br />

hinzulegen.<br />

Vielmehr scheint das Gehirn als eine<br />

Art Schaltzentrale zu wirken: Es erzeugt<br />

das lähmende Erschöpfungsgefühl, damit<br />

die Muskeln nicht bis an die Grenze ihrer<br />

Le<strong>ist</strong>ungsfähigkeit belastet werden und immer<br />

noch genügend Reserven für einen Notfall zur<br />

Verfügung stehen. Den Zeitpunkt dieses Eingreifens<br />

bestimmt dabei offenbar ein Botenstoff, Interleukin-<br />

6 genannt. Die Forscher stellten fest: Nach intensivem<br />

Sport steigt die Konzentration dieses Signalmoleküls<br />

im Blut auf das 60- bis 100fache des normalen Spiegels<br />

an. (sys) ●


ARCHIV<br />

PRIVAT<br />

Zur Person:<br />

Der Autor Dr. Wolfgang<br />

Thamm wurde 1962 in<br />

Oberbayern geboren.<br />

Zwischen 1983 und<br />

1990 studierte er Zahnheilkunde<br />

an der Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München und beendete<br />

das Studium mit dem Staatsexamen.<br />

2002 schloss er seine<br />

Promotion ab. Seit 1988 <strong>ist</strong> Wolfgang<br />

Thamm an Schizophrenie erkrankt.<br />

Zu seinen Hobbys zählen<br />

neben klassischer Musik vor allem<br />

Reisen und Fotografie.<br />

Badeurlaub<br />

und h<strong>ist</strong>orische<br />

Stätten<br />

Kreta <strong>ist</strong> eine Urlaubsinsel,<br />

die sowohl den Ansprüchen<br />

bodenkunsth<strong>ist</strong>orisch interessierter<br />

Menschen gerecht<br />

wird, als auch denen, die<br />

vornehmlich Sonne, Meer<br />

und Erholung suchen.<br />

M<br />

Mehr als 1000 Jahre lang beherrschten die Minoer von Kreta aus<br />

das Ägäische Meer. Die Herrschaft dieser großen Seemacht begann<br />

ca. 2500 v. Chr. und endete mit der Explosion der Vulkaninsel Santorin,<br />

die ihre Asche und ihren Staub bis Kreta katapultierte, ca. 1500<br />

v. Chr. Die Minoer hatten während ihrer Zeit aus Kreta das Zentrum<br />

von Macht, Kultur, Wissen und Wohlstand gemacht. Ihre Kultur <strong>ist</strong><br />

bis in die heutige Zeit hinein teilweise rätselhaft geblieben.<br />

Als Athen das Macht - und Kulturzentrum im Mittelmeerraum<br />

wurde, verfiel Kreta und wurde nur noch als Piratenversteck genutzt.<br />

Erst die Römer und die Phönizier entdeckten die strategische Bedeutung von Kreta wieder. Nach kurzer venezianischer<br />

Herrschaft fiel Kreta schließlich an die Türken, bis es 1913 endgültig<br />

Griechenland angeschlossen wurde.<br />

Die Hauptattraktion für Kunstinteressierte sind die Ausgrabungen des<br />

damals 20000 qm umfassenden Palastes von Knossos, den, der Sage nach,<br />

König Minos mit seiner Gattin, seiner Tochter Ariadne und dem Minotaurus<br />

ca. 1900 v. Chr. bewohnt haben soll. Teile des Palastes ließ der Archäologe<br />

Sir Evans rekonstruieren, um dem Besucher die Vorstellung von dessen<br />

Aussehen zu erleichtern. Die in den Ausgrabungen gefundenen<br />

Schätze befinden sich im Museum der nur fünf Kilometer<br />

entfernten Hauptstadt Heraklion, die man auch wegen der gewaltigen<br />

venezianischen Befestigungen besuchen sollte.<br />

Ein weiterer minoischer Palast <strong>ist</strong> der von Phästos, zwar nur<br />

noch in den Grundmauern erhalten, aber beeindruckend in seinen<br />

Ausmaßen. Und wer einmal durch die engen Gassen einer<br />

minoischen Kleinstadt schlendern möchte, besucht Gurnia, entweder<br />

mit einem orstansässigem Reiseveranstalter oder mit einem<br />

Mietwagen. Das Straßennetz auf Kreta befindet sich in gutem<br />

Zustand, die Orientierung <strong>ist</strong> dank klarer Beschilderung einfach.<br />

An Malerei Interessierte werden viel Freude an den byzanti-<br />

nischen Fresken in der Kirche von Kritsa haben. Für einen Badeurlaub<br />

eignen sich die Gebiete um Chersonisos, Malia und Rethymnon, wobei man in Kauf nehmen<br />

muß, dass Sandstrände auch mit Kiesel gemischt sein können. Bis in den Herbst hinein <strong>ist</strong> Baden<br />

im Meer möglich. Wer Zimmer in einem nicht zu großen Hotel bucht, kann möglicherweise<br />

Zeuge echter Folklore werden, wenn abends nach Dienstschluß Hotelangehörige musizieren, tanzen<br />

und die Gäste zum Mitmachen einladen. Echte Volkskunst findet man auch im Bereich des Handwerks, wobei<br />

Tour<strong>ist</strong>innen besonders an von Hand bestickten Blusen und Tischwäsche interessiert sind. Wer sich Zeit<br />

nimmt, zwanglos mit einem Mietwagen über die Insel zu fahren, kann möglicherweise Weinbauern beim<br />

Trocknen von Rosinen beobachten, sich an den zahllreichen Windrädern auf der Lassithi<br />

- Hochebene erfreuen, die früher zum Wasserschöpfen dienten, oder einen Sonnenuntergang<br />

in der Bucht von Haghios Nikolaios genießen, der ihm den<br />

Urlaub auf Kreta unvergeßlich machen wird. ●<br />

ARCHIV<br />

REISEN<br />

21


O<br />

R<br />

22<br />

PANORAMA ANORAMA<br />

Filmemacherin Caroline<br />

Link hat Angstträume<br />

Oscar-Pre<strong>ist</strong>rägerin Caroline Link („Nirgendwo<br />

in Afrika“) hat Angstträume. Sie träume,<br />

„wahrscheinlich geboren aus eigenen<br />

Zweifeln“, zu versagen, nicht anerkannt zu<br />

werden, Liebe zu verlieren oder missverstanden<br />

zu werden, sagte die 39-jährige Filmemacherin<br />

der Wochenzeitung Die Zeit. Auch<br />

ängstliche Tagträume machten ihr zu schaffen.<br />

„Nach manchem<br />

Streit beispielsweise -<br />

und ich habe viel<br />

Temperament - passiert<br />

es, dass ich vom<br />

Tod desjenigen träume,<br />

mit dem ich mich<br />

gerade gestritten habe.“<br />

(sys) ●<br />

Rocksängerin Courtney Love<br />

auf dem Trockenen<br />

Rocksängerin Courtney Love <strong>ist</strong> zur Teilnahme<br />

an einem 18-monatigen Entzugsprogramm<br />

verurteilt worden. Richterin Patricia Schnegg<br />

gab der Sängerin bis zum 29. Oktober Zeit, sich<br />

in einer Drogenberatung einzuschreiben. Love<br />

dürfe reisen, allerdings verbot ihr die Richterin<br />

nichtverschreibungspflichtige Medikamente,<br />

Alkohol oder den Aufenthalt an Orten, an<br />

denen Alkohol ausgeschenkt wird. Regelmäßige<br />

Drogentests sollen das Verbot kontrollieren.<br />

(dpa/sys) ●<br />

Faszination Seele – IV/2004<br />

JUST PUBLICITY<br />

T<br />

Ein Tagebuch zu schreiben<br />

<strong>ist</strong> ungesund<br />

Tagebuch-Schreiber leben nach einer neuen Studie der<br />

Glasgow Caledonian University ungesund. Sie leiden wesentlich<br />

häufiger unter Kopfschmerzen, Schlafstörungen<br />

und Verdauungsproblemen als jene, die keine Tagebücher<br />

führen. Bisher haben Psychologen angenommen, dass Tagebücher<br />

zur Bewältigung traumatischer Erlebnisse geeignet<br />

wären, berichtet das Wissenschaftsmagazin New Scient<strong>ist</strong>.<br />

„Wir haben uns erwartet, dass Tagebuchschreiber wenigstens<br />

einige Vorteile haben“, so Studienleiterin Elaine<br />

Duncan. Offensichtlich sei es aber besser, wenn man nicht<br />

alles sofort zu Papier bringt.<br />

Der Forschungsansatz war insofern neu, als bisherige<br />

Untersuchungen immer dazu animierten, dass Patienten ihre<br />

Probleme zu Papier bringen sollten. Nach der Stat<strong>ist</strong>ik<br />

schnitten die Tagebuch-Autoren im Gesundheitsfragebogen<br />

wesentlich schlechter ab als die anderen. Obwohl unmittelbare<br />

Beweise fehlen, nimmt die Forscherin an, denken die<br />

Tagebuch-Schreiber viel öfter an ihr Geschick. „Es <strong>ist</strong>,<br />

als würden sie sich in einem grübelnden ewig wiederholenden<br />

Zyklus befinden“, so Duncan. Unklar blieb<br />

hingegen, ob zuerst das Tagebuch-Schreiben oder<br />

die Gesundheitsbeschwerden vorhanden waren.<br />

Weitere Untersuchungen sollen folgen. ●<br />

VIRGIN


Digitaler Newsletter<br />

zu Alzheimer<br />

M<br />

Mit einem digitalen Newsletter bietet die<br />

Deutsche Alzheimer Gesellschaft ab sofort einen<br />

neuen zusätzlichen Informationsservice<br />

an. Angehörige, Betroffene und alle Interessierten<br />

können sich – ab sofort im vierwöchigen<br />

Abstand - über <strong>aktuell</strong>e Ereignisse und<br />

Themen rund um die Alzheimer-Krankheit<br />

und andere Demenzerkrankungen sowie über<br />

<strong>aktuell</strong>e Verbandsnachrichten informieren.<br />

Der Newsletter, der am 28.Juli erstmalig<br />

versandt wird, kann über den Link:<br />

http://www.deutsche-alzheimer.de/6_6.html<br />

online bestellt werden. Der Eintrag der<br />

E-Mail-Adresse genügt.<br />

Themen des ersten Newsletters sind unter<br />

anderen der Gesetzentwurf zur Reform des Betreuungsrechts,<br />

die Anerkennung Demenzkranker<br />

als chronisch Kranker und die Neuregelung<br />

für Pflegekräfte aus den EU-Beitrittsländern<br />

ab 1. Mai 2004. (sys) ●<br />

Psychisch krank. Und jetzt?<br />

DDer Bundesverband hat seine Broschüre zur<br />

Erstinformation von Familien mit psychisch kranken<br />

Menschen völlig überarbeitet und neu aufgelegt.<br />

Eine erste Orientierung gibt die Broschüre<br />

„Psychisch krank, und jetzt?“ herausgegeben vom<br />

Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker.<br />

Der Broschüre liegt eine CD mit Materialen<br />

bei.<br />

Die Broschüre kann für eine Schutzgebühr<br />

von 2,50 Euro bestellt werden über<br />

die Geschäftsstelle der Familien-Selbsthilfe<br />

<strong>Psychiatrie</strong>, Bundesverband der Angehörigen<br />

psychisch Kranker. (sys) ●<br />

S<br />

MEDIEN<br />

<strong>Wenn</strong> es in<br />

der Seele finster <strong>ist</strong><br />

Rund vier Millionen Menschen in Deutschland leiden an Depressionen.<br />

Nur ein kleiner Teil erhält jedoch eine optimale Behandlung. Dabei<br />

<strong>ist</strong> eine Depression gut behandelbar. Viele Patienten versäumen es<br />

jedoch, die Therapiemöglichkeiten konsequent für sich zu nutzen. Für<br />

Betroffene und ihre Angehörigen <strong>ist</strong> es deshalb wichtig,<br />

sich über die Krankheit und die Behandlungsmöglichkeiten<br />

zu informieren. „Eine Depression verändert den<br />

Betroffenen. Er hat das Gefühl, als ob sich über Körper<br />

und Seele ein bleierner Mantel gelegt hätte. Inzwischen<br />

gibt es eine Reihe wirksamer Behandlungsverfahren.<br />

Me<strong>ist</strong> kann die Krankheit vollständig zum Abklingen<br />

gebracht werden“, informiert Prof. Ulrich Hegerl von der<br />

Psychiatrischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München. Gemeinsam mit der Journal<strong>ist</strong>in und<br />

Psychologin Svenja Niescken hat er den Ratgeber „Depressionen<br />

bewältigen, die Lebensfreude wiederfinden“ herausgegeben.<br />

Das Buch soll Betroffenen helfen, zum Experten in eigener Sache zu<br />

werden und damit auch zu einem kompetenten Gesprächspartner für<br />

den Arzt. Bei der Behandlung depressiver Erkrankungen geht es darum,<br />

die <strong>aktuell</strong>e depressive Episode rasch zu durchbrechen und Rückfälle zu<br />

verhindern. Die wichtigsten Bausteine für beide Behandlungsziele sind<br />

die medikamentöse Behandlung und die Psychotherapie. Bei der Akuttherapie<br />

leichterer Depressionen muss individuell entschieden werden,<br />

ob eine Psychotherapie, eine medikamentöse Behandlung oder eine<br />

Kombination aus beiden der beste Weg <strong>ist</strong>. „Um das Rückfallrisiko zu<br />

senken, <strong>ist</strong> neben Medikamenten ein möglichst optimales Krankheitsmanagement<br />

durch die Betroffenen selbst wichtig“, informiert Hegerl.<br />

Er rät Betroffenen, sich intensiv mit ihrer Krankheit auseinanderzusetzen.<br />

Sie sollen sich überlegen, welche Frühzeichen der depressiven Erkrankung<br />

bei Ihnen auftreten und wie sie konkret in Krisensituationen<br />

gegensteuern können. Ein weitere Frage <strong>ist</strong>, wie Risikosituationen vermieden<br />

werden können.<br />

In ihrem Ratgeber informieren die Autoren über die neuesten Erkenntnisse<br />

zum Thema Depression. Sie stellen die beiden zentralen Therapien,<br />

Psychotherapie und Medikamente, vor und informieren auch<br />

über alternative Ansätze wie beispielsweise Johanniskraut, Lichttherapie<br />

und Elektrokrampfbehandlungen. Im ausführlichen Selbsthilfe-Teil<br />

finden Leser Anregungen und Tipps. (sys) ●<br />

Ulrich Hegerl, Svenja Niescken<br />

Depressionen bewältigen, die Lebensfreude wiederfinden<br />

TRIAS Verlag, Stuttgart 2004, EUR 17,95, ISBN 3830431279<br />

Weitere<br />

Informationen<br />

BApK Geschäftsstelle Bonn<br />

Thomas-Mann-Str. 49a, 53111 Bonn<br />

tel.: (0228) 63 26 46, fax: (0228) 65 80 63<br />

email: bapk@psychiatrie.de<br />

internet: www.bapk.de<br />

Faszination Seele – IV/2004 23


FEUILLETON<br />

FEUILLETON<br />

OOb jung oder alt, ob Kritiker oder Kollege – sie alle geraten<br />

ins Schwärmen, wenn von Anton Cechov (Tschechow)<br />

(1860-1904) die Rede <strong>ist</strong>: „Wie kaum ein anderer hat Anton<br />

Cechov auf den Pulsschlag des modernen Lebens gehorcht,<br />

sein literarisches Werk <strong>ist</strong> für das 20. Jahrhundert wegweisend<br />

geworden“, schrieb etwa die Neue Zürcher Zeitung.<br />

„Cechov gegenüber komme ich mir wie ein Anfänger vor“,<br />

bekannte George Bernard Shaw. „Er <strong>ist</strong> der subtilste Analytiker<br />

menschlicher Beziehungen“, urteilte Virginia Woolf,<br />

und Woody Allen meint: „Er <strong>ist</strong> überhaupt der Größte.“<br />

Praxisstempel:<br />

Arzt und Dichter<br />

Die Lobeshymnen für Cechovs Erzählungen und Dramen<br />

erstaunen um so mehr, bedenkt man, dass der Jahrhundert-<br />

Autor zusätzlich einer anderen Berufung nachging: Cechov<br />

war fast bis zu seinem frühen Tod mit 44 Jahren ärztlich tätig:<br />

Nachdem er sich in Moskau durch das Medizinstudium<br />

gehungert hatte, war er als Krankenhausarzt<br />

und in eigener Praxis tätig;<br />

viele Patienten behandelte er umsonst.<br />

Auf der Sträflingsinsel Sachalin führte<br />

Cechov medizinische und soziale Studien<br />

durch und engagierte sich immer<br />

wieder im Kampf gegen die damals in<br />

Russland grassierenden Cholera-Epidemien<br />

und Hungersnöte.<br />

Anders als so mancher Dichterarzt-<br />

Kollege litt Cechov keineswegs an seiner<br />

„Doppelbelastung“. Als ihm sein Verleger riet, „nicht zwei<br />

Hasen nachzujagen und nicht mehr an die praktische Medizin<br />

zu denken“, entgegnete Cechov: „Ich habe aber ein besseres<br />

und zufriedeneres Gefühl, wenn ich mir vor Augen halte,<br />

daß ich zwei Berufe habe.... die Medizin <strong>ist</strong> meine gesetzliche<br />

Ehefrau, die Literatur meine Geliebte.“ Kein Wunder,<br />

dass Cechov fähig war, Phänomene der Krankheit differenziert,<br />

einfühlsam und medizinisch korrekt zu gestalten und<br />

der Figur des Arztes in seinem Werk eine zentrale Stelle einzuräumen.<br />

Es sind oft Ärzte, die an ihrem Beruf leiden, ebenso<br />

wie an ihrer Umgebung und der Korruptheit der Menschen.<br />

Einfühlsame Charakterdarstellung<br />

Da klagt etwa der Landarzt Dr. Astrow in „Onkel Wanja“:<br />

„Vom Morgen bis in die Nacht immer auf den Beinen, ich<br />

kenne keine Ruhe, und nachts liegt man unter der Decke und<br />

fürchtet nur, dass man zu einem Kranken geschleppt werden<br />

könnte.“ Ausgebrannt durch seinen Beruf, reagiert Astrow<br />

Kühle<br />

Diagnostik,<br />

aber mit<br />

feiner Ironie<br />

Vor 100 Jahren starb der Arzt und<br />

Schriftsteller Anton Cechov in<br />

Badenweiler. Seine Stücke<br />

haben derzeit Hochkonjunktur.<br />

nur noch zynisch auf die Probleme seiner<br />

Kranken, die zu Objekten werden. Da <strong>ist</strong> auch<br />

der Stationsarzt Koroljow in „Ein Fall aus der<br />

Praxis“, der, konfrontiert mit der ex<strong>ist</strong>entiellen<br />

Krise einer Fabrikantentochter, dieser lediglich<br />

„ehrenhafte Schlaflosigkeit“ attestieren<br />

kann. Oder der leitende Arzt Dr. Ragin in<br />

„Krankenzimmer Nr. 6“, der bei einem Paranoiker<br />

den einzigen Gesprächspartner im<br />

Dorf findet und nach einer Intrige schließlich<br />

selbst zum <strong>Psychiatrie</strong>patienten wird.<br />

Ebenso tragisch <strong>ist</strong> das Schicksal des berühmten<br />

Medizinprofessors Nikolaj Stepanovic<br />

in „Eine langweilige Geschichte“, die Thomas<br />

Mann als „ganz und gar außerordentliches,<br />

faszinierendes Werk“ lobte: Es <strong>ist</strong> die<br />

Geschichte eines lebensüberdrüssigen Alternden,<br />

der hypochondrisch den Tod erwartet.<br />

Nicht minder anrührend <strong>ist</strong> schließlich in<br />

„Drei Schwestern“ die Figur des alten Militärarztes<br />

Tschebutykin, dem durch sein Verschulden<br />

ein Patient verstarb.<br />

Cechov lässt ihn am Ende des Stückes desillusioniert<br />

sagen: „Wir sind ja gar nicht da.<br />

Wir ex<strong>ist</strong>ieren überhaupt nicht, es scheint nur<br />

so, als ex<strong>ist</strong>ierten wir.“ Gnadenlos sezierend,<br />

kühl diagnostizierend, aber trotz aller Sozial-<br />

MARION BÜHRLE<br />

Szenenfoto aus Cechovs<br />

„3 Schwestern“ im Theater<br />

Nürnberg. Dietmar Saebisch<br />

(2. v. r.) in der Rolle des<br />

Militärarztes Tschebutykin.<br />

kritik stets mit feiner Ironie<br />

zeichnete Cechov seine Figuren.<br />

Auch auf CD<br />

Wer Cechov lieber lesen<br />

oder auf CD hören mag, hat<br />

ebenfalls große Auswahl:<br />

Sein literarisches Werk <strong>ist</strong> in<br />

vielerlei Ausgaben auf dem<br />

Markt ebenso wie Bücher zu<br />

seiner Biographie und Literaturtheorie.<br />

So offeriert etwa der Diogenes-Verlag<br />

die größte<br />

nicht-russische Cechov-Edition<br />

und mit Peter Urbans<br />

Bildband auch die wohl<br />

schönste und umfassendste<br />

Ausgabe zu dessen Biographie<br />

(Cechov. Sein Leben in<br />

Bildern. 355 Seiten. 59 Euro.<br />

www.diogenes.ch). (bra) ●<br />

DIOGENES VERLAG, ZÜRICH

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